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LG Bamberg: Facebook muss bei Löschung von Nutzerbeiträgen Meinungsfreiheit beachten - Einstweilige Verfügung gegen unberechtigte Löschung und Accountsperre

LG Bamberg
Urteil vom 18.10.2018
2 O 248/18


Das LG Bamberg hat entschieden, dass Facebook muss bei Löschung von Nutzerbeiträgen und Sperrung von Accounts die Meinungsfreiheit beachten muss. Insofern besteht auch die Möglichkeit durch eine einstweilige Verfügung gegen eine unberechtigte Löschung und Accountsperre vorzugehen.


Aus den Entscheidungsgründen:

1. Ein Verfügungsgrund im Sinne von § 935, 940 ZPO, der eine vorläufige Sicherung oder Regelung im Eilverfahren zu rechtfertigen vermag, besteht anerkanntermaßen nur im Falle der Dringlichkeit. Eine solche Dringlichkeit oder Eilbedürftigkeit liegt vor, wenn eine objektiv begründete Besorgnis besteht, dass durch bevorstehende Veränderungen des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder wenn bei dauernden Rechtsverhältnissen die Regelung eines einstweiligen Zustands zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig ist (vgl. Zöller, ZPO, 32. Auflage, § 935 Rn. 10). Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ist unter Abwägung der sich im Einzelfall gegenüberstehenden Parteiinteressen zu prüfen. Gegen das Interesse des Antragstellers an der alsbaldigen Untersagung ist das Interesse des Antragsgegners abzuwägen, nicht aufgrund eines bloß summarischen Verfahrens mit einem Verbot belegt zu werden (OLG Düsseldorf Schlussurteil v. 25.8.2015 - 20 U 196/14, BeckRS 2015, 16904).

Die Eilbedürftigkeit (Dringlichkeit) wird im Äußerungsrecht regelmäßig daraus abgeleitet, dass mit einer jederzeitigen Wiederholung der beanstandeten Äußerungen zu rechnen ist (vgl. zu diesem Gesichtspunkt etwa Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 12 Rn. 144), was bei Medien ohne Weiteres angenommen werden kann (Prinz/Peters, MedienR, Fn. 243 zu Rn. 361). In der Praxis des Äußerungs- und Presserechts wird ein Verfügungsgrund, wenn keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, insbesondere durch Zuwarten gegeben ist, regelmäßig ohne Weiteres bejaht (vgl. etwa die Ausführungen bei Prinz/Peters, MedienR, Rn. 325; Korte, Praxis des PresseR, 2014, § 5 Rn. 108 mwN in Fn. 142; als Bsp. OLG Hamburg, NJW-RR 2008, 1435). „Die Selbstwiderlegung der Dringlichkeit durch zu langes Zuwarten ist als allgemein anerkannter Grundsatz des einstweiligen Rechtsschutzes im Zivilprozessrecht anzusehen (KG, NJW-RR 2001, 1201 [1202]; MüKoZPO/Drescher, 4. Aufl. 2012, § 935 Rn. 18 ff.). Ein solches ist nach der Rechtsprechung des Senats in der Regel bei einem Zuwarten von mehr als 8 Wochen bzw. 2 Monaten ab Kenntniserlangung von der Rechtsverletzung anzunehmen (OLG Stuttgart, OLG-Report 2009, 633 [634] = BeckRS 2009, 10790 und NZBau 2010, 639 [640] = NJOZ 2010, 2408, jeweils zum UrheberR) (siehe OLG Stuttgart, Urteil vom 23.9.2015 - 4 U 101/15; so auch Drescher in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2012, § 935, Rn 15-23).“

Nach diesen Maßstäben ist vorliegend die Dringlichkeit zu bejahen und ein dringlichkeitsschädliches Zuwarten zu verneinen:

Hierzu wird seitens des Verfügungsklägers vorgetragen, er habe mit seinem Kommentar nicht nur aufgefordert, die gegenständliche Petition zu zeichnen, sondern ebenfalls seine Meinung insoweit kundgetan, als er, der Verfügungskläger, diese Petition unterstütze. Die Unterstützung der Petition sei sein Recht auch nach Ablauf der offiziellen Zeichnungsfrist. Die Meinungsfreiheit des Verfügungsklägers sei hier zu beachten.

Am 03.06.2018 fand ein schriftlicher Meinungsaustausch zwischen Verfügungskläger und Verfügungsbeklagter zu der Frage der Löschung des Beitrags und der Sperre des Accounts statt und am 05.06.2018 wurde dem Verfügungskläger mitgeteilt, die Sanktion werde aufrechterhalten. Zum Zeitpunkt des Antragseingangs bei Gericht am 06.07.2018 waren damit zwar sowohl die Mitzeichnungsfrist für die vom Verfügungskläger unterstützte Petition zur „Erklärung 2018“ als auch die Accountsperre von 30 Tage bereits abgelaufen. Aufgrund des vorprozessualen Verhaltens der Prozessbeteiligten liegt jedoch nahe, dass entsprechende Reaktionen seitens der Verfügungsbeklagten auch bei künftigen die genannte Erklärung betreffenden Postings des Verfügungsklägers folgen werden. Daher besteht - auch mit Blick darauf, dass über die Petition bezüglich der „Erklärung 2018“ bislang noch nicht in öffentlicher Sitzung verhandelt wurde - das Risiko des Verfügungsklägers, dass weitere identische Postings möglicherweise ebenfalls entfernt und sein Account erneut aus diesem Grund gesperrt werden wird. Deshalb ist über eine vorläufige Sicherung oder Regelung im Eilverfahren zu entscheiden, da dem Verfügungskläger nicht zuzumuten ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit ist ebenfalls nicht festzustellen, da jedenfalls kein Zeitraum von zwei Monaten verstrichen ist seit der durch den Verfügungskläger angegriffenen Maßnahme der Verfügungsbeklagten.

Die Wiederholungsgefahr ergibt sich vorliegend bereits aus dem Beharren der Verfügungsbekagten auf der Rechtmäßigkeit ihrer ergriffenen Maßnahmen. Hinzu kommt, dass aufgrund der im Rahmen einer Petition anhängigen „Erklärung 2018“ es kein gangbarer Weg ist, den Verfügungskläger auf die Hauptsache zu verweisen. Wenngleich vorliegend eine gewisse Vorwegnahme der Hauptsache nicht zu vermeiden ist, da inhaltlich - wie seitens der Verfügungsbeklagten zu Recht eingewandt wurde - in vollem Umfang sowohl der Kommentar als auch die der Löschung desselben zugrundeliegenden Gemeinschaftsstandards der Verfügungsbeklagten vollumfänglich zu prüfen sind, rechtfertigt die bestehende Dringlichkeit aus den vorgenannten Gründen eine Entscheidung im einstweiligen Rechtschutzverfahren. Bei Abwarten eines Hauptsacheverfahrens wäre das Recht des Verfügungsbeklagten für den zu erwartenden Zeitraum effektiv vereitelt (so im Ergebnis auch OLG München vom 24.08.2018, 18 W 1294/18).

2. Ein Verfügungsanspruch zugunsten des Verfügungsklägers liegt ebenfalls vor. Ein solcher ergibt sich aus §§ 241 Abs. 2 i.V.m. 1004 BGB. Eine Rechtsgrundlage für das Löschen des konkreten Beitrags des Verfügungsklägers und die darauf gestützte Sperre seines Accounts ist in den vertraglichen Regelungen nicht ersichtlich, insbesondere war die Verfügungsbeklagte hierzu auch unter Anwendung ihrer eigenen allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht berechtigt.

Die Löschung des streitgegenständlichen Kommentars und die darauf gestützte Sperre des Accounts stellen eine Pflichtverletzung hinsichtlich der vertraglich eingeräumten Nutzungsmöglichkeit dar, da sie ohne rechtliche Grundlage erfolgt sind. Sie stellen daher einen Verstoß gegen die wirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das heißt Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards, der Verfügungsbeklagten dar.

a) Zwischen den Parteien wurde ein Vertragsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten begründet, in das die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Verfügungsbeklagten nebst Anlagen als Vertragsinhalt durch Veröffentlichung auf deren Homepage wirksam einbezogen wurden.

Unstreitig hat sich der Verfügungskläger im sozialen Netzwerk der Verfügungsbeklagten mit einem persönlichen Profil angemeldet. Es handelt sich vorliegend um einen Vertrag sui generis, der den Verfügungskläger insbesondere dazu berechtigt, die Plattform der Verfügungsbeklagten zu nutzen und zwar dergestalt, dass die Verfügungsbeklagte mit ihrer Plattform eine digitale Infrastruktur zur Verfügung stellt, die es den angemeldeten Nutzern ermöglicht, miteinander zu kommunizieren sowie Inhalte durch Postings oder das Teilen derselben auszutauschen. Durch die Nutzung der Internetplattform der Verfügungsbeklagten stehen den Nutzern diverse Kommunikationsmöglichkeiten zum Zwecke des Kommunikations-/Meinungs-/Informationsaustauschs zur Verfügung. Zwar ist die Nutzung der Plattform für Privatpersonen unentgeltlich, ein Vertragsverhältnis wird aber gleichwohl durch das Zur-Verfügungstellen der Nutzungsmöglichkeiten durch die Verfügungsbeklagte einerseits und das Nutzen dieser Möglichkeiten durch den Nutzer - hier den Verfügungskläger - andererseits begründet.

Gegenstand des so begründeten Vertragsverhältnisses sind unstreitig die von der Verfügungsbeklagten in den Vertrag wirksam einbezogenen „Gemeinschaftsstandards“ sowie die sogenannten „Facebookrichtlinien“.

Bei den Nutzungsbedingungen und den Gemeinschaftsstandards, auf die in Nummer 1.2 der Nutzungsbedingungen ausdrücklich Bezug genommen wird, handelt es sich um für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Vertragsbedingungen und damit um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der § 305 ff. BGB.

Aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisses war der Antragsteller grundsätzlich berechtigt, Kommentare auf seinem Profil zu erstellen. Dies ergibt sich bereits aus der Nummer 3.2 der vorgelegten Nutzungsbedingungen der Verfügungsbeklagten (Anlage AG1), in der es heißt: „Wir möchten, dass Menschen Facebook nutzen, um sich auszudrücken und Inhalte zu teilen, die Ihnen wichtig sind“. Auch das streitgegenständliche Einstellen des Kommentars beruht auf dem Vertrag zwischen Verfügungskläger und Verfügungsbeklagte. Letztere ist aufgrund des geschlossenen Vertrags rechtsverbindlich eine Verpflichtung gegenüber dem Verfügungskläger eingegangen, grundsätzlich Kommentare bzw. deren Veröffentlichung und Teilen zu dulden.

Die Verfügungsbeklagte ist hingegen nur unter den vertraglich geregelten Vorgaben ihrer Gemeinschaftsstandards, soweit diese wirksam sind, sowie aufgrund ihrer Nutzungsbedingungen, die in Nummer 3.2 auf die Gemeinschaftsstandards und sonstige Bedingungen und Richtlinien ausdrücklich Bezug nehmen, berechtigt, sich von ihrer vertraglichen Verpflichtung, nämlich des Zulassens der Nutzung durch Kommentare und das Posten derselben, zu lösen. Diese Sanktionierungsmöglichkeit findet sich ebenfalls in Nummer 1.2 der Nutzungsbedingungen (Anlage AG1).

b) Die Nutzungsbedingungen der Verfügungsbeklagten sowie die daran anknüpfenden Gemeinschaftsstandards halten einer Überprüfung nach dem geltenden Recht über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen stand.

aa) Die in Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards niedergelegte Definition der sogenannten „Hassrede“ sowie auch die sich hieran anknüpfende Sanktion aus Ziffer 3.2 der Nutzungsbedingungen der Beklagten verstößt nicht gegen die geltende Vorschrift des § 307 I S. 2 oder II BGB. Die Entfernung von bestimmten Beiträgen sowie sonstige Sanktionen, wie sie in Ziffer 3.2 der Nutzungsbedingungen geregelt ist, ist auch für den jeweiligen Verbraucher als Nutzer an objektivierbare Kriterien angeknüpft. Die Klausel an sich ist auch nicht intransparent, dies insbesondere nicht wegen der Verweisung auf weitere Regelwerke wie zum Beispiel die ebenfalls hier gegenständlichen Gemeinschaftsstandards.

Die Gemeinschaftsstandards (Anlage AG2) selbst enthalten eine Definition des Begriffs der sogenannten „Hassrede“, die der hier gegenständlichen Löschung zugrunde liegt. Darin heißt es:
„Grundgedanke dieser Richtlinie Wir lassen Hassrede auf Facebook grundsätzlich nicht zu.
Hassrede schafft ein Umfeld der Einschüchterung, schließt Menschen aus und kann in gewissen Fällen Gewalt in der realen Welt fördern.
Wir definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Kaste, Geschlecht, Geschlechtsidentität, Behinderung oder Krankheit.
Auch Einwanderungsstatus ist in gewissem Umfang eine geschützte Eigenschaft. Wir definieren Angriff als gewalttätige oder entmenschlichende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren. Wir teilen Angriffe wie unten beschrieben in drei Schweregrade ein.
Manchmal teilen Menschen Inhalte, die Hassreden einer anderen Person enthalten, um für ein bestimmtes Thema zu sensibilisieren oder Aufklärung zu leisten. So kann es vorkommen, dass Worte oder Begriffe, die ansonsten gegen unsere Standards verstoßen könnten, erklärend oder als Ausdruck von Unterstützung verwendet werden. Dann lassen wir Inhalte zu, erwarten jedoch, dass die Person, die den Inhalt teilt, ihre Absicht deutlich macht, so dass wir den Hintergrund besser verstehen können. Ist diese Absicht unklar, wird der Inhalt unter Umständen entfernt.
Wir lassen Humor und Gesellschaftskritik in Verbindung mit diesen Themen zu. Wir sind außerdem der Ansicht, dass die Nutzerinnen und Nutzer, die solche Kommentare teilen, verantwortungsbewusster handeln, wenn sie ihre Klarnamen verwenden. (…)"…

Die Definition selbst ist - wie dargestellt - ausführlich gehalten und in leicht verständlicher Sprache verfasst sowie mit vielerlei Beispielen versehen.

Die im Grundgedanken der Richtlinie genannten Schweregrade finden sich direkt unterhalb des Einleitungstextes, jeweils verdeutlicht mit Beispielen, so dass für jeden Nutzer, der die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards zur Kenntnis nimmt, zugleich erkennbar (und einschätzbar) ist, welche Art von Kommentar(en) von der Verfügungsbeklagten nach deren Auffassung unter „Hassrede“ fällt und welche Sanktionsmöglichkeiten der Plattformbetreiber in der Folge hat.

Beispielhaft lautet der Text zu Schweregrad drei:
„Angriffe mit dem Schweregrad 3 sind Angriffe, die zum Ausschluss oder der Isolation einer Person oder Personengruppe aufgrund oben aufgeführten Eigenschaften aufrufen. Wir lassen Kritik an Einwanderungsgesetzen und Diskussionen über die Einschränkung dieser Gesetze zu.“

In diesem Zusammenhang bleibt die Transparenz der Regelung auch dann erhalten, wenn sie -wie geschehen - auch Meinungsäußerungen im Sinne des Art. 5 I GG umfasst.

bb) Auch eine überraschende Klausel im Sinne des § 305 c BGB liegt in Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards nicht vor. Überraschende Klauseln sind solche, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zurechnen braucht (vgl. z.B. BeckOGK, Stand 01.07.2018, § 305c Rnr 8). Bereits nach dem äußeren Erscheinungsbild der Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards sind diese nicht als ungewöhnlich im Sinne der vorgenannten Definition zu bezeichnen. Ob eine Klausel ungewöhnlich ist, beurteilt sich nach den Gesamtumständen des Vertrags insbesondere danach, ob eine Klausel vom Leitbild des Vertragstyps oder von den üblichen Vertragsbedingungen oder dem dispositiven Recht erheblich abweicht (vgl. BGH in NJW 1992, 1236; BGHZ 121, 113; OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 - 4 W 577/18 BeckRS 2018, 18249, Rn. 15).

Aufgrund der bereits seit Jahren fortschreitenden Digitalisierung ist jedem Internetnutzer hinlänglich bekannt, dass Internet-Foren, Internet-Communities und sonstige Internetplattformen mittels Nutzungsbedingungen festlegen, wie und in welchem Umfang der jeweilige Dienst zur Verfügung steht. Allein aus dem unstreitigen Vortrag des Verfügungsklägers wird ersichtlich, dass diesem sowohl die Nutzungsbedingungen als auch die Gemeinschaftsstandards bei Vertragsabschluss und somit auch bei Nutzung für den gegenständlichen Kommentar bekannt waren. Auch und insbesondere abgestellt auf einen durchschnittlichen Nutzer ist die Klausel nicht ungewöhnlich und damit einhergehend auch nicht überraschend. Die sogenannte „Netiquette“ ist in der heutigen Zeit jedem Internetnutzer ein Begriff, weswegen auch jedem Internetnutzer klar ist, dass nicht jede Art von Äußerung, gleichgültig ob sie unter den Begriff der Meinungsfreiheit zu subsumieren ist oder nicht, von Netzwerkbetreibern geduldet wird ( vgl. hier auch OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 - 4 W 577/18, ebd., .a.a.O. Randnummer 15) und aufgrund der geltenden Privatautonomie auch nicht ohne Weiteres geduldet werden muss.

cc) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht mit Blick auf § 3 NetzDG. Diese Vorschrift verpflichtet den Netzwerkbetreiber zwar dazu, offensichtlich rechtswidrige Inhalte i.S. d. § 1 Abs. 2 NetzDG zu löschen, verbietet aber umgekehrt nicht, im Wege der Privatautonomie strengere Maßstäbe anzusetzen. Mit Einführung des NetzDG sind lediglich Mindestanforderungen bezüglich des Löschens von Kommentaren - oder abstrakt gesprochen: eines Eingreifens des Netzwerkbetreibers - geschaffen worden. Die Befugnis des Betreibers, durch eigene Vertragsbedingungen (weiteres) unzulässiges Handeln festzulegen, bleibt hiervon jedoch unberührt (so im Ergebnis auch OLG Dresden, a.a.O.).

dd) Der abstrakt generelle Ausschluss bestimmter Meinungsäußerungen darf von Netzwerkbetreibern - hier der Verfügungsbeklagten - auch vorgenommen werden, dies bereits in Ausübung der auch für sie geltenden Grundrechte der Artt. 2, 12 und 14 GG und der hiervon geschützten Freiheiten (so im Ergebnis auch OLG Dresden, a.a.O.).

Die Verfügungsbeklagte greift durch die gegenständlichen Regelungen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen in die Grundrechte ihrer Kunden, namentlich Art. 5 GG, ein. Grundrechte stellen grundsätzlich Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat dar; gleichwohl sind diese auch im privatrechtlichen Bereich zu berücksichtigen und finden dort Eingang über ihre mittelbare Drittwirkung.

Zur Bewertung von Klauseln sind auch im Privatrecht über die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte Wertungen des Grundgesetzes heranzuziehen, dies im Sinne einer mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten (vgl. Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2016, § 307 Rn. 53), die - wie vorliegend - dazu führt, dass vertragliche Vereinbarungen zum Zwecke des Grundrechtsschutzes eng auszulegen sind.

Die Grundrechte des Grundgesetzes binden als solche Abwehrrechte nach Art. 1 III GG Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht (vgl. hierzu z.B. Papier in NJW 2017, 3025 ff.). Gleichwohl entfalten Grundrechte im Rahmen der Auslegung einfachgesetzlicher Regelungen und hierauf fußender auslegungsfähiger Vertragsbedingungen mittelbare Wirkung, die umso mehr Geltung für sich beansprucht, je mehr die Regelung einem staatlichen Eingriff gegenüber einem Bürger nahe kommt.

Dabei kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfGE 129, 78). Die Reichweite der mittelbaren Grundrechtswirkung hängt dabei von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Maßgeblich ist, dass die Freiheitssphären der Bürgerinnen und Bürger in einen Ausgleich gebracht werden müssen, der die in den Grundrechten liegenden Wertentscheidungen hinreichend zur Geltung bringt. Dabei können insbesondere auch die Unausweichlichkeit von Situationen, das Ungleichgewicht zwischen sich gegenüberstehenden Parteien, die gesellschaftliche Bedeutung von bestimmten Leistungen oder die soziale Mächtigkeit einer Seite eine maßgebliche Rolle spielen (vgl. BVerfGE 89, 214; BVerfG, Beschluss vom 11.4.2018 - 1 BvR 3080/09; NJW 2018, 1667, beckonline).

Vorliegend besteht eine vertragliche Verpflichtung, wie bereits dargestellt, darin, dass die Verfügungsbeklagte eine Plattform zur Verfügung stellt, die nach ihren eigenen Nutzungsbedingungen für ihre Nutzer ein Mittel zur öffentlichen Meinungsdarstellung und -diskussion sein soll. Es wird also eine Art „öffentlicher Marktplatz“ zur Nutzung bereitgestellt, weswegen im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten gewährleistet sein muss, dass aufgrund Art. 5 GG, eine zulässige Meinungsäußerung nicht entfernt wird (vgl. zum Gesamtkontext OLG München vom 24.08.2018, 18 W 1294/18, BeckRS 2018, 20659 Rn. 26 mit weiteren Nachweisen).

Es hat bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der seitens der Verfügungsbeklagten angewandten Bedingungen grundsätzlich eine Abwägung stattzufinden zwischen der Meinungsfreiheit des Verfügungsklägers einerseits und den für die Verfügungsbeklagte streitenden Grundrechten der Artt. 2, 12 und 14 GG andererseits. Dabei sind die allgemeine Handlungs-, Berufsausübungsfreiheit und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Wege der praktischen Konkordanz in Ausgleich zu bringen mit Art. 5 GG. Auch insoweit entfalten die Grundrechte keine unmittelbare, sondern nur eine Ausstrahlungswirkung.

Eine Beeinträchtigung der Grundrechte der Verfügungsbeklagten ist nicht anzunehmen, weil sie mittels ihrer - auch akzeptierten - Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards gerade von ihren Grundrechten Gebrauch macht und diese zur Bewertung bzw. Auslegung der vertraglichen Regelungen umgekehrt wieder heranzuziehen sind. Nach ihren eigens auferlegten Möglichkeiten der Sanktionierung eines Nutzers bei Vorliegen z.B. eines Verstoßes wie dem vorliegenden, hat die Verfügungsbeklagte Gebrauch gemacht von der ihr zustehenden Freiheit, bestimmte Inhalte im Rahmen ihrer Diensteausübung nicht zu dulden und ihr Eigentum mittels Löschung und Sperrung zu schützen.

Soweit die Grundrechte des Verfügungsklägers betroffen sind, hat diese die Verfügungsbeklagte in Ausübung ihrer Rechte aufgrund ihrer Quasi-Monopolstellung in erhöhtem Maße zu beachten.

Aufgrund der hohen Anzahl der Nutzer der Plattform der Verfügungsbeklagten, kommt dieser eine Stellung im öffentlichen Leben zu, die nahezu keinem anderen sozialen Netzwerk zuteil wird.

So wird facebook.com alleine in Deutschland von ca. 30 Millionen Nutzern genutzt (Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37545/umfrage/anzahlderaktivennutzervon-facebook/). Aufgrund der hohen Nutzerzahlen nimmt die Plattform der Verfügungsbeklagten daher einen Stellenwert im Rahmen des Informations- und Meinungsaustauschs ein, der in allen Bereichen des öffentlichen Lebens - auch des politischen - eine so große Rolle spielt, dass damit eine Quasi-Monopolstellung (so auch OLG Dresden vom 08.08.2018, BeckRs 2018, 18249 Rn. 19) einhergeht, im Rahmen derer die Grundrechte nahezu unmittelbar Geltung beanspruchen können.

Je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung kann die mittelbare Grundrechtsbindung von Privaten einer Grundrechtsbindung des Staates nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die - wie die Sicherstellung der Post- und Telekommunikationsdienstleistungen - früher dem Staat als Aufgabe der Daseinsvorsorge zugewiesen waren (so BVerfG vom 22.02.2011 - 1 BvR 699/06, BeckRS 2011, 47764 Rn. 59). So liegt der Fall hier, so dass bei Anwendung der vorliegenden Gemeinschaftsstandards der Verfügungsbeklagten als allgemeine Geschäftsbedingungen diese zugunsten der Meinungsfreiheit des Verfügungsklägers eng auszulegen sind.

Das pauschale Verwahren der Verfügungsbeklagten gegen die Annahme einer QuasiMonopolstellung geht ins Leere, denn es wurde nichts vorgetragen, das die Annahme einer Quasi-Monopolstellung in Abrede hätte stellen können.

In diesem Zusammenhang hat die Kammer auch den Einwand der Verfügungsbeklagten berücksichtigt, dass dieser im Sinne eines virtuellen Hausrechts gestattet sein muss, Kommentare zu löschen. Es wäre vielmehr mit dem zu treffenden Ausgleich der hier dargestellten widerstreitenden Grundrechtspositionen auf beiden Seiten im Wege der praktischen Konkordanz unvereinbar, wenn die Verfügungsbeklagte, gestützt auf ein „virtuelles Hausrecht“, auf der von ihr bereitgestellten Plattform den Beitrag eines Nutzers, in dem sie einen Verstoß gegen ihre Standards sieht, auch dann löschen dürfte, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschreitet (OLG München, a.a.O., Rn. 28 a.E.) und im Übrigen der Wortlaut der Standards selbst eine Löschung des Kommentars - wie bereits erläutert - nicht ermöglicht.

Nach alledem sind die Klauseln (Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards) daher auch unter dem Aspekt der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten wirksam, insbesondere lässt deren konkrete Formulierung Raum für eine grundrechtskonforme Auslegung.

c) Ein gelöschter Kommentar mit anschließender Accountsperre auf Grundlage eines Vertrages, dessen Inhalt sich an Art. 2, 12 und 14 GG zu bemessen hat und der nach obigen Ausführungen für den hier gegenständlichen Teil in vollem Umfang wirksam ist, ist zunächst auch an dem Vertrag selbst zu messen. Da der Kommentar nicht unter die vertraglich eingeräumte Sanktionierungsmöglichkeit fällt, ist er im Ergebnis zuzulassen und zu dulden.

Die Prüfung, ob der Kommentar unter Berufung auf diese Klauseln zu Recht gelöscht wurde, ist unter Anwendung des Vertragsinhalts im Lichte des Art. 5 GG vorzunehmen. Eine solche Prüfung ergibt, dass - auch wenn aus vorstehenden Gründen die Gemeinschaftsstandards der Verfügungsbeklagten in Ziffer 12 keinen unmittelbaren Verstoß gegen die Meinungsfreiheit darstellen, weil sie nur jene Verstöße sanktionieren, die - verkürzt dargestellt - Hass schüren können - der streitgegenständliche Kommentar mit der darin enthaltenen „Erklärung 2018“ nicht unter den Begriff der „Hassrede“ im Rahmen einer engen Auslegung zu fassen ist.

Dies hat zur Folge, dass es der Verfügungsbeklagten im konkreten Fall verwehrt war, von den vertraglich vereinbarten Sanktionsmöglichkeiten Gebrauch zu machen.

Die „Erklärung 2018“, die Gegenstand einer laufenden Petition im Bundestag ist, stellt keine „Hassrede“ im Sinne der Gemeinschaftsstandards dar.

aa) Hassrede ist in Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards definiert als direkter Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften wie beispielsweise nationaler Herkunft, religiöser Zugehörigkeit etc. Auch Einwanderungsstatus ist als geschützte Eigenschaft in gewissem Umfang genannt. Angriff selbst wird definiert als gewalttätige oder entmenschlichende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren (Anlage AG3). Sodann werden Angriffe in drei Schweregrade unterteilt.

Der vorliegende Kommentar inklusive seiner in Volltext abgedruckten „Erklärung 2018“ enthält keine offensichtlich gewalttätige oder unmittelbar herabwürdigende Sprache. Auch wird darin nicht offen dazu aufgerufen, Einwanderer zu isolieren.

In Betracht kommt daher als Grundlage der Sanktionierung des Verfügungsklägers bzw. der Nutzung des Verfügungsklägers allenfalls eine „Hassrede“ nach der Definition des Schwergrades 2 oder 3 in den Gemeinschaftsstandards.

Unter Schweregrad 2 sollen Angriffe fallen, die auf eine Person oder Personengruppe abzielen mit Aussagen über deren Minderwertigkeit oder Bilder, die implizieren, dass eine Person oder Gruppe körperliche, geistige oder moralische Defizite aufweist.

(1) Der von dem Verfügungskläger einleitende Satz in seinem Kommentar „Wer diese Petition noch nicht unterschrieben hat, soll das bitte bis 17.06. Tun! (…)“ stellt für sich betrachtet keinen Angriff im Sinne einer Hassrede dar, sondern bringt lediglich zum Ausdruck, dass er selbst die gegenständliche Petition unterstützt und unterstützt wissen will, weswegen er zur Mitzeichnung aufruft.

(2) Der im Anschluss vollständig abgedruckte Text der „Erklärung 2018“, die als Petition im Bundestag eingereicht wurde, fällt ebenfalls nicht unter den Begriff der Hassrede in deren Schwergrad 2.

Zwar enthält die Erklärung Tatsachen und Wertungen auch hinsichtlich illegaler Einwanderung, allerdings sind diese bezogen auf einen aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussionspunkt fußend auf der Einwanderungs(grenz) politik und damit Teil dessen, was die Verfügungsbeklagte aufgrund ihrer Quasi-Monopolstellung als Meinung im Sinne des Art. 5 GG zuzulassen hat.

Die Verfügungsbeklagte verhält sich daher nach Auffassung der Kammer widersprüchlich und daher auch nicht vertragstreu, wenn dem Nutzer im Rahmen der Gemeinschaftsstandards per definitionem erlaubt ist, entsprechende Kritik zu äußern, um diese Kritik im Anschluss zu verbieten. Dabei muss außer Acht bleiben, ob die Meinung von der Verfügungsbeklagten geteilt wird oder nicht, ob sie moralisch oder unmoralisch erscheint, da grundsätzlich jede Meinung erlaubt sein muss, die Rechte Dritter nicht verletzt. Letzteres ist nach dem Wortlaut des Kommentars nicht der Fall.

Im Schweregrad 3 wird klargestellt: „Wir lassen Kritik an Einwanderungsgesetzen und Diskussionen über die Einschränkung dieser Gesetze zu.“

Eine solche Kritik liegt vorliegend in der von dem Verfügungskläger geposteten „Erklärung 2018“, die keine offene Beleidigung gegenüber Einwanderern und auch keine offene Hetze enthält und damit von der Verfügungsbeklagten geduldet werden muss. Ausschlaggebend für dieses Ergebnis ist eine im Lichte des Art. 5 GG vorzunehmende Interpretation des Textes.

(3) Die Interpretation einer Äußerung setzt die Ermittlung ihres objektiven Sinnes aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums voraus. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst und einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. OLG München vom 24.08.2018 - 18 W 1294/18, Beck RS 2018, 20659 Rnr. 31 mit Verweis auf BGH Urteil vom 12.04.2016 - VI ZR 505/14, Rnr. 11 m.w.N.). Fernliegende Deutungen sind auszuscheiden. Es ist der Sinn einer Äußerung unter Zugrundelegung des vorstehend erörterten Maßstabes der weiteren Prüfung zugrunde zu legen.

Zeigt sich, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum eine Äußerung als mehrdeutig wahrnimmt oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist von einem mehrdeutigen Inhalt auszugehen, so OLG München, ebd., a.a.O., unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 - 1 BvR 1696/98, Rnr. 31).

Vorliegend kann unter Zugrundelegung der vorstehenden Grundsätze der streitgegenständliche Kommentar des Verfügungsklägers wie folgt interpretiert werden:
(3.1)

Diejenigen, die die sogenannte „Erklärung 2018“ unterstützen, beobachten eine Beschädigung Deutschlands durch illegale Masseneinwanderung und wollen die „Wiederherstellung des rechtsstaatlichen Grenzregimes“. In der Erklärung ist die Rede von einem „ungebremsten Zustrom“, einer „Asylmaschinerie“. Es werden sodann die Auswirkungen aufgezeigt, die die Unterstützer der Erklärung 2018 aufgrund der von ihnen genannten „illegalen Masseneinwanderung“ als gegeben sehen. Hierzu werden statistische Werte von Delikten genannt und der Anteil hieran, der auf „Asylbewerber“ zutreffen soll. Für einen verständigen unvoreingenommenen Leser ist augenscheinlich, dass diese Zahlen aus einer polizeilichen und/oder jedenfalls medial veröffentlichten Statistik stammen.

Dabei kann der Einwand der Verfügungsbeklagten, der Text der Petition sei hinsichtlich der wiedergegebenen Zahlen und in Beziehung zu diesen Zahlen stehenden Delikten geändert worden, dahinstehen, da es auf die Interpretierung nur des gelöschten Kommentars ankommt. Die Verfügungsbeklagte trägt hierzu vor, dass hinsichtlich der Zahlen aus der Kriminalstatistik bereits seitens der Politik eben diese nach unten korrigiert wurden bzw. ein falscher Wortlaut wiedergegeben sein soll, der korrigiert wurde. Dieser sei durch den Verfügungskläger bewusst im Rahmen seines Kommentars nicht berücksichtigt worden. Auch fände man z.B. nicht den Begriff des „Asylbewerbers“, sondern den des „tatverdächtigen Zuwanderers“. Es sei auch nicht die Rede von „begangenen Sexualstraftaten“. Alleine aus diesem Aspekt sei ersichtlich, dass es sich bei dem von dem Verfügungskläger geposteten Kommentar, der den Wortlaut der „Erklärung 2018“ wiedergibt, um einen Angriff auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, nämlich die Einwanderer, handle. Es sei hier bewusst ein falsches Bild über Einwanderer verbreitet worden; dies nicht nur bayernweit, sondern bundesweit. Dies erfülle zwar nicht den schwersten Schweregrad der Definition von Hassrede, jedoch jedenfalls einen.

Maßgeblich ist die Interpretation der Äußerung, die getätigt wurde, da nur sie Gegenstand der Löschung war. Die Argumentation der Verfügungsbeklagten verfängt daher nicht.

Des Weiteren ist in der „Erklärung 2018“ von „islamistischem Terror in Deutschland und den europäischen Nachbarstaaten“ die Rede. In diesem Zusammenhang wird auch genannt, dass trotz dieser Situation „junge Männer ohne geklärte Identität, Alter, Herkunftsland und Grund für den Einreisewunsch nach Deutschland“ einreisen dürften. Es ist von einem Vertrauen in das staatliche Gewaltmonopol die Rede, das „zersetzt“ werde. Des Weiteren ist, unter Bezugnahme auf den „Bremer Skandal um das dortige BAMF“, von einem „Schutzstatus“ von „Terrorverdächtigen“ die Rede.

Aufgrund des Einleitungssatzes des Verfügungsklägers erkennt ein verständiger und unvoreingenommener Leser des Kommentars einerseits, dass es sich bei dem folgenden Text um eine im Bundestag anhängige Petition handelt und zum anderen, dass man diese Meinung bei Bedarf durch Mitzeichnung teilen könne, jedoch aber nicht muss.

Zwar wird durch die Aneinanderreihung bestimmter Begriffe in der Erklärung 2018 ein gewisser Zusammenhang für den unvoreingenommenen Leser dahingehend hervorgerufen, dass der / die Verfasser der „Erklärung 2018“ augenscheinlich die Meinung vertreten, dass ein unkontrolliertes, illegales Einwandern über deutsche Grenzen zu einem Anstieg bestimmter Straftaten in Deutschland und so auch zu Spannungen im Inland führt. Gleichwohl ist in der Zusammenschau zwischen dem einleitenden Satz des Verfügungsklägers und dem daraufhin folgenden Inhalt der „Erklärung 2018“ für einen unvoreingenommenen und verständigen Leser auch ersichtlich, dass sich der Verfügungskläger an einer aktuell geführten Debatte zu Grenzkontrollen und deren möglicher Unterstützung beteiligt.
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Mit dieser Interpretation und dem so ermittelten Aussagegehalt kann die streitgegenständliche Äußerung nicht als direkter Angriff auf bestimmte Personengruppen wegen ihrer Rasse oder Religion gesehen werden. Es handelt sich bei dem Kommentar um die Teilnahme an einer politischen und wohl auch gesellschaftspolitischen Debatte, die im Übrigen nach dem Wortlaut der Gemeinschaftsstandards selbst von der Verfügungsbeklagten zu dulden ist.
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Der Einwand der Verfügungsbeklagten dahingehend, dass durch den Kommentar des Verfügungsklägers bewusst ein falsches Bild über Asylbewerber geschaffen wird, geht insoweit fehl, als der Verfügungskläger mit seinem einleitenden Satz selbst klar macht, dass es letztlich jedem Leser frei steht, sich der Erklärung 2018 und ihrem Inhalt anzuschließen oder nicht. Die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme einer Aneinanderreihung von Tatsachenbehauptungen, wie sie in der „Erklärung 2018“ zu finden ist, rechtfertigt nicht die Annahme, dass es sich bei dem Kommentar um ein offenes Aufstacheln oder eine offensichtlich Hetze gegen Einwanderer handelt. Eine kritische, Befürchtungen äußernde Ansicht und das Begründen dieser Ansicht mit der derzeitigen Einwanderungs- und Grenzpolitik, die wohl Grundlage der Petition ist, ist einer Hetze im Sinne einer Hassrede, wie die Verfügungsbeklagte sie mittels ihrer Gemeinschaftsstandards verbieten will, nicht gleichzustellen.
(3.2)

Die „Erklärung 2018“ und damit einhergehend der Kommentar des Verfügungsklägers lässt zwar als eine andere mögliche Interpretation grundsätzlich auch die zu, dass sämtliche illegal nach Deutschland eingewanderten Personen straffällig werden oder sich möglicherweise dem islamistischen Terror zugewandt sehen, zwingend ist diese Interpretation jedoch nicht. Wörtlich ist dies der „Erklärung 2018“ nicht zu entnehmen und eine Mehrdeutigkeit hinsichtlich der Auslegung einer der Meinungsfreiheit unterstehenden Äußerung wirkt sich schon aus Gründen des Grundrechtsschutzes immer zugunsten derjenigen Interpretation aus, die für den Verwender günstiger ist.

bb) Dass der Post einen Straftatbestand wie etwa §§ 111, 130 StGB oder § 166 StGB erfüllt, ist nicht ersichtlich. Auch beleidigender Inhalt ist in dem Kommentar nicht festzustellen, so dass sich auch keine rechtliche Verpflichtung der Verfügungsbeklagten ersehen lässt, die die Löschung des Kommentars und die sich hieran anschließende Account-Sperre aus deren Sicht erforderlich machte.

Darüber hinaus ist vorliegend auch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem von dem Verfügungskläger wiedergegebenen Text um einen solchen einer Petition handelt. Das Petitionsrecht ist ebenfalls im Grundgesetz niedergelegt, dort in Art. 17 GG. Das Petitionsbehandlungsverfahren richtet sich im Übrigen nach Art. 45c GG. Hier ist zu berücksichtigen, dass bei Eingang einer Petition sich eine Vorprüfung anschließt, die dem sogenannten Ausschussdienst obliegt. Im Rahmen dieser Vorprüfung werden sogenannte NichtPetitionen ausgesondert. Darunter fallen nicht nur solche Petitionen, die keine Petitum enthalten, sondern beispielsweise auch solche, die inhaltlich verworren, unleserlich oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen oder beleidigenden, erpresserischen oder nötigenden Inhalt haben (Maunz/Dürig GG, 82.EL Januar 2018, Art. 45 c Rnr. 36). Aufgrund des Umstands, dass die Petition im Bundestag weiterhin behandelt wird und eine anderweitige Erledigung wohl nicht erfolgte, ist jedenfalls dort bislang nicht von einer Verfassungswidrigkeit ausgegangen worden.

Eine Plattform wie die der Verfügungsbeklagten, die eine derartige Stellung im öffentlichen Leben und damit einhergehend auch im Rahmen gesellschaftlicher und politischer Positionen inne hat und letztlich auch inne haben will, muss es daher im Sinne der Meinungsfreiheit und der - auch erwünschten Teilnahme an Diskussionen - dulden, wenn ihre Nutzer sich -nachvollziehbar oder nicht - am politischen Meinungsaustausch beteiligen.

3. Im hier zu entscheidenden Fall hat die Verfügungsbeklagte die Meinungsfreiheit des Verfügungsklägers in nicht hinreichendem Umfang beachtet, weswegen antragsgemäß zu entscheiden war.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




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