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LG Hamburg: Wettbewerbswidrige Irreführung bei Reduzierung der Füllmenge von 500g auf 400g bei gleicher Verpackung ohne aufklärenden Hinweis während der ersten 3 Monate

LG Hamburg
Urteil vom 13.02.2024
406 HKO 121/22


Das LG Hamburg hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch eine Mogelpackung vorliegt, wenn die Füllmenge bei identischer Produktverpackung von 500g auf 400g reduziert wird, ohne dass während der ersten 3 Monate ein aufklärender Hinweis erfolgt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die allgemeinen Irreführungstatbestände des $ 5 UWG auch bei Irreführungen hinsichtlich einer Packungsgröße anwendbar. Gerade wenn man mit der Beklagten davon ausgehen wollte, dass § 43 Abs. 2 MessEG nur objektiv aus der Gestaltung und Befüllung von Fertigpackungen resultierende Täuschungen erfasst, ist kein Grund ersichtlich, warum § 43 Abs. 2 MessEG aus anderen Umständen resultierende Irreführungen betreffend die Füllmenge von Fertigpackungen in der Art privilegieren sollte, dass die allgemeinen Irreführungstatbestände hierauf nicht anwendbar wären. Erfasst § 43 Abs. 2 MessEG hingegen auch aus anderen Umständen resultierende Täuschungen, ist ebenfalls kein Grund für eine Unanwendbarkeit der allgemeinen Irreführungsverbote ersichtlich.

Vorliegend ist der Vertrieb der hier streitigen 400 g-Packung ohne deutlich sichtbaren aufklärenden Hinweis über die geänderte Füllmenge jedenfalls für einen Zeitraum von 3 Monaten irreführend, wenn „Sanella“ zuvor in einer bis auf die Füllmengenangabe identischen Produktverpackung in 500 g-Packungen vertrieben worden ist. Die auf der Produktseite angegebene Füllmenge wird dem situationsadäquat aufmerksamen Durchschnittverbraucher vielfach entgehen. Er wird vielmehr regelmäßig auf Grund des übereinstimmenden Erscheinungsbildes der Verpackungen davon ausgehen, ein auch hinsichtlich der Füllmenge unverändertes Produkt zu erwerben und die geringere Füllmenge erst im Nachhinein bemerken.

Insoweit ist auch nicht etwa die Wiederholungsgefahr durch Zeitablauf entfallen. Zwar sind seit der im Sommer 2022 erfolgten Produktumstellung bereits deutlich mehr als 3 Monate vergangen. Es ist jedoch keineswegs ausgeschlossen, dass die Beklagte die hier streitgegenständliche Produktumstellung zu einem späteren Zeitpunkt erneut vornimmt, also nach zwischenzeitlichem Vertrieb einer 500 g-Packung die Füllmenge wiederum auf 400 g reduziert. Dies auch deshalb, weil die Beklagte ihr Streichfett „Sanella* in der Vergangenheit im Laufe der Zeit in einer ganzen Reihe verschiedener Packungsgrößen und Füllmengen angeboten hat.

Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der Vertrieb der 400 g-Packung unabhängig von dem Zeitablauf seit Umstellung der Füllmengen von 500 g auf 400 g irreführend wäre. Die zu 80 % mit Streichfett gefüllte 400 g-Packung „Sanella“ täuscht jedenfalls nicht unabhängig von der zuvor vertriebenen 500 g-Packung eine größere Füllmenge vor als in ihr enthalten ist. Dies kann auch unter Berücksichtigung des wettbewerblichen Umfeldes nicht festgestellt werden, so dass offen bleiben kann, ob bei der Feststellung eines Verstoßes gegen § 43 Abs. 2 MessEG auch auf außerhalb der konkret streitgegenständlichen Verpackung liegende Umstände abgestellt werden kann oder nur § 5 UWG bzw. Art 7 LMIV einschlägig sind. Streichfette werden zwar vielfach weiterhin in 500 g-Packungen vertrieben, daneben aber auch in einer ganzen Reihe von Packungsgrößen mit unterschiedlichen Füllmengen. Auch ist weder ersichtlich noch substantiiert dargelegt, dass die farblich sehr unterschiedlich gestalteten 500 g-Packungen dem Verbraucher ein optisch einheitliches Bild vermitteln, wie es als Grundlage einer Irreführung hinsichtlich der Befüllung der hier streitigen Packung erforderlich wäre. Die von der identisch ausgestalteten 500 g-Packung „Sanella“ ausgehende Irreführung besteht hingegen nur innerhalb einer gewissen Übergangszeit, die 3 Monate nach der Umstellung noch nicht abgelaufen ist, jedoch vor Schluss der mündlichen Verhandlung in dieser Sache ihr Ende gefunden hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Hamburg: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen SEPA-Verordnung setzt keine Diskriminierungsabsicht voraus

LG Hamburg
Urteil vom 10.10.2023
406 HKO 88/22


Das LG Hamburg hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die SEPA-Verordnung keine Diskriminierungsabsicht voraussetzt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Klage ist nach §§ 3, 3a, 8, 13 UWG, Art. 9 SEPA-Verordnung begründet.

Der mit der Klage geltend gemacht Unterlassungsanspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 3, 3a, 8 UWG i. V. m. Art. 9 SEPA-Verordnung. Bei Art. 9 SEPA-Verordnung handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung i. S. des § 3 a UWG, sodass ein Verstoß gegen diese Vorschrift einen Unterlassungsanspruch nach § 8 UWG begründet (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.02.2020 - I ZR 93/18 - SEPA-Lastschrift - Rn. 38, zitiert nach Juris), ohne dass es insoweit auf ein Verschulden ankäme.

Die aus Anlage K 3 ersichtliche E-Mail verstößt gegen Art. 9 Abs. 2 SEPA-Verordnung. Auch wenn in diesem Zusammenhang umgangssprachlich von einer SEPA-Diskriminierung gesprochen wird, setzt ein Verstoß gegen diese Vorschrift in keiner Weise die Absicht einer Diskriminierung oder Ähnliches voraus. Vielmehr gilt nach Art. 9 Abs. 2 SEPA-Verordnung Folgendes: Ein Zahlungsempfänger, der eine Überweisung annimmt oder eine Lastschrift verwendet, um Geldbeträge von einem Zahler einzuziehen, der Inhaber eines Zahlungskontos innerhalb der Union ist, gibt nicht vor, in welchem Mitgliedsstaat dieses Zahlungskonto zu führen ist, sofern das Zahlungskonto gem. Art. 3 SEPA-Verordnung erreichbar ist, wobei letzteres vorliegend nicht im Streit steht. Ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 SEPA-Verordnung liegt daher bereits dann vor, wenn ein Zahlungsempfänger zwar grundsätzlich Zahlungen per Lastschrift akzeptiert, dem Inhaber eines Zahlungskontos innerhalb der Europäischen Union aber vorgibt, in welchem Mitgliedsstaat dieses Zahlungskonto zu führen ist. Die Beklagte gestattet ihren Kunden die Zahlung im Wege des Lastschriftverfahrens. Sie hat jedoch ihrem Kunden R. mit der aus Anlage K 3 ersichtlichen E-Mail vorgegeben, eine deutsche Bankverbindung zu übermitteln. Dies ergibt sich gem. §§ 133, 157 BGB aus der Sicht eines objektiven Empfängers aus der aus Anlage K 3 ersichtlichen E-Mail, in der dem Kunden R. zunächst mitgeteilt wird, dass das System der Beklagten die von Herrn R. übermittelte IBAN mit der dazugehörigen BIC nicht annehme und deshalb um Übermittlung einer andern (deutschen) Bankverbindung gebeten werde, damit die monatlichen Beiträge eingezogen werden können. Ungeachtet der höflichen Formulierung „wir bitten Sie“ ergibt sich daraus für den Empfänger, der die von Beklagtenseite behaupteten Hintergründe dieser E-Mail nicht kennt, dass die Übermittlung einer anderen, und zwar einer deutschen Bankverbindung notwendig ist, damit die monatlichen Beiträge eingezogen werden können, weil das System die von Herrn R. mitgeteilte IBAN des litauischen Kontos nicht annehme. An dem damit erfolgte Verstoß gegen Art 9 Abs. 2 SEPA-Verordnung ändert es nichts, dass die Beklagte das litauische Konto des Herrn R. nachträglich akzeptiert und eine Lastschrift von diesem vorzunehmen versucht hat, zumal dies erst nach der Abmahnung und geraume Zeit nach der Zurückweisung der Bankverbindung und des daraufhin erfolgten Hinweises des Herrn R. auf die darin liegende IBAN-Diskriminierung (Anlage K 4) erfolgt ist.

In diesem Zusammenhang kommt es auch nicht darauf an, ob ein seinen Kunden das Lastschriftverfahren als solches anbietendes Unternehmen ausländische Bankverbindungen generell oder nur im Einzelfall ablehnt. Eine Beschränkung der Regelung des Art. 9 Abs. 2 SEPA- Verordnung auf die generelle Ablehnung ausländischer Bankverbindungen für das Lastschriftverfahren lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Regelung entnehmen. Für das mit der SEPA-Verordnung bezweckte ordnungsgemäße Funktionieren des Zahlungsbinnenmarktes und des in diesem Zusammenhang als besonders wichtig angesehenen SEPA-Verfahrens (vgl. Erwägungsgründe 1, 2 der SEPA-Verordnung) ist es bereits abträglich, wenn Lastschriften von ausländischen Konto auch nur in Einzelfällen abgelehnt werden. Eine Einschränkung der Regelung des Art. 9 Abs. 2 SEPA-Verordnung auf Fälle genereller Zurückweisung von Auslandskonten lässt sich der Regelung daher nicht entnehmen.

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (a. a. O.) oder der vorangegangenen Entscheidung des Oberlandesgerichtes Karlsruhe. In dem dort zur Entscheidung stehenden Sachverhalt hat die Beklagte Auslandskonten für das Lastschriftverfahren generell abgelehnt. Dies war für die Entscheidung doch nur insofern von Bedeutung, als das im dortigen Sachverhalt von Beklagtenseite angeführte Argument der Verhinderung einer möglichen Geldwäsche jedenfalls keinen generellen Ausschluss von Lastschriften rechtfertigt, bei denen Wohnsitzstaates des Zahlenden und Sitzstaat seines Zahlungsdienstleisters auseinander fallen, da die Zurückweisung von Auslandskunden immer nur in bestimmten Einzel- und Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann (Bundesgerichtshof a. a. O. Rn. 33, 34). Derartige Gründe sind im vorliegenden Fall nicht vorgetragen. Auch das allgemeine Interesse des Zahlungsempfängers, die Bonität eines Zahlers zu prüfen, was vorliegend im Hinblick auf die fehlende Deckung des angegebenen Kontos von Bedeutung gewesen sein könnte, bietet keinen hinreichenden Differenzierungsgrund (vgl. Bundesgerichtshof a. a. O., Rn. 33). Nur in begründeten Einzel- und Ausnahmefällen kann die Zurückweisung eines ausländischen Kontos für das Lastschriftverfahren gerechtfertigt sein, wobei dbzgl. eine Einschränkung des gerichtlichen Verbotes zu I. 1. nicht erforderlich ist, da sich diese Einschränkung aus den Entscheidungsgründen ergibt (vgl. Bundesgerichtshof a. a. O., Rn 34).

Da die Abmahnung gem. Anlage K 5 somit begründet war und den Anforderungen des § 13 Abs. 2 UWG entsprach, ist die Beklagte gem. § 13 Abs. 3 UWG zum Ausgleich der Kosten der Abmahnung verpflichtet.


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LG Hamburg: Online-Coaching bedarf der Zulassung nach § 12 FernUSG - Coaching-Vertrag bei Verstoß nach § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig und kein Anspruch auf Vergütung

LG Hamburg
Urteil vom 19.07.2023
304 O 277/22


Das LG Hamburg hat entschieden, dass Online-Coaching der Zulassung nach § 12 FernUSG bedarf. Fehlt die Zulassung, so ist der Coaching-Vertrag nach § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig und der Anbieter hat keinen Anspruch auf Zahlung seiner Vergütung.

Hinweis: Die Entscheidung wurde vom OLG Hamburg mit Urteil vom 20.02.2024 - 10 U 44/23 (siehe dazu OLG Hamburg: Online-Coaching ohne Überwachung des Lernerfolgs bedarf nicht der Zulassung nach § 12 FernUSG - Coaching-Anbieter hat Anspruch auf Vergütung) aufgehoben.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch aus dem „Coaching“ Vertrag zu, da dieser Vertrag gem. § 7Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 1 FernUSG nichtig ist. Schließlich handelt es sich bei dem Angebot der Klägerin um einen Fernunterrichtsvertrag (hierzu 1.), für den die Klägerin nicht über die erforderliche Zulassung gem. § 7 Abs. 1 FernUSG verfügt (hierzu 2.)

1. Bei dem von der Klägerin angebotenen Coaching handelt es sich - entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin - um Fernunterricht im Sinne des § 1 FernUSG.

a) Nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 FernUSG ist Fernunterricht im Sinne dieses Gesetzes die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind (Nr. 1) und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen (Nr. 2).

b) Bei der Auslegung des Gesetzes und der Qualifikation des streitgegenständlichen Lehrgangs war die Intention des Gesetzgebers beim Erlass des FernUSG zu berücksichtigen. Dieser wollte wegen eines gestiegenen Interesses an Fernlehrgängen den Verbraucherschutz in diesem Bereich stärken. Insbesondere waren Mängel beim Angebot von Fernlehrgängen dergestalt festgestellt worden, dass Angebote von geringer methodischer und fachlicher Qualität angeboten wurden, die nicht geeignet waren, das in der Werbung genannte Lehrgangsziel zu erreichen.

Die bislang geltenden Rechtsvorschriften waren als nicht hinreichend angesehen worden, da sie nicht die besondere Situation eines Fernunterrichtsinteressenten berücksichtigten, der immer Schwierigkeiten haben wird, seine eigenen Fähigkeiten, die Qualität des angebotenen Fernlehrgangs und dessen Eignung für seine Bedürfnisse einzuschätzen. Insbesondere konnten sie zur Verhinderung des für den Fernunterricht typischen „Schadens“, nämlich Enttäuschung der Bildungswilligkeit, weniger beitragen (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2009, NJW 2010, 608).

Diese Intention des Gesetzgebers findet auch in der Formulierung des FernUSG ihren Niederschlag. So regelt § 8 FernUSG ein Umgehungsverbot, wonach §§ 2 bis 7 des Gesetzes auf Verträge, die darauf abzielen, die Zwecke eines Fernunterrichtsvertrages in einer anderen Rechtsform zu erreichen, entsprechende Anwendung finden. Die Kammer war daher gehalten, das Gesetz weit auszulegen (vgl. LG Berlin, Urteil vom 15. Februar 2022 – 102 O 42/21 –, Rn. 29 - 30, juris). Hiervon ausgehend war der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag als Fernunterrichtsvertrag zu qualifizieren.

c) Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Ziff. 1 FernUSG waren erfüllt. Schließlich sah das gesamte „Kurskonzept“ der Klägerin vor, dass der Lehrende und er Lernende räumlich getrennt sind, da das Coaching ausschließlich Online – mittels Video-Coaching und Lernvideos – stattfinden sollte.

Dem steht insbesondere die Rechtsmeinung der Beklagten entgegen, dass die Coachingmodule - die einen deutlichen Schwerpunkt des „Kurskonzepts“ ausmachen, trotz der Videoübertragung keinen Fall der räumlichen Trennung darstellen.

Zwar sieht die Kammer, dass Teile der (spärlichen) Literatur und Rechtsprechung zum FernUSG die Teilnahme mittels Videokonferenz nicht als Fall einer räumlichen Trennung i.S.d. § 1 FernUSG ansehen, da es auf den direkten Kontakt zwischen Lehrendem und Lernendem bei der Wissensvermittlung ankomme (vgl. VG München, Urt. v. 14.0 September 1988 - M 6 K 86.7044 - NVwZ-RR 1989, 473; Nomos-BR/Vennemann FernUSG/Michael Vennemann, 2. Aufl. 2014, FernUSG § 1 Rn. 10).

Hiergegen spricht jedoch bereits der Wortlaut des § 1 FernUSG, welcher einzig und allein auf eine räumliche Trennung zwischen Lehrenden und Lernenden abstellt. Auch das OLG Köln geht in einer Entscheidung in einer Bußgeldsache dann von einer räumlichen Trennung aus, wenn weniger als die Hälfte des Lehrgangsstoffes im herkömmlichen Nah- oder Direktunterricht vermittelt würde (OLG Köln, Beschl. v. 24. November 2006 - 81 Ss-OWi 71/06 - 210 B Rn. 10).

Auch der Gesetzesbegründung ist keine derartig weite Auslegung des Wortlauts und damit einhergehende Einschränkung des Anwendungsbereichs des FernUSG zu entnehmen. So heißt es dort hinsichtlich der überwiegenden Trennung von Lernenden und Lehrenden, dieses Merkmal grenze

„den Fernunterricht einerseits gegenüber dem herkömmlichen Unterricht ab, der sich nur ausnahmsweise eines Mediums bedient, um eine ebenfalls nur in Ausnahmefällen vorhandene, unerhebliche räumliche Trennung von Lehrer und Schüler zu überbrücken (z. B. Tonübertragung in einen anderen Unterrichtsraum oder ein anderes Gebäude), und der jedenfalls weniger als die Hälfte des gesamten Lehrstoffs einer Unterrichtseinheit ohne die genannte räumliche Trennung anbietet“ (BT-Drs. 7/4245, S. 14).

Ein Fall der räumlichen Trennung war somit auch etwa eine Tonübertragung in einen anderen Unterrichtsraum bzw. ein anderes Gebäude. Dabei ist zwar zu sehen, dass Techniken der Videokonferenz zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu erahnen waren. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass die Gesetzesbegründung auf eine räumliche Trennung im Wortsinne abstellt, ungeachtet technischer Möglichkeiten der Teilnahme am Unterricht – wenn auch nur durch Audioübertragung – aus Nebenräumen.

Dabei sieht das Gericht zwar auch, dass die Zeit augenscheinlich über das FernUSG hinweggegangen ist. Gleichzeitig ist hier – erneut – der bereits geschilderte Sinn und Zweck des FernUSG in den Blick zu nehmen. Schließlich war es insbesondere auch ein – augenscheinlich auch in der Gegenwart bedeutsames – Anliegen des Gesetzes, die teilweise mangelnde Seriosität der Fernlehrinstitute zu beheben (Fernunterrichtsschutzgesetz, Einleitung Rn. 7, beck-online).

d) Zudem sieht der streitgegenständliche Vertrag Lernerfolgskontrollen im Sinne des § 1 Nr. 2 FernUSG vor. Dabei handelt es sich um ein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal zu reinen Selbstlernmaterialien. Lernerfolgskontrolle ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der vom BGH in seiner Entscheidung vom 15. Oktober 2009 (III ZR 310/08, NJW 2010, 608) konkretisiert wurde. Danach sind nur geringe Anforderungen an die Lernerfolgskontrolle zu stellen. Es reicht die Möglichkeit aus, dass Teilnehmende im Rahmen der von dem Anbieter z.B. organisierten Informationsveranstaltungen oder begleitenden Unterrichtsveranstaltungen Fragen stellen und anhand der Antworten ihren Lernfortschritt feststellen können, um eine Lernerfolgskontrolle zu bejahen. Für die Lernerfolgskontrolle waren dabei die Zoom-Calls mit dem Vorstand der Klägerin persönlich vorgesehen.

Hierfür ist auch gerade nicht notwendig, dass innerhalb des Gesprächs eine gezielte Wissensabfrage durch den Lernenden vorgesehen ist, beispielsweise durch vorbereitete Kontrollfragen. Es genügt bereits, dass ein persönlicher Austausch zwischen Lernendem und Lehrendem vorgesehen ist, in dessen Rahmen die Möglichkeit zu Rückfragen im Kontext der Lerninhalte besteht. Es muss davon ausgegangen werden, dass im Rahmen der Gespräche mit dem Vorstand der Klägerin auch Themen im Kontext des Coaching-Programms besprochen werden, die sich (un-)mittelbar auf Lerninhalte beziehen und in diesem Rahmen auch die Möglichkeit zu Verständnisfragen besteht. Durch den Vergleich der Antwort auf die eigenen Nachfragen können die Coaching-Teilnehmer den eigenen Wissensstand überprüfen und nachvollziehen, ob sie bestimmte Inhalte entsprechend dem Coaching-Konzept bereits im Sinne des Vorstandes der Klägerin hinreichend verstanden haben. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit einer (wenn auch nicht als solchen deklarierten) Lernerfolgskontrolle.

e) Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es für die Anwendbarkeit des FernUSG zudem weder darauf an, ob der Beklagte bei Vertragsschluss als Verbraucher oder Unternehmer gehandelt hat, noch darauf, ob er sich durch seine Aussagen als Unternehmerin gerierte (vgl. OLG Celle 3. Zivilsenat, Urteil vom 01. März 2023 - 3 U 85/22 - noch nicht rechtskräftig).

Der Wortlaut des FernUSG macht seine Anwendbarkeit nämlich an keiner Stelle von der Verbrauchereigenschaft des Lernenden abhängig. Soweit die Klägerin behauptet, dem Beklagten sei der Schutz durch das FernUSG zu verwehren, da das Gesetz dem Verbraucherschutz diene und der Beklagte sich an dem Rechtsschein halten lassen müsse, den er durch seine Aussage vor dem Vertragsschluss am 21. März 2022 gesetzt habe, verkennt die Klägerin, dass die Rechtsfolge des § 7 Abs. 1 FernUSG, die Nichtigkeit des Vertrages, ohne Geltendmachung eines Gestaltungsrecht durch die Beklagte kraft Gesetzes eintritt. Die Rechtsfolge steht nicht zur Disposition der Parteien; es fehlt damit der Anknüpfungspunkt für den Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens.

f) Zudem erfordert die Subsumtion des streitgegenständlichen Vertrages unter des FernUSG insbesondere auch nicht die Einvernahme des Herrn T. G. von der staatlichen Zulassungsstelle für Fernunterricht als sachverständigen Zeugen. Schließlich liegt die rechtliche Bewertung und Würdigung des streitgegenständlichen Vertrages in den Händen des Gerichts.

2. § 7 Abs. 1 FernUSG schreibt eine generelle Zulassungspflicht für alle Fernlehrgänge mit Ausnahme sog. Hobbylehrgänge vor, die lediglich anzeigepflichtig sind (Abs. 1 Satz 3). Die Behauptung des Beklagten, die Klägerin verfüge nicht über eine entsprechende Zulassung, wurde nicht bestritten und ist damit gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Auch fehlt von Klägerseite jeder Vortrag dazu, der eine Ausnahme von dem Zulassungserfordernis gem. § 12 Abs. 1 S. 2 in Betracht kommen ließe.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Hamburg: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung für Spülmaschinen-Caps mit "revolutionär" wenn keine erhebliche Leistungssteigerung gegenüber anderen Produkten vorliegt

LG Hamburg
Urteil vom 28.06.2023
315 O 116/23


Das LG Hamburg hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung vorliegt, wenn Spülmaschinen-Caps mit "revolutionär" beworben werden, obwohl keine erhebliche Leistungssteigerung gegenüber anderen Produkten vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Es besteht zunächst der Verfügungsanspruch.

Der Anspruch der Antragstellerin ergibt sich aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 in Verbindung mit §§ 3, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG.

Die Antragstellerin ist als Mitbewerberin der Antragsgegnerin aktivlegitimiert nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Da die Verfahrensbeteiligten jeweils Spülmaschinentabs und -caps bewerben und anbieten, stehen sie in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis und sind folglich Mitbewerberinnen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG.

Die Antragsgegnerin handelt auch unlauter.

Nach § 5 Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung unter anderem dann unlauter, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Vorteile, Risiken, Zusammensetzung, Zubehör, Verfahren oder Zeitpunkt der Herstellung, Lieferung oder Erbringung, Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, Menge, Beschaffenheit, Kundendienst und Beschwerdeverfahren, geographische oder betriebliche Herkunft, von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse oder die Ergebnisse oder wesentlichen Bestandteile von Tests der Waren oder Dienstleistungen.

Das Bewerben des Produkts mit der beanstandeten Verpackungsgestaltung stellt eine geschäftliche Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar, weil die Antragsgegnerin insoweit zugunsten ihres Unternehmens zum Zwecke der Absatzförderung agiert.

Durch die werbliche Verwendung der Bezeichnung „revolutionär“ wie unter Antrag zu Ziffer 1 b) dargestellt nimmt die Antragsgegnerin ferner eine irreführende Handlung vor, da die Auslobung zur Täuschung geeignete Angaben über ein wesentliches Merkmal der Ware U. P. enthält.

Wesentliche Teile des angesprochenen Verkehrs – zu denen als Verbraucher auch die Mitglieder der Kammer zählen – erwarten aufgrund der Formulierungen

Unser erster Spülmaschinen Cap mit der revolutionären CYCLESYNC-Technologie ermöglicht dem richtigen Inhaltsstoff, sich genau im richtigen Moment zu entfalten, so dass selbst eingebrannte Speiserückstände effektiv entfernt werden

sowie

Unsere revolutionäre Performance mit 15 % weniger Chemikaliengehalt im Vergleich zu F. P. A. i.

im Rahmen der antragsgegenständlichen Verpackungsgestaltung von dem Produkt U. P. eine erhebliche Steigerung der Reinigungsleistung – insbesondere in Bezug auf eingebrannte Anschmutzungen – gegenüber anderen Spülmaschinenreinigungsprodukten und damit auch gegenüber dem Produkt U. der Antragsgegnerin.

Dies ergibt sich aus Folgendem:

Da der Verkehr in der Werbung grundsätzlich an Übertreibungen gewöhnt ist, wird er zwar vorliegend kein revolutionäres Produkt im Sinne einer bahnbrechenden Neuschöpfung erwarten. Die Bezeichnung „revolutionär“ verspricht allerdings auch nicht lediglich eine irgendwie geartete Überlegenheit, die sich möglicherweise in minimal besseren Ergebnissen erschöpft, sondern vermittelt in den Augen der angesprochenen Verkehrskreise jedenfalls einen deutlichen Abstand zu anderen, hinsichtlich ihrer allgemeinen Produktbeschreibung vergleichbaren Produkten.

Maßgebliche Teile des angesprochenen Verkehrs werden dabei davon ausgehen, dass die vermeintlich deutlich übertroffenen Produkte im Handel üblicherweise erhältliche Spülmaschinenreinigungsprodukte sind, sodass die Erwartung auch das Produkt U. der Antragsgegnerin umfasst. Große Teile des Verkehrs werden wegen der ähnlichen Verpackungsgestaltung und fast identischen Produktbezeichnung (siehe dazu auch unter b) aa)) sogar speziell U. in Bezug nehmen. Zwar wird im zweiten beanstandeten Satz das Produkt F. P. A. i. erwähnt, allerdings ist diese Bezugnahme explizit beschränkt auf den Vergleich hinsichtlich des Chemikaliengehalts der Produkte.

Die Verkehrswahrnehmung einer erheblichen Leistungssteigerung gegenüber anderen Produkten am Markt unter Einschluss von U. wird durch den zweiten angegriffenen Satz, der nur durch zwei Sätze von dem ersten beanstandeten Satz getrennt ist, vertieft. Dort ist ausdrücklich von „revolutionäre Performance“ die Rede, was maßgebliche Teile des angesprochenen Verkehrs ohne weiteres mit „revolutionäre Leistung“ ins Deutsche übersetzen werden und aufgrund der ersten mit diesem Antrag angegriffenen Auslobung wiederum auf die Reinigungsleistung, insbesondere hinsichtlich eingebrannter Anschmutzungen, beziehen werden.

Entgegen dem Vortrag der Antragsgegnerin wird der Verkehr das Attribut „revolutionär“ nicht allein auf die Neuheit der auf der Verpackung in Bezug genommenen CYCLESYNC-Technologie beziehen. Er wird die Werbeaussage im ersten der beanstandeten Sätze vielmehr so verstehen, dass die „revolutionäre“ CYCLESYNC-Technologie die Freisetzung eines bestimmten Inhaltsstoffes zu einem bestimmten Zeitpunkt ermöglicht, was wiederum dazu führt, dass selbst eingebrannte Speiserückstände effektiv entfernt werden. In der Wahrnehmung des Verkehrs wird also die als „revolutionär“ bezeichnete Fähigkeit des Produkts durch eine Kausalkette auf die effektive Entfernung eingebrannter Speisereste – und damit die Reinigungsleistung – erstreckt. Insbesondere durch die Verwendung des Worts „selbst“ wird dem Verkehr ermittelt, dass eine revolutionäre Leistungssteigerung für die effektive Entfernung verantwortlich ist.

Ebenso wird der Verkehr eine „revolutionäre“ Performance auch nicht – wie die Antragsgegnerin meint – im 15 % geringeren Chemikaliengehalt im Vergleich zu einem Referenzprodukt sehen. So verdeutlicht schon der Satzbau, dass „revolutionär“ auf die „Performance“ und nicht auf die Differenz im Chemikaliengehalt bezogen ist. Im Übrigen wird der Verkehr dies auch – wie bereits ausgeführt – wegen der vorangegangenen Leistungsbehauptung, die hier vertieft wird, annehmen.

Die dargestellte Erwartungshaltung des Verkehrs wird enttäuscht, da eine erhebliche Leistungssteigerung schon im Vergleich zu dem Produkt U. nicht vorliegt. Dem die deutliche Leistungssteigerung des Produkts U. P. in Abrede stellenden Vortrag der Antragstellerin tritt die Antragsgegnerin im Rahmen dieses Irreführungsvorwurfs nicht entgegen, sondern zieht sich vielmehr auf die geschilderten Verkehrsverständnisse zurück, denen die Kammer nicht folgt (siehe oben).

Diese Irreführungsgefahr ist auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte, zumal der Verbraucher bei der Auswahl von Spülmaschinentabs und -caps großen Wert auf die Reinigungsleistung legt.

Die nach § 8 Abs. 1 UWG vorausgesetzte Wiederholungsgefahr besteht schon wegen des begangenen Verstoßes und wurde durch die Antragsgegnerin bislang – etwa durch eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung – auch nicht ausgeräumt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext LG Hamburg liegt vor: Einstweilige Verfügung in Sachen Rammstein gegen Spiegel - Verdachtsberichterstattung teilweise rechtswidrig

LG Hamburg
Beschluss vom 14.07.2023
324 O 228/23

Das LG Hamburg hat entschieden, dass die Verdachtsberichterstattung des Spiegels über die Band Rammstein in Teilen rechtswidrig war.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Antragsteller steht der aus dem Tenor ersichtliche Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu. Die angegriffene Berichterstattung verletzt den Antragsteller in dem tenorierten Umfang in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

1. Der Antrag zu Ziffer 2. zweiter Spiegelstrich hat Erfolg. Die Äußerung „W. berichtet, dass intern dieser Gang von der After-Show-Party zur After-Aftershow-Party die „Schlampenparade“ genannt werde. Die Frauen, die nicht ausgewählt wurden, blieben danach auf der regulären Party und könnten von Mitarbeitern der Crew angemacht werden, „Resteficken“ heiße das intern.“ verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers. Es handelt sich um eine rechtswidrig verbreitete Verdachtsäußerung der Antragsgegnerin. Die Kammer teilt insoweit nicht die Ansicht des Antragstellers, dass diese Äußerung von der Antragsgegnerin als feststehend verbreitet wird. Der unvoreingenommene und verständige Durchschnittsleser geht nicht davon aus, dass es feststehe, dass die als von S. W. stammend in der Berichterstattung geschilderten Vorwürfe zutreffend seien. Vielmehr ergibt sich aus dem Gesamtkontext, dass dieser in der Berichterstattung geschilderte Sachverhalt von der Antragsgegnerin nur als möglich dargestellt wird. Dies folgt insbesondere aus der unmittelbar den Schilderungen der S. W. vorangestellten Äußerung „Es scheint ein ausgefeiltes System hinter alldem zu stecken. So zumindest stellt es S. W. dar.“ Sodann werden die Schilderungen von Frau W. in der indirekten Rede wiedergegeben und am Ende des Artikels stellt die Antragsgegnerin fest „Es gibt bislang nur Indizien, dass die Geschichten stimmen könnten, es gibt immer mehr Aussagen. Das war bei H. W. am Anfang allerdings auch so.“ Aus dieser konkreten Einbettung folgt, dass die Antragsgegnerin nicht behaupten will, dass die von ihr in dem Artikel dargestellten Vorwürfe zutreffend seien, sondern dass sie dies lediglich für möglich erachtet. Dies gilt auch für die von S. W. wiedergegeben und hier angegriffenen Begebenheiten, welche die Antragsgegnerin als von S. W. berichtet darstellt.

Die Äußerung ist dennoch rechtswidrig verbreitet, da prozessual nicht von dem Vorliegen eines für die Veröffentlichung ausreichenden Mindestbestands an Beweistatsachen ausgegangen werden kann. Es kann prozessual nicht davon ausgegangen werden, dass die Verwendung der von dem Antragsteller angegriffenen Begriffe bei der Crew der Band R. ständige Praxis war. Der Antragsteller hat mit Nichtwissen bestritten, dass der Gang von der Aftershow-Party zur After-Aftershow-Party intern, also unter der Konzert-Crew, als „Schlampenparade“ bezeichnet werde. Gleiches gelte für die Behauptung, Frauen, die nicht ausgewählt werden würden, blieben auf der regulären Aftershow-Party und könnten von Mitarbeitern der Crew angemacht werden sowie für die Bezeichnung dieses Vorgehens als „Resteficken.“ Er hat ausgeführt, dass ihm derartige Bezeichnungen nicht bekannt seien und dass er noch nie davon gehört habe, dass die Konzert-Crew derartige Bezeichnungen im Zusammenhang mit den dargestellten Vorwürfen verwende. Der Antragsteller hat mithin dargelegt, dass er keine eigene Wahrnehmung zu den von der Antragsgegnerin behaupteten Vorwürfen hat. Das Bestreiten mit Nichtwissen stellt sich als zulässig im Sinne von § 138 Abs. 4 ZPO dar. Der Antragsteller hatte auch keine weiteren Erkundigungen einzuholen, da die diesbezüglichen Angaben der Antragsgegnerin, die sich auf die eidesstattliche Versicherung von Frau W. beruft, vollkommen offenlassen, zu welchen Zeitpunkten und in welchem Kontext die Äußerungen gefallen sein sollen.

Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Antragsgegnerin eine eidesstattliche Versicherung der Zeugin W. vorlegt (Anlage AG3), welche schildert, dass sie mehrfach die Begriffe „Resteficken“ und „Schlampenparade“ in dem in der Berichterstattung dargestellten Zusammenhang von den Crewmitgliedern gehört habe, vermag die Kammer nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass die in der Berichterstattung enthaltenen Vorwürfe als glaubhaft gemacht zu behandeln sind. Denn die eidesstattliche Versicherung der Zeugin W., Anlage AG3, ist insoweit nicht geeignet, den in der Berichterstattung transportierten Verdacht, der Gang von der Aftershow-Party zur After-Aftershow-Party werde intern als „Schlampenparade“ bezeichnet, der Umstand, dass sich Crewmitarbeiter an die auf der Aftershow-Party verbleibenden Mädchen heranmachen würden als „Resteficken“, als glaubhaft gemacht anzusehen. Die Antragsgegnerin transportiert in der Berichterstattung den Verdacht, die von dem Antragsteller angegriffenen Bezeichnungen seien gängige Praxis gewesen. Dies geht allerdings über das hinaus, was die Zeugin W. in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben hat. Denn insoweit führt sie ohne weitere Angaben von Ort und Zeit und ohne Angabe, wer sich ihr gegenüber entsprechend geäußert habe, lediglich aus, dass sie diese Begriffe mehrfach von Crewmitgliedern gehört habe. Dass es sich bei diesen Bezeichnungen um ständige Übung handelt, so das sich aus der Berichterstattung ergebende Verständnis, folgt aus der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin W. nicht. Vielmehr lässt sich dieser lediglich entnehmen, dass die Zeugin W. diese Begriffe mehrfach gehört habe, ohne dass Angaben zu der Häufigkeit der Verwendung gemacht wurden.

Kann prozessual nicht davon ausgegangen werden, dass die angegriffenen Vorwürfe zutreffend sind, liegt auch der für eine Verdachtsberichterstattung erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen nicht vor. Die Kammer geht davon aus, dass die eidesstattlich versicherten Angaben der Zeugin W., welche der Antragsgegnerin im Berichterstattungszeitpunkt vorlagen, auch nicht geeignet sind, den für eine Verdachtsberichterstattung erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen darzustellen. Denn wie dargelegt transportiert die Antragsgegnerin den Verdacht, dass die Benutzung der Bergriffe üblich gewesen sei, es sich mithin um ständige Übung gehandelt habe. Dies aber lässt sich der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin W. nicht entnehmen.

Der rechtswidrig verbreitete Verdacht ist für den Antragsteller auch von persönlichkeitsrechtlicher Relevanz. Zwar handelt es sich nicht um Vorwürfe, welche dem Antragsteller persönlich gemacht werden. Indes sollen sie sich rund um die Konzerte der Band R. zugetragen haben, deren Frontmann der Antragsteller ist, sodass er auch selbst betroffen ist. Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass die Vorwürfe den Antragsteller auch deshalb nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen, da er die Ausführungen der Antragsgegnerin betreffend das Vorhalten einer „Suck Box“ bei seinen Konzerten, in welcher er sich regelmäßig einen „Blowjob“ habe verpassen lassen, nicht in Abrede genommen hat. Die angegriffenen Vorwürfe sind ehrenrührig, da sie transportieren, dass die Frauen auf den Konzerten der Band R. despektierlich und abwertend behandelt werden. Auch wenn weiteres unstreitiges Handeln des Antragstellers und der Band bzw. ihres Umfelds von manchen Lesern ebenfalls als abwertend und despektierlich gegenüber Frauen bewertet werden kann, so muss es der Antragsteller nicht hinnehmen, dass ein entsprechender konkreter Vorwurf verbreitet wird, der keine ausreichende tatsächliche Stütze findet.

2. Soweit sich der Antragsteller mit dem Antrag zu 2. dritter Spiegelstrich gegen die Äußerung „Einmal, nach einem Konzert in München 2019, erinnert sich W., sei es auf der After-Aftershow-Party zu einem lautstarken Streit zwischen L. und K. gekommen. Sie hätten sich dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht und sich angeschrien, die ungefähr 20-jährige Frau habe verstört gewirkt.“ wendet, handelt es sich um eine rechtswidrige Verdachtsberichterstattung. Die Kammer teilt insoweit wiederum nicht die Ansicht des Antragstellers, dass der geschilderte Streit von der Antragsgegnerin als so tatsächlich geschehen behauptet wird. Der unvoreingenommene und verständige Durchschnittsleser geht nach Auffassung der Kammer nicht davon aus, dass es feststehe, dass die als von S. W. in der Berichterstattung geschilderten Vorwürfe zutreffend seien. Vielmehr ergibt sich aus den soeben dargestellten Gründen unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts der Berichterstattung, dass dieser in der Berichterstattung geschilderte Sachverhalt von der Antragsgegnerin nur als möglich erachtet wird.

Der so von der Antragsgegnerin verbreitete Verdacht, es sei auf einer After-Aftershow-Party zu einem lautstarken Streit zwischen L. und K. gekommen. Sie hätten sich dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht und sich angeschrien, die ungefähr 20-jährige Frau habe verstört gewirkt, ist indes rechtswidrig verbreitet, da die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung nicht vorliegen. Insoweit fehlt es hinsichtlich des konkreten Vorwurfs an dem erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen, welcher der Berichterstattung Öffentlichkeitswert verleiht.

Prozessual kann nicht davon ausgegangen werden, dass der in der Berichterstattung geschilderte Vorfall mit dem transportierten Hintergrund tatsächlich stattgefunden hat. Der Antragsteller hat bestritten, dass es zwischen R. K. und ihm zu einem lautstarken Streit um ein Mädchen gekommen sei, das sich beide zum Sex ausgesucht hatten. Die Antragsgegnerin beruft sich zur Begründung des im Berichterstattungszeitpunkt vorliegenden Mindestbestands an Beweistatsachen für den von ihr verbreiteten Verdacht auf die Zeugin S. W., welche die von ihr gegenüber der Antragsgegnerin geschilderten Angaben an Eides statt versichert hat. Indes hat die Zeugin den Sachverhalt gegenüber der Antragsgegnerin im Berichterstattungszeitpunkt nicht wie in der Berichterstattung niedergelegt geschildert.

Insoweit hat die Zeugin W., wie aus der Anlage AG3 ersichtlich, der Antragsgegnerin gegenüber angegeben: „In München gab es während der Tour 2019 einen Vorfall, bei dem T. L. und R. K. sich lautstark im Backstage stritten. Beide hatten sich auf der After-Aftershow-Party offenbar dasselbe Mädchen „ausgesucht“, um Sex mit ihr zu haben. (…)“ Hieraus wird deutlich, dass die Zeugin den Streit zwischen dem Antragsteller und Herrn L. aus eigener Wahrnehmung schildert, hinsichtlich des Grund des Streits aber Mutmaßungen anstellt. Insoweit unterscheidet sich die eidesstattliche Versicherung, welche ja die gegenüber der Antragsgegnerin geschilderte Einlassung der Zeugin „abdecken“ soll, von der Berichterstattung, in welcher es konkret heißt:

„Einmal, nach einem Konzert in München 2019, erinnert sich W., sei es auf der After-Aftershow-Party zu einem lautstarken Streit zwischen L. und K. gekommen. Sie hätten sich dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht und sich angeschrien, die ungefähr 20-jährige Frau habe verstört gewirkt.“ (Anlage Ast6) bzw. „Einmal, nach einem Konzert in München 2019, erinnert sich W., sei es auf der After-Aftershow-Party zu einem lautstarken Streit zwischen L. und Gitarrist R. K. gekommen. Sie hätten sich dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht und sich angeschrien, die ungefähr 20-jährige Frau habe verstört gewirkt. (Anlage Ast7).

Randnummer15
Das Verständnis, das ein unvoreingenommener und verständiger Durchschnittsleser der Berichterstattung entnimmt, ist, dass die Zeugin W. sowohl den Streit selbst als auch dessen Grund selbst wahrgenommen hat. Dafür fand sich bereits im Berichterstattungszeitpunkt in der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung keine ausreichende Grundlage, da die Zeugin W. in dieser offenlegt, dass der Grund des Streits nicht auf einer sicheren Kenntnis beruht („offenbar“). Schon aus diesem Grund durfte die Antragsgegnerin nicht wie geschehen berichten, da für den in der Berichterstattung transportierten Verdachtsmoment keine ausreichende Tatsachengrundlage vorlag.

Es liegt auch trotz der mit Schriftsatz vom 10.07.2023 (dort auf Seite 12) abgegebenen Unterlassungsverpflichtungserklärung die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr vor. Denn auch wenn die Antragsgegnerin sich verpflichtet hat, die Passage nur noch wie folgt zu verbreiten: „„Einmal, nach einem Konzert in München 2019, erinnert sich W., sei es auf der After-Aftershow-Party zu einem lautstarken Streit zwischen L. und K. gekommen. Sie hätten sich offenbar dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht und sich angeschrien, die ungefähr 20-jährige Frau habe verstört gewirkt.“ ist die Verdachtsberichterstattung weiterhin als rechtswidrig verbreitet anzusehen. Die Unterlassungsverpflichtungserklärung ist inhaltlich nicht ausreichend, um die Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Denn die angegriffene Passage wird weiterhin rechtswidrig verbreitet.

Die Kammer geht davon aus, dass aufgrund des Umstands, dass die Zeugin W. den Grund des Streits auch nach eigenen Angaben nicht persönlich mitbekommen hat, er insoweit also nicht auf ihrer eigenen Wahrnehmung beruht, sondern nur auf einer entsprechenden Mitteilung ihres damaligen Partners, der für die Verbreitung des Verdachts erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen nicht vorliegt. Es handelt sich um einen für den Antragsteller stark ehrenrührigen Vorwurf, dessen Stattfinden er in Abrede nimmt.

Der Vorfall kann nicht als prozessual unstreitig behandelt werden. Zwar hat der Antragsteller das Stattfinden des Vorfalls nur einfach bestritten und keine entsprechende eidesstattliche Versicherung vorgelegt, während die Antragsgegnerin sich zur Glaubhaftmachung des Vortrags auf die eidesstattliche Versicherung der Zeugin S. W. berufen hat. Indes hat diese – wie bereits ausgeführt – den Grund des von ihr geschilderten Streits nicht selbst wahrgenommen, sondern selbst insoweit eine Unsicherheit aufgewiesen, als dass dies „offenbar“ der Grund des von ihr erlebten Streits gewesen sei. In einer späteren eidesstattlichen Versicherung hat sie präzisiert, nur Zeugin vom Hörensagen gewesen zu sein. Auch wenn dem Umstand, dass die Zeugin ihre Angaben an Eides statt versichert hat, ein erhebliches Gewicht zukommt, während der Antragsteller den Vorfall nur einfach bestritten hat, vermag die Kammer nicht zu der Überzeugung gelangen, dass es tatsächlich bei einer After-Aftershow-Party anlässlich eines R.-Konzerts in München 2019 zu einem Streit zwischen dem Antragsteller und R. K. gekommen ist, da sich beide dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht hatten. Dies insbesondere, da die Zeugin selbst keine eigene Wahrnehmung jedenfalls den Grund des Streits betreffend hat.

Aus diesem Grund ist allein die eidesstattliche Versicherung der Zeugin W. auch nicht geeignet, den für die vorliegende Verdachtsberichterstattung erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen darzustellen. Auch wenn der Leser nun erkennen kann, dass die Zeugin keine sichere Kenntnis hat, was der Grund des von ihr geschilderten Streits gewesen sei, so entnimmt er dennoch der Darstellung die Möglichkeit, R. K. und der Antragsteller hätten sich dasselbe Mädchen zum Sex ausgesucht, weswegen es zum Streit zwischen ihnen gekommen sei. Insoweit bleibt auch bei dieser Darstellung ein gewichtiger Verdacht gegenüber dem Antragsteller bestehen, für welchen der erforderliche Mindestbestand nicht vorliegt.

3. Auch der Antrag zu 3. hat Erfolg. Es handelt sich um eine rechtswidrige Verdachtsberichterstattung, welche den Antragsteller in seinem geschützten Persönlichkeitsrecht verletzt. Die Kammer geht davon aus, dass der von dem Antragsteller mit dem Antrag zu 3. angegriffene Verdacht, der Antragsteller habe Frauen bei Konzerten der Gruppe „R.“ mithilfe von K.O.Tropfen und/oder Drogen und/oder Alkohol betäubt oder betäuben lassen, um ihm zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an den Frauen vornehmen zu können, aus der Sicht des maßgeblichen unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittslesers tatsächlich erweckt wird. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Schilderung der gegenüber dem Antragsteller existierenden Vorwürfe wie folgt eingeleitet wird: „Es gibt Vorwürfe von Frauen, dass T. L., 60, der Sänger der B. Band R. und wahrscheinlich der einzige wirklich weltberühmte deutsche Rocker, rund um Konzerte Frauen belästigt haben soll. Einige Frauen vermuten, ihnen seien Drogen ins Getränk gemischt worden. L.s Leute sollen ein perfides Casting-System für Groupies unterhalten und Sex mit ihnen organisiert haben.“ Kurz danach heißt es: „Kann man zusammenbleiben, wenn dem eigenen Frontmann solche Vorwürfe gemacht werden?“ Sodann werden Fälle geschildert, in denen junge Frauen nach dem Konsum von Getränken Erinnerungslücken beschreiben und Sex mit dem Antragsteller hatten bzw. von diesem nach solchem gefragt wurden. Insoweit heißt es bei der Irin S. L., die auf einem Konzert „gespiked“ worden sein soll, dass diese zuvor auf einer Pre-Party mit dem Antragsteller eingeladen gewesen sei. Dort sei ihr ein Drink angeboten worden. Später sei ihre Erinnerung abgerissen. Der Antragsteller habe sie später gefragt, ob sie Sex mit ihm wolle. Auch der in der Berichterstattung als „Z.“ bezeichnete weibliche Fan gibt an, dass sie nach dem nur maßvollen Konsum von Alkohol zu dem Antragsteller in das Hotel gefahren sei, dort sei es dann zum Sex mit dem Antragsteller gekommen, ihre Erinnerungen seien verschwommen, sie habe sich nicht aufrecht halten können. „A.“ teilt ebenfalls mit, zu dem Antragsteller in ein Hotel gebracht worden zu sein. Dort habe sie Wodka bekommen, dann begännen ihre Erinnerungen lückenhaft zu werden. Sie habe neben dem Antragsteller gesessen, das wisse sie noch. Als sie aufgewacht sei, habe der Antragsteller auf ihr gelegen. Die Antragsgegnerin führt nach der Schilderung der von den drei Frauen dargestellten Vorwürfe weiter aus: „Es zeichnet sich ein ähnliches Muster ab. In all den Verdachtsfällen, die bisher bekannt sind. (…) Es scheint ein ausgefeiltes System hinter alldem zu stecken.“ Sodann fährt die Berichterstattung mit den Schilderungen der Zeugin S. W. fort, die davon berichtet, dass ihr eine von einer Pre-Party kommende Teilnehmerin dieser Party, die sehr betrunken gewesen sei, berichtet habe, dass es auf der Pre-Party Alkohol gegeben habe, sie schon auf mehreren dieser Partys gewesen sei und der Antragsteller immer dabei sei. Eine andere Teilnehmerin dieser Party habe vollkommen überdreht gewirkt und es sei ihr sichtbar schwergefallen, eine Unterhaltung zu führen. Im weiteren Verlauf des Artikels nimmt die Antragsgegnerin Bezug auf von dem Antragsteller veröffentlichte Poesie, in welcher dieser unter anderem schreibt: „Ich schlafe gern mit dir wenn du schläfst, wenn du dich überhaupt nicht regst.“ sowie „Und genauso soll das sein (so soll das sein so macht das Spaß), etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas).“ und bezeichnet diese als Vergewaltigungsfantasien. Von diesen Fantasien heißt es bereits in der Unterüberschrift der Print-Berichterstattung (Anlage Ast7), dass sie Wirklichkeit geworden sein könnten, was als sich auch auf die Gabe von Rohypnol beziehend verstanden wird.

Dem dargestellten Kontext entnimmt der Durchschnittsleser das Verständnis, dass der Antragsteller selbst oder mit seinem Wissen und Wollen durch „seine Leute“ ein System unterhalten haben könnte, in dem Frauen im Umfeld der Konzerte der Band R. K.O-Tropfen und/oder Drogen und/oder Alkohol verabreicht wurden, damit diese mit dem Antragsteller Sex haben bzw. er sexuelle Handlungen an diesen vornehmen könne. Zwar lässt sich den wiedergegebenen Schilderungen der in der Berichterstattung genannten Konzertbesucherinnen nicht entnehmen, dass diese tatsächliche Anhaltspunkte dafür haben, dass der Antragsteller ihnen Drogen/K.O.-Tropfen/Alkohol verabreicht hat, damit er im Anschluss mit diesen Sex haben bzw. sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen könne. Allerdings wird dieser Verdacht durch die von der Antragsgegnerin gewählte konkrete Einbettung der Aussagen der Zeuginnen mit den vorstehend wiedergegebenen Passagen des Artikels erweckt.

Die Kammer hat dabei auch den Einwand der Antragsgegnerin berücksichtigt, dass der Leser der Berichterstattung keinen Verdacht entnehme, er erkenne vielmehr, dass insoweit lediglich Vermutungen angestellt würden. Doch auch wenn der Grat zwischen einer als Meinungsäußerung einzuordnenden Vermutung und der Erweckung eines tatsächlichen Verdachts mitunter schmal ist, ist hier von letzterem auszugehen. Denn die Berichterstattung wird nicht nur mit dem gegenüber dem Antragsteller erhobenen Vorwürfen der Belästigung von Frauen rund um Konzerte eingeleitet. Nach dem Hinweis darauf, dass einige Frauen vermuten, ihnen seien Drogen ins Getränk gemischt worden, und dass „die Leute“ des Antragstellers ein perfides Castingsystem für Groupies unterhalten und Sex mit ihnen organisiert haben sollen, fragt die Antragsgegnerin „Kann man zusammenbleiben, wenn dem eigenen Frontmann solche Vorwürfe gemacht werden?“ Sodann schildert die Berichterstattung drei Situationen von Frauen, die bei einem Zusammentreffen mit dem Antragsteller nach eigenen Angaben nicht mehr bei vollem Bewusstsein waren bzw. Erinnerungslücken aufwiesen und die jeweils Sex mit dem Antragsteller hatten bzw. jedenfalls deswegen angefragt wurden (S. L.). Diese Schilderungen der Frauen, auch wenn sie – wie ausgeführt – jeweils für sich genommen den angegriffenen Verdacht nicht transportieren, stellen sich in dem konkreten Kontext als die vorher aufgeworfenen Vorwürfe gegen den Antragsteller bestätigend dar, sie untermauern diese mit tatsächlichem Geschehen. Diese Darstellung setzt sich später mit dem Hinweis darauf, dass der Antragsteller bereits früher in Form von Poesie Vergewaltigungsfantasien gehegt habe, fort und verfestigt damit weiter die bereits zu Beginn der Berichterstattung aufgeworfenen Vorwürfe.

Für diesen so verstandenen und den Antragsteller äußerst schwerwiegend belastenden Verdacht, den der Antragsteller in Abrede genommen hat, fehlt es an dem erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen. Keine Aussage der Zeuginnen, welche ihre Angaben an Eides statt versichert haben bzw. gegenüber den Autorinnen der Antragsgegnerin getätigt haben (vgl. eidesstattliche Versicherungen der Autorinnen der Antragsgegnerin als Anlagen AG8 und AG9) trägt den Verdacht, dass der Antragsteller Frauen bei Konzerten mit Hilfe von K.O.-Tropfen/Alkohol/Drogen betäubt hat bzw. hat betäuben lassen, um ihm zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an den Frauen vornehmen zu können. Insoweit verweist die Antragsgegnerin selbst darauf, dass die Frauen jeweils nur Vermutungen anstellen, sie könnten „gespiked“ worden sein, keine aber behaupte bzw. es nur als möglich darstelle, dass dies von dem Antragsteller mit der Zielrichtung Sex initiiert worden sei. Einzig die Zeugin W. versichert an Eides statt, dass der Antragsteller und A. M. ein System geschaffen hätten, bei dem junge Mädchen unter falschen Vorwänden zu Konzerten und Partys eingeladen werden, auf denen sie Alkohol und Drogen bekommen. Das Ziel dieser Partys sei es, T. L. mit Sexpartnerinnen zu versorgen. Diese Aussage allein ist indes nicht geeignet, den Mindestbestand für den wie dargestellt schwer ehrenrührigen Verdacht zu tragen. Auch eine Gesamtschau des Vortrags der Zeuginnen und der entsprechenden eidesstattlichen Versicherungen führt zu keiner anderen Bewertung.

Die Kammer hat bei der Tenorierung von § 938 Abs. 1 ZPO Gebrauch gemacht und den Antrag des Antragstellers insoweit um eine Passage ergänzt, die nach ihrer Auffassung den beanstandeten Verdacht komplettiert. Damit ist die Kammer nicht über das Antragsbegehren hinausgegangen, da sich dieses auf den zu untersagenden Verdacht und nicht auf die einzelnen Äußerungen bezieht (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 21.05.2019 - 7 U 109/18).

II.
1.
Keinen Erfolg hat der Antrag des Antragstellers, soweit er sich mit dem Antrag zu 1.) gegen die Berichterstattung wendet, mit welcher die Antragsgegnerin die Erlebnisse von „Z.“ und „A.“ mit dem Antragsteller schildert.

Randnummer26
Diese Berichterstattung verletzt den Antragsteller nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, da es sich um eine rechtmäßige Verdachtsberichterstattung handelt. Der für eine Verdachtsberichterstattung erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen liegt vor (a). Auch die weiteren Voraussetzungen einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung sind gegeben (b).

a) Hinsichtlich der Vorwürfe, welche die in der Berichterstattung als „Z.“ bezeichnete Frau betreffen, ist davon auszugehen, dass das Aufeinandertreffen des Antragstellers mit dieser Frau, bei der es sich um Frau J. handelt (eidesstattliche Versicherung als Anlage Ag1), und auch ein stattgefundener sexueller Kontakt unstreitig sind, der Antragsteller indes in Abrede nimmt, dass der Sex hart und brutal gewesen sei, dass er den Kopf von Frau J. über das Bettende gedrückt habe, um hiernach „Facefucking“ an ihr vorzunehmen, dass er das Gesicht von Frau J. hart in das Bett gedrückt habe und dass er am nächsten Morgen diese sexuellen Handlungen an Frau J. fortgesetzt habe, obwohl diese vorher gesagt habe, dass irgendwas bei ihr nicht laufe.

Nicht entschieden werden muss hier, ob vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin eine eidesstattliche Versicherung der Frau J. zur Akte gereicht hat, in welcher diese die in der Berichterstattung wiedergegebenen Vorwürfe an Eides statt versichert, während der Antragsteller selbst sich nur auf einfaches Bestreiten ohne weitere Glaubhaftmachungsmittel beschränkt, von der prozessualen Wahrheit des verbreiteten Verdachts auszugehen ist, da die Antragsgegnerin insoweit nur einen Verdacht verbreitet hat, für den von dem Vorliegen des erforderlichen Mindestbestands an Beweistatsachen auszugehen ist.

Im Rahmen der bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung besonders sorgfältig vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist im Ausgangspunkt festzuhalten, dass die Rechtspositionen im vorliegenden Fall auf beiden Seiten ein hohes Gewicht aufweisen: So besteht nicht zuletzt aufgrund der nachdrücklich und mit hoher medialer Aufmerksamkeit geführten „MeToo-Debatte“ein großes öffentliches Interesse an einer diese Thematik betreffenden Berichterstattung. Dies gilt erst recht, wenn sich die Vorwürfe gegen eine so bekannte Person wie den Antragsteller richten und ganz aktuell eine große öffentliche Debatte um Geschehnisse rund um die Konzerte von dessen Band geführt wird. Auf Seiten des Antragstellers ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche Diskussion der gegen ihn erhobenen Vorwürfe eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Antragstellers zur Folge hat. Die Kammer ist im Rahmen dieser Abwägung auch unter Berücksichtigung der für den Antragsteller geltenden Unschuldsvermutung zu dem Ergebnis gelangt, dass sein Persönlichkeitsrecht gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem damit korrespondierenden Berichterstattungsinteresse der Antragsgegnerin vorliegend nicht überwiegt.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist das überwiegende Berichterstattungsinteresse der Antragsgegnerin nicht bereits deswegen zu verneinen, weil die Schilderungen die absolut geschützte Intimsphäre des Antragstellers berührten. Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass Angaben über das Sexualleben und insbesondere sehr detaillierte Schilderungen eines stattgefundenen sexuellen Kontakts grundsätzlich die Intimsphäre einer Person berühren und als solche in der Regel einer Abwägung nicht zugänglich sind (vgl. BGH, NJW 2012, 767). Ob ein Sachverhalt auch im konkret zu beurteilenden Einzelfall der Intimsphäre einer Person zuzuordnen ist, lässt sich indes nicht schematisch bzw. thematisch bestimmen, sondern beurteilt sich anhand der besonderen Voraussetzungen des jeweiligen Einzelfalls, unter anderem auch danach, inwieweit der Betroffene sein Sexualleben bisher hat geheim halten wollen und in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt bzw. inwieweit Einzelheiten berichtet werden (vgl. Korte, Presserecht, 2. Aufl. <2019>, § 2 Rn. 62).

Vorliegend war von der Kammer bei der Frage, ob von einer Betroffenheit der Intimsphäre des Antragstellers auszugehen ist, zu berücksichtigen, dass die Berichterstattung sehr detaillierte Einzelheiten des Sexualkontakts offenbart und dies für den Antragsteller aufgrund der ihm dort zugeschriebene Rolle und seines als möglich dargestellten Verhaltens äußerst ehrabträglich ist. Es war allerdings auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller Teile seines Sexuallebens in die Öffentlichkeit getragen und diese sogar an einem tatsächlich stattgefundenen Geschlechtsakt hat teilhaben lassen, indem er auf einem Konzert ein Video hat einblenden lassen, das zeigt, wie er in einer unter der Bühne eigens dafür installierten Vorrichtung Sex mit Besucherinnen seines Konzerts hat. Der Antragsteller hat mithin die Durchführung eines sexuellen Akts unter seiner Beteiligung von sich aus in die Öffentlichkeit gebracht.

Auch wenn es vorliegend nicht um Sex geht, der in der unstreitig unter der Bühne vorgehaltenen Einrichtung stattgefunden hat, so liegt eine Vergleichbarkeit der Situationen insoweit vor, als dass der Sex mit „Z.“, der Zeugin J., auch im unmittelbaren Zusammenhang mit einem öffentlichen Konzert des Antragstellers stattgefunden hat und dass es sich bei Frau J. ebenso wie bei den in dem eingeblendeten Video beteiligten Frauen um eine Konzertbesucherin handelte. Diese hat zudem an dem Antragsteller unstreitig vor der sich anschließenden Zweisamkeit im Hotelzimmer in Anwesenheit mehrerer Personen Oralverkehr durchgeführt.

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der von dem Antragsteller selbst in der Öffentlichkeit gezeigte Sexualkontakt und der in dieser Berichterstattung beschriebene Sexualkontakt, davon muss prozessual ausgegangen werden, unter ähnlichen Umständen zu Stande gekommen sind, und der Antragsteller mit dem Zeigen des Videos während eines Konzerts deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er hinsichtlich der in der eigens installierten Vorrichtung beschriebenen Vorgänge kein Geheimhaltungsbedürfnis verspürt, kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass die Schilderungen des stattgefundenen Sexualkontakts mit der Zeugin J., in der Berichterstattung als „Z.“ bezeichnet, in die Intimsphäre des Antragstellers eingreifen.

Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, dass das weiterhin von der Antragsgegnerin angeführte Pornovideo, dessen Inhalt auf der Seite 10 f. der Antragserwiderung vom 28.06.2023 genannt wird, bei der Beurteilung der Frage, ob eine Betroffenheit der Intimsphäre vorliegt oder nicht, keine Rolle gespielt hat. Denn dabei handelt es sich um ein Video, das der Antragsteller im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gedreht hat und an dessen Erstellung freiwillige und professionelle Pornodarsteller mitgewirkt haben. Berufliche sexuelle Kontakte bzw. eine entsprechende Darstellung lassen nicht auf einen verringerten Schutz der Intimsphäre auch für andere Situationen schließen. Zudem weist die Kammer aus Klarstellungsgründen darauf hin, dass sie für die Inhalte des bei dem Konzert gezeigten Videos aus der dafür vorgehaltenen Vorrichtung nicht das Video selbst, das in diesem Verfahren nicht eingereicht wurde, sondern die Schilderungen der Antragsgegnerin vom Inhalt des Videos zu Grunde gelegt hat.

Ist zu Grunde zu legen, dass die Schilderung des Sexualkontakts zwischen dem Antragsteller und „Z.“ nicht als der Intimsphäre des Antragstellers zugehörig anzusehen ist, ist von einem Überwiegen des Berichterstattungsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber den Privatheitsinteressen des Antragstellers auszugehen.

Die Antragsgegnerin hat sich darauf berufen, dass ihre Berichterstattung auf den Schilderungen der Frau J. beruhe, welche ihre Angaben bereits im Berichterstattungszeitpunkt an Eides statt versichert hatte. Aus der Anlage AG1 ergibt sich, dass Frau J. die Angaben gegenüber der Antragsgegnerin so getätigt hat, wie sie sich in der Berichterstattung wiederfinden. Diese Angaben von Frau J. stellen zur Überzeugung der Kammer auch hinsichtlich des zwischen den Parteien streitigen Teils der (sexuellen) Begegnung zwischen dem Antragsteller und Frau J. den für eine Verdachtsberichterstattung erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen, welcher dieser Öffentlichkeitswert verleiht, dar.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es für die Vorwürfe neben dem Antragsteller und Frau J. keine weiteren Zeugen gibt und dass es sich um eine Aussage gegen Aussage Konstellation handelt. Dennoch geht die Kammer davon aus, dass die eidesstattliche Versicherung von Frau J. im Berichterstattungszeitpunkt ausreichend war, um wie geschehen zu berichten. Zwar handelt es sich, wie ausgeführt, um die eidesstattliche Versicherung nur einer Zeugin. Indes ist das Geschehen auch nur dieser Zeugin und dem Antragsteller bekannt. Würde man davon ausgehen, dass immer dann, wenn es aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls nur eine Zeugin geben kann, der erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen nicht vorliegt, würde dies dazu führen, dass über einen möglichen Vorfall wie den vorliegenden nie berichtet werden dürfte. Dies mag das zutreffende Ergebnis sein, wenn es neben der Aussage nur einer Person keine weiteren Anhaltspunkte bzw. Indizien gibt, die für den Wahrheitsgehalt des Verdachts sprechen. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Denn insoweit hat in die Bewertung des Vorliegens des Mindestbestands an Beweistatsachen einzufließen, dass auch die in der Berichterstattung als „A.“ bezeichnete Frau S. einen sexuellen Kontakt mit dem Antragsteller schildert, bei dem sie nicht vollständig „Herrin ihrer Sinne“ gewesen sein soll und bei dem der Antragsteller dennoch sexuelle Handlungen an bzw. mit ihr vorgenommen haben soll. Zudem handelte es sich auch bei der Zeugin S. um eine Besucherin seines Konzerts und der sich daran anschließenden After-Aftershow-Party. Der Umstand, dass der Antragsgegnerin gleich zwei sich ähnelnde Vorfälle geschildert und an Eides statt versichert wurden, verstärkt den sich der Antragsgegnerin im Berichterstattungszeitpunkt präsentierenden Mindestbestand für den von ihr verbreiteten Verdacht.

Auch wenn die Vorgänge wie dargelegt nicht die absolut geschützte Intimsphäre des Antragstellers berühren, war in die vorzunehmende Abwägung dennoch einzustellen, dass die Vorwürfe äußerst privat sind und von dem Antragsteller ein sehr ehrabträgliches Bild gezeichnet wird. Insoweit hatte die Kammer sehr sorgfältig zu prüfen, ob angesichts der Massivität der Vorwürfe und der Detailtiefe der Schilderungen von einem Überwiegen des Berichterstattungsinteresses der Antragsgegnerin auch bei Vorliegen des Mindestbestands ausgegangen werden kann. Dies hat die Kammer im Ergebnis unter der Berücksichtigung bejaht, dass es unstreitig im Umfeld des Antragstellers ein System gab, bei dem im Vorfeld von Konzerten Teilnehmende für die Partys und die „Row Zero“ ausgewählt wurden, welche sich vorab per Fotos und Videos beworben hatten und bei denen auch auf das Outfit geachtet wurde, dass die Antragsgegnerin durch die Vorlage von mehreren eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemacht hat, dass die Teilnehmerinnen dieser Partys von dem Antragsteller selbst nach Sex gefragt wurden und dass es auch zu Sex mit den Teilnehmerinnen gekommen ist, dass dieser unstreitig in einer eigens dafür vorgehaltenen Vorrichtung hinter/unter der Bühne mit Teilnehmerinnen der Row Zero Sexualkontakte hatte und dass die Antragsgegnerin insgesamt das Vorliegen eines Systems glaubhaft gemacht hat, bei dem Frauen für die „Row Zero“ bzw. entsprechende Partys mit der Band des Antragstellers rekrutiert wurden, bei welchen es jedenfalls reichlich Alkohol gab und bei denen sexuelle Kontakte des Antragstellers mit den rekrutierten Frauen üblich waren. Dass eine Band ein solches System unterhält, ist ein Vorgang von hohem öffentlichen Interesse, der besonders bemerkenswert ist. In diesem Kontext stehen die vorliegend streitgegenständlichen Vorwürfe, da sie sich auf den Sexualkontakt mit eben über dieses System rekrutierten Fans beziehen. Dies führt dazu, trotz der erheblichen für den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Antragstellers streitenden Umstände von dem Überwiegen des Berichterstattungsinteresses der Antragsgegnerin auszugehen.

b) Auch die weiteren für das Vorliegen einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung erforderlichen Voraussetzungen liegen vor. Die Kammer geht insbesondere nicht davon aus, dass aufgrund einer zu kurz bemessenen Anhörungsfrist dem Antragsteller vor der Berichterstattung keine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt wurde. Zwar war die gesetzte Frist angesichts des umfangreichen Fragenkatalogs sehr knapp bemessen. Indes ist hier insbesondere zu berücksichtigen, dass nicht nur der gesamte Komplex, sondern auch einige der konkreten Vorwürfe bereits aufgrund vorangegangener Berichterstattungen bekannt waren. Insoweit hatte auch die Antragsgegnerin den Antragsteller zu diesen bereits aus anderen Berichterstattungen bekannten Vorwürfen bereits angehört, als sie darauf hingewiesen hatte, dass sie plane, über die vom NDR und von der Süddeutschen Zeitung berichteten Vorwürfe ebenfalls zu berichten (Anlage AG8). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der vorangegangenen Berichterstattungen und auch der Äußerung der Irin S. L., welche kurz zuvor bekannt geworden waren, ein erheblicher Aktualitätsdruck bestand. Gerade dieser Aktualitätsdruck war dem Antragsteller auch bekannt, weswegen er gemeinsam mit seinen Bandkollegen bereits eine Rechtsanwaltskanzlei mit der anwaltlichen Vertretung beauftragt (Anlage AG9) und auch einen Kommunikationsberater eingeschaltet hatte. Insoweit wurden der Antragsteller bzw. die ihn insoweit unterstützenden Personen nicht von der Anfrage der Antragsgegnerin überrascht, sondern befanden sich vielmehr in einer Situation, in welcher sie auf Anfragen wie diejenige der Antragsgegnerin vorbereitet sein mussten. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Antragsteller auch im Zeitpunkt der Anfrage auf Tour befand und insoweit sicherlich beruflich stark eingebunden war. Dass der Antragsteller während des Laufs der Frist zur Stellungnahme seine Rechtsanwälte gewechselt hat, fällt in seinen Verantwortungsbereich und vermag eine unzulässige Kürze der Fristsetzung nicht zu begründen.

Die Berichterstattung ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil sie sich als vorverurteilend und nicht in dem erforderlichen Maße ausgewogen darstellt. Der maßgebliche Durchschnittsleser erkennt, dass die Vorwürfe nicht bewiesen sind.

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass die Verdachtsberichterstattung der Antragsgegnerin in Bezug auf den geschilderten sexuellen Kontakt des Antragstellers mit „A.“, der Zeugin S., ebenfalls als rechtmäßig verbreitet anzusehen ist. Auch dort ist unter Berücksichtigung der von dieser abgegebenen eidesstattlichen Versicherung, welche die Vorwürfe wie in der Berichterstattung wiedergegeben schildert, in der vorzunehmenden Gesamtschau mit den Angaben der Zeugin J. davon auszugehen, dass der für die Berichterstattung erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt. Auch für die dortigen Schilderungen gilt, dass die Verdachtsberichterstattung nicht deswegen rechtswidrig ist, da sie sich als sich auf die Intimsphäre des Antragstellers beziehend darstellt. Denn auch bei „A.“ handelte es sich um eine Besucherin eines seiner Konzerte, mit welcher der Antragsteller unstreitig im Anschluss an ein Konzert intim geworden ist.

2. Keinen Unterlassungsanspruch hat der Antragsteller schlussendlich hinsichtlich des Antrags zu 2.) erster Spiegelstrich. Bei den dort angegriffenen Äußerungen handelt es sich um wahre Tatsachenbehauptungen bzw. zulässige Meinungsäußerungen. Soweit sich der Antragsteller in Bezug auf „S. W.“ gegen die folgende Äußerung „Sie war von Ende 2018 bis Anfang 2020 Teil des Inner Circle von R. und mehrmals mit der Band auf Konzerten.“ insbesondere mit der Begründung wendet, dass die Bezeichnung als „Inner Circle“ als Tatsachenbehauptung daherkomme, teilt die Kammer diese Ansicht nicht. Die Bezeichnung als „Inner Circle“ ist vielmehr wertend und unscharf und transportiert keine konkrete Vorstellung des Lesers von dem Personenkreis, dem die S. W. angehörte. Insbesondere geht der Leser nicht davon aus, dass die Zeugin unmittelbar mit den Bandmitgliedern im Austausch stand, auch wenn es in der Berichterstattung weiter heißt: „W. hatte nicht nur Zugang zu Bandmitgliedern, sondern auch auf den Konzerten zu fast allen abgesperrten Bereichen.“ Denn auch der erwähnte Zugang wird nicht weiter spezifiziert, vielmehr erfährt der Leser, dass die S. W. keinen Zutritt zu allen abgesperrten Bereichen hatte. Auch wird berichtet, dass ihr damaliger Freund für die Band gearbeitet habe. Daraus wird deutlich, dass die Zeugin jedenfalls nicht in unmittelbarer Nähe zu einem Bandmitglied stand, sondern es sich nur insoweit nur um einen „abgeleiteten“ Kontakt über ihren Freund gehandelt hat.

Ausgehend davon ist die Wertung, dass S. W. Teil des Inner Circle der Band R. gewesen sei, vorliegend nicht zu beanstanden. Aus den Ausführungen der Zeugin W. in ihrer eidesstattlichen Versicherung (Anlage AG3) folgt, dass sie in der Zeit ihrer Beziehung zu S. v. H. mehrere Konzerte der Band besucht hat. Dabei hat sie jeweils Pässe mit der Aufschrift „Working“ erhalten, welche ihr uneingeschränkten Zugang, mit Ausnahme der Garderoben der Bandmitglieder verschaffte. Diese Schilderungen werden von dem Antragsteller nicht in Abrede genommen. Die Zeugin hatte mithin einen Zugang und Einblicke in Bezug auf die Band R., welche Außenstehenden verschlossen sind. Unstreitig hat sie aufgrund dieses Zugangs unter anderem eine Situation zwischen dem Antragsteller und seiner damaligen Freundin S. T. beobachten können, als diese zum Unmut des Antragstellers nach Ende der Show dessen Garderobe betrat. Dies zeigt, dass die Zeugin an der Band „nah dran“ war. Die Antragsgegnerin durfte die beschriebene Situation, in welcher sich die Zeugin befand, dahingehend bewerten, dass „S. W.“ Teil des „Inner Circle“ der Band R. war. Dies berücksichtigend ist es auch die Aussage, dass S. W. als Teil des Inner Circle mehrmals mit der Band auf Konzerten war, nicht zu beanstanden. Denn dies hat die Antragsgegnerin durch die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin W. vorgetragen und auch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat die detaillierten Ausführungen der Zeugin nach Vorlage der eidesstattlichen Versicherung nicht bestritten.

Auch die Äußerung „Ihr damaliger Freund arbeitete mit R. zusammen, aber auch für L.s Solo-Projekte.“ ist rechtmäßig verbreitet. Der Antragsteller trägt bereits nicht vor, dass diese Tatsachenbehauptung unwahr sein soll. Nicht zu beanstanden ist schlussendlich auch die Aussage „W. hatte nicht nur Zugang zu Bandmitgliedern, sondern auch auf den Konzerten zu fast allen abgesperrten Bereichen.“ Unstreitig hat die Zeugin W. bei Konzerten einen Pass mit der Aufschrift „Working“ bekommen, welcher ihr Zugang zu allen Bereichen mit Ausnahme der Garderoben der Bandmitglieder verschaffte. Mit diesem Pass konnte sie, wie ausgeführt, unter anderem einen Streit zwischen dem Antragsteller und S. T. beobachten. Bereits dies trägt die Aussage, dass die Zeugin Zugang zu den Bandmitgliedern gehabt habe. Denn wie dargelegt geht der Leser aufgrund des Hinweises darauf, dass der Freund von S. W. mit R. zusammengearbeitet habe, nicht davon aus, dass die S. W. in unmittelbarer Nähe zu den Bandmitgliedern stand.

Letztlich ist auch die mit angegriffene Äußerung, S. W. sei von Ende 2018 bis Anfang 2019 auch auf offiziellen Aftershow-Partys gewesen, persönlichkeitsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn dass dies so war, folgt aus den an Eides statt versicherten Angaben der Zeugin W., die zudem detaillierte Angaben zu deren Setting gemacht hat, sodass der entsprechende Vortrag als glaubhaft gemacht anzusehen ist.


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LG Hamburg: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Bezeichnung "Zentrum für Hufchirurgie" wenn Anbieter kein Tierarzt sondern Hufschmied ist

LG Hamburg
Urteil vom 11.05.2023
327 O 74/27


Das LG Hamburg hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Verwendung der Bezeichnung "Zentrum für Hufchirurgie" vorliegt, wenn der Anbieter kein Tierarzt sondern Hufschmied ist.


LG Hamburg: Verletzung deutscher Marke und Verstoß gegen Unterlassungserklärung wenn Händler Marke noch auf englischsprachiger Amazon-Shop-Seite verwendet

LG Hamburg
Urteil vom 11.05.2023
327 O 188/22


Das LG Hamburg hat entschieden, dass die Verletzung einer deutschen Marke und ein Verstoß gegen Unterlassungserklärung vorliegt, wenn ein Händler die Marke noch auf der englischsprachigen Amazon-Shop-Seite verwendet.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte gestützt auf die Klagemarke ein Unterlassungsanspruch aus § 14 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 MarkenG zu.

a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Beklagte Hausschuhe unter dem Zeichen „Y.“ wie im Tenor zu 1) wiedergegeben, am 27.09.2021 und somit nach Abgabe der strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung nach wie vor online auf www.....de angeboten hat.

Der Zeuge E. hat bekundet, dass er am 27.09.2021 von dem Zeugen K. eine E-Mail mit einem Link erhalten habe, in der dieser auf ein potentiell markenverletzendes Angebot der Beklagten unter der Bezeichnung "Y." hingewiesen habe. Bei Anklicken des Links sei er auf das streitgegenständliche Angebot gestoßen, deren A. mit dem des früheren Streitverfahrens, auf das sich die Unterlassungsverpflichtungserklärung der Beklagten bezieht, identisch gewesen sei. Dazu habe er in dem verlinkten Angebot nach unten gescrollt und die A.'s verglichen. Der Zeuge K. habe auf seine Anweisung hin sodann die verlinkten Angebote ausgedruckt und ihm übersandt. Dabei habe es sich um die als Anlage zum Klageantrag bzw. Anlage K 9 eingereichten und ihm nun vorgehaltenen Screenshots gehandelt, die mit dem verlinkten Angebot identisch und von ihm in keiner Weise bearbeitet worden seien. Der Zeuge E. bekundete weiter, er habe den übersandten Link aufgerufen, ohne die Spracheinstellung verändert zu haben. Seinen Cache lösche er immer mal wieder, wann genau im relevanten Zeitraum vor Anklicken des Links, könne er jedoch nicht sicher sagen. Der Zeuge K. hat bekundet, er habe auf der ...-Seite in das Suchfeld den Begriff "Y." eingegeben. In der daraufhin erscheinenden Liste sei auch das im hiesigen Verfahren relevante Angebot erschienen, welches er sodann angeklickt und als pdf gespeichert sowie mit dem Snipping Tool ausgeschnitten habe. Dies sei erfolgt, nachdem er einen Bericht über das Angebot an den Zeugen E. geschickt habe. Zudem habe er dem Zeugen E. eine E-Mail geschickt, in der er das von ihm aufgefundene Angebot verlinkt habe, wozu er die URL kopiert habe. Bei der Anlage K 9, die ihm vorgehalten wurde, handele es sich um diejenigen Seiten, die er gespeichert und deren URL er dem Zeugen E. geschickt habe. Er habe dabei auch nicht die Spracheinstellungen geändert, sondern schlicht die Webseite www.....de aufgerufen und den Suchbegriff eingegeben. Seinen Cache lösche er nicht und habe auch keine Einstellungen dazu getroffen.

Die beiden Zeugen haben somit übereinstimmend und widerspruchsfrei geschildert, wie sie am 27.09.2021 das streitgegenständliche Angebot auf der Webseite www.....de bzw. über den zugesandten Link aufgerufen haben und dass dabei die im Tenor wiedergegebene Webseite erschienen sei. Die Identität des als Anlage K 9 vorgelegten Screenshots mit der von ihnen aufgerufenen Webseite haben sie im Zuge dessen auf Vorhalt der Anlage K 9 bestätigt. Ihre Aussagen erscheinen daher für sich genommen glaubhaft. Sie fügen sich aber auch in den substantiierten Vortrag der Klägerin zu dem von den Zeugen bekundeten Geschehen. An der Glaubwürdigkeit der vernommenen Zeugen hat die Kammer keine Zweifel.

Der Vortrag der Beklagten, der ihr von der Klägerseite übermittelte Link habe auf das Angebot eines Hausschuhs mit der Bezeichnung „ P.“ geführt, geht insofern ins Leere, als der Link unstreitig erst mit E-Mail vom 05.10.2021 von der Klägerin an die Beklagte übersandt worden ist, der von der Beklagten angeblich in Verfolgung dieses Links eingereichte Screenshot (Anlage B 1) kein Datum aufweist, er aber selbst dann, wenn er unmittelbar nach Übersendung des Links von der Beklagten ausprobiert worden ist, keinen Schluss darauf zulässt, unter welcher Bezeichnung der Hausschuh am 27.09.2021 angeboten worden ist. Dafür, dass der Link ursprünglich, also jedenfalls am 27.09.2021, auf ein Angebot unter der Bezeichnung „Y.“ verwiesen hat, spricht, dass er die Angabe „k.=y.&q.“ enthält.

b) Auch der Einwand der Beklagten, sie sei für das Angebot des Hausschuhs mit der Bezeichnung „Y.“ in englischer Sprache nicht verantwortlich, greift nicht durch. Die Beklagte trägt dazu lediglich vor, sie stelle Angebote auf ....de nur in deutscher Sprache ein und sei für die von Amazon selbst vorgenommenen Übersetzungen nicht verantwortlich. In deutscher Sprache habe es aber am 27.09.2021 kein Angebot und keine Bewerbung mehr unter der Bezeichnung „Y.“ gegeben, sondern nur in englischer Sprache. Die Übersetzung beruhe wohl auf einem alten deutschen Datensatz, den sie nach Abgabe der Unterlassungsverpflichtungserklärung geändert habe. Unabhängig davon, wer die Übersetzungen der Angebote im Onlineshop auf www.....de vornimmt, ist klar, dass „Y.“ keine Übersetzung von „P.“ darstellt und ist es unwahrscheinlich, dass bei einer Übersetzung die Artikelbezeichnung ebenfalls übersetzt würde. Insoweit ist entscheidend, dass – selbst wenn ... die Übersetzungen vornimmt – die Beklagte im Nachgang zur Abgabe ihrer Unterlassungsverpflichtungserklärung, die sich auch auf das englischsprachige Angebot bezog, dazu verpflichtet gewesen wäre, zu prüfen und sicherzustellen, dass auch die englischsprachige Version des Angebots die Bezeichnung „Y.“ nicht mehr enthält, was ihr ohne größeren Aufwand möglich gewesen wäre.

c) Die Beklagte hat die Bezeichnung „Y.“ in der konkret angegriffenen Verletzungsform in selbständig kennzeichnender Stellung im Rahmen des Gesamtzeichens „ K. Y.“ verwendet, so dass bei zumindest hochgradiger Zeichen- und Warenähnlichkeit von einer Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne auszugehen ist, indem nicht auszuschließen ist, dass der angesprochene Verkehr - hier also der allgemeine Verbraucher - davon ausgeht, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten eine wirtschaftliche Verbindung besteht, es sich etwa bei „Y.“ um eine Zweitmarke oder beim angebotenen Produkt um eine Kooperation zwischen der Klägerin und der Beklagten handelt.

Eine Verwechslungsgefahr ist gegeben, wenn die Gefahr besteht, dass die angesprochenen Verkehrsteilnehmer davon ausgehen könnten, die von der Beklagten angebotenen Hausschuhe stammten von der Klägerin oder einem bestimmten Unternehmen, das mit der Klägerin wirtschaftlich verbunden ist oder an das der Kläger die Nutzung der Marke lizenziert hat. Ob bzw. wann eine solche Gefahr besteht, ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen (st. Rspr., vgl. BGH, GRUR 2010, 729 Rn 23 - Mixi). Neben der Zeichen- und Warenidentität bzw. -ähnlichkeit ist dafür die Kennzeichnungskraft der Klagemarke von entscheidender Bedeutung, wobei zwischen diesen drei Faktoren neben den übrigen, je nach Einzelfall zu berücksichtigenden Faktoren eine Wechselwirkung dahingehend besteht, dass ein höherer Grad des einen Faktors den geringeren Grad eines anderen Faktors ausgleichen kann (st. Rspr., vgl. BGH, GRUR 2014, 488 Rn 9 - Desperados/Desperado BGH, GRUR 2018, 79 Rn 7 - Oxford/Oxford Club).

Die Klagemarke verfügt für Bekleidung einschließlich Schuhen über eine mindestens durchschnittliche Kennzeichnungskraft und zwischen den Waren, für welche die Klagemarke Schutz beansprucht - Bekleidungsstücke - und den Waren, welche die Beklagte unter Verwendung des Zeichens „Y.“ angeboten hat - Schuhe - besteht Warenidentität oder zumindest eine hochgradige Warenähnlichkeit.

Darüber hinaus liegt eine hochgradige Zeichenähnlichkeit vor. Während die Klagemarke nur aus dem einteiligen Zeichen „Y.“ besteht, bietet die Beklagte ihre Hausschuhe unter dem Kombinationszeichen „ K. Y.“ an. Ob der Bestandteil „Y.“ in dieser Kombination prägend ist, kann dahinstehen, da er in der angegriffenen Verletzungsform ungeachtet der grundsätzlichen Maßgeblichkeit des Gesamteindrucks der sich gegenüberstehenden Zeichen jedenfalls eine selbständig kennzeichnende Stellung innehat. Er ist weder rein beschreibend noch ist er mit dem Bestandteil „ K.“ im Sinne einer integrativen neuen Bedeutung und Erscheinung dergestalt verschmolzen, dass der angesprochene Verkehr ihn nur noch als Teil eines Gesamtbegriffs ansehen würde. Mit der selbständig kennzeichnenden Stellung geht auch eine markenmäßige Verwendung des Bestandteils „Y.“ einher, da nicht auszuschließen ist, dass Teile des angesprochenen Verkehrs den Bestandteil „Y.“ als die eigentliche Produktbezeichnung auffassen, der eine produktbezogene Kennzeichungs- und damit Herkunftsfunktion zukommt, die der Verbraucher dem Inhaber des Unternehmenskennzeichens bzw. der Dachmarke „ K.“ - hier also der Klägerin - zuweist, indem er mindestens von einer Verbindung oder irgendwie gearteten Kooperation der Antragstellerin und der Antragsgegnerin ausgeht.

d) Die für den Unterlassungsanspruch vorausgesetzte Wiederholungsgefahr liegt durch den erneuten Verstoß und die Weigerung, eine weitere Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, vor.

2. Der Klägerin steht - der Begründetheit des Unterlassungsanspruchs folgend - gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten in Höhe der nach teilweiser Klagerücknahme noch beantragten 640,75 € aus §§ 683 S. 1, 677, 670 BGB bzw. § 14 Abs. 6 MarkenG zu.

3. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe aus der Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 31.05.2021 zu, da die Beklagte durch das erneute Angebot unter der Bezeichnung „Y.“ in schuldhafter Weise gegen diese verstoßen hat. Dazu ist auf die Ausführungen unter 1. zum Unterlassungsanspruch zu verweisen, die entsprechend für den Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtungserklärung gelten. Der Anspruch besteht allerdings nicht in der geforderten Höhe. Die Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 31.05.2021 enthält ein Vertragsstrafeversprechen nach sog. neuem H. Brauch, wonach die Bestimmung dem Gläubiger, hier also der Klägerin obliegt, diese jedoch durch das benannte Gericht, hier das Landgericht Hamburg, auf seine Angemessenheit hin überprüft werden kann. Die Angemessenheit ist stets unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Dabei kommt es insbesondere auf Art und Ausmaß des Verstoßes, die Bekanntheit der Klagemarke, die Größe und Bekanntheit der beteiligten Unternehmen und ihre Marktstärke an. Da es sich um einen Erstverstoß einer durchschnittlich kennzeichnungskräftigen Marke handelt, die nicht übermäßig bekannt sein dürfte, erscheint der Kammer die geforderte Vertragsstrafe in Höhe von 3.000,- € zu hoch, vielmehr stattdessen ein Betrag von 1.500,- € angemessen.


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LG Hamburg: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen SEPA-Verordnung wenn Zahlung per SEPA-Lastschrift aus EU-Ausland vom Konto eines Dritten abgelehnt wird

LG Hamburg
Urteil vom 18.04.2023
406 HKO 86/22


Das LG Hamburg hat entschieden, dass auch dann ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die SEPA-Verordnung vorliegt, wenn die Zahlung per SEPA-Lastschrift von einem Konto aus dem EU-Ausland abgelehnt wird, wenn Kontoinhaber ein Dritter ist, der nicht zugleich Vertragspartner ist. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

LG Hamburg: Instagram-Influencerin durfte Designerin als "Mörderin" bezeichnen - Von Meinungsäußerungsfreiheit gedeckte Kritik an der Verwendung von Leder als Kleidung

LG Hamburg
Beschluss vom 12.04.2023
324 O 96/23


Das LG Hamburg hat entschieden, dass eine Instagram-Influencerin eine Designerin als "Mörderin" bezeichnen durfte, da es sich vorliegend um eine von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckte Kritik an der Verwendung von Leder als Kleidung handelte.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen. Den Antragstellerinnen steht kein Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Äußerungen aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. mit ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bzw. Unternehmenspersönlichkeitsrecht zu.

Bei den mit den Anträgen zu 1.a), c) und d) angegriffenen Äußerungen handelt es sich um zulässige Meinungsäußerungen. Im Kontext verstehen Rezipienten die Äußerungen, wonach die Antragstellerin zu 2) eine „Mörderin“ sei, die Antragstellerinnen „Mordschauen“, „Leichenschauen“ oder „Kadaverschauen“ organisierten und die Geschäfte der Antragstellerinnen „blutig“ seien, als Kritik an der Verwendung von Leder als Kleidung. Das Verständnis, die Antragstellerinnen seien für die Tötung von Menschen verantwortlich, entsteht nicht. Die Äußerungen beinhalten eine durchaus scharfe Kritik, die sich allerdings vor dem Hintergrund der öffentlich geführten Diskussion über die Verwendung von Leder als Kleidung und als Ergebnis der Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten der Antragstellerinnen und der Meinungsäußerungsfreiheit der Antragsgegnerin als zulässig darstellt. Insbesondere bestehen Anknüpfungspunkte für die Meinungsäußerungen, da die Antragstellerinnen als Modedesignerin bzw. Modeunternehmen unstreitig Kleidungsstücke mit Leder verarbeiten bzw. vertreiben.

Auch der Antrag zu 1.b) ist unbegründet. Nach dem Vortrag der Antragstellerinnen hat die Antragsgegnerin geäußert, „auf der Seite dieser Designerin (...) findest du Krokoleder, Kobraleder, Babysalamanderleder“ (S. 6 der Antragsschrift). Insoweit deckt sich die Äußerung der Antragsgegnerin schon nicht mit dem formulierten Antrag, wonach die Antragstellerin solche Ledersorten „verwende“. Unter Berücksichtigung der eigenen Äußerungen der Antragstellerinnen auf ihrer Webseite durfte sich die Antragsgegnerin in dieser Weise äußern. Aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten Screenshots der Webseite ist ersichtlich, dass dort ein „Krokokleid“ mit „Krokopatches aus echtem Leder“ (Anlage AG 10a), eine „Jacke Cobraleder“ (Anlage AG 11a) und eine „Jacke, Baby-Salamander-Leder“ (Anlage AG 12a) angeboten wurden. Diese eigene Darstellung der Antragstellerinnen verstehen Betrachter der Webseite so, dass dort tatsächlich Kleidungsstücke aus den benannten Lederarten angeboten würden.

Auch hinsichtlich der mit dem Antrag zu 1.e) angegriffenen Äußerung besteht kein Unterlassungsanspruch. Die Äußerung hat die Antragsgegnerin nach Erhalt der Abmahnung der Antragstellerinnen getätigt, worin die Antragstellerinnen darauf hingewiesen haben, dass sämtliche verarbeitete Lederpatches aus Kalbsleder bestünden. Die daraufhin erfolgte Äußerung der Antragsgegnerin, wonach die Angaben auf der Homepage „irreführend und falsch“ seien, stellt vor dem Hintergrund der bereits dargelegten Inhalte der Webseite eine zulässige Meinungsäußerung dar, für die auch Anknüpfungstatsachen bestehen.


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LG Hamburg: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit "German Quality" und Farben der Deutschlandfahne wenn Produkt im Ausland hergestellt wird

LG Hamburg
Urteil vom 02.06.2022
327 O 307/21


Das LG Hamburg hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit "German Quality" und Farben der Deutschlandfahne vorliegt, wenn das Produkt im Ausland hergestellt wird.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der von der Klägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch folgt aus § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 1 UWG i. V. m. den §§ 3, 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG.

Die streitgegenständlichen Verpackungsaufmachungen sind irreführungsgeeignet i. S. v. § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG. Die angesprochenen Durchschnittsverbraucher der hier in Rede stehenden Waren werden der Abbildung der Farben der Deutschlandfahne schwarz/rot/gold in drei Balken nebeneinander mit dem Zusatz „German Quality“ nicht nur die Beschreibung einer bestimmten - deutschen, „German“ - Qualität, unabhängig vom Ort der Herstellung, entnehmen, sondern diese Bestandteile der Verpackungsaufmachungen als Hinweise auf den Ort der Herstellung der Kondome auffassen, auch wenn - anders als in dem vom OLG Frankfurt a. M. (Beschluss v. 17.08.2020, Az. 6 W 84/20, GRUR-RS 2020, 21585) entschiedenen Fall - auf der Verpackung kein Bezug auf den Herstellungsprozess als solchen genommen wird. Das Argument der Beklagten, unter deutscher Qualität verstehe der Verbraucher unabhängig vom Herstellungsort die Einhaltung der für Deutschland einschlägigen Industrienormen und Parameter sowie überobligatorische Tests und die stichprobenartige Qualitätsprüfung durch die Beklagte als deutsches Unternehmen, überzeugt insoweit nicht. Der angesprochene Durchschnittsverbraucher hat nämlich keine Kenntnis von etwaig hier einschlägigen konkreten Industrienormen und sonstigen Herstellungsparametern im Einzelnen oder davon, ob und welche besonderen technischen Qualitätsnormen in Deutschland im Vergleich zum Ausland gelten. Eine derartige Vorstellung des angesprochenen Verkehrs anzunehmen, überspannte vielmehr dessen Kenntnisstand und die daraus resultierenden Vorstellungen von einer - wie auch immer gestalteten - „deutschen Qualität“. Gerade bei einem - wie vorliegend - einteiligen Produkt, das aus einem Rohstoff in einem Herstellungsschritt erzeugt wird, wird der Verbraucher der Abbildung einer Deutschlandfahne mit den Worten „German Quality“ entnehmen, dass dieses in Deutschland hergestellt wird, sich die Qualität mithin aus den Fertigungsstandards sowie der Ausbildung und Kenntnisse der Mitarbeiter am Produktionsstandort Deutschland ergibt, nicht hingegen lediglich daraus, dass einem Lohnhersteller im Ausland bestimmte qualitative Vorgaben gemacht werden, deren Einhaltung im Inland lediglich stichprobenartig überprüft wird.

II. Der von der Klägerin geltend gemachte Abmahnkostenersatzanspruch nebst Rechtshängigkeitszinsen folgt aus § 13 Abs. 3 UWG i. V. m. den §§ 288 Abs. 1 Satz 2, 291 BGB. Dem Grunde nach wird wegen der Irreführungseignung der abgemahnten Produktaufmachung auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Auch die übrigen abgemahnten Werbeaussagen waren irreführend i. S. v. § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG, da auch sie dem angesprochenen Verkehr suggeriert haben, die so beworbenen Produkte würden - wie unstreitig nicht - in Deutschland hergestellt. Der Höhe nach ist der von der Klägerin für die Abmahnung zugrunde gelegte Gegenstandswert von 125.000,00 €, von dem ein Teilgegenstandswert von 75.000,00 € auf die Abmahnung der Produktaufmachungen und der Gegenstandswert im Übrigen auf die Abmahnung der drei o. g. Werbeaussagen im Internet entfällt, nicht übersetzt. Der höhere Gegenstandswert der Abmahnung der Produktaufmachungen bildet vielmehr das höhere wirtschaftliche Interesse der Klägerin an deren Verbot, insbesondere aufgrund deren hohen Angriffsfaktors, nachvollziehbar ab.


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LG Hamburg hebt einstweilige Verfügung wieder auf - Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA wegen Streit um Preise doch nicht weiter beliefern

LG Hamburg
Urteil vom 29.09.2022
415 HKO 72/22


Das LG Hamburg hat die zuvor erlassen einstweilige Verfügung in dem Rechtsstreit EDEKA gegen Coca Cola wieder aufgehoben. Coca-Cola muss den Lebensmittelhändler EDEKA wegen des Streits um Preise doch nicht weiter beliefern.

Wir hatten in dem Beitrag Volltext LG Hamburg: Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern - Lieferstopp zur Durchsetzung höherer Preise ist Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung über die vorausgegangene einstweilige Verfügung berichtet.


Volltext LG Hamburg: Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern - Lieferstopp zur Durchsetzung höherer Preise ist Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung

LG Hamburg
Beschluss vom 08.09.2022
415 HKO 72/22


Wir hatten bereits in dem Beitrag LG Hamburg: Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern - Lieferstopp zur Durchsetzung höherer Preise ist Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung über die Entscheidung berichtet.

Die Entscheidung:

Tenor:
1. Die Antragsgegnerin hat es bis zum 30.09.2022 zu unterlassen, die Antragstellerin mit Artikeln aus dem Sortiment der Antragsgegnerin auf Grundlage der von der Antragstellerin erstellten Jahresgesprächsbestätigung 2022 datierend vom 12. Januar 2022, insbesondere unter Anwendung der dort vereinbarten Fabrikabgabenpreise abzüglich der im zugehörigen Konditionsblatt dokumentierten Konditionen als Höchsteinkaufspreise, gemäß den Bestellungen der Antragstellerin bis zum wirksamen Abschluss einer Anschlussvereinbarung nicht mehr zu beliefern.

2. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht aus Ziffer 1. ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro und für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

3. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Mit dem Beschluss ist zuzustellen: Antragsschrift vom 06.09.2022

Gründe:
Wegen des Sachverhaltes wird auf die Antragsschrift vom 06.09.2022 sowie die damit vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Der Anspruch der Antragstellerin ergibt sich aus § 33 GWB in Verbindung mit Art. 102 AEUV und ist auf Unterlassung der kartellrechtswidrigen Handlung gerichtet (Immenga/Mestmäcker/Fuchs, 6. Aufl. 2020, GWB § 19 Rn. 402). Die Kammer geht aufgrund der vorliegenden Glaubhaftmachung der Antragstellerin von einer marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin und einer missbräuchlichen Ausnutzung dieser marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 Abs. 2 a) AEUV durch die Antragsgegnerin aus. Aufgrund der Glaubhaftmachung hält es die Kammer nach der gebotenen Prüfung für ausreichend wahrscheinlich, dass die von der Antragsgegnerin begehrte Preiserhöhung prima facie unangemessen ist. Aufgrund des Umstandes, dass es jedoch sachliche Gründe für die angekündigte Preiserhöhung geben mag, für die nach Auffassung der Kammer die Antragsgegnerin die Darlegungs- und Beweislast trägt (Immenga/Mestmäcker/Fuchs, 6. Aufl. 2020, GWB § 19 Rn. 237), war die Unterlassungsverfügung bis 30.09.2022 zu befristen. Insofern geht die Kammer davon aus, dass dies bis Ende September von der Antragsgegnerin gegeben falls nachgeholt wird und die Parteien dann eine entsprechende Anschlussvereinbarung schließen können, so dass die erlassene Verfügung inhaltlich dem entspricht, was die Antragstellerin begehrt.

Aufgrund des Umstandes, dass die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass ihr ein erheblicher wirtschaftlicher und irreparabler Reputationsschaden in Folge der Nichtbelieferung entstehen wird, führt die erforderliche Abwägung hier auch dazu, dass es der Antragsgegnerin eher zuzumuten ist zu den bisherigen Preisen zu liefern (jedenfalls bis zum 30.09.2022). Aufgrund des glaubhaft gemachten möglichen Schadens war der sofortige Erlass der Verfügung durch den Vorsitzenden ohne vorherige (nochmalige) Anhörung der Antragsgegnerin gerechtfertigt. Der Inhalt der Schutzschrift vom 05.08.2022 wurde bei der Entscheidung berücksichtigt, rechtfertigt jedoch keine andere Entscheidung.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 ZPO.

LG Hamburg: Coca-Cola muss Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern - Lieferstopp zur Durchsetzung höherer Preise ist Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung

LG Hamburg
Beschluss vom 08.09.2022
415 HKO 72/22


Das LG Hamburg hat im Wege einer einstweiligen Verfügung entschieden, dass Coca-Cola den Lebensmittelhändler EDEKA vorerst weiter beliefern muss. Das LG Hamburg sah in dem Lieferstopp des Getränkeherstellers zur Durchsetzung höherer Preise den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Die einstweilige Verfügung ist bis zum 30.09.2022 befristet.


LG Hamburg: Adblocker sind aus urheberrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden - Axel Springer hat keinen Unterlassungsanspruch gegen Adblock Plus-Anbieter

LG Hamburg
Urteil vom 14.01.2022
308 O 130/19


Das LG Hamburg hat entschieden, dass Adblocker aus urheberrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden sind. Axel Springer hat daher keinen Unterlassungsanspruch gegen den Adblock Plus-Anbieter.

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche gem. § 97 Abs. 1 UrhG nicht zu.

1. Es liegt keine unberechtigte Vervielfältigung und/oder Umarbeitung von urheberrechtlich geschützten Computerprogrammen i.S.d. §§ 69a, 69c Nr. 1 und 2 UrhG vor.

a. Es kann offenbleiben, ob die Dateien, die beim Abruf der Webseiten der Klägerin bzw. ihrer Tochterfirmen an die Nutzer übermittelt werden, als Computerprogramme i.S.d. § 69a UrhG geschützt sind.

b. Auch kann dahinstehen, ob die Klägerin hinsichtlich dieser Programme über ausschließliche Nutzungsrechte verfügt und damit aktivlegitimiert ist.

c. Jedenfalls haben die Beklagten die Rechte der Klägerin an den Programmen zur Erstellung der Webseiten nicht verletzt. Die Beklagten sind nicht – gemeinsam mit dem jeweiligen Nutzer – Mittäter einer Urheberrechtsverletzung.

aa. Es liegt keine unberechtigte Vervielfältigung i.S.d. § 69c Nr. 1 UrhG vor. Zwar werden bei Abruf der Seiten der Klägerin die HTML-Datei und weitere Elemente in den Arbeitsspeicher des Nutzers geladen. Insoweit erfolgt die Speicherung aber mit der Einwilligung der Klägerin. Wer eine Webseite bereitstellt, erklärt sich damit einverstanden, dass die entsprechenden Programme von den Servern des Webseitenbetreibers – und zum Teil von Drittservern – abgerufen und im Arbeitsspeicher des Nutzers abgespeichert werden. Das Anbieten von Webseiten ist gerade darauf ausgerichtet, dass sie von Nutzern aufgerufen werden. Zu den hierfür zwingend notwendigen Zwischenschritten gehört die Zwischenspeicherung der vom Webseitenbetreiber bereitgestellten Dateien beim Nutzer. Auch Nutzer, die die Seiten der Klägerin aufrufen und dabei das Programm " A. Plus" verwenden, sind zur Speicherung der Dateien berechtigt. Indem der Nutzer die Dateien durch Aufruf der Webseite abruft und die Dateien – wie von der Klägerin für den Fall des Webseitenaufrufs vorgesehen – von den Servern der Klägerin – bzw. Drittservern – übermittelt werden, kommt eine konkludente Vereinbarung darüber zustande, dass der Nutzer die Dateien speichern darf. Da die Dateien selbst unverändert bleiben, greift an dieser Stelle auch noch kein etwaiger Vorbehalt in Bezug auf Abweichungen vom intendierten Programmablauf. Darauf, ob die Zulässigkeit der unveränderten Speicherung der Dateien auch aus § 69d Abs. 1 UrhG und/oder § 44a UrhG folgt, kommt es somit nicht an.

bb. Die im Anschluss an das Speichern des Webseitenprogramms erfolgenden Vorgänge, die durch " A. Plus" erzeugt werden und die dazu führen, dass Werbung ausgeblendet wird, stellen keine Umarbeitung i.S.d. § 69c Nr. 2 UrhG dar. § 69c Nr. 2 UrhG gewährt dem Inhaber der Rechte an einem Computerprogramm ein umfassendes Umarbeitungs- und Bearbeitungsrecht unter Einschluss des Rechts, das Ergebnis einer Umarbeitung zu vervielfältigen. § 69c Nr. 2 UrhG nennt als Oberbegriff in wörtlicher Übernahme des entsprechenden Wortlauts der Computerprogrammrichtlinie und der internationalen Konventionen die "Umarbeitung" und fasst darunter in S. 1 beispielhaft die Übersetzung, Bearbeitung und das Arrangement. Es handelt sich dabei um ein weit gefasstes Recht, dem alle Abänderungen eines geschützten Computerprogramms unterfallen (Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 69c Rn. 15; Spindler in Schricker/Loewenheim, UrhG, 20. Aufl., § 69c Rn. 14; vgl. auch BGH GRUR 2000, 866, 868 – Programmfehlerbeseitigung)

Die seitens der Klägerin übermittelten Dateien (u.a. HTML-Dokument) werden durch das Programm " A. Plus" nicht geändert. Das Programm hat aber Auswirkungen auf die Datenstrukturen, die vom Browser erzeugt werden. Unstreitig werden der DOM-Datenbaum und – in der Variante des "Element Hiding" – auch die CSS-Datenstrukturen (u.a. CSSOM) jedenfalls anders erstellt als dies von der Klägerin intendiert ist. In der Variante des Nichtabrufs von Werbung fehlt im DOM-Baum der entsprechende Inhalt (z.T. kommt es in der Folge auch zu "Ersatzhandlungen", Anlage K 27, S. 49). In der Variante des "Element Hiding" stellt " A. Plus" Formatierungsvorgaben (CSS) bereit, die die CSS-Datenstrukturen verändern, was auch zur Folge hat, dass an DOM-Elemente die durch " A. Plus" eingefügten CSS "angehängt" (so die Formulierung im Gutachten in der Anlage K 27) werden.

Bei den durch " A. Plus" bewirkten Handlungen, die sich auf die Datenstrukturen auswirken, handelt es sich nicht um Umarbeitungen i.S.d. § 69c Nr. 2 UrhG. Vielmehr sind die Abläufe als Eingriffe in den Ablauf des Programms zu werten, die nicht von § 69c Nr. 2 UrhG erfasst sind.

(1) Eine Umarbeitung i.S.d. § 69c Nr. 2 UrhG liegt nur bei einem Eingriff in die Programmsubstanz vor (so Grützmacher in Wandtke/Bullinger, UrhG, 5. Aufl., § 69c Rn. 22; Spindler in Schricker/Loewenheim, UrhG, 6. Aufl., § 69c Rn. 14; Spindler CR 2012, 417, 418 ff; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 69c Rn. 16; LG München MMR 2015, 660, 668; vgl. auch OLG Köln Urt. v. 24.6.2016 – 6 U 149/15, BeckRS 2016, 11628 Rn. 45; a.A. Hans.OLG GRUR-RR 2013, 13, 15 - Replay PSP). Externe Befehle, die in den Programmablauf eingreifen, stellen keine Umarbeitung dar (vgl. Grützmacher in Wandtke/Bullinger, UrhG, 5. Aufl., § 69c Rn. 22). Bereits der Wortlaut von § 69c Nr. 2 UrhG spricht dafür, dass als Umarbeitung nur eine Änderung der Programmsubstanz anzusehen ist. Die in der Norm genannten Beispiele (Übersetzung, Bearbeitung und Arrangement) zielen auf eine Veränderung des Codes bzw. seiner Struktur ab. Auch bei einer Übersetzung wird nicht lediglich der Programmablauf geändert, sondern es wird der Code in eine andere Form (etwa Quellcode in Objektcode und umgekehrt) übertragen. Eine Auslegung, die bereits eine Veränderung des Programmablaufs als Umarbeitung wertet, würde dazu führen, dass jede durch Dritte erfolgende Steuerung der Funktionalitäten einer Software zustimmungsbedürftig wäre. Dies würde das von der Richtlinie 2009/24/EG (Erwägungsgrund 15) verfolgte Ziel konterkarieren, die Verbindung und das Zusammenwirken aller Elemente eines Computersystems, auch solcher verschiedener Hersteller, zu ermöglichen (vgl. Spindler CR 2012, 417, 420 f.). Auch würde es einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Handlungsfreiheit des Nutzers darstellen, wenn es nicht seiner Entscheidung obliegen würde, ob und wie er ein legal erworbenes Programm ausführt, solange er das Programm selbst nicht verändert (in diesem Sinne auch OLG Köln, Urt. v. 24.6.2016, Az. 6 U 149/15, BeckRS 2016, 11628, Rn. 45; vgl. auch § 69d Abs. 3 UrhG). Auch Browserfunktionen wie die Optionen, keine Bilder zu laden, JavaScripte zu deaktivieren oder Pop-Ups oder Tracking zu blockieren, wären sonst – soweit das Vorliegen eines bestimmungsgemäßen Gebrauchs i.S.d. § 69d Abs. 1 UrhG zu verneinen ist – von einer Einwilligung des Webseitenbetreibers abhängig. Schließlich würde durch den Schutz auch des Ablaufs eines Programms über die §§ 69a ff. UrhG faktisch auch den Ergebnissen des Ablaufs ein Schutz zukommen, der ansonsten in Entstehung und Umfang davon abhängt, welches Ergebnis erzeugt wird (z.B. Filmwerk, Laufbilder, Multimediawerk etc., vgl. Grützmacher in Wandtke/Bullinger, UrhG, 5. Aufl., § 69g Rn. 2 ff.).

(2) Die Substanz der seitens der Klägerin bereitgestellten Dateien (u.a. HTML-Datei) bleibt unberührt.

(3) Das Programm " A. Plus" führt auch dann nur zu Änderungen des Ablaufs, wenn im Folgenden zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass die Webseitenprogrammierung auch jenseits der JavaScripte Anweisungen und nicht lediglich "Vorschläge" (so die Beklagtenseite) enthält. Unter Ablauf ist vorliegend die Ausführung der in der Webseitenprogrammierung enthaltenen Anweisungen an den Browser zu verstehen, die steuern, wie der Browser die Webseite erstellt, wozu als Zwischenschritte auch die Erstellungen von Datenstrukturen (wie DOM-Baum, CSSOM etc.) gehören. Die Programmierung der Webseiten erfolgt mit Blick darauf, dass sie vom Browser verarbeitet wird, da nur die Interaktion mit dem Browser zur Darstellung der Webseite auf dem Bildschirm des Nutzers führen kann. Die Webseitenprogrammierung enthält daher Anweisungen an den Browser, etwa in Form von JavaScript-Elementen, die die Erstellung des DOM-Baums durch den Browser beeinflussen bzw. den DOM-Baum nach der initialen Erstellung verändern. Der Nutzer initiiert den Prozess der Erstellung der Datenstrukturen zunächst nur dadurch, dass er – erlaubter Weise (s.o.) – die Dateien der Klägerin (HTML-Datei etc.) von den Servern der Klägerin und ggf. Dritten abruft. Durch den Einsatz von " A. Plus" greift der Nutzer dann in den Ablauf des Prozesses der Webseitenerstellung ein. Wie bereits oben erwähnt, geschieht dies in zwei Varianten: In einer Variante wird die Ausführung von Anweisungen der Webseitenprogrammierung an den Browser (zum Herunterladen von Ressourcen vom Ad-Server) verhindert und in der anderen Variante werden Anweisungen (Stilvorgaben) an den Browser erteilt, die den Vorrang vor den in der Webseitenprogrammierung (bestehend u.a. aus HTML5-Datei, CSS-Datei und JavaScripten) enthaltenen Anweisungen erhalten.

(a) In der Variante des Nichtanzeigens von Werbung greift der Nutzer mittels " A. Plus" in den Prozess der Webseitenerstellung ein, indem " A. Plus" den Download von Ressourcen von Ad-Servern dadurch blockiert, dass das Programm den Browser dazu veranlasst, vor der Ausführung jedes Abrufbefehls zu prüfen, ob ein Download erfolgen soll, und im Fall, dass die in den Filterlisten hinterlegten Filterregeln greifen, den Abruf zu unterlassen. Dadurch verhindert "AdBock Plus", dass der DOM-Baum in der Weise gestaltet wird, wie dies vom Webseitenersteller beabsichtigt ist (d.h. die vom Webseitenersteller intendierte "Manipulation" des DOM-Baums durch die nachzuladende Ressource unterbleibt, vgl. S. 54 des Gutachtens in der Anlage K 57). Auch wenn der DOM-Baum noch zahlreiche Befehle enthalten sollte, die zu einer Reaktion auf bestimmte Ereignisse – etwa die Position des Mauszeigers auf dem Bildschirm oder eine längere Inaktivität des Nutzers – führen (vgl. S. 10 ff. des Gutachtens in der Anlage K 79), und der DOM-Knotenbaum vom von der Klägerin beauftragten Gutachter als Übersetzung des HTML-Dokuments bewertet wird (vgl. S. 23 des Gutachtens in der Anlage K 80 mit Verweisen auf die vorangegangenen Gutachten), ist der DOM-Baum doch keine "Übersetzung" i.S.d. § 69c Nr. 2 UrhG (worunter etwa die Übertragung des Programms aus dem Quellcode in den Objektcode und umgekehrt oder die Übertragung in eine andere Programmsprache fallen, vgl. Spindler in Schricker/Loewenheim, UrhG, 6. Aufl., § 69c Rn. 13), sondern jedenfalls teilweise bereits ein – temporäres – Zwischenergebnis der Ausführung der Webseitenprogrammierung, weil auch nach dem Vortrag der Klägerseite bereits bei der initialen Erzeugung des DOM-Baums JavaScripte ausgeführt werden, die die Erstellung beeinflussen (s. S. 5 des Schriftsatzes der Klägerseite vom 05.08.2020, Bl. 316 d.A., unter Verweis auf S. 47 ff. des Gutachtens in der Anlage K 57, und S. 2 des Schriftsatzes der Klägerseite vom 14.04.2021, Bl. 458 d.A.; s. auch S. 3, S. 6 ff. und S. 22 des Schriftsatzes der Beklagten vom 18.12.2020, Bl. 401, 404 ff., 420 d.A.; anders noch S. 12 der Klagerwiderung, Bl. 90 d.A.). Auch nach der erstmaligen Erstellung des DOM-Baums führen JavaScripte zur Änderung des DOM-Baums (vgl. S. 18 ff. des Gutachtens in der Anlage K 79 der Gutachter spricht insoweit von einem "lebendigen" Konstrukt). Entsprechend kann auch laut Gutachten in der Anlage K 80 (dort S. 44) eine Rückübersetzung nicht den syntaktisch gleichen Text wie das Original erzeugen (wohingegen laut Gutachten aber bei einer Rückübersetzung in eine HMTL-Dokument die "Semantik" erhalten bleibe). Der DOM-Baum ist aufgrund dessen, dass er bereits ein Zwischenergebnis der Ausführung der Webseitenprogrammierung ist und damit nicht nur geringfügige Abweichungen (vgl. Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 69c Rn. 15) vom Programm der Klägerin aufweist, auch keine Vervielfältigung i.S.d. § 69c Nr. 1 UrhG.

(b) Die Abläufe, die in der Variante des "Element Hiding" dazu führen, dass Werbung auf dem Bildschirm nicht angezeigt wird, sind ebenfalls als Eingriffe (nur) in den Programmablauf zu werten. In dieser Variante implementiert " A. Plus" neue CSS, die dazu führen, dass bestimmte Elemente nicht angezeigt werden. Konkret wird beispielsweise beim Browser Firefox eine Datei ("elemhide.css") auf dem Rechner des Nutzers abgelegt (S. 52 des seitens der Klägerin vorgelegten Gutachtens vom 06.03.2018, Anlage K 27). Da die von " A. Plus" eingefügten CSS mit der Priorität "important" versehen sind (S. 53 f. des Gutachtens in der Anlage K 27), räumt der Browser beim Aufbau der Datenstrukturen diesen CSS den Vorrang vor den in der Webseitenprogrammierung enthaltenen CSS ein. Dabei macht sich " A. Plus" die generelle Einstellung im Browser zunutze, wonach Nutzer-CSS, die als "important" gekennzeichnet ist, vorrangig behandelt werden. Grundsätzlich kommen Nutzer-CSS nur dann zur Anwendung, wenn entsprechende CSS in der Webseitenprogrammierung fehlen. Durch die Kennzeichnung als "important" ändert sich die Rangfolge und die entsprechend gekennzeichneten Nutzer-CSS werden trotz entgegenstehender Stilanweisungen des Webseitenprogramms ausgeführt. In der Folge werden die von " A. Plus" eingefügten, in die Stilvorgaben aufgenommenen CSS (S. 64 ff. des Gutachtens in der Anlage K 27) den DOM-Elementen "angefügt". Hierfür wird eine Funktion des Browsers genutzt (S. 53 des Gutachtens in der Anlage K 27). Seit 2017 wird eine Schnittstelle des Browsers Firefox genutzt (S. 55 des Gutachtens in der Anlage K 27.). Die Datenstrukturen (CSSOM bzw. style context und damit auch der Render Tree; vgl. Gutachten in der Anlage K 57, dort S. 58) weisen in der Folge "neuen" Code auf. "Neu" bedeutet auch insoweit, dass die Datenstrukturen mit eingeschaltetem AdBlocker anders aussehen (S. 72 des Gutachtens in der Anlage K 27) als mit ausgeschaltetem Adblocker (S. 69 des Gutachtens in der Anlage K 27). Das Bereitstellen eigener, prioritärer CSS, die vom Browser verarbeitet werden, ist als Eingriff in den Ablauf zu werten. " A. Plus" setzt den an den Browser gerichteten Anweisungen, die in der Webseitenprogrammierung enthalten sind, eine eigene Anweisung entgegen. Wegen der Kennzeichnung als "important" führt der Browser beim Aufbau der Datenstrukturen als Zwischenschritt zur Darstellung der Webseite die durch " A. Plus" erteilte Anweisung und nicht die insoweit entgegenstehenden Anweisungen aus der Webseitenprogrammierung aus.

Auch beim "Element Hiding" bei Nutzung der Browser Safari/Chrome liegt kein Substanzeingriff vor. Im Gutachten in der Anlage K 27 heißt es hierzu auf S. 56 ff., dass eine Schnittstelle im sog. WebKit zum "Verstecken" von Elementen genutzt werde. Zwar führt der Privatgutachter aus, dass " A. Plus" die Stilvorlagen im CSSOM direkt verändere und die vom Webseitenersteller "intendierten Stilvorlagen" aktiv überschrieben würden. Insoweit folgt die Änderung aber daraus, dass seitens " A. Plus" eine "selector list" ("Blockierliste", S. 57 des Gutachtens in der Anlage K 27) bereitgestellt wird, die dann vom Browser angewendet wird und die dazu führt, dass die Eigenschaft "display" des entsprechenden Elements auf "none" gesetzt wird. Auch in diesem Fall ist die Auswirkung von " A. Plus" auf den CSSOM – und in der Folge auf die anderen Datenstrukturen (s. S. 57 des Gutachtens in der Anlage K 27: "Wird nun ein DOM-Knoten erzeugt, so bekommt er die ‚falschen‘, nicht vom Webseitenersteller intendierten Stilvorlagen ‚angehangen‘") – Folge einer den Anweisungen in der Webseitenprogrammierung entgegenlaufenden Anweisung an den Browser zum Aufbau der Datenstrukturen.

Die CSS-Datenstrukturen sind ebenfalls keine "Übersetzung" i.S.d. § 69c Nr. 2 UrhG und keine (Teil-)Vervielfältigung i.S.d. § 69c Nr. 1 UrhG. Die Klägerin spricht auch im Hinblick auf den CSSOM von einer "dynamischen Sammlung von Steuerbefehlen" (Schriftsatz vom 30.09.2020, dort S. 6, Bl. 381 d.A.). Auch jenseits des Einsatzes von " A. Plus" ändern die mit den Elementen des DOM-Knotenbaums verknüpften Steuerbefehle nicht nur den DOM-Knotenbaum, sondern auch die in dem CSSOM gesammelten Stile (ebd., s. auch S. 7 des Gutachtens in der Anlage K 79), sodass der CSSOM ebenfalls teilweise bereits das Zwischenergebnis einer Ausführung von in der Webseitenprogrammierung enthaltenen Programmbefehlen ist.

Soweit sich die Klägerseite darauf beruft, dass die Kammer im Beschluss vom 22.07.2016 (Az. 308 O 244/16) ausgeführt hat, dass eine Umarbeitung im Sinne des § 69c Nr. 2 UrhG vorliege, wenn " A. Plus" aktiv direkt neuen Code zur Verarbeitung durch den Browser einfüge, ist zu berücksichtigen, dass diese Beurteilung auf der Grundlage des damaligen Sachstandes im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgte und es im Ergebnis hierauf nicht ankam, weil die damalige Antragstellerin ein solches direktes Einfügen von Code nicht glaubhaft gemacht hatte. Soweit den Ausführungen im genannten Beschluss zu entnehmen sein sollte, dass in jedem Fall, in dem durch einen Adblocker Code (vorliegend eine Stilvorgabe) bereitgestellt wird, der durch den Browser verarbeitet wird, ein Substanzeingriff in das Webseitenprogramm stattfindet, wird hieran nicht festgehalten.

2. Schließlich stehen der Klägerin die geltend gemachten Unterlassungsansprüche auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer unberechtigten Vervielfältigung der Darstellung der Webseite ("Oberflächengestaltung", S. 40 der Klagschrift) zu. Aus dem Vortrag der Klägerin folgt nicht, dass es sich bei den Gestaltungen ihrer Webseiten um geschützte Werke i.S.d. §§ 2 ff. UrhG handelt.

Die Webseiten der Klägerin sind mangels des Vorliegens einer eigenschöpferischen Leistung nicht als "Multimediawerke" als ungeschriebene Werkgattung i.S.d. § 2 UrhG (vgl. OLG Hamburg Urt. v. 29.02.2012, Az. 5 U 10/10, GRUR-RS 2012, 25278; OLG Köln GRUR-RR 2010, 141, 143; Nordemann in Fromm/Nordemann, UrhG, 12. Aufl., § 2 Rn. 231; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 2 Rn. 243) geschützt. Gem. § 2 Abs. 2 UrhG sind Werke i.S.d. UrhG nur persönliche geistige Schöpfungen. Wie bei Werken der angewandten Kunst i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG ist auch bei Multimediawerken ein deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung nicht erforderlich (vgl. zu Werken der angewandten Kunst BGH GRUR 2014, 175 Rn. 25 ff. – Geburtstagszug).

Die klagende Partei trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll. Nähere Darlegungen sind (nur) entbehrlich, wenn sich die maßgeblichen Umstände schon bei einem bloßen Augenschein erkennen lassen (vgl. BGH GRUR 2012, 58 Rn. 24 f. – Seilzirkus). Wer sich demgegenüber zur Verteidigung auf vorbekanntes Formengut beruft, muss dies durch Vorlage von konkreten Entgegenhaltungen darlegen (vgl. BGH GRUR 2002, 958, 960 – Technische Lieferbedingungen; Nordemann in Fromm/Nordemann, UrhG, 12. Aufl., § 2 Rn. 236).

Aus dem Vortrag der Klägerseite und den als Anlagen eingereichten Screenshots der Webseiten ergibt sich nicht, dass die Gestaltung der Webseiten www. w..de, www. b..de, www. s..bild.de, www. a..de und www. c..de individuell geprägt ist. Zwar kann sich eine schutzfähige Gestaltung auch aus einer individuellen Zusammenstellung vorbekannter Elemente ergeben (vgl. BGH GRUR 2014, 772 Rn. 16 – Online-Stadtplan). Allein aus dem Umstand, dass Texte, Bilder, Grafiken, Videos und Elemente zur Einbeziehung der Nutzer (etwa zur Abgabe von Kommentaren oder zur Durchführung von Abstimmungen) kombiniert werden, folgt aber bei Webseiten keine hinreichende Schöpfungshöhe. Auch die Verwendung von Links zu weiterführenden Artikeln stellt bei Onlineangeboten keine eigenschöpferische Leistung dar. Gleiches gilt für die Einbindung von Newstickern (bei s..de, Anlage K 18, und b..de, Anlage K 21). Die Voranstellung einer Zusammenfassung (bei w..de, Anlagen K 15 und K 16, s. auch S. 7 des Schriftsatzes der Klägerseite vom 22.10.2019, Bl. 198 d.A.) dient der Übersichtlichkeit, stellt aber – unabhängig davon, ob ein solches Element auch in Angeboten Dritter zu finden ist – ebenfalls keine eigenschöpferische Leistung dar, die einen Urheberrechtsschutz begründet. Soweit die Klägerin einen Vergleich mit primär funktionalen Seiten wie Registerseiten und Entscheidungssammlungen vornimmt (S. 41 der Klagschrift, Bl. 43 d.A.), folgt hieraus nicht, dass ihre Seiten auch im Vergleich zu Seiten anderer Anbieter von digitalen Verlagsangeboten einen individuellen Charakter aufweisen. Auch die Existenz von Styleguides (Anlagen K 22 und K 23) belegt für sich genommen nicht die Schutzfähigkeit der Seiten. Die Beklagten haben demgegenüber im Schriftsatz vom 24.06.2019 (dort S. 29 ff., Bl. 107 ff. d.A.) unter Verweis auf Seiten anderer Medienanbieter dargelegt, dass die von der Klägerseite zur Begründung des Vorliegens einer eigenschöpferischen Leistung angeführten Elemente (v.a. Zusammenfassungen mit Bulletpoints, Abstimmungstools und grafisch animierte News-Ticker, S. 7 des Schriftsatzes der Klägerseite vom 22.10.2019, Bl. 198 d.A.) auch auf Seiten anderer Medienanbieter zu finden sind (u.a. Anlagen B 16a und B 19). Dies gilt auch für die Verwendung großformatiger, blockförmig angeordneter Grafiken auf b..de (Anlage K 21), wie die von der Beklagtenseite vorgelegten Entgegenhaltungen (Anlage B 17) zeigen. Allein in der Kombination der Merkmale liegt vorliegend noch keine eigenschöpferische Leistung, die einen Urheberrechtsschutz begründet. Offenbleiben kann daher, ob angesichts des Umstands, dass das Ausblenden der Werbung zu einer nicht nur unwesentlichen Veränderung der Webseitengestaltung führt, zugunsten des Nutzers, der die Webseite für die eigene Nutzung verändert, das Herstellungsprivileg für Bearbeitungen gem. § 23 Abs. 1 UrhG greift (vgl. Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 23 Rn. 16).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Hamburg: Albi-Saftflasche stellt unlautere nachschaffende Nachahmung der Granini-Saftflasche dar und verletzt zudem Marke von Granini

LG Hamburg
Urteil vom 13.01.2022
312 O 294/21


Das LG Hamburg hat im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens entschieden, dass die Saftflasche der Edeka-Tochter Albi eine unlautere nachschaffende Nachahmung der Granini-Saftflasche darstellt und zudem Markenrechte von Granini verletzt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Unterlassungsanspruch der Antragstellerin zu 1) ergibt sich aus §§ 8, 3, 4 Nr. 3 a UWG, derjenige der Antragstellerin zu 2) aus § 14 II Nr. 2, V MarkenG.

1.

Die Antragstellerin zu 1) hat gegen die Antragsgegnerinnen einen Unterlassungsanspruch aus §§ 8, 3, 4 Nr. 3 a UWG.

Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz besteht, wenn ein Unternehmer das Leistungsergebnis eines Mitbewerbers, das über wettbewerbliche Eigenart verfügt, nachahmt und auf dem Markt anbietet, sofern besondere Umstände hinzutreten, die die Nachahmung unlauter erscheinen lassen. So verhält es sich, wenn die Nachahmung geeignet ist, eine Herkunftstäuschung hervorzurufen, und der Nachahmer geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlässt (§ 4 Nr. 3 lit. a) UWG). Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die die Unlauterkeit begründende Herkunftstäuschung und ihre Vermeidbarkeit zu stellen und umgekehrt (vgl. BGH, Urteil vom 2.12.2015, I ZR 176/14, GRUR 2016, 730, Rz 31 - Herrnhuter Stern, m.w.N.).

a.

Die g.-Flasche ist von ursprünglich durchschnittlicher, durch Benutzung gesteigerter wettbewerblicher Eigenart.

Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (ständ. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 14.9.2017, I ZR 2/16, Rz 20, Leuchtballon) und die Art der Gestaltung nicht technisch notwendig ist (vgl. BGH, GRUR 2015, 909, Rz 18 - Exzenterzähne). Für die Bestimmung der wettbewerblichen Eigenart ist auf den Gesamteindruck des nachgeahmten Erzeugnisses abzustellen, wobei sich der Verkehr grundsätzlich nur an den äußeren Gestaltungsmerkmalen orientieren kann (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.2015 - I ZR 109/14, Rz 22, Hot Sox). Dabei genügt es, wenn der angesprochene Verkehr aufgrund der Ausgestaltung oder der Merkmale des Erzeugnisses die Vorstellung hat, das Erzeugnis könne wohl nur von einem bestimmten Hersteller oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen stammen (vgl. BGH, Urteil vom 14.9.2017, I ZR 2/16, Rz 20, Leuchtballon; BGH, Urteil vom 24.5.2007, I ZR 104/04, Rz. 23 - Gartenliege; BGH, Urteil vom 22.1.2015, I ZR 107/13, Rz 11, Exzenterzähne). Die wettbewerbliche Eigenart muss sich gerade aus den übernommenen Gestaltungsmerkmalen des Erzeugnisses ergeben. Es müssen also gerade die übernommenen Gestaltungsmerkmale geeignet sein, im Verkehr auf eine bestimmte betriebliche Herkunft oder auf die Besonderheit des jeweiligen Erzeugnisses hinzuweisen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 4 Rz. 3.24). Das ist immer dann der Fall, wenn sich das Produkt - unabhängig von der Anzahl der Merkmale - von anderen Produkten im Marktumfeld so abhebt, dass der Verkehr es einem bestimmten Hersteller zuordnet (BGH; Urteil vom 24.1.2013, I ZR 136/11, Rz. 24, Regalsystem).

b.

Vorliegend wird die wettbewerbliche Eigenart der g.-Flasche begründet durch die Gestaltung mittels eines zylindrischen Flaschenbauches und eines ebenfalls zylindrischen und lotgerecht angeordneten Flaschenhalses, wobei die Dimensionen von Flaschenbauch und Flaschenhals ungefähr im Verhältnis 3:2 stehen, was den Größenverhältnissen bei einer Ananas entsprechen soll. Der gesamte Flaschenbauch weist regelmäßig verteilte rundliche Einkerbungen, sogenannte Grübchen, auf, ähnlich den an der Außenschale einer Ananas befindlichen Noppen. Flaschenbauch und -hals sind optisch getrennt, der schmalere Flaschenhals sitzt auf einer kurzen und abgerundeten Verjüngungsstufe auf. Die Flasche hat einen breiten Schraubverschluss mit einer geringen Verjüngung vom Flaschenhals, das Etikett ist ausschließlich auf dem Flaschenhals aufgebracht. Das Material der Flasche ist durchsichtig transparent und lässt die Farbe des Inhalts erkennen.

Die Kombination dieser Merkmale ist nicht technisch bedingt und hebt sich deutlich vom Marktumfeld ab. Dies ergibt sich aus der als Anlage AG 17 eingereichten Marktübersicht, die zwar vielfach transparente Saftflaschen mit farbigen Deckeln zeigt, die jedoch in den Proportionen gänzlich unterschiedlich gestaltet sind und überwiegend das Flaschenetikett auf dem unteren Teil der Flasche und nicht - oder jedenfalls nicht ausschließlich - auf dem Flaschenhals tragen.

Ein Etikett ausschließlich auf dem oberen Teil der Flasche zeigen lediglich die Produkte "hohes C Naturelle", "hella", "Lambda" und "Tymbark", wobei bei diesen Produkten - mit Ausnahme von "Lambda" - der obere Teil der Flasche jeweils nicht als Flaschenhals ausgestaltet ist, sondern die Flasche die Form eines Zylinders - im Fall von "Tymbark" mit einer "Taille" etwa in der Mitte des Zylinders, hat, der sich hin zum Ausguss und Flaschendeckel verjüngt. Gleiches gilt für die Produkte, die das Etikett - wie "Sinalco" - in mittlerer Höhe tragen, wobei auch hier die Flaschen keinen deutlich ausgebildeten Flaschenhals haben. Ausschließlich auf einem - deutlich ausgebildeten - Flaschenhals trägt nach der Anlage AG 7 nur das - kanarische - Produkt "Lambda" sein Etikett.

Auch die Proportionen der zwei aufeinander stehenden Zylinder finden sich so im angezeigten Markt - mit Ausnahme der Flasche von "Lambda" - nicht wieder. Auch die Flasche "Valensina 100 % direkt gepresst Valencia Orange" ist weder in den Proportionen noch in der Positionierung des Etiketts noch in der Gesamtgestaltung der Flasche der g.-Flasche "nahezu identisch", wie die Antragsgegnerinnen meinen. Der untere Zylinder ist nahezu vollständig durch das Flaschenetikett verdeckt und soweit ersichtlich nicht haptisch gestaltet. Der obere Zylinder, zu dem eine deutlich weichere und längere Verjüngung als bei der g.-Flasche führt, verjüngt sich nach oben in Richtung Flaschendeckel weiter und trägt hier Reliefs mit dem Schriftzug "Valensina". In den Proportionen und der Positionierung des Flaschenetiketts ganz ähnlich muten lediglich die Flasche von Lambda und die streitgegenständliche Flasche von a. an. Die Flasche von Lambda, über deren Präsenz im deutschen Markt im Übrigen nichts bekannt ist, besitzt aber keine den unteren Zylinder vollständig bedeckende haptische Gestaltung, sondern weist, soweit ersichtlich, lediglich eine Verzierung in Form einer Knospe oder eines nach oben zeigenden Pfeils oder Dreiecks auf.

Vor diesem Hintergrund ist der Grad der wettbewerblichen Eigenart der g.-Flasche ursprünglich mindestens als durchschnittlich, aufgrund langjähriger umfangreicher und durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemachter Benutzung aber jedenfalls als gesteigert und damit jedenfalls leicht überdurchschnittlich einzuordnen.

c.

Die streitgegenständliche Flasche von a. stellt eine nachschaffende Nachahmung der g.-Flasche dar.

aa.

Eine Nachahmung liegt vor, wenn das angegriffene Produkt dem Originalprodukt so ähnlich ist, dass es sich in ihm wiedererkennen lässt. Hierfür ist zu prüfen, ob das angegriffene Produkt die prägenden Gestaltungsmerkmale des Originalprodukts übernimmt, die dessen wettbewerbliche Eigenart ausmachen. Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit ist auf die Gesamtwirkung der einander gegenüberstehenden Produkte aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Eine nahezu identische Nachahmung liegt vor, wenn nach dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse die Nachahmung nur geringfügige Abweichungen vom Original aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 11.1.2018, I ZR 187/16, Rz 50, Ballerinaschuh m.w.N.). Eine nachschaffende Nachahmung liegt vor, wenn die fremde Leistung nicht identisch oder nahezu identisch nachgeahmt, sondern lediglich als Vorbild benutzt und nachschaffend unter Einsatz eigener Leistung wiederholt wird, somit eine bloße Annäherung an das Originalprodukt vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 22.9.2021, I ZR 192/20, Rz 38. Flying V; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 4 Rz 3.37). Entscheidend ist, ob die Nachahmung wiedererkennbare prägende Gestaltungselemente des Originals aufweist oder sich deutlich davon absetzt. Geringfügige Abweichungen vom Original sind unerheblich, solange das Original als Vorbild erkennbar bleibt (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 4 Rz 3.37). Zu berücksichtigen ist bei der Beurteilung des Gesamteindrucks, dass es weniger auf die Unterschiede und mehr auf die Übereinstimmungen der Produkte ankommt, weil der Verkehr diese erfahrungsgemäß nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seiner Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinnt, in dem die übereinstimmenden Merkmale stärker hervortreten als die unterscheidenden (vgl. BGH, Urteil vom 22.9.2021, I ZR 192/20, Rz 40, Flying V).

bb.

Aufgrund der aufgezeigten Unterschiede in Größe, Proportionen und haptischer Gestaltung, handelt es sich vorliegend jedenfalls um eine nachschaffende Nachahmung, da die streitbefangene Flasche "a." wiedererkennbare prägende Gestaltungselemente der g.-Flasche aufweist und die g.-Flasche als Vorbild erkennbar bleibt. Diese Merkmale werden in einer Weise von der angegriffenen Flasche aufgenommen, dass diese im Gesamteindruck die optische Wirkung der g.-Flasche hat:

Auch die neue Flasche von a. besteht aus zwei zylindrischen Elementen, der Flaschenhals steht lotgerecht auf einer kurzen und abgerundeten Verjüngungsstufe auf dem unteren Zylinder, dem Flaschenbauch. Der untere Zylinder ist ebenfalls länger als der Flaschenhals, das Verhältnis beträgt etwa 3:1. Der Flaschenbauch ist ebenfalls insgesamt haptisch gestaltet, allerdings nicht mit gleichmäßig verteilten rundlichen Einkerbungen / Grübchen, sondern reliefartig mit als Pflanzen anmutenden Motiven, dem Schriftzug "100% PET" und auf der gegenüberliegenden Seite "a.". Die Flasche hat einen breiten Schraubverschluss mit einer geringen Verjüngung vom Flaschenhals, das Material der Flasche ist durchsichtig transparent und lässt die Farbe des Inhalts erkennen. Das in der Grundfarbe "Grün" gehaltene Etikett befindet sich ebenfalls ausschließlich auf dem Flaschenhals, es zeigt neben Fotos von Äpfeln und Kirschen die Aufschrift "a." sowie "Apfel Kirsch".

Insoweit stellt die neue Flasche jedenfalls eine nachschaffende Nachahmung der g.-Flasche dar. Im Gesamteindruck erreichen die übernommenen Merkmale der Proportionen der aufeinander stehenden Zylinder, der haptischen Gestaltung des Flaschenbauchs, der Etikettierung (ausschließlich) auf dem Flaschenhals, der Transparenz des Materials und die Gestaltung des (farbigen) Schraubverschlusses die optische Wirkung der nachgeahmten g.-Flasche. Besonders deutlich wird die Ähnlichkeit der Flaschen im Gesamteindruck auf dem im Schriftsatz vom 20.12.2021, Rz 34 (Bl 161 d.A.), eingeblendeten Foto eines Ladenregals, in dem sich beide Produkte befinden.

d.

Die Nachahmung ist unlauter, es besteht die Gefahr einer Herkunftstäuschung im weiteren Sinn. Eine Herkunftstäuschung liegt vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise den Eindruck gewinnen können, die Nachahmung stamme vom Hersteller des Originals oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen.

Vorliegend besteht die Gefahr einer Herkunftstäuschung im weiteren Sinn. Hierfür genügt es, wenn der Verkehr bei der Produktnachahmung annimmt, es handle sich um eine neue Serie oder um eine Zweitmarke des Originalherstellers oder es bestünden lizenz- oder gesellschaftsvertragliche Beziehungen zwischen den beiden Unternehmen (vgl. BGH, Urteil vom 1.7.2021, I ZR 137/20, Rz 52, Kaffeebereiter; BGH, GRUR 2019, 196, Rz 15, Industrienähmaschinen; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 4 Rz 3.44). Gegen eine solche Annahme spricht zwar in der Regel, wenn die unterschiedliche Herstellerangabe auf den Erzeugnissen deutlich erkennbar und auffällig angebracht ist (vgl. BGH, GRUR 2009, 1069, Rz 16, Knoblauchwürste). Von einer Herkunftstäuschung im weiteren Sinn kann bei Vorliegen weiterer Hinweise aber dennoch ausgegangen werden. Ein solcher Hinweis kann z.B. darin liegen, dass die Beklagte zuvor Originalprodukte der Klägerin vertrieben hat (vgl. BGH, Urteil vom 22.9.2021, I ZR 192/20, Rz 51, Flying V; BGH, Urteil vom 1.7.2021, I ZR 137/20, Rz 62, Kaffeebereiter; BGH, GRUR 2019,196, Rz 20, Industrienähmaschinen; BGH, Urteil vom 24.5.2007 - I ZR 104/04, GRUR 2007, 984, Rz 36 - Gartenliege) oder die Parteien früher einmal durch einen Lizenzvertrag verbunden waren (BGH, Urteil vom 1.7.2021, I ZR 137/20, Rz 52, Kaffeebereiter; BGH, GRUR 2019, 196, Rz 20 - Industrienähmaschinen).

Wegen der jedenfalls bis vor kurzem und teilweise möglicherweise noch bestehenden Vertriebssituation, in der die Antragsgegnerinnen die g.-Säfte in den streitgegenständlichen g.-Flaschen und damit die Originalprodukte in ihren Läden in den Saftregalen hatten, geht der Verkehr von einer Verbindung der Parteien trotz der Kennzeichnung der neu aufgenommenen Flaschen mit dem Zeichen "a." aus, es besteht die Gefahr einer Täuschung über die betriebliche Herkunft der Ware i.S.d. § 4 Nr. 3a UWG.

2.

Der Antrag der Antragstellerin zu 2) ist aus § 14 II Nr. 2, V MarkenG aus der Verfügungsklagemarke 1) DE... (im Folgenden auch "Marke 930") begründet.

a.

Die Marke 930 wurde überwiegend wahrscheinlich gemäß § 26 I, III MarkenG rechtserhaltend genutzt. Der Unterlassungsanspruch ist nach Erhebung der Nichtbenutzungseinrede durch die Antragsgegnerinnen nicht gemäß § 25 I MarkenG ausgeschlossen.

aa.

Die rechtserhaltende Benutzung einer Marke im Sinne von § 26 I MarkenG erfordert, dass die Marke ernsthaft in üblicher und sinnvoller Weise für die Ware verwendet wird, für die sie eingetragen ist.

Die rechtserhaltende Benutzung der Klagmarke 1) ergibt sich zum einen aus einem Prospekt aus dem Jahr 2019. In diesem ist die Flasche abgebildet mit einem in grün gehaltenen Etikett und rotem Deckel, wobei das grüne Etikett, an dessen oberen Rand ein rotes Rechteck zu sehen ist, auf dem in weißer Schrift der Schriftzug "g." steht (im Folgenden auch "g.-Rechteck"), auf dem Flaschenhals angebracht ist (Anlage AG 8 und Anlage AG 10, dort Anlage 1). Die Flasche zeigt nach Auffassung der Kammer ebenso wie diejenige, die in der mündlichen Verhandlung - mit der Abbildung einer anderen Frucht - vorlag, eine Nutzung der Verfügungsmarke 930. Die Nutzung der Klagmarke 1) ergibt sich zum anderen aus der Nutzung gemäß der Antragsschrift, Seite 3 Mitte, mit einem überwiegend orangefarbenen Etikett, bei dem das g.-Rechteck am unteren Rand steht, und einem grünen Flaschendeckel.

Die Nutzung der Marke in diesen abweichenden Formen genügt für eine rechtserhaltende Nutzung, die prägenden Merkmale der eingetragenen Kombinationsmarke sind jeweils erhalten geblieben.

Dass die Klagmarke 1) bei den beiden beschriebenen Benutzungsformen in veränderter Form benutzt wurde - zum einen weil das in der Markeneintragung - mit Ausnahme des rot-weißen "g.-Rechtecks" - einheitlich in Dunkelgrün gestaltete Flaschenhalsetikett in changierenden Grüntönen mit Aufdruck von Früchten (vgl. AG 8, AG 10) bzw. auch mit Aufdruck von Fotos grüner Blätter gestaltet wurde, zum anderen weil die Flasche in der Gestaltung mit dem überwiegend orangefarbenen Etikett mit aufgedruckten Früchten und nach unten versetztem rot-weißen "g.-Rechteck" und grünem Deckel (vgl. Antragsschrift, Seite 3 Rz 1) sowohl farblich als auch graphisch verändert wurde, ist unschädlich. Denn die Benutzung einer Marke ist auch in veränderter Form gemäß § 26 III Satz 1 MarkenG rechtserhaltend, soweit die Abweichungen den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht verändern. Das ist der Fall, wenn der Verkehr das abweichend benutzte Zeichen gerade bei Wahrnehmung der Unterschiede dem Gesamteindruck nach noch mit der eingetragenen Marke gleichsetzt, d. h. in der benutzten Form noch dieselbe Marke sieht (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2014, I ZR 114/13, Rz 12, PINAR; vgl. BGH, Urteil vom 5.12.2012, I ZR 135/11, Rz 31, Duff Beer; Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Aufl. 2021, § 26 Rz 197).

Bei der Bestimmung der Verkehrsauffassung kann zur Bestimmung der angesprochenen Verkehrskreise, zum Maßstab des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers und zu den Regeln über die Feststellung der Verkehrsauffassung auf die zur Verwechslungsgefahr entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BGH, Urteil vom 5.12.2012, I ZR 135/11, Rz 31, Duff Beer). Zur Bestimmung der angesprochenen Verkehrskreise ist auf die Abnehmer abzustellen, die die konkret beanspruchten Waren oder Dienstleistungen nachfragen. Dabei sind die Waren oder Dienstleistungen ihrer gattungsmäßigen Art nach und nach ihren objektiven Merkmalen zugrunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2014, I ZR 114/13, Rz 21, PINAR).

bb.

Vorliegend ist die Klagmarke 1 in der Warenklasse 32 für Fruchtgetränke und Fruchtsäfte eingetragen. Sie beansprucht damit Schutz für Getränke, die von einem breiten Publikum von Verbrauchern, Erwachsenen wie Jugendlichen und Kindern, nachgefragt werden.

Der kennzeichnende Charakter der Marke wurde durch die beiden vorliegenden Benutzungsformen nicht verändert. Es handelt sich bei der als "dreidimensionale" Marke eingetragenen Marke 930 um eine Kombinationsmarke aus Form- und Bildelementen sowie- einem Wortelement. Das Formelement beinhaltet dabei die konkrete Gestalt der Flasche, die in den Proportionen der beiden aufeinander stehenden "Zylinder" und der Oberflächengestaltung des unteren, leicht bauchig ausgestalteten Zylinders durch die aufgebrachten "Grübchen" einer Ananas nachempfunden ist, die Bildelemente zum einen das einheitlich grüne Etikett auf dem Flaschenhals und zum anderen das darauf aufgebrachte rote "g.-Rechteck" mit "g." als Wortelement sowie die (rote) Farbgestaltung des Deckels.

Im Gesamteindruck zeigen die beiden beschriebenen veränderten Gestaltungen der Flasche keine Veränderungen des kennzeichnenden Charakters der Flasche. Es ist davon auszugehen, dass der angesprochene Verkehr auch bei Wahrnehmung der Unterschiede zwischen der eingetragenen Kombinationsmarke und den beiden Benutzungsgestaltungen in diesen noch dieselbe Marke sieht. Denn im Gesamteindruck ist die Flasche in der Gestaltung der Proportionen und des unteren Zylinders mit den Grübchen sowie der Position des Etiketts auf dem Flaschenhals(-zylinder) und dem Abstand vom Flaschendeckel zum Etikett unverändert geblieben. Auch das rote "g.-Rechteck" ist weiter auf dem Flaschenhalsetikett angebracht, wenn auch bei der auf Seite 3 der Antragsschrift abgebildeten Flaschengestaltung über dem unteren Rand des Etiketts. Diese abweichende Positionierung des integrierten Wort-Bildzeichens "g.-Rechteck" zeigt keine ersichtliche Veränderung im optischen Gesamteindruck der Kombinationsmarke. Bei der aus dem Prospekt aus dem Jahr 2019 gemäß Anlage AG 8 ersichtlichen Gestaltung ist das rote "g.-Rechteck" zudem entsprechend der Markeneintragung am oberen Rand des Flaschenhalsetiketts verblieben. Bei der aus der Anlage AG 8 ersichtlichen farblichen Gestaltung des Etiketts durch changierende Grüntöne mit aufgedruckten Früchten handelt es sich ebenfalls nicht um wesentliche den Gesamteindruck verändernde Abweichungen. Denn die einheitlich grüne Farbe des Flaschenhalsetiketts ist in dieser Gestaltung im Grünton jedenfalls erhalten und lediglich durch weitere Angaben wie den Aufdruck von Früchten im Zusammenhang mit der Geschmacksrichtung gestaltet. Gleiches gilt für die Flasche mit einem durch Fotos von grünen Blättern in (uneinheitlich) Grün gehaltenen Etikett, aber einer anderen Fruchtabbildung, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen hat und erörtert wurde. Aber auch in der Gestaltung der Flasche mit einem überwiegend orangefarbenen Etikett und der Abbildung einer Orange und einem von der Eintragung (mit rotem Flaschendeckel) farblich abweichenden grünen Flaschendeckel sieht die Kammer keine wesentliche Veränderung des Gesamteindrucks der Marke. In der Rechtsprechung werden Modernisierungen regelmäßig als unschädlich angesehen, ebenso unschädlich sind Veränderungen in graphischen Bestandteilen, die nur eine Verzierung darstellen oder aus anderen Gründen vom Verkehr als bedeutungslos für den kennzeichnenden Charakter der Marke angesehen werden. Dies wird bejaht bei bloßen Veränderungen der Schriftfarbe oder der bildlichen Ausgestaltung von Anfangsbuchstaben. Entsprechend ist die Änderung der Grundfarbe des Flaschenhalsetiketts in der vorliegenden Konstellation die unwesentliche Änderung einer Verzierung, die im Gesamteindruck der Flasche keine wesentliche Bedeutung erlangt.

Dass die transparente Flasche bei Benutzung durch die Farbe des enthaltenen Safts farbig wirkt, stellt keine abändernde Benutzung dar. Denn ersichtlich ist eine für Fruchtsaftgetränke eingetragene transparente Flasche dazu gedacht, Säfte, die regelmäßig farbig sind, aufzunehmen. Weiter ist ersichtlich ein - bis auf das "g.-Rechteck" - leeres Etikett dazu gedacht, weitere Informationen zum Inhalt der Flasche zu tragen. Wesentliche Änderungen im Gesamteindruck der Marke liegen in der praktischen Nutzung des als Marke eingetragenen realen Gegenstands mitsamt dem Etikett nicht.

cc.

Der Umfang der ernsthaften Nutzung ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt H. P. R. gemäß Anlage Ast 7 und den dort versicherten Umsatz- und Absatzzahlen für die Jahre 2016-2021, die sich jeweils im mittleren oder oberen zweistelligen Millionenbereich bewegen.

Sowohl die mit der eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemachten Umsatzzahlen "betreffend die g.-Säfte in der ikonischen g.-Flasche" von 79.728.060 € im Jahr 2016, von 67.673.353 € im Jahr 2017, von 91.015.470 € im Jahr 2018, von 88.104.624 € im Jahr 2019, von 95.377.739 € im Jahr 2020 und von 54.011.776 € in den ersten drei Quartalen des Jahres 2021 als auch die für dieselbe Ware angegebenen Absatzzahlen in verkauften Litern mit 65.925.000 in 2016, 54.067.000 im Jahr 2017, 71.540.000 im Jahr 2018, 68.506.000 im Jahr 2019, 75.159.000 im Jahr 2020 und 39.772.000 in den ersten drei Quartalen 2021 belegen ohne weiteres die ernsthafte Nutzung der Klagmarke.

b.

Die Nutzung der angegriffenen Flaschen auf Seiten der Antragsgegnerinnen erfolgt markenmäßig.

Zwar wird die Form einer Ware in der Rechtsprechung in erster Linie als funktionell und nicht als Herkunftshinweis gesehen (vgl. EuGH, Urteil vom 20.10.2011, C-344/10 P u.a., GRUR 2012, 610, 611, Nr. 46, Freixenet; BGH, Urteil vom 28.11.2002, I ZR 204/00, GRUR 2003, 712, 714, Rz 31, Goldbarren). Eine andere Beurteilung kann aber geboten sein, wenn Kennzeichnungsgewohnheiten auf einem spezifischen Warengebiet dazu führen, dass der Verkehr in der Form einen Herkunftshinweis sieht. Dies wird zum Beispiel bejaht für die Formgestaltung von Kühlergrills oder für Parfümflakons (OLG Frankfurt, Urteil vom 17.11.2016, 6 U 220/15, GRUR-RR 2017, 105, Rz 16, Parfümflakon-Blütenstöpsel). Ein markenmäßiger Gebrauch kann auch vorliegen, wenn die betreffende Verpackungsform sich im Verkehr als Markenzeichen eines Inhabers durchgesetzt hat und über gesteigerte Kennzeichnungskraft verfügt. Schließlich wird ein markenmäßiger Gebrauch auch angenommen, wenn eine erhebliche Abweichung vom Branchenüblichen vorliegt (vgl. EuGH, C 344/10, Urteil vom 20.10.2011, Rz 53, 38, 46; BGH, GRUR 2007, 780 Rz 28, Pralinenform; OLG Köln, Urteil vom 31.10.2014, 6 U 55/14, Rz 24 ff. Capri-Sonne).

Davon kann vorliegend ausgegangen werden. Die vorliegende Marktübersicht einschließlich der eingereichten Flaschen zeigt, dass die Saftflaschen im Markt in Proportionen und Etikettierung völlig anders gestaltet sind als die g.-Saftflasche, die einer Ananas nachempfunden wurde. Auf die (oben unter 1. stehenden) Ausführungen zum Marktumfeld im Rahmen der wettbewerblichen Eigenart wird Bezug genommen.

Dass Hersteller anderer Fruchtsaftflaschen sich bemühen mögen, ihre Waren ebenfalls so zu gestalten, dass der Verbraucher sie zumindest auch als Herkunftshinweis empfindet, weil die Säfte selbst nicht hinreichend zur Unterscheidung geeignet sind, wie das Landgericht Köln annimmt (vgl. Urteil vom 7.1.2022, 33 O 218/21, S. 17/18), kommt nur hinzu.

c.

Es besteht - unter Berücksichtigung der Grundsätze der Wechselwirkung - Verwechslungsgefahr zwischen der Klagmarke 1 und der angegriffenen Flasche im Sinne des § 14 II Nr. 2 MarkenG.

Dabei ist im Bereich von Fruchtsäften und Fruchtnektaren, für die die Klagmarke 1 eingetragen ist und für die die angegriffene Flasche benutzt wird, von Warenidentität sowie von zumindest leicht gesteigerter Kennzeichnungskraft der ursprünglich jedenfalls durchschnittlich kennzeichnungskräftigen Marke auszugehen. Die gesteigerte Kennzeichnungskraft ergibt sich aus der umfangreichen und mit eidesstattlicher Versicherung der erzielten Umsätze glaubhaft gemachten Nutzung.

Weiterhin liegt auch deutliche Zeichenähnlichkeit vor. Der Gesamteindruck des eingetragenen dreidimensionalen Zeichens in Form einer Flasche ist geprägt durch die aus zwei aufeinander stehenden Zylindern mit unterschiedlichem Durchmesser gebildete Form, wobei der untere Teil leicht bauchig geformt ist und eine gleichmäßige Struktur mit runden Einkerbungen/Grübchen aufweist, während der obere, den Flaschenhals bildende Teil, das farbige Etikett trägt, über dem ein farbiger Deckel in der Signalfarbe rot steht. Dieser Formgestaltung entspricht die angegriffene Flasche, die eine in den Proportionen hochgradig ähnliche Aufteilung in einen Flaschenbauch mit größerem Durchmesser und einen darauf aufstehenden schmaleren Zylinder als Flaschenhals, der das Etikett trägt, aufweist, und deren Flaschenbauch zudem mit gleichmäßigen Reliefstrukturen verziert ist. Im Gesamteindruck sind die beiden Flaschen einander hochgradig ähnlich. Dass beide Flaschen jeweils einen Schriftzug "g." bzw. "a." auf dem Etikett und die "a."-Flasche zusätzlich als Einprägung innerhalb des Reliefs aufweisen, ändert an der hohen Ähnlichkeit nichts. Denn im Gesamteindruck bleiben die Flaschen, deren Etikett- bzw. Reliefaufschrift weder im Warenregal im Laden noch bei späteren Aufbewahrungen unbedingt zu sehen bzw. zu lesen sind, sehr ähnlich. Gleiches gilt für den Schraubverschluss, der bei der angegriffenen Flasche nicht in der Signalfarbe rot, sondern in einem dunklen Grün gehalten ist. Die Farbe des Deckels wird angesichts der im Markt üblichen Deckelfarben, die sich aus der Anlage AG 17 ergeben und die regelmäßig grün und rot, zudem goldfarben, weiß, blau, gelb, silberfarben, violett, orange und schwarz sind, vom Verkehr nicht als wesentliches oder besonderes Merkmal wahrgenommen.

d.

Die Löschungsanträge der Antragsgegnerinnen stehen dem Anspruch nicht entgegen. Die Kammer ist insoweit an die Eintragung der Marken gebunden. Dass eine Löschung der Marken mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehe, ist nicht erkennbar. Im Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerinnen steht eine solche Situation auch nicht der Dringlichkeit entgegen.

Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Widerspruchsverfahren aufgrund der nicht nachgelassenen Schriftsätze vom 23.12.2021, vom 4.1.2022, vom 5.1.2022 und vom 7.1.2022 besteht nicht.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: