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LG Berlin: Facebook muss Löschung eines von Meinungsfreiheit gedeckten Kommentars und Sperrung des Accounts rückgängig machen

LG Berlin
Beschluss vom 09.08.2018
27 O 355/18


Das LG Berlin hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahrens entschieden, dass Facebook die Löschung eines von der Meinungsfreiheit gedeckten Kommentars und die Sperrung des dazugehörigen Accounts rückgängig machen muss.

Die Entscheidungsgründen:

Die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts Berlin folgt aus Art. 18 Abs. 1 2. Alt., 17 Abs. 1 c), Abs. 2 EuGWO (vgl. EuGH, Urteil vom 25.1.2018 - C-498/16 - juris). Der Antragsteller hat als Verbraucher über die Website der Antragsgegnerin, die mit der "Facebook lreland Ltd." eine Niederlassung in einem EU-Mitgliedstaat hat, einen Vertrag zur Nutzung der Plattform geschlossen.

Ein Verfügungsanspruch ist gegeben.

Dem Antragsteller steht gegen die Antragsgegnerin aus dem mit ihr abgeschlossenen Nutzungsvertrag ein Anspruch auf Veröffentlichung des von ihm abgegebenen Kommentars sowie auf Aufhebung der Sperre seines Accountes zu.

Nach dem vom Antragsteller glaubhaft gemachten Sachverhalt hat er den von der Antragsgegnerin gelöschten Kommentar auf der unbeschränkt einsehbaren Facebookseite von RT Deutsch und damit auf einer allen Facebook-Nutzern zur freien Meinungsäußerung von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Seite gepostet. Die Antragsgegnerin löschte den Post und teilte dem Antragsteller mit, sein Beitrag verstoße gegen ihre Standards hinsichtlich Hassrede.

Sowohl die Löschung des Posts als auch die Sperre haben keine Grundlage in den vertraglichen Regelungen und verstoßen gegen § 242 BGB. Denn es handelt sich bei dem Post weder um eine Hassrede im Sinne der Gemeinschaftsstandards noch um eine rechtswidrige oder diskriminierende Äußerung, auch verletzt sie keine Rechte einer anderen Person oder verstößt gegen solche. Was die Antragsgegnerin unter Hassrede versteht, definiert sie in Punkt 12 ihrer Gemeinschaftsstandards. Hierin definiert sie Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Geschlechtsidentität, Behinderung oder Krankheit, Einwanderungsstatus in gewissem Umfang. Angriff wird als gewalttätige oder entmenschlichende Sprache, Aussage über Minderwertigkeit oder Aufruf, Personen auszuschließen oder zu isolieren, definiert und im folgenden weiter durch Beispiele eingeteilt in drei Schweregrade konkretisiert. Der Ausspruch "Slawa Ukraini" bedeutet "Ruhm der Ukraine". Weder dies noch die anschließenden Worte "ihr Mimosen" stellen sich hiernach als ein Angriff dar. Der Ausdruck "ihr Mimosen", der auf die Reaktion des Artikels der russischen RT-Deutsch erfolgte und damit auf den Umgang mit der Niederlage der russischen Nationalmannschaft im Viertelfinale der Fußballweltmeisterschaft anspielt, stellt sich als eine eher humoristische Gesellschaftskritik dar. Humor und Gesellschaftskritik lässt die Antragsgegnerin nach Ziffer 12 ihrer Gemeinschaftsstandards ausdrücklich zu.

Der Antragsteller hatte daher nicht gegen Ziffer 2.1 der Nutzungsbedingungen verstoßen. Dadurch, dass die Antragsgegnerin dennoch den Post gelöscht und den Account des Antragstellers für 30 Tage sperrte, während sie andere vergleichbare, zum Teil sogar wortgleiche Post, weiterhin veröffentlichte und die Accounts ihrer Autoren nicht sperrte, verstößt sie gegen § 242 BGB in Verbindung mit einer mittelbaren Drittwirkung des Art. 3 Abs. 1 GG.

Zwar enthält das vom Grundsatz der Privatautonomie beherrschte bürgerliche Recht keine über eine mittelbare Drittwirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes begründbare allgemeine Pflicht zur gleichmäßigen Behandlung sämtlicher Vertragspartner. Die mittelbare Geltung des Art. 3 Abs. 1 GG im Verhältnis einzelner Privatrechtssubjekte zueinander setzt ein soziales Machtverhältnis voraus (BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 - XI ZR 22/12 -, juris). Dieses ist vorliegend jedoch gegeben. So hat das BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 - 1 BvR 3080/09 - in Bezug auf einen bundesweiten Ausschluss aus Fußballstadien entschieden, dass maßgeblich für die mittelbare Drittwirkung des Gleichbehandlungsgebots dessen Charakter als einseitiger, auf das Hausrecht gestützter Ausschluss von Veranstaltungen sei, die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden und der für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheide. Indern ein Privater eine solche Veranstaltung ins Werk setzt, erwachse ihm von Verfassungs wegen auch eine besondere rechtliche. Verantwortung. Er dürfe seine hier aus dem Hausrecht - so wie in anderen Fällen möglicherweise aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 - 1 BvR 3080/09 -, Rn. 41, juris). Dies gilt hier entsprechend für die Antragsgegnerin. Sie bietet ebenfalls ohne Ansehung der Person ihre Dienstleistung an, um einer breiten Öffentlichkeit die Teilhaben an den sozialen Medien zu ermöglichen und die grundgesetzlich durch Art. 5 GG verbürgte Meinungsfreiheit auszuüben. Aufgrund der strukturellen Überlegenheit besteht ein Machtverhältnis. Die hieraus resultierende Entscheidungsmacht darf sie nicht willkürlich zum Ausschluss einzelner Personen ohne sachlichen Grund nutzen. Hier steht Art. 5 GG ihrer Nutzer ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus Art. 14 GG entgegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung aus §§ 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, 3 ZPO. Bei der Fassung des Tenors hat die Kammer von ihrem Ermessen gemäß § 938 ZPO Gebrauch gemacht.




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