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BVerwG: Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen - Presse hat Anspruch auf Mitteilung der Namen aller Personen die an Gerichtsverfahren beteiligt waren

BVerwG
6 C 35.13
Ur­teil vom 01.10.2014


Die Pressemitteilung des BVerwG:

"Anspruch der Presse auf Kenntnis der Namen von Personen, die an Gerichtsverfahren mitgewirkt haben

Einem Aus­kunfts­er­su­chen der Pres­se, das auf Mit­tei­lung der Namen von Per­so­nen ge­rich­tet ist, die in einem Ge­richts­ver­fah­ren mit­ge­wirkt haben, ist re­gel­mä­ßig statt­zu­ge­ben. Dies hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt in Leip­zig heute ent­schie­den.

Der Klä­ger ist Re­dak­teur der „An­walts­nach­rich­ten Aus­län­der- und Asyl­recht“. Er bat den Di­rek­tor des Amts­ge­richts Nür­tin­gen, ihm die Ab­schrift einer straf­ge­richt­li­chen Ent­schei­dung zwecks Pu­bli­ka­ti­on in die­ser Zeit­schrift zu über­sen­den. Er er­hielt eine an­ony­mi­sier­te Kopie des Ur­teils, in der die Namen der Per­so­nen ge­schwärzt waren, die an dem Ver­fah­ren mit­ge­wirkt hat­ten (Be­rufs­rich­te­rin und Schöf­fen, Ver­tre­ter der Staats­an­walt­schaft, Ver­tei­di­ger, Ur­kunds­be­am­tin der Ge­schäfts­stel­le). In der Folge teil­te der Di­rek­tor des Amts­ge­richts dem Klä­ger den Namen der Be­rufs­rich­te­rin mit, lehn­te aber wei­te­re An­ga­ben ab. Der Klä­ger hat hier­ge­gen Klage er­ho­ben. Das Ver­wal­tungs­ge­richt Stutt­gart hat die Klage ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung des Klä­gers hat der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Mann­heim das be­klag­te Land Ba­den-Würt­tem­berg ver­pflich­tet, dem Klä­ger Aus­kunft auch über die Namen der Schöf­fen zu er­tei­len, und im Üb­ri­gen, näm­lich hin­sicht­lich der Namen des Ver­tre­ters der Staats­an­walt­schaft, des Ver­tei­di­gers und der Ur­kunds­be­am­tin, die Ab­wei­sung der Klage be­stä­tigt: In­so­weit über­wie­ge das grund­recht­lich ge­schütz­te Per­sön­lich­keits­recht der Be­trof­fe­nen das eben­falls grund­recht­lich ge­schütz­te Aus­kunfts­recht der Pres­se. Mit sei­ner Re­vi­si­on wen­det sich der Klä­ger gegen das Be­ru­fungs­ur­teil, so­weit die­ses die Kla­ge­ab­wei­sung be­stä­tigt hat.

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hat der Re­vi­si­on hin­sicht­lich des An­spruchs auf Aus­kunfts­er­tei­lung über die Namen des Staats­an­walts und des Ver­tei­di­gers statt­ge­ge­ben. Das Per­sön­lich­keits­recht die­ser Per­so­nen muss hin­ter dem grund­recht­lich ge­schütz­ten Aus­kunfts­in­ter­es­se der Pres­se zu­rück­ste­hen. Sie ste­hen kraft des ihnen über­tra­ge­nen Amtes bzw. ihrer Stel­lung als Organ der Rechts­pfle­ge hin­sicht­lich ihrer Mit­wir­kung an Ge­richts­ver­fah­ren im Blick­feld der Öf­fent­lich­keit. Ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se, ihre Iden­ti­tät nicht ge­gen­über der Pres­se preis­zu­ge­ben, ist an­ge­sichts der hohen Be­deu­tung des Grund­sat­zes der Öf­fent­lich­keit für ein rechts­staat­li­ches Ge­richts­ver­fah­ren nur dann an­zu­neh­men, wenn sie er­heb­li­che Be­läs­ti­gun­gen oder eine Ge­fähr­dung ihrer Si­cher­heit zu be­fürch­ten haben. Letz­te­res war nach den tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs hier nicht der Fall.

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs lässt sich ein Vor­rang ihres Per­sön­lich­keits­rechts nicht mit der Er­wä­gung be­grün­den, sie trü­gen keine un­mit­tel­ba­re Ver­ant­wor­tung für ein Straf­ur­teil, so dass die Kennt­nis ihrer Namen kei­nen hin­rei­chen­den In­for­ma­ti­ons­wert für die Pres­se be­sit­ze. Un­ab­hän­gig davon, dass Ver­tei­di­ger und Staats­an­walt auf den ge­richt­li­chen Ver­fah­rens­gang Ein­fluss neh­men kön­nen, ist es nicht Sache staat­li­cher Stel­len, son­dern Sache der Pres­se selbst, dar­über zu be­stim­men, wel­che In­for­ma­tio­nen unter wel­chen As­pek­ten von­nö­ten sind, um ein be­stimm­tes Thema zum Zweck einer mög­li­chen Be­richt­er­stat­tung über Ge­richts­ver­fah­ren im Re­cher­che­we­ge auf­zu­be­rei­ten. Der Staat hat nicht in eine jour­na­lis­ti­sche Re­le­vanz­prü­fung ein­zu­tre­ten.

Dies be­deu­tet al­ler­dings nicht, dass die Pres­se im Rah­men der Re­cher­che zu Ge­richts­ver­fah­ren auch sol­che per­so­nen­be­zo­ge­nen In­for­ma­tio­nen her­aus­ver­lan­gen dürf­te, denen selbst bei An­le­gung eines groß­zü­gi­gen, den be­son­de­ren Funk­ti­ons­be­dürf­nis­sen und Ar­beits­ge­wohn­hei­ten der Pres­se voll­auf Rech­nung tra­gen­den Maß­stabs jede er­kenn­ba­re ma­te­ri­el­le Be­deu­tung im Zu­sam­men­hang mit dem Thema der Re­cher­che bzw. der ins Auge ge­fass­ten Be­richt­er­stat­tung ab­geht. Das Per­sön­lich­keits­recht be­trof­fe­ner Per­so­nen hat kei­nen Nach­rang ge­gen­über dem Aus­kunfts­in­ter­es­se der Pres­se, wenn letz­te­res in Bezug auf diese Per­son im Dun­keln bleibt und so die Ver­mu­tung na­he­liegt, das In­for­ma­ti­ons­ver­lan­gen er­fol­ge in­so­weit „ins Blaue“ hin­ein oder be­sit­ze je­den­falls kei­nen ernst­haf­ten sach­li­chen Hin­ter­grund. Ver­wei­gert eine staat­li­che Stel­le aus die­sen Grün­den die Her­aus­ga­be einer per­so­nen­be­zo­ge­nen In­for­ma­ti­on und er­läu­tert die Pres­se dar­auf­hin nicht zu­min­dest an­satz­wei­se den von ihr zu­grun­de ge­leg­ten Wert die­ser In­for­ma­ti­on für ihre Re­cher­che bzw. die ins Auge ge­fass­te Be­richt­er­stat­tung, muss die staat­li­che Stel­le davon aus­ge­hen, dass dem In­for­ma­ti­ons­ver­lan­gen ein ernst­haf­ter Hin­ter­grund fehlt, und ist daher aus­nahms­wei­se nicht zur In­for­ma­ti­ons­her­aus­ga­be ver­pflich­tet. Des­halb hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt im vor­lie­gen­den Fall die Re­vi­si­on des Klä­gers zu­rück­ge­wie­sen, so­weit sie das Ver­lan­gen nach Be­kannt­ga­be des Na­mens der Ur­kunds­be­am­tin be­traf."



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