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LArbG Baden-Württemberg: Umfassender datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch nach § 15 DSGVO des Arbeitnehmers gegen Arbeitgeber - Abwägung mit Geheimhaltungsinteressen Dritter

LArbG Baden-Württemberg
Urteil vom 20.12.2018
17 Sa 11/18


Das LArbG Baden-Württemberg hat entschieden, dass ein umfassender datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch nach § 15 DSGVO des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber besteht. Dem Anspruch können ggf. auch Geheimhaltungsinteressen Dritter entgegegengehalten werden. Es ist insofern aber eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Maßgeblich für die nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilende Sachdienlichkeit ist der Gedanke der Prozesswirtschaftlichkeit, für den es entscheidend darauf ankommt, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung zu einer sachgemäßen und endgültigen Erledigung des Streits zwischen den Parteien führt, der den Gegenstand des anhängigen Verfahrens bildet und einem andernfalls zu erwartenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt (BAG, 14. Juni 2017 – 10 AZR 308/15, Rn. 39, juris). Dies ist vorliegend zu bejahen. Der Kläger änderte seinen Antrag im Hinblick auf die seit 25. Mai 2018 geltende Rechtslage nach der DS-GVO. Der früher in § 34 Abs. 1 S. 2 BDSG a.F. geregelte Auskunftsanspruch betroffener Personen ist seit dem 25. Mai 2018 in Art. 15 DSGVO geregelt. Der Sache nach begehrt der Kläger gegenüber seinem Arbeitgeber nach wie vor den bereits erstinstanzlich zunächst auf Basis von § 34 BDSG a.F. und später auf Grundlage von Art. 15 der DS-GVO geltend gemachten datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch. Die Klageänderung wird auch i.S.v. § 533 Nr. 2 ZPO auf Tatsachen gestützt, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hatte. Zur Begründung des Anspruches wurden vom Kläger keine neuen Tatsachen in den Prozess eingeführt. Auch die Beklagte machte in der Ablehnung der geforderten Auskunft keine Gründe geltend, die nicht bereits zu dem bisherigen Auskunftsanspruch vorgebracht wurden. Damit liegt die nach § 533 Nr. 2 ZPO erforderliche kongruente Tatsachengrundlage vor.

Der Antrag ist auch bestimmt genug im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass die Begriffe „Leistung“ und „Verhalten“ weder in Art. 15 DS-GVO genannt, noch in Art. 4 Nr. 1 DS-GVO legal definiert sind. Soweit der Kläger eine Auskunft der verarbeiteten und nicht in der Personalakte des Klägers gespeicherten personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten begehrt, ist der Antrag noch bestimmt genug. Gegenüber dem Anspruch auf Auskunft der personenbezogenen Daten handelt es sich um eine präzisierende Eingrenzung. Der Kläger kommt damit der Sollvorschrift aus der Erwägung 63 S. 7 zur DS-GVO nach und beschränkt seinen Auskunftsanspruch. Damit wird der Antrag näher spezifiziert – er beschreibt genauer, auf welche Bereiche er seine Auskunft erstreckt wissen will. Nicht in den Antrag aufgenommen werden können und müssen die eigentlichen personenbezogenen Daten, deren Auskunft begehrt wird. Es ist einem Auskunftsanspruch nach Art. 15 der DS-GVO immanent, dass der Anspruchssteller noch nicht die genauen Gegenstände seiner Auskunft kennt, die er erst einfordert. Eine weitere Konkretisierung ist dem Kläger nicht möglich, weil er nicht weiß, welche Daten die Beklagte über ihn verarbeitet.

D) Begründetheit der Anschlussberufung

Der Kläger hat einen Anspruch nach Art. 15 Abs. 1 der DS-GVO auf Erteilung der mit der Anschlussberufung geltend gemachten Auskünfte. Die DS-GVO findet unmittelbar Anwendung (1) und ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar (2). Die Beklagte verarbeitet personenbezogene Daten über den Kläger (3), weshalb dieser sowohl die erweiterte Auskunft (4) nach Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 DS-GVO als auch einen Anspruch auf Herausgabe einer Kopie (5) der Daten nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO hat. Diese Ansprüche sind im vorliegenden Fall auch nicht durch berechtigte Interessen Dritter eingeschränkt (6).

(1) Nach Art. 99 Abs. 2 DS-GVO gilt die DS-GVO seit dem 25. Mai 2018. Sie ist unmittelbar anwendbar. Die DS-GVO gilt gemäß Art. 288 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat der Union, ohne dass es einer weiteren Umsetzung durch nationales Recht bedarf.

(2) Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DS-GVO besteht auch in einem Arbeitsrechtsverhältnis. Die allgemeinen Bestimmungen der EU-DSGVO enthalten eine Vollregelung, auch zum Beschäftigtendatenschutz (Düwell/Brink, NZA 2016, 665). Die Mitgliedsstaaten sind jedoch gem. Art. 88 DS-GVO in bestimmten Grenzen befugt, spezifische nationale Vorschriften zum Beschäftigtendatenschutz zu erlassen.

(3) Die Beklagte verarbeitet personenbezogene Daten des Klägers.

a) Nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person („betroffene Person”) beziehen. Zur Verarbeitung gehört nach Art. 4 Nr. 2 DS-GVO insbesondere auch das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung und die Verwendung. In einem Arbeitsverhältnis verarbeitet der Arbeitgeber zwangsläufig personenbezogene Daten der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer.

b) Dass die Beklagte personenbezogene Daten des Klägers verarbeitet, ergibt sich schon aus der Vielzahl der von den Parteien als Ausdrucke in diesem Rechtsstreit vorgelegten dienstlichen E-Mails, die der Kläger im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses geschrieben, gesendet und empfangen hat. Jede einzelne vom Kläger geschriebene, gesendete und empfangene E-Mail enthält bereits personenbezogene Daten, nämlich Informationen, die sich auf den Kläger beziehen. Insofern ist der Einwand der Beklagten, sie würde außerhalb der Personalakte keine Negativlisten oder dergleichen über den Kläger führen, unerheblich.

(4) Der Kläger hat einen Anspruch auf Auskunftserteilung der personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten. Bei personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten handelt es sich um eine bestimmte Kategorie von personenbezogenen Daten im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Hs. 2 b) DS-GVO i.V.m. Art 4 Nr. 1 DS-GVO. Der Auskunftsberechtigte ist nach Erwägungsgrund 63 S. 7 zur DS-GVO berechtigt, zu erklären, auf welche Informationen oder auf welche Verarbeitungsvorgänge sich das Auskunftsersuchen bezieht. Hiervon machte der Kläger Gebrauch und schränkte insoweit seinen zunächst umfassend bestehenden Auskunftsanspruch auf personenbezogene Leistungs- und Verhaltensdaten ein.

(5) Der Anspruch auf Herausgabe einer Kopie der Daten ergibt sich aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO.

(6) Die Ansprüche auf Auskunft und Herausgabe der personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten sind im vorliegenden Fall nicht durch berechtigte Interessen Dritter beschränkt.

a) Nach § 34 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 2 BDSG besteht das Recht auf Auskunft der betroffenen Person gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) 2016/679 (DS-GVO) nicht, soweit durch die Auskunft Informationen offenbart würden, die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Die Regelungen in § 34 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 und Abs. 2 BDSG beruhen auf der Öffnungsklausel des Art. 23 Abs. 1 lit. i DS-GVO, wonach Informations- und Benachrichtigungspflichten des Verantwortlichen bzw. das Auskunftsrecht betroffener Personen beschränkt werden können zum Schutz der betroffenen Person oder der Rechte und Freiheiten anderer Personen (BeckOK; DatenschutzR/Uwer, 26. Ed. 1.8.2018, BDSG § 29 Rn. 1).

Das Recht auf Erhalt einer Kopie wird gem. Art. 15 Abs. 4 DS-GVO durch Rechte und Freiheiten anderer Personen beschränkt (Gola DS-GVO/Franck, 2. Aufl. 2018, DS-GVO Art. 15 Rn. 33, 34). Es wird vertreten, dass sich diese Einschränkung nicht lediglich auf das in Art. 15 Abs. 4 DS-GVO geregelte Recht auf Erhalt einer Kopie beschränke, sondern auch den Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO erfasse (so Paal/Pauly/Paal, 2. Auflage 2018, DS-GVO, Art. 15 Rn. 41 – direkte Anwendung; BeckOK DatenschutR/Schmidt-Wudy, 25. Ed. Stand 01.08.2018, Art. 15 DS-GVO Rn. 97 – analoge Anwendung).

b) Jedenfalls führt auch das Vorliegen eines Geheimhaltungsgrundes nicht zwangsläufig zu dem Recht, die geforderte Auskunft zu verweigern. Das Recht auf Auskunft wird gem. § 34 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 2 BDSG nur eingeschränkt, „soweit“ durch die Auskunft Informationen offenbart würden, die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Damit ist eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragende Güterabwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse einerseits und dem Auskunftsinteresse andererseits geboten. Es muss in jedem Einzelfall das konkrete Interesse des Arbeitnehmers an der Auskunftserteilung ermittelt und gegen das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Auskunftsversagung bzw. den berechtigten Interessen Dritter abgewogen werden. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass durch eine Auskunftserteilung legitime Interessen des Arbeitgebers oder berechtigte Interesse anderer Mitarbeiter berührt werden. Es kann ein legitimes Interesse an der Geheimhaltung einer Informationsquelle darstellen, wenn der Arbeitgeber zum Zwecke der Aufklärung innerbetrieblichen Fehlverhaltens Hinweisgebern Anonymität zusichert. Bestimmte Arten von Regelverstößen innerhalb einer hierarchischen Struktur können effektiver durch anonyme Meldeverfahren aufgedeckt werden. Allerdings sind auch bei einem im Grundsatz - aus Gründen des Informantenschutzes - anerkennenswerten Geheimhaltungsinteresse Konstellationen denkbar, in denen das Geheimhaltungsinteresse hinter dem Auskunftsinteresse des Arbeitnehmers zurückzutreten hat. Dies kann Fälle betreffen, in welchen etwa ein Informant wider besseres Wissen oder leichtfertig dem Arbeitgeber unrichtige Informationen gegeben hat. In einem solchen Fall dürfte das Auskunftsinteresse des Betroffenen wegen eines dann erhöhten Schutzbedürfnisses ein überwiegendes Gewicht haben.

c) Im vorliegenden Fall kann die Beklagte den nach Art. 15 DS-GVO im Grundsatz bestehenden Auskunftsanspruch in Anwendung von § 34 Abs. 1 BDSG i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 2 BDSG jedenfalls nicht gänzlich verweigern. Nur „soweit“ schützenswerte Interessen Dritter bestehen würden und diese in der gebotenen Einzelfallabwägung gegenüber dem Auskunftsanspruch als gewichtiger einzustufen wären, wäre eine Einschränkung des Auskunftsanspruches anzunehmen. Die für diese Einzelfallabwägung maßgeblichen Tatsachen, die zur Einschränkung des Auskunftsanspruches führen könnten, sind jedoch von der Beklagten nicht vorgetragen worden. Die Beklagte verweist pauschal auf das Schutzbedürfnis von Hinweisgebern. Die Beklagte führt aus, sie sei auf den bedingungslosen Schutz der Anonymität hinweisgebender Mitarbeiter angewiesen. Ansonsten sei zu befürchten, dass Mitarbeiter künftig aus Angst vor Benachteiligung und „Repressalien“ auch bei schwerwiegendem Fehlverhalten auf entsprechende Hinweise an den Arbeitgeber verzichteten.

Diese Erwägungen sind zu allgemein gehalten, als dass damit gänzlich oder in einem bestimmten Umfang der Auskunftsanspruch des Klägers eingeschränkt werden könnte. Es bedürfte der Nennung eines konkreten Sachverhaltes, anhand dessen geprüft werden könnte, ob durch die Auskunftserteilung tatsächlich die Rechte und Freiheiten anderer Personen beschränkt werden würde. Die Einschränkung des Auskunftsanspruches wegen überwiegender schützenswerter Interesse Dritter scheitert bereits daran, dass es nach dem Vortrag der Beklagten unklar bleibt, auf welche personenbezogenen Daten des Klägers sich die behaupteten schützenswerten Interessen Dritter beziehen sollen. Soweit die Beklagte mit dem Hinweis auf schützenswerte Interessen Dritter den Auskunftsanspruch verweigert, ist sie für die maßgeblichen Umstände in der Darlegungslast. Sie wäre kraft Sachnähe in der Lage gewesen, vorzutragen, welche konkreten personenbezogen Daten nicht herausgegeben werden können, ohne dass schützenswerte Interessen Dritter tangiert werden. Zu dieser Darlegung hätten nicht schon die personenbezogenen Daten als solche preisgegeben werden müssen. Ausreichend, aber auch erforderlich wäre gewesen, darzulegen, auf welche genauen Informationen (Sachverhalt/Vorfall/Thema in zeitlicher und örtlicher Eingrenzung nebst handelnden Personen) sich das überwiegende berechtigte Interesse an einer Geheimhaltung beziehen soll. Nur dann wäre der Kammer die notwendige Einzelfallabwägung möglich gewesen. Soweit in diesem Fall die berechtigten Interessen Dritter gegenüber dem Auskunftsinteresse des Klägers überwogen hätte, wäre auch erst dann in einem zweiten Schritt eine gegenständliche Einschränkung im Tenor möglich gewesen.

Soweit die Beklagte schließlich einwendet, der Kläger mache sein Auskunftsbegehren über seinen Prozessbevollmächtigten geltend und der Kläger habe keinen Nachweis für dessen Bevollmächtigung erbracht, hat der im Berufungstermin anwesende Kläger seinen Prozessbevollmächtigten jedenfalls zu dem Zeitpunkt der Antragsstellung insoweit entsprechend legitimiert.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

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