Das AG Rheine hat entschieden, dass, wenn ein DJ auf einer Hochzeitsfeier von den Musikvorgaben des Auftraggebers abweicht, dies eine Minderung des Entgelts (hier: 30 %) wegen Mängel in der Erfüllung rechtfertigt.
Der Kläger wurde von dem Beklagten beauftragt, für dessen Hochzeitsfeier am 27.08.2021 im XXX in XXX, insbesondere als DJ mit verschiedenen Aufgaben zu fungieren.
Der Kläger hat bezüglich seiner Leistung ein Angebot gemacht, welches unstreitig von dem Beklagten angenommen worden war.
Vorliegend ist von einem Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB auszugehen. Dieser kann vorliegen, wenn der Beauftragte eine ihm zurechenbare Leistung erbringt und sich dabei in einem von den Vertragsparteien vorgegebenen Rahmen bewegt. Dies erfordert, dass der Beauftragte gewisse gestalterische Freiheiten haben muss, mit denen er sich in dem vorgegebenen Rahmen frei bewegen kann. Als DJ und Moderator war der Kläger insbesondere mit dem Abspielen der Musik beauftragt. Dabei hatte er - eingeschränkt bzw. ergänzt durch Wünsche der Gäste (Wunschkarten) und Musikwunsch list des Brautpaars - einen freien Gestaltungsspielraum. Auch die Moderation (z:B. Brautstraußwerfen, Eröffnung des Buffets etc. ) war zwar im Groben besprochen, letztlich aber verblieb ein erheblicher freier Rahmen, in dem der Kläger sich frei bewegen konnte.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger teilweise hinsichtlich seiner Aufgabe als „erfahrener Hochzeits-DJs und Moderator“ nicht vereinbarungsgemäß und damit mangelhaft nachgekommen ist.
Hierzu wie folgt im Einzelnen: Ausweislich der Rechnung des Klägers hat er eine Musikanlage für bis zu 150 Personen auf- und abgebaut und während der Hochzeitsfeier betrieben. Dafür hat er einen Betrag von 300,00 € in Rechnung gestellt. Das DJ-Honorar für 8 Stunden Engagement als „erfahrener Hochzeits-DJ und Moderator von 18:00 Uhr bis 4:00 Uhr“ hat er mit 530,00 €, zudem 65,00 € als „DJ-Honorarfolgestunden“ plus Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt. Er macht weiter einen Transportkostenanteil i.H.v. 45,00 € geltend und für das Aufstellen der Fotoboxen 250,00 € und für den Betrieb einer Musikanlage für den Außenbereich weitere 150,00 € jeweils plus Mehrwertsteuer geltend.
Unstreitig gehörte es auch zur Aufgabe des Klägers, von ihm entworfene Musikwunschkarten zu verteilen. Die Hochzeitsgäste sollten darin ihre Musikwünsche vermerken und der Kläger sollte sie dementsprechend bei der Musikauswahl berücksichtigen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger Musikwunschkarten ausgeteilt hat. Der Zeuge XXX gab diesbezüglich an, er habe die Musikwunschkarten auf den Esstischen der Hochzeitsgäste verteilt. Nach Aufforderung der Braut, der Zeugin XXX, habe er diese wieder eingesammelt. Die Zeugin XXX gab diesbezüglich an, die Musikwunschkarten seien erst nach Aufforderung verteilt worden, jedoch lediglich auf der Theke und nicht wie vorher abgesprochen auf den Tischen der Hochzeitsgesellschaft. Unabhängig von dem Ablageplatz der Musikwunschkarten ist jedenfalls festzustellen, dass Musikwunschkarten ausgeteilt und damit von den Hochzeitsgästen zwecks schriftlicher Niederlegung ihrer Musikwünsche auch genutzt werden konnten.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zudem fest, dass die Auswahl der Musik durch den Kläger zu einem Gewissen Unmut zumindest bei Teilen der Hochzeitsgesellschaft geführt hat. So berichtete der Zeuge XXX, er sei von mehreren Gästen angesprochen worden, die sich über die Musikauswahl insbesondere die einseitige wenig abwechslungsreiche Musik beschwert hätten. Des Weiteren gab der Zeuge XXX an, er sei mehrfach zu dem Kläger gegangen, um als Gast für sich und auch für andere weitere Gäste Musikwünsche zu äußern. Dabei habe es sich um durchaus gängige Schlager etc. gehandelt. Dies habe jedoch bei der Auswahl des Klägers keine Berücksichtigung gefunden. Er habe angegeben, diese Musikwünsche nicht vorrätig zu haben.
Unstreitig ist, dass der Kläger die Eröffnung des Buffets anmoderieren sollte. Dabei ist er auch unstreitig von der ursprünglich vereinbarten Reihenfolge abgewichen. Nicht der Brauttisch, insbesondere das Brautpaar, hat das Buffet eröffnet, sondern ein anderer Tisch. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich nicht aufklären, ob das bewusste Verlassen der ursprünglich vereinbarten Reihenfolge durch den Kläger auf einem Missverständnis informatorischer Art beruhte. So gab der Zeuge XXX an, er sei zur Braut begangen, welche nicht am Hochzeitstisch gesessen habe und habe geäußert, nunmehr solle das Buffet eröffnet werden. Diese habe ihm gegenüber sinngemäß mitgeteilt, es solle ein anderer Tisch das Buffet eröffnen. Dem widerspricht die Braut, die Zeugin XXX vehement.
Wichtige und durchaus vordergründige Aufgabe des Klägers, der sich selbst als „erfahrender Hochzeits-DJ und Moderator“ bezeichnet, war es, für einen reibungslosen und harmonischen Ablauf und soweit ihm möglich für eine gute Stimmung unter allen Hochzeitsgästen Sorge zu tragen. Nach dem im Rahmen der Beweisaufnahme gehörten Zeugen ist ihm dies offensichtlich nur teilweise gelungen. Allerdings ist es erfahrungsgemäß häufig schwierig und auch von den vor Ort gegebenen Umständen bzw. Teilnehmern abhängig, ob dies gelingen kann oder nicht. Präzisierbar und vorwerfbar war jedoch das Vorgehen des Klägers hinsichtlich der Auswahl der Musik. Insoweit hat insbesondere der Zeuge XXX nachvollziehbar und plausibel geschildert, dass Musikwünsche der Gäste keine Berücksichtigung gefunden haben. Dabei ist sicherlich grundsätzlich von einem erfahrenen DJ zu erwarten, dass er ein umfangreiches Repertoire an Musikdateien bei sich führt. Sollte der ein oder andere gewünschte Titel nicht vorrätig sein, wäre es sicherlich dem DJs zuzumuten, vergleichbare ähnliche aus demselben Genre stammende Musikwünsche zu realisieren.
Der Unmut mehrerer Hochzeitsgäste konnte dem Kläger auch nicht verborgen bleiben. Gerade als der von ihm selbst beschriebene „erfahrene Hochzeits-DJ und Moderator“ wäre er gegebenenfalls gehalten gewesen, Rücksprache mit dem Brautpaar zu nehmen, um diesbezüglich eine Optimierung zu erreichen.
Dieser Maßstab muss auch gelten hinsichtlich der Veränderung der ursprünglich vereinbarten Reihenfolge der Eröffnung des Buffets. Die Eröffnung des Buffets auf einer Hochzeit ist – wie es dem Kläger sicherlich überaus geläufig sein dürfte – grundsätzlich dem Brautpaar vorbehalten. Eine Abweichung davon stellt eine erhebliche Abkehr dieser Tradition dar. Lediglich auf Zuruf seines als Assistenten eingesetzten Mitarbeiters des Zeugen XXX, diese doch recht weit reichende Maßnahme durchzuführen, erfüllt nicht den Maßstab, den man an einen erfahrenen Hochzeits-Moderator stellen darf. Der Kläger hätte in der Situation persönlich Rücksprache mit der Braut nehmen müssen (oder dem Bräutigam) um sich nochmals zu vergewissern, dass diese tatsächlich eine Abänderung der Reihenfolge wünschten.
Weitergehende Mängel in der Erfüllung des dem Kläger obliegenden Vertrages sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festzustellen. So hat sich herausgestellt, dass der Zeugen XXX nicht, wie ursprünglich behauptet, durch den Beklagten von seiner Rede abgehalten worden war. Der weitergehende Vortrag, dem Zeugen sei aber das Halten der Rede durch den Kläger erschwert worden, ist mangels Substanz unbeachtlich.
Letztendlich konnte es dahinstehen, ob es auch Aufgabe des Klägers war, dass Brautstraußwerfen zu moderieren. Unstreitig ist erst im Nachhinein auch dem Brautpaar aufgefallen, dass ein Brautstraußwerfen nicht stattgefunden hat. Hätten sie darauf (gesteigerten) Wert gelegt, wäre es an ihnen gewesen, den Kläger diesbezüglich im Laufe der Hochzeitsfeier (schon aufgrund der ihnen obliegenden Schadensminderungspflicht) anzuhalten.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zudem fest, dass der Kläger, wie vertragsmäßig geschuldet, eine Außenmusikanlage installiert und betrieben hat. Es kann als wahr unterstellt werden, dass diese zeitweise – insbesondere nach den Maßgaben des Wirtes, des Zeugen XXX – zu laut eingestellt war. Dies bestätigte auch der Zeuge XXX. Im Übrigen gab er aber an, dass er persönlich mit dem Kläger gesprochen und darauf hingewiesen habe, dass er bei erneuter Überschreitung der zulässigen Lautstärke für ein Abschalten der Anlage sorgen werde. Danach sei die Anlage im eingeschalteten Betrieb mit akzeptabler Lautstärke weiter betrieben worden. Das vorübergehende gegebenenfalls auch mehrfach erfolgte Überschreiten der zulässigen Lautstärke stellt keine relevante Schlechtleistung dar.
Es kann dahinstehen, ob der Kläger entgegen vorheriger Vereinbarung Familienmitglieder und Trauzeugen auf die Tanzfläche gerufen hat. Die Zeugin XXX hat diesbezüglich nachvollziehbar und glaubhaft die Hintergründe für eine derartige Vereinbarung geschildert. Ein Verstoß dagegen wäre sicherlich ärgerlich, gegebenenfalls auch unangenehm, stellt jedoch keinen gravierenden Verstoß gegen die dem Kläger obliegenden Verpflichtungen dar und ist somit im Rahmen der Anspruchsbemessung nicht zu berücksichtigen.
Ausgehend von der oben näher dargelegten, teilweise mangelhaften Leistung des Klägers, erschien es angemessen, insoweit sein Honorar zu kürzen. Ausweislich der Rechnung beinhaltete dieser Teil der Leistung einen Betrag von 530,00 € „DJ-Honorar, Grundpauschale, 8 Stunden Engagement“ sowie für die Folgestunden weitere 65 € plus Mehrwertsteuer, mithin ein Gesamtbetrag von 708,05 €. Insgesamt erschien es angemessen, eine Reduzierung des insoweit in Rechnung gestellten Lohns von 30 % zu berücksichtigen.
Dies führte nach Abzug der bereits gezahlten 785,40 € zu einem noch zu zahlenden Betrag von 596,79 € (plus Zinsen).
Die Hilfsaufrechnung bzw. Hilfswiderklage sind nicht begründet. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger Veränderungen an der von dem Zeugen XXX eingestellten und von ihm zur Verfügung gestellten Lichtanlage vorgenommen hat. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen. Selbst wenn der Beklagte für die zur Verfügung stehende Ambiente Beleuchtung einen Betrag von 180,00 € bezahlt hat und auch in Abstimmung mit der weiter für 170,00 € gestellten weißen Deko-Rosen den Farbton Violett bzw. Magenta gewählt hat, wäre eine (vorübergehende) Veränderung dieser Ambiente Beleuchtung durch den Kläger kein Ersatzansprüche auslösendes Schadensereignis. Auch in diesem Punkt wäre zudem der Beklagte (oder die Zeugin XXX) gehalten gewesen, vor Ort den Kläger aufzufordern, die Veränderung der Ambientebeleuchtung zu unterlassen.
Unstreitig hat der Kläger den Wurfstrauß mitgenommen. Der von dem Beklagten insoweit bezifferte Schaden von 7,50 € ist mangels Substantiiertheit nicht zu berücksichtigen. Es blieb vollkommen offen, worauf sich eine derartige Schadensbemessung ergibt. Anhaltspunkte, die eine Schadensbeurteilung ermöglichen würden, wurden ebenfalls nicht mitgeteilt.
Der geltend gemachte Anspruch des Klägers war auch nicht um die von dem Beklagten gezahlte Pauschale für seinen Gehilfen zu reduzieren. Die Behauptung des Beklagten, die Anwesenheit des Mitarbeiters des Klägers sei objektiv nicht erforderlich gewesen, er habe keinerlei Tätigkeiten verübt, wurde nicht unter Beweis gestellt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere der Vernehmung des Zeugen XXX entsteht jedoch der Eindruck, dass dieser durchaus Aufgaben - wie auch von den Kläger behauptet – zu erfüllen hatte.
BGH
Urteil vom 21.04.2022 I ZR 214/20
Dr. Stefan Frank
BGB § 138 Abs. 1 und 2, § 307 Abs. 3 Satz ; AGBG § 8; UrhG § 31 Abs. 5
Der BGH hat entschieden, dass hinsichtlich der Sittenwidrigkeit wegen unangemessener Vergütung bei einem Vertrag über Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie der Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidend ist.
Leitsätze des BGH:
a) Für die Beurteilung, ob Verträge über die Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie sowie die Einräumung der Nutzungsrechte an der Musik und deren Verlag wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sind, ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt nicht absehbare Entwicklungen bleiben außer Betracht.
b) Die in Form Allgemeiner Geschäftsbedingungen in einem Vertrag über die Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie sowie die Einräumung der Nutzungsrechte an der Musik vorgesehene Verpflichtung zum Abschluss eines Verlagsvertrags unterliegt nach § 8 AGBG aF (jetzt: § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB) als privatautonome Gestaltung des vertraglichen Leistungsprogramms nicht der AGBrechtlichen Inhaltskontrolle.
BGH, Urteil vom 21. April 2022 - I ZR 214/20 - OLG Düsseldorf - LG Köln
Der BGH hat entschieden, dass die HOAI-Mindestsätze in der Fassung 2013 in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen trotz Unionsrechtswidrigkeit weiterhin anwendbar sind.
Die Pressemitteilung des BGH: Mindestsätze der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) in der Fassung aus dem Jahr 2013 sind in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiterhin anwendbar
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hatte in einem von der Europäischen Kommission betriebenen Vertragsverletzungsverfahren durch Urteil vom 4. Juli 2019 (C-377/17) entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie) verstoßen hat, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat. In der Instanzrechtsprechung sowie im Schrifttum war daraufhin ein Meinungsstreit darüber entstanden, ob die betreffenden Vorschriften der Dienstleistungsrichtlinie im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen in der Weise unmittelbare Wirkung entfalten, dass die der Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI), wonach die in dieser Honorarordnung statuierten Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen grundsätzlich verbindlich sind und eine die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung in Verträgen mit Architekten oder Ingenieuren unwirksam ist, nicht mehr anzuwenden sind.
Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Architekten- und Ingenieurverträge zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat daraufhin in dem Revisionsverfahren VII ZR 174/19, dem die HOAI in der Fassung aus dem Jahre 2013 zugrunde liegt, mit Beschluss vom 14. Mai 2020 dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV mehrere Fragen zur Unionsrechtswidrigkeit des verbindlichen Preisrechts der HOAI (2013) vorgelegt (vgl. Pressemitteilung Nr. 59/2020). Der EuGH hat durch Urteil vom 18. Januar 2022 (C-261/20 - Thelen Technopark Berlin) entschieden, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen die in Rede stehenden Bestimmungen der Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen, jedoch unbeschadet zum einen der Möglichkeit dieses Gerichts, die Anwendung der Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen, und zum anderen des Rechts der durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens zu verlangen.
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute in dem zugrundeliegenden Revisionsverfahren VII ZR 174/19 eine abschließende Entscheidung getroffen.
Sachverhalt:
Der Kläger, der ein Ingenieurbüro betreibt, verlangt von der Beklagten die Zahlung restlicher Vergütung aufgrund eines im Jahre 2016 abgeschlossenen Ingenieurvertrages, in dem die Parteien für die vom Kläger zu erbringenden Ingenieurleistungen bei einem Bauvorhaben der Beklagten ein Pauschalhonorar in Höhe von 55.025 € vereinbart hatten.
Nachdem der Kläger den Ingenieurvertrag gekündigt hatte, rechnete er im Juli 2017 seine erbrachten Leistungen in einer Honorarschlussrechnung auf Grundlage der Mindestsätze der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) in der Fassung aus dem Jahr 2013 ab. Mit der Klage hat er eine noch offene Restforderung in Höhe von 102.934,59 € brutto geltend gemacht.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 100.108,34 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Beklagte zur Zahlung von 96.768,03 € verurteilt. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.
Das Oberlandesgericht hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe ein restlicher vertraglicher Zahlungsanspruch nach den Mindestsätzen der HOAI (2013) zu. Die im Ingenieurvertrag getroffene Pauschalpreisvereinbarung sei wegen Verstoßes gegen den Mindestpreischarakter der HOAI als zwingendes Preisrecht unwirksam. Das in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ergangene Urteil des EuGH ändere nichts an der Anwendbarkeit der maßgeblichen Bestimmungen der HOAI zum Mindestpreischarakter.
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts hat damit Bestand.
Wie der Bundesgerichtshof bereits in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH vom 14. Mai 2020 ausgeführt hat, sind nach nationalem Recht die Vorschriften der HOAI, die das verbindliche Preisrecht (hier: die Mindestsätze) regeln, unbeschadet des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juli 2019 (C-377/17 - Kommission/Deutschland) anzuwenden und führen zu einem Honoraranspruch des Klägers in der vom Oberlandesgericht zuerkannten Höhe. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die zwischen den Parteien im Ingenieurvertrag getroffene Pauschalhonorarvereinbarung nach nationalem Recht unwirksam, weil sie das sich bei Anwendung der Mindestsätze ergebende Honorar unterschreitet, ohne dass ein Ausnahmefall gemäß § 7 Abs. 3 HOAI vorliegt. Der Kläger kann danach von der Beklagten das Mindestsatzhonorar, dessen Berechnung der Höhe nach nicht angegriffen ist, abzüglich bereits geleisteter Zahlungen verlangen.
Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten, die sich unter anderem auf einen Verstoß des Klägers gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB berufen hat, greifen nicht durch. Der Bundesgerichtshof hat insoweit auf seine Ausführungen im Beschluss vom 14. Mai 2020 (VII ZR 174/19) Bezug genommen, von denen abzuweichen kein Anlass besteht. Ergänzend hierzu hat er in seinem heute verkündeten Urteil darauf hingewiesen, dass die Geltendmachung eines Anspruchs durch eine Partei insbesondere nicht deshalb gemäß § 242 BGB als treuwidrig und damit unzulässig bewertet werden kann, weil die nationale Rechtsvorschrift, aus der der Anspruch hergeleitet wird, gegen eine Richtlinie der Europäischen Union verstößt. Eine Partei kann sich vielmehr grundsätzlich auf eine nationale Rechtsvorschrift berufen, solange diese weiterhin gültig und im Verhältnis der Parteien anwendbar ist. Das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung ist nur dann einschlägig, wenn die Anwendung einer Rechtsvorschrift einen im Einzelfall bestehenden Interessenkonflikt ausnahmsweise nicht hinreichend zu erfassen vermag und für einen Beteiligten ein unzumutbares unbilliges Ergebnis zur Folge hätte. Es dient jedoch nicht dazu, eine vom nationalen Gesetzgeber mit einer Rechtsvorschrift getroffene Wertung generell durch eine andere Regelung zu ersetzen.
Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 7 HOAI unter Berücksichtigung der im Vertragsverletzungsverfahren ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juli 2019 (C-377/17 - Kommission/Deutschland) führt, wie der Bundesgerichtshof ebenfalls bereits mit Beschluss vom 14. Mai 2020 (VII ZR 174/19) im Einzelnen ausgeführt hat, gleichfalls nicht zum Erfolg der Revision der Beklagten. § 7 HOAI kann nicht richtlinienkonform dahin ausgelegt werden, dass die Mindestsätze der HOAI im Verhältnis zwischen Privatpersonen grundsätzlich nicht mehr verbindlich sind und daher einer die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung nicht entgegenstehen.
Nach dem nunmehr im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Urteil des
EuGH vom 18. Januar 2022 (C-261/20 - Thelen Technopark Berlin) steht fest, dass der Bundesgerichtshof im Streitfall nicht aufgrund Unionsrechts verpflichtet ist, das verbindliche Mindestsatzrecht der HOAI unangewendet zu lassen. Der EuGH hat insoweit festgestellt, dass der Dienstleistungsrichtlinie eine unmittelbare Wirkung in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen - wie hier - nicht zukommt. Die betreffende Richtlinie steht der Anwendung der verbindlichen Mindestsätze daher nicht entgegen. Der EuGH hat ferner ausgeführt, dass die zuständigen nationalen Gerichte nicht allein aufgrund eines im Vertragsverletzungsverfahren erlassenen Urteils verpflichtet sind, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privatpersonen eine nationale Regelung, die gegen die Bestimmung einer Richtlinie verstößt, unangewendet zu lassen.
Europäisches Primärrecht in Form der Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts stehen der Anwendung der in der HOAI verbindlich geregelten Mindestsätze im Streitfall ebenfalls nicht entgegen. Der EuGH hat insoweit klargestellt, dass die Bestimmungen des AEUV über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale nicht über die Grenzen eines Mitgliedsstaates hinausweisen, grundsätzlich keine Anwendung finden. Da der vorliegende Rechtsstreit durch Merkmale charakterisiert sei, die sämtlich nicht über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinauswiesen, könne ohne die Angabe eines Anknüpfungspunktes bezüglich der Vorschriften des Unionsrechts betreffend die Grundfreiheiten durch das vorlegende nationale Gericht nicht davon ausgegangen werden, dass das entsprechende Ersuchen um Auslegung für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich sei. Wenngleich der EuGH die diesbezügliche Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs deshalb als unzulässig beschieden hat, steht danach fest, dass die betreffenden Grundfreiheiten oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts der Anwendung der in der HOAI verbindlich geregelten Mindestsätze im Streitfall nicht entgegenstehen. Über die sich bereits aus dem Vorabentscheidungsersuchen vom 14. Mai 2020 (VII ZR 174/19) ergebenden Ausführungen hinaus sind keine Anknüpfungspunkte bezüglich der Vorschriften des Unionsrechts betreffend die Grundfreiheiten oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts festzustellen. Veranlassung für ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union besteht daher nicht.
Vorinstanzen:
LG Essen - Urteil vom 28. Dezember 2017 - 6 O 351/17
OLG Hamm - Teilverzichts- und Schlussurteil vom 23. Juli 2019 - 21 U 24/18 (BauR 2019, 1810)
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Bürgerliches Gesetzbuch
§ 242 Leistung nach Treu und Glauben
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (2013)
§ 1 Anwendungsbereich
Diese Verordnung regelt die Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der Architekten und Architektinnen und der Ingenieure und Ingenieurinnen (Auftragnehmer oder Auftragnehmerinnen) mit Sitz im Inland, soweit die Grundleistungen durch diese Verordnung erfasst und vom Inland aus erbracht werden.
§ 7 Honorarvereinbarung
(1) Das Honorar richtet sich nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im Rahmen der durch diese Verordnung festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen.
(2) …
(3) Die in dieser Verordnung festgesetzten Mindestsätze können durch schriftliche Vereinbarung in Ausnahmefällen unterschritten werden.
(4) …
(5) Sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart worden ist, wird unwiderleglich vermutet, dass die jeweiligen Mindestsätze gemäß Absatz 1 vereinbart sind.
(6) …
Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie)
Art. 15 Zu prüfende Anforderungen
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in Absatz 2 aufgeführten Anforderungen vorsehen, und stellen sicher, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Absatzes 3 erfüllen. Die Mitgliedstaaten ändern ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um sie diesen Bedingungen anzupassen.
(2) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von folgenden nicht diskriminierenden Anforderungen abhängig macht:
…
g) der Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer;
…
(3) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Absatz 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen:
a) Nicht-Diskriminierung: die Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder - bei Gesellschaften - aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen;
b) Erforderlichkeit: die Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;
c) Verhältnismäßigkeit: die Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.
(5-7) …
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
Art. 267
Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
a) über die Auslegung der Verträge,
b) …
Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.
Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet. …
EuGH
Urteil vom 24.03.2022 C-433/20
Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte Gesellschaft mbH
gegen
Strato AG
Der EuGH hat entschieden, dass für die Speicherung einer zu privaten Zwecken erstellten Kopie eines geschützten Werkes in einer Cloud die Ausnahme für Privatkopien gemäß Urheberrechtsrichtlinie anwendbar ist.
Die Pressemitteilung des EuGH: Auf die Speicherung einer zu privaten Zwecken erstellten Kopie eines geschützten Werkes in einer Cloud ist die sogenannte Ausnahme für „Privatkopien“ gemäß der Urheberrechtsrichtlinie anwendbar
Die Rechtsinhaber müssen einen gerechten Ausgleich erhalten, wobei hierfür nicht unbedingt der Cloud-Anbieter aufkommen muss Austro-Mechana ist eine Verwertungsgesellschaft für Urheberrechte, die u. a. die Nutzungsrechte und die aufgrund der Ausnahme für Privatkopien geschuldeten Vergütungsansprüche treuhändig wahrnimmt. Sie klagte beim Handelsgericht Wien (Österreich) gegen die Strato AG, die Dienstleistungen der Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing anbietet, auf Zahlung dieser Vergütung. Diese Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Strato AG keine Speichermedien an ihre Kunden abgebe, sondern für diese eine Dienstleistung der internetgestützten Speicherung erbringe.
Das mit dem Berufungsverfahren befasste Oberlandesgericht Wien möchte vom Gerichtshof wissen, ob die Speicherung von Inhalten im Rahmen des Cloud-Computing unter die Ausnahme für Privatkopien im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 fällt.
Der Gerichtshof stellt fest, dass die Ausnahme für Privatkopien anwendbar ist, wenn Werke auf einem Server in einen Speicherplatz kopiert werden, den der Anbieter von CloudComputing-Dienstleistungen einem Nutzer zur Verfügung stellt. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht verpflichtet, die Anbieter von Dienstleistungen der Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing zur Zahlung eines gerechten Ausgleichs im Sinne dieser Ausnahme heranzuziehen, sofern der zugunsten der Rechtsinhaber zu leistende gerechte Ausgleich anderweitig geregelt ist.
Würdigung durch den Gerichtshof
Erstens sieht die Richtlinie 2001/29 vor, dass die Ausnahme für Privatkopien in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern gilt . Der Gerichtshof befindet über die Anwendbarkeit dieser Ausnahme auf Kopien von Werken in einer Cloud.
Der Gerichtshof stellt zum Begriff „Vervielfältigung“ klar, dass die Erstellung einer Sicherungskopie von einem Werk auf einem Speicherplatz in einer Cloud eine Vervielfältigung dieses Stückes darstellt. Beim Hochladen (upload) eines Werkes in die Cloud wird eine Kopie desselben gespeichert.
Zum Ausdruck „auf beliebigen Trägern“ führt der Gerichtshof aus, dass dieser alle Träger umfasst, auf denen ein geschütztes Werk vervielfältigt werden kann, einschließlich der im Rahmen des Cloud-Computing verwendeten Server. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass der Server einem Dritten gehört. Folglich kann die Ausnahme für Privatkopien auch auf Vervielfältigungen Anwendung finden, die von einer natürlichen Person mit Hilfe einer Vorrichtung, die einem Dritten gehört, erstellt werden. Zudem besteht eines der Ziele der Richtlinie 2001/29 darin, sicherzustellen, dass der Urheberrechtsschutz in der Union im Zuge der technologischen Entwicklung nicht veraltet und obsolet wird. Dieses Ziel würde beeinträchtigt, wenn die Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf den Schutz des Urheberrechts dergestalt ausgelegt würden, dass eine Berücksichtigung der digitalen Medien und der Cloud-Computing-Dienstleistungen ausgeschlossen wäre.
Somit wird ein Server, auf dem der Anbieter einer Cloud-Computing-Dienstleistung einem Nutzer Speicherplatz zur Verfügung stellt, von dem Begriff „auf beliebigen Trägern“ erfasst.
Zweitens befindet der Gerichtshof darüber, ob die Anbieter von Dienstleistungen zur Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing zur Zahlung eines gerechten Ausgleichs verpflichtet sind, und stellt fest, dass eine solche Verpflichtung beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts unter das weite Ermessen fällt, über das der nationale Gesetzgeber bei der Festlegung der verschiedenen Elemente der Regelung des gerechten Ausgleichs verfügt.
Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie die für Privatkopien geltende Ausnahme umsetzen, eine Regelung des gerechten Ausgleichs vorsehen müssen, um die Rechtsinhaber zu entschädigen.
Was die Frage betrifft, wer den gerechten Ausgleich zu zahlen hat, ist es grundsätzlich die Person, die die Privatkopie erstellt, d. h. der Nutzer der Dienstleistungen zur Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing, der den Ausgleich zu finanzieren hat.
Bestehen jedoch praktische Schwierigkeiten bei der Identifizierung der Endnutzer, so können die Mitgliedstaaten eine Abgabe für Privatkopien einführen, die vom Hersteller oder Importeur der Server, mit deren Hilfe Privatpersonen Cloud-Computing-Dienstleistungen angeboten werden, zu zahlen ist. Diese Abgabe wird wirtschaftlich auf den Käufer solcher Server abgewälzt und letztlich vom privaten Nutzer getragen, der diese Vorrichtungen verwendet oder für den eine Vervielfältigungsleistung erbracht wird.
Bei der Festlegung der Abgabe für Privatkopien steht es den Mitgliedstaaten zwar frei, den Umstand zu berücksichtigen, dass bestimmte Geräte und Speichermedien im Rahmen des Cloud-Computing zum Erstellen von Privatkopien genutzt werden können. Doch haben sie sich zu vergewissern, dass die so gezahlte Abgabe, soweit im Rahmen dieses einheitlichen
Prozesses mehrere Geräte und Speichermedien von ihr betroffen sind, nicht über den sich für die Rechtsinhaber ergebenden etwaigen Schaden hinausgeht.
Somit steht die Richtlinie 2001/29 einer nationalen Regelung, wonach die Anbieter von Dienstleistungen der Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing keinen gerechten Ausgleich für Sicherungskopien leisten müssen, nicht entgegen, sofern diese Regelung anderweitig die Zahlung eines gerechten Ausgleichs vorsieht.
EuGH
Urteil vom 18.01.2022 C-261/20
Thelen Technopark Berlin gegen MN
Der EuGH hat entschieden, dass HOAI-Mindestsatzklagen trotz Verstoßes der HOAI-Mindestsätze gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie entschieden werden müssen.
Die Pressemitteilung des EuGH:
Obwohl der Gerichtshof bereits festgestellt hat, dass die deutsche Regelung, die Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt (HOAI), gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt, ist ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anhängig ist, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, diese deutsche Regelung unangewendet zu lassen.
Dies gilt jedoch unbeschadet zum einen der Möglichkeit dieses Gerichts, die Anwendung dieser Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen, und zum anderen der Möglichkeit der durch die Unvereinbarkeit dieser Regelung mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, gegebenenfalls Schadensersatz vom deutschen Staat zu verlangen.
2016 schlossen Thelen, eine Immobiliengesellschaft, und MN, ein Ingenieur, einen Ingenieurvertrag, in dessen Rahmen MN sich gegen die Zahlung eines Pauschalhonorars in Höhe von 55 025 Euro verpflichtete, bestimmte Leistungen nach der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure – HOAI) vom 10. Juli 2013 zu erbringen.
Ein Jahr später kündigte MN diesen Vertrag und rechnete seine erbrachten Leistungen in einer Honorarschlussrechnung ab. Unter Berufung auf eine Bestimmung der HOAI , nach der der Dienstleistungserbringer für die von ihm erbrachte Leistung Anspruch auf eine Vergütung hat, die mindestens dem im nationalen Recht festgesetzten Mindestsatz entspricht, und unter
Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlungen erhob MN Klage, um die Zahlung des geschuldeten Restbetrags in Höhe von 102 934,59 Euro geltend zu machen, d. h. eines höheren Betrags als des von den Vertragsparteien vereinbarten.
Thelen, die in erster und zweiter Instanz teilweise unterlegen war, legte beim Bundesgerichtshof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht in der vorliegenden Rechtssache, Revision ein. Im Rahmen seines Vorabentscheidungsersuchens weist dieses Gericht darauf hin, dass der Gerichtshof bereits die Unvereinbarkeit dieser Bestimmung der HOAI mit der Bestimmung der Richtlinie 2006/123 festgestellt habe, die es den Mitgliedstaaten im Wesentlichen verbiete, Anforderungen beizubehalten, die die Ausübung einer Tätigkeit von der Beachtung von Mindestund/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer abhängig machten, es sei denn diese Anforderungen erfüllten die kumulativen Bedingungen der Nicht-Diskriminierung, der
Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit . Das vorlegende Gericht beschloss daher, den Gerichtshof mit der Frage zu befassen, ob ein nationales Gericht bei der Beurteilung der Begründetheit der Klage eines Einzelnen gegen einen anderen Einzelnen die einer Richtlinie, hier der Dienstleistungsrichtlinie, widersprechende Bestimmung des nationalen Rechts, auf die die
Klage gestützt wird, unangewendet lassen muss. Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass eine mit der Dienstleistungsrichtlinie konforme Auslegung der HOAI im vorliegenden Fall nicht möglich sei.
Würdigung durch den Gerichtshof
Mit seinem Urteil erkennt der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen.
Zwar verpflichtet der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschiedenen Vorschriften der Europäischen Union volle Wirksamkeit zu verschaffen. Zudem verlangt dieser Grundsatz, dass das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, dann, wenn es eine nationale Regelung nicht unionsrechtskonform auslegen kann, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen des Unionsrechts Sorge zu tragen hat, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste.
Allerdings ist ein nationales Gericht nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, eine Bestimmung seines nationalen Rechts, die mit einer Bestimmung des Unionsrechts in Widerspruch steht, unangewendet zu lassen, wenn die letztgenannte Bestimmung keine unmittelbare Wirkung hat. Gleichwohl kann davon unbeschadet dieses Gericht sowie jede zuständige nationale Verwaltungsbehörde die Anwendung jeder Bestimmung des nationalen Rechts, die gegen eine Bestimmung des Unionsrechts ohne unmittelbare Wirkung verstößt, aufgrund des innerstaatlichen Rechts ausschließen.
Im vorliegenden Fall weist der Gerichtshof darauf hin, dass Art. 15 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie nach seiner eigenen Rechtsprechung eine unmittelbare Wirkung entfalten kann, da diese Bestimmung hinreichend genau, klar und unbedingt ist. Diese Bestimmung als solche wird jedoch im vorliegenden Fall in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeführt, um die
Anwendung einer gegen sie verstoßenden nationalen Regelung auszuschließen. Konkret würde die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie im Ausgangsrechtsstreit MN sein Recht nehmen, ein Honorar in der Höhe einzufordern, die dem in den fraglichen nationalen Vorschriften vorgesehenen Mindestsatz entspricht. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs schließt
jedoch aus, dass dieser Bestimmung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits zwischen Privaten eine solche Wirkung zuerkannt werden kann.
Der Gerichtshof führt weiter aus, dass nach Art. 260 Abs. 1 AEUV, wenn der Gerichtshof eine Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats feststellt, dieser Mitgliedstaat die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben, wobei die zuständigen nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden ihrerseits verpflichtet sind, alle Bestimmungen zu erlassen, um die volle Geltung des Unionsrechts zu erleichtern, und dabei erforderlichenfalls eine gegen das Unionsrecht
verstoßende nationale Bestimmung unangewendet zu lassen. Gleichwohl haben die Urteile, mit denen solche Verstöße festgestellt werden, vor allem die Festlegung der Aufgaben der Mitgliedstaaten im Fall der Verletzung ihrer Pflichten zum Gegenstand, und nicht die Verleihung von Rechten an Einzelne. Daher sind diese Gerichte oder Behörden nicht allein aufgrund solcher Urteile verpflichtet, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privaten eine nationale Regelung, die gegen die Bestimmung einer Richtlinie verstößt, unangewendet zu lassen.
Dagegen könnte sich die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigte Partei auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs berufen, um gegebenenfalls Ersatz eines durch diese Unvereinbarkeit entstandenen Schadens zu erlangen. Nach dieser Rechtsprechung muss jeder Mitgliedstaat sicherstellen, dass dem Einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch die Nichtbeachtung des Unionsrechts entstanden ist.
Der Gerichtshof hebt insoweit hervor, dass, nachdem er bereits festgestellt hat, dass die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist und ihre Beibehaltung daher eine Vertragsverletzung seitens der Bundesrepublik Deutschland darstellt, dieser Verstoß gegen das Unionsrecht als offenkundig qualifiziert im Sinne seiner Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung eines Mitgliedstaats wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht anzusehen ist.
Tenor der Entscheidung:
Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund dieses Rechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen, jedoch unbeschadet zum einen der Möglichkeit dieses Gerichts, die Anwendung der Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen, und zum anderen des Rechts der durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens zu verlangen.
Bei der nach § 32 Abs. 1 Satz 3 und § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG vorzunehmenden Prüfung, ob die zwischen einer Fotoagentur und einem freiberuflich tätigen Fotografen für die Einräumung von Nutzungs- und Verwertungsrechten an Bildern vereinbarte Vergütung angemessen ist, können die Gemeinsamen Vergütungsregelungen für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen (GVR Tageszeitungen) sowie der Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche freie Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen vom 24. November 2008 aufgrund einer hinreichend vergleichbaren Interessenlage als Indiz herangezogen werden, auch wenn ihr zeitlicher oder persönlicher Anwendungsbereich nicht eröffnet ist, sofern die Bildagentur im Rahmen des konkreten Vertragsverhältnisses schwerpunktmäßig nach Art einer ausgelagerten Bildredaktion einer Verlagsgruppe tätig wird. So verhält es sich, wenn die Fotoagentur in erster Linie Veröffentlichungen einer Verlagsgruppe mit den Beiträgen des Fotografen beliefert und der Fotograf ganz überwiegend auf konkreten Auftrag der Bildagentur tätig wird, bei dem ihm mitgeteilt wird, welche Redaktion die Bildberichterstattung in Auftrag gegeben hat und wo diese das Foto veröffentlichen wird.
BGH, Urteil vom 23. Juli 2020 - I ZR 114/19 - OLG Hamm - LG Bochum
EuGH
Urteil vom 18.09.2020 C-265/19
Recorded Artists Performers Limited / Attorney General u. a.
Der EuGH hat entschieden, dass die europäische Verwertungsgesellschaften Künstlern außerhalb des EWR die gleiche Vergütung wie Künstlern aus Mitgliedstaaten zahlen müssen.
Die Pressemitteilung des Gerichts:
Das Unionsrecht steht dem entgegen, dass ein Mitgliedstaat Künstler, die die Staatsangehörigkeit eines Staates besitzen, der nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gehört, vom Anspruch auf eine einzige angemessene
Vergütung für die Wiedergabe aufgenommener Musik ausschließt
Die Recorded Artists Actors Performers Ltd (RAAP) und die Phonographic Performance (Ireland) Ltd (PPI) sind Verwertungsgesellschaften. RAAP nimmt die Rechte von ausübenden Künstlern wahr, PPI die Rechte von Tonträgerherstellern. Die beiden Verwertungsgesellschaften haben einen Vertrag geschlossen, in dem geregelt ist, wie die Vergütung, die in Irland für die öffentliche Wiedergabe in Kneipen und an anderen öffentlich zugänglichen Orten oder für die Funksendung aufgenommener Musik zu zahlen ist, nachdem sie von den Nutzern an PPI gezahlt worden ist, auf den Tonträgerhersteller und die ausübenden Künstler aufzuteilen und hierzu teilweise von PPI an RAAP weiterzuleiten ist. Streitig ist, inwieweit der Vertrag auf an PPI gezahlte Vergütungen Anwendung findet, wenn der betreffende ausübende Künstler weder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats des Europäischen irtschaftsraums (EWR) besitzt noch sich in einem solchen Staat aufhält.
RAAP meint, die Vergütung müsse immer aufgeteilt werden, unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsort des ausübenden Künstlers. Folgte man dem Standpunkt von RAAP, würden ausübende Künstler aus Drittstaaten in Irland stets eine Vergütung erhalten. PPI meint, dies gehe nicht an, da irische ausübende Künstler in Drittstaaten keine angemessene Vergütung erhielten. PPI beruft sich insoweit auf das irische Recht.
In seinem Urteil vom 8. September 2020 entscheidet der Gerichtshof, dass die Richtlinie 2006/1151 bei der Nutzung von Tonträgern in der Union dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat von den Künstlern, die Anspruch auf die einzige angemessene Vergütung haben, die Künstler ausschließt, die die Staatsangehörigkeit eines Staates besitzen, der
nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gehört. Er entscheidet außerdem, dass von Drittstaaten gemäß dem Vertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) über Darbietungen und Tonträger (WPPT) notifizierte Vorbehalte als solche den Anspruch der Künstler der betreffenden Drittstaaten auf eine einzige angemessene Vergütung in der Union nicht einschränken.
Zwar können solche Einschränkungen unter der Voraussetzung, dass sie im Einklang mit dem durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) geschützten Recht des geistigen Eigentums stehen, vom Unionsgesetzgeber eingeführt werden. Die Richtlinie 2006/115 enthält aber keine solche Einschränkung und steht daher dem entgegen, dass ein Mitgliedstaat den Anspruch auf eine einzige angemessene Vergütung bei ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern, die die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzen, einschränkt. Der Gerichtshof entscheidet schließlich, dass die Richtlinie 2006/115 auch dem entgegensteht, dass nur der Tonträgerhersteller eine Vergütung erhält, ohne sie mit dem ausübenden Künstler, der einen Beitrag zu dem Tonträger erbracht hat, teilen zu müssen.
Zur Begründung seiner Entscheidung stellt der Gerichtshof als Erstes fest, dass der Anspruch auf eine einzige angemessene Vergütung im Unionsrecht die Anwendung des WPPT sicherstellt und vom nationalen Gesetzgeber nicht den Personen vorbehalten werden darf, die die Staatsangehörigkeit eines EWR-Mitgliedstaats besitzen.
Der Gerichtshof führt hierzu weiter aus, dass die Richtlinie 2006/115, die bei dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten ein Recht mit Entschädigungscharakter verleiht, die Verpflichtung vorsieht, eine Vergütung zu gewährleisten, die angemessen ist und auf den Tonträgerhersteller und den ausübenden Künstler aufgeteilt wird. Diese Verpflichtung kommt zum Tragen, wenn die Nutzung des Tonträgers oder eines Vervielfältigungsstücks in der Union erfolgt. Die Richtlinie 2006/115 verlangt aber nicht, dass der ausübende Künstler oder der Tonträgerhersteller die
Staatsangehörigkeit eines EWR-Staats besitzt oder dass er auf eine andere Weise einen Bezug zum EWR hat, etwa, weil er dort seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort hat oder die schöpferische oder künstlerische Arbeit dort ausgeführt worden ist.
Vielmehr gebieten der systematische Zusammenhang und die Ziele der Richtlinie 2006/115 sowie der Vorrang der von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte, die Richtlinie 2006/115 nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit dem WPPT auszulegen. Diese internationale Übereinkunft, die einen integrierenden Bestandteil der Unionsrechtsordnung bildet, verpflichtet die Union und ihre Mitgliedstaaten grundsätzlich dazu, den Anspruch auf eine einzige angemessene Vergütung auch den ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern zuzuerkennen, die die
Staatsangehörigkeit anderer Vertragsparteien des WPPT besitzen.
Als Zweites stellt der Gerichtshof fest, dass von Drittstaaten gemäß dem WPPT notifizierte Vorbehalte als solche in der Union bei den Personen, die die Staatsangehörigkeit der betreffenden Drittstaaten besitzen, nicht zu Einschränkungen des Anspruchs auf eine einzige angemessene Vergütung führen. Nach dem im Wiener Übereinkommen verbürgten Grundsatz der Gegenseitigkeit sind die Union und ihre Mitgliedstaaten zwar nicht verpflichtet, den Anspruch auf
eine einzige angemessene Vergütung unbeschränkt zuzuerkennen. Die Notwendigkeit, angemessene Bedingungen für die Teilnahme am Handel mit aufgezeichneten Tonträgern zu erhalten, kann durchaus eine Einschränkung des Anspruchs auf eine einzige angemessene Vergütung rechtfertigen.
Dieses dem Urheberrecht verwandte Schutzrecht stellt aber ein Recht des geistigen Eigentums dar, das durch die Charta geschützt ist. Folglich muss nach den Bestimmungen der Charta jede Einschränkung der Ausübung dieses Rechts gesetzlich klar und genau vorgesehen sein. Das bloße Bestehen eines Vorbehalts gemäß dem WPPT genügt insoweit nicht. Deshalb ist es allein Sache des Unionsgesetzgebers, der in diesem Bereich über die ausschließliche Außenkompetenz verfügt, über eine solche Einschränkung zu entscheiden.
Als Drittes stellt der Gerichtshof fest, dass sich bereits aus dem Wortlaut der Richtlinie 2006/115 ergibt, dass sowohl die ausübenden Künstler als auch die Tonträgerhersteller Anspruch auf eine einzige angemessene Vergütung haben, da diese auf sie „aufzuteilen“ ist. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115 steht daher dem entgegen, dass das Recht eines Mitgliedstaats den ausübenden Künstler von einer einzigen angemessenen Vergütung ausschließt.
Das BVerwG hat entschieden, dass eine Verwertungsgesellschaft Tarife über die Vergütung nur nach dem Umfang der von ihr wahrgenommenen Rechte festsetzen darf.
Die Pressemitteilung des Gerichts:
Tarife für die Nutzung von Urheberrechten nur auf Grundlage der wahrgenommenen Rechte
Eine Verwertungsgesellschaft, die Urheber- und Leistungsschutzrechte wahrnimmt, ist verpflichtet, Tarife über die Vergütung für die Nutzung dieser Rechte nach dem Umfang der von ihr wahrgenommenen Rechte festzusetzen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Die Klägerin ist eine Verwertungsgesellschaft, die für private Sendeunternehmen (TV und Hörfunk) Urheber- und Leistungsschutzrechte wahrnimmt. Für die Lizenzierung dieser Rechte an Nutzer erhält sie eine Vergütung, die sie an die Inhaber der Rechte verteilt. Die Höhe der Vergütung, welche die Klägerin von Nutzern erzielt, richtet sich nach von ihr festgesetzten Tarifen.
Am 12. April 2013 veröffentlichte die Klägerin im Bundesanzeiger einen Tarif für die Wiedergabe von Funksendungen, der für die öffentliche Wahrnehmbarmachung urheberrechtlich geschützter Werke in Funksendungen galt. Mit Bescheid vom 20. März 2015 stellte das Deutsche Patent- und Markenamt als Aufsichtsbehörde fest, dass dieser Tarif unangemessen sei, und gab der Klägerin unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, den Tarif zurückzunehmen. Den Widerspruch der Klägerin wies die Behörde zurück.
Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil teilweise geändert und die Klage gegen die Rücknahmeanordnung abgewiesen, weil die Klägerin den Umfang der von ihr wahrgenommenen Rechte nicht ausreichend ermittelt habe. Die Aufhebung der Feststellung, der Tarif sei unangemessen, hat es nicht beanstandet.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil im Ergebnis bestätigt. Die angefochtene Rücknahmeanordnung konnte auf § 19 Abs. 2 Satz 2 des hier noch anwendbaren Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes gestützt werden. Danach kann die Aufsichtsbehörde alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Verwertungsgesellschaft die ihr obliegenden Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllt. Dies schließt die Befugnis ein zu überprüfen, ob die von der Verwertungsgesellschaft veröffentlichten Tarife entsprechend den dafür geltenden Rechtsvorschriften aufgestellt wurden. Das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz verpflichtet die Verwertungsgesellschaft, aufgrund der von ihr wahrgenommenen Rechte angemessene Tarife festzusetzen. Die Gesellschaft ist deshalb verpflichtet, ihre Tarife nach dem Umfang der von ihr wahrgenommenen Rechte zu bemessen. Außerdem muss die Höhe des Tarifs im Verhältnis zum Umfang dieser Rechte angemessen sein. Der von der Klägerin festgesetzte Tarif erfüllt schon die erste Anforderung nicht. Die vorgelegten Unterlagen waren nicht geeignet zu belegen, dass sie über die dem Tarif zugrunde gelegten Rechte verfügte. Die von der Behörde weiterhin getroffene Feststellung, der von der Klägerin veröffentlichte Tarif sei unangemessen, ist dagegen rechtswidrig. Ein Missverhältnis der Höhe des Tarifs zum Umfang der wahrgenommenen Rechte lässt sich ohne Erkenntnisse zu diesem Umfang nicht feststellen.
BVerwG 8 C 7.19 - Urteil vom 17. Juni 2020
Vorinstanzen:
VGH München, 22 B 17.1219 - Urteil vom 25. Februar 2019 -
VG München, M 16 K 15.5333 - Urteil vom 25. Oktober 2016 -
Der Bundesgerichtshof hat heute ein Verfahren über die Vergütung eines Ingenieurs ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mehrere Fragen zu den Folgen der vom EuGH in seinem Urteil vom 4. Juli 2019 (C-377/17) angenommenen Unionsrechtswidrigkeit der Mindestsätze in der HOAI für laufende Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen vorgelegt.
Der EuGH hatte in diesem Urteil in einem von der Europäischen Kommission betriebenen Vertragsverletzungsverfahren entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g) und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie) verstoßen hat, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat.
Sachverhalt:
Der Kläger, der ein Ingenieurbüro betreibt, verlangt von der Beklagten die Zahlung restlicher Vergütung aufgrund eines im Jahre 2016 abgeschlossenen Ingenieurvertrages, in dem die Parteien für die vom Kläger zu erbringenden Ingenieurleistungen bei einem Bauvorhaben der Beklagten ein Pauschalhonorar in Höhe von 55.025 € vereinbart hatten.
Nachdem der Kläger den Ingenieurvertrag gekündigt hatte, rechnete er im Juli 2017 seine erbrachten Leistungen in einer Honorarschlussrechnung auf Grundlage der Mindestsätze der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) in der Fassung aus dem Jahr 2013 ab. Mit der Klage hat er eine noch offene Restforderung in Höhe von 102.934,59 € brutto geltend gemacht.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 100.108,34 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Beklagte zur Zahlung von 96.768,03 € verurteilt. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.
Das Oberlandesgericht hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe ein restlicher vertraglicher Zahlungsanspruch nach den Mindestsätzen der HOAI (2013) zu. Die im Ingenieurvertrag getroffene Pauschalpreisvereinbarung sei wegen Verstoßes gegen den Mindestpreischarakter der HOAI als zwingendes Preisrecht unwirksam. Das in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ergangene Urteil des EuGH ändere nichts an der Anwendbarkeit der maßgeblichen Bestimmungen der HOAI zum Mindestpreischarakter. Das Urteil binde nur den Mitgliedstaat, der den europarechtswidrigen Zustand beseitigen müsse, entfalte hingegen für den einzelnen Unionsbürger keine Rechtswirkung. Eine Nichtanwendung der Mindestsätze der HOAI in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen könne auch nicht auf die Dienstleistungsrichtlinie gestützt werden, der keine unmittelbare Wirkung zu Lasten einzelner Unionsbürger zukomme. Es bestehe kein Anwendungsvorrang der Dienstleistungsrichtlinie gegenüber den unionsrechtswidrigen Regelungen der HOAI. Eine richtlinienkonforme Auslegung des zwingenden Preisrechts gemäß § 7 HOAI sei ausgeschlossen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Architekten- und Ingenieurverträge zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV folgende Fragen vorgelegt:
Folgt aus dem Unionsrecht, dass Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g) und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen in der Weise unmittelbare Wirkung entfaltet, dass die dieser Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 HOAI, wonach die in dieser Honorarordnung statuierten Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen der Architekten und Ingenieure - abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen - verbindlich sind und eine die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung in Verträgen mit Architekten oder Ingenieuren unwirksam ist, nicht mehr anzuwenden sind?
Sofern Frage 1 verneint wird:
Liegt in der Regelung verbindlicher Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen von Architekten und Ingenieuren in § 7 HOAI durch die Bundesrepublik Deutschland ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV oder gegen sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts?
Sofern Frage 2 a) bejaht wird: Folgt aus einem solchen Verstoß, dass in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen die nationalen Regelungen über verbindliche Mindestsätze (hier: § 7 HOAI) nicht mehr anzuwenden sind?
Bei Anwendung der deutschen Regelungen in § 7 HOAI hätte die Revision der Beklagten keinen Erfolg, weil die Pauschalhonorarvereinbarung der Parteien unwirksam wäre und dem Kläger auf Grundlage der Mindestsätze der HOAI ein Anspruch auf Zahlung von 96.768,03 € zustünde.
§ 7 HOAI kann nicht unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 4. Juli 2019 (C-377/17) richtlinienkonform dahin ausgelegt werden, dass die Mindestsätze der HOAI im Verhältnis zwischen Privatpersonen grundsätzlich nicht mehr verbindlich sind und daher einer die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung nicht entgegenstehen. Die Auslegung des nationalen Rechts darf nicht dazu führen, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben oder der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt wird. Demgemäß kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nur in Frage, wenn eine Norm tatsächlich unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten im Rahmen dessen zulässt, was der gesetzgeberischen Zweck- und Zielsetzung entspricht. Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat mit den Regelungen in § 7 HOAI und der dieser Bestimmung zu Grunde liegenden Ermächtigungsgrundlage eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass eine unterhalb der verbindlichen Mindestsätze liegende Honorarvereinbarung für Architekten und Ingenieurgrundleistungen - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - unwirksam ist und sich die Höhe des Honorars in diesem Fall nach den Mindestsätzen bestimmt.
Die Entscheidung über die Revision hängt maßgeblich von der Beantwortung der dem EuGH vorgelegten ersten Frage zur unmittelbaren Wirkung von Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g) und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen ab. Angesichts zahlreicher gegenläufiger obergerichtlicher Entscheidungen sowie Meinungsäußerungen im Schrifttum, die ihre inhaltlich konträren Standpunkte jeweils aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ableiten, ist die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht von vornherein derart eindeutig ("acte claire") oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ("acte éclairé"), dass kein vernünftiger Zweifel verbleibt.
Der Bundesgerichtshof neigt dazu, keine unmittelbare Wirkung von Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g) und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie in der Weise anzunehmen, dass die dieser Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 HOAI in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen nicht mehr angewendet werden können. Zwar ist Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte - wie im Streitfall - anwendbar. Zudem ist in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass sich der Einzelne gegenüber dem Mitgliedstaat in bestimmten Fällen unmittelbar auf eine Richtlinie berufen kann, wenn diese nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt wurde und die Richtlinienbestimmung inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheint. Allerdings kann eine Richtlinie grundsätzlich nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist. Eine Richtlinie kann demgemäß grundsätzlich auch nicht in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeführt werden, um die Anwendung der Regelung eines Mitgliedstaats, die gegen die Richtlinie verstößt, auszuschließen.
Soweit der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung in bestimmten Ausnahmefällen - bei Unmöglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung - eine Nichtanwendung unionsrechtswidriger nationaler Vorschriften zwischen Privatpersonen bejaht hat, wird der Streitfall nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hiervon nicht erfasst.
Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage verneint wird, hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung der weiteren Vorlagefragen zu einem möglichen Verstoß der in der HOAI festgelegten Mindestsätze gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV oder gegen sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts sowie den Folgen eines solchen Verstoßes für ein laufendes Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen ab. Ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit kann nach Einschätzung des Bundesgerichtshofs nicht ausgeschlossen werden. Der EuGH hat diese Frage in seinem Urteil vom 4. Juli 2019 (C-377/17) ausdrücklich offengelassen.
In dem weiteren am heutigen Tag verhandelten Rechtsstreit, in dem die dortige Klägerin gegen die in diesem Verfahren Beklagten Honorarnachforderungen aus mehreren in den Jahren 2010 bis 2012 geschlossenen Verträgen über die Erbringung von Architekten- und Ingenieurleistungen im Zusammenhang mit der Konzeption und Errichtung einer Biogasanlage geltend gemacht hat (vgl. Pressemitteilung Nr. 10/2020 vom 22. Januar 2020), hat der Bundesgerichtshof die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt und die Revision der Klägerin zurückgewiesen. In diesem Verfahren kam es auf die zwischen den Parteien auch hier im Streit stehenden Rechtsfragen zu den Folgen der vom EuGH in seinem Urteil vom 4. Juli 2019 (C-377/17) angenommenen Unionsrechtswidrigkeit der Mindestsätze in der HOAI für laufende Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen nicht entscheidungserheblich an. Vielmehr war das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts bereits auf Grundlage der diese Entscheidung selbständig tragenden Erwägung, wonach eine Unwirksamkeit der Pauschalhonorarvereinbarungen wegen Mindestsatzunterschreitung gemäß § 7 Abs. 1 HOAI (2009) aufgrund des insoweit nicht schlüssigen Vortrags der Klägerin nicht festgestellt werden konnte, jedenfalls im Ergebnis zutreffend.
Diese Verordnung regelt die Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der Architekten und Architektinnen und der Ingenieure und Ingenieurinnen (Auftragnehmer oder Auftragnehmerinnen) mit Sitz im Inland, soweit die Grundleistungen durch diese Verordnung erfasst und vom Inland aus erbracht werden.
§ 7 Honorarvereinbarung
(1) Das Honorar richtet sich nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im Rahmen der durch diese Verordnung festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen.
(2) …
(3) Die in dieser Verordnung festgesetzten Mindestsätze können durch schriftliche Vereinbarung in Ausnahmefällen unterschritten werden.
(4) …
(5) Sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart worden ist, wird unwiderleglich vermutet, dass die jeweiligen Mindestsätze gemäß Absatz 1 vereinbart sind.
(6) …
Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie)
Art. 15 Zu prüfende Anforderungen
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in Absatz 2 aufgeführten Anforderungen vorsehen, und stellen sicher, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Absatzes 3 erfüllen. Die Mitgliedstaaten ändern ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um sie diesen Bedingungen anzupassen.
(2) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von folgenden nicht diskriminierenden Anforderungen abhängig macht:
…
g) der Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer;
…
(3) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Absatz 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen:
a) Nicht-Diskriminierung: die Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder - bei Gesellschaften - aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen;
b) Erforderlichkeit: die Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;
c) Verhältnismäßigkeit: die Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.
(5-7) …
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
Art. 267
Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
a) über die Auslegung der Verträge,
b) …
Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.
Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet. …
Art. 49
Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind.
Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.
"Der Entwurf führt ein Leistungsschutzrecht an Presseveröffentlichungen nach Maßgabe des Artikels 15 DSM-RL ein. Gleichzeitig werden die neuen gesetzlichen Erlaubnisse der Artikel 3 bis 7 DSM-RL umgesetzt, die künftig auch das neue Schutzrecht des Presseverlegers beschränken. Des Weiteren ordnet der Entwurf nach Maßgabe des Artikels 16 DSM-RL zugunsten von Verlegern einen gesetzlichen Beteiligungsanspruch an bestimmten Vergütungsansprüchen von Urhebern an.
Das Leistungsschutzrecht tritt am Tag nach Verkündung des Gesetzes – zunächst erneut als nationales Schutzrecht – in Kraft, die übrigen Bestimmungen nach Maßgabe des Artikels 26 Absatz 2 DSM-RL zum 7. Juni 2021.
Im Einzelnen:
– Die §§ 87f bis 87k des Urheberrechtsgesetzes in der Entwurfsfassung (UrhG-E) beinhalten das neue Leistungsschutzrecht des Presseverlegers. Die unionsrechtliche Bestimmung des Artikels 15 DSM-RL orientiert sich zwar strukturell am bislang bestehenden deutschen Schutzrecht, unterscheidet sich hiervon aber in etlichen Details, sodass es geboten war, die Bestimmungen neu zu fassen.
– Die gesetzlichen Erlaubnisse der Artikel 3 bis 7 DSM-RL sind ausdrücklich auch auf das Schutzrecht an Presseveröffentlichungen nach Artikel 15 DSM-RL anzuwenden. Deshalb setzt dieser Entwurf auch die unionsrechtlichen Erlaubnisse für das Text und Data Mining (§§ 44b, 60d UrhG-E), für den digitalen und grenzüberschreitenden Unterricht und die Lehre (§§ 60a, 60b UrhG-E) sowie für die Erhaltung des Kulturerbes (§§ 60e, 60f UrhG-E) um. Zugleich werden die §§ 60a bis 60h UrhG entfristet.
– Die Änderungen in § 63a UrhG-E sowie in den §§ 27 bis 27b des Verwertungsgesellschaftengesetzes in der Entwurfsfassung (VGG-E) regeln die Verlegerbeteiligung neu. § 63a Absatz 3 und 4 UrhG-E beinhaltet den neuen gesetzlichen Beteiligungsanspruch des Verlegers. Er setzt voraus, dass der Urheber dem Verleger ein Recht an dem verlegten Werk eingeräumt hat. Neben dem neuen gesetzlichen Beteiligungsanspruch bleibt die Option zur nachträglichen Verlegerbeteiligung nach § 27a VGG erhalten. Ihr Fortbestand dürfte insbesondere Musikverlegern dienen, die mangels Einräumung eines Rechts an dem verlegten Werk nicht auf Grundlage des gesetzlichen Anspruchs nach § 63a UrhG-E an gesetzlichen Vergütungen beteiligt werden können. Damit dem Urheber in jedem Fall ein fairer Anteil der Vergütung verbleibt, bestimmt § 27b VGGE, dass dem Urheber hiervon mindestens zwei Drittel zustehen.
– Artikel 3 des Entwurfs regelt, dass das Leistungsschutzrecht am Tag nach der Verkündung in Kraft tritt, die übrigen Bestimmungen hingegen zum 7. Juni 2021. Das gespaltene Inkrafttreten beruht auf Artikel 26 Absatz 2 DSM-RL, der aus Gründen des Vertrauensschutzes bestimmt, dass die Richtlinie Handlungen und Rechte, die vor dem 7. Juni 2021 abgeschlossen bzw. erworben wurden, nicht berührt. Dies hindert den deutschen Gesetzgeber allerdings nicht, ein Schutzrecht des Presseverlegers – zunächst als nationales Recht – zeitnah in Kraft zu setzen."
1. Eine formularmäßige Vergütungsvereinbarung, welche eine Mindestvergütung des
Rechtsanwalts in Höhe des Dreifachen der gesetzlichen Vergütung vorsieht, ist jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern wegen unangemessener Benachteiligung des Mandanten unwirksam, wenn das Mandat die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Mandanten betrifft und die Vergütungsvereinbarung zusätzlich eine Erhöhung des Gegenstandswertes um die Abfindung vorsieht.
2. Die formularmäßige Vereinbarung eines Zeithonorars, welche den Rechtsanwalt berechtigt, für angefangene 15 Minuten jeweils ein Viertel des Stundensatzes zu berechnen, benachteiligt den Mandanten jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
3. Sieht eine Vergütungsvereinbarung ein Zeithonorar für Sekretariatstätigkeiten vor
und eröffnet sie dem Rechtsanwalt die an keine Voraussetzungen gebundene Möglichkeit, statt des tatsächlichen Aufwandes pauschal 15 Minuten pro Stunde abgerechneter Anwaltstätigkeit abzurechnen, gilt insoweit die gesetzliche Vergütung als
vereinbart.
BGH, Urteil vom 13. Februar 2020 - IX ZR 140/19 - OLG München - LG München I
Das OLG Koblenz hat entschieden, dass ein Makler seinen Anspruch auf Vergütung verliert, wenn er seinen Kunden aus Nachlässigkeit in wesentlichen Punkten falsch informiert.
Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kein Geld für schlechte Arbeit - Makler verliert Anspruch auf Vergütung, wenn er seinen Kunden aus Nachlässigkeit in wesentlichen Punkten falsch informiert
Informiert der Makler einen Kaufinteressenten über Tatsachen, die für die Kaufentscheidung wesentlich sind, infolge einer unzureichenden Organisation der Abläufe in seinem Büro leichtfertig falsch, kann er seinen Anspruch auf Vergütung verlieren. Darauf hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss hingewiesen (Beschluss vom 2. Mai 2019, Az. 2 U 1482/18) und damit die Rechtsansicht im erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts Mainz bestätigt, das die Klage des Maklers auf Zahlung seines Lohns für den vermittelten Vertragsabschluss abgewiesen hatte.
Der Senat hat es als erwiesen angesehen, dass der auf Zahlung der Maklercourtage verklagte Käufer einer Eigentumswohnung im konkreten Fall gegenüber dem Makler Wert daraufgelegt hatte, nach Abstimmungsmodus und Zahl der Miteigentümer in der Wohnungseigentümerversammlung nicht überstimmt werden zu können. Zur Überzeugung des Senats hat der Kläger den Beklagten jedoch insoweit unter grob leichtfertiger Verletzung seiner Pflichten falsch informiert, indem er gegenüber dem Beklagten ins Blaue hinein behauptet habe, dass es nur einen weiteren Eigentümer gebe und die Abstimmung nach Kopfteilen erfolge. Auch habe der Kläger dem Beklagten wahrheitswidrig versichert, dass noch keine Teilungserklärung vorliege. Tatsächlich lag zum Zeitpunkt dieser Aussage die Teilungserklärung aber bereits dem Sohn des Klägers, mit dem dieser zusammenarbeitet, vor. Aus der Teilungserklärung ergab sich auch, dass - abweichend von den Angaben des Klägers - in der Wohnungseigentümerversammlung nach Eigentumsanteilen abgestimmt wird. Ferner verfügte der Sohn des Klägers auch über weitere Informationen zur Zahl der Miteigentümer, die sich tatsächlich auf zwei weitere Miteigentümer belief.
Der Senat hat betont, dass der Kläger verpflichtet war, die Abläufe in seinem Büro so zu organisieren, dass ein ordnungsgemäßer Informationsaustausch zwischen ihm und seinem Sohn sichergestellt und gewährleistet ist, dass die seinem Sohn vorliegenden Informationen auch ihm selbst vollständig vorliegen. Zudem müsse der Kläger sich hier vorwerfen lassen, dass er gegenüber dem Beklagten nicht offenlegte, dass er die Angaben machte, ohne selbst über die entsprechenden Informationen zu verfügen. Der Kläger habe sich durch diese Pflichtverletzungen grob fehlerhaft verhalten und daher seinen Maklerlohn verwirkt.
Auf den Hinweis des Senats hat der Kläger seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Mainz zurückgenommen.
EuGH
Urteil vom 04.07.2019 C-377/17
Europäische Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland
Der EuGH hat entschieden, dass die verbindlichen Honorare in der HOAI mit Mindest- und Höchstsätzen für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren unionsrechtswidrig sind.
Tenor der Entscheidung:
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt verstoßen, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat.
2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission.
3. Ungarn trägt seine eigenen Kosten.
Das KG Berlin hat entschieden, dass ein Vertrag über die Erstellung eines näher definierten Corporate Designs nebst Website und Video auch bei gestalterischer Leistung des Auftragnehmers als Werkvertrag einzuordnen ist,
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die Klägerin hat einen Zahlungsanspruch in Höhe von 29.551,57 € gegen die Beklagte aus § 631 Abs. 1 BGB.
aa)
Das streitgegenständliche einheitliche Vertragsverhältnis zwischen den Parteien auf Grundlage der Angebote 1 und 2 (Anlage K 1 und 2) durch die Beklagte unterliegt dem deutschen Recht (Art. 4 Abs. 1 b) der Verordnung (EG) Nr. 593/2008, im Folgenden: Rom I-VO). Diese Verordnung ist auf den Vertrag anzuwenden, da die Klägerin ihren Sitz in Deutschland, die Beklagte in Luxemburg hat. Da es sich bei dem Vertrag um einen Dienstleistungsvertrag handelt, unterliegt er mangels einer anderslautenden Vereinbarung dem Recht am Sitz des Dienstleisters, also der Klägerin, mithin dem deutschen Recht (Art. 4 Abs. 1 b) Rom I-VO).
bb)
Auf den Vertrag ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung anzuwenden, Art. 229 § 39 EGBGB.
cc)
Es handelt sich bei ihm um einen Werkvertrag, da bei der Leistung der Klägerin die Erreichung bestimmter Erfolge - insbesondere die Erstellung eines näher definierten Corporate Designs, von Logos, Flyern, einer Webseite und einem Video - im Vordergrund stehen.
dd)
Der aus dem Werkvertrag resultierende Vergütungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist fällig (§ 641 Abs. 1 S 1 BGB). Zwar hat die Beklagte die Werkleistung der Klägerin nicht abgenommen, sie ist aber vertragsgemäß, sodass sich die Beklagte auf die fehlende Abnahme nicht berufen kann.
Es kommt in diesem Zusammenhang nur noch auf die Beurteilung des Imagevideos an, die Abnahmereife der übrigen Leistungen der Klägerin ist unstreitig. Hinsichtlich des Videos folgt die Abnahmereife bereits aus dem unstreitigen Parteivorbringen. Somit kommt es nicht auf die Beweiswürdigung des Landgerichts oder die Frage an, ob das Landgericht die Präklusionsvorschriften in zutreffender Form gegen die Beklagte angewendet hat.
Dies ergibt sich aus den folgenden Überlegungen:
(1)
Die Leistung eines Werkunternehmers kann entscheidend durch die Gestaltung des Werks geprägt sein, etwa wenn eine Architektur, ein Design oder eine ähnliche künstlerische Leistung zum Auftrag des Unternehmers gehört.
(a)
Bei einem solchen gestalterischen Werk ist das genaue Leistungssoll bei Vertragsschluss oftmals noch in vielen Punkten unbestimmt. Dem Besteller kommt es gerade auf die Ideen und ihre Umsetzung durch den Unternehmer an. Bei Vertragsschluss hat dieser Gestaltungsprozess häufig noch gar nicht begonnen oder ist - im Falle von vorhergehenden sog. Akquiseleistungen - jedenfalls noch nicht abgeschlossen.
Diese Unbestimmtheit des Leistungssolls ist das Charakteristikum eines Werkvertrags über eine gestalterische Werkleistung und steht der Annahme eines wirksamen Vertrages grundsätzlich nicht entgegen. Vielmehr ist im Regelfall anzunehmen, dass eine Vertragspartei berechtigt ist, das Leistungssoll im Verlauf der Vertragsdurchführung durch die Ausübung eines Leistungsbestimmungsrechts zu konkretisieren (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 23. April 2015, VII ZR 131/13, BGHZ 205, 107).
In welcher Form dies zu geschehen hat, richtet sich nach dem Vertrag. Enthält dieser keine ausdrückliche Regelungen, ist das von den Parteien Gewollte durch Auslegung zu ermitteln (BGH, Urteil vom 23. April 2015, VII ZR 131/13, BGHZ 205, 107, Rz. 39). Dabei sind vor allem die Interessen der Parteien, soweit sie für die jeweilige Gegenseite erkennbar sind, und die erkennbaren Ziele bedeutsam, die der Besteller mit der beauftragten Werkleistung verfolgt. Anhand der vertraglichen Vereinbarung ist dabei insbesondere zu klären, in welchen Punkten die Leistung des Unternehmers bestimmungsbedürftig ist und welcher Partei die Ausübung des Bestimmungsrechts zufällt. Dabei kann sich ergeben, dass die Leistungen des Unternehmers gemäß dem Fortschritt seiner Arbeit mehrfach und schrittweise zu konkretisieren ist.
(b)
Hinsichtlich der Auswahl der bestimmungsberechtigten Vertragspartei gilt: Aus dem Umstand, dass der Besteller ein gestalterisches oder sogar künstlerisches Werk in Auftrag gegeben hat, kann sich im Einzelfall ein Gestaltungsspielraum für den Unternehmer ergeben (vgl. OLG Köln, Urteil vom 14. November 2018, 11 U 71/18). Zugleich verfolgt der Besteller mit der beauftragten Werkleistung aber bestimmte Ziele, sodass er grundsätzlich berechtigt sein muss, dem Unternehmer bei der Konkretisierung des Werkerfolgs Vorgaben zu machen, je nachdem, wie aus seiner Sicht diese Ziele am besten erreicht werden können.
(c)
Wenn und soweit die Vertragsauslegung ergibt, dass dem Besteller ein Leistungsbestimmungsrecht zufällt, so stellt die Ausübung dieses Rechts durch den Besteller seine Mitwirkungsobliegenheit dar (vgl. Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 21).
(d)
Generell kann die berechtigte Partei ihr Leistungsbestimmungsrecht ausdrücklich oder konkludent ausüben, wobei eine konkludente Ausübung aber nur dann anzunehmen ist, wenn das Verhalten der Vertragspartei aus Sicht eines objektiven Beobachters entsprechend auszulegen ist.
(e)
Hat eine Vertragspartei ein ihr zufallendes Leistungsbestimmungsrecht ausgeübt, wird das Leistungssoll des Werkvertrags hierdurch konkretisiert. In dem nunmehr bestimmten Punkt ist das Werk des Unternehmers folglich vertragsgerecht, wenn es sich an die Vorgaben der ausgeübten Leistungsbestimmung hält. Deshalb darf der Besteller die Abnahme einer Werkleistung, die die wirksam ausgeübte Leistungsbestimmung umsetzt, nicht aus diesem Grund ablehnen. Das gilt auch dann, wenn sich die Leistungsbestimmung noch nicht auf einen abnahmefähigen Teil der Werkleistung, sondern auf eine Vor- oder Zwischenstufe bezieht, also lediglich eine Weichenstellung oder Vorfestlegung für die nachfolgenden Schritte des Werkprozesses darstellt.
(2)
Aus diesen Grundsätzen folgt für den vorliegenden Fall:
(a)
Die Entscheidung über den konkreten Inhalt des von der Klägerin herzustellenden Videos, also insbesondere das Bildmaterial sowie die Dauer und Zusammenstellung der einzelnen Videosequenzen, unterlag der Bestimmung durch die Beklagte. Die Beklagte verfolgte mit dem Video eigene Werbezwecke; dies war der Grund für die Beauftragung der Klägerin. Deshalb muss grundsätzlich auch die Beklagte entscheiden dürfen, welche (visuellen) Informationen und Eindrücke dem Zuschauer vermittelt werden sollen. Daher oblag es zum Beispiel der Entscheidung der Klägerin, welche Yachten in welcher Perspektive gezeigt werden, ob und welche Innenaufnahmen eingeblendet werden, ob in einer bestimmten Einstellung Models auftreten usf.
Zugleich sah der Vertrag vor, dass das für das Video erforderliche Film- und Bildmaterial bei einem einzigen Drehtermin (“Shooting”) von zwei Tagen Dauer auf Mallorca erstellt wird (vgl. das Angebot 2, Anlage K 2). Die Beschränkung auf einen einzigen Termin für die “Materialsammlung” ist auch angemessen, da hierfür ein aus ca. zehn Personen bestehendes Team nach Mallorca reisen muss, während es um ein Video von nur wenigen Minuten Dauer ging. Mit dem Ende dieses Shootings war das Video noch nicht abgeschlossen, da das Bildmaterial noch geschnitten und nachbearbeitet werden musste.
(b)
Aus diesem übereinstimmend geplanten Ablauf folgt: Wenn die Beklagte berechtigt war vorzugeben, welche Videosequenzen gedreht und für das Video verwendet werden sollen, dann musste sie dies auf eine Weise tun, die es der Klägerin erlaubt, die Dreharbeiten im Rahmen des vorgesehenen einzigen Termins auf Mallorca abzuschließen.
Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte durchgängig die Möglichkeit, mit mindestens einem Vertreter - ihrer Geschäftsführerin M... bzw. Herrn F... - bei den Dreharbeiten zugegen zu sein. Die Klägerin durfte deshalb erwarten, dass die Beklagte durch diese Personen ihr Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der zu filmenden Videosequenzen bis zum Abschluss des Drehtermins ausübt. Damit oblag es der Beklagten, bestimmte Wünsche für das Videomaterial zeitlich so mitzuteilen, dass die Klägerin ihnen bis zum Ende des Termins nachkommen konnte. Wenn die Dreharbeiten in Anwesenheit von Vertretern der Beklagten zu Ende gehen, ohne dass noch bestimmte von ihnen geäußerte Aufnahmewünsche offen waren, durfte die Klägerin folglich davon ausgehen, die Sammlung des Filmmaterials im Sinne der Beklagten abgeschlossen zu haben. Die Beklagte hat dann ihr Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der Materialsammlung wenn nicht durch ausdrückliche Billigung, dann zumindest konkludent in diesem Sinne ausgeübt.
(c)
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es ist unerheblich, ob Herr F... oder die Geschäftsführerin der Beklagten im Verlauf des Drehs angeblich Zweifel an den Aufnahmen und der Kameraeinstellung geäußert haben (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 6. Juni 2018). Maßgeblich ist, dass sie zum Abschluss der Dreharbeiten unstreitig keine Einwände gegen die Sichtweise der Klägerin vorbrachten, das Videomaterial nunmehr vollständig “im Kasten” zu haben, und keine weiteren Bilder mehr einforderten, die aus ihrer Sicht noch fehlten. Dazu hätte für die Beklagte umso mehr Anlass bestanden, als die Klägerin ihr sogar eine Shotliste übergeben hatte, aus der die geplanten Aufnahmen im Einzelnen ersichtlich waren und die sodann auch umgesetzt worden ist. Zudem war es offenbar die Klägerin, die darauf drängte, die Dreharbeiten nicht zu früh abzubrechen, wie sich aus ihrer Mail vom 9. Dezember 2015 ergibt, die von der Beklagten selbst vorgelegt wird (Anlage B 2). Damit durfte die Klägerin zu Recht davon ausgehen, dass die Beklagte das am Ende des Drehs zusammengetragene Videomaterial als ausreichende Grundlage für den noch fertigzustellenden Film ansieht.
(d)
Durch diese Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts hat die Beklagte die Werkleistung der Klägerin keineswegs insgesamt abgenommen. Sie hat lediglich eine Vor- oder Zwischenstufe des Werks als vertragsgemäß gebilligt, wobei die Wirkung der Leistungsbestimmung hier zugleich auch im Sinne einer Zwischenabnahme verstanden werden kann (orientiert man sich an der Terminologie in §§ 300 ff ZPO ist die Rede von “Zwischenstufe” und “Zwischen”abnahme hier treffender als die von “Teilleistung” und “Teil”abnahme).
Durch diese Ausübung des sich auf die Zwischenstufe “Materialsammlung” beziehenden Leistungsbestimmungsrechts ist die Werkleistung der Klägerin - das fertiggestellte Video - keineswegs bereits insgesamt abgenommen. Vielmehr war die Beklagte auch nach Abschluss der Dreharbeiten berechtigt, im Sinne eines Leistungsbestimmungsrechts auf der nächsten Produktionsstufe Einfluss auf dieses Endergebnis zu nehmen. Wenn es für die Beklagte zum Beispiel von Bedeutung gewesen wäre, dass das Video umfangreiche und detaillierte Aufnahmen der Kabinen zeigt, dann setzt dies zunächst voraus, dass sie dies der Klägerin im Zuge des Termins auf Mallorca mitteilt, damit entsprechende Sequenzen gedreht werden. Wenn die Klägerin diese Bilder im fertigen Video nicht im gewünschten Umfang oder nicht an der gewünschten Stelle oder vielleicht mit einer nicht als passend empfundenen musikalischen Untermalung verwertet hätte, dann wäre die Beklagte weiterhin berechtigt gewesen, hier auf Abhilfe zu dringen und die Abnahme zu verweigern. Durch die abschließende Ausübung ihres Leistungsbestimmungsrechts auf der Vorstufe der Materialsammlung hat sie diese Befugnis auf der folgenden Stufe der Materialverarbeitung nicht verloren. Dass insoweit ein nicht zur Disposition der Beklagten stehender künstlerischer Gestaltungsspielraum der Klägerin betroffen wäre (vgl. hierzu OLG Köln, Urteil vom 14. November 2018, 11 U 71/18), ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
(e)
Daneben ist es grundsätzlich denkbar, dass der Besteller die Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechts auf einer Vorstufe des Werkprozesses später wieder revidiert. Im vorliegenden Fall könnte dies zum Beispiel bedeuten, dass die Beklagte nach Abschluss des Shootings auf Mallorca und (konkludenter) Billigung des gedrehten Materials als ausreichend, nachträglich doch noch weitere Aufnahmen gewünscht hätte, die andere Motive zeigen, etwa andere Boote oder nur die Boote ohne Models etc. Da das Leistungssoll des Vertrags dann aber bereits im Sinne der getroffenen Bestimmung fixiert ist, kann der Besteller dies nur dann wieder ändern, wenn ihm entweder nach dem Vertrag ein entsprechendes einseitiges Leistungsänderungsrecht eingeräumt ist oder sich der Unternehmer hierauf einlässt, wozu dieser oftmals nur gegen Zahlung einer zusätzlichen Vergütung bereit ist. Handelt es sich bei dem gestalterischen Werkvertrag um einen Architektenvertrag, der der HOAI unterfällt, kann es auf diese Weise zu wiederholten oder geänderten Grundleistungen kommen (vgl. § 10 HOAI).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ihre Leistungsbestimmung, wonach das im Oktober 2015 auf Mallorca erstellte Videomaterial ausreichend ist, nicht nachträglich revidiert. Einseitig war sie hierzu nicht berechtigt, weil ihr weder durch Gesetz (§§ 631 ff BGB) noch durch den Vertrag mit der Klägerin ein entsprechendes Leistungsänderungsrecht eingeräumt worden ist. Eine einvernehmliche Einigung über einen weiteren Drehtermin auf Mallorca haben die Parteien nicht erzielt, denn die Klägerin war hierzu nur gegen zusätzliche Vergütung bereit, während die Beklagte dies als kostenneutrale “Nachbesserung” gefordert hat (vgl. die Mails zwischen den Parteien im Dezember 2015, Anlage B 1 und 2)."
Das OLG Köln hat entschieden, dass der Auftraggeber ein von ihm bestellten Videoclip des Comedian Jörg Knör auch bei Nichtgefallen bezahlen muss. Kunstfreiheit gewährleistet künstlerische Gestaltungsfreiheit.
Die Pressemitteilung des Gerichts:
Oberlandesgericht Köln: Bestellte Kunst - "VIP-Clip" des Comedian Jörg Knör muss bezahlt werden
Wer ein Kunstwerk bestellt, muss es grundsätzlich auch dann bezahlen, wenn es ihm nicht gefällt. Mit Urteil vom 14.11.2018 hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln den Streit um die Bezahlung eines Videoclips des Comedian Jörg Knör entschieden. Eine Kölner Firma hatte den Clip für ihre Jubiläumsfeier bestellt. In dem Video sollten Prominente wie Angela Merkel und Barak Obama vorkommen, welche in der Tonspur von dem Künstler parodiert werden. In einem Briefing machte das Unternehmen u.a. Vorgaben zu den gewünschten Prominenten sowie zur Reihenfolge ihres Erscheinens. Als die Firma rund zwei Wochen vor der Jubiläumsfeier das Video erhielt, teilte sie mit, dass der Clip nicht den Vorgaben entspreche und außerdem nicht gefalle. Sie verweigerte die Zahlung.
Das Landgericht Köln hatte die Klage der Künstleragentur abgewiesen, weil das Video in einigen Punkten nicht den Vorgaben im Briefing entsprochen habe. Auf die Berufung der Künstleragentur verurteilte der 11. Zivilsenat die Firma zur Zahlung des vereinbarten Preises.
Der Senat, der das Video in der mündlichen Verhandlung angesehen hatte, führte aus, dass die Firma mit dem "VIP-Clip" eine schöpferische Leistung bestellt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei bei künstlerischen Werken ein Gestaltungsspielraum des Künstlers hinzunehmen. Der bloße Geschmack des Bestellers führe nicht zur Annahme eines Mangels. Zwar könne der Besteller dem Künstler in Form eines Briefings konkrete Vorgaben zur Gestaltung des Kunstwerkes machen. Allerdings ergebe sich aus der im Grundgesetz garantierten Kunstfreiheit, dass die künstlerische Gestaltungsfreiheit der Regelfall, die vertragliche Einschränkung derselben die Ausnahme sei. Die Beweislast für die Vereinbarung von Vorgaben, die die schöpferische Freiheit einschränken, liege daher bei dem Besteller.
Bestimmte Vorgaben, etwa hinsichtlich der Gestaltung der Übergänge zwischen den in dem Video vorkommenden Prominenten, habe die Firma nicht beweisen können. Andere Abweichungen lägen zwar vor, insbesondere sei der Clip länger als vereinbart gewesen und die gewünschte Reihenfolge der Prominenten sei nicht in allen Punkten eingehalten worden. Diesbezüglich hätte die Firma aber rechtzeitig konkret mitteilen müssen, wie das Video zu ändern sei. Da die von der Firma behaupteten Vorgaben zwischen den Parteien nicht schriftlich festgehalten worden waren, sei es dem grundsätzlich zur Änderung bereiten Künstler nicht zumutbar gewesen, ohne Mithilfe des Bestellers das Video zu kürzen. Konkrete Änderungswünsche seien aber zunächst überhaupt nicht und später mit einer zu kurz bemessenen Frist geäußert worden. Nach dem Firmenjubiläum seien Änderungen nicht mehr möglich gewesen. Da das Video zum Firmenjubiläum gezeigt werden sollte und nach dem Vertrag auch nur auf dieser Veranstaltung gezeigt werden durfte, liege ein sogenanntes "absolutes Fixgeschäft" vor.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.
Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 14.11.2018 - Az. 11 U 71/18 -