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BVerfG: Einheitliches Patentgericht kann kommen - Eilanträge gegen den zweiten Anlauf des Abkommens über ein Einheitliches Patentgerichts abgelehnt

BVerfG
Beschluss vom 23. Juni 2021 - 2 BvR 2216/20
Beschluss vom 23. Juni 2021 - 2 BvR 2217/20


Das Bundesverfassungsgericht hat die Eilanträge gegen den zweiten Anlauf des Abkommens über ein Einheitliches Patentgerichts abgelehnt. Das Einheitliche Patentgericht kann kommen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Erfolglose Eilanträge gegen das Abkommen über ein Einheitliches Patentgericht

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts zwei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die sich gegen das am 18. Dezember 2020 zustande gekommene Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ-ZustG II) richteten. Zur Begründung führt der Senat aus, dass die Verfassungsbeschwerden in der Hauptsache unzulässig sind, weil die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung ihrer Grundrechte nicht hinreichend substantiiert dargelegt haben.

Sachverhalt:

Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (im Folgenden: Übereinkommen – EPGÜ) ist Teil eines umfassenderen europäischen Regelungspakets zum Patentrecht, dessen Kern die Einführung eines europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung als neues Schutzrecht auf der Ebene der Europäischen Union ist. Das Übereinkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es sieht die Errichtung eines Einheitlichen Patentgerichts als gemeinsames Gericht der Vertragsmitgliedstaaten für Streitigkeiten über europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung vor. Dem Einheitlichen Patentgericht soll in Bezug auf die Patente die ausschließliche Zuständigkeit für einen umfangreichen Katalog von Streitigkeiten übertragen werden. Dieser umfasst insbesondere Klagen wegen Patentverletzungen, Streitigkeiten über den Bestand von Patenten und Klagen gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamts in Ausübung der ihm übertragenen Aufgaben. Das angefochtene EPGÜ-ZustG II ersetzt das vom Deutschen Bundestag am 10. März 2017 beschlossene EPGÜ-ZustG I, das der Senat mit Beschluss vom 13. Februar 2020 für nichtig erklärt hat.

Die Beschwerdeführer rügen im Wesentlichen eine Verletzung ihres Anspruchs auf demokratische Selbstbestimmung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 79 Abs. 3 GG. Sie machen eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips, des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz, Verstöße gegen das Unionsrecht als auch eine unzulässige Berührung der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität durch den in Art. 20 EPGÜ geregelten Vorrang des Unionsrechts geltend.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind zurückzuweisen, weil die Verfassungsbeschwerden in der Hauptsache unzulässig sind.

I. Die Beschwerdeführer haben die Möglichkeit einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips, des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz oder Verstöße gegen das Unionsrecht nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

1. Sie haben insbesondere nicht näher dargelegt, inwieweit das Übereinkommen wegen der organisatorischen Ausgestaltung des Einheitlichen Patentgerichts und der Rechtsstellung seiner Richter das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip verletzt und damit das über Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG allein subjektivierte und in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG niedergelegte Demokratieprinzip berührt wird.

Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG darf eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union oder in einem Ergänzungs- oder besonderen Näheverhältnis zu ihr stehende Einrichtungen nicht dazu führen, dass der integrationsfeste Kern des Grundgesetzes im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG – seine Identität – berührt wird. Eine Identitätsrüge ist allerdings an strenge Voraussetzungen gebunden und das sich aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ergebende Recht der Bürgerinnen und Bürger auf demokratische Selbstbestimmung strikt auf den in der Würde des Menschen wurzelnden Kern des Demokratieprinzips begrenzt. Es gewährt dagegen keinen Anspruch auf eine über dessen Sicherung hinausgehende Rechtmäßigkeitskontrolle demokratischer Mehrheitsentscheidungen.

Eine Beeinträchtigung des Gewährleistungsgehalts des Demokratieprinzips setzt daher die Darlegung voraus, dass durch das angegriffene Übereinkommen Hoheitsrechte auf die Europäische Union oder in einem Ergänzungs- oder besonderen Näheverhältnis zu ihr stehende Einrichtungen diesen eine sogenannte Kompetenz-Kompetenz zuerkannt wird, Blankettermächtigungen zur Ausübung öffentlicher Gewalt ohne entsprechende Sicherungen erteilt werden oder Rechte des Bundestages wesentlich geschmälert, etwa sein Budgetrecht und seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung beeinträchtigt werden.

2. Der Vortrag der Beschwerdeführer beschränkt sich indes auf die Darstellung, dass Art. 6 ff. EPGÜ wegen der Ernennung der Richter des Einheitlichen Patentgerichts auf sechs Jahre, einer möglichen Wiederbestellung und der nicht ausreichenden Anfechtbarkeit einer Amtsenthebung gegen Art. 97 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK und gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verstießen. Inwieweit hierdurch das Demokratieprinzip berührt ist, tragen sie nicht vor.

II. Nicht hinreichend substantiiert ist die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu I. 1. auch, soweit sie sich gegen die Regelung des Vorrangs des Unionsrechts in Art. 20 EPGÜ richtet.

1. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG enthält ein Wirksamkeits- und Durchsetzungsversprechen für das Unionsrecht, zu dem auch gehört, dem Unionsrecht im Zustimmungsgesetz nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG einen Anwendungsvorrang vor nationalem Recht einzuräumen. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht gilt grundsätzlich auch mit Blick auf entgegenstehendes nationales Verfassungsrecht und führt bei einer Kollision in aller Regel zu dessen Unanwendbarkeit.

Dieser Anwendungsvorrang reicht indes nur so weit, wie das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen. Das Bundesverfassungsgericht gewährleistet diese Grenzen insbesondere im Rahmen der Identitäts- und der Ultra-vires-Kontrolle. Einen uneingeschränkten Anwendungsvorrang des Unionsrechts lässt das Grundgesetz nicht zu. Diese Anforderungen binden alle Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland und dürfen weder relativiert noch unterlaufen werden.

2. Vor diesem Hintergrund enthalten der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union auch keine ausdrückliche Festlegung zum Vorrang des Unionsrechts. Art. 20 EPGÜ kann daher nur so verstanden werden, dass mit ihm Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit des Übereinkommens mit dem Unionsrecht ausgeräumt werden sollen, er hingegen keine über den Status quo hinausgehende Regelung des Verhältnisses von Unionsrecht und nationalem Verfassungsrecht enthält. Dies entspricht auch dem im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Verständnis der Bundesregierung sowie der im Bundesrat abgegebenen Protokollerklärung mehrerer Länder. Den anderen Vertragsmitgliedstaaten ist dieses Verständnis allerdings nicht mitgeteilt worden.

3. Mit alldem setzt sich der Beschwerdeführer zu I. 1 nicht weiter auseinander, sondern beschränkt sich unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 13. Februar 2020 auf die Feststellung, dass ihm durch Art. 20 EPGÜ die Identitätskontrolle abgeschnitten werde, was mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht vereinbar sei. Das genügt den Substantiierungsanforderungen nicht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BMJV: Neuer Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht

Das BMJV hat einen neuen "Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht" vorgelegt.

Das Bundesverfassungsgericht hatte den ersten Anlauf des Gesetzgebers kassiert (siehe dazu BVerfG: EPGÜ-ZustG - Gesetz zum Abkommen über ein Einheitliches Patentgericht ist nichtig da materielle Verfassungsänderung ohne Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen wurde )



BVerfG: EPGÜ-ZustG - Gesetz zum Abkommen über ein Einheitliches Patentgericht ist nichtig da materielle Verfassungsänderung ohne Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen wurde

BVerfG
Beschluss vom 13. Februar 2020
2 BvR 739/17


Das Bunderverfassungsgericht hat entschieden, dass das Gesetz zum Abkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ-ZustG) nichtig ist, da es sich um eine materielle Verfassungsänderung handelt, die ohne Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen wurde.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Gesetz zum Abkommen über ein Einheitliches Patentgericht nichtig

Das Gesetz zu dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ-ZustG), das Hoheitsrechte auf das Einheitliche Patentgericht übertragen soll, ist nichtig. Es bewirkt der Sache nach eine materielle Verfassungsänderung, ist aber vom Bundestag nicht mit der hierfür erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen worden. Dies hat der Zweite Senat mit heute veröffentlichtem Beschluss auf eine Verfassungsbeschwerde hin entschieden. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass Bürgerinnen und Bürger zur Sicherung ihrer demokratischen Einflussmöglichkeiten im Prozess der europäischen Integration grundsätzlich ein Recht darauf haben, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten nur in den vom Grundgesetz dafür vorgesehenen Formen erfolgt. Ein unter Verstoß hiergegen ergangenes Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag kann die Ausübung öffentlicher Gewalt durch die Europäischen Union oder eine mit ihr in einem Ergänzungs- oder sonstigem besonderen Näheverhältnis stehende zwischenstaatliche Einrichtung nicht demokratisch legitimieren.

Sachverhalt:

Mit dem EPGÜ-ZustG sollen die Voraussetzungen für die Ratifikation des Übereinkommens vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) geschaffen werden. Als völkerrechtlicher Vertrag ist es Teil eines Regelungspakets zum Patentrecht, dessen Kern die Einführung eines europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung auf der Ebene der Europäischen Union im Wege einer Verstärkten Zusammenarbeit ist. Das „europäische Patent mit einheitlicher Wirkung“ bietet in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten einheitlichen Schutz. Das EPGÜ sieht die Errichtung eines Einheitlichen Patentgerichts (EPG) als gemeinsames Gericht der Mehrzahl der Mitgliedstaaten für Streitigkeiten über europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung vor. Es soll in Bezug auf europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung die ausschließliche Zuständigkeit für einen umfangreichen Katalog von Streitigkeiten übertragen erhalten. Dieser umfasst insbesondere Klagen wegen Patentverletzung, Streitigkeiten über den Bestand von Patenten und bestimmte Klagen gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamts. Den Gesetzentwurf zu dem angegriffenen Vertragsgesetz nahm der Bundestag in dritter Lesung einstimmig an; anwesend waren etwa 35 Abgeordnete. Eine Feststellung der Beschlussfähigkeit erfolgte ebenso wenig wie die Feststellung des Bundestagspräsidenten, dass das Zustimmungsgesetz mit qualifizierter Mehrheit beschlossen worden sei.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

I. Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen, die in einem Ergänzungs- oder sonstigem besonderen Näheverhältnis zum Integrationsprogramm der Europäischen Union stehen, sind an Art. 23 Abs. 1 GG zu messen. Soweit sie das Grundgesetz seinem Inhalt nach ändern oder ergänzen oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglichen, bedürfen sie nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG einer Zwei-Drittel-Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften. Eine unter Verstoß gegen diese Vorgaben eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung, die der Einwirkung einer supranationalen öffentlichen Gewalt auf Bürgerinnen und Bürger in Deutschland die Tür öffnet, verletzt diese in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Bürgerinnen und Bürger haben zur Sicherung ihrer demokratischen Einflussmöglichkeiten im Prozess der europäischen Integration grundsätzlich ein Recht darauf, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten nur in den vom Grundgesetz dafür vorgesehenen Formen der Art. 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3, Art. 79 Abs. 2 GG erfolgt (formelle Übertragungskontrolle). Denn Kompetenzen, die einem anderen Völkerrechtssubjekt übertragen werden, sind in aller Regel „verloren“ und können aus eigener Kraft nicht ohne Weiteres „zurückgeholt“ werden. Ohne wirksame Übertragung von Hoheitsrechten aber fehlt jeder später erlassenen Maßnahme der Europäischen Union oder einer supranationalen Organisation die demokratische Legitimation. Darüber hinaus sind die sich aus Art. 79 Abs. 3 GG ergebenden materiellen Grenzen an die Übertragung von Hoheitsrechten stets zu beachten.

II. Nach diesen Maßstäben verletzt Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EPGÜ-ZustG den Beschwerdeführer in seinem Recht auf demokratische Selbstbestimmung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 und Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 2 GG, weil das EPGÜ-ZustG nicht mit der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages beschlossen worden ist.

1. Das EPGÜ-ZustG überträgt Rechtsprechungsaufgaben auf ein supranationales Gericht und weist ihm bestimmte Rechtsstreitigkeiten zur ausschließlichen Entscheidung zu. Durch das EPGÜ werden die Entscheidungen und Anordnungen des EPG darüber hinaus zu vollstreckbaren Titeln erklärt.

2. Das EPGÜ steht in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Integrationsprogramm der Europäischen Union und ersetzt in der Sache unionsrechtliche Regelungen, deren Verankerung im Recht der Europäischen Union nicht die notwendigen Mehrheiten gefunden hat.

a) Das EPGÜ findet im Primärrecht einen unmittelbaren Anknüpfungspunkt in Art. 262 AEUV. Dieser sieht eine Übertragung der Rechtsprechungszuständigkeit für Streitigkeiten über europäische Rechtstitel für das geistige Eigentum auf den EuGH vor, erfordert jedoch einen einstimmigen Beschluss des Rates und eine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten. Dafür gab es bislang keinen ausreichenden politischen Willen.

b) Das EPGÜ ist darüber hinaus mit auf der Grundlage von Art. 118 AEUV erlassenem Sekundärrecht auf das Engste verwoben. Ein wesentlicher Teil der Rechtsprechungsaufgaben des EPG wird unionsrechtlich geregelte Rechte und Ansprüche betreffen, deren einheitliche Wirkung erst durch die im EPGÜ enthaltenen Regelungen sichergestellt wird. Zudem ist das EPG unmittelbar an das Unionsrecht gebunden.

c) Das EPGÜ wurde maßgeblich durch Organe der Europäischen Union vorangetrieben. Jedenfalls seit der Jahrtausendwende hat die Europäische Kommission auf eine Zentralisierung des gerichtlichen Rechtsschutzes in diesem Bereich gedrungen. Das „Europäische Patentpaket“ wurde auch vom Europäischen Parlament nachdrücklich befürwortet.

Das Übereinkommen steht ausschließlich Mitgliedstaaten der Europäischen Union offen. Dass nicht alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch Vertragsmitgliedstaaten sind, stellt das besondere Näheverhältnis zum Integrationsprogramm der EU nicht in Frage. Im Gegenteil, dies ist durch das Institut der Verstärkten Zusammenarbeit ausdrücklich legitimiert und unterstreicht die enge Verzahnung mit dem institutionellen Gefüge der EU.

3. Das EPGÜ-ZustG unterliegt den Anforderungen von Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG, weil es der Sache nach eine materielle Verfassungsänderung bewirkt.

a) Das EPGÜ hat Verfassungsrelevanz und stellt eine vergleichbare Regelung im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG dar, weil es eine funktional äquivalente Regelung zu einer Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union nach Art. 48 EUV enthält. In der Sache stellt das EPGÜ eine Änderung oder Ersetzung von Art. 262 AEUV dar. Dort sieht der Vertrag nicht nur ein besonderes Gesetzgebungsverfahren und einen einstimmigen Beschluss des Rates vor, sondern auch, dass dieser Rechtsakt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen in Kraft tritt. Die Schaffung einer neuen Zuständigkeit des EuGH für den gewerblichen Rechtsschutz haben die Mitgliedstaaten damit als gravierenden Eingriff in die nationale Rechtsprechungszuständigkeit gewertet und als ratifikationsbedürftigen Vorgang ausgestaltet. Der deutsche Gesetzgeber hat Art. 262 AEUV als besonderes Vertragsänderungsverfahren eingestuft. Mit dem EPGÜ haben die Vertragsmitgliedstaaten das Integrationsprogramm des Vertrages von Lissabon verändert, dem in Art. 262 AEUV vorgesehenen Weg faktisch die Grundlage entzogen und die Möglichkeit eines neuen Typus einheitlicher Gerichtsbarkeit im gewerblichen Rechtsschutz in Anlehnung an die Europäische Union geschaffen, weil es weder für den vertraglich vorgezeichneten Weg des Art. 262 AEUV noch für eine Änderung nach Art. 48 EUV die notwendige Einstimmigkeit gab.

b) Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Patentgerichtsbarkeit bewirkt eine Übertragung von Rechtsprechungsaufgaben unter Verdrängung deutscher Gerichte eine inhaltliche Änderung des Grundgesetzes im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG. Die rechtsprechende Gewalt wird nach Art. 92 GG durch das Bundesverfassungsgericht, die Bundesgerichte und die Gerichte der Länder ausgeübt. Jede Übertragung von Rechtsprechungsaufgaben auf zwischenstaatliche Gerichte modifiziert diese umfassende Rechtsprechungszuweisung und bedeutet insoweit eine materielle Verfassungsänderung. Sie berührt nicht nur die grundrechtlichen Garantien des Grundgesetzes, weil deutsche Gerichte insoweit keinen Grundrechtsschutz mehr gewähren können, sondern auch die konkrete Ausgestaltung der Gewaltenteilung. Art. 32 EPGÜ überträgt dem EPG einen nicht unerheblichen Ausschnitt der zivil- und verwaltungsrechtlichen Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten von erheblicher ökonomischer Relevanz zur ausschließlichen Erledigung. Die verfassungsrechtlich geordnete Struktur der deutschen Gerichtsverfassung wird durch das EPGÜ modifiziert, um ein weiteres Gericht ergänzt und mit einem eigenen internen Rechtsmittelzug versehen.

4. Das EPGÜ-ZustG war mit der qualifizierten Mehrheit von Art. 79 Abs. 2 GG zu beschließen. Angesichts der besonderen Bedeutung des Mehrheitserfordernisses für die Integrität der Verfassung und die demokratische Legitimation von Eingriffen in die verfassungsmäßige Ordnung kommt ein Gesetz, das diese Mehrheit verfehlt, nicht zustande. Das EPGÜ-ZustG ist vom Deutschen Bundestag daher nicht wirksam beschlossen worden; es ist nichtig.

Abweichende Meinung der Richterinnen König und Langenfeld sowie des Richters Maidowski

Aus dem „Anspruch auf Demokratie“ ergibt sich kein rügefähiges Recht auf die Einhaltung der formellen Voraussetzungen für die Übertragung von Hoheitsrechten. Die damit verbundene Erweiterung des Rechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verkennt dessen Substanz und Grenzen. Für eine Verletzung der Substanz des Wahlrechts ist in einem Fall, in dem es um die Nichtbeachtung formeller Voraussetzungen des Zustimmungsgesetzes geht, kein Raum. Denn dieses Recht soll auch in Konstellationen betroffen sein, in denen es dem Bundestag gerade um die Herstellung demokratischer Legitimation für eine im Grundsatz zulässige Übertragung von Hoheitsrechten durch Gesetz geht, er mithin seine Integrationsverantwortung wahrgenommen hat. Mit der Erstreckung auf die Einhaltung der formellen Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Hoheitsrechtsübertragung verliert der „Anspruch auf Demokratie“ seine spezifische, auf die Ermöglichung und den Erhalt demokratischer Selbstbestimmung gerichtete materielle Substanz. Einen solchen Anspruch vermittelt Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG jenseits von Ultra-vires-Konstellationen nur insoweit, als durch einen Vorgang demokratische Grundsätze berührt werden, die Art. 79 Abs. 3 GG auch dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers entzieht. Die Nichtbeachtung des Erfordernisses verfassungsändernder Mehrheiten oder anderer formeller Voraussetzungen bei der Übertragung von Hoheitsrechten fällt weder unter die bisher anerkannten Ultra-vires-Konstellationen, noch werden dadurch die änderungsfesten Grundsätze des Demokratieprinzips berührt. Im Ergebnis führt die Zulassung der formellen Übertragungsrüge dazu, dass der Schutzbereich des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG im Kontext der europäischen Integration seine Konturen vollends verliert.

Die formelle Übertragungskontrolle könnte zudem entgegen den Intentionen des Senats letztlich dazu führen, dass der politische Prozess im Kontext mit der europäischen Integration verengt und behindert wird. Es steht zu erwarten, dass die erneute Erweiterung des Zugangs zum Bundesverfassungsgericht bei so gut wie jeder Kompetenzübertragung im Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 GG Bundestag und Bundesrat dazu veranlassen wird, nach einer Zwei-Drittel-Mehrheit zu streben, um sich den Risiken der formellen Übertragungskontrolle nicht auszusetzen. Die Notwendigkeit einer verfassungsändernden Mehrheit wird damit faktisch zur Regel nicht nur bei Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union, sondern auch auf alle völkervertraglich begründeten Einrichtungen, die in einem besonderen Näheverhältnis zu ihr stehen. Dies liegt weder in der Absicht des Verfassungsgebers, noch ist es für die Ermöglichung des demokratischen Prozesses erforderlich oder auch nur förderlich, weil es auch möglich sein muss, mit knappen Mehrheiten zu entscheiden. Die breite Eröffnung des Zugangs zum Bundesverfassungsgericht könnte in Zukunft den demokratischen Prozess in problematischer Weise präjudizieren und weitere Integrationsschritte, wenn nicht verhindern, so doch erheblich verzögern. Das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit wird erheblich erweitert in einen Bereich hinein, der früher Art. 24 Abs. 1 GG zugeordnet war. Dieser verlangt für die Übertragung von Hoheitsrechten nur ein einfaches Bundesgesetz. Mit der Zulassung der formellen Übertragungskontrolle wird ein weiteres Feld verfassungsgerichtlicher Auseinandersetzungen eröffnet. Dies wird zur Folge haben, dass sich notwendige politische Gestaltungsräume des Parlaments im Prozess der europäischen Integration verengen und sich damit der in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG beabsichtigte Schutz des demokratischen Prozesses in sein Gegenteil verkehren könnte.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: