Skip to content

EuGH: Zugang der Polizei zu auf Mobiltelefonen gespeicherten personenbezogenen Daten nicht nur auf Bekämpfung schwerer Kriminalität beschränkt

EuGH
Urteil vom 04.10.2024
C-548/21
Bezirkshauptmannschaft Landeck
(Zugriffsversuch auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten personenbezogenen Daten)


Der EuGH hat entschieden, dass sich der Zugang der Polizei zu auf Mobiltelefonen gespeicherten personenbezogenen Daten nicht nur auf Bekämpfung schwerer Kriminalität beschränkt.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates ist im Licht der Art. 7 und 8 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die den zuständigen Behörden die Möglichkeit gibt, zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten im Allgemeinen auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten zuzugreifen, nicht entgegensteht, wenn diese Regelung
– die Art oder die Kategorien der betreffenden Straftaten hinreichend präzise definiert,
– die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gewährleistet und
– die Ausübung dieser Möglichkeit, außer in hinreichend begründeten Eilfällen, einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle unterwirft.

2. Die Art. 13 und 54 der Richtlinie 2016/680 sind im Licht von Art. 47 und von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte
dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es den zuständigen Behörden gestattet, zu versuchen, auf Daten zuzugreifen, die auf einem Mobiltelefon gespeichert sind, ohne die betroffene Person im Rahmen der einschlägigen nationalen Verfahren über die Gründe, auf denen die von einem Gericht oder einer unabhängigen Verwaltungsstelle erteilte Gestattung des Zugriffs auf die Daten beruht, zu informieren, sobald die Übermittlung dieser Informationen die den Behörden nach der Richtlinie obliegenden Aufgaben nicht mehr beeinträchtigen kann.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Der Zugang der Polizei zu den auf einem Mobiltelefon gespeicherten personenbezogenen Daten ist nicht zwingend auf die Bekämpfung schwerer Kriminalität beschränkt

Er bedarf jedoch der vorherigen Genehmigung durch ein Gericht oder eine unabhängige Behörde und muss verhältnismäßig sein.

Der Zugang der Polizei zu den auf einem Mobiltelefon gespeicherten personenbezogenen Daten im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen kann einen schwerwiegenden oder sogar besonders schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person darstellen. Gleichwohl ist er nicht zwingend auf die Bekämpfung schwerer Kriminalität beschränkt. Der nationale Gesetzgeber muss die bei einem solchen Zugang zu berücksichtigenden Gesichtspunkte, wie die Art oder die Kategorien der betreffenden Straftaten, definieren. Um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in jedem Einzelfall durch eine Gewichtung aller relevanten Gesichtspunkte dieses Falles gewahrt wird, muss der Zugang zudem, außer in hinreichend begründeten Eilfällen, von einer vorherigen Genehmigung durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle abhängig gemacht werden. Die betroffene Person muss über die Gründe für die Genehmigung informiert werden, sobald die Übermittlung dieser Informationen die Ermittlungen nicht mehr beeinträchtigen kann.

Die österreichische Polizei stellte das Mobiltelefon des Adressaten eines Pakets sicher, nachdem im Zuge einer Suchtmittelkontrolle festgestellt wurde, dass sich in diesem Paket 85 g Cannabiskraut befanden. Sodann versuchte sie vergeblich, das Mobiltelefon zu entsperren, um Zugang zu den darauf gespeicherten Daten zu erlangen. Sie verfügte nicht über eine Genehmigung der Staatsanwaltschaft oder eines Richters, dokumentierte ihre Entsperrungsversuche nicht und informierte den Betroffenen nicht über sie.

Der Betroffene erhob bei einem österreichischen Gericht Beschwerde gegen die Sicherstellung seines Mobiltelefons. Erst im Rahmen dieses Verfahrens erlangte er Kenntnis von den Entsperrungsversuchen. Das österreichische Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob die österreichische Regelung, die nach seinen Angaben1 der Polizei diese Vorgehensweise ermöglicht, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Es führt aus, dass die dem Betroffenen zur Last gelegte Straftat mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht sei und daher nur ein Vergehen darstelle.

Der Gerichtshof stellt zunächst klar, dass die einschlägige Unionsregelung entgegen dem Vorbringen einiger Regierungen nicht nur für den Fall eines erfolgreichen Zugriffs auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten personenbezogenen Daten gilt, sondern auch für einen Versuch, Zugang zu ihnen zu erlangen.

Sodann stellt er fest, dass der Zugang zu allen auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten einen schwerwiegenden oder sogar besonders schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person darstellen kann. Solche Daten, die Nachrichten, Fotos und den Verlauf der Navigation im Internet umfassen können, lassen nämlich unter Umständen sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben dieser Person zu. Außerdem können zu ihnen auch besonders sensible Daten gehören.

Die Schwere der Straftat, die Gegenstand der Ermittlungen ist, stellt einen der zentralen Parameter bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines solchen schwerwiegenden Eingriffs dar. Falls nur die Bekämpfung schwerer Kriminalität den Zugang zu auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten rechtfertigen könnte, würden jedoch die Ermittlungsbefugnisse der zuständigen Behörden unangemessen eingeschränkt. Daraus würde sich eine erhöhte Gefahr der Straflosigkeit von Straftaten im Allgemeinen und damit eine Gefahr für die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Union ergeben. Ein solcher Eingriff in das Privatleben und den Datenschutz muss allerdings gesetzlich vorgesehen sein; dies impliziert, dass der nationale Gesetzgeber die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte, insbesondere die Art oder die Kategorien der betreffenden Straftaten, hinreichend präzise definieren muss.

Ein solcher Zugang muss ferner von einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle abhängig gemacht werden, außer in hinreichend begründeten Eilfällen3 . Diese Kontrolle muss für einen gerechten Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen, die sich aus den Erfordernissen der Ermittlungen im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung ergeben, und den Grundrechten auf Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten sorgen.

Schließlich muss die betroffene Person über die Gründe, auf denen die Genehmigung des Zugriffs auf ihre Daten beruht, informiert werden, sobald die Übermittlung dieser Informationen die Ermittlungen nicht mehr beeinträchtigen kann .


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwältin: Google / Alphabet kann verpflichtet sein anderen Unternehmen Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren

EuGH-Generalanwältin
Schlussanträge vom 05.09.2024
C-233/23
Alphabet u. a.


Die EuGH-Generalanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass Google / Alphabet verpflichtet sein kann, anderen Unternehmen Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren

Die Pressemitteilung des EuGH:
Generalanwältin Medina: Die Weigerung von Google, Dritten Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren, verstößt möglicherweise gegen das Wettbewerbsrecht

Google ist Urheberin und Entwicklerin von Android OS, eines Open-Source-Betriebssystems für AndroidMobilgeräte. 2015 brachte sie Android Auto auf den Markt, eine App für Mobilgeräte mit dem Betriebssystem Android, mit dem es Benutzern möglich ist, über einen in das Fahrzeug integrierten Bildschirm auf bestimmte Apps auf ihrem Smartphone zuzugreifen. Drittentwickler können mit Hilfe von Templates, die Google bereitstellt, Versionen eigener Apps erstellen, die mit Android Auto kompatibel sind.

Enel X, die zur Enel Group gehört, erbringt Dienstleistungen für das Laden von Elektrofahrzeugen. Im Mai 2018 brachte sie die App JuicePass auf den Markt, die eine Reihe von Funktionen für das Laden von Elektrofahrzeugen anbietet. Im September 2018 ersuchte Enel X Google, JuicePass mit Android Auto kompatibel zu machen. Google lehnte dies mit der Begründung ab, dass in Ermangelung eines speziellen Templates Medien- und Messaging-Apps die einzigen Apps von Drittanbietern seien, die mit Android Auto kompatibel seien. Sie rechtfertigte ihre Weigerung mit Sicherheitserwägungen und der Notwendigkeit, die für die Entwicklung eines neuen Templates notwendigen Ressourcen bereitzustellen

Die italienische Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass das Verhalten von Google gegen das Wettbewerbsrecht der Union verstoße. Mit der Behinderung und Verzögerung der Veröffentlichung der JuicePass-App auf der Plattform Android Auto habe Google ihre beherrschende Stellung missbraucht. Google focht diese Entscheidung vor dem italienischen Staatsrat an, der den Gerichtshof mit dem Fall befasst hat.

In ihren Schlussanträgen vom heutigen Tag prüft Generalanwältin Laila Medina, ob in dieser Rechtssache die ständige Rechtsprechung zur Zugangsverweigerung durch ein beherrschendes Unternehmen einschlägig ist, d. h., ob die sogenannten Bronner-Voraussetzungen2 gelten. Anschließend untersucht sie, ob Zugangsverpflichtungen im Hinblick auf die Interoperabilität für beherrschende Unternehmen bedeuten, dass sie ein aktives Verhalten an den Tag legen, also z. B. die erforderliche Software entwickeln müssen.

Generalanwältin Medina gelangt zu dem Schluss, dass die Bronner-Voraussetzungen nicht anwendbar seien, wenn die Plattform, zu der Zugang gefordert werde, von dem beherrschenden Unternehmen nicht zu dessen ausschließlicher Nutzung entwickelt, sondern so konzipiert und gestaltet worden sei, dass sie die Apps von Drittentwicklern aufnehme. In einem solchen Fall sei es nicht erforderlich, nachzuweisen, dass diese Plattform für den benachbarten Markt unentbehrlich sei. Dagegen missbrauche ein Unternehmen seine beherrschende Stellung, wenn es mit seinem Verhalten den Zugang einer von einem Drittanbieter entwickelten App zur Plattform ausschließe, behindere oder verzögere, vorausgesetzt, dass sein Verhalten geeignet sei, wettbewerbswidrige Wirkungen zum Nachteil der Verbraucher zu entfalten, und nicht objektiv gerechtfertigt sei.

Die Weigerung eines beherrschenden Unternehmens, einem Drittanbieter Zugang zu einer Plattform wie der in der vorliegenden Rechtssache fraglichen zu gewähren, könne objektiv gerechtfertigt sein, wenn der geforderte Zugang technisch nicht möglich sei oder wenn er in technischer Hinsicht die Leistung der Plattform beeinträchtigen könnte oder deren wirtschaftlichem Modell oder Zweck zuwiderlaufen würde. Der bloße Umstand, dass das beherrschende Unternehmen, um Zugang zu der Plattform zu gewähren, über die Erteilung der Einwilligung hinaus ein Software-Template entwickeln müsste, das den spezifischen Bedürfnissen des um Zugang ersuchenden Anbieters Rechnung trage, könne als solcher eine Zugangsverweigerung dann nicht rechtfertigen, wenn für die Entwicklung ein angemessener Zeitrahmen zur Verfügung stehe und dem beherrschenden Unternehmen eine angemessene Vergütung geleistet werde. Das beherrschende Unternehmen müsse dem um Zugang ersuchenden Anbieter auf das Ersuchen hin diese beiden Aspekte mitteilen.

Das Wettbewerbsrecht der Union erlege nicht ohne Weiteres eine Verpflichtung auf, objektive Kriterien für die Prüfung von Ersuchen um Zugang zu einer Plattform aufzustellen. Nur in dem Fall, dass gleichzeitig mehrere Ersuchen gestellt würden, könne das Fehlen solcher Kriterien einen Gesichtspunkt darstellen, der bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit des dem beherrschenden Unternehmen vorgeworfenen Verhaltens zu berücksichtigen ist, wenn dieses zu übermäßigen Verzögerungen bei der Zugangsgewährung oder zu einer diskriminierenden Behandlung der konkurrierenden, um Zugang ersuchenden Anbieter führe.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


OLG Rostock: Absendung einer E-Mail begründet keinen Anscheinsbeweis für den Zugang der E-Mail

OLG Rostock
Hinweisbeschluss vom 03.04.2024
7 U 2/24


Das OLG Rostock hat in einem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass die Absendung einer E-Mail keinen Anscheinsbeweis für den Zugang der E-Mail begründet.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Auch auf die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens kann die Klägerin sich nicht mit Erfolg stützten. Dieser hilfsweise Argumentationsstrang der Klägerin scheitert jedenfalls daran, dass nach Beweislastgrundsätzen nicht von dem beklagtenseits bestrittenen Zugang (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB) des vermeintlichen Bestätigungsschreibens ausgegangen werden kann. Die Beweislast für den Zugang liegt – darüber besteht im Ausgangspunkt auch zwischen den Parteien Konsens – bei der Klägerin. Dabei kommt der Klägerin die von ihr reklamierte Beweiserleichterung eines Anscheinsbeweises nicht zu Gute. Taugliche Beweisantritte liegen nicht vor.

a) Für die Annahme eines Anscheinsbeweises für den Zugang einer feststehendermaßen abgesandten (einfachen, insbesondere ohne Empfangs- oder Lesebestätigung übermittelten) E-Mail sieht der Senat keine Grundlage. Die von der Klägerin für ihren gegenteiligen Standpunkt zuletzt in der Berufungsbegründung zitierte instanzgerichtliche Entscheidung (AG Frankfurt a. M., Urteil vom 23.10.2008 – 30 C 730/08, BeckRS 2009, 5792), die einen Anscheinsbeweis bejaht hat, ist vereinzelt geblieben und hat sich nicht durchgesetzt. Hierauf hat bereits die Beklagte in der Berufungserwiderung unter Fundstellenangabe zutreffend hingewiesen. Es entspricht in der (insbesondere auch obergerichtlichen) Rechtsprechung sowie im Kommentarschrifttum nahezu einhelliger Auffassung, dass für den Zugang einer (im vorbezeichneten Sinne einfachen) E-Mail allein aufgrund des Feststehenden Absendens, auch in Verbindung mit dem feststehenden Nichterhalt einer Unzustellbarkeitsnachricht auf Seiten des Absenders, kein Anscheinsbeweis streitet (etwa: OLG Hamm, Beschluss vom 10.08.2023 – I-26 W 13/23 [Juris; Tz. 5 ff.]; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.08.2018 – 2 Sa 403/18 [Juris; Tz. 39]; LAG Köln, Urteil vom 11.01.2022 – 4 Sa 315/21, MDR 2022, 392 [Juris; Tz. 58 f.]; LG Hagen, Beschluss vom 31.03.2023 – 10 O 328/22 [Juris; Tz. 9]; Erman/Arnold, BGB, 17. Aufl. 2023, § 130 Rn. 33; jurisPK-BGB/Reichold, 10. Aufl. 2023 [Stand: 15.05.2023], § 130 Rn. 65; Staudinger/Singer/Benedict, BGB, Neubearbeitung 2021, § 130 Rn. 110; BeckOK IT-Recht/Borges, 13. Edition – 01.05.2021, BGB § 130 Rn. 58; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 130 Rn. 21; BeckOGK BGB/Gomille, Stand: 01.09.2022, § 130 Rn. 135, m.w.N.). Diese Auffassung teilt auch der Senat. Der Zugang mag unter den genannten Voraussetzungen – sofern sie ihrerseits unbestritten oder erwiesen sind und damit prozessual feststehen – „die Regel“ darstellen, ist aber letztlich jedenfalls unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen (noch) nicht in einem Maße typisch, dass die Bejahung einer prima-facie-Beweiserleichterung gerechtfertigt wäre.

b) Soweit die Klägerin zum Beweis des E-Mail-Zugangs bei der Beklagten auf eine Vorlage bzw. Offenlegung der gesamten elektronischen Posteingänge der Beklagten im hier interessierenden Zeitraum durch die Beklagte verweist, war und ist diesem Beweisantritt nicht nachzugehen. Nicht anders als in der „analogen“ Welt, in der ein Zugangsnachweis in einem Zivilprozess unstreitig nicht dadurch geführt werden könnte, dass die Briefkästen oder gar Wohn- und Geschäftsräume des vermeintlichen Empfängers umfassend auf den in Rede stehenden Brief „durchforstet“ werden und der Prozessgegner diese Maßnahme zu dulden bzw. an ihr gar aktiv mitzuwirken hätte, kann der Beweis des Zugangs einer E-Mail nicht dadurch erbracht werden, dass der vermeintliche Adressat selbst seinen E-Mail-Account mit dem virtuellen Posteingangskorb und ggf. weiteren Ablageordnern („Gelöschte Elemente“ o.ä.) zu Beweiszwecken gleichsam zur Verfügung stellen müsste (auch nicht indirekt im Rahmen einer sachverständigen Begutachtung; LG Duisburg, Beschluss vom 28.06.2010 – 12 S 67/10, RRa 2011, 25 [Juris; Tz. 10]). Ob für die Beklagte hinsichtlich des in Rede stehenden (E-Mail-) Schreibens eine steuer- oder handelsrechtliche Aufbewahrungspflicht bestanden hätte, spielt insoweit keine Rolle. Unabhängig hiervon bieten für eine entsprechende Beweisführung weder die §§ 371 ff. ZPO noch die §§ 142 ff. ZPO eine Grundlage. Die Klägerin selbst hat auch keine rechtliche Grundlage für ihren Beweisantritt benannt (…).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Elektronisch per beA abgegebenes Empfangsbekenntnis hat dieselbe Wirkung wie papiergebundenes Empfangsbekenntnis

BGH
Beschluss vom 17.01.2024
VII ZB 22/23
ZPO § 173 Abs. 2, 3


Der BGH hat entschieden, dass ein elektronisch per beA abgegebenes Empfangsbekenntnis dieselbe Wirkung wie ein papiergebundenes Empfangsbekenntnis

Leitsätze des BGH:
a) Für die Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird. Die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen; darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein elektronisches Empfangsbekenntnis nicht ausgelöst wird.

b) Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt - wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis - gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung. (Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 19. September 2022 - 9 B 2/22, NJW 2023, 703)

BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 - VII ZB 22/23 - OLG Nürnberg - LG Nürnberg-Fürth

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Hersteller müssen unabhängigen Wirtschaftsakteuren Fahrzeug-Identifizierungsnummern zur Verfügung stellen - personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO in Kombination mit Halterdaten

EuGH
Urteil vom 09.11.2023
C-319/22
Gesamtverband Autoteile-Handel (Zugang zu Fahrzeuginformationen)


Der EuGH hat entschieden, dass Fahrzeughersteller unabhängigen Wirtschaftsakteuren die Fahrzeug-Identifizierungsnummern zur Verfügung stellen müssen. Der EuGH führt weiter aus, dass es sich in Kombination mit Halterdaten dabei um personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO handelt, die Verpflichtung aber DSGVO-konform ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Fahrzeughersteller müssen unabhängigen Wirtschaftsakteuren Fahrzeug-Identifizierungsnummern bereitstellen.

Ermöglicht diese Nummer, den Halter eines Fahrzeugs zu identifizieren, und stellt sie daher ein personenbezogenes Datum dar, ist diese Verpflichtung mit der Datenschutz-Grundverordnung vereinbar.

Fahrzeughersteller sind nach dem Unionsrecht verpflichtet, unabhängigen Wirtschaftsakteuren, zu denen Reparaturbetriebe, Ersatzteilhändler und Herausgeber technischer Informationen gehören, die Informationen zugänglich zu machen, die für die Reparatur und Wartung der von ihnen hergestellten Fahrzeuge erforderlich sind.

Ein deutscher Branchenverband des freien Kfz -Teilehandels ist der Ansicht, dass weder die Form noch der Inhalt der Informationen, die seinen Mitgliedern vom Lkw-Hersteller Scania zur Verfügung gestellt werden, dieser Verpflichtung genügen. Um dieser Situation abzuhelfen, rief der Verband ein deutsches Gericht an. Dieses hat sich seinerseits an den Gerichtshof gewandt, da es sich über den Umfang der Verpflichtungen von Scania nicht im Klaren war. Es möchte u. a. wissen, ob Fahrzeug-Identifizierungsnummern personenbezogene Daten darstellen, zu deren Übermittlung die Hersteller verpflichtet sind.

Der Gerichtshof entscheidet diese Frage dahingehend, dass Fahrzeughersteller verpflichtet sind, Zugang zu allen Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen zu gewähren.

Diese Informationen müssen nicht unbedingt über eine Datenbankschnittstelle zugänglich gemacht werden, die eine maschinengesteuerte Abfrage und den Download der Ergebnisse ermöglicht. Ihr Format muss jedoch für die unmittelbare elektronische Weiterverarbeitung geeignet sein. So muss es das Format ermöglichen, die maßgeblichen Daten zu extrahieren und unmittelbar nach ihrer Erhebung zu speichern. Der Gerichtshof entscheidet außerdem, dass die Fahrzeughersteller verpflichtet sind, eine Datenbank zu erstellen, die die Informationen über die Teile umfasst, die durch Ersatzteile ausgetauscht werden können. Die Suche nach Informationen in dieser Datenbank muss anhand der Fahrzeug-Identifizierungsnummern und weiterer Merkmale wie der Motorleistung oder der Ausstattungsvariante des Fahrzeugs möglich sein.

Der Gerichtshof betont, dass die Fahrzeug-Identifizierungsnummern in der Datenbank enthalten sein müssen.

Diese Nummer ist als solche nicht personenbezogen. Sie wird jedoch zu einem personenbezogenen Datum, wenn derjenige, der Zugang zu ihr hat, über Mittel verfügt, die ihm die Identifizierung des Halters des Fahrzeugs ermöglichen, sofern der Halter eine natürliche Person ist. Der Gerichtshof stellt hierzu fest, dass der Halter wie auch die Fahrzeug-Identifizierungsnummer in der Zulassungsbescheinigung angegeben sind. Selbst in den Fällen, in denen die Fahrzeug-Identifizierungsnummern als personenbezogene Daten einzustufen sind, steht die Datenschutz-Grundverordnung dem nicht entgegen, dass Fahrzeughersteller verpflichtet sind, sie unabhängigen Wirtschaftsakteuren bereitzustellen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Werkstätten muss von Fahrzeugherstellern diskriminierungsfreier Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen sowie zum On-Board-Diagnosesystem gewährt werden

EuGH
Urteil vom 05.10.2023
C-296/22


Der EuGH hat entschieden, dass Werkstätten von den Fahrzeugherstellern ein diskriminierungsfreier Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen sowie zum On-Board-Diagnosesystem gewährt werden muss.

Tenor der Entscheidung:
Art. 61 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit Anhang X der Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 2007/46/EG

ist dahin auszulegen, dass

er dem entgegensteht, dass ein Fahrzeughersteller den Zugang unabhängiger Wirtschaftakteure zu Fahrzeugreparatur- und ‑wartungsinformationen sowie zu Informationen des On-Board-Diagnosesystems, einschließlich den Schreibzugriff für diese Informationen, von anderen Voraussetzungen als von den in der Verordnung bestimmten abhängig macht.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: EU-Geldwäscherichtlinie wegen Verstoßes gegen Art. 7 und Art. 8 der EU-Grundrechte-Charta teilweise unwirksam - Zugang zu Geldwäscheregister

EuGH
Urteil vom 22.11.2022
in den verbunden Rechtssachen
C-37/20 und C-601/20
WM (C‑37/20), Sovim SA (C‑601/20) gegen Luxemburg Business Registers


Der EuGH hat entschieden, dass die EU-Geldwäscherichtlinie wegen eines Verstoßes gegen Art. 7 und Art. 8 der EU-Grundrechte-Charta teilweise unwirksam ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Geldwäscherichtlinie: Die Bestimmung, dass die Angaben über die wirtschaftlichen Eigentümer von im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingetragenen Gesellschaften in allen Fällen für alle Mitglieder der Öffentlichkeit zugänglich sein müssen, ist ungültig

Der mit dieser Maßnahme verbundene Eingriff in die durch die Charta gewährleisteten Rechte ist weder auf das absolut Erforderliche beschränkt noch steht er in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel Gemäß der Geldwäscherichtlinie wurde durch ein im Jahr 2019 erlassenes luxemburgischen Gesetz ein Registre des bénéficiaires effectifs (Register der wirtschaftlichen Eigentümer) geschaffen. Dieses Gesetz sieht vor, dass eine Reihe von Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer der eingetragenen Einrichtungen in dieses Register aufgenommen und gespeichert werden. Zu einem Teil dieser Informationen hat die breite Öffentlichkeit Zugang, u. a. über das Internet. Ferner hat ein wirtschaftlicher Eigentümer nach diesem Gesetz die Möglichkeit, bei Luxembourg Business Registers (LBR), dem Verwalter des Registers, zu beantragen, den Zugang zu solchen Informationen in bestimmten Fällen zu beschränken.

In diesem Zusammenhang wurden beim Bezirksgericht Luxemburg Klagen von einer luxemburgischen Gesellschaft und dem wirtschaftlichen Eigentümer einer solchen Gesellschaft eingereicht, die erfolglos bei LBR beantragt hatten, den Zugang der breiten Öffentlichkeit zu den sie betreffenden Informationen zu beschränken. Dieses Gericht vertrat die Ansicht, dass die Verbreitung solcher Informationen ein unverhältnismäßiges Risiko einer Beeinträchtigung der Grundrechte der betroffenen wirtschaftlichen Eigentümer mit sich bringen könne, und stellte daher dem Gerichtshof eine Reihe von Vorlagefragen nach der Auslegung gewisser Bestimmungen der Geldwäscherichtlinie und zu deren Gültigkeit im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof (Große Kammer) die im Licht der Charta bestehende Ungültigkeit derjenigen Bestimmung der Geldwäscherichtlinie fest, nach der die Mitgliedstaaten in allen Fällen den Zugang aller Mitglieder der Öffentlichkeit zu den Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer der in ihrem Gebiet eingetragenen Gesellschaften oder anderen juristischen Personen sicherzustellen haben. Nach Ansicht des Gerichtshofs stellt der Zugang aller Mitglieder der Öffentlichkeit zu den Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten dar, die in den Art. 7 bzw. 8 der Charta verankert sind. Die verbreiteten Angaben ermöglichen es nämlich einer potenziell unbegrenzten Zahl von Personen, sich über die materielle und finanzielle Situation eines wirtschaftlichen Eigentümers Kenntnis zu verschaffen. Außerdem werden die möglichen Folgen einer etwaigen missbräuchlichen Verwendung ihrer personenbezogenen Daten für die betroffenen Personen dadurch verschärft, dass diese Daten, sobald sie der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt worden sind, nicht nur frei abgerufen, sondern auch auf Vorrat gespeichert und verbreitet werden können.

Allerdings möchte der Unionsgesetzgeber mit der fraglichen Maßnahme Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verhindern, indem er mittels erhöhter Transparenz ein Umfeld schafft, das weniger leicht für diese Zwecke genutzt werden kann. Nach Auffassung des Gerichtshofs verfolgt der Gesetzgeber somit eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung, die selbst schwerwiegende Eingriffe in die in den Art. 7 und 8 der Charta verankerten Grundrechte zu rechtfertigen vermag; auch ist der Zugang aller Mitglieder der Öffentlichkeit zu den Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer zur Verwirklichung dieser Zielsetzung geeignet.

Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass der Eingriff, den diese Maßnahme mit sich bringt, weder auf das absolut Erforderliche beschränkt ist noch in einem angemessenen Verhältnis zur verfolgten Zielsetzung steht. Neben der Tatsache, dass die fraglichen Bestimmungen die öffentliche Zugänglichmachung von Daten gestatten, die weder hinreichend bestimmt noch identifizierbar sind, stellt die mit der Geldwäscherichtlinie eingeführte Regelung einen erheblich schwereren Eingriff in die in den Art. 7 und 8 der Charta verbürgten Grundrechte dar als die Vorgängerregelung (die neben dem Zugang der zuständigen Behörden und bestimmter Einrichtungen den Zugang aller Personen oder Organisationen vorsah, die ein berechtigtes Interesse nachweisen konnten), ohne dass diese zusätzliche Schwere durch etwaige Vorteile kompensiert würde, die sich aus der neuen Regelung im Vergleich zur früheren hinsichtlich der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ergeben könnten.

Insbesondere das von der Kommission geltend gemachte etwaige Vorliegen von Schwierigkeiten bei der genauen Bestimmung der Fälle und Bedingungen, in bzw. unter denen ein solch berechtigtes Interesse besteht, kann nicht rechtfertigen, dass der Unionsgesetzgeber den Zugang aller Mitglieder der Öffentlichkeit zu den fraglichen Informationen vorsieht. Zudem hält der Gerichtshof die fakultativen Bestimmungen, die es den Mitgliedstaaten erlauben, die Bereitstellung der Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer von einer Online-Registrierung abhängig zu machen und für außergewöhnliche Umstände Ausnahmen vom Zugang aller Mitglieder der Öffentlichkeit zu diesen Informationen vorzusehen, als solche für weder geeignet, zu belegen, dass eine ausgewogene Gewichtung der dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung und der in den Art. 7 und 8 der Charta verankerten Grundrechte vorgenommen wurde, noch, dass hinreichende Garantien bestehen, die es den betroffenen Personen ermöglichen, ihre personenbezogenen Daten wirksam gegen Missbrauchsrisiken zu schützen.


Tenor der Entscheidung:
Art. 1 Nr. 15 Buchst. c der Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinien 2009/138/EG und 2013/36/EU ist ungültig, soweit durch diese Bestimmung Art. 30 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. c der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission dahin geändert wurde, dass dieser Art. 30 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 in seiner so geänderten Fassung vorsieht, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer der in ihrem Gebiet eingetragenen Gesellschaften oder anderen juristischen Personen in allen Fällen für alle Mitglieder der Öffentlichkeit zugänglich sind.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: E-Mail ist im unternehmerischen Geschäftsverkehr zugegangen wenn sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung steht

BGH
Urteil vom 06.10.2022
VII ZR 895/21
BGB §§ 779, 147 Abs. 2, § 130; ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr zugegangen ist, wenn sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung steht. Auf eine tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an.

Leitsatz des BGH:
Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.

BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 - VII ZR 895/21 - KG Berlin - LG Berlin
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


AG München: Kein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO gegen Anbieter von Treuepunktesystem für Punkteverlust mangels Substantiierung der Kausalität

AG München
Urteil vom 03.08.2022
211 C 578/22

Das AG München hat in diesem Fall einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO gegen den Anbieter eines Treuepunktesystems für Punkteverlust mangels Substantiierung der Kausalität einer behaupteten unzureichenden Zugangssicherung abgelehnt.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von immateriellem Schadensersatz in Höhe von 4.500,00 € aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO in Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 DSGVO.

Gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter.

Zwischen den Parteien ist strittig, ob die Beklagte gegen die Datenschutzgrundverordnung verstoßen hat. Der Kläger trägt nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen die Darlegungsund Beweislast für die haftungsbegründenden Voraussetzungen (mwN Paulus in: BeckOK, Datenschutzrecht, 37. Ed., Art. 82 DSGVO, Rn. 51; LG München I, Urt. v. 9.12.2021 – 31 O 16606/20; zu weitgehend LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 25.02.2021 - 17 Sa 37/20, Rz. 99, die dort angeführte Rechenschaftspflicht bezieht sich auf eine Verantwortlichkeit gegenüber der Behörde). Aus Art. 82 Abs. 3 DSGVO ergibt sich lediglich hinsichtlich des Verschuldens eine Beweislastumkehr. Damit trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich eines Verstoßes der Beklagten gegen die Datenschutzgrundverordnung und eines daraus kausal entstandenen Schadens.

b) Der Kläger behauptet, dass die Beklagte die gemäß § 32 Abs. 1 DSGVO erforderlichen Maßnahmen hinsichtlich des Zugangs des Klägers zu dem Kundenkonto nicht getroffen habe.

Der Kläger macht geltend, dass eine Zwei-Faktor-Authentifizierung Stand der Technik gewesen sei. Er bezieht sich in der Klageschrift zunächst darauf, dass es sich bei dem Kundenkonto um E-Geld handeln würde. Das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten (Anlage K13 zum Schriftsatz vom 08.06.2022) stellt hinsichtlich der Zwei-Faktor-Authentifizierung ebenfalls auf das Vorliegen eines E-Geld-Kontos ab. Die Beklagte ist jedoch kein Zahlungsdienstleister. Der Kläger hat nicht ausreichend dargelegt, dass die Zwei-Faktor-Authentifizierung auch bei bloßen Kundenbindungsprogrammen Stand der Technik ist und die vorliegende Authentifizierung beim Programm der Beklagten diesen nicht erfüllt. Danach sind zwar die einzelnen zum Kunden-Login erforderlichen Informationen teilweise nicht geheim, sondern gegenüber einzelnen Vertragspartnern anzugeben oder im näheren Umfeld des Kunden bekannt. Für die Kombination der verschiedenen Merkmale beim Login wurde dies aber nicht vorgetragen. Auch hat die Beklagte ein dokumentiertes Informationssicherheits- Managementsystem im Unternehmen umgesetzt und unterliegt einer regelmäßigen Auditierung durch unabhängige Dritte. Dies erfolgt am ISO-Standard 27001 und den Sicherheitslinien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik. Zudem hat die Beklagte ein sogenanntes Security Information and Event Management zur Überwachung implementiert. Ein Verstoß hiergegen wurde seitens des Klägers nicht vorgetragen. Darüber hinaus ist der Stand der Technik nur ein Gesichtspunkt in der von § 32 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO vorgeschrieben Abwägung. Danach sind unter Berücksichtigung des Stands der Technik, der Implementierungskosten und der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere des Risikos für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten. Umstände für die Gesamtabwägung aller genannten Faktoren, die danach gegen ein angemessenes Schutzniveau sprechen, werden von dem Kläger nicht vorgetragen. Ein Verstoß gegen Art. 32 DSGVO liegt danach nicht vor. Aus Art. 32 DSGVO folgt kein Anspruch auf eine Zwei-Faktor-Authentifizierung im vorliegenden Fall.

c) Der Kläger macht insbesondere geltend, dass die von der Beklagten vorgegebenen Regelungen zum Passwort unzureichend seien und nicht dem Stand der Technik entsprechen würden. Die Einlog-Modalitäten sehen vor, dass Kunden sich mit der Eingabe der Kartennummer in Verbindung mit der Angabe des Geburtsdatums und der Postleitzahl in das Kundenkonto einloggen können oder mit der Eingabe der Kartennummer und einer vierstelligen PIN, die aus einer vierstelligen Zahlenkombination besteht. Der Kläger führt aus, dass als Stand der Technik eine Mindestlänge von 10 Zeichen anzusehen sei und eine Einschränkung der verwendbaren Zeichen nicht zum Stand der Technik gehöre. Insoweit übersieht die Argumentation, dass darüber hinaus auch die Kartennummer als zusätzliche Anforderung erforderlich ist.

Ein etwaiger Verstoß der Beklagten gegen Art. 32 DSGVO – wie hier nicht – wäre jedenfalls auch nicht kausal für den behaupteten Punkteklau. Nach Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung (S. 9 f.) ist es technisch zwingend notwendig für die Einlösung der [...] Punkte in einen Warengutschein für [...] die [...] App zu nutzen und diese mit dem [...] Konto zu verbinden. Eine Möglichkeit [...] Gutscheine im Prämienshop der Beklagten mit Punkten zu erwerben besteht nicht (Anlage B6 zum Schriftsatz vom 23.06.2022). Auf diese [...] App hat die Beklagte keinen Einfluss. Inwieweit durch die Verknüpfung des Programms der Beklagten mit der App ein Verstoß gegen Art. 32 DSGVO vorliegen soll, hat der darlegungs- und beweisbelastete Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Es liegt damit kein Verstoß der Beklagten gegen Art. 32 DSGVO vor.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Per beA eingereichter Schriftsatz mit Speicherung auf Intermediär-Server des Gerichts eingegangen auch wenn Weiterleitungsfähigkeit gerichtsintern am Umlaut "ü" im Dateinamen scheitert

BGH
Beschluss vom 8. März 2022
VI ZB 25/20


Der BGH hat völlig zu Recht entschieden, dass ein per beA eingereichter Schriftsatz mit Speicherung auf dem Intermediär-Server des Gerichts eingegangen ist, auch wenn Weiterleitungsfähigkeit gerichtsintern am Umlaut "ü" im Dateinamen scheitert

Leitsatz des BGH:
Zum Eingang eines über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichten elektronischen Dokuments (hier: Berufungsbegründung) bei Gericht (§ 130a Abs. 5 ZPO).

BGH, Beschluss vom 8. März 2022 - VI ZB 25/20 - OLG Bamberg - LG Würzburg

Aus den Entscheidungsgründen:
dd) Der Wirksamkeit des Eingangs der am 23. August 2019 über das beA übersandten Dokumente stände es nicht entgegen, wenn die mangelnde Weiterleitungsfähigkeit der Nachricht dadurch ausgelöst wurde, dass der Dateiname den Umlaut "ü" enthielt. Zwar muss ein eingereichtes elektronisches Dokument nach § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Diese Frage bestimmt sich aber allein nach den Regelungen, die der Verordnungsgeber auf der Grundlage von § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO getroffen hat (BGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - X ZR 119/18, GRUR 2020, 980 Rn. 15). Die danach für den Streitfall maßgebliche Regelung in § 2 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach in der vom 1. Juli 2019 bis
31. Dezember 2021 gültigen Fassung (ERVV vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803, geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 9. Februar 2018, BGBl. I S. 200) und die Bekanntmachung zu § 5 dieser Verordnung vom 20. Dezember
2018 (https://justiz.de/laender-bund-europa/elektronische_kommunikation/ erv_ervb_2019.pdf, zuletzt abgerufen am 27. Februar 2022) sehen ein Verbot von Umlauten nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - X ZR 119/18, GRUR 2020, 980 Rn. 16; Biallaß in Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 1. Aufl., § 2 ERVV [Stand: 1. September 2020], Rn. 35; Mardorf, jM 2020, 266, 268).

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG München: Online-Shop muss Eingang der Bestellung nach § 312 i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB unverzüglich bestätigen - formularmäßiger Zugangsverzicht für Annahmeerklärung in AGB unwirksam

LG München
Urteil vom 15.02.2022
33 O 4638/21

Das LG München hat entschieden, dass ein Online-Shop den Eingang der Bestellung nach § 312 i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB unverzüglich bestätigen muss und ein formularmäßiger Zugangsverzicht für die Annahmeerklärung in AGB unwirksam und wettbewerbswidrig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der Verwendung von § 3 Abs. 4 AGB aus § 1 UKIaG, da die Klausel den Verbraucher unangemessen benachteiligt (§§ 307 Abs. 1 BGB).

1. Die Klägerin ist als qualifizierte Einrichtung nach § 4 UKIaG gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKIaG aktivlegitimiert.

2. Die beanstandete Klausel enthält aufgrund des in ihr statuierten Zugangsverzichts eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.

a. Der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB ist eröffnet. Die beanstandete Klausel ist für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung und damit eine Allgemeine Geschäftsbedingung gem. § 305 Abs. 1 BGB. Diese weicht auch von Bestimmungen des dispositiven Gesetzesrechts ab (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB), da sie entgegen § 130 Abs. 1 BGB einen tatsächlichen Zugang der Annahmeerklärung der Beklagten für entbehrlich erklärt.

b. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist vorliegend das spezielle Klauselverbot des § 308 Nr. 6 BGB nicht einschlägig. Danach ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen insbesondere unwirksam eine Bestimmung, die vorsieht, dass eine Erklärung des Verwenders von besonderer Bedeutung dem anderen Vertragsteil als zugegangen gilt. Ein solcher Fall liegt aber nicht vor. Denn die beanstandete Klausel enthält bei genauer Betrachtung keine Fiktion eines Zugangs, sondern erklärt jedenfalls implizit einen Zugang der Annahmeerklärung für den Fall der Versendung der Ware für gänzlich entbehrlich. Es handelt sich somit um die Konstellation eines formularmäßigen Zugangsverzichts. Dieser Fall ist aber von § 308 Nr. 6 BGB nicht erfasst (MüKoBGB/Wurmnest, BGB, 8. Aufl. 2019, § 308 Nr. 6 Rn. 5 m.w.N.).

c. Die beanstandete Klausel benachteiligt den Vertragspartner aber unangemessen, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.

aa. Unangemessen ist eine Benachteiligung dann, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von Vornherein dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGH NJW 2010, 57). Ob im Einzelfall eine Benachteiligung als unangemessen einzustufen ist, muss anhand einer umfassenden Würdigung sämtlicher Umstände ermittelt werden. Von Bedeutung sind dabei insbesondere die Art des konkreten Vertragstyps, die typischen Interessen beider Parteien, die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise und die sich aus der Gesamtheit der Rechtsordnung ergebenden Bewertungskriterien (BGH NJW 2010, 2793). Auszugehen ist dabei von Gegenstand, Zweck und Eigenart des Vertrags. Die zu überprüfende Klausel ist vor dem Hintergrund des gesamten Gegenstands des Vertrags auszulegen und zu bewerten (BGHZ 106, 263).

bb. Eine solche unangemessene Benachteiligung liegt auch im Streitfall vor. Zwar sehen die Vorschriften des dispositiven Gesetzesrechts grundsätzlich die Möglichkeit eines Zugangsverzichts vor (§ 151 BGB, zur Rechtsnatur etwa MüKoBGB/Busche, BGB, 9. Aufl. 2021, § 151 Rn. 3 m.w.N.). Ein formularmäßiger Zugangsverzicht stellt aber einen Nachteil für den Vertragspartner hat, weil er aufgrund dessen keine genaue Kenntnis vom genauen Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags hat. Diese Kenntnis ist für den Verbraucher aber gerade in Fällen des Erwerbs über das Internet wichtig, weil er - auch vor dem Hintergrund eines gesetzlichen Widerrufsrechts (§ 312g Abs. 1 BGB) - bis zur Kenntnis unter Umständen alternative Angebote prüft und in diesem Zusammenhang entsprechende Dispositionen vornimmt. Demgegenüber ist ein nachvollziehbares Interesse der Beklagten für die Vereinbarung eines Zugangsverzichts für den Fall der Versendung der Ware nicht erkennbar, zumal in den weiteren in der Klausel genannten Alternativen des Versandes der Bestellbestätigung oder der Übermittlung einer Versandbestätigung ein Zugang zumindest implizit für nicht entbehrlich erachtet wird. Der Verwender wird durch den Zugangsverzicht im Falle der Alternative „Versendung der Ware“ auch in beweisrechtlicher Hinsicht privilegiert, da er in einem etwaigen späteren Prozess für den wirksamen Vertragsschluss nicht den Zugang der Annahmeerklärung, sondern lediglich den tatsächlichen Versand der Ware darlegen und beweisen muss. Für die Annahme einer unangemessenen Benachteiligung spricht schließlich die Wertung des § 308 Nr. 6 BGB, wonach die formularmäßige Vereinbarung einer Fiktion des Zugangs bei Erklärungen von besonderer Bedeutung - zu denen die Annahmeerklärung wegen ihrer potentiell rechtliche Pflichten begründenden Wirkung ohne Weiteres gehört - in der Regel unwirksam ist. Die Interessenlage zwischen Zugangsfiktion einerseits und Zugangsverzicht andererseits ist vergleichbar, weil beide Institute sich in ihren Wirkungen nicht wesentlich unterscheiden.

II. Durch die Nichtversendung einer elektronischen Eingangsbestätigung hat die Beklagte gegen die verbraucherschützende Pflicht aus § 312 i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB verstoßen (§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit b) UKIaG, vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 40. Aufl. 2022, § 2 UKIaG Rn. 4).

1. Der Anwendungsbereich der besonderen Vorschriften über Verbraucherverträge ist gem. § 312 Abs. 1 BGB eröffnet. Hiergegen erinnert auch die Beklagte nichts.

2. Nach § 312 i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB hat ein Unternehmer, der sich zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen der Telemedien bedient, dem Kunden den Zugang von dessen Bestellung unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen. Gegen diese Pflicht hat die Beklagte im Hinblick auf die streitgegenständliche Bestellung verstoßen.

a. Da streitgegenständlich vorliegend eine über den Online-Shop der Beklagten geschlossene Bestellung ist, liegt die Voraussetzung des Gebrauchs von Telemedien i.S.d. § 312 i Abs. 1 BGB vor.

b. Die Bestellung ist der Beklagten auch zugegangen. Dies folgt schon daraus, dass diese den Verbraucher mit E-Mail vom 30.09.2020 (Anlage SL 6) zur Zahlung des offenen Betrags aufforderte.

c. Die Beklagte hat dem beschwerdeführenden Verbraucher entgegen § 312 i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB dessen Bestellung nicht unverzüglich auf elektronischem Wege bestätigt. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB, vgl. zur entsprechenden Anwendung im Rahmen von § 312 i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB etwa MüKoBGB/Wendehorst, BGB, 8. Aufl. 2019, § 312 i Rn. 97). Diese Voraussetzung ist allenfalls dann erfüllt, wenn die elektronische Eingangsbestätigung wenige Stunden nach der Bestellung, bei Bestellungen in den späten Abendstunden am nächsten Tag zu den üblichen Geschäftszeiten des Unternehmers, beim Verbraucher eingeht. Diesen Anforderungen genügt die erst fünf Tage nach der fraglichen Bestellung versandte elektronische Bestellbestätigung offenkundig nicht.

3. Die Beklagte ist für den Verstoß auch verantwortlich. Denn vorliegend war die Beklagte gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass trotz objektiv erwartbar hohen Bestellvolumens im Zusammenhang mit Bestellungen des infrage stehenden Produkts die gesetzlich geforderten Bestellbestätigungen verschickt werden können. Für die Beklagte war ein hohes Bestellvolumen im Zusammenhang mit dem Verkaufsstart der in Rede stehenden Spielekonsole auch vorhersehbar, da das Gerät - wie aus dem ersten mit Anlage B 1 überreichten Artikel ersichtlich - nur online und nicht im stationären Einzelhandel verkauft wurde. Es war der Beklagten daher zumutbar, Vorkehrungen zu treffen, wie etwa die Zubuchung zusätzlicher Servereinheiten, um einen Zusammenbruch ihres Servers zu verhindern.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist kein im Verhältnis zum Unterlassungsanspruch unselbständiger Nebenanspruch

BGH
Urteil vom 27.01.2022
I ZR 7/21
UWG § 12 Abs. 1 Satz 2 aF; BGB § 362 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass der Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten kein im Verhältnis zum Unterlassungsanspruch unselbständiger Nebenanspruch ist.

Leitsatz des BGH:
Der Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist kein im Verhältnis zum Unterlassungsanspruch unselbständiger Nebenanspruch, der als solcher das Schicksal des Hauptanspruchs teilt. Der Anspruch ist nur insofern unselbständig, als er dann nicht entsteht, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung kein
Unterlassungsanspruch (mehr) besteht und die Abmahnung daher unberechtigt ist. Der beim Vorliegen eines Unterlassungsanspruchs entstandene Erstattungsanspruch besteht dagegen alsdann unabhängig davon fort, ob der mit der Abmahnung geltend gemachte Unterlassungsanspruch fortbesteht (Fortführung BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 - I ZR 17/18, GRUR 2021, 752 Rn. 34 = WRP 2021, 746 - Berechtigte Gegenabmahnung).

BGH, Urteil vom 27. Januar 2022 - I ZR 7/21 - LG Berlin - Kammergericht

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm: Per E-Mail als PDF-Anhang verschickte Abmahnung ist erst zugegangen wenn Empfänger Dateianhang tatsächlich geöffnet hat

OLG Hamm
Beschluss vom 09.30.2022
4 W 119/20


Das OLG Hamm hat entschieden, dass eine per E-Mail als PDF-Anhang verschickte Abmahnung erst zugegangen ist, wenn der Empfänger den Dateianhang tatsächlich geöffnet hat.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Parteien sind Internetversandhändler.

Am 19.03.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers eine E-Mail an den Verfügungsbeklagten mit der Betreffzeile „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“. Die E-Mail enthielt folgenden Text:

„Sehr geehrter Herr B,

bitte beachten Sie anliegende Dokumente, die wir Ihnen situationsbedingt zur Entlastung der angespannten Infrastruktur im Versandwesen nur auf elektronischem Wege zur Verfügung stellen.

MfG

C“
Unterhalb dieses Textes befanden sich die Kontaktdaten des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers. Als Dateianhänge waren der E-Mail zwei PDF-Dateien beigefügt: Eine PDF-Datei mit dem Dateinamen „2020000067EU12984.pdf“ enthielt ein auf den 19.03.2020 datiertes anwaltliches Abmahnschreiben wegen der im vorliegenden Verfahren verfahrensgegenständlichen lauterkeitsrechtlichen Vorwürfe, eine PDF-Datei mit dem Dateinamen „Unterlassungs.pdf“ enthielt den Entwurf für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung.

Am 01.04.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers eine weitere E-Mail mit der Betreffzeile „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“ an den Verfügungsbeklagten. Diese E-Mail enthielt folgenden Text:

„Sehr geehrter Herr B,

zur Erfüllung diesseitiger Ansprüche setzen wir eine Nachfrist bis zum 03.04.20.

MfG

C"

Auf Antrag des Verfügungsklägers erließ das Landgericht am 07.04.2020 im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung gegen den Verfügungsbeklagten mit einer Kostenentscheidung zum Nachteil des Verfügungsbeklagten. Nach der Zustellung dieser einstweiligen Verfügung an den Verfügungsbeklagten am 16.04.2020 gab dieser unter dem 08.05.2020 eine Abschlusserklärung ab, wobei er sich die Erhebung eines Kostenwiderspruches vorbehielt. Von diesem Vorbehalt hat der Verfügungsbeklagte auch Gebrauch gemacht und mit anwaltlichem Schriftsatz vom 08.05.2020 einen auf die getroffene Kostenentscheidung beschränkten Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung erhoben. Der Verfügungsbeklagte hat behauptet, er habe von den beiden E-Mails des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt. Er könne nicht ausschließen, dass die beiden E-Mails im sogenannten „Spam-Ordner“ seines E-Mail-Postfaches eingegangen seien, könne dies allerdings nicht mehr überprüfen, weil E-Mails in diesem „Spam-Ordner“ bereits nach jeweils zehn Tagen wieder gelöscht würden.

Mit dem angefochtenen, am 04.11.2020 verkündeten Urteil hat die 15. Zivilkammer – Kammer für Handelssachen – des Landgerichts Bochum die einstweilige Verfügung im Kostenpunkt bestätigt und dem Verfügungsbeklagten auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Verfügungsbeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.

B. Die – nach § 99 Abs. 2 Satz 1 ZPO (analog) statthafte und auch im Übrigen zulässige – sofortige Beschwerde des Verfügungsbeklagten ist begründet.

Die Kosten des Rechtsstreits sind in entsprechender Anwendung des § 93 ZPO dem Verfügungskläger aufzuerlegen. Der Verfügungsbeklagte hat dem Verfügungskläger durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Anbringung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben. Dem Verfügungsbeklagten kann in diesem Zusammenhang insbesondere nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe auf die Abmahnung des Verfügungsklägers nicht reagiert. Denn das anwaltliche Abmahnschreiben vom 19.03.2020 ist dem Verfügungsbeklagten nicht zugegangen: Wird – wie im vorliegenden Falle – ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. [2022], § 13 Rdnr. 47). Denn im Hinblick darauf, dass wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt wird, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, kann von dem Empfänger in einem solchen Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O.). Es kann mithin im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die in Rede stehenden E-Mails überhaupt im E-Mail-Postfach des Verfügungsbeklagten (dort möglicherweise im „Spam-Ordner“) eingegangen sind. Der Verfügungsbeklagte hat durch Vorlage seiner eidesstattlichen Versicherung vom 08.05.2020 jedenfalls glaubhaft gemacht, dass er von den beiden E-Mails des – ihm zuvor nicht bekannten – Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt und dementsprechend auch den Dateianhang mit dem Abmahnschreiben nicht geöffnet hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG München: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB wenn Online-Shop nach Bestellung nicht unverzüglich eine elektronische Eingangsbestätigung zusendet

LG München I
Urteil vom 15.02.2022
33 O 4638/21

Das LG München hat entschieden, dass wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB vorliegt, wenn ein Online-Shop dem Kunden nach der Bestellung nicht unverzüglich eine elektronische Eingangsbestätigung zusendet.

Aus den Entscheidungsgründen:
Durch die Nichtversendung einer elektronischen Eingangsbestätigung hat die Beklagte gegen die verbraucherschützende Pflicht aus § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB verstoßen (§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit b) UKlaG, vgl. KöhlerlBornkammlFeddersenlKöhler, UWG, 40. Aufl. 2022, § 2 UKlaG Rn. 4).

1. Der Anwendungsbereich der besonderen Vorschriften über Verbraucherverträge ist gem. § 312 Abs. 1 BGB eröffnet. Hiergegen erinnert auch die Beklagte nichts.

2. Nach § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB hat ein Unternehmer, der sich zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen der Telemedien bedient, dem Kunden den Zugang von dessen Bestellung unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen. Gegen diese Pflicht hat die Beklagte im Hinblick auf die streitgegenständliche Bestellung verstoßen.

a. Da streitgegenständlich vorliegend eine über den Online-Shop der Beklagten geschlossene Bestellung ist, liegt die Voraussetzung des Gebrauchs von Telemedien i.S.d. § 312i Abs. 1 BGB vor.

b. Die Bestellung ist der Beklagten auch zugegangen. Dies folgt schon daraus, dass diese den Verbraucher mit E-Mail vom 30.09.2020 (Anlage SL 6) zur Zahlung des offenen Betrags aufforderte.

c. Die Beklagte hat dem beschwerdeführenden Verbraucher entgegen §312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB dessen Bestellung nicht unverzüglich auf elektronischem Wege bestätigt. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB, vgl. zur entsprechenden Anwendung im Rahmen von § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB etwa MüKoBGB/Wendehorst, BGB, 8. Aufl. 2019, § 312i Rn. 97). Diese Voraussetzung ist allenfalls dann erfüllt, wenn die elektronische Eingangsbestätigung wenige Stunden nach der Bestellung, bei Bestellungen in den späten Abendstunden am nächsten Tag zu den üblichen Geschäftszeiten des Unternehmers, beim Verbraucher eingeht. Diesen Anforderungen genügt die erst fünf Tage nach der fraglichen Bestellung versandte elektronische Bestellbestätigung offenkundig nicht.

3. Die Beklagte ist für den Verstoß auch verantwortlich. Denn vorliegend war die Beklagte gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass trotz objektiv erwartbar hohen Bestellvolumens im Zusammenhang mit Bestellungen
des infrage stehenden Produkts die gesetzlich geforderten Bestellbestätigungen verschickt werden können.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LAG Köln: Darlegungs- und Beweislast für Zugang eine E-Mail trägt Versender - keine Vermutungswirkung wenn Versender keine Meldung über Unzustellbarkeit erhält

LAG Köln
Entscheidung vom 11.01.2022
4 Sa 315/21


Das LAG Köln hat entschieden, dass der Versender einer E-Mail die Darlegungs- und Beweislast für Zugang der E-Mail trägt. Eine Vermutungswirkung für den Zugang, wenn der Versender nach Versand keine Meldung über die Unzustellbarkeit erhält, gibt es nicht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Landesarbeitsgericht Köln: Beweis für den Zugang einer E-Mail

Den Absender einer E-Mail trifft gem. § 130 BGB die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die E-Mail dem Empfänger zugegangen ist. Ihm kommt keine Beweiserleichterung zu Gute, wenn er nach dem Versenden keine Meldung über die Unzustellbarkeit der E-Mail erhält. Dies hat das Landesarbeitsgericht am 11. Januar 2022 entschieden.

In dem Rechtsstreit stritten die Parteien um die Verpflichtung des Klägers, ein ihm zur Finanzierung einer Fortbildung gewährtes Darlehen an die Beklagte zurückzuzahlen. In dem Darlehensvertrag war geregelt, dass die Beklagte auf die Rückzahlung des Darlehens verzichtet, wenn sie aus betrieblichen Gründen dem Kläger nicht innerhalb von fünf Jahren nach Beendigung der Fortbildung die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis anbietet. Ob der Kläger eine E-Mail der Beklagten mit einem Beschäftigungsangebot als Anlage am letzten Tag der Frist erhalten hat, war streitig. Die Beklage verwies auf ihr Postausgangs- und Posteingangskonto, wonach die E-Mail verschickt worden sei und sie daraufhin keine Meldung der Unzustellbarkeit bekommen habe. Laut Kläger ging eine solche E-Mail erst drei Tage später bei ihm ein.

In dem hieraufhin vereinbarten Arbeitsverhältnis begann die Beklagte, vom Gehalt des Klägers monatlich jeweils 500 Euro als Darlehensrückzahlung einzubehalten. Sie war der Ansicht, dass dem Kläger rechtzeitig ein Arbeitsplatz aufgrund der E-Mail angeboten worden sei. Die Bedingung für den Verzicht auf die Rückzahlung sei nicht eingetreten. Sie könne sich hinsichtlich des fristgerechten Zugangs der E-Mail auf den Beweis des ersten Anscheins berufen.

Das Arbeitsgericht hat der Lohnzahlungsklage stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Der Zugang einer E-Mail sei vom Versender darzulegen und zu beweisen. Die Absendung der E-Mail begründe keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger. Ob nach dem Versenden einer E-Mail die Nachricht auf dem Empfängerserver eingeht, sei nicht gewiss. Wie auch bei einfacher Post sei es technisch möglich, dass die Nachricht nicht ankommt. Dieses Risiko könne nicht dem Empfänger aufgebürdet werden. Denn der Versender wähle die Art der Übermittlung der Willenserklärung und trage damit das Risiko, dass die Nachricht nicht ankommt. Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, habe der Versender über die Optionsverwaltung eines E-Mail-Programms die Möglichkeit, eine Lesebestätigung anzufordern.