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OLG Köln: Crocs-Schuhe weisen wettbewerbliche Eigenart auf und sind wettbewerbsrechtlich vor Nachahmungen geschützt

OLG Köln
Urteil vom 18.12.2016
6 U 45/15


Das OLG Köln hat entschieden, dass Crocs-Schuhe wettbewerbliche Eigenart aufweisen und somit wettbewerbsrechtlich vor Nachahmungen geschützt sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß §§ 3, 4 Nr. 9 lit. a, 8 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 UWG zu.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat angeschlossen hat, kann der Vertrieb eines nachahmenden Erzeugnisses wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt über wettbewerbliche Eigenart verfügt und besondere Umstände hinzutreten, die die Nachahmung unlauter erscheinen lassen. So verhält es sich, wenn die Nachahmung geeignet ist, eine Herkunftstäuschung hervorzurufen und der Nachahmer geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlässt. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen, so dass bei einer größeren wettbewerblichen Eigenart und einem höheren Grad der Übernahme geringere Anforderungen an die besonderen Umstände zu stellen sind, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt (BGH, WRP 2010, 94 = GRUR 2010, 80 Tz. 21 – LIKEaBIKE; WRP 2012, 1379 = GRUR 2012, 1155 Tz. 16 – Sandmalkasten; WRP 2013, 1188 = GRUR 2013, 951 Tz. 14 – Regalsystem; WRP 2013, 1339 = GRUR 2013, 1052 Tz. 15 – Einkaufswagen III; Senat, GRUR-RR 2014, 25, 26 f. – Kinderhochstuhl „Sit up“, jeweils m. w. N.).

[...]

3. a) Die Modelle C und M der Klägerinnen weisen wettbewerbliche Eigenart auf. Für die Annahme wettbewerblicher Eigenart genügt es, dass der Verkehr bei den in Rede stehenden Produkten Wert auf deren betriebliche Herkunft legt und aus deren Gestaltung Anhaltspunkte dafür gewinnen kann. Dafür wiederum ist maßgeblich, ob sich das unter Rückgriff auf vorhandene Formen und Stilelemente entwickelte Leistungsergebnis von anderen vergleichbaren Erzeugnissen in einem Maß abhebt, dass hierdurch im angesprochenen Verkehr die Vorstellung ausgelöst wird, dieses Produkt stamme aus einem bestimmten Betrieb (BGH, WRP 2012, 1379 = GRUR 2012, 1155 Tz. 19 – Sandmalkasten; WRP 2013, 1339 = GRUR 2013, 1052 Tz. 18 – Einkaufswagen III; Senat, GRUR-RR 2013, 24, 25 – Gute Laune Drops, jeweils m. w. N.). Der Gesamteindruck eines Erzeugnisses kann dabei durch Gestaltungsmerkmale bestimmt oder mitbestimmt werden, die für sich genommen nicht geeignet sind, im Verkehr auf dessen Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen. Derartige Gestaltungsmerkmale können in ihrem Zusammenwirken eine wettbewerbliche Eigenart verstärken oder begründen, da diese von dem Gesamteindruck abhängt, den die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des jeweiligen Erzeugnisses vermitteln (BGH, WRP 2010, 94 = GRUR 2010, 80 Tz. 34 – LIKEaBIKE; WRP 2013, 1188 = GRUR 2013, 951 Tz. 19 – Regalsystem; WRP 2013, 1339 = GRUR 2013, 1052 Tz. 20 – Einkaufswagen III). Dabei kann auch die als neu empfundene Kombination bekannter Gestaltungselemente eine wettbewerbliche Eigenart begründen (BGH, WRP 2006, 75 = GRUR 2006, 79 Tz. 26 – Jeans I; WRP 2008, 1510 = GRUR 2008, 1115 Tz. 22 – ICON). Abzustellen ist dabei nicht auf einzelne Gestaltungsmerkmale, sondern auf den durch seine prägenden Merkmale hervorgerufenen Gesamteindruck des jeweiligen Produkts (BGH, WRP 2010, 94 = GRUR 2010, 80 Tz. 32 – LIKEaBIKE; Senat, WRP 2013, 1500 = GRUR-RR 2014, 65, 66 –
Merkmale, die bei gleichartigen Erzeugnissen aus technischen Gründen zwingend verwendet werden müssen, können allerdings aus Rechtsgründen keine wettbewerbliche Eigenart begründen. Die Übernahme solcher technisch notwendiger Gestaltungsmerkmale ist mit Rücksicht auf den Grundsatz des freien Stands der Technik wettbewerbsrechtlich (außerhalb eines Sonderrechtsschutzes) nicht zu beanstanden. Dagegen können Merkmale, die zwar technisch bedingt, aber frei wählbar oder austauschbar sind, ohne dass damit Qualitätseinbußen verbunden sind, wettbewerbliche Eigenart (mit-) begründen (BGH, WRP 2008, 1234 = GRUR 2008, 790 Tz. 36 – Baugruppe; WRP 2009, 1372 = GRUR 2009, 1073 Tz. 13 – Ausbeinmesser; WRP 2010, 94 = GRUR 2010, 80 Tz. 27 – LIKEaBIKE; WRP 2010, 1465 = GRUR 2010, 1125 Tz. 22 – Femur-Teil; WRP 2012, 1379 = GRUR 2012, 1155 Tz. 29 – Sandmalkasten). Auch unter dem Gesichtspunkt, den freien Stand der Technik für den Wettbewerb offenzuhalten, besteht kein Anlass, beliebig kombinier- und austauschbaren Merkmalen eine herkunftshinweisende Eignung im Sinne des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes von vornherein abzusprechen (BGH, WRP 2013, 1188 = GRUR 2013, 951 Tz. 19 f. – Regalsystem).

Auf dieser Grundlage hat das Landgericht den Modellen der Klägerinnen rechtsfehlerfrei wettbewerbliche Eigenart zuerkannt. Auch die Beklagte hat nicht aufgezeigt, dass zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung Wettbewerber Produkte mit einer auch nur ähnlichen Gesamtwirkung angeboten haben (vgl. auch OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2009, 142 – Crocs, zur bereits damals hohen Bekanntheit der Produkte der Klägerinnen). Die Löcher im Oberteil mögen technisch bedingt sein, um eine gewisse Luftzirkulation zu erlauben, ihre konkrete Ausgestaltung und Anordnung ist jedoch nicht zwingend vorgegeben. In ihrer konkreten Ausprägung sind sie daher ebenfalls geeignet, den Gesamteindruck des Produkts der Klägerinnen mitzubestimmen. Gleiches gilt für die Ausgestaltung des Oberteils („Clogform“) und des Fersenriemens.

b) Die Bekanntheit der Modelle der Klägerinnen, die das Landgericht auf der Grundlage der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme über die mit ihm erzielten Umsätze angenommen hat, wird von der Beklagten in der Berufung im Ergebnis nicht in Abrede gestellt. Soweit sie meint, dies beruhe auf der Vermarktung unter den Zeichen der Klägerinnen, so ist es unerheblich, worauf der Erfolg der Modelle ursächlich zurückzuführen ist. Entscheidend ist allein, dass sie den Verbrauchern – auch aufgrund der (senatsbekannten) „Omnipräsenz“ der Produkte der Klägerinnen – bekannt sind und diese sie zutreffend den Klägerinnen zuordnen. Vor diesem Hintergrund ist hier für das Modell C im Ausgangspunkt eine auf sehr hoch oder weit überdurchschnittlich gesteigerte wettbewerbliche Eigenart anzunehmen, für das in geringerem Umfang vertriebene Modell M ist immer noch eine hohe oder überdurchschnittliche wettbewerbliche Eigenart anzunehmen.

c) aa) Die wettbewerbliche Eigenart eines Produkts kann verloren gehen, wenn seine konkrete Ausgestaltung oder seine Merkmale auf Grund der Entwicklung der Verhältnisse auf dem Markt, beispielsweise durch eine Vielzahl von Nachahmungen, nicht mehr geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (BGH, WRP 2007, 1455 = GRUR 2007, 984 Tz. 24 – Gartenliege). Der Anspruch aus § 4 Nr. 9 UWG entfällt aber nicht bereits dadurch, dass andere Nachahmer mehr oder weniger gleichzeitig auf den Markt kommen. Andernfalls könnte sich jeder Nachahmer auf die allgemeine Verbreitung der Gestaltungsform durch die anderen Nachahmer berufen und dem betroffenen Hersteller des Originals würde die Möglichkeit der rechtlichen Gegenwehr genommen (BGH, GRUR 1985, 876, 878 – Tchibo/Rolex I; WRP 2005, 878 = GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; Senat, GRUR-RR 2003, 183, 185 – Designerbrille; GRUR-RR 2008, 166, 168 – Bigfoot; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn. 9.26).

Dabei ist es Sache des Anspruchsgegners, darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, dass die in Rede stehenden Merkmale einzeln oder auch in der fraglichen Verbindung bereits vorbekannt oder inzwischen üblich geworden sind (BGH, WRP 1998, 377 = GRUR 1998, 477, 479 – Trachtenjanker; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn. 9.78). Insbesondere muss er dabei die Marktbedeutung von Produkten darlegen, mit denen er die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produkts in Frage stellen will (BGH, WRP 2005, 878 = GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; Senat, GRUR-RR 2008, 166, 168 – Bigfoot; WRP 2013, 1500 = GRUR-RR 2014, 65, 67 – Pandas; GRUR-RR 2014, 25, 28 – Kinderhochstuhl „Sit-Up“). Dazu ist es allerdings nicht zwingend erforderlich, Absatzzahlen der Wettbewerber zu benennen, die dem Anspruchsgegner in der Regel nicht bekannt sein werden. Bei der Prüfung der „hinreichenden Bekanntheit“ des nachgeahmten Produkts kann diese nicht nur aus hohen Absatzzahlen, sondern auch aus entsprechenden Werbeanstrengungen abgeleitet werden (Senat, GRUR-RR 2004, 21, 23 – Küchen-Seiher m. w. N.). Diese Grundsätze lassen sich auch auf die hier zu beurteilende Frage der Marktbedeutung von Produkten des wettbewerblichen Umfelds übertragen (Senat, GRUR-RR 2014, 494, 497 – Freischwinger-Stuhl).

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf den Vertrieb anderer Nachahmungsprodukte berufen kann, solange Ansprüche wegen des Vertriebs dieser Produkte nicht durch Verwirkung untergegangen sind (BGH, WRP 2007, 1455 = GRUR 2007, 984 Tz. 27 – Gartenliege; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2009, 142, 144 – Crocs; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn. 9.26). Die Klägerinnen haben dargelegt, dass sie gegen von ihnen als Nachahmungen ihrer Modelle angesehene Produkte vorgehen, so zum Beispiel gegen die Produkte „Deichmann Sahara“, „Dockers by Gerli“, „WOZ“ oder „Holey Soles“, wie auch durch die zitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf, die von den Klägerinnen erwirkt worden ist, belegt wird. Die Klägerinnen haben ferner ein Konvolut von einstweiligen Verfügungen und Unterlassungserklärungen (Anlage K 21, Bl. 290 ff. d. A.) vorgelegt, dem die Beklagte inhaltlich nicht entgegengetreten ist, und das belegt, dass die Klägerinnen wegen des Vertriebs von Nachahmungsprodukten vorgehen. Betroffen sind u. a. die Unternehmen „Schuhimport und Export Gerli GmbH“ (Bl. 296 d. A.), „real SB Warenhaus GmbH“ (Bl. 299 d. A.) und „Rossmann GmbH“ (Bl. 308 d. A.), deren Produkte auch im vorliegenden Rechtsstreit als Umfeldprodukte herangezogen worden sind.

Soweit die Klägerinnen auf diese Weise bewirken, dass Nachahmungsprodukte vom Markt genommen werden, verhindern sie bereits die Schwächung der wettbewerblichen Eigenart ihrer Produkte. Selbst wenn ihnen dies nicht in jedem Fall gelungen sein sollte, ist bei dieser Sachlage die Beklagte daran gehindert, sich auf eine dennoch eingetretene Schwächung der wettbewerblichen Eigenart zu berufen (OLG Düsseldorf, a. a. O.). Es genügt daher grundsätzlich nicht, wenn sich die Beklagte gegenüber von den Klägerinnen vorgetragenen Rechtsverfolgungsmaßnahmen gegen Produkte des Umfelds „mit Nichtwissen“ erklärt. Für den Vertrieb solcher Produkte, die die wettbewerbliche Eigenart schwächen sollen, ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet. Wenn sich die Klägerinnen darauf berufen, sie hätten den Vertrieb solcher Produkte unterbunden, kann sie allenfalls eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Einzelheiten ihres Vorgehens treffen, der sie jeweils nachgekommen sind. Es ist dann wieder Sache der Beklagten, entweder den Vortrag der Klägerinnen zu widerlegen oder vorzutragen, warum trotz solcher Maßnahmen ein Vertrieb der betreffenden Produkte in relevantem Umfang stattfindet."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


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