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OLG Hamm: Kontrollverlust über personenbezogene Daten bei unrechtmäßiger Datenverarbeitung begründet allein keinen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO

OLG Hamm
Beschluss vom 21.12.2023
7 U 137/23

Das OLG Hamm hat seine Rechtsansicht bekräftigt, wonach ein Kontrollverlust über personenbezogene Daten bei unrechtmäßiger Datenverarbeitung allein keinen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO begründet.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Mit Blick auf den vorliegend fehlenden kausalen immateriellen Schaden folgen die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 14.12.2023 – C-340/21, BeckRS 2023, 35786 Rn. 84, 85). Danach hat der Kläger als Person, die von einem Verstoß gegen die DSGVO betroffen ist, der für sie negative Folgen gehabt hat, nachzuweisen, dass diese Folgen einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO darstellen. Dem folgend sieht der Senat somit den Kläger zutreffend in der Pflicht, den Indizienbeweis zum Eintritt eines kausalen immateriellen Schadens zu führen. Indem der Senat sich mit den vom Kläger dargelegten Indizien befasst und diese (hier als nicht den Eintritt eines kausalen immateriellen Schadens tragend) würdigt, setzt der Senat schlicht die weitere Vorgabe des EuGH um; denn danach ist das angerufene nationale Gericht, wenn sich eine Person auf die Befürchtung beruft, dass ihre personenbezogenen Daten in Zukunft aufgrund eines solchen Verstoßes missbräuchlich verwendet werden, gehalten zu prüfen, ob diese Befürchtung unter den gegebenen besonderen Umständen und im Hinblick auf die betroffene Person als begründet angesehen werden kann.

2. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Ebenso wenig ist eine Entscheidung des BGH zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO); denn die im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des EuGH und des BGH hinreichend geklärt und im Übrigen solche des Einzelfalls.

a) Mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal „Eintritt eines kausalen immateriellen Schadens“ im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO bietet der vorliegende Einzelfall keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer weiteren klärungsbedürftigen und klärungsfähigen Rechtsfrage; vielmehr ist die streitgegenständliche Rechtsfrage zur fehlenden Qualität der negativen Folge eines bloßen Kontrollverlusts als immaterieller Schaden durch die aufgezeigten aktuellen Entscheidungen des EuGH geklärt. Die Vorlagefrage 4 aus dem Beschluss des BGH vom 26.09.2023 (VI ZR 97/22) betrifft eine andere Konstellation (vgl. hierzu i.E. Senat Beschl. v. 18.10.2023 – I-7 U 77/23, BeckRS 2023, 32741 Rn. 4).

b) Soweit das OLG Stuttgart (Urt. v. 22.11.2023 - 4 U 20/23, GRUR-RS 2023, 32883, Rn. 89 ff., 257 ff.) von der hiesigen Senatsrechtsprechung abweichend den dortigen und hiesigen Antrag zu 2. auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden als zulässig und begründet ansieht, folgt aus dieser (vermeintlichen) Divergenz obergerichtlicher Entscheidungen kein Bedarf einer Klärung durch den BGH.

Klärungsbedürftig und damit von grundsätzlicher Bedeutung ist nur eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage und auch nur dann, wenn ihre Beantwortung zweifelhaft ist oder wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist (vgl. BGH Beschl. v. 6.3.2019 – IV ZR 108/18, Rn. 13).

An einer grundsätzlichen Bedeutung in diesem Sinne fehlt es zunächst deshalb, weil das OLG Stuttgart (Urt. v. 22.11.2023 - 4 U 20/23, GRUR-RS 2023, 32883, Rn. 81) und der Senat (vgl. hierzu i.E. Senat Urt. v. 15.8.2023 – 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 Rn. 191 ff.) übereinstimmend in rechtlicher Hinsicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde legen, wonach für Schäden, die aus der behaupteten Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, also eines sonstigen absolut geschützten Rechtsguts im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB, resultieren, bereits die Möglichkeit materieller oder weiterer immaterieller Schäden für die Annahme eines Feststellungsinteresses ausreicht.

Eine Divergenz in den obergerichtlichen Entscheidungen besteht lediglich insoweit, als das OLG Stuttgart anders als der Senat im Zuge der Subsumtion nicht auf den zu entscheidenden Einzelfall abstellt, sondern apodiktisch ohne die Betrachtung der Umstände des konkreten Einzelfalls die abstrakte, theoretische Möglichkeit eines (materiellen und immateriellen) Schadenseintritts für ausreichend erachtet.

Dies rechtfertigt es jedoch nicht, eine grundsätzliche Bedeutung anzunehmen; denn durch die gefestigte Rechtsprechung des BGH (vgl. nur BGH Urt. v. 5.10.2021 – VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 28 m.w.N.) ist bereits höchstrichterlich geklärt, dass die Frage der Möglichkeit eines Schadenseintritts gerade nicht abstrakt, sondern aus der Sicht des konkret Geschädigten in verständiger Würdigung zu beurteilen ist. Dem folgt der Senat in Achtung der zugrundeliegenden Intention, der Beklagtenpartei keinen Rechtsstreit über nur theoretische Fragen aufzuzwingen, in ständiger Rechtsprechung (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 – 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 Rn. 194 m.w.N.). Dies mag das OLG Stuttgart (Urt. v. 22.11.2023 - 4 U 20/23, GRUR-RS 2023, 32883, Rn. 93 f.) verkannt haben. Eine solche vereinzelte, nicht nachvollziehbar begründete Entscheidung zwingt den Senat jedenfalls nicht zur Zulassung der Revision und damit zugleich zur Abkehr vom Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO (vgl. dazu BGH Beschl. v. 6.3.2019 - IV ZR 108/18, r+s 2019, 272 Rn. 14; BGH Beschl. v. 8.2.2010 - II ZR 156/09, NJW-RR 2010, 978 Rn. 3; BGH Beschl. v. 27.11.2013 - VII ZR 371/12, NJW 2014, 456 Rn. 9).

Mit Blick darauf ist auch eine Entscheidung des BGH zur Fortbildung des Rechts nicht geboten. Ebenso wenig liegt eine tragende Rechtssatzabweichung von der Rechtsprechung eines höher- oder gleichrangigen anderen Gerichts vor, die eine höchstrichterliche Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderte (vgl. hierzu BGH Beschl. v. 6.3.2019 - IV ZR 108/18, r+s 2019, 272 Rn. 15).

c. Entsprechendes gilt insoweit, als das OLG Stuttgart (Urt. v. 22.11.2023 – 4 U 20/23, GRUR-RS 2023, 32883 Rn. 98 ff. und 272) anders als der Senat (Urt. v. 15.8.2023 – 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 Rn. 203 ff.) die Unterlassungsanträge als zulässig erachtet und mit Blick darauf, dass in der Sache über die Unterlassungsansprüche letztlich doch die Implementierung bestimmter Sicherheitsmaßnahmen und damit im Ergebnis eine Leistung verlangt werde, erst die Begründetheit verneint; denn das OLG Stuttgart setzt sich in keiner Weise mit den Ausführungen des Senats zur Unzulässigkeit der beiden Unterlassungsanträge, die auf entsprechender Rechtsprechung des BGH fußen, auseinander. Infolgedessen lassen sich über den jeweiligen Einzelfall hinaus schon keine (weiteren) Unklarheiten in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die eine zusätzliche Klärung durch den BGH erforderten (vgl. hierzu BGH Beschl. v. 8.2.2010 - II ZR 156/09, NJW-RR 2010, 978 Rn. 3; BGH Beschl. v. 27.11.2013 - VII ZR 371/12, NJW 2014, 456 Rn. 9), feststellen.

d. Allein die Vielzahl bundesweit anhängiger gleichgerichteter Rechtsstreite vermag vor dem Hintergrund, dass die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sämtlich durch EuGH und BGH geklärt sind, dem Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung zu verleihen.

3. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO) ist nicht geboten. Es wird insoweit auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 24.11.2023 (Bl. 149 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte) Bezug genommen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 544 Abs. 2, § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

III. Aus dem Umstand, dass das OLG Stuttgart im Tenor seines Urteils (v. 22.11.2023 – 4 U 20/23, GRUR-RS 2023, 32883) ohne weitere Begründung in seinem Einzelfall den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 7.000,00 EUR festgesetzt hat, ergibt sich für den Senat für den vorliegenden Einzelfall kein Grund von seiner Praxis zur Streitwertfestsetzung abzuweichen. Auch insoweit orientiert sich der Senat an ständiger Rechtsprechung des BGH (Senat Urt. v. 15.8.2023 – 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 Rn. 254 ff.).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm: Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen nur wenn ein konkreter Schaden nachgewiesen wird - Verstoß gegen DSGVO und Gefühl des Kontrollverlustes seitens des Betroffenen genügt nicht

OLG Hamm
Urteil vom 15.08.2023
7 U 19/23


Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch in Facebook-Scraping-Fällen nur dann besteht, wenn ein konkreter Schaden nachgewiesen wird. Der Verstoß gegen die DSGVO und das Gefühl des Kontrollverlustes seitens des Betroffenen genügt nicht allein nicht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Leitentscheidung zu Facebook-Scraping

Das Oberlandesgericht Hamm hat ein erstes Urteil zu den sogenannten Facebook-Scraping-Fällen gesprochen und eine Klage auf Zahlung von Schadensersatz nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) abgewiesen. Nach dem Urteil liegen zwar Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften vor, einen immateriellen Schaden konnte die Klägerin jedoch nicht ausreichend darlegen.

Im April 2021 veröffentlichten Unbekannte die Daten von etwa 500 Millionen Facebook-Nutzern im Darknet, darunter Namen und Telefonnummern. Die Daten hatten die Unbekannten zuvor über einen längeren Zeitraum zunächst unter Ausnutzung der seinerzeitigen Suchfunktionen von Facebook gesammelt, weshalb von „Scraping“ gesprochen wird (von engl. to scrape für zusammenkratzen). Auch dann, wenn die Anzeige der eigenen Telefonnummer bei Facebook nicht aktiviert war, war es über die Suchfunktion möglich, einen Nutzer über eine eingegebene Telefonnummer zu identifizieren. Dies nutzen die unbekannten „Scraper“ aus, indem sie millionenfach Telefonnummern mit dem Computer generierten und hierzu Daten abriefen. Facebook deaktivierte die Suchfunktion für Telefonnummern im April 2018. Auf ein daraufhin angepasstes Scraping-Verfahren, das die Kontaktimportfunktion von Facebook ausnutzte, wurden weitere Daten abgegriffen, bis Facebook auch diese Funktion auf der Plattform im Oktober 2018 und im Facebook-Messenger im September 2019 deaktivierte.

Im Hinblick auf dieses „Datenleck“ sind bundesweit zahlreiche Klagen gegen Meta als Betreiberin der Plattform anhängig, so auch im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm, für den nunmehr die erste Entscheidung vorliegt. Der für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige 7. Zivilsenat klärt darin zahlreiche Rechtsfragen im Zusammenhang mit den Scraping-Klagen.

Auch die Klägerin im nun entschiedenen Verfahren war von dem Scraping betroffen. In dem im Darknet veröffentlichten Datensatz fanden sich ihre Mobiltelefonnummer, ihr Vor- und Nachname sowie die Angabe ihres Geschlechts. Die Klägerin hat von Meta als Betreiberin der Plattform unter anderem eine Entschädigung für immaterielle Schäden ähnlich einem Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 1.000 Euro verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Betreiberin der Plattform habe sowohl im Zusammenhang mit dem Scraping als auch unabhängig davon gegen verschiedene Vorschriften des Datenschutzes aus der DSGVO verstoßen. Dem ist Meta entgegengetreten.

Das Landgericht Bielefeld hatte die Klage zurückgewiesen. Die von der Klägerin eingelegte Berufung ist nun vor dem Oberlandesgericht Hamm ohne Erfolg geblieben. Zwar hat das Oberlandesgericht Verstöße gegen die DSGVO festgestellt. Von einem immateriellen Schaden der Klägerin konnte es sich jedoch nicht überzeugen.

Zu den festgestellten Verstößen gegen die DSGVO geht das Oberlandesgericht im Ausgangspunkt davon aus, dass es auch im Zivilprozess Aufgabe des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen – hier Meta – ist, die zulässige Verarbeitung dieser Daten nach der DSGVO nachzuweisen. Auch die Weitergabe von Daten an Dritte auf eine Suchfunktion oder eine Kontaktimportfunktion ist dabei Datenverarbeitung im Sinne der DSGVO. Meta konnte hier nicht nachweisen, dass die Weitergabe der Mobiltelefonnummer der Klägerin im Rahmen der Such- oder Kontaktimportfunktion nach der DSGVO gerechtfertigt war. Auf die Erfüllung des Vertragszwecks als Rechtfertigungsgrund nach der DSGVO kann sich Meta dabei nicht berufen, da die Verarbeitung der Mobiltelefonnummer für die Vernetzung der Nutzerinnen und Nutzer von Facebook untereinander unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Datensparsamkeit nicht zwingend erforderlich ist. Für die Verarbeitung der Mobiltelefonnummer bedarf es daher einer Einwilligung der Nutzerin oder des Nutzers. Eine solche wurde hier schon deswegen nicht wirksam erteilt, weil bei der seinerzeit erteilten Einwilligung der Klägerin in unzulässiger Weise mit von der Nutzerin auf Wunsch abwählbaren Voreinstellungen gearbeitet wurde („opt-out“) und die Informationen über die Such- und Kontaktimportfunktion unzureichend und intransparent waren.

Auch eine grundsätzlich zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung hat das Oberlandesgericht bejaht, da Meta trotz der konkreten Kenntnis von dem Datenabgriff im vorliegenden Fall naheliegende Maßnahmen zur Verhinderung weiteren unbefugten Datenabgriffs nicht ergriffen hatte.

Das Oberlandesgericht hat der Klägerin im Ergebnis aber dennoch keinen Schadensersatz zuerkannt. Die Klägerin hat hier lediglich immaterielle Schäden geltend gemacht, was nach der DSGVO grundsätzlich möglich ist und zu einer Entschädigung ähnlich einem Schmerzensgeld führen kann. Allerdings ist es der Klägerin nicht gelungen, einen konkreten immateriellen Schaden darzulegen. Dabei geht das Oberlandesgericht davon aus, dass der immaterielle Schaden nicht in dem bloßen Verstoß gegen die DSGVO selbst liegen kann, sondern darüberhinausgehende persönliche bzw. psychologische Beeinträchtigungen eingetreten sein müssen. Solche hat die Klägerin jedoch nicht individuell dargelegt. Der zu einer Vielzahl an ähnlich gelagerten Verfahren identische, pauschale Vortrag, die „Klägerpartei“ habe Gefühle eines Kontrollverlusts, eines Beobachtetwerdens und einer Hilflosigkeit, insgesamt also das Gefühl der Angst entwickelt und Aufwand an Zeit und Mühe gehabt, reicht zur Darlegung einer konkret-individuellen Betroffenheit der Klägerin nicht aus. Auch ist der hier in Rede stehende Datenmissbrauch, der zur ungewollten Veröffentlichung von Name und Mobiltelefonnummer geführt hat, nicht so schwerwiegend, dass der Eintritt eines immateriellen Schadens ohne weiteres naheliegt. Hinzu kommt, dass die Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht lediglich ausgeführt hatte, sie habe ein „Gefühl der Erschrockenheit“ erlitten.

Das Oberlandesgericht hat den Streitwert für das gesamte Verfahren – in dem auch erfolglos weitere Anträge auf Feststellung, Unterlassung und Auskunft geltend gemacht worden waren – mit lediglich 3.000 Euro bewertet. Es hat keinen Anlass gesehen, das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen oder die Revision zuzulassen, da die entscheidenden Rechtsfragen jüngst durch den Europäischen Gerichtshof geklärt wurden.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 15. August 2023, Az. 7 U 19/23; Vorinstanz: Landgericht Bielefeld, Urteil vom 19. Dezember 2022, Az. 8 O 157/22.

Die Entscheidung ist veröffentlicht unter www.nrwe.de externer Link, öffnet neues Browserfenster / neuen Browser-Tab.

Bernhard Kuchler
Pressedezernent

Für die Entscheidung relevante Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Art. 4 – Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck: […]
2. "Verarbeitung" jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung; […]

Art. 5 – Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten
(1) Personenbezogene Daten müssen
a) auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden ("Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz");
b) für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden; eine Weiterverarbeitung für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gilt gemäß Artikel 89 Absatz 1 nicht als unvereinbar mit den ursprünglichen Zwecken ("Zweckbindung");
c) dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein ("Datenminimierung"); […]

(2) Der Verantwortliche ist für die Einhaltung des Absatzes 1 verantwortlich und muss dessen Einhaltung nachweisen können ("Rechenschaftspflicht").

Art. 6 – Rechtmäßigkeit der Verarbeitung
(1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:
a) Die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben;
b) die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen; […]

Art. 7 – Bedingungen für die Einwilligung
(1) Beruht die Verarbeitung auf einer Einwilligung, muss der Verantwortliche nachweisen können, dass die betroffene Person in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten eingewilligt hat.
(2) Erfolgt die Einwilligung der betroffenen Person durch eine schriftliche Erklärung, die noch andere Sachverhalte betrifft, so muss das Ersuchen um Einwilligung in verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache so erfolgen, dass es von den anderen Sachverhalten klar zu unterscheiden ist. Teile der Erklärung sind dann nicht verbindlich, wenn sie einen Verstoß gegen diese Verordnung darstellen. […]

Art. 32 – Sicherheit der Verarbeitung
(1) Unter Berücksichtigung des Stands der Technik, der Implementierungskosten und der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere des Risikos für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen treffen der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten; […]

Art. 82 – Haftung und Recht auf Schadenersatz
(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. […]




OLG Hamm: Direktnachrichten über Soziale Medien, Portale und Messengerdienste sind elektronische Post im Sinne von § 7 UWG und ohne Einwilligung des Empfängers unzulässig

OLG Hamm
Hinweisbeschluss vom 17.05.2023
18 U 154/22


Das OLG Hamm hat in einem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass auch Direktnachrichten über Soziale Medien, Portale und Messengerdienste elektronische Post im Sinne von § 7 UWG darstellen und ohne Einwilligung des Empfängers unzulässig sind.

Aus den Gründen:
Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, nach der die Klägerin aus der Akquise-Vereinbarung keine Rechte herleiten kann, weil der Vertrag nichtig ist.

Gemäß § 134 BGB können Verträge nichtig sein, die zur Begehung unlauteren Wettbewerbs verpflichten. Voraussetzung hierfür ist, dass der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung selbst das wettbewerbswidrige Verhalten innewohnt (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.1998 - I ZR 10/96, GRUR 1998, 945, beckonline; Senatsbeschluss vom 25.10.2021- 18 U 110/21, Rn. 46, juris; OLG; Frankfurt/M., Urteil vom 24.01.2018 - 13 U 165/16, NJW-RR 2018, 887, Rn. 43). Dies ist hier der Fall, weil die Akquise-Vereinbarung darauf gerichtet ist, unzulässige geschäftliche Handlungen nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F. durchzuführen und damit zu einem wettbewerbswidrigen Handeln verpflichtet.

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird zunächst auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Die Berufungsbegründung der Klägerin gibt Anlass zu folgenden ergänzenden Ausführungen:

a)

Auch hinsichtlich der Dienstleistung Chiffre-Kontakt liegt eine unzulässige geschäftliche Handlung gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F. vor.

Die erstmalige Kontaktierung der Inserenten über die einzelnen Portale seitens der Mitarbeiter der Klägerin, wie es in § 5 der Akquise-Vereinbarung vorgesehen ist und mit einem Anschreiben über die Kontaktformulare der jeweiligen Immobilienportale geschieht, verstößt gegen § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F., weil die Inserenten die für eine solche Kontaktaufnahme per elektronischer Post erforderliche vorherige ausdrückliche Einwilligung nicht erteilt haben (vgl. Senatsbeschluss vom 23.12.2021- 18 U 110/21, Rn. 9, juris).

Die Auffassung der Klägerin, das Anschreiben über ein Internetportal stelle keine elektronische Post im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F. dar, weil die Nachrichten nicht direkt an die potenziellen Verkäufer der Immobilien, sondern an die Internetportale verschickt würden, und aus dem gleichen Grund die Verbraucher auch nicht Adressaten im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F. seien, geht fehl; sie ist insbesondere nicht mit dem Schutzzweck der Vorschrift vereinbar.

aa)

Der Begriff der "elektronischen Post" in § 7 Abs. Nr. 3 UWG a.F. ist unionsrechtskonform in Einklang mit Art. 2 S. 2 lit. h der RL 2002/58/EG (EK-DSRL - Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) auszulegen und umfasst daher "jede über ein öffentliches Kommunikationsnetz verschickte Text-, Sprach-, Ton- oder Bildnachricht, die im Netz oder im Endgerät des Empfängers gespeichert werden kann, bis sie von diesem abgerufen wird". Durch die Bestimmung in Art. 13 Abs. 1 der RL 2002/58/EG, die den Begriff der elektronischen Post aufgreift und deren Verwendung reglementiert, sollen die Nutzer vor einer Verletzung ihrer Privatsphäre durch unerbetene Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung geschützt werden (vgl. ErwG 40 der RL 2002/58/EG). Angesichts dieses Schutzzwecks befürworten sowohl der Bundesgerichtshof als auch der Europäische Gerichtshof bei Beantwortung der Frage, welche elektronischen Kommunikationsmittel unter elektronische Post zu fassen sind, eine weite und an die Entwicklung der Technologie angepasste Auslegung.

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 30.01.2020 (Az. I ZR 25/19, GRUR 2020, 420 - Inbox-Werbung I) dem Europäischen Gerichtshof zur Auslegung von Art. 2 S. 2 lit. h und Art. 13 Abs. 1 der RL 2002/58/EG sowie Nr. 26 des Anh. I der RL 2005/29/EG mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. In diesem Zusammenhang hat er auch Ausführungen zum Begriff der elektronischen Post gemacht: Es sei nicht ersichtlich, dass der Richtliniengeber angesichts der absehbar rasch fortschreitenden technischen Entwicklung den Begriff der elektronischen Post statisch auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie bekannten "klassischen" Formen der E-Mail, der SMS oder der MMS festschreiben wollte. Näherliegend sei, dass er im Interesse des Schutzes der Privatsphäre der Nutzer einen dynamischen und technikneutralen Begriff gewählt habe (vgl. Mankowski in Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl., § 7 Rn. 186), der es beispielsweise ermögliche, auch die erst in jüngerer Zeit relevant gewordenen elektronischen Mitteilungen im Rahmen von sozialen Netzwerken zu erfassen (vgl. Büscher/Büscher, § 7 Rn. 200; Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., § 7 Rn. 65; Mankowski in Fezer/Büscher/Obergfell, § 7 Rn. 186). Denn die Privatsphäre der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel könne nicht nur durch im Wege der klassischen Formen der elektronischen Individualkommunikation wie E-Mail, SMS oder MMS übersandten unerbetene Nachrichten beeinträchtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 30.01.2020 - I ZR 25/19, GRUR 2020, 420 Rn. 29, beckonline).

Der Europäische Gerichtshof hat anlässlich der Vorlagefragen durch Urteil vom 25.11.2021 diese Auffassung bestätigt und klargestellt, dass der Begriff der elektronischen Kommunikationsmittel aus technologischer Sicht entwicklungsfähig und mit Blick auf das Regelungsziel, dass den Nutzern der öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienste der gleiche Grad des Schutzes personenbezogener Daten und der Privatsphäre geboten werden soll, weit auszulegen sei (vgl. EuGH, Urteil vom 25.11.2021 - C-102/20, GRUR 2022, 87 Rn. 38, 39, beckonline).

Daher fallen unter den Begriff der elektronische Post im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F. neben E-Mails, SMS und MMS auch sämtliche Nachrichten über Social Media-Dienste wie Xing, Facebook, LinkedIn oder WhatsApp (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 15.01.2019 - 3 U 724/18, GRUR-RR 2019, 170 Rn. 59, beckonline; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 7 Rn. 264; Ohly/Sosnitza/Ohly, 8. Aufl. 2023, UWG § 7 Rn. 86).

Zwar handelt es sich bei dem Nachrichtendienst eines Immobilienportals nicht um einen Social-Media-Dienst. Die Funktionsweise des Postfachs ist jedoch dieselbe. Auch hier werden Nachrichten asynchron übermittelt und auf dem Server des jeweiligen Portalbetreibers für den jeweiligen Inserenten gespeichert, bis dieser sie abruft. Die Nachrichten erreichen den Nutzer in seinem eingerichteten und lediglich privat zugänglichen Postfach, das er über einen Nachrichten-Manager abrufen kann. Dementsprechend handelt es sich gleichermaßen um eine Art elektronischen Briefkasten. Angesichts des oben dargelegten Schutzzwecks des Art. 13 Abs. 1 RL 2002/58/EG kann daher für Nachrichten über Immobilienportale nichts anderes gelten als für Nachrichten über Social-Media-Dienste (oder per E-Mail).

bb)

Die Verbraucher sind weiter Adressaten im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F. Die Argumentation der Klägerin, das Internetportal, an das die Nachrichten geschickt würden, sei der Adressat ihrer Nachrichten, ist nicht nachvollziehbar.

Adressat im Sinne der Vorschrift ist der Nutzer des Immobilienportals, den die Nachricht erreichen soll. Der Nutzer eines Immobilienportals erhält erst Zugang zu seinem Nachrichtenbereich, nachdem er seine Zugangsdaten und ein Passwort eingeben hat. Ihn erreichen die Nachricht also - wie oben dargelegt - in einem privaten Bereich, der ihm vorbehalten und für die Konsolidierung der privaten Inhalte in der Form der an ihn versandten Nachrichten bestimmt ist. Es ist ohne Belang, dass die Nachricht der Klägerin die Inserenten nicht "direkt", sondern über den Server des jeweiligen Internetportals erreicht.

cc)

Kontaktaufnahmen seitens der Klägerin, die darauf gerichtet sind, den Inserenten Maklerdienste anzubieten, sind auch bei Vorliegen eines grundsätzlichen Interesses des potentiellen Immobilienverkäufers an einer Kontaktaufnahme nicht von einer entsprechenden Einwilligung gedeckt. Grundsätzlich gilt: Hat ein Verbraucher eine Anzeige geschaltet, in der er eine Eigentumswohnung zum Verkauf anbietet und dabei zur Kontaktaufnahme seine Telefonnummer angibt, erklärt er seine ausdrückliche Einwilligung in Telefonanrufe von Kaufinteressenten, auch in solche von Maklern, die sich für ihre Suchkunden für die angebotene Wohnung interessieren. Telefonanrufe von Maklern, die darauf gerichtet sind, dem Inserenten Maklerdienste anzubieten oder mit diesem gar einen Maklervertrag zu schließen, sind von einer solchen Einwilligung nicht gedeckt (vgl. Senatsbeschluss vom 23.12.2021 - 18 U 110/21, Rn. 9, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.6.2018 - 8 U 153/17, NJW-RR 2018, 1263, beckonline). Auch die Bestimmungen der jeweiligen Portale sind nicht geeignet, die erforderliche Einwilligung des jeweiligen Nutzers zu ersetzen (vgl. Senatsbeschluss, a.a.O.).

b) Die Verschaffung der sog. Opt-Ins erfolgt ebenso unter Verstoß gegen die Vorschriften des UWG. Auch soweit sich auf die - wettbewerbswidrigen - Anschreiben die Inserenten melden und mit einer telefonischen Kontaktaufnahme einverstanden sind, kann sich die Klägerin nicht auf eine vorherige ausdrückliche Einwilligung gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F. in einen Telefonanruf zur Herbeiführung eines Opt-In berufen. Auf die nicht ergänzungsbedürftigen Ausführungen des Landgerichts wird Bezug genommen.

c) Die in § 14 der Akquise-Vereinbarung enthaltene salvatorische Klausel steht der Gesamtnichtigkeit des Vertrags nach § 139 BGB nicht entgegen. Der nichtige Vertragsteil ist von derart grundlegender Bedeutung, dass die Aufrechterhaltung nur des Restgeschäfts nicht mehr als vom durch Vertragsauslegung zu ermittelnden Willen der Vertragsparteien umfasst angesehen werden kann. Denn hier sind gerade die entscheidenden wesentlichen Vertragsbestimmungen unwirksam. Ohne diese verliert der Vertrag seinen Inhalt.


OLG Hamm: Fehlende Eintragung in Liste nach § 8b UWG bzw. § 4 UKlaG führt dazu dass Abmahnverein Antragsbefugnis im Ordnungsmittelverfahren fehlt

OLG Hamm
Beschluss vom 15.05.2023
4 W 32/22


Das OLG Hamm hat entschieden, dass die fehlende Eintragung in die Liste der zur Abmahnung befugten Verbände nach § 8b UWG bzw. § 4 UKlaG dazu führt, dass einem Abmahnverein die Antragsbefugnis im Ordnungsmittelverfahren fehlt.

Der BGH hat diese Entscheidung mit Beschluss vom 21.12.2023 - I ZB 42/23 aufgehoben.

Aus den Entscheidungsgründen des Beschlusses des OLG Hamm:
Der Gläubiger ist ein Verband in der Rechtsform des eingetragenen Vereins, zu dessen Aufgaben nach seiner Satzung die Förderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen deutscher Online-Unternehmer und Online-Freiberufler und die Mitwirkung an der Herstellung eines fairen Wettbewerbs gehören. Der Gläubiger ist bis zum heutigen Tage weder in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG noch in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen worden.

Auf Antrag des Gläubigers hatte die 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen am 12.07.2018 im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung (Urschrift Blatt 137-172 der erstinstanzlichen Gerichtsakte) gegen die jetzige Schuldnerin erlassen, mit der das Landgericht der Schuldnerin, materiell-rechtlich gestützt auf § 8 Abs. 1 UWG, unter Androhung von Ordnungsmitteln u.a. untersagt hatte, mit einer „Garantie“ zu werben, ohne gleichzeitig nähere Angaben zum Inhalt und zur Ausgestaltung dieser Garantie zu machen. Die Schuldnerin hatte zu dieser einstweiligen Verfügung unter dem 11.09.2018 eine Abschlusserklärung (Blatt 251 der erstinstanzlichen Gerichtsakte) abgegeben.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 11.11.2021, beim Landgericht am gleichen Tage eingegangen, beantragte der Gläubiger die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen die Schuldnerin. Die Schuldnerin habe am 09.11.2021 in Produktangeboten auf der Internethandelsplattform „B.“ dem vorbezeichneten Unterlassungsgebot zuwidergehandelt. Der Gläubiger legte als Beleg für diese Zuwiderhandlungen die Anlagen G4 und G5 (Blatt 193-250 der erstinstanzlichen Gerichtsakte) vor.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 08.04.2022, den Verfahrensbevollmächtigten des Gläubigers zugestellt am 14.04.2022, wies die 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen den Ordnungsmittelantrag zurück. Dem Gläubiger fehle die für die Durchführung des Ordnungsmittelverfahrens erforderliche Prozessführungsbefugnis.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Gläubiger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde, mit der er seinen Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen die Schuldnerin weiterverfolgt.

B. Die – nach § 793 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige – sofortige Beschwerde des Gläubigers ist unbegründet. Das Landgericht hat den Ordnungsmittelantrag des Gläubigers zu Recht zurückgewiesen.

Der Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist unzulässig. Dem Gläubiger fehlt die erforderliche Antragsbefugnis.

I. Die Regelungen in § 8 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 UWG über die Befugnis von Wirtschaftsverbänden und qualifizierten Einrichtungen zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen haben nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, der auch der erkennende Senat folgt, eine „Doppelnatur“: Sie regeln nicht nur die materiell-rechtliche Anspruchsberechtigung (Sachbefugnis oder Aktivlegitimation), sondern in verfahrensrechtlicher Hinsicht auch die Prozessführungsbefugnis für die Geltendmachung von lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen nach § 8 Abs. 1 UWG (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. [2023], § 8 Rdnr. 3.9 m.w.N.).

II. Diese Prozessführungsbefugnis muss, soweit es – wie im vorliegenden Falle – um einen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG geht, nicht nur im Erkenntnisverfahren vorliegen, sondern auch noch bei der anschließenden Durchsetzung des titulierten Unterlassungsanspruches im Wege der Zwangsvollstreckung zum Zeitpunkt der Entscheidung über einen Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO gegeben sein (im Ergebnis ebenso: Büscher/Ahrens, UWG, 2. Aufl. [2021], § 15a Rdnr. 11). Da § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO von einem „Antrag“ spricht, erscheint es sinnvoll, im Ordnungsmittelverfahren nicht den Begriff „Prozessführungsbefugnis“, sondern den Begriff „Antragsbefugnis“ zu verwenden.

Die Antragsbefugnis für einen Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO fehlt dem Gläubiger hier spätestens seit dem Inkrafttreten der Neufassung des § 8 Abs. 3 UWG aufgrund des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020 am 01.12.2021, weil der Gläubiger bis zum heutigen Tage weder in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG noch in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen worden ist. Gerade die Neufassung des § 8 Abs. 3 UWG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs belegt die Richtigkeit der Auffassung, dass die Prozessführungsbefugnis (Antragsbefugnis) von Wirtschaftsverbänden und qualifizierten Einrichtungen auch noch im Ordnungsmittelverfahren fortbestehen muss: Die gegenteilige, im vorliegenden Verfahren vom Gläubiger vertretene Auffassung würde dazu führen, dass bei einer vom Gesetzgeber angeordneten Einschränkung der Prozessführungsbefugnis von Verbänden und Einrichtungen, wie sie das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vorgenommen hat, von dieser Gesetzesänderung betroffene, nicht mehr abmahn-, anspruchs- und klageberechtigte Verbände und Einrichtungen noch ein kaum sinnvolles „Rest- und Schattendasein“ als „Verwalter“ alter Vollstreckungstitel führen könnten. Dies entspricht fraglos nicht der Intention des Gesetzgebers und schon gar nicht dem Gesetzeszweck des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020. Auch der Bundesgerichtshof hat bereits im Jahre 1996 in der Entscheidung „Altunterwerfung I“ (BGH, Urteil vom 26.09.1996 – I ZR 265/95 – [Altunterwerfung I], juris, Rdnr. 31 ff.) – im Hinblick auf den materiell-rechtlichen Gehalt der Bestimmungen über die Befugnis von Verbänden zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen – ausgeführt, dass es der Gesetzeszweck eines vom Gesetzgeber angeordneten Wegfalls der Sachbefugnis von Verbänden erfordert, dass diese Änderung der materiellen Rechtslage vom Titelschuldner im Wege einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO geltend gemacht werden kann. Da die Bestimmungen über die Befugnis von Verbänden zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen eine Doppelnatur als sowohl materiell-rechtliche als auch prozessrechtliche Vorschriften haben, ist der Titelschuldner nicht auf die Möglichkeit der Erhebung einer Klage nach § 767 ZPO beschränkt, sondern kann – wie hier die Schuldnerin – im konkreten Ordnungsmittelverfahren die fortgefallene Antragsbefugnis des Gläubigers geltend machen.

III. Auf die Übergangsregelung in § 15a Abs. 1 UWG kann sich der Gläubiger im vorliegenden Verfahren nicht mit Erfolg berufen.

Unmittelbar gilt diese Vorschrift nur für das Erkenntnisverfahren und nicht für Verfahren im Rahmen der Zwangsvollstreckung. Auch eine etwaige entsprechende Anwendung der Regelung vermag dem Begehren des Gläubigers nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil der Ordnungsmittelantrag erst am 11.11.2021 und damit erst nach dem in § 15a Abs. 1 UWG genannten Stichtag gestellt worden ist. Dass es nicht auf die Verhältnisse am Tag der Einleitung des vorangegangenen Erkenntnisverfahrens ankommen kann, ergibt sich aus den Ausführungen des Senats oben unter II.

Es besteht auch kein inhaltlicher Widerspruch zwischen der für das Erkenntnisverfahren geschaffenen Übergangsregelung in § 15a Abs. 1 UWG und der hier vertretenen Auffassung, dass der Titelgläubiger bei der sich an das Erkenntnisverfahren anschließenden Durchsetzung des titulierten Unterlassungsanspruches im Wege der Zwangsvollstreckung zum Zeitpunkt der Entscheidung über einen Antrag auf Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften prozessführungsbefugt (antragsbefugt) sein muss. Denn die Übergangsregelung in § 15a Abs. 1 UWG dient bei sinnvoller und den Gesetzeszweck des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs berücksichtigender Auslegung ersichtlich dazu, Verbänden im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG die Gelegenheit zu geben, während der Dauer des Erkenntnisverfahrens alles Erforderliche zu veranlassen, um den neuen gesetzlichen Anforderungen für ihr weiteres Tätigwerden – namentlich der nunmehr erforderlichen Listeneintragung – gerecht zu werden.

IV. Die von der Schuldnerin abgegebene Abschlusserklärung steht der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Ihrem Wortlaut ist lediglich zu entnehmen, dass sie dazu führen sollte, die erlassene einstweilige Verfügung einem rechtskräftigen Hauptsachetitel gleichzustellen. Dass die Schuldnerin darüber hinaus auch auf Einwendungen verzichten wollte, die sie auch einem rechtskräftigen Hauptsachetitel hätte entgegenhalten können, ist nicht ersichtlich.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG Hamm: Vereinsmitglied hat regelmäßig einen Anspruch gegen Verein auf Übermittlung einer Mitgliederliste mit E-Mail-Adressen - DSGVO steht dem nicht entgegen

OLG Hamm
Urteil vom 26.04.2023
8 U 94/22


Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein Vereinsmitglied regelmäßig einen Anspruch gegen den Verein auf Übermittlung einer Mitgliederliste mit E-Mail-Adressen der Mitglieder hat. Die DSGVO steht dem nicht entgegen.

Leitsätze des Gerichts:
1. Einem Vereinsmitglied steht ein aus dem Mitgliedschaftsverhältnis fließendes Recht gegen den Verein auf Übermittlung einer Mitgliederliste zu, die auch E-Mail-Adressen der Mitglieder enthält, soweit es ein berechtigtes Interesse hat und dem keine überwiegenden Geheimhaltungsinteressen des Vereins oder berechtigte Belange der Vereinsmitglieder entgegenstehen.

2. Ein berechtigtes Interesse an dem Erhalt der Mitgliederliste ist u. a. dann gegeben, wenn eine Kontaktaufnahme mit anderen Vereinsmitgliedern beabsichtigt ist, um eine Opposition gegen die vom Vorstand eingeschlagene Richtung der Vereinsführung zu organisieren.

3. Das Vereinsmitglied kann in dem Fall nicht auf ein vom Verein eingerichtetes Internetforum verwiesen werden; es ist auch nicht auf die Auskunftserteilung an einen Treuhänder beschränkt.

4. Der Beitritt zu einem Verein begründet die Vermutung, auch zu der damit einhergehenden Kommunikation – auch per E-Mail – bereit zu sein. Eine erhebliche Belästigung geht damit regelmäßig nicht einher, zumal jedes Vereinsmitglied sich vor dem Erhalt unerwünschter E-Mails schützen kann.

5. Die Übermittlung von Mitgliederlisten ist mit dem Datenschutz vereinbar. Sie ist von dem Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. b) gedeckt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger hat seine Berufung fristgerecht eingelegt und begründet, sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung ist auch begründet, da die Klage zulässig und begründet ist. Der Kläger hat einen aus dem Mitgliedschaftsverhältnis fließenden Anspruch auf Übermittlung einer Mitgliederliste mit den Vor- und Zunamen, bei juristischen Personen deren Namen, Adressen und E-Mail-Adressen der Mitglieder.

1. Grundsatz
Der Kläger hat als Vereinsmitglied des Beklagten grundsätzlich einen aus der Mitgliedschaft fließenden Anspruch auf die begehrte Information. Ob der Anspruch auch analog § 810 BGB begründet werden kann, kann dahingestellt bleiben. § 810 BGB hat im Übrigen keinen abschließenden Charakter (s. nur MünchKommBGB/Habersack, 8. Aufl. 2020, § 810 BGB Rn. 2) und steht dem mitgliedschaftlichen Auskunftsanspruch nicht entgegen.

Nach ganz h.M. in der Literatur und in der Rechtsprechung steht einem Vereinsmitglied kraft seines Mitgliedschaftsrechts ein Recht auf Einsicht in die Bücher und Urkunden des Vereins zu, wenn und soweit es ein berechtigtes Interesse darlegen kann, dem kein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse des Vereins oder berechtigte Belange der Vereinsmitglieder entgegenstehen; BGH, Beschluss vom 21. Juni 2010 – II ZR 219/09 –, juris Rn. 4 f.; Soergel/Hadding, BGB 13. Aufl., § 38 Rdnr. 17; MünchHdbGesR/Schöpflin, Band 5: Verein/Stiftung, 5. Aufl. 2021, § 34 Rn. 21; Reichert, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 10. Aufl., Rdnr. 1380; 7; ders., Vereins- und Verbandsrecht, 14. Aufl. 2018, Rn. 1422; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, § 38 Rdnr. 1a; MünchKommBGB/Leuschner, 9. Aufl. 2021, § 38 Rn. 23 a.E.

Sind die Informationen, die sich das Mitglied durch Einsicht in die Unterlagen des Vereins beschaffen kann, in einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert, kann es zum Zwecke der Unterrichtung einen Ausdruck der geforderten Informationen oder auch deren Übermittlung in elektronischer Form verlangen; BGH, Beschluss vom 21. Juni 2010 – II ZR 219/09 –, juris Rn. 4; MünchKommBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, § 716 Rn. 8 (zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts).

Rechtsprechung und Literatur billigen dem einzelnen Vereinsmitglied insbesondere auch einen Anspruch auf Einsicht bzw. Herausgabe der Mitgliederliste jedenfalls dann zu, wenn es ein berechtigtes Interesse geltend machen kann; BGH, Beschluss vom 21. Juni 2010 – II ZR 219/09 –, juris Rn. 5 f.; OLG Saarbrücken NZG 2008, 677 f.; OLG München, U. v. 15.11.1990 – 19 U 3483/90; vgl. auch BVerfG, B. v. 18.2.1991 – 1 BvR 185/91.

Unter welchen Voraussetzungen ein berechtigtes Interesse des einzelnen Vereinsmitglieds anzunehmen ist, Kenntnis von Namen und Anschriften der anderen Vereinsmitglieder zu erhalten, ist keiner abstrakt-generellen Klärung zugänglich, sondern auf Grund der konkreten Umstände des einzelnen Falls zu beurteilen. Ein solches Interesse ist jedenfalls gegeben, wenn es darum geht, das nach der Satzung oder nach § 37 BGB erforderliche Stimmenquorum zu erreichen, um von dem in dieser Vorschrift geregelten Minderheitenrecht, die Einberufung einer Mitgliederversammlung zu verlangen, Gebrauch zu machen; BGH, Beschluss vom 21. Juni 2010 – II ZR 219/09 –, juris Rn. 6. Als berechtigtes Interesse hat der BGH ferner anerkannt, mit der Vielzahl von Mitgliedern, von denen regelmäßig nur ein kleiner Teil an der Mitgliederversammlung teilnimmt, in Kontakt zu treten, um eine Opposition gegen die vom Vorstand eingeschlagene Richtung der Vereinsführung zu organisieren; BGH, Beschluss vom 21. Juni 2010 – II ZR 219/09 –, juris Rn. 12. Dabei müssen sich die auskunftbegehrenden Mitglieder nicht auf die Möglichkeit der Kontaktaufnahme über eine Vereinszeitschrift oder ein vom Verein eingerichtetes Internetforum verweisen lassen; BGH, Beschluss vom 21. Juni 2010 – II ZR 219/09 –, juris Rn. 13.

Das auskunftbegehrende Mitglied kann dabei die Auskunft über Mitgliederliste an einen von ihm eingeschalteten Treuhänder begehren (so im Fall BGH, Beschluss vom 21. Juni 2010 – II ZR 219/09 –, juris Rn. 12). Das auskunftbegehrende Mitglied ist indes darauf nicht beschränkt, sondern kann auch selbst Einsicht in die Mitgliederliste nehmen und Übermittlung der darin enthaltenen Informationen in elektronischer Form an sich selbst verlangen, BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2010 – II ZR 219/09 –, juris Rn. 6.

[...]

4. Vereinbarkeit mit dem Datenschutz
Die Übermittlung der Mitgliederliste mit den begehrten Daten ist auch mit der Datenschutzgrundverordnung vereinbar.

a) Anwendbarkeit der DSGVO
Die Datenschutzgrundverordnung ist auf diesen Vorgang anwendbar. Die vom Kläger begehrte Mitgliederliste enthält mit Adresse und E-Mail-Adresse Informationen, die sich auf die durch Namen identifizierten Personen beziehen, mithin personenbezogene Daten i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Mit dem vom Kläger begehrten elektronischen Versand ist auch der sachliche Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 1 DSGVO eröffnet, da bereits mit dem Versand an den und der Speicherung beim Kläger eine automatisierte Verarbeitung i.S.v. Art. 2 Nr. 2 DSGVO verbunden ist. Der räumliche Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 und 2 DSGVO ist ebenfalls eröffnet, da der Beklagte als Verantwortlicher (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) in Deutschland die Daten von betroffenen Personen (Art. 4 Nr. 1 DSGVO) verarbeitet (Art. 4 Nr. 2 DSGVO).

b) Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO.
Die Übermittlung der Mitgliederlisten mit den begehrten Inhalten ist aber von dem Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO gedeckt, da sie zur Erfüllung eines Vertrags, dessen Partei die betroffenen Personen sind, erforderlich ist.

aa) Grundsätze

Datenschutzrecht ist Ermöglichungsrecht, kein Verhinderungsrecht. Es ist, wie Art. 6 Abs. 1 DSGVO ausweist, akzessorisch zum jeweiligen Sachrecht und steht dem, was das Sachrecht verlangt, nicht entgegen, sondern begrenzt es nur der Teleologie des jeweiligen sachrechtlichen Bereichs folgend auf das danach Erforderliche. Für den vorliegenden Zusammenhang heißt das, das Datenschutzrecht ist in diesem Sinne zivilrechtsakzessorisch, wie auch Art. 6 Abs. 1 lit. b) und c) DSGVO ausweisen; vgl. schon BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2010 – II ZR 219/09 –, juris Rn. 6. Das, was zivilrechtlich für die Vertragserfüllung erforderlich ist, ermöglicht das Datenschutzrecht auch.

Insbesondere stellt sich im vorliegenden Fall, in dem es um die datenschutzrechtliche Beurteilung einer gesetzlichen Nebenleistungspflicht geht, nicht die umstrittene Frage der Wechselwirkung zwischen Zivilrecht und Datenschutzrecht. Sie stellt sich, wenn die Gefahr besteht, dass die Parteien einen Vertrag in bestimmter Weise gestalten, um auf dieser Grundlage die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung für die Erfüllung (und so die Erlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO) zu begründen und damit die Anforderungen an die Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a), 7 DSGVO zu unterlaufen; dazu grundlegend Wendehorst/Graf von Westphalen, NJW 2016, 3745 ff.; ferner BeckOK Datenschutzrecht/Albers/Veit, Art. 6 DSGVO Rn. 44. Bei der Beurteilung der teleologisch zur Erreichung des Vertragszwecks (Vereinszwecks; mitgliedschaftliche Rechte) begründeten Nebenpflichten besteht diese Gefahr von vornherein nicht.

bb) Zweck des Erlaubnistatbestands

Zulässig ist nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO die Verarbeitung „für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist“. Der Zweck des Erlaubnistatbestands ist es, die privatautonome Gestaltung der Beteiligten zu ermöglichen und nicht zu beschränken. Mit dem datenschutzrechtlichen Anliegen der informationellen Selbstbestimmung ist das deswegen gut vereinbar, weil die vertragliche Verpflichtung im Wege der Selbstbestimmung legitimiert ist; BeckOK Datenschutzrecht/Albers/Veit, Art. 6 DSGVO Rn. 41 („Resultate privatautonomer Entscheidungen“). Damit handelt es sich bei dem Erlaubnistatbestand systematisch um einen Unterfall der datenschutzrechtlichen Einwilligung von Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO.

cc) Vertrag i.S.d. Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO

Der Begriff des “Vertrags” ist dabei nicht zivilrechtlich auszulegen, sondern datenschutzrechtlich und unionsautonom; BeckOK Datenschutzrecht/Albers/Veit, Art. 6 DSGVO Rn. 42. Es kommt m.a.W. nicht darauf an, ob das Rechtsverhältnis, zu dessen Erfüllung die Verarbeitung erforderlich ist, ein Vertrag i.S.d. BGB ist, sondern ob das datenschutzrechtliche Telos des Erlaubnistatbestands erfüllt ist. Maßgeblich ist m.a.W., ob das Rechtsverhältnis privatautonom begründet ist und die maßgebliche Verpflichtung daher als Ausdruck der Selbstbestimmung legitimiert ist; BeckOK Datenschutzrecht/Albers/Veit, Art. 6 DSGVO Rn. 41. Daher wird zu Recht hervorgehoben, dass der Tatbestand von lit. b) „auf all jene vertragsähnlichen Konstellationen, die gleichermaßen auf willentliche Entscheidungen des von der Verarbeitung Betroffenen zurückgehen“, anzuwenden ist; BeckOK Datenschutzrecht/Albers/Veit, Art. 6 DSGVO Rn. 42.

Vereinsgründung und -beitritt begründen einen „Vertrag“ i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO, da es sich dabei um einen selbstbestimmt erklärten Beitritt zu einer privaten Vereinigung handelt; so i.Erg. auch Kühling/Buchner/Buchner/Petri, DSGVO BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 6 DSGVO Rn. 29 f.; Gola/Heckmann/Schulz, DSGVO BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 6 DSGVO Rn. 33. Das ist auch zivilrechtlich gut begründet. So formuliert etwa Lutter, AcP 180 (1980), 84, 97: „Die Mitgliedschaft einer Person in einem Verband ist ein Rechtsverhältnis, eine auf privatautonomer Entscheidung beruhende privatrechtliche Sonderverbindung zwischen zwei oder mehr Subjekten. Sie wird begründet durch den Organisationsvertrag der Gründung oder durch den Beitrittsvertrag des neu hinzukommenden Mitgliedes, sei es mit dem Vorstand selbst, sei es mit dem bisherigen Mitglied.“ Zudem hat auch der Vereinsbeitritt anerkanntermaßen Vertragscharakter; s. nur Neuner, Allgemeiner Teil, 13. Aufl. 2023, § 17 Rn. 80 ff. Dabei kommt es für den Vertragsbegriff von Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO nicht darauf an, dass nicht sämtliche Mitglieder – gewissermaßen netzförmig – den Beitritt von einander konsentieren (wie bei der Personengesellschaft); dazu BGH, Beschluss vom 19. November 2019 – II ZR 263/18 –, juris Rn. 27; BGH, Urteil vom 11. Januar 2011 – II ZR 187/09 –, juris Rn. 17. Es reicht aus, dass die Mitglieder jeweils im Verhältnis zum Verein als Zentralstelle – gewissermaßen sternförmig – ihr Einverständnis erklären.

dd) Erforderlichkeit zur Erfüllung

Was zur Erfüllung des Vertrags erforderlich ist, bestimmen die Rechte und Pflichten des Vertrags. Eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenpflichten ist dabei nicht vorzunehmen; BeckOK Datenschutzrecht/Albers/Veit, Art. 6 DSGVO Rn. 43; Ehmann/Selmayer/Heberlein, DSGVO, 2. Aufl. 2018, Art. 6 DSGVO Rn. 13; Gola/Heckmann/Schulz, DSGVO BDSG, 3. Aufl. 2022, Art. 6 DSGVO Rn. 30. Bei der Bewertung als „erforderlich“ ist dabei – anders als im Verhältnis zwischen Bürger und Staat – kein objektiver Maßstab anzulegen, sondern der von den Parteien privatautonom gewählte Interessenausgleich zugrunde zu legen. Die dabei im allgemeinen gegebene Gefahr eines Missbrauchs der privatautonomen Gestaltungsmacht besteht dabei im vorliegenden Fall nicht. Zwar beruht auch der aus dem Mitgliedschaftsverhältnis fließende Informationsanspruch auf der Grundlage des Vertrags (i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO; also Beitritt und Satzung). Die Informationspflichten werden jedoch als – weithin sogar zwingende – Nebenpflichten gesetzlich begründet.

Die hier begründete Pflicht des Vereins, dem Mitglied eine Mitgliederliste mit Namen, Adressen und E-Mail-Adressen zu übermitteln, ist dabei bereits im Wege der Interessenabwägung als für die Zwecke der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte erforderlich begründet. Die Begründung beruht ja gerade darauf, dass die Mitgliedschaftsrechte ohne die Informationspflicht nicht effektiv ausgeübt werden könnten oder sogar leerliefen; BGH, Beschluss vom 19. November 2019 – II ZR 263/18 –, juris Rn. 27.

Im Rahmen der datenschutzrechtlichen Prüfung ist ergänzend auf die Grundsätze der Datenverarbeitung nach Art. 5 DSGVO Rücksicht zu nehmen. Hier sind insbesondere die Aspekte der Verarbeitung nach Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 1 lit. a) DSGVO), der Zweckbindung (lit. b) und der Datenminimierung hervorzuheben, die in der Sache auch die Parteien angesprochen haben. Da die Informationspflicht als gesetzlich begründete Nebenpflicht selbst Ausfluss von Treu und Glauben ist, wird damit lediglich ein bereits zivilrechtlich begründeter Aspekt hervorgehoben, der im Hinblick auf die Datenverarbeitung zu konkretisieren ist. Auch die Zweckbindung der Datenverarbeitung ist bereits als zivilrechtliche Nebenpflicht des Mitgliedschaftsverhältnisses begründet. Sie ergibt sich daraus, dass der Kläger die Informationen nur aus „berechtigten Interessen“ beanspruchen kann. Daraus ergibt sich zugleich eine sachlich begründete Begrenzung der Verarbeitung durch den Kläger. Als Verantwortlicher für die Datenverarbeitung darf er die Mitgliederliste nur für die Zwecke verwenden, für die er sie zunächst beanspruchen kann, hier also die Organisation einer Opposition gegen die „Politik“ des Vorstands, ggf. für die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung mit Minderheitenquorum. Auch die Datenminimierung ist bereits bei der zivilrechtlichen Pflichtbegründung mit berücksichtigt. Der Grundsatz darf nicht plump dahin missverstanden werden, es wäre besser, weniger Daten (etwa: nicht die E-Mail-Adressen) zu verarbeiten. Vielmehr ist auch die Datenminimierung im Hinblick auf den jeweiligen Zweck hin zu bestimmen („dem Zweck angemessen“). So ist etwa auch datenschutzrechtlich anzuerkennen, dass der Kläger die E-Mail-Adressen für eine effektive Ausübung seiner Mitgliedschaftsrechte benötigt. In der europarechtlichen Terminologie liegt darin der Gedanke des effet utile, den man auch für die Mitgliedschaftsrechte fruchtbar machen kann. Zwar könnte das Mitglied auch postalisch mit den Kon-Mitgliedern in Verbindung treten. Das würde aber die „praktische Wirksamkeit“ der Mitgliedschaftsrechte wegen der damit verbundenen prohibitiven Kosten und der in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen unangemessenen Verzögerung nicht gewährleisten.

Selbstverständlich unterliegt das Mitglied, wenn es die Mitgliederliste für seine mitgliedschaftlichen Zwecke verwendet, im Übrigen nicht nur den bereits hervorgehobenen zivilrechtlichen Beschränkungen, wie sie sich insbesondere aus § 241 Abs. 2 BGB ergeben. Er ist dabei zugleich „Verantwortlicher“ i.S.v. Art. 4 Nr. 7 DSGVO mit entsprechenden Pflichten bis hin zur (scharfen) Haftung nach Art. 82 DSGVO


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Hamm: 100 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO für versehentliche Weiterleitung personenbezogener Daten per E-Mail-Verteiler an 1200 Personen durch Impfzentrum

OLG Hamm
Urteil vom 20.01.2023
11 U 88/22


Das OLG Hamm hat entschieden, dass 100 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO für die versehentliche Weiterleitung personenbezogener Daten per E-Mail-Verteiler an 1200 Personen durch ein Impfzentrum angemessen ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Soweit das Landgericht den dem Kläger zum Ausgleich des ihm entstandenen immateriellen Schadens zustehenden Betrag mit 100,00 Euro bemessen hat, ist hiergegen aus Sicht des Senats nichts zu erinnern.

Ausgehend von dem bereits dargestellten Schadensbegriff gelten bei der Bemessung der Schadenshöhe die im Rahmen von § 253 BGB entwickelten Grundsätze; der Schaden ist nach § 287 ZPO zu schätzen (OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2022 – 5 U 2141/21, juris Rn. 81). Hierbei ist der Erwägungsgrund 146 S. 3 und 6 zur DS-GVO zu berücksichtigen, wonach der Begriff des Schadens auf eine Art und Weise auszulegen ist, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht und die betroffene Person einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten sollen. Ergänzend können auch in Art. 83 Abs. 2 DS-GVO genannte Kriterien herangezogen werden, obwohl diese Vorschrift nicht die Geltendmachung individueller Entschädigungsansprüche sondern die Verhängung von Geldbußen betrifft; dies gilt insbesondere für Art, Schwere und Dauer des Verstoßes unter Berücksichtigung von Art, Umfang oder Zweck der betreffenden Verarbeitung, den Grad des Verschuldens, Maßnahmen zur Minderung des entstandenen Schadens, frühere Verstöße sowie die Kategorie der betroffenen personenbezogenen Daten (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021 – 16 U 275/20, juris Rn. 55 f.; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.04.2022 – 3 U 21/20, juris Rn. 56; Quaas, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 31).

aa) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die in der Excel-Datei enthaltenen personenbezogenen Daten des Klägers, nämlich vollständiger Name, Anschrift, Geburtsdatum, Telefonnummer und E-Mail-Adresse sowie der für die Impfung vorgesehene Impfstoff und das Datum der Impfung sowie Angaben zur Anzahl der Impfungen in ihrer Gesamtheit ein Datenbündel darstellen, welches problemlos die Identifizierung des Klägers ermöglicht. Auch sind hier nicht lediglich personenbezogene Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO betroffen, sondern auch Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 4 Nr. 15 DS-GVO, welche grundsätzlich besonders sensibel sind, wie auch Art. 9 DS-GVO deutlich macht.

Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass die Excel-Datei an eine Vielzahl von Personen übersandt wurde. Insoweit hat die Beklagte im Senatstermin klargestellt, dass der Versand an insgesamt 1.200 Personen erfolgte, wobei allerdings ein unmittelbar nach dem Versand erfolgter Rückruf der E-Mail in 500 Fällen Erfolg hatte. Damit haben 700 Personen die Datei erhalten und konnten deren Inhalt auch zur Kenntnis nehmen, da die Datei nicht vor einem einfachen Zugriff geschützt war. Auch ist zu berücksichtigen, dass dieser Versand und damit die Offenbarung der Daten nicht mehr rückgängig zu machen ist. Denn der Kläger hatte bzw. hat keine Möglichkeit, eine etwaige Weitergabe der Daten effektiv zu verhindern oder auch nur zu kontrollieren. Trotz des von der Beklagten unternommenen Versuches, die Empfänger der E-Mail zur Löschung der Datei zu veranlassen, kann eine Weitergabe dieser Dateien an Dritte nicht ausgeschlossen werden.

Damit besteht für den Kläger das Risiko des Erhalts unerwünschter Werbung insbesondere per E-Mail oder von Phishing-E-Mails mit dem Ziel, auf diese Art weitere Informationen vom Kläger zu erlangen. Auch die Möglichkeit eines Identitätsdiebstahls ist ebenso in Betracht zu ziehen wie die Auslösung kostenpflichtiger Bestellungen durch Dritte unter Verwendung der personenbezogenen Daten des Klägers.

Es ist aber auch zu beachten, dass es sich bei den offenbarten personenbezogenen Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO lediglich um solche Daten handelt, welche der Sozialsphäre des Klägers zuzuordnen sind. Die Sozialsphäre betrifft den Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht, also insbesondere das berufliche und politische Wirken des Individuums. Demgegenüber umfasst die Privatsphäre sowohl in räumlicher als auch in thematischer Hinsicht den Bereich, zu dem andere grundsätzlich nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird. Dies betrifft in thematischer Hinsicht Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als „privat“ eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöst (BGH, Urteil vom 20.12.2011 – VI ZR 261/10, juris Rn. 16). Nach dieser Maßgabe sind jedenfalls die personenbezogenen Daten des Klägers, die zur Beschreibung seiner Person dienen, der Sozialsphäre zuzuordnen. Demgegenüber waren von dem Verstoß nicht besonders sensible Daten wie etwa Bank- oder Steuerdaten, Zugangsdaten und Kennwörter oder ähnliche Daten betroffen. Soweit Gesundheitsdaten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 15 DS-GVO offenbart wurden, sind diese zwar der Privatsphäre zuzurechnen. Allerdings darf hier nicht außer Acht gelassen werden, dass insbesondere im Hinblick auf den weiten Begriff der Gesundheitsdaten auch hier deren konkreter Inhalt zu berücksichtigen ist. Aus den offenbarten Daten lässt sich allenfalls das Fehlen einer Kontraindikation in der Person des Klägers bezüglich einer zweiten Impfung nach erfolgter Erstimpfung ableiten, nicht aber konkrete Schlüsse auf eine Erkrankung des Klägers oder eine besondere gesundheitliche Disposition. Damit stellt sich die Offenbarung der Gesundheitsdaten hier als weit weniger schwerwiegend dar, als dies etwa bei der Offenbarung spezifischer Gesundheitsdaten wie eines medizinischen Befundes oder einer ärztlichen Diagnose der Fall wäre.

Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass der vom Kläger beanstandete Versand der die personenbezogenen Daten des Klägers enthaltenden Datei von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt bezweckt war. Denn im Zuge des Betriebs des Impfzentrums benötigte die Beklagte die Datei einmalig für kurze Zeit zum Zwecke der Organisation des Impfzentrums, namentlich um die von der Änderung der Öffnungszeiten betroffenen Personen hierüber zu informieren. Der Versand der Datei beruhte auf einem Versäumnis der handelnden Mitarbeiter im Zug des Versands der E-Mail an die von der Änderung der Öffnungszeiten betroffenen Personen, war aber zu keinem Zeitpunkt intendiert.

Auch ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte mit dem Betrieb des Impfzentrums und den damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen hat und insbesondere nicht mit der Absicht handelte, hierbei in irgendeiner Weise Gewinne zu erzielen. Auch der Versand der E-Mail vom 00.00.2021 stand in keinerlei Zusammenhang mit einer gewinnorientierten Tätigkeit.

Ferner ist der geringe Grad des Verschuldens auf Seiten der Beklagten zu berücksichtigen. Insoweit geht der Senat lediglich von einem fahrlässigen Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten aus, welche die E-Mail abgesandt haben. Soweit der Kläger hier von einem vorsätzlichen Verstoß ausgeht, hat er schon nicht dargelegt, welche Umstände die Annahme von Vorsatz rechtfertigen sollten. Auch soweit der Kläger meint, es greife insoweit ein Beweis des ersten Anscheins ein, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Beweiswürdigungsregel des Anscheinsbeweises ist nur bei regelmäßigen (typischen) Geschehensabläufen anwendbar, die nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweisen (vgl. Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 4. Auflage 2019, Kap. 17 Rn. 10). Es ist schon nicht erkennbar, welcher typischen Geschehensablauf hier aufgrund von Erfahrungssätzen den Schluss auf ein vorsätzliches Verhalten erlauben soll. Allein der Versand einer E-Mail mit einem zuvor nicht entfernten Anhang kann zur Überzeugung des Senats jedenfalls nicht die Annahme rechtfertigen, die Übersendung der angehängten Datei sei vorsätzlich erfolgt. Im Hinblick auf die Darstellung der Beklagten von den Abläufen, die zum Versand der E-Mail nebst angehängter Excel-Datei geführt haben und die der Kläger auch im Senatstermin nicht in Abrede gestellt hat, ist die Annahme vorsätzlichen Verhaltens fernliegend. Vielmehr ist davon auszugehen, dass den betroffenen Mitarbeitern der Beklagten und damit auch der Beklagten allenfalls Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass nicht ersichtlich ist, dass es bereits vor dem streitgegenständlichen Vorfall zu einem vergleichbaren Verstoß gekommen ist und sich dieser anlässlich des Versands der E-Mail vom 00.00.2021 wiederholt hätte.

Schließlich zu berücksichtigen, dass die Beklagte alles in ihrer Macht Stehende unternommen hat, um den infolge des Verstoßes aufgetretenen Schaden gering zu halten. So wurde unmittelbar nach dem Versand der Mail der Versuch des Rückrufs der E-Mail unternommen, was bei insgesamt 500 Adressaten auch erfolgreich war. Ferner hat die Beklagte auch die Empfänger der E-Mail aufgerufen, die Daten zu löschen. Darüber hinaus hat die Beklagte den Kläger – sowie alle anderen Betroffenen – bereits kurz nach dem Verstoß mit Schreiben vom 05.08.2021 über diesen und über die offenbarten Daten informiert. Nachdem die Beklagte zudem Kenntnis davon erlangt hatte, dass sich eine Europäische Zentrale für Verbraucherschutz per E-Mail an den Kläger und andere Betroffene gewandt hatte, kam es nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten auf deren Betreiben auch zu einem Abschalten der Internetseite Webseite01.

Darüber hinaus hat die Beklagte sich mit Schreiben vom 05.08.2021 beim Kläger entschuldigt und den Vorfall der Aufsichtsbehörde angezeigt.

bb) Die Tatsache, dass der Kläger auf Facebook als Befürworter der Impfung aufgetreten ist und sich aus dem Profil auch Tag und Monat seines Geburtsdatums ablesen lassen, ist für die Bemessung der dem Kläger zuzusprechenden immateriellen Entschädigung demgegenüber lediglich von untergeordneter Bedeutung. Dies insbesondere deshalb, da die so durch den Kläger offenbarten Daten lediglich einen kleinen Teil der infolge des der Beklagten zuzurechnenden Datenschutzverstoßes offenbarten Daten repräsentieren, damit auch nicht ohne weiteres eine Identifizierung der Person des Klägers ermöglichen und der Kläger zudem auch eine Kontrolle über diese Daten innehat, die er jederzeit löschen kann.

cc) Im Rahmen der Genugtuungsfunktion des Ersatzanspruchs wegen immaterieller Schäden ist die an den Kläger versandte E-Mail vom 18.08.2021 von Bedeutung. Denn insoweit geht es nicht mehr nur um die bloße Sorge des Klägers vor den Folgen eines Datenschutzverstoßes und des darauf beruhenden Kontrollverlusts; vielmehr hat sich das in dem Datenschutzverstoß liegende Risiko hier bereits verwirklicht. Allerdings ist zu sehen, dass es sich lediglich um eine E-Mail handelt. Weitere konkrete Beeinträchtigungen über den eingetreten Kontrollverlust hinaus, die sich als Folge der Offenbarung der personenbezogenen Daten des Klägers darstellen, hat der Kläger im Senatstermin am 09.12.2022 verneint, sie werden angesichts der seit dem Datenverstoß bereits verstrichenen Zeit auch zunehmend weniger wahrscheinlich. Soweit der Kläger mit seinem Hinweis auf militante Impfgegner auf eine von diesen ausgehende Gefahr körperlicher oder sonstiger Übergriffe aufgrund des Umstands hinweisen will, dass der Kläger selbst eine Impfung befürwortet, hat sich insoweit kein Anhaltspunkt für eine konkrete Beeinträchtigung aufgrund des Datenschutzverstoßes ergeben.

dd) Soweit der Kläger geltend macht, der vom Landgericht zuerkannte Betrag von 100,00 Euro sei eher symbolischer Natur und habe keinerlei Abschreckungseffekt, so vermag der Senat dem nicht beizutreten.
153
Im Hinblick auf Erwägungsgrund 146 S. 3 zur DS-GVO sollen Schadenersatzforderungen zwar abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv gemacht werden (Schaffland/Holthaus, in: Schaffland/Wiltfang, DS-GVO/BDSG, Stand: August 2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 10b). Auch vermag sich ein Abschreckungseffekt vielleicht nicht aus dem dem Kläger zuerkannten Betrag ergeben. Allerdings ist hier in den Blick zu nehmen, dass der der Beklagten zuzurechnende Verstoß gegen die DS-GVO hier nicht lediglich den Kläger betrifft, sondern eine Vielzahl weiterer Personen, deren personenbezogene Daten ebenfalls in der übermittelten Excel-Datei enthalten waren. Insoweit gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass die Datei Daten von insgesamt 13.000 Personen enthielt. Dieser Umstand bietet jedenfalls das Potenzial, das sich aus Ansprüchen vieler Betroffener ein durchaus messbarer finanzieller Schadensbetrag bei der Beklagten einstellt.

ee) Eine Erhöhung der Entschädigung ist auch nicht im Hinblick auf eine Sanktionswirkung der Entschädigung angezeigt.

Das für die konkrete Bemessung der Höhe maßgebliche deutsche Recht (vgl. Nemitz, in: Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Auflage 2018, Art. 82 Rn. 17) kennt – anders als die Rechtsordnungen anderer Staaten – keinen Strafschadensersatz. Eine wie auch immer geartete Sanktionswirkung neben dem Ausgleich eines konkret entstandenen immateriellen Schadens ist daher bei der Bemessung der dem Kläger zustehenden Entschädigung nicht in Betracht zu ziehen. Insoweit bestimmt Art. 83 DS-GVO, dass die zuständige Aufsichtsbehörde im Falle eines Verstoßes gegen die DS-GVO neben einem etwaigen individuellen Anspruch auf Schadenersatz nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO eine Geldbuße verhängen kann.

ff) Unter Beachtung der vorstehenden Erwägungen hält der Senat bei einer Gesamtbetrachtung des vorliegenden Falles und seiner Besonderheiten im Hinblick auf den eingetretenen dauerhaften Kontrollverlust und den Erhalt einer unerwünschten E-Mail den durch das Landgericht zuerkannten Betrag in Höhe von 100,00 Euro für angemessen, aber auch ausreichend, um den beim Kläger eingetretenen immateriellen Schaden nach Maßgabe des in der DS-GVO geregelten Schadensersatzanspruchs zu kompensieren.


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OLG Hamm: Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO wegen unzulässiger Speicherung personenbezogener Daten allenfalls in Höhe von 50 EURO gerechtfertigt

OLG Hamm
Beschluss vom 19.12.2022
11 W 69/22


Das OLG Hamm hat im vorliegenden Fall entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO wegen unzulässiger Speicherung personenbezogener Daten allenfalls in Höhe von 50 EURO gerechtfertigt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Unabhängig von den fehlenden Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs kommt ein Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß Art. 82 DSGVO infrage.

Dass die Bestimmungen dieser EU-Verordnung von der Beklagten zu beachten waren, ist zwischen den Parteien nicht im Streit. Ihr sachlicher Anwendungsbereich (Art. 2 DSGVO) ist eröffnet, nachdem die Beklagte personenbezogene Daten des Klägers gespeichert hat. Es liegt auch ein Verstoß gegen die Vorschriften dieser Verordnung vor, weil die Speicherung der Daten gem. Art. 17 Abs. 1a DSGVO unzulässig war.

Im Rahmen der europarechtlich auszulegenden Verordnung - diese verlangt aufgrund des Erwägungsgrundes 146 S. 3 eine weite Auslegung des Schadensbegriffs im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, die den Zielen der Datenschutzgrundverordnung in vollem Umfang entspricht, vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.1.2021, 1 BvR 2853/19, NJW 2021, S. 105 Rz. 19 - ist derzeit ungeklärt, ob immaterieller Schadensersatz zu versagen ist, wenn es an einer erheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzung fehlt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.1.2021, 1 BvR 2853/19, NJW 2021, S. 105 Rz. 20; auch Quaas in BeckOK Datenschutzrecht, Wolf/Brink, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DSGVO Rz. 33 m.w.Nachw.). Diese Frage ist in einem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren nicht zulasten der antragstellenden Partei zu beantworten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008, 1 BvR 1807/07, NJW 2008, S. 1060), sondern im Hauptsacheverfahren einer Klärung zuzuführen.

Deswegen kommt Prozesskostenhilfe für einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO im vorliegenden Fall grundsätzlich in Betracht.

Allerdings ergibt sich aus dem vorgetragenen Sachverhalt kein Gesichtspunkt, der eine Schmerzensgeldzahlung von über 50,00 € rechtfertigen könnte. Dies auch dann, wenn man zugunsten des Klägers eine weite, europarechtliche Auslegung des Schadensbegriffes zugrunde legt, die neben einem individuellen Ausgleich wegen der Schutzgutverletzung, eine den Verstoß feststellende Genugtuungsfunktion und letztendlich auch eine generalpräventive Einwirkung auf den Schädiger in die Betrachtung einbezieht, vgl. insoweit auch OLG Koblenz, Urteil vom 18. Mai 2022, 5 U 2141/21, juris Rz. 80. Zu bewerten sind in der Sache insoweit dieselben Gesichtspunkte, die im Rahmen der Amtshaftung die Bewertung rechtfertigen, dass eine dort zu berücksichtigende Bagatellgrenze nicht überschritten worden ist.


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OLG Hamm: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 HCVO durch Werbeaussage "Volle Power für Ihr Immunsystem" in unmittelbarer Nähe zu Produkten

OLG Hamm
Urteil vom 11.08.2022
4 U 81/21


Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 HCVO durch Platzierung der Werbeaussage "Volle Power für Ihr Immunsystem" in unmittelbarer Nähe zu Produkten vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der erstinstanzlich zuerkannte Unterlassungsanspruch steht dem Kläger jedenfalls aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. §§ 3 Abs. 1, 3a UWG, Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (nachfolgend: HCVO) zu.

a) Der Kläger ist nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aktivlegitimiert.

b) Bei Art. 10 HCVO handelt es sich um eine Marktverhaltensregel i. S. v. § 3a UWG (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 12 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

c) Das Landgericht hat ferner zutreffend festgestellt, dass die Beklagte mit der streitgegenständlichen Werbung gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO verstoßen hat.

Gem. Art. 10 Abs. 1 HCVO sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im vorliegenden Kapitel entsprechen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind.

aa) Der Anwendungsbereich der HCVO ist eröffnet. Bei den neben bzw. unmittelbar unter der streitgegenständlichen Überschrift nebst Grafik abgebildeten Produkten handelt es sich um Lebensmittel i. S. d. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und damit auch um ein Lebensmittel i. S. d. HCVO (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) HCVO). Auch nach Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2002/46/EG über Nahrungsergänzungsmittel gelten Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel (vgl. Senatsurteil vom 24.02.2015 – 4 U 72/14, Rn. 81, zit. nach juris).

bb) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Abbildung auf dem sog. „Slider“ um gesundheitsbezogene Angaben i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 HCVO und nicht lediglich einen grafisch besonders veranschaulichten bzw. hervorgehobenen „Themenwegweiser“ handelt.

(1) Auch zur Überzeugung des Senats handelt es sich bei der beanstandeten Darstellung um eine nicht obligatorische Aussage bzw. Darstellung, die insbesondere durch das grafische Element einer diversen Krankheitserregern entgegengestreckten Hand symbolhaft zum Ausdruck bringt, dass die unmittelbar darunter abgebildeten Produkte der Beklagten besondere Eigenschaften besitzen, nämlich eine die körpereigene Immunabwehr zumindest stärkende Wirkung (Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 HCVO).

Zu den Angaben im vorgenannten Sinne zählen alle in der Etikettierung oder – wie hier – Bewerbung von Lebensmitteln in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebrachten – nicht obligatorischen – Aussagen oder Darstellungen, die bei einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher den Eindruck hervorrufen können, ein bestimmtes Lebensmittel besitze besondere Eigenschaften (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2015 – I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 17 mwN., zit. nach juris – Lernstark). Dies ist – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – vorliegend der Fall.

Insbesondere handelt es sich bei der angegriffenen Darstellung um eine produktbezogene Werbung der Beklagten und nicht lediglich um eine allgemeine „Themenüberschrift“ oder einen „Wegweiser“ i. S. bspw. eines bestimmten Menüpunktes auf einer Navigationsleiste des Internetauftritts der Beklagten. Zutreffend weist der Kläger in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sowohl die Grafik als auch die Überschrift „Volle Power für Ihr Immunsystem“ im unmittelbaren Zusammenhang mit der bildlichen Darstellung konkreter Produkte der Beklagten stehen.

Anders als bei einer mit einem Menüpunkt auf einer Navigationsleiste vergleichbaren „Themenüberschrift“ oder einem „Wegweiser“ befand sich die angegriffene Darstellung – wie die Beklagte mit außergerichtlichem Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 16.04.2020 selbst eingeräumt hat – auf der Startseite ihres Internetauftritts www.A.de direkt unterhalb der Menüleiste auf einem sog. „Slider“, auf dem – wie den Mitgliedern des schwerpunktmäßig mit Streitigkeiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes befassten Senats hinreichend bekannt ist – typischerweise (tages-)aktuelle Werbung verbunden mit Links zu den entsprechenden Produkten eingeblendet wird und sich mittels eines Klicks auf einen der beiden Pfeile am rechten und linken Bildrand aus dem Blickfeld des Betrachters verschieben lässt bzw. nach einer bestimmten vorgegebenen Zeit selbst zugunsten einer anderen Werbeanzeige verschiebt. Der Senat geht hierbei zudem davon aus, dass die angegriffene Werbung durchaus im Zusammenhang mit dem damaligen Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 zu sehen ist, wenn es hierauf auch weder entscheidungserheblich ankommt noch die Pandemie in der Anzeige explizit erwähnt wird.

(2) Zu Recht hat das Landgericht ferner festgestellt, dass es sich um gesundheitsbezogene Angaben i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO handelt.

(a) Nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO ist eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne dieser Verordnung jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Der Begriff „Zusammenhang“ ist dabei weit zu verstehen. Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ erfasst daher jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert. Die Frage, ob eine Aussage auf das gesundheitliche Wohlbefinden abzielt, ist anhand der in Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 HCVO aufgeführten Fallgruppen zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 19 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

(b) Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei der beanstandeten Überschrift „Volle Power für Ihr Immunsystem“ nebst nebenstehender Grafik um gesundheitsbezogene Angaben, weil hierdurch aus Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht lediglich im Sinne einer „Themenüberschrift“ die Funktion der körpereigenen Immunabwehr abstrakt dargestellt, sondern wegen der unmittelbar darunter abgebildeten und – wie bereits vorstehend ausgeführt – damit zugleich konkret beworbenen Produkte der Beklagten ein Zusammenhang zwischen der Einnahme eben dieser von der Beklagten vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel einerseits und der Gesundheit andererseits suggeriert wird. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Darstellung wie vorliegend für die Annahme eines Zusammenhangs genügt, der eine Verbesserung des Gesundheitszustandes dank des Verzehrs des Produktes impliziert.

Die Werbeaussage zielt dabei auch auf eine der Fallgruppen der Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 HCVO ab, nämlich Art. 13 Abs. 1 lit. a) HCVO. Hierzu gehören insbesondere das Wachstum, die Entwicklung und sämtliche sonstigen Körperfunktionen. Nach dieser allgemeinen und weitgefassten Umschreibung gehören auch die Funktion des körpereigenen Immunsystems zum Gesundheitsbegriff der HCVO. Hiervon geht auch der Verordnungsgeber der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 aus, der Angaben über die „normale Funktion des Immunsystems“ zu den gesundheitsbezogenen Angaben i. S. d. HCVO rechnet. Nichts anderes kann für die – lediglich etwas „reißerischer“ formulierte und zudem grafisch verdeutlichte – Aussage der Beklagten über „Volle Power für Ihr Immunsystem“ gelten (vgl. Senatsurteil vom 24.02.2015 – 4 U 72/14, Rn. 82, zit. nach juris).

cc) Nach den zutreffenden und – soweit ersichtlich – mit der Berufung auch nicht angegriffenen weiteren Feststellungen des Landgerichts liegt ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO letztlich schon deshalb vor, weil die in der beanstandeten Werbung enthaltenen Angaben nicht mit zugelassenen Angaben inhaltsgleich sind, da sie nicht erkennen lassen, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben aufgeführten Nährstoffe, Substanzen, Lebensmittel oder Lebensmittelkategorien die behauptete Wirkung der „Vollen Power für Ihr Immunsystem“ beruht.

(1) In der im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 enthaltenen Liste der zugelassenen Angaben ist jeweils eine bestimmte Wirkung in Beziehung zu einem bestimmten Nährstoff, einer bestimmten Substanz, einem bestimmten Lebensmittel oder einer bestimmten Lebensmittelkategorie gesetzt. Eine gesundheitsbezogene Angabe, die nicht erkennen lässt, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 aufgeführten Nährstoffen, Substanzen, Lebensmitteln oder Lebensmittelkategorien die behauptete Wirkung eines Produkts beruht, ist daher mit den zugelassenen Angaben nicht inhaltsgleich und somit unzulässig. Das ergibt sich auch aus dem Zweck der Verordnung, sicherzustellen, dass gesundheitsbezogene Angaben wahrheitsgemäß, klar, verlässlich und für den Verbraucher hilfreich sind (Erwägungsgrund 9 Satz 1 der Verordnung). Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn die verwendete Angabe und die zugelassene Angabe auf den gleichen Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem Lebensmittelbestandteil und einer bestimmten Wirkung auf die Gesundheit hinweisen (vgl. Erwägungsgrund 9 Satz 3 der Verordnung). Die Annahme einer inhaltlichen Übereinstimmung zwischen zugelassener und verwendeter Angabe setzt daher voraus, dass die zugelassene Angabe und die verwendete Angabe hinsichtlich des Nährstoffs oder der anderen Substanz oder des Lebensmittels oder der Lebensmittelkategorie, für die die Angabe zugelassen wurde bzw. verwendet wird, übereinstimmen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 34 f. mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

(2) Die in der beanstandeten Werbung enthaltene pauschale Angabe „Volle Power für Ihr Immunsystm“ in Verbindung mit der grafischen Darstellung eines in Abwehrhaltung befindlichen Menschen, der sich gegen unterschiedliche Krankheitserreger zur Wehr setzt, genügt diesen Anforderungen nicht. In der beanstandeten Werbeaussage ist keiner derjenigen Nährstoffe genannt, für den nach der im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 enthaltenen Liste die Angabe zugelassen ist, dass er „zu einer normalen Funktion des Immunsystems beiträgt“. Die bloße Angabe einer bestimmten Wirkung ohne Benennung des Nährstoffs, der Substanz, des Lebensmittels oder der Lebensmittelkategorie, auf der diese Wirkung nach der Liste der zugelassenen Angaben beruht, ist mit der zugelassenen Angabe aber nicht inhaltsgleich und daher unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 36 f. mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

d) Der Verstoß gegen die vorgenannte Marktverhaltensregel ist – wie das Landgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat – letztlich auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar i. S. v. § 3a UWG zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 12 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH: Stadtportal einer Kommune mit Informationen über Geschehen in der Stadt zulässig wenn Institutsgarantie der freien Presse nicht gefährdet wird

BGH
Urteil vom 14.07.2022
I ZR 97/21
dortmund.de
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Art. 28 Abs. 2 Satz 1; UWG § 3 Abs. 1, §§ 3a, 8 Abs. 1 Satz 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Stadtportal einer Kommune mit Informationen über Geschehen in der Stadt zulässig wenn nach Gesamteindruck Institutsgarantie der freien Presse nicht gefährdet wird über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:
a) Die Bezugnahme im Klageantrag auf ein zu den Akten gereichtes digitales Speichermedium, auf dem ein Telemedienangebot als konkrete Verletzungsform dokumentiert ist, kann zur Konkretisierung eines Unterlassungsantrags gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ausreichen.

b) Die Marktverhaltensregelung des aus der Institutsgarantie der Presse gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleiteten Gebots der Staatsferne der Presse schützt auch vor Substitutionseffekten kommunaler Online-Informationsangebote, die dazu führen, dass die private Presse ihre besondere Aufgabe im demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen kann.

c) Bei Online-Informationsangeboten, die nach ihren technischen Gegebenheiten nicht den für Druckerzeugnisse bestehenden Kapazitätsbeschränkungen unterliegen, ist das quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Beiträgen für die erforderliche wertende Gesamtbetrachtung der Publikation regelmäßig weniger aussagekräftig als bei Printmedien. Für die Gesamtbetrachtung kann deshalb bedeutsam sein, ob gerade die das Gebot der Staatsferne verletzenden Beiträge das Gesamtangebot prägen (Weiterführung von BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17, GRUR 2019, 189 - Crailsheimer Stadtblatt II).

BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - OLG Hamm - LG Dortmund

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Stadtportal einer Kommune mit Informationen über Geschehen in der Stadt zulässig wenn nach Gesamteindruck Institutsgarantie der freien Presse nicht gefährdet wird

BGH
Urteil vom 14.07.2022
I ZR 97/21


Der BGH hat entschieden, dass ein Stadtportal einer Kommune im Internet mit Informationen über das Geschehen in der Stadt zulässig ist, wenn nach dem Gesamteindruck die Institutsgarantie der freien Presse nicht gefährdet wird.

Die Pressemitteilung des BGH:
Zu den wettbewerbsrechtlichen Grenzen des Betriebs eines kommunalen Internetportals

Der unter anderem für Ansprüche aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das Internetangebot einer Kommune in Form eines Stadtportals, in dem nicht nur amtliche Mitteilungen, sondern auch Informationen über das Geschehen in der Stadt abrufbar sind, das Gebot der "Staatsferne der Presse" nicht verletzt, wenn der Gesamtcharakter des Internetangebots nicht geeignet ist, die Institutsgarantie der freien Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu gefährden.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist ein Verlag, der neben Tageszeitungen in Form von Printmedien auch digitale Medien anbietet, darunter ein Nachrichtenportal. Die beklagte Stadt betreibt ein Internetportal, in dem nicht nur amtliche Mitteilungen, sondern auch redaktionelle Inhalte veröffentlicht werden. Nach der über das Internetportal abrufbaren Eigenwerbung soll es umfassend und aktuell über das Geschehen in der Stadt informieren.

Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen. Sie ist der Auffassung, das Internetportal überschreite die Grenzen der zulässigen kommunalen Öffentlichkeitsarbeit und sei deshalb nach § 3a UWG in Verbindung mit dem aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Gebot der Staatsferne der Presse wettbewerbswidrig.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Nach einer Gesamtschau der Beiträge in dem Internetportal überschritten die vorgehaltenen Inhalte die Grenzen einer zulässigen kommunalen Berichterstattung. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen, weil sich bei der gebotenen wertenden Betrachtung nicht feststellen lasse, dass der Gesamtcharakter des Portals geeignet sei, die Institutsgarantie der freien Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu gefährden.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Das Internetportal der beklagten Stadt verstößt in der von der Klägerin beanstandeten Fassung nicht gegen das aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitete Gebot der Staatsferne der Presse.

Umfang und Grenzen des Gebots der Staatsferne der Presse sind bei gemeindlichen Publikationen unter Berücksichtigung der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und der daraus folgenden gemeindlichen Kompetenzen einerseits sowie der Garantie des Instituts der freien Presse des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits zu bestimmen.

Äußerungs- und Informationsrechte der Gemeinden finden ihre Legitimation in der staatlichen Kompetenzordnung, insbesondere in der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Die darin liegende Ermächtigung zur Information der Bürgerinnen und Bürger erlaubt den Kommunen allerdings nicht jegliche pressemäßige Äußerung mit Bezug zur örtlichen Gemeinschaft. Kommunale Pressearbeit findet ihre Grenze in der institutionellen Garantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, welche die Freiheitlichkeit des Pressewesens insgesamt garantiert. Diese ist unabhängig davon einschlägig, dass die Klägerin nicht ein Druckerzeugnis der Beklagten, sondern deren Internetauftritt und damit ein Telemedienangebot beanstandet. Das Gebot der Staatsferne der Presse schützt auch vor Substitutionseffekten kommunaler Online-Informationsangebote, die dazu führen, dass die private Presse ihre besondere Aufgabe im demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen kann.

Für die konkrete Beurteilung kommunaler Publikationen sind deren Art und Inhalt sowie eine wertende Gesamtbetrachtung maßgeblich. Dabei ist entscheidend, ob der Gesamtcharakter des Presseerzeugnisses geeignet ist, die Institutsgarantie aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu gefährden. Bei Online-Informationsangeboten, die nach ihren technischen Gegebenheiten nicht den für Druckerzeugnisse bestehenden Kapazitätsbeschränkungen unterliegen, ist das quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Beiträgen regelmäßig weniger aussagekräftig als bei Printmedien. Für die Gesamtbetrachtung kann deshalb bedeutsam sein, ob gerade die das Gebot der Staatsferne verletzenden Beiträge das Gesamtangebot prägen.

Die vom Berufungsgericht nach diesen Maßstäben vorgenommene Beurteilung des Internetportals der beklagten Stadt hat der Bundesgerichtshof nicht beanstandet.

Vorinstanzen:

LG Dortmund - Urteil vom 8. November 2019 - 3 O 262/17

OLG Hamm - Urteil vom 10. Juni 2021 - I-4 U 1/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 3a UWG

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG

Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.

Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG

Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.



OLG Hamm: Vertrag über Verkauf von Adressdaten nach § 134 BGB nichtig wenn er auf Kontaktaufnahmen unter Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG abzielt

OLG Hamm
18 U 110/21
Beschluss vom 25.10.2021


Das OLG Hamm hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass ein Vertrag über den Verkauf von Adressdaten nach § 134 BGB nichtig ist, wenn er auf Kontaktaufnahmen unter Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG abzielt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO).

Der Senat teilt die Rechtsauffassung des Landgerichts, wonach die Vereinbarung unwirksam ist, weil sie gegen § 134 BGB verstößt, nämlich darauf gerichtet ist, Kontaktaufnahmen unter Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG durchzuführen. Es handelt sich damit um einen sog. Basisvertrag, der zu einem wettbewerbswidrigen Handeln verpflichtet. Derartige Verträge sind nach § 134 BGB nichtig, sofern der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung selbst das wettbewerbswidrige Verhalten innewohnt (BGH GRUR 1998, 945; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG vor § 1 Rn. 7.9). Das ist hier aus den vom Landgericht genannten Gründen der Fall.

1. Was die Verpflichtung der Klägerin zur Verschaffung sog. Opt-Ins angeht, so wird damit, wie vom Landgericht dargelegt, gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG verstoßen, wobei sich die Beklagte mit der Eingehung der Vereinbarung selbst gem. § 8 Abs. 2 UWG Unterlassungsansprüchen aussetzte.

a) Die Klägerin kann sich nicht auf das Urteil des OLG Karlsruhe vom 12.6.2018 (Az. 8 U 153/17) berufen. Aus dieser Entscheidung ergibt sich, dass Einwilligungen von (Privat-)Inserenten mit einer telefonischen Kontaktaufnahme die Anrufe von Maklern nur dann decken, wenn diese lediglich als Käufermakler (für ihre „Suchkunden“) an sie herantreten (s.a. Münchener Komm. zum Lauterkeitsrecht/Leible, 3. Aufl., § 7 UWG Rn. 123).

Dass die Vereinbarung ausschließlich oder auch nur überwiegend diesem Zweck diente, trägt die Klägerin nicht vor und ergibt sich auch nicht aus der Vereinbarung selbst. Vielmehr ist in § 1 davon die Rede, dass es dem Makler „obliegt …, den Verkäufer von seinen Leistungen zu überzeugen …“. Daraus folgt, dass die Einholung der Einwilligungen zumindest auch dem Zweck dienen sollte, dass sich die Beklagte den Inserenten als Makler (auf Verkäuferseite) empfehlen konnte.

Den von der Klägerin vorgelegten Klauselwerken der einschlägigen Portale, namentlich den als Anlage K10 und K11 zum Schriftsatz vom 21.6.2021 zu den Akten gereichten „Datenschutzbestimmungen“, lässt sich nicht entnehmen, dass die Inserenten wirksam weitergehende Einwilligungen abgegeben hätten, die auch eine Nutzung der Daten zur Kontaktaufnahme durch die Klägerin (im Auftrag der Beklagten als eines dem Inserenten fremden Maklers) umfasst haben. Soweit die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung nunmehr auf die „Hinweise“ an die Nutzer in den Portalen L und „M“ verweist, ersetzen sie die erforderliche Einwilligung des jeweiligen Nutzers nicht. Abgesehen davon erfüllt die Kontaktaufnahme durch die Klägerin - für die Beklagte - auch nicht den Tatbestand einer Datenweitergabe „zur möglichen Vereinbarung eines Beratungstermins“ mit einem „mit L kooperierenden Makler“.

b) Soweit sich die Klägerin zum Beweis des Umstands, dass sich ein (jeder) verkaufswilliger Immobilieneigentümer, der seine Telefonnummer im Rahmen des Inserats angibt, in jegliche Kontaktaufnahme einwilligt, auf einen Zeugen A berufen hat, brauchte dem nicht nachgegangen zu werden. Das Beweisangebot ist ungeeignet, weil der Zeuge über die Bedeutung der individuellen Entscheidung ihm persönlich unbekannter Inserenten, ihre Telefonnummer anzugeben, keine Erkenntnisse haben kann.

c)Der Passus in der Vereinbarung, wonach die Beklagte „ggf. … auch selbst“ kaufe, rechtfertigt gleichfalls keine andere rechtliche Würdigung des Sachverhalts. Abgesehen davon, dass die Beklagte die Geltung dieses Passus mit der Begründung nachvollziehbar in Abrede stellt, sie sei (insgesamt) von dem angekreuzten „Nein“ umfasst, handelt sich dabei lediglich um die allgemeine Feststellung, dass für die Beklagte unter nicht näher benannten Umständen auch ein Eigenerwerb der inserierten Immobilien in Betracht komme. Der Abschluss der Vereinbarung mit der Klägerin diente aber offensichtlich nicht dazu, der Beklagten die Anschaffung eines eigenen Immobilien-Portfolios oder dessen Erweiterung zu ermöglichen, sondern der Ausweitung ihres Maklergeschäfts.

2. Was die Mitteilung der Chiffre-Kontakte angeht, so bestand die Dienstleistung der Klägerin in diesen Fällen nicht in der Mitteilung einer Telefonnummer, sondern des jeweiligen von ihr recherchierten bzw. anderweitig erworbenen Datensatzes der betreffenden Inserenten.

Die Übermittlung dieser Datensätze an die Beklagte diente erkennbar dem Zweck, ihr die Kontaktaufnahme zu den Inserenten zu Werbezwecken für ihre Maklertätigkeit unter Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG auch dann zu ermöglichen, wenn es an einer ausdrücklichen Einwilligung des Adressaten in diese Werbung fehlte. Überdies erfolgte die Weitergabe der Daten unter Verstoß gegen die DSGVO.

Auch dieser Teil der Vereinbarung hat also gem. § 134 BGB keinen Bestand. Die Frage, ob bereits die Nichtigkeit der Verpflichtung zur Verschaffung der Opt-Ins gem. § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit der Vereinbarung führt oder ob dem § 15 („Salvatorische Klausel“) entgegensteht, bedarf deshalb keiner Beantwortung.

3. Zu Recht hat das Landgericht im vorliegenden Fall auch Ansprüche der Klägerin aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677ff. BGB) bzw. aus dem Bereicherungsrecht (§§ 812ff. BGB) verneint. Auf die Begründung wird verwiesen.


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OLG Hamm: Per E-Mail als PDF-Anhang verschickte Abmahnung ist erst zugegangen wenn Empfänger Dateianhang tatsächlich geöffnet hat

OLG Hamm
Beschluss vom 09.30.2022
4 W 119/20


Das OLG Hamm hat entschieden, dass eine per E-Mail als PDF-Anhang verschickte Abmahnung erst zugegangen ist, wenn der Empfänger den Dateianhang tatsächlich geöffnet hat.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Parteien sind Internetversandhändler.

Am 19.03.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers eine E-Mail an den Verfügungsbeklagten mit der Betreffzeile „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“. Die E-Mail enthielt folgenden Text:

„Sehr geehrter Herr B,

bitte beachten Sie anliegende Dokumente, die wir Ihnen situationsbedingt zur Entlastung der angespannten Infrastruktur im Versandwesen nur auf elektronischem Wege zur Verfügung stellen.

MfG

C“
Unterhalb dieses Textes befanden sich die Kontaktdaten des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers. Als Dateianhänge waren der E-Mail zwei PDF-Dateien beigefügt: Eine PDF-Datei mit dem Dateinamen „2020000067EU12984.pdf“ enthielt ein auf den 19.03.2020 datiertes anwaltliches Abmahnschreiben wegen der im vorliegenden Verfahren verfahrensgegenständlichen lauterkeitsrechtlichen Vorwürfe, eine PDF-Datei mit dem Dateinamen „Unterlassungs.pdf“ enthielt den Entwurf für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung.

Am 01.04.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers eine weitere E-Mail mit der Betreffzeile „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“ an den Verfügungsbeklagten. Diese E-Mail enthielt folgenden Text:

„Sehr geehrter Herr B,

zur Erfüllung diesseitiger Ansprüche setzen wir eine Nachfrist bis zum 03.04.20.

MfG

C"

Auf Antrag des Verfügungsklägers erließ das Landgericht am 07.04.2020 im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung gegen den Verfügungsbeklagten mit einer Kostenentscheidung zum Nachteil des Verfügungsbeklagten. Nach der Zustellung dieser einstweiligen Verfügung an den Verfügungsbeklagten am 16.04.2020 gab dieser unter dem 08.05.2020 eine Abschlusserklärung ab, wobei er sich die Erhebung eines Kostenwiderspruches vorbehielt. Von diesem Vorbehalt hat der Verfügungsbeklagte auch Gebrauch gemacht und mit anwaltlichem Schriftsatz vom 08.05.2020 einen auf die getroffene Kostenentscheidung beschränkten Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung erhoben. Der Verfügungsbeklagte hat behauptet, er habe von den beiden E-Mails des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt. Er könne nicht ausschließen, dass die beiden E-Mails im sogenannten „Spam-Ordner“ seines E-Mail-Postfaches eingegangen seien, könne dies allerdings nicht mehr überprüfen, weil E-Mails in diesem „Spam-Ordner“ bereits nach jeweils zehn Tagen wieder gelöscht würden.

Mit dem angefochtenen, am 04.11.2020 verkündeten Urteil hat die 15. Zivilkammer – Kammer für Handelssachen – des Landgerichts Bochum die einstweilige Verfügung im Kostenpunkt bestätigt und dem Verfügungsbeklagten auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Verfügungsbeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.

B. Die – nach § 99 Abs. 2 Satz 1 ZPO (analog) statthafte und auch im Übrigen zulässige – sofortige Beschwerde des Verfügungsbeklagten ist begründet.

Die Kosten des Rechtsstreits sind in entsprechender Anwendung des § 93 ZPO dem Verfügungskläger aufzuerlegen. Der Verfügungsbeklagte hat dem Verfügungskläger durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Anbringung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben. Dem Verfügungsbeklagten kann in diesem Zusammenhang insbesondere nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe auf die Abmahnung des Verfügungsklägers nicht reagiert. Denn das anwaltliche Abmahnschreiben vom 19.03.2020 ist dem Verfügungsbeklagten nicht zugegangen: Wird – wie im vorliegenden Falle – ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. [2022], § 13 Rdnr. 47). Denn im Hinblick darauf, dass wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt wird, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, kann von dem Empfänger in einem solchen Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O.). Es kann mithin im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die in Rede stehenden E-Mails überhaupt im E-Mail-Postfach des Verfügungsbeklagten (dort möglicherweise im „Spam-Ordner“) eingegangen sind. Der Verfügungsbeklagte hat durch Vorlage seiner eidesstattlichen Versicherung vom 08.05.2020 jedenfalls glaubhaft gemacht, dass er von den beiden E-Mails des – ihm zuvor nicht bekannten – Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt und dementsprechend auch den Dateianhang mit dem Abmahnschreiben nicht geöffnet hat.


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OLG Hamm: Rechtsmissbrauch wenn Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO nicht aus Gründen gemäß Erwägungsgrund 63 der DSGVO geltend gemacht wird

OLG Hamm
Hinweisbeschluss vom 15.11.2021
20 U 269/21


Das OLG Hamm hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass Rechtsmissbrauch vorliegt, wenn ein Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO nicht aus Gründen gemäß Erwägungsgrund 63 der DSGVO geltend gemacht wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zutreffend hat das Landgericht weiter das mit dem Klageantrag zu 1 verfolgte Leistungsbegehren als zulässig angesehen. Die Unzulässigkeit der Stufenklage führt zwar dazu, dass ein unbestimmter Leistungsantrag als unzulässig abgewiesen werden muss. Sie hat jedoch nicht die notwendige Folge, dass die Klage, wie sie hier erhoben worden ist, insgesamt oder teilweise als unzulässig abgewiesen werden muss. Vielmehr kommt eine Umdeutung in eine von der Stufung unabhängige objektive Klagehäufung in Betracht (BGH, Urteil vom 18. April 2002 - VII ZR 260/01, NJW 2002, 2952 unter II 2 a mwN).

Dieser Auskunftsantrag ist jedoch unbegründet.

aa) Der geltend gemachte Auskunftsanspruch ergibt sich nicht aus Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung- DS-GVO).

Der Beklagten steht ein Weigerungsrecht aus Art. 12 Abs. 5 Satz 2 Buchstabe b) DS-GVO zu. Die Vorschrift führt zwar lediglich die häufige Wiederholung als Beispiel für einen „exzessiven“ Antrag auf. Die Verwendung des Wortes „insbesondere“ macht aber deutlich, dass die Vorschrift auch andere rechtsmissbräuchliche Anträge erfassen will (vgl. Heckmann/Paschke, in Ehlmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung 2. Aufl. Art. 12 Rn. 43).

Bei der Auslegung, was in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich ist, ist auch der Schutzzweck der DS-GVO zu berücksichtigen. Wie sich aus dem Erwägungsgrund 63 zu der Verordnung ergibt, ist Sinn und Zweck des in Art. 15 DS-GVO normierten Auskunftsrechts, es der betroffenen Person problemlos und in angemessenen Abständen zu ermöglichen, sich der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten bewusst zu werden und die Rechtmäßigkeit dieser Verarbeitung überprüfen zu können (so auch BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19, VersR 2021, 1019 Rn. 23).

Um ein solches Bewusstwerden zum Zweck einer Überprüfung der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten geht es dem Kläger aber nach seinem eigenen Klagevorbringen überhaupt nicht. Sinn und Zweck der von ihm begehrten Auskunftserteilung ist vielmehr – wie sich aus der Koppelung mit den unzulässigen Klageanträgen auf Feststellung und Zahlung zweifelsfrei ergibt – ausschließlich die Überprüfung etwaiger vom Beklagten vorgenommener Prämienanpassungen wegen möglicher formeller Mängel nach § 203 Abs. 5 VVG. Eine solche Vorgehensweise ist vom Schutzzweck der DS-GVO aber nicht umfasst (wie hier LG Wuppertal, Urteil vom 29. Juli 2021 - 4 O 409/20, BeckRS 2021, 25249 Rn. 31 ff.).

Darauf, dass es sich im Übrigen jedenfalls bei standardisierten Begründungen, die – etwa als einheitliches Beiblatt – an sämtliche Versicherungsnehmer in identischer Form versandt werden, auch nicht um personenbezogene Daten im Sinne der DS-GVO handelt, kommt es angesichts dessen hier nicht an.

bb) Auch ein Auskunftsanspruch aus §§ 241 Abs. 2, 242 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag besteht nicht.

Zwar kann sich aus einem Schuldverhältnis nach Maßgabe von § 241 Abs. 2 BGB auch die Pflicht zur gegenseitigen Unterstützung ergeben. Dies kann auch zu einer Verpflichtung des Gläubigers führen, dem Vertragspartner etwa Unterlagen für die Kreditbeschaffung (BGH, Urteil vom 1. Juni 1973 - V ZR 134/72, NJW 1973, 1793 unter II 2) oder für die Wahrnehmung von dessen steuerlichen Belangen (Senatsurteil vom 5. Juli 1974 - 20 U 227/73, MDR 1975, 401) zur Verfügung zu stellen.

Auch im Rahmen einer zwischen den Parteien bestehenden Sonderverbindung setzt ein solcher Auskunftsanspruch aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Schuldner in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. August 2013 - VII ZR 268/11, NJW 2014, 155 Rn. 20). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Kläger nicht dargelegt. Aus den ihm während der Laufzeit des Vertrages übersandten Unterlagen kann er unschwer selbst ersehen, welche Prämienanpassungen vorgenommen worden sind. Nachvollziehbare Gründe dafür, dass und warum ihm dies ausnahmsweise nicht mehr möglich sein sollte, sind nicht vorgetragen. Auf die Frage, ob und in welchem Umfang unterstellte Ansprüche des Klägers aus § 812 Abs. 1 BGB verjährt sind, kommt es demnach aus Rechtsgründen nicht an.

cc) Ein Auskunftsanspruch aus § 3 Abs. 3 und 4 VVG scheidet ebenfalls aus. Dieser bezieht sich nur auf abhanden gekommene oder vernichtete Versicherungsscheine so- wie auf die eigenen Erklärungen des Versicherungsnehmers, die er in Bezug auf den Vertrag abgegeben hat. Darum geht es hier aber nicht (siehe auch LG Wuppertal, Ur- teil vom 29. Juli 2021 - 4 O 409/20, BeckRS 2021, 25249 Rn. 35 f.).

dd) Schließlich kann der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auch nicht aus § 810 BGB hergeleitet werden. Diese Vorschrift gibt keinen Anspruch auf Erteilung einer Auskunft oder auf Übersendung von Unterlagen.

2. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung; eine solche ist auch sonst nicht geboten.

Auch ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die missbräuchliche Berufung auf Unionsrecht nicht gestattet (EuGH, Urteil vom 23. März 2000 – C-373/97, NZG 2000, 534 Rn. 33). Die nationalen Gerichte können vielmehr das missbräuchliche Verhalten des Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien in Rechnung stellen, um ihm gegebenenfalls die Berufung auf die geltend gemachte Bestimmung des Unionsrechts zu verwehren. Dabei müssen sie jedoch die mit dieser Bestimmung verfolgten Zwecke beachten (EuGH, Urteil vom 23. März 2000 aaO Rn. 34; vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 42 mwN).

Hier beeinträchtigt die Anwendung des Gesichtspunktes des Rechtsmissbrauchs weder die Wirksamkeit noch die einheitliche Anwendung des Unionsrechts. Der Anspruch nach Art. 15 DSG-VO soll den Auskunftsberechtigten in die Lage versetzen, sich der Datenverarbeitung bewusst zu werden und deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Er soll sich insbesondere vergewissern können, dass die ihn betreffenden Daten richtig sind und in zulässiger Weise verarbeitet werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19, VersR 2021, 1019 Rn. 25 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - C-434/16, NJW 2018, 767 Rn. 57). Hierum geht es dem Kläger nach eigenem Vorbringen mit der begehrten Auskunft nicht.


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OLG Hamm: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 HWG durch Werbung für ein Plättchen mit "Heilstein mit EFM Strahlenschutz"

OLG Hamm
Beschluss vom 02.09.2021
4 W 59/21


Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 HWG durch Werbung für ein Plättchen mit "Heilstein mit EFM Strahlenschutz" vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der notwendige Verfügungsanspruch ergibt sich nach dem ordnungsgemäß gem. §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemachten Vorbringen des Antragstellers aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, §§ 3, 3a UWG i. V. m. § 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 HWG. Da der Antragsgegner zu 2. als alleiniger Gesellschafter, Geschäftsführer und Arbeitnehmer der Antragsgegnerin zu 1. die Rechtsverletzung zwangsläufig selbst begangen oder in Auftrag gegeben hat, haftet er neben der Antragsgegnerin zu 1. zudem persönlich (vgl. BGH, Urteil vom 18.06.2014 – I ZR 242/12, GRUR 2014, 883, Rn. 14 ff. mwN., zit. nach juris – Geschäftsführerhaftung).

a) Die angegriffenen Aussagen verstoßen gegen das für die in Rede stehende Werbung für Medizinprodukte einschlägige Irreführungsverbot des § 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 HWG. Danach liegt eine Irreführung insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln, Medizinprodukten i. S. d. § 3 Nr. 4 des Medizinproduktegesetzes in der bis zum 25.05.2021 geltenden Fassung, Verfahren, Behandlungen oder – wie hier – Gegenständen bzw. anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben.

aa) Irreführend im vorgenannten Sinne ist eine Werbung, wenn sie geeignet ist, durch objektiv unrichtige Angaben irrige Vorstellungen über solche Umstände und Verhältnisse hervorzurufen, die für die Beurteilung der Wirkung, der Brauchbarkeit und des Wertes des angepriesenen Mittels von Bedeutung sein können. Solche Umstände sind vor allem die Zusammensetzung und Beschaffenheit, Wirkungen, Indikationen, aber auch, wie in Nr. 3b, gewisse persönliche Verhältnisse der Hersteller und deren Gehilfen oder früheren Gehilfen (vgl. Erbs/Kohlhaas/Pfohl, 236. EL, Januar 2019, § 3 HWG, Rn. 4; Senatsbeschluss vom 14.05.2019 – 4 W 45/19, Rn. 62 mwN., zit. nach juris).

bb) Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Tatbestand des § 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 HWG entgegen der Ansicht des Landgerichts vorliegend erfüllt.

(1) Die Bezeichnung des aus einem Mineral namens Z bestehenden Plättchens als „Heilstein“ ist insbesondere in Verbindung mit der in der Überschrift des beanstandeten Angebots plakativ hervorgehobenen Aussage „EFM Strahlenschutz“ geeignet, die Erwartung zu erwecken, es handele sich um ein einerseits prophylaktisch, andererseits aber auch therapeutisch wirksames Mittel, das heilende Wirkung gegen die potentiell gesundheitsschädliche Wirkung elektromagnetischer Strahlung entfalte. Der Umstand, dass dabei in dem beanstandeten Angebot nicht zugleich konkrete Krankheitszustände oder Beschwerden benannt werden, bei denen die therapeutische Anwendung erfolgversprechend indiziert sein soll, ist unerheblich. Diese diesbezügliche Enthaltsamkeit der Antragsgegner kann die durch die Werbung hervorgerufene Fehlvorstellung nicht ausschließen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 26.05.2000 – 2 U 232/99, Rn. 32, zit. nach juris).

(2) Die beworbene Wirkung kommt den von der Antragsgegnerin zu 1. vertriebenen „Heilsteinen Z“ jedoch nicht zu.

Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. nur Urteil vom 06.02.2014 – I ZR 62/11 –, GRUR 2013, 649, Rn. 15 f. – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; Urteil vom 07.05.2015 – I ZR 29/14 –, GRUR 2015, 1244, Rn. 16 – Äquipotenzangabe in Fachinformation, jew. mwN. und zit. nach juris), der der Senat folgt, sind insoweit – wie allgemein bei gesundheitsbezogener Werbung – besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können. Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden – wie hier – jegliche wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können. Unzulässig ist es außerdem, wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen.

b) § 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 HWG ist eine Marktverhaltensregel i. S. d. § 3a UWG (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 39. Aufl. 2021, § 3a UWG, Rn. 1.223; Senatsbeschluss vom 14.05.2019 – 4 W 45/19, Rn. 60, zit. nach juris, jew. mwN.).

c) Die Zuwiderhandlung der Antragsgegner ist ferner geeignet, die Interessen von Verbrauchern i. S. d. § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Denn bei Verstößen gegen Vorschriften, die dem Schutz von Gesundheit oder Sicherheit von Verbrauchern dienen, ist die Spürbarkeit zu vermuten und nur ganz ausnahmsweise zu verneinen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, aaO., § 3a UWG, Rn. 1.102; Senatsbeschluss vom 14.05.2019 – 4 W 45/19, Rn. 72 f., zit. nach juris, jew. mwN.).

Bei der hier maßgeblichen Bestimmung des § 3 HWG handelt es sich um eine solche Vorschrift. Denn das Verbot der irreführenden Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens bezweckt in erster Linie die Abwehr gesundheitlicher Gefahren von der Allgemeinheit und dem Einzelnen (vgl. Erbs/Kohlhaas/Pfohl, aaO., § 3 HWG, Rn. 1; Senatsbeschluss vom 14.05.2019 – 4 W 45/19, Rn. 74 mwN., zit. nach juris).


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OLG Hamm: Schadensersatzanspruch eines Bio-Landwirts gegen benachbarte Landwirte mit konventionellem Anbau wegen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Abdrift auf Biofläche

OLG Hamm
Urteil vom 18.11.2021
24 U 74/16

Das OLG Hamm hat einem Bio-Landwirt Schadensersatz gegen benachbarte Landwirte mit konventionellem Anbau wegen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und Abdrift auf die Biofläche zugesprochen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

OLG Hamm entscheidet im Prozess über die Abdrift von Pflanzenschutzmitteln

Der 24. Zivilsenat hat heute in dem Rechtsstreit, in dem vier Landwirte aus Lichtenau über die Abdrift von Pflanzenschutzmitteln von konventionell bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen der drei Beklagten auf Bio-Anbauflächen des Klägers streiten, zwei der drei Beklagten insbesondere zum Ausgleich von Schäden in Höhe von gut 10.000 € bzw. 40.000 € verurteilt und im Übrigen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Paderborn vom 14.03.2016 (Az. 4 O 420/14, LG Paderborn) bestätigt. Die Revision hat der Senat nicht zugelassen.

Nach den Begutachtungen durch Sachverständige stehe – so der 24. Zivilsenat – fest, dass der durch zwei der drei Beklagten im Oktober 2013 mit dem Pflanzenschutzmittel Malibu ausgebrachte Wirkstoff Pendimethalin durch Abdrift auf Felder des klagenden Landwirts gelangt sei. Hierdurch sei eine den zulässigen Höchstwert für den Ökolandbau überschreitende Belastung mit dem vorgenannten Wirkstoff verursacht worden, weshalb die angebauten Pflanzen insgesamt nicht mehr vermarktungsfähig gewesen seien. Dies widerspreche dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen ökologischem und konventionellem Landbau als jeweils zulässige Bewirtschaftungsarten.

Die von den beiden verurteilten Landwirten für das Aufbringen gewählten Düsen – und bei einem Landwirt zudem der verwendete (Applikations-)Druck – hätten nicht der „guten fachlichen Praxis“ in der Landwirtschaft entsprochen, um eine Abdrift zu verhindern. Sie seien dem Kläger daher zum Ersatz des ihm entstandenen Schadens – vor allem zum Ausgleich des ausgefallenen Ertrags bei einem Verkauf der Pflanzen – verpflichtet.

Bei dem dritten beklagten Landwirt konnte der 24. Zivilsenat auf der Grundlage der sachverständigen Begutachtungen allerdings nicht feststellen, dass dieser durch Abdrift von Pflanzenschutzmittel auf ein Feld des Klägers eingewirkt hätte.

Nicht rechtskräftiges Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 18.11.2021 (Az. 24 U 74/16, OLG Hamm)