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LAG Hamburg: Löschen betrieblicher Daten und E-Mails kann außerordentliche Kündigung rechtfertigen - das bloße Kopieren betrieblicher Daten ohne unzulässige Verwendung genügt nicht

LAG Hamburg
Urteil vom 17.11.2022
3 Sa 17/22


Das LAG Hamburg hat entschieden, dass das Löschen betrieblicher Daten und E-Mails eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Das bloße Kopieren betrieblicher Daten ohne unzulässige Verwendung genügt jedoch nicht.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 13. noch diejenige vom 14. Oktober 2020 beendet worden. Die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten sind unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund i.S.v. § 626 BGB.

a) Das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die außerordentlichen Kündigungen vom 13. und 14. Oktober 2020 wird nicht schon nach §§ 13, 4, 7 KSchG wegen Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist fingiert. Der Kläger hat innerhalb der Klagefrist von 3 Wochen nach Zugang der angegriffenen Kündigungen am 13. bzw. 14. Oktober 2020 Kündigungsschutzklage am 19. Oktober 2020, die der Beklagten am 28. Oktober 2020 zugestellt wurde, an das Arbeitsgericht Hamburg erhoben (§ 253 Abs. 1 ZPO, § 46 Abs. 2 ArbGG).

b) Die außerordentlichen Kündigungen vom 13. und 14. Oktober 2020 sind unwirksam, da es an einem wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB fehlt.

aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur BAG vom 17. Mai 1984, Az. 2 AZR 3/83, juris, Rn. 23; BAG vom 2. März 1989, Az. 2 AZR 280/88, juris, Rn. 56) zunächst zu fragen, ob ein bestimmter Sachverhalt an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung zu bilden, und sodann eine umfassende einzelfallbezogene Interessenabwägung durchzuführen. Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die Kündigung zudem nur innerhalb von zwei Wochen seit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat, ausgesprochen werden. Die Beklagte, die die Kündigung ausgesprochen hat, ist darlegungs- und beweisbelastet für alle Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können.

Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG vom 8. Mai 2014, Az. 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258, Rn. 19 m.w.N.). Dem Arbeitnehmer ist es im Hinblick auf diese Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen, diese ersatzlos zu löschen oder für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (vgl. BAG vom 8. Mai 2014, Az. 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258, Rn. 19 m.w.N.).

In Anwendung dieser Grundsätze liegt für die ausgesprochenen Kündigungen ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB nicht vor:

bb) Die Kündigung vom 13. Oktober 2020 wird durch die Beklagte darauf gestützt, dass der Kläger mutwillig Projektdaten aus dem zentralen Dokumentmanagementsystem SharePoint gelöscht habe (so die Klagerwiderung vom 20. November 2020, dazu (1)). Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, sie habe am 7. Oktober 2020 von ihrem IT-Administrator erfahren, dass eine größere Menge Daten von ihrer SharePoint-Plattform gelöscht worden sei. Sie, die Beklagte, habe eine interne Untersuchung initiiert, im Ausgangspunkt wegen der Löschvorgänge und der handelnden Personen. Hierbei habe der IT-Administrator festgestellt, dass der Kläger Daten von dem Firmen-Notebook aus aus mehreren SharePoint-Ordnern gelöscht habe. Der IT-Administrator habe 4.270 gelöschte Dateien ermittelt. Die Beklagte hat insoweit auf die als Anlage B3 vorgelegte Liste vom Kläger gelöschter Dateien verwiesen. Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat die Beklagte die Kündigung auch gestützt auf die Übertragung von elektronischen Daten aus Projekt-Ordnern und administrativen Ordnern auf elektronische Datenträger des Klägers (Schriftsatz der Beklagten vom 28. Dezember 2020, Seite 18), wie sich dies aus dem Zwischenbericht der Firma H. vom 18. Dezember 2020 ergeben habe, sowie auf die Nichtherausgabe dieser geschäftlichen Daten an sie (Schriftsatz der Beklagten vom 31. August 2021, Seite 2, dazu (2)). Schließlich hat sie die Kündigung darauf gestützt, dass der Kläger Daten zum Restrukturierungsprojekt A. auf seine private E-Mail-Adresse weitergeleitet hat (Schriftsatz der Beklagten vom 31. August 2021, Seite 5, dazu (3)).

(1) Soweit die Beklagte die ausgesprochene Kündigung darauf stützt, dass der Kläger erforderliche betriebliche Dateien unberechtigt gelöscht und so ihrem Zugriff entzogen habe, ist ein solcher Sachverhalt grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben.

Die Beklagte hat hinsichtlich der durch den Kläger gelöschten Dateien auf die als Anlage B3 eingereichte Excel-Tabelle verwiesen. Dies ist für die Darlegung eines wichtigen Kündigungsgrundes allerdings nicht ausreichend. Diese Tabelle enthält eine Liste von 149 Dateien, die vom Kläger im Zeitraum 12. August 2020 bis 29. September 2020 gelöscht wurden, davon (nur) 18 Dateien, die am 28. oder 29 September 2020 gelöscht wurden, hinzu kommen zwei Dateien, die am 14. September 2020 gelöscht wurden. Ein substantiierter Vortrag dazu, dass der Kläger 4.270 Dateien gelöscht habe, liegt damit schon nicht vor. Allenfalls hinsichtlich der 20 Dateien, die im September 2020 gelöscht wurden, lässt sich aus den Dateinamen ein Bezug zu dem Tätigkeitsbereich des Klägers für die Beklagte insoweit herstellen, als es sich um Dateien handelt, die erstellte Unterlagen o.ä. beinhalten. So handelt es sich um pdf-Dateien, Excel-Tabellen oder PowerPoint-Präsentationen. Die Beklagte hat zu den Dateien – mit Ausnahme von 5 näher bezeichneten Dateien - nicht näher vorgetragen.

Zudem fehlt es auch hinsichtlich der Dateien aus der Tabelle Anlage B3 an jeglicher Darlegung der Beklagten, dass diese Daten, anders als der Kläger behauptet, in den Ordnern der Beklagten nicht mehr vorhanden gewesen sein sollten. Allein, dass der Kläger Dateien gelöscht hat, lässt darauf noch nicht zurückschließen. So fällt auf, dass es sich hinsichtlich der Dateien in den Zeilen 3 bis 19 um Dateien zu handeln scheint, die aus einem persönlichen Ordner des Klägers stammen. Wenn der Kläger sie dort löscht, heißt das nicht automatisch, dass sie bei der Beklagten nicht mehr vorliegen. Die Beklagte hat nicht erklären können, warum bei einigen Dateien in der Spalte G die Quelle businesspartner.sharepoint.com angegeben ist, für andere businesspartner-my.sharepoint.com.

Ohne nähere Kenntnis der Inhalte der Dateien lässt sich zudem nicht beurteilen, ob es sich tatsächlich, wie der Kläger vorträgt, um überholte Entwurfsversionen gehandelt hat. Zwar ist der Beklagten darin zuzustimmen, dass es ihrer Entscheidung obliegt, welche Dateien zu welchem Zweck benötigt werden und welche etwa früheren Versionen von Dokumenten für ihre weitere Beratungstätigkeit von Bedeutung sind. Selbst wenn der Kläger diese Entscheidungshoheit der Beklagten missachtete, folgt daraus allerdings nicht ohne weiteres die Eignung dieses Verhaltens als Grund für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses. So ergibt sich jedenfalls kein fristloser Kündigungsgrund daraus, dass der Kläger eigene Entwürfe löscht, die etwa in der Beratung mit dem Kunden nicht zum Einsatz gekommen sind. Insoweit hätte es der Beklagten oblegen, im Detail vorzutragen, um was für Dateien es sich gehandelt hat und aus welchen Gründen diese für ihre Geschäftstätigkeit von besonderer Bedeutung gewesen sind und ihr aufgrund des Löschens durch den Kläger nicht mehr zugänglich waren. Sie hat aber weder dargelegt, dass diese Dateien in SharePoint nicht mehr vorhanden gewesen seien noch, dass die vom Kläger gelöschten Dateien, die wiederhergestellt wurden, inhaltlich nicht nur bereits überholte Fassungen dargestellt haben.

Soweit die Beklagte fünf Dateien näher bezeichnet hat, handelt es sich bei den C.-Dateien (Zeilen-Nr. 3, 4 und 5 der Anlage B3) eben um solche, die aus persönlichen Ordnern des Klägers stammen. Die Bedeutung dieser Dateien für die Geschäftstätigkeit der Beklagten erschließt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht, da die Beklagte nur kurz zu den Inhalten vorgetragen hat. Hinsichtlich der Datei aus Zeile 19 spricht die Angabe „…(003).pdf“ im Dateinamen dafür, dass es sich um eine mehrfach heruntergeladene/gespeicherte Fassung dieser Datei handelt. Die in Zeile 20 aufgeführte PowerPoint-Datei enthält, nach dem Dateinamen zu urteilen, Folien, die der Kläger als Teil einer Präsentation für den Kunden E. erstellt hat. Dass es sich dabei um Folien handelt, die anderweitig nicht vorhanden sind, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Zu den Inhalten auch dieser Datei fehlt es an näherem Vortrag der Beklagten. Woraus sie schlussfolgert, der Kläger habe ein gesamtes Gutachten gelöscht (obwohl der von ihm zu verantwortende Teil nur 25 % des Gesamtgutachtens betragen habe), ist angesichts des Dateinamens auch nicht nachvollziehbar.

(2) Hinsichtlich des (nachgeschobenen) Kündigungsgrundes des unbefugten Kopierens von Daten durch den Kläger gilt nach Auffassung der Berufungskammer, dass das bloße Kopieren von Daten, ohne dass diese dem Zugriff der Arbeitgeberin entzogen oder anderweitig rechtswidrig verwendet werden, eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch fristlose Kündigung wegen einer begangenen erheblichen Pflichtverletzung nicht zu begründen vermag. Es kommt insoweit auch nicht entscheidend darauf an, ob es sich um einen Kopiervorgang auf eigene Datenträger des Klägers handelt oder ihm diese von der Beklagten oder deren Kunden zur Verfügung gestellt wurden. Ob das unberechtigte Kopieren von Dateien auf einen Datenträger hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht liefert, es werde die unberechtigte Verwendung der Dateien angestrebt und der Kopiervorgang erfolge zu diesem Zweck, kann hier dahinstehen – eine Verdachtskündigung hat die Beklagte nicht ausgesprochen.

Der Schwerpunkt der Pflichtwidrigkeit, der einem Verhalten in diesem Zusammenhang das Gewicht eines wichtigen Grundes i.S.v. § 626 BGB für eine Tatkündigung verleiht, liegt darauf, dass kopierte Dateien unberechtigt weitergegeben und/oder verwendet werden (können), wenn sie im Zugriffsbereich des Arbeitnehmers verbleiben. Insoweit ist an sich geeigneter Grund für eine außerordentliche Kündigung, wenn der Arbeitnehmer entsprechende Kopien betrieblicher Dateien, die er in seinem Besitz hat, pflichtwidrig nicht an die Arbeitgeberin herausgibt.

Dass der Kläger seine Vertragspflichten dergestalt erheblich verletzt hat, hat die Beklagte allerdings nicht darlegen und beweisen können. Es hätte dazu bedurft, dass der Kläger die kopierten Daten aus dem Zugriffsbereich der Beklagten entfernt hätte – etwa durch Mitnahme der Datenträger. Dies hat der Kläger bestritten, er hat vorgetragen, dass er am 30. September 2020 die externe Festplatte wie die zwei USB-Speichersticks auf einem Regal im Teambüro hinterlassen habe. Hierzu wäre es Sache der Beklagten, die darlegungs- und beweisbelastet für das vorgeworfene Fehlverhalten ist, gewesen, aufzuklären und vorzutragen, wer sich wann nach Weggang des Klägers in dem Raum aufgehalten habe und dass sich die Speichermedien nicht dort hätten auffinden lassen, und entsprechend Beweis anzubieten. Die Beklagte hat insoweit nur vorgetragen, dass der Kläger die Speichermedien (bisher) nicht an sie herausgegeben habe (vgl. Schriftsatz vom 28. Dezember 2020, S. 8). Außerdem hat sie darauf hingewiesen, dass sie ihren Mitarbeitern keine Ablageflächen für persönliche Gegenstände zur Verfügung stelle, die von dem Kläger angeführten Regale gebe es in den Büroräumen der Beklagten nicht (Schriftsatz vom 31. August 2021, Seite 5). Allerdings ist das vom Kläger benannte Teambüro möbliert, es gibt jedenfalls Schränke mit Regalfächern darin. Damit ist die Beklagte ihrer Vortragslast in Bezug auf den vom Kläger vorgetragenen Rechtfertigungssachverhalt nicht ausreichend nachgekommen. Sie muss zwar nicht zu allen möglichen Orten, an denen eine Rückgabe der Speichermedien nebst Dateien an sie erfolgt sein könnte, im Einzelnen Stellung nehmen. Allerdings muss sie substantiiert den vom Kläger geleisteten konkreten Vortrag zu der von ihm behaupteten Rückgabe widerlegen und ggf. beweisen, da den kündigenden Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für den Kündigungsgrund einschließlich der vom Arbeitnehmer vorgetragenen Rechtfertigungsgründe trifft (vgl. BAG vom 17. März 2016, Az. 2 AZR 110/15, juris). Insoweit ist die Darlegungs- und Beweislast hier anders verteilt als in Bezug auf die Geltendmachung eines Herausgabeanspruchs, der der Arbeitgeberin hinsichtlich der betrieblichen Dateien zusteht und dessen Erfüllung der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen hätte, wenn er den Einwand der Erfüllung des Anspruchs nach § 362 BGB geltend machen will.

(3) Unstreitig hat der Kläger Daten zum Restrukturierungsprojekt A. an seine private E-Mail-Adresse weitergeleitet. Auch dieser Umstand ist zwar an sich, nicht aber im vorliegenden Fall geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen. Dabei ist die Berufungskammer davon ausgegangen, dass der Kläger nicht befugt war, sich entsprechende Daten auf seine private Email-Adresse weiterzuleiten und daher seine vertraglichen Pflichten verletzt hat. Allerdings gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger hiermit den Zweck verfolgte, der Beklagten zu schaden oder die Daten etwa für einen Wettbewerber zu nutzen. Der Kläger hat sich dahin eingelassen, es sei ihm um die Verfolgung der zwischen den Parteien bezogen auf dieses Projekt streitigen Bonusansprüche gegangen und er habe mit Ausnahme seines Rechtsanwaltes und des Arbeitsgerichts diese Dateien niemandem zugänglich gemacht. Da die Beklagte Gegenteiliges nicht vortragen und beweisen kann, geht insoweit die anzustellende Interessenabwägung zugunsten des Klägers aus.

Darauf, dass sich der Kläger, wie die Beklagte mit der Berufungsbegründung vorträgt (dort S. 16) vermutlich weitere Emails über vertrauliche Prozesse und Arbeitsabläufe, z.B. im Kontext der Corona-Pandemie, vermutliche Kundenbezüge zur G. GmbH oder auch andere Inhalte an seine vermutlich private E-Mail-Anschrift verschickt habe, lässt sich die hier ausgesprochene Tatkündigung nicht stützen. Soweit es auf Seite 28 der Berufungsbegründung weiter heißt, der Kläger habe sich augenscheinlich weitere Emails über vertrauliche Prozesse und Arbeitsabläufe z.B. im Kontext der Corona-Pandemie, vermutliche Kundenbezüge zur G. GmbH oder auch andere Inhalte an seine vermutlich private E-Mail-Anschrift verschickt, ist der Vortrag im Übrigen unsubstantiiert.

cc) Die weitere Kündigung vom 14. Oktober 2020 wird durch die Beklagte darauf gestützt, dass der Kläger pflichtwidrig E-Mails gelöscht hat. Sie hat hierzu auf die Anlage B4 verwiesen. Bei dieser Anlage handelt es sich um eine Tabelle mit 14.854 aufgeführten E-Mails. Allerdings gilt auch hier, dass der Verweis auf diese Tabelle für sich genommen nicht genügt, um einen wichtigen Grund für die ausgesprochene Kündigung darzulegen. So finden sich etwa ab Zeile 11168 Emails, die einen Zeitraum ab 2013 und älter (!) betreffen. Das Jahr 2020 betreffen immerhin etwa 500 Emails. Eine erhebliche Anzahl der gelöschten Emails betrifft allerdings bereits nach dem jeweiligen Betreff offenbar private Belange des Klägers. Ohne nähere Darlegungen ist daher nicht ansatzweise nachvollziehbar, aus welchem Grund und welche der vom Kläger gelöschten Nachrichten für die Tätigkeit der Beklagten noch von Bedeutung sein sollen. Soweit die Beklagte die Kündigung auf den Umstand stützt, dass der Kläger Emails gelöscht habe, hätte es ihr zum einen oblegen vorzutragen, dass es sich um betriebliche Emails gehandelt hat. Zum anderen hätte es der Beklagten oblegen, darzulegen, welchen Inhalt die von ihr benannten Emails hatten, damit beurteilt werden kann, ob der Kläger durch das Löschen der Emails seine Rücksichtnahmepflichten erheblich verletzt hat. Zudem hat auch hier der Kläger darauf hingewiesen, dass er die entsprechenden erforderlichen Informationen zu den jeweiligen Projektordnern abgelegt hat. Auch hierzu fehlt es an einer hinreichenden Widerlegung durch die Beklagte.

Die Beklagte hat aus der Vielzahl der Emails gemäß der Anlage B4 drei Emails konkret herausgegriffen. In zwei Fällen lässt sich aus der Betreffzeile „AW:…“ entnehmen, dass der Kläger hierdurch auf eine vorherige Email geantwortet hat. Die dritte Email betrifft nach der Betreffzeile „WG: AW: ….“ die Weiterleitung einer Antwort. Es ist aus diesen Angaben nicht ersichtlich, welche Bedeutung diese Emails für die Tätigkeit der Beklagten haben können oder welchen Inhalt sie hatten. Der Kläger hat hierzu erwidert, bereits der Titel „Infostand“ mache deutlich, dass es sich um eine bloße Abstimmung handele. Der Inhalt der Weiterleitungs-Email sei wahrscheinlich „zur Info“, hinsichtlich der Antwort-Email wahrscheinlich „danke für die Informationen“. Dem ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Auch in Bezug auf die Email zur Datenanfrage KPI Auftragsreichweite liegt eine substantiierte Erwiderung der Beklagten auf den Vortrag des Klägers, warum es sich nicht um einen relevanten Email-Inhalt handele, nicht vor.

Zwar steht, davon geht auch die Berufungskammer aus, im Ausgangspunkt der Beklagten das Recht zur Entscheidung zu, was mit den auf ihren Geschäftsbetrieb bezogenen Dateien und betrieblich veranlassten Emails passiert. Dennoch ist nicht jedes Löschen solcher Dateien und Emails als erhebliche Nebenpflichtverletzung anzusehen. Dies kann letztlich nur beurteilt werden, wenn man weiß, um welche Dateien es geht.

dd) Die von der Beklagten herangezogenen Entscheidungen anderer Landesarbeitsgerichte unterscheiden sich nach Auffassung der Berufungskammer maßgeblich von dem hier zugrunde zu legenden Sachverhalt. So betraf die Entscheidung des Hessischen LAG vom 5. August 2013 (Az. 7 Sa 1060/10) eine dem dortigen Kläger vorgeworfene Datenlöschung, mit der Daten über die Kundenbeziehungen der Beklagten, mit denen der Kläger während des Arbeitsverhältnisses arbeitete, gelöscht wurden: Adressen, Termine, Kundenkontakte. Darum aber geht es hier nicht. Dem Vortrag der Beklagten, soweit sie denn konkrete Dateien benannt hat, lassen sich auch keine Einschränkungen ihrer Geschäftstätigkeit entnehmen.

Der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 16. Mai 2017 (Az. 7 Sa 38/17) lag zugrunde, dass der dortige Kläger zahlreiche Emails an seine private Anschrift versandt hatte, kurz vor Aufnahme einer Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen, wobei es sich um Angebots- und Kalkulationsunterlagen für ein Projekt, das nicht vom Kläger betreut wurde sowie eine Kundenliste der Kunden des Klägers mit deren Kontaktdaten, handelte. Hier ist substantiiert vorgetragen allein die Weiterleitung von Dateien betreffend das Projekt A.. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. Auch hinsichtlich des Kopierens von Dateien auf externe Datenträger wird auf die vorstehenden Ausführungen zu den ausgesprochenen Kündigungen Bezug genommen.

Im Verfahren vor dem LAG Baden-Württemberg (Az. 17 Sa 8/20, Urteil vom 17. September 2020) hatte der dortige Kläger im Anschluss an ein Personalgespräch, in dem die Arbeitgeberin den Wunsch geäußert hatte, sich von ihm trennen zu wollen, vom Server des Arbeitgebers Daten in erheblichem Umfang (hier: 7,48 GB) gelöscht, nachdem er zwei Tage nicht erreichbar war und sich zuvor von einer Mitarbeiterin mit den Worten "man sieht sich immer zweimal im Leben" verabschiedet hatte. Das LAG ist für diesen Fall davon ausgegangen, es sei Sache des Klägers gewesen, den von ihm behaupteten Rechtfertigungsgrund für den vollständig (!) von ihm gelöschten Datenbestand vorzutragen, nachdem er den Löschvorgang ausgeführt und – pauschal - behauptet habe, für eine anderweitige Sicherung bzw. Speicherung und Verfügbarkeit des Datenbestands bei der Beklagten gesorgt zu haben. Hiervon weicht die Berufungskammer nicht ab – es ist Sache des sich auf einen Rechtfertigungssachverhalt berufenden Arbeitnehmers, diesen substantiiert vorzutragen. In der herangezogenen Entscheidung sprach bereits der Zusammenhang zwischen der Äußerung des Arbeitnehmers und der vollständigen Löschung für eine Nachteilszufügungsabsicht gegenüber der ehemaligen Arbeitgeberin, was (erst recht) dazu führt, den nur pauschalen Vortrag, die sehr umfangreichen gelöschten Dateien seien anderweitig gesichert, nicht ausreichen zu lassen. Solche Anhaltspunkte gibt es hier nicht, auch die substantiiert vorgetragene Menge gelöschter Dateien unterscheidet sich erheblich. Zudem hat sich der Kläger nicht nur auf einen solchen pauschalen Vortrag beschränkt, sondern konkret auf die jeweiligen Projektordner verwiesen.

In dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Hessischen LAG vom 29. August 2011, Az. 7 Sa 248/11, zugrunde lag, hatte der dortige Kläger 94 E-Mails mit ca. 622 MB in 1.660 Dateianhängen an sein privates E-Mail-Postfach versandt, wobei es sich unstreitig überwiegend um Daten handelte, die dem Bankgeheimnis unterliegen. Auch hier bestehen mithin entscheidende Unterschiede zur vorliegenden Sachverhaltskonstellation.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

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