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EuGH: Datenschutzrechtliche Vorgaben gelten auch für Religionsgemeinschaften die personenbezogene Daten Im Rahmen der Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür erhalten

EuGH
Urteil vom 10.07.2018
C-25/17
Tietosuojavaltuutettu / Jehovan todistajat – uskonnollinen yhdyskunta

Der EuGH hat entschieden, dass die datenschutzrechtlichen Vorgaben auch für Religionsgemeinschaften gelten, die personenbezogene Daten Im Rahmen der Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür erhalten. Vorliegend ging es um die Zeugen Jehovas.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Eine Religionsgemeinschaft wie die der Zeugen Jehovas ist gemeinsam mit ihren als Verkündiger tätigen Mitgliedern für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten verantwortlich, die im Rahmen einer von Tür zu Tür durchgeführten Verkündigungstätigkeit erhoben werden

Die im Rahmen einer solchen Tätigkeit erfolgenden Verarbeitungen personenbezogener Daten müssen mit den unionsrechtlichen Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten im Einklang stehen im 17. September 2013 verbot die Tietosuojalautakunta (finnische Datenschutzkommission) der Jehovan todistajat – uskonnollinen yhdyskunta (Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Finnland), im Rahmen der von ihren Mitgliedern von Tür zu Tür durchgeführten Verkündigungstätigkeit personenbezogene Daten zu erheben oder zu verarbeiten, ohne dass die rechtlichen Voraussetzungen der Verarbeitung solcher Daten eingehalten werden.

Die Mitglieder dieser Gemeinschaft machen sich im Rahmen ihrer von Tür zu Tür durchgeführten Verkündigungstätigkeit Notizen über Besuche bei Personen, die weder ihnen noch der Gemeinschaft bekannt sind. Zu den erhobenen Daten können die Namen und Adressen der aufgesuchten Personen sowie Informationen über ihre religiösen Überzeugungen und Familienverhältnisse gehören. Diese Daten werden als Gedächtnisstütze erhoben, um für den Fall eines erneuten Besuchs wiederauffindbar zu sein, ohne dass die betroffenen Personen hierin eingewilligt hätten oder darüber informiert worden wären. Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas und ihre Gemeinden organisieren und koordinieren die von Tür zu Tür durchgeführte Verkündigungstätigkeit ihrer Mitglieder insbesondere dadurch, dass sie Gebietskarten erstellen, auf deren Grundlage Bezirke unter den verkündigenden Mitgliedern aufgeteilt werden, und indem sie Verzeichnisse über die Verkündiger und die Anzahl der von ihnen verbreiteten Publikationen der Gemeinschaft führen. Außerdem führen die Gemeinden der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas eine Liste der Personen, die darum gebeten haben, nicht mehr von den Verkündigern aufgesucht zu werden. Die in dieser Liste enthaltenen personenbezogenen Daten werden von den Mitgliedern der Gemeinschaft verwendet.

Das Vorabentscheidungsersuchen des Korkein hallinto-oikeus (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Finnland) betrifft im Wesentlichen die Frage, ob die Gemeinschaft den unionsrechtlichen Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten unterliegt, weil sich ihre Mitglieder bei der Ausübung ihrer Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür veranlasst sehen können, sich Notizen über den Inhalt ihrer Gespräche und insbesondere die religiöse Orientierung der von ihnen aufgesuchten Personen zu machen.

In seinem heute verkündeten Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die von den Mitgliedern der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas von Tür zu Tür durchgehführte Verkündigungstätigkeit nicht unter die Ausnahmen fällt, die die unionsrechtlichen Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten vorsehen. Insbesondere ist diese Tätigkeit keine ausschließlich persönliche oder familiäre Tätigkeit, für die diese Vorschriften nicht gelten. Der Umstand, dass die Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür durch das in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU verankerte Grundrecht auf Gewissens- und Religionsfreiheit geschützt ist, verleiht ihr keinen ausschließlich persönlichen oder familiären Charakter, da sie über die private Sphäre eines als Verkündiger tätigen Mitglieds einer Religionsgemeinschaft hinausgeht.

Sodann weist der Gerichtshof einschränkend darauf hin, dass die unionsrechtlichen Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten nur dann auf die manuelle Verarbeitung von Daten anwendbar sind, wenn diese Daten in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Da im vorliegenden Fall die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht automatisiert erfolgt, stellt sich die Frage, ob die verarbeiteten Daten in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert
werden sollen. Insoweit gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass der Begriff „Datei“ jede Sammlung personenbezogener Daten, die im Rahmen einer Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür erhoben wurden und zu denen Namen und Adressen sowie weitere Informationen über die aufgesuchten Personen gehören, umfasst, sofern diese Daten nach bestimmten Kriterien so
strukturiert sind, dass sie in der Praxis zur späteren Verwendung leicht wiederauffindbar sind. Um unter diesen Begriff zu fallen, muss eine solche Sammlung nicht aus spezifischen Kartotheken oder Verzeichnissen oder anderen der Recherche dienenden Ordnungssystemen bestehen.

Demnach müssen die Verarbeitungen personenbezogener Daten, die im Rahmen der Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür erfolgen, mit den unionsrechtlichen Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten im Einklang stehen. Zu der Frage, wer als für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten Verantwortlicher angesehen werden kann, weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Begriff „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ mehrere an dieser Verarbeitung beteiligte Akteure betreffen kann, wobei dann jeder von ihnen den unionsrechtlichen Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten unterliegt. Diese Akteure können in verschiedenen Phasen und in unterschiedlichem Ausmaß in die Verarbeitung einbezogen sein, so dass der Grad der Verantwortlichkeit eines jeden von ihnen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass aus keiner Bestimmung des Unionsrechts geschlossen werden kann, dass die Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung mittels schriftlicher Anleitungen oder Anweisungen seitens des für die Verarbeitung Verantwortlichen erfolgen muss. Hingegen kann eine natürliche oder juristische Person, die aus Eigeninteresse auf die Verarbeitung der personenbezogenen Daten Einfluss nimmt und damit an der Entscheidung
über die Zwecke und Mittel dieser Verarbeitung beteiligt ist, als für die Verarbeitung Verantwortlicher angesehen werden.

Im Übrigen setzt die gemeinsame Verantwortlichkeit mehrerer Akteure nicht voraus, dass jeder von ihnen Zugang zu den personenbezogenen Daten hat. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas dadurch, dass sie die Verkündigungstätigkeit ihrer Mitglieder organisiert und koordiniert und zu ihr ermuntert, gemeinsam mit ihren verkündigenden Mitgliedern an der Entscheidung über den Zweck und die Mittel der Verarbeitung der personenbezogenen Daten der aufgesuchten Personen beteiligt ist, was jedoch das finnische Gericht anhand sämtlicher Umstände des vorliegenden
Falles zu beurteilen hat. Der in Art. 17 AEUV niedergelegte Grundsatz der organisatorischen Autonomie der Religionsgemeinschaften stellt diese Würdigung nicht in Frage.

Der Gerichtshof gelangt zu dem Schluss, dass nach den unionsrechtlichen Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten eine Religionsgemeinschaft gemeinsam mit ihren als Verkündiger tätigen Mitgliedern als Verantwortliche für die Verarbeitung personenbezogener Daten angesehen werden kann, die durch diese Mitglieder im Rahmen einer Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür erfolgt, die von dieser Gemeinschaft organisiert und koordiniert wird und zu der sie ermuntert, ohne dass es hierfür erforderlich wäre, dass die Gemeinschaft Zugriff auf die Daten hat oder ihren Mitgliedern nachweislich schriftliche Anleitungen oder Anweisungen zu dieser Datenverarbeitung gegeben hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



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