Skip to content

ArbG Oldenburg: 10.000 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO für ehemaligen Arbeitnehmer wegen unterbliebener Auskunftserteilung gemäß Art. 15 DSGVO durch Arbeitgeber

ArbG Oldenburg
Urteil 09.02.2023
3 Ca 150/21


Das Arbeitsgericht Oldenburg hat einem ehemaligen Arbeitnehmer 10.000 EURO immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen unterbliebener Auskunftserteilung gemäß Art. 15 DSGVO durch den Arbeitgeber zugesprochen. Die Auskunftserteilung war über 20 Monate nicht erfolgt und das Gericht hielt 500 EURO pro Monat für angemessen. Das Gericht ist der Ansicht, dass Art. 82 DSGVO abschrecken und generalpräventiv wirken soll.


OLG Hamm: 100 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO für versehentliche Weiterleitung personenbezogener Daten per E-Mail-Verteiler an 1200 Personen durch Impfzentrum

OLG Hamm
Urteil vom 20.01.2023
11 U 88/22


Das OLG Hamm hat entschieden, dass 100 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO für die versehentliche Weiterleitung personenbezogener Daten per E-Mail-Verteiler an 1200 Personen durch ein Impfzentrum angemessen ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Soweit das Landgericht den dem Kläger zum Ausgleich des ihm entstandenen immateriellen Schadens zustehenden Betrag mit 100,00 Euro bemessen hat, ist hiergegen aus Sicht des Senats nichts zu erinnern.

Ausgehend von dem bereits dargestellten Schadensbegriff gelten bei der Bemessung der Schadenshöhe die im Rahmen von § 253 BGB entwickelten Grundsätze; der Schaden ist nach § 287 ZPO zu schätzen (OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2022 – 5 U 2141/21, juris Rn. 81). Hierbei ist der Erwägungsgrund 146 S. 3 und 6 zur DS-GVO zu berücksichtigen, wonach der Begriff des Schadens auf eine Art und Weise auszulegen ist, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht und die betroffene Person einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten sollen. Ergänzend können auch in Art. 83 Abs. 2 DS-GVO genannte Kriterien herangezogen werden, obwohl diese Vorschrift nicht die Geltendmachung individueller Entschädigungsansprüche sondern die Verhängung von Geldbußen betrifft; dies gilt insbesondere für Art, Schwere und Dauer des Verstoßes unter Berücksichtigung von Art, Umfang oder Zweck der betreffenden Verarbeitung, den Grad des Verschuldens, Maßnahmen zur Minderung des entstandenen Schadens, frühere Verstöße sowie die Kategorie der betroffenen personenbezogenen Daten (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021 – 16 U 275/20, juris Rn. 55 f.; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.04.2022 – 3 U 21/20, juris Rn. 56; Quaas, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 31).

aa) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die in der Excel-Datei enthaltenen personenbezogenen Daten des Klägers, nämlich vollständiger Name, Anschrift, Geburtsdatum, Telefonnummer und E-Mail-Adresse sowie der für die Impfung vorgesehene Impfstoff und das Datum der Impfung sowie Angaben zur Anzahl der Impfungen in ihrer Gesamtheit ein Datenbündel darstellen, welches problemlos die Identifizierung des Klägers ermöglicht. Auch sind hier nicht lediglich personenbezogene Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO betroffen, sondern auch Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 4 Nr. 15 DS-GVO, welche grundsätzlich besonders sensibel sind, wie auch Art. 9 DS-GVO deutlich macht.

Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass die Excel-Datei an eine Vielzahl von Personen übersandt wurde. Insoweit hat die Beklagte im Senatstermin klargestellt, dass der Versand an insgesamt 1.200 Personen erfolgte, wobei allerdings ein unmittelbar nach dem Versand erfolgter Rückruf der E-Mail in 500 Fällen Erfolg hatte. Damit haben 700 Personen die Datei erhalten und konnten deren Inhalt auch zur Kenntnis nehmen, da die Datei nicht vor einem einfachen Zugriff geschützt war. Auch ist zu berücksichtigen, dass dieser Versand und damit die Offenbarung der Daten nicht mehr rückgängig zu machen ist. Denn der Kläger hatte bzw. hat keine Möglichkeit, eine etwaige Weitergabe der Daten effektiv zu verhindern oder auch nur zu kontrollieren. Trotz des von der Beklagten unternommenen Versuches, die Empfänger der E-Mail zur Löschung der Datei zu veranlassen, kann eine Weitergabe dieser Dateien an Dritte nicht ausgeschlossen werden.

Damit besteht für den Kläger das Risiko des Erhalts unerwünschter Werbung insbesondere per E-Mail oder von Phishing-E-Mails mit dem Ziel, auf diese Art weitere Informationen vom Kläger zu erlangen. Auch die Möglichkeit eines Identitätsdiebstahls ist ebenso in Betracht zu ziehen wie die Auslösung kostenpflichtiger Bestellungen durch Dritte unter Verwendung der personenbezogenen Daten des Klägers.

Es ist aber auch zu beachten, dass es sich bei den offenbarten personenbezogenen Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO lediglich um solche Daten handelt, welche der Sozialsphäre des Klägers zuzuordnen sind. Die Sozialsphäre betrifft den Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht, also insbesondere das berufliche und politische Wirken des Individuums. Demgegenüber umfasst die Privatsphäre sowohl in räumlicher als auch in thematischer Hinsicht den Bereich, zu dem andere grundsätzlich nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird. Dies betrifft in thematischer Hinsicht Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als „privat“ eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöst (BGH, Urteil vom 20.12.2011 – VI ZR 261/10, juris Rn. 16). Nach dieser Maßgabe sind jedenfalls die personenbezogenen Daten des Klägers, die zur Beschreibung seiner Person dienen, der Sozialsphäre zuzuordnen. Demgegenüber waren von dem Verstoß nicht besonders sensible Daten wie etwa Bank- oder Steuerdaten, Zugangsdaten und Kennwörter oder ähnliche Daten betroffen. Soweit Gesundheitsdaten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 15 DS-GVO offenbart wurden, sind diese zwar der Privatsphäre zuzurechnen. Allerdings darf hier nicht außer Acht gelassen werden, dass insbesondere im Hinblick auf den weiten Begriff der Gesundheitsdaten auch hier deren konkreter Inhalt zu berücksichtigen ist. Aus den offenbarten Daten lässt sich allenfalls das Fehlen einer Kontraindikation in der Person des Klägers bezüglich einer zweiten Impfung nach erfolgter Erstimpfung ableiten, nicht aber konkrete Schlüsse auf eine Erkrankung des Klägers oder eine besondere gesundheitliche Disposition. Damit stellt sich die Offenbarung der Gesundheitsdaten hier als weit weniger schwerwiegend dar, als dies etwa bei der Offenbarung spezifischer Gesundheitsdaten wie eines medizinischen Befundes oder einer ärztlichen Diagnose der Fall wäre.

Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass der vom Kläger beanstandete Versand der die personenbezogenen Daten des Klägers enthaltenden Datei von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt bezweckt war. Denn im Zuge des Betriebs des Impfzentrums benötigte die Beklagte die Datei einmalig für kurze Zeit zum Zwecke der Organisation des Impfzentrums, namentlich um die von der Änderung der Öffnungszeiten betroffenen Personen hierüber zu informieren. Der Versand der Datei beruhte auf einem Versäumnis der handelnden Mitarbeiter im Zug des Versands der E-Mail an die von der Änderung der Öffnungszeiten betroffenen Personen, war aber zu keinem Zeitpunkt intendiert.

Auch ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte mit dem Betrieb des Impfzentrums und den damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen hat und insbesondere nicht mit der Absicht handelte, hierbei in irgendeiner Weise Gewinne zu erzielen. Auch der Versand der E-Mail vom 00.00.2021 stand in keinerlei Zusammenhang mit einer gewinnorientierten Tätigkeit.

Ferner ist der geringe Grad des Verschuldens auf Seiten der Beklagten zu berücksichtigen. Insoweit geht der Senat lediglich von einem fahrlässigen Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten aus, welche die E-Mail abgesandt haben. Soweit der Kläger hier von einem vorsätzlichen Verstoß ausgeht, hat er schon nicht dargelegt, welche Umstände die Annahme von Vorsatz rechtfertigen sollten. Auch soweit der Kläger meint, es greife insoweit ein Beweis des ersten Anscheins ein, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Beweiswürdigungsregel des Anscheinsbeweises ist nur bei regelmäßigen (typischen) Geschehensabläufen anwendbar, die nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweisen (vgl. Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 4. Auflage 2019, Kap. 17 Rn. 10). Es ist schon nicht erkennbar, welcher typischen Geschehensablauf hier aufgrund von Erfahrungssätzen den Schluss auf ein vorsätzliches Verhalten erlauben soll. Allein der Versand einer E-Mail mit einem zuvor nicht entfernten Anhang kann zur Überzeugung des Senats jedenfalls nicht die Annahme rechtfertigen, die Übersendung der angehängten Datei sei vorsätzlich erfolgt. Im Hinblick auf die Darstellung der Beklagten von den Abläufen, die zum Versand der E-Mail nebst angehängter Excel-Datei geführt haben und die der Kläger auch im Senatstermin nicht in Abrede gestellt hat, ist die Annahme vorsätzlichen Verhaltens fernliegend. Vielmehr ist davon auszugehen, dass den betroffenen Mitarbeitern der Beklagten und damit auch der Beklagten allenfalls Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass nicht ersichtlich ist, dass es bereits vor dem streitgegenständlichen Vorfall zu einem vergleichbaren Verstoß gekommen ist und sich dieser anlässlich des Versands der E-Mail vom 00.00.2021 wiederholt hätte.

Schließlich zu berücksichtigen, dass die Beklagte alles in ihrer Macht Stehende unternommen hat, um den infolge des Verstoßes aufgetretenen Schaden gering zu halten. So wurde unmittelbar nach dem Versand der Mail der Versuch des Rückrufs der E-Mail unternommen, was bei insgesamt 500 Adressaten auch erfolgreich war. Ferner hat die Beklagte auch die Empfänger der E-Mail aufgerufen, die Daten zu löschen. Darüber hinaus hat die Beklagte den Kläger – sowie alle anderen Betroffenen – bereits kurz nach dem Verstoß mit Schreiben vom 05.08.2021 über diesen und über die offenbarten Daten informiert. Nachdem die Beklagte zudem Kenntnis davon erlangt hatte, dass sich eine Europäische Zentrale für Verbraucherschutz per E-Mail an den Kläger und andere Betroffene gewandt hatte, kam es nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten auf deren Betreiben auch zu einem Abschalten der Internetseite Webseite01.

Darüber hinaus hat die Beklagte sich mit Schreiben vom 05.08.2021 beim Kläger entschuldigt und den Vorfall der Aufsichtsbehörde angezeigt.

bb) Die Tatsache, dass der Kläger auf Facebook als Befürworter der Impfung aufgetreten ist und sich aus dem Profil auch Tag und Monat seines Geburtsdatums ablesen lassen, ist für die Bemessung der dem Kläger zuzusprechenden immateriellen Entschädigung demgegenüber lediglich von untergeordneter Bedeutung. Dies insbesondere deshalb, da die so durch den Kläger offenbarten Daten lediglich einen kleinen Teil der infolge des der Beklagten zuzurechnenden Datenschutzverstoßes offenbarten Daten repräsentieren, damit auch nicht ohne weiteres eine Identifizierung der Person des Klägers ermöglichen und der Kläger zudem auch eine Kontrolle über diese Daten innehat, die er jederzeit löschen kann.

cc) Im Rahmen der Genugtuungsfunktion des Ersatzanspruchs wegen immaterieller Schäden ist die an den Kläger versandte E-Mail vom 18.08.2021 von Bedeutung. Denn insoweit geht es nicht mehr nur um die bloße Sorge des Klägers vor den Folgen eines Datenschutzverstoßes und des darauf beruhenden Kontrollverlusts; vielmehr hat sich das in dem Datenschutzverstoß liegende Risiko hier bereits verwirklicht. Allerdings ist zu sehen, dass es sich lediglich um eine E-Mail handelt. Weitere konkrete Beeinträchtigungen über den eingetreten Kontrollverlust hinaus, die sich als Folge der Offenbarung der personenbezogenen Daten des Klägers darstellen, hat der Kläger im Senatstermin am 09.12.2022 verneint, sie werden angesichts der seit dem Datenverstoß bereits verstrichenen Zeit auch zunehmend weniger wahrscheinlich. Soweit der Kläger mit seinem Hinweis auf militante Impfgegner auf eine von diesen ausgehende Gefahr körperlicher oder sonstiger Übergriffe aufgrund des Umstands hinweisen will, dass der Kläger selbst eine Impfung befürwortet, hat sich insoweit kein Anhaltspunkt für eine konkrete Beeinträchtigung aufgrund des Datenschutzverstoßes ergeben.

dd) Soweit der Kläger geltend macht, der vom Landgericht zuerkannte Betrag von 100,00 Euro sei eher symbolischer Natur und habe keinerlei Abschreckungseffekt, so vermag der Senat dem nicht beizutreten.
153
Im Hinblick auf Erwägungsgrund 146 S. 3 zur DS-GVO sollen Schadenersatzforderungen zwar abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv gemacht werden (Schaffland/Holthaus, in: Schaffland/Wiltfang, DS-GVO/BDSG, Stand: August 2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 10b). Auch vermag sich ein Abschreckungseffekt vielleicht nicht aus dem dem Kläger zuerkannten Betrag ergeben. Allerdings ist hier in den Blick zu nehmen, dass der der Beklagten zuzurechnende Verstoß gegen die DS-GVO hier nicht lediglich den Kläger betrifft, sondern eine Vielzahl weiterer Personen, deren personenbezogene Daten ebenfalls in der übermittelten Excel-Datei enthalten waren. Insoweit gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass die Datei Daten von insgesamt 13.000 Personen enthielt. Dieser Umstand bietet jedenfalls das Potenzial, das sich aus Ansprüchen vieler Betroffener ein durchaus messbarer finanzieller Schadensbetrag bei der Beklagten einstellt.

ee) Eine Erhöhung der Entschädigung ist auch nicht im Hinblick auf eine Sanktionswirkung der Entschädigung angezeigt.

Das für die konkrete Bemessung der Höhe maßgebliche deutsche Recht (vgl. Nemitz, in: Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Auflage 2018, Art. 82 Rn. 17) kennt – anders als die Rechtsordnungen anderer Staaten – keinen Strafschadensersatz. Eine wie auch immer geartete Sanktionswirkung neben dem Ausgleich eines konkret entstandenen immateriellen Schadens ist daher bei der Bemessung der dem Kläger zustehenden Entschädigung nicht in Betracht zu ziehen. Insoweit bestimmt Art. 83 DS-GVO, dass die zuständige Aufsichtsbehörde im Falle eines Verstoßes gegen die DS-GVO neben einem etwaigen individuellen Anspruch auf Schadenersatz nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO eine Geldbuße verhängen kann.

ff) Unter Beachtung der vorstehenden Erwägungen hält der Senat bei einer Gesamtbetrachtung des vorliegenden Falles und seiner Besonderheiten im Hinblick auf den eingetretenen dauerhaften Kontrollverlust und den Erhalt einer unerwünschten E-Mail den durch das Landgericht zuerkannten Betrag in Höhe von 100,00 Euro für angemessen, aber auch ausreichend, um den beim Kläger eingetretenen immateriellen Schaden nach Maßgabe des in der DS-GVO geregelten Schadensersatzanspruchs zu kompensieren.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


Vorlagebeschluss liegt im Volltext vor - BAG legt EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO und Art. 88 DGSVO vor

BAG
Beschluss vom 22.09.2022
8 AZR 209/21


Wir hatten bereits in dem Beitrag "BAG legt EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO und Art. 88 DGSVO vor - Immaterieller Schadensersatz bei Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses" über die Entscheidung berichtet.

Tenor der Entscheidung:

I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Fragen ersucht:

1. Ist eine nach Art. 88 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung; im Folgenden DSGVO) erlassene nationale Rechtsvorschrift – wie etwa § 26 Abs. 4 Bundesdatenschutzgesetz, im Folgenden BDSG -, in der bestimmt ist, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten – einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten – von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses auf der Grundlage von Kollektivvereinbarungen unter Beachtung von Art. 88 Abs. 2 DSGVO zulässig ist, dahin auszulegen, dass stets auch die sonstigen Vorgaben der DSGVO – wie etwa Art. 5, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO – einzuhalten sind?

2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird:

Darf eine nach Art. 88 Abs. 1 DSGVO erlassene nationale Rechtsvorschrift – wie § 26 Abs. 4 BDSG – dahin ausgelegt werden, dass den Parteien einer Kollektivvereinbarung (hier den Parteien einer Betriebsvereinbarung) bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung im Sinne der Art. 5, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO ein Spielraum zusteht, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist?

3. Sofern die Frage zu 2. bejaht wird:

Worauf darf in einem solchen Fall die gerichtliche Kontrolle beschränkt werden?

4. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass Personen ein Recht auf Ersatz des immateriellen Schadens bereits dann haben, wenn ihre personenbezogenen Daten entgegen den Vorgaben der DSGVO verarbeitet wurden oder setzt der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens darüber hinaus voraus, dass die betroffene Person einen von ihr erlittenen immateriellen Schaden – von einigem Gewicht – darlegt?

5. Hat Art. 82 Abs. 1 DSGVO spezial- bzw. generalpräventiven Charakter und muss dies bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO zulasten des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters berücksichtigt werden?

6. Kommt es bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf den Grad des Verschuldens des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters an? Insbesondere, darf ein nicht vorliegendes oder geringes Verschulden auf Seiten des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters zu dessen Gunsten berücksichtigt werden?

II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm: Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO wegen unzulässiger Speicherung personenbezogener Daten allenfalls in Höhe von 50 EURO gerechtfertigt

OLG Hamm
Beschluss vom 19.12.2022
11 W 69/22


Das OLG Hamm hat im vorliegenden Fall entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO wegen unzulässiger Speicherung personenbezogener Daten allenfalls in Höhe von 50 EURO gerechtfertigt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Unabhängig von den fehlenden Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs kommt ein Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß Art. 82 DSGVO infrage.

Dass die Bestimmungen dieser EU-Verordnung von der Beklagten zu beachten waren, ist zwischen den Parteien nicht im Streit. Ihr sachlicher Anwendungsbereich (Art. 2 DSGVO) ist eröffnet, nachdem die Beklagte personenbezogene Daten des Klägers gespeichert hat. Es liegt auch ein Verstoß gegen die Vorschriften dieser Verordnung vor, weil die Speicherung der Daten gem. Art. 17 Abs. 1a DSGVO unzulässig war.

Im Rahmen der europarechtlich auszulegenden Verordnung - diese verlangt aufgrund des Erwägungsgrundes 146 S. 3 eine weite Auslegung des Schadensbegriffs im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, die den Zielen der Datenschutzgrundverordnung in vollem Umfang entspricht, vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.1.2021, 1 BvR 2853/19, NJW 2021, S. 105 Rz. 19 - ist derzeit ungeklärt, ob immaterieller Schadensersatz zu versagen ist, wenn es an einer erheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzung fehlt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.1.2021, 1 BvR 2853/19, NJW 2021, S. 105 Rz. 20; auch Quaas in BeckOK Datenschutzrecht, Wolf/Brink, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DSGVO Rz. 33 m.w.Nachw.). Diese Frage ist in einem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren nicht zulasten der antragstellenden Partei zu beantworten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008, 1 BvR 1807/07, NJW 2008, S. 1060), sondern im Hauptsacheverfahren einer Klärung zuzuführen.

Deswegen kommt Prozesskostenhilfe für einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO im vorliegenden Fall grundsätzlich in Betracht.

Allerdings ergibt sich aus dem vorgetragenen Sachverhalt kein Gesichtspunkt, der eine Schmerzensgeldzahlung von über 50,00 € rechtfertigen könnte. Dies auch dann, wenn man zugunsten des Klägers eine weite, europarechtliche Auslegung des Schadensbegriffes zugrunde legt, die neben einem individuellen Ausgleich wegen der Schutzgutverletzung, eine den Verstoß feststellende Genugtuungsfunktion und letztendlich auch eine generalpräventive Einwirkung auf den Schädiger in die Betrachtung einbezieht, vgl. insoweit auch OLG Koblenz, Urteil vom 18. Mai 2022, 5 U 2141/21, juris Rz. 80. Zu bewerten sind in der Sache insoweit dieselben Gesichtspunkte, die im Rahmen der Amtshaftung die Bewertung rechtfertigen, dass eine dort zu berücksichtigende Bagatellgrenze nicht überschritten worden ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Verfahrensführung des Richters wird im Entschädigungsprozess nach § 198 GVG nicht auf Richtigkeit sondern auf Vertretbarkeit geprüft

BGH
Urteil vom 15.12.2022
III ZR 192/21 GVG
§ 198 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3, 4


Der BGH hat entschieden, dass die Verfahrensführung des Richters im Entschädigungsprozess nach § 198 GVG nicht auf Richtigkeit sondern auf Vertretbarkeit geprüft wird.

Leitsätze des BGH:
a) Die Verfahrensführung des Richters wird im Entschädigungsprozess nach § 198 GVG - entsprechend den im Amtshaftungsprozess entwickelten Grundsätzen - nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist. Für "Musterverfahren" oder "Pilotverfahren" gelten insoweit keine Besonderheiten (Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BGHZ 199, 190 und vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14, BGHZ 204, 184).

b) Im Entschädigungsprozess findet grundsätzlich keine Überprüfung der rechtlichen Überlegungen, die der Richter seiner Entscheidungsfindung zugrunde gelegt hat, auf ihre sachliche Richtigkeit statt, da hier der Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit betroffen ist (Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 13. März 2014 - III ZR 91/13, NJW 2014, 1816 und vom 13. April 2017 - III ZR 277/16, NJW 2017, 2478).

c) Der Entschädigungsanspruch für immaterielle Nachteile nach § 198 Abs. 2 Satz 3, 4 GVG ist zeitbezogen geltend zu machen, wodurch der Streitgegenstand des Verfahrens festgelegt wird. Macht der Entschädigungskläger für bestimmte Zeiträume zu Unrecht einen Entschädigungsanspruch geltend, so ist sein Antrag insoweit abzuweisen und kann gemäß § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mit anderen Zeiträumen verrechnet werden, für die er nach Auffassung des Gerichts eine geringere Entschädigung fordert, als ihm zusteht.

d) Maßgebend für die Höhe einer vom gesetzlichen Regelsatz (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) abweichenden Entschädigung sind gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG die Umstände des Einzelfalles. Auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für die aus der überlangen Verfahrensdauer erwachsenen immateriellen Nachteile festzusetzen, die sich aus dem höheren beziehungsweise niedrigeren Entschädigungssatz nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG, der sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt, und der festgestellten Verzögerungsdauer ergibt.

BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 - III ZR 192/21 - OLG Braunschweig

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Zur Rechtmäßigkeit identifizierender Presseberichterstattung über Ende einer nicht öffentlich gemachten Liebesbeziehung

BGH
Urteil vom 06.12.2022
VI ZR 237/21
BGB §§ 823, 1004 (analog)


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung zur Rechtmäßigkeit identifizierender Presseberichterstattung über Ende einer nicht öffentlich gemachten Liebesbeziehung geäußert.

Leitsätze des BGH:
a) Eine Berichterstattung über eine nicht öffentlich gemachte Liebesbeziehung und ihr Ende sind Teil der Privatsphäre beider daran beteiligter Partner. Sie berührt damit die Privatsphäre beider Partner, soweit diese für potentielle Leser identifizierbar
sind. Dabei ist nicht entscheidend, ob alle oder ein erheblicher Teil der Adressaten der Berichterstattung oder gar der "Durchschnittsleser" die betroffene Person identifizieren können. Es reicht vielmehr aus, dass über die Berichterstattung Informationen über den Betroffenen an solche Personen geraten, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, die betroffene Person zu identifizieren (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3619, 3620).

b) Das für die Rechtmäßigkeit einer in die Privatsphäre einer Person eingreifenden Berichterstattung grundsätzlich erforderliche berechtigte öffentliche Informationsinteresse kann sich in Bezug auf eine von der Berichterstattung mitbetroffene Person
auch daraus ergeben, dass ein solches Interesse an der Berichterstattung allein in Bezug auf eine andere Person besteht (vgl. Senatsurteil vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, AfP 2022, 429 Rn. 57). Voraussetzung für das Vorliegen eines solchen in
Bezug auf eine andere Person bestehenden, in Bezug auf den Mitbetroffenen also "abgeleiteten" Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist allerdings, dass die Berichterstattung der anderen Person gegenüber zulässig ist.

BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - VI ZR 237/21 - LG Berlin - KG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Berichterstattung über Umstände des Todes des Ehepartners

BGH
Urteil vom 13.12.2022
VI ZR 280/21
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Berichterstattung über Umstände des Todes des Ehepartners geäußert. Wie immer kommt es auf eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls an.

Leitsätze des BGH:
1. Zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Ehemanns durch eine Berichterstattung über die Umstände des Todes der Ehefrau.

2. a) Gegen rechtsverletzende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht kann nur der unmittelbar Verletzte, nicht auch derjenige vorgehen, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet wird, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind. Es hängt von den
Umständen einer Berichterstattung über den Tod einer Person im Einzelfall ab, ob sie das
Persönlichkeitsrecht eines nahen Angehörigen unmittelbar oder nur mittelbar beeinträchtigt.

b) Der Aussagegehalt einer Äußerung ist nur in dem Kontext des Artikels zu erfassen, in dem sie steht. Es stellte eine nicht zu rechtfertigende Einschränkung der Meinungsfreiheit dar, würde zur Bestimmung des Aussagegehalts einer Äußerung und daran anknüpfend zur Beurteilung, ob diese Äußerung den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überhaupt berührt, der Inhalt anderer Artikel zum selben Thema einbezogen, die der Leser zur Kenntnis genommen haben kann, aber nicht muss.

3. Eine vom Recht auf Achtung der Privatsphäre umfasste Situation großer emotionaler Belastung kann auch die des Bangens um das Leben eines nahen Angehörigen sein.

BGH, Urteil vom 13. Dezember 2022 - VI ZR 280/21 - KG Berlin - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Ansprüche auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts sind nicht vererblich - Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle

BVerfG
Beschlüsse vom 24.10.2022
1 BvR 19/22 und 1 BvR 110/22

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Ansprüche auf Geldentschädigung wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts nicht vererblich sind. Es ging um Ansprüche der Kohl-Witwe im Zusammenhang mit der Publikation "Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle".

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Verfassungsbeschwerden betreffend das postmortale Persönlichkeitsrecht des verstorbenen vormaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl erfolglos

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichten Beschlüssen zwei Verfassungsbeschwerden der Witwe und Alleinerbin des verstorbenen vormaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl (fortan: „Erblasser“) nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen zivilgerichtliche Entscheidungen, die auf das postmortale Persönlichkeitsrecht gestützte Klagen auf Unterlassung sowie auf Zahlung einer Geldentschädigung betrafen.

Sachverhalt:

Gegenstand der einen Verfassungsbeschwerde sind gerichtliche Entscheidungen in einem zunächst vom Erblasser und nach dessen Tod von der Beschwerdeführerin gegen die Beklagten geführten Verfahren gerichtet auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung von 116 Passagen des Buches „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“. Die angegriffenen Urteile des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs sahen die Unterlassungsklage nur teilweise als begründet an.

Die andere Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen gerichtliche Urteile, die das Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Erblassers über dessen Tod hinaus betrafen. Der Erblasser hatte die Beklagten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Buches „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ auf Geldentschädigung in Höhe von 5 Millionen Euro in Anspruch genommen. Nach dem Versterben des Erblassers während des Berufungsverfahrens wies das Oberlandesgericht die von der Beschwerdeführerin als Alleinerbin fortgeführte Klage insgesamt ab. Die hiergegen gerichtete Revision blieb ohne Erfolg.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen.

I. Die Verfassungsbeschwerde betreffend die Unterlassungsklage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Beschwerdeführerin ist als Alleinerbin des Erblassers zwar befugt, dessen postmortales Persönlichkeitsrecht im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen. Sie hat ihre Verfassungsbeschwerde jedoch nicht hinlänglich substantiiert begründet.

1. Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sind nur lebende Personen. Das Fortwirken des Persönlichkeitsrechts nach dem Tode ist zu verneinen. Über den Tod des Menschen hinaus bleibt jedoch der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 1 GG bestehen. Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte.

a) Die Schutzwirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG resultierenden Schutz nicht identisch. Das Bundesverfassungsgericht betont vielmehr in ständiger Rechtsprechung die Differenz zwischen Menschenwürde und allgemeinem Persönlichkeitsrecht, wie sich etwa daraus ergibt, dass die Menschenwürde im Konflikt mit der Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig ist, während es bei einem Konflikt der Meinungsfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht regelmäßig zu einer Abwägung kommt. Unabhängig von der Frage, wie weit der Achtungsanspruch Verstorbener im Einzelfall geht, reicht er jedenfalls nicht weiter als der Ehrschutz lebender Personen.

b) Zwar kann das Unterschieben nicht getätigter Äußerungen wie auch die unrichtige, verfälschte und entstellte Wiedergabe einer Äußerung, insbesondere in Zitatform, das allgemeine Persönlichkeitsrecht in besonderem Maße berühren. Um von einer die Menschenwürde in ihrem unantastbaren Kern treffenden Verletzung auszugehen, muss jedoch eine grobe Herabwürdigung und Erniedrigung des allgemeinen Achtungsanspruchs, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, oder des sittlichen, personalen und sozialen Geltungswerts, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat, dargelegt werden.

2. Die Beschwerdeführerin hat nicht darlegen können, dass durch die angegriffenen Passagen der aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Achtungsanspruch des Erblassers grob herabgewürdigt oder erniedrigt wurde. Der vom Erblasser durch seine Lebensleistung erworbene sittliche, personale und soziale Geltungswert ist jedenfalls nicht in einer den Kern der Menschenwürde erfassenden Weise verletzt worden. Durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen aus der Zeit seiner politischen Verantwortungsübernahme gegenüber einem vertraglich zur Anfertigung von Entwürfen seiner Memoiren verpflichteten Journalisten ist nicht der innerste Kern der Persönlichkeit des Erblassers betroffen. Unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs sind die angegriffenen Urteile nicht zu beanstanden. Der Bundesgerichtshof hat – wie schon das Oberlandesgericht – seinem Urteil die zutreffenden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Reichweite des postmortalen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG zugrundegelegt. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass die für die Annahme eines Verstoßes notwendige, die unantastbare Menschenwürde treffende Verletzung vorliegend nicht gegeben ist. Eine Infragestellung des durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruchs genügt nicht. Hiergegen ist aus verfassungsgerichtlicher Sicht nichts zu erinnern.

II. Die Verfassungsbeschwerde betreffend das Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Erblassers über dessen Tod hinaus ist unbegründet.

1. Ebenso wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines lebenden Menschen begründet der postmortale Schutz der Menschenwürde nicht selbst bestimmte materiellrechtliche Ansprüche gegenüber Verletzungen durch Private. Die Aufstellung und normative Umsetzung eines angemessenen Schutzkonzepts ist Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen. Gleiches gilt, wenn die Zivilgerichte mangels einer Entscheidung des Gesetzgebers die Schutzpflicht wahrnehmen.

2. Nach diesem Maßstab haben die erkennenden Gerichte die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht nicht dadurch verletzt, dass sie der Beschwerdeführerin als Alleinerbin des Erblassers einen Entschädigungsanspruch wegen einer zu Lebzeiten des Erblassers entstandenen Persönlichkeitsrechtsverletzung verweigert haben.

a) Der aus der Garantie der Menschenwürde folgende Schutzauftrag gebietet nicht die Bereitstellung einer bestimmten Sanktion für Würdeverletzungen. Insbesondere gibt es keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz des Inhalts, dass eine Verletzung der Menschenwürde stets einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen muss.

b) Der Bundesgerichtshof hat – entsprechend dem angegriffenen Urteil des Oberlandesgerichts – in dem angegriffenen Urteil ausgeführt, der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei im Grundsatz nicht vererblich. Dies gelte auch dann, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Todes des Verletzten und ursprünglichen Anspruchsinhabers bereits bei Gericht anhängig oder gar rechtshängig sei. Die grundsätzliche Unvererblichkeit ergebe sich entscheidend aus der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs. Insoweit stehe der Genugtuungsgedanke im Vordergrund. Einem Verstorbenen könne aber Genugtuung nicht mehr verschafft werden. Dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention diene, gebiete das (Fort-)Bestehen eines solchen Anspruchs nach dem Tode auch nicht unter dem Aspekt der Menschenwürde.

c) Diese Ausführungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Aus der Garantie der Menschenwürde folgt keine Pflicht der Zivilgerichte, die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen des persönlichkeitsrechtlichen Sanktionensystems auszuweiten. Verfassungsrechtlich geboten ist dies jedenfalls dann nicht, wenn die Rechtsordnung andere Möglichkeiten zum Schutz der postmortalen Menschenwürde bereithält. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die postmortale Menschenwürde des Erblassers gegen Übergriffe durch die Beklagten schutzlos gestellt war. Dem Erblasser standen zu Lebzeiten, der Beschwerdeführerin stehen nach seinem Versterben Unterlassungsansprüche gegen die Beklagten zu.


Die Volltexte der Entscheidungen finden Sie hier:
BVerfG, Beschluss vom 24.10.2022 - 1 BvR 19/22

BVerfG, Beschluss vom 24.10.2022 - 1 BvR 110,22

LG Köln: 4.000 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Offenlegung einer Geschäftsbeziehung zu einem Konkurrenzunternehmen gegenüber Vorgesetzten

LG Köln
Urteil vom 28.09.2022
28 O 21/22


Das LG Köln hat dem Betroffenen in diesem Fall 4.000 EURO immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen der Offenlegung einer Geschäftsbeziehung zu einem Konkurrenzunternehmen gegenüber einem Vorgesetzten zugesprochen. Der Betroffene hatte mit seiner Klage 100.000 EURO Schadensersatz verlangt. Die Klage wurde daher überwiegend abgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 4.000 € aus Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung (im Folgenden: DS-GVO).

1. Die Beklagte zu 1) hat personenbezogene Daten des Klägers im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DS-GVO dadurch verarbeitet, dass sie die streitgegenständliche E-Mail an Herrn K. versandt hat. Sie muss sich dabei die Handlung ihres Angestellten, des Beklagten zu 2), zurechnen lassen. Zur Verarbeitung im Sinne der DS-GVO zählt auch die „Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung“.

Die Offenlegung der Vertragsverhältnisse zwischen der Beklagten zu 1) und dem Kläger an den Vorgesetzten des Klägers war auch rechtswidrig. Sie unterfällt keinem Rechtfertigungstatbestand nach Art. 6 Abs. 1 DS-GVO. Insbesondere ist sie nicht zur Erfüllung des Vertrags mit dem Kläger „erforderlich“, Art. 6 Abs. 1 lit. b) DS-GVO. Erforderlichkeit setzt voraus, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Verarbeitung und dem konkreten Zweck des Vertragsverhältnisses besteht. Ein solcher Zusammenhang ist hier nicht ersichtlich. Der Vorgesetzte des Klägers ist in keiner Weise in den Vertrag involviert und für die private Lebensführung des Klägers auch offensichtlich in keiner Weise verantwortlich. Es ist nicht im Ansatz zu erkennen, warum der Gläubiger eines Schuldverhältnisses sich veranlasst sehen dürfte, sich an den Vorgesetzten seines Schuldners zu wenden um diesen dazu zu bringen, auf den Schuldner einzuwirken. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger ebenfalls als Autoverkäufer in einem Konkurrenzunternehmen tätig ist. Gerade in diesem Fall drängt sich der Gedanke förmlich auf, dass dem Kläger aus einer Offenlegung seiner Geschäftsbeziehungen zu einem Konkurrenzunternehmen Probleme erwachsen können, was für die Erfüllung des Vertrags nicht förderlich sein dürfte.

Die Beklagte zu 1) ist für den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 DS-GVO auch verantwortlich und muss sich das Verhalten ihres Mitarbeiters zurechnen lassen. Eine Exkulpation nach Art. 82 Abs. 3 DS-GVO kommt nicht in Betracht. Soweit die Beklagte zu 1) schlicht darauf abstellt, dass der Beklagte zu 2) dem Kläger keinen Schaden habe zufügen wollen, verfängt dies nicht. Die Versendung der E-Mail erfolgte vorsätzlich. Eine Schädigungsabsicht setzt Art. 82 DS-GVO nicht voraus.

2. Der Verstoß ist auch derart gravierend, dass er eine Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 1) auslöst, allerdings nur in tenorierter Höhe.

Allein der Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften führt nicht zu einer Verpflichtung des Verantwortlichen zur Zahlung von Schadensersatz (so auch LG Karlsruhe ZD 2019, 511). Voraussetzung eines Anspruchs auf Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO, der im nationalen Recht unmittelbar Anwendung findet und andere Anspruchsgrundlagen nicht ausschließt (Nemitz, in: Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn. 7), ist ein Verstoß gegen die DS-GVO und ein hierdurch verursachter Schaden, was ein Kläger darzulegen und zu beweisen hat (LG Karlsruhe, a.a.O.). Nach dem Erwägungsgrund 146 ist der Begriff des Schadens weit auszulegen, sodass Betroffene einen wirksamen Ersatz erhalten. Erwägungsgrund 85 besagt, dass eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten einen physischen, materiellen oder immateriellen Schaden für natürliche Personen – wie etwa Verlust der Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten oder Einschränkung ihrer Rechte, Diskriminierung, Identitätsdiebstahl oder -betrug, finanzielle Verluste, unbefugte Aufhebung der Pseudonymisierung oder Rufschädigung – nach sich ziehen kann, wenn nicht rechtzeitig und angemessen reagiert wird. Es bedarf danach zwar keiner schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts, um einen immateriellen Schaden geltend zu machen (Gola/Piltz, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn. 13).Dennoch führt nicht bereits jeder Verstoß gegen die DS-GVO zu einer Ausgleichspflicht, denn der Verpflichtung zum Ausgleich eines immateriellen Schadens muss eine benennbar und insoweit tatsächliche Persönlichkeitsverletzung gegenüberstehen, die z.B. in der mit einer unrechtmäßigen Zugänglichmachung von Daten liegenden „Bloßstellung“ liegen kann (LG Karlsruhe, a.a.O.). Die Ermittlung des Schadens obliegt nach § 287 ZPO dem Gericht.

Der Verstoß der Beklagten zu 1) gegen die Regeln der DS-GVO ist bereits für sich derart gravierend, dass er eine entschädigungspflichtige Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers begründet. Dass sich der Beklagte zu 2) hier an den Vorgesetzten des Klägers gewandt haben, ist nicht nur unangebracht und ein Verstoß gegen die DS-GVO, sondern für den Kläger auch peinlich und mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden, weil er sich – unabhängig von der tatsächlichen Reaktion seines Vorgesetzten – genötigt fühlen könnte, sich gegenüber seinem Arbeitgeber dafür rechtfertigen zu müssen, bei der Konkurrenz ein Auto gekauft zu haben. Dies ist mit einem erheblichen Gefühl der Scham verbunden. Es handelt sich bei den Vertragsinformationen zwar nicht um hochsensible und höchstpersönliche Daten, der Kläger hatte jedoch ein offensichtliches Geheimhaltungsinteresse. Der Verstoß führt insoweit auch zu einem völligen Verlust der Kontrolle über die Daten, auch wenn die Information nur an eine Person geleitet wurde. Zudem erfolgte der Verstoß vorsätzlich, auch wenn der Beklagte zu 2), wie die Beklagte zu 1) unbestritten vorgetragen hat, keine Schädigungsabsicht gehabt hat.

Für die Frage der Schadensbemessung ist von Bedeutung, dass die Kammer die von dem Kläger behaupteten Folgen des Datenschutzverstoßes ihrer Entscheidung nicht zu Grunde legen kann.

Der Vortrag des Klägers zur Zerrüttung seines Arbeitsverhältnisses ist unsubstantiiert und prozessual unbeachtlich. Die Beklagte zu 1) hat sich offenbar im Betrieb des Klägers informiert und in ihrem Schriftsatz vom 23.08.2022 detailliert vorgetragen, dass es zu keiner Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses gekommen ist. Dabei hat sie auch auf Ungereimtheiten im Vortrag des Klägers hingewiesen, die dieser selbst nicht entkräften konnte. So erfolgte die erste Krankschreibung des Klägers nicht unmittelbar nach dem streitgegenständlichen Vorfall, sondern erst einige Wochen später. Soweit der Kläger im April 2022 vorgetragen hat, seine Stelle sei neu besetzt worden und sein Vertrag ende „bald“, fehlt es an Vortrag dazu, wann dieser Zeitpunkt konkret sein soll. Da der Kläger noch mit Schriftsatz vom 02.08.2022 eine aktuelle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 15.08.2022 vorgelegt hat, scheinen deutliche Zweifel angebracht, ob das Arbeitsverhältnis überhaupt in absehbarer Zeit enden wird. Auch fehlt es an substantiiertem Vortrag zu einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit des Klägers, da dieser nach den vorliegenden Unterlagen lediglich im Zeitraum Ende August bis Anfang Oktober 2021 und im Zeitraum um die Replik im August 2022 krankgeschrieben gewesen ist, somit lediglich für wenige Wochen. Da der Kläger auf den Vortrag der Beklagten zu 1) in ihrem Schriftsatz vom 23.08.2022 nicht mehr reagiert hat, gilt der Vortrag der Beklagten zu 1) als zugestanden.

Auch soweit der Kläger vorgetragen hat, an einer Depression zu leiden, ist sein Vortrag unbeachtlich. Ein ärztliches Attest, das diese Diagnose belegen könnte, hat er nicht vorgelegt. Sein Hausarzt hat ihm am 24.09.2021 lediglich eine „depressive Episode“ diagnostiziert. Substantiierter Sachvortrag zu seinen konkreten Symptomen, die es erlauben würden, die Diagnose einer Depression, egal in welcher Form, zu stellen, ist nicht erfolgt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben des Prof. X (Anlage K020). Hierbei handelt es sich nicht etwa um ein Privatgutachten, das geeignet wäre, den klägerischen Vortrag zu substantiieren, sondern um ein in einem reißerischen Tonfall geschriebenes Gefälligkeitsschreiben, das für die Kammer insgesamt unbeachtlich war. Nicht nur lässt es Prof. X an jeglicher Neutralität in Bezug auf den hier anhängigen Rechtsstreit vermissen. Es ergibt sich aus dem Schreiben noch nicht einmal, ob der Kläger bei Prof. X überhaupt in Behandlung war, so dass für die Kammer nicht ersichtlich ist, auf welcher therapeutischen Grundlage sich der Prof. X überhaupt ein Urteil zum Gesundheitszustand des Klägers anmaßt.

Die Kammer will nicht in Abrede stellen, dass der Kläger tatsächlich unter hohem psychischen Druck steht. Er war in der mündlichen Verhandlung sichtlich angefasst und schien deutlich zu leiden. Dieses Leiden ist jedoch nicht derart substantiiert im Prozess vorgetragen worden, dass es für die Kammer prozessual verwertbar wäre und für die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens gereicht hätte. Dies gilt nicht nur für den Vortrag des Klägers hinsichtlich des Vorliegens einer Depression, sondern auch für die Frage, ob gerade der Datenschutzverstoß der Beklagten für die Krankheit des Klägers kausal geworden ist. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens würde vor diesem Hintergrund einem Ausforschungsbeweis gleichkommen.

Bei der Bemessung des Schmerzensgelds war weiterhin zu berücksichtigen, dass die Beklagte zu 1) eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben und sich bereits mit E-Mail vom 20.07.2021 beim Kläger entschuldigt hat. Weiterhin war zu berücksichtigen, dass nach Sinn und Zweck von Art. 82 DS-GVO das Schmerzensgeld so zu bemessen ist, dass es eine abschreckende Wirkung auf die Beklagte ausübt. Dabei war jedoch auch darauf zu achten, dass auch nach der Konzeption des Art. 82 DS-GVO der Schadensersatz nicht in einen Strafschadensersatz ausartet, sondern in erster Linie der Kompensation tatsächlich entstandener Schäden beim Kläger dient (vgl. Erwägungsgrund (146) S. 5 DS-GVO: „erlittener Schaden“). In diesem Zusammenhang war für die Kammer entscheidend auf die finanzielle Situation der Beklagten zu 1) abzustellen, nicht hingegen auf die Finanzkraft des „V-Konzern s“ insgesamt. Die Beklagte zu 1) mag zum V-Konzern gehören, sie ist aber rechtlich unabhängig. Der Kläger hat nicht die Volkswagen AG verklagt, so dass der Vortrag zu deren Umsätzen unbeachtlich ist. Vortrag zur finanziellen Situation der Beklagten zu 1) fehlt indes. Daher verbietet sich auch eine Orientierung an einem möglicherweise von der Aufsichtsbehörde noch zu verhängendem Bußgeld gegen die Beklagte zu 1). Der Vortrag des Klägers zur Höhe dieses Bußgelds, insbesondere dass dieses die Höchstgrenze des Art. 83 Abs. 4 DS-GVO von 10 Milliarden EUR erreichen könnte, stellt sich vor diesem Hintergrund nicht als eine ernsthafte Prognose dar.

Unter Berücksichtigung sämtlicher dieser zuvor genannten Umstände hält die Kammer gemäß § 287 ZPO insgesamt einen Schadensersatz von 4.000 EUR für notwendig, aber auch ausreichend zur Kompensation des dem Kläger entstandenen Schadens.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwalt: Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO setzt tatsächlichen materiellen oder immateriellen Schaden voraus - Kein Strafschadensersatz

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 06.10.2022
C‑300/21
UI gegen Österreichische Post AG


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO einen tatsächlichen materiellen oder immateriellen Schaden voraussetzt.

Das Ergebnis des EuGH-Generalanwalts:
Art. 82 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist wie folgt auszulegen:

Für die Anerkennung eines Anspruchs auf Ersatz des Schadens, den eine Person infolge eines Verstoßes gegen die genannte Verordnung erlitten hat, reicht die bloße Verletzung der Norm als solche nicht aus, wenn mit ihr keine entsprechenden materiellen oder immateriellen Schäden einhergehen.

Der in der Verordnung 2016/679 geregelte Ersatz immaterieller Schäden erstreckt sich nicht auf bloßen Ärger, zu dem die Verletzung ihrer Vorschriften bei der betroffenen Person geführt haben mag. Es ist Sache der nationalen Gerichte, herauszuarbeiten, wann das subjektive Unmutsgefühl aufgrund seiner Merkmale im Einzelfall als immaterieller Schaden angesehen werden kann.

Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


LG Berlin: Mieter hat Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO gegen Vermieter wegen datenschutzwidriger Videoüberwachung des Innenhofs

LG Berlin
Urteil vom 15.07.2022
63 O 213/20

Das LG Berlin hat entschieden, dass ein Mieter einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO gegen den Vermieter bei datenschutzwidriger Videoüberwachung des Innenhofs zusteht. Die Höhe richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.

BAG legt EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO und Art. 88 DGSVO vor - Immaterieller Schadensersatz bei Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses

BAG
Beschluss vom 22.09.2022
8 AZR 209/21


Der BAG hat dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO und Art. 88 DSGVO zur Entscheidung vorgelegt. Es geht dabei um die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses und möglichen Ansprüchen auf immateriellen Schadensersatz.

Die Vorlagefragen:

I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Fragen ersucht:

1. Ist eine nach Art. 88 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung; im Folgenden DSGVO) erlassene nationale Rechtsvorschrift – wie etwa § 26 Abs. 4 Bundesdatenschutzgesetz, im Folgenden BDSG – in der bestimmt ist, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten – einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten – von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses auf der Grundlage von Kollektivvereinbarungen unter Beachtung von Art. 88 Abs. 2 DSGVO zulässig ist, dahin auszulegen, dass stets auch die sonstigen Vorgaben der DSGVO – wie etwa Art. 5, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO – einzuhalten sind?

2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird:
Darf eine nach Art. 88 Abs. 1 DSGVO erlassene nationale Rechtsvorschrift – wie § 26 Abs. 4 BDSG – dahin ausgelegt werden, dass den Parteien einer Kollektivvereinbarung (hier den Parteien einer Betriebsvereinbarung) bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung im Sinne der Art. 5, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO ein Spielraum zusteht, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist?

3. Sofern die Frage zu 2. bejaht wird:
Worauf darf in einem solchen Fall die gerichtliche Kontrolle beschränkt werden?

4. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass Personen ein Recht auf Ersatz des immateriellen Schadens bereits dann haben, wenn ihre personenbezogenen Daten entgegen den Vorgaben der DSGVO verarbeitet wurden oder setzt der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens darüber hinaus voraus, dass die betroffene Person einen von ihr erlittenen immateriellen Schaden – von einigem Gewicht – darlegt?

5. Hat Art. 82 Abs. 1 DSGVO spezial- bzw. generalpräventiven Charakter und muss dies bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO zulasten des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters berücksichtig werden?

6. Kommt es bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf den Grad des Verschuldens des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters an? Insbesondere, darf ein nicht vorliegendes oder geringes Verschulden auf Seiten des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters zu dessen Gunsten berücksichtigt werden?

II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.



BAG: 1.000 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen verspäteter Auskunft nach Art. 15 DSGVO nicht zu niedrig

BAG
Urteil vom 05.05.2022
2 AZR 363/21

Das BAG hat entschieden, dass 1.000 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen verspäteter Auskunft nach Art. 15 DSGVO nicht zu niedrig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Landesarbeitsgericht hat die Höhe des immateriellen Schadenersatzes mit 1.000,00 Euro nicht ermessensfehlerhaft zu niedrig festgesetzt.

a) Bei der Bemessung der Höhe eines Schadenersatzanspruchs nach § 287 Abs. 1 ZPO steht den Tatsachengerichten ein weiter Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen sie die Besonderheiten jedes einzelnen Falls zu berücksichtigen haben. Die Festsetzung unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Sie kann von diesem nur darauf überprüft werden, ob die Rechtsnorm zutreffend ausgelegt, ein Ermessen ausgeübt, die Ermessensgrenze nicht überschritten wurde und ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen einen fehlerfreien Gebrauch gemacht hat, indem es sich mit allen für die Bemessung der Entschädigung maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und nicht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (vgl. BAG 28. Mai 2020 - 8 AZR 170/19 - Rn. 28, BAGE 170, 340; BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 68, BGHZ 193, 110).

b) Danach ist die Bemessung der Höhe des Schadenersatzes durch das Landesarbeitsgericht revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ob die vom Berufungsgericht als „naheliegend“ erachtete Orientierung am Kriterienkatalog in Art. 83 Abs. 2 Satz 2 DSGVO möglich oder sogar geboten ist, kann dahinstehen. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, hätte sich das Landesarbeitsgericht nicht von sachfremden Erwägungen zulasten der Klägerin leiten lassen.

aa) Es hat zunächst zugunsten der Klägerin in Rechnung gestellt, dass die Beklagte eine vollständige Auskunft nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO bis zuletzt nicht erteilt und ihre Verpflichtung jedenfalls grob fahrlässig verkannt habe. Selbst wenn das Berufungsgericht einen dieser Gesichtspunkte zu Unrecht in seine Erwägungen eingestellt hätte, wäre die Klägerin dadurch nicht beschwert.

bb) Das Landesarbeitsgericht hat ferner ohne Rechtsfehler in seine Würdigung einbezogen, dass die persönliche Betroffenheit der Klägerin durch die nicht vollständige Erfüllung ihres Auskunftsanspruchs in Anbetracht des maßgeblichen Anliegens ihres Auskunftsbegehrens „überschaubar“ gewesen sei.

(1) Es hat das Auskunftsbegehren dahin ausgelegt, dass es der Klägerin maßgeblich um die Arbeitszeitaufzeichnungen gegangen sei. Diese habe ihr die Beklagte mit Schreiben vom 13. August 2020 aber übersandt. Damit hat das Landesarbeitsgericht eine Gewichtung des konkreten Ausmaßes der Beeinträchtigung der Klägerin durch die nicht vollständige Erfüllung ihres Auskunftsanspruchs vorgenommen und dieser eine relativ geringere Bedeutung beigemessen, als wenn es der Klägerin ebenso maßgeblich um Auskunft über ihre übrigen bei der Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten gegangen wäre.

(2) Das lässt keinen Ermessensfehlgebrauch erkennen. Wenn die Erlangung von Kontrolle über ihre übrigen personenbezogenen Daten nicht das primäre Ziel der Klägerin war, wiegt auch die Beeinträchtigung durch das Vorenthalten dieses Teils der begehrten Auskunft weniger schwer. Einen Rechtsfehler zeigt insoweit auch die Revision nicht auf. Sie beanstandet zwar, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigen dürfen, dass die Klägerin den Auskunftsanspruch gerichtlich nicht weiterverfolgt habe. Das Berufungsgericht hat dies aber nicht für sich genommen als einen die Beklagte entlastenden Umstand bewertet, wie die Klägerin meint, sondern lediglich als - weiteren - Beleg für sein Verständnis des primären Ziels des Auskunftsverlangens. Dass dieses Verständnis unzutreffend sei, macht auch die Klägerin nicht geltend.

cc) Andere Aspekte hat das Landesarbeitsgericht nicht zulasten der Klägerin gewürdigt.

dd) Soweit das Berufungsgericht bei der Anspruchsbemessung nicht ausdrücklich problematisiert hat, ob der Schadenersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO auch einen präventiven Charakter hat und damit auch eine Abschreckungsfunktion erfüllen muss (vgl. auch zu dieser Fragestellung das Vorabentscheidungsersuchen BAG 26. August 2021 - 8 AZR 253/20 (A) -, vor dem EuGH anhängig unter - C-667/21 - [Krankenversicherung Nordrhein]), ist dies im Ergebnis ebenfalls ohne Rechtsfehler. Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass dem Anspruch ein solcher Präventionscharakter zukommt. Seine vom Berufungsgericht festgesetzte Höhe hat hinreichend abschreckende Wirkung.

(1) Der Betrag von 1.000,00 Euro ist fühlbar und hat nicht nur symbolischen Charakter (vgl. zur nicht ausreichenden Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG bei einer nur symbolischen Sanktion EuGH 15. April 2021 - C-30/19 - [Braathens Regional Aviation] Rn. 39; 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociaţia Accept] Rn. 64). Bloß symbolisch wäre es etwa, die Entschädigung einer Person, die Opfer einer Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung wurde, auf die Erstattung ihrer Bewerbungskosten zu beschränken (EuGH 10. April 1984 - C-14/83 - [von Colson] Rn. 24). Darüber geht der hier zugesprochene Schadenersatz deutlich hinaus.

(2) Ebenfalls eine Präventionsfunktion hat eine wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschuldete Entschädigung; auch diese kann mit einem Betrag in Höhe von 1.000,00 Euro ausreichend bemessen sein, wie etwa im Falle einer datenschutzwidrigen Observation mit heimlichen Videoaufnahmen durch einen Detektiv (BAG 19. Februar 2015 - 8 AZR 1007/13 - Rn. 14 und 33).

(3) Der immaterielle Schaden nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat - anders als eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG (dazu BAG 28. Mai 2020 - 8 AZR 170/19 - Rn. 17 ff., BAGE 170, 340) - keinen erkennbaren Bezug zur Höhe eines dem Gläubiger zustehenden Arbeitsentgelts, so dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es sich dabei um ein relevantes Bemessungskriterium für die Höhe des Schadenersatzes handeln könnte. Selbst wenn dies anders zu sehen sein sollte, entspräche der hier festgesetzte Betrag mehr als dem zweifachen der zwischen den Parteien vereinbarten monatlichen Vergütung. Für eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, die ebenfalls eine Abschreckungsfunktion erfüllen muss, ist bereits ein Betrag in Höhe des 1,5-fachen des auf einer Stelle erzielbaren Entgelts als ausreichend anzusehen, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen (BAG 28. Mai 2020 - 8 AZR 170/19 - Rn. 39, aaO).

(4) Entgegen der Auffassung der Klägerin musste das Landesarbeitsgericht dem Umstand, dass die Beklagte anwaltlich vertreten war, auch unter dem Gesichtspunkt der Prävention keine den Schadenersatzanspruch erhöhende Bedeutung beimessen. Die Abschreckungsfunktion kann sich nur auf die Vermeidung künftiger Verstöße gegen die DSGVO beziehen, nicht aber darauf, ob sich eine Partei bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach der DSGVO anwaltlich hat vertreten lassen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist weder allgemein noch nach der DSGVO verpönt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Köln: 500 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen verspäteter Auskunft nach Art. 15 DSGVO kann gerechtfertigt sein

OLG Köln
Urteil vom 14.07.2022
15 U 137/21


Das OLG Köln hat entschieden, dass 500 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen verspäteter Auskunft nach Art. 15 DSGVO gerechtfertigt sein kann.

LfD Niedersachsen: 900.000 EURO Bußgeld gegen Kreditinstitut wegen datenschutzwidriger Profilbildung zu Werbezwecken - kein berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO

Die Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen hat gegen ein Kreditinstitut wegen datenschutzwidriger Profilbildung zu Werbezwecken ein Bußgeld in Höhe von 900.000 EURO verhängt. Das Kreditinstitut kann sich nicht auf ein berechtigtes Interesse gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO berufen. Vielmehr wäre die Einholung einer Einwilligung erforderlich gewesen.

Die Pressemitteilung der Datenschutzbehörde:
900.000 Euro Bußgeld gegen Kreditinstitut wegen Profilbildung zu Werbezwecken

Die Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen hat gegen ein Kreditinstitut eine Geldbuße in Höhe von 900.000 Euro festgesetzt. Der Bußgeldbescheid ist noch nicht rechtskräftig.

Das Unternehmen hatte Daten aktiver sowie ehemaliger Kundinnen und Kunden ohne deren Einwilligung ausgewertet. Dazu analysierte es das digitale Nutzungsverhalten und wertete unter anderem das Gesamtvolumen von Einkäufen in App-Stores, die Häufigkeit der Nutzung von Kontoauszugsdruckern sowie die Gesamthöhe von Überweisungen im Online-Banking im Vergleich zur Nutzung des Filialangebots aus. Hierzu bediente es sich eines Dienstleisters. Ergänzend wurden die Ergebnisse der Analyse mit einer Wirtschaftsauskunftei abgeglichen und von dort angereichert. Ziel war es, Kundinnen und Kunden mit einer erhöhten Neigung für digitale Medien zu identifizieren und diese adressatengerecht für vertragsrelevante oder werbliche Zwecke verstärkt auf elektronischen Kommunikationswegen anzusprechen. Den meisten Kundinnen und Kunden wurden zwar vorab zusammen mit anderen Unterlagen Informationen zugeschickt. Diese ersetzten die notwendigen Einwilligungen allerdings nicht.

Dem Unternehmen wird vorgeworfen, dass die vorgenommene Auswertung nicht mit Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) vereinbar war. Danach kann ein Verantwortlicher personenbezogene Daten auf Grundlage einer Interessenabwägung verarbeiten. Die Interessen der betroffenen Person dürfen dabei nicht überwiegen. Bei der Festsetzung der Geldbuße wurde berücksichtigt, dass das Unternehmen die Ergebnisse seiner Auswertungen nicht weiterverwendet hatte. Zudem hat sich das Unternehmen im gesamten Verfahren kooperativ gezeigt.

Häufung ähnlicher Fälle

Der LfD Niedersachsen werden vermehrt Fälle bekannt, in denen Verantwortliche Daten von Kundinnen und Kunden, die zunächst rechtmäßig verarbeitet wurden, zur Profilbildung auswerten. Hierzu nutzen Sie teilweise externe Anbieter oder gleichen ihre Ergebnisse mit diesen ab.

„Die Verantwortlichen holen sich für solche Auswertungen häufig keine Einwilligung der Kundinnen und Kunden ein“, sagt die Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel. „Stattdessen berufen sie sich auf eine Interessenabwägung nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f DS-GVO. Diese Rechtsgrundlage erlaubt es aber nicht, Profile für Werbezwecke zu bilden, indem man große Datenbestände auswertet.“

Zwar liegt die werbliche Ansprache (potenzieller) Kundinnen und Kunden im Interesse der Verantwortlichen. Der Gesetzgeber stuft dieses Interesse aber als weniger gewichtig ein, indem er für die betroffenen Personen eine erleichterte Widerspruchsmöglichkeit vorsieht. Der Widerspruch muss nicht begründet werden. Bei der Interessenabwägung überwiegen zudem die Interessen der betroffenen Kundinnen und Kunden.

Vernünftige Erwartung maßgeblich

Verantwortliche müssen bei der Interessenabwägung unter anderem die vernünftigen Erwartungen der Kundinnen und Kunden berücksichtigten. „Die Betroffenen erwarten es aber in der Regel nicht, dass Verantwortliche im großen Umfang Datenbestände nutzen, um ihre Neigung zu bestimmten Produktkategorien oder Kommunikationswegen zu identifizieren“, so Barbara Thiel. Verantwortliche können sich in diesen Fällen deshalb nicht auf eine Interessenabwägung berufen und müssen stattdessen Einwilligungen einholen.

Werden zudem externe Stellen einbezogen (z. B. Wirtschaftsauskunfteien), können Daten aus unterschiedlichen Lebensbereichen verkettet und so genauere Profile erstellt werden. Hiermit müssen Kundinnen und Kunden erst recht nicht rechnen, weshalb auch hierfür Einwilligungen eingeholt werden müssen.