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BGH legt EuGH vor: Beginnt die Widerrufsfrist bei Fernabsatzgeschäften erst wenn der Unternehmer dem Verbraucher das Muster-Widerrufsformular zur Verfügung gestellt hat

BGH
Beschluss vom 22.10.2025
I ZR 192/24
Richtlinie 2011/83/EU Art. 6 Abs. 1 Buchst. h, Art. 9 Abs. 1


Der BGH hat dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Widerrufsfrist bei Fernabsatzgeschäften erst dann beginnt, wenn der Unternehmer dem Verbraucher das Muster-Widerrufsformular zur Verfügung gestellt hat.

Leitsatz des BGH:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher (ABl. L 304 vom 22. November 2011, S. 64) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Beginnt die vierzehntägige Widerrufsfrist des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/EU zu laufen, wenn der Unternehmer dem
Verbraucher das Muster-Widerrufsformular nicht zur Verfügung gestellt hat ?

2. Ergibt sich aus Bestimmungen der Richtlinie 2011/83/EU, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers nach Art. 9 Abs. 1 der
Richtlinie fortbesteht, obwohl sowohl er als auch der Unternehmer einen zwischen ihnen geschlossenen Fernabsatzvertrag
vollständig erfüllt haben? Gilt dies gegebenenfalls jedenfalls dann, wenn der Unternehmer dem Verbraucher das Muster-Widerrufsformular nicht zur Verfügung gestellt hat ?

BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2025 - I ZR 192/24 - OLG Karlsruhe - LG Mannheim

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH legt EuGH vor: Ist es "kostenlos" im Sinne der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken wenn Nutzer mit ihren personenbezogenen Daten "bezahlen"

BGH
Beschluss vom 25.09.2025
I ZR 11/20
Kostenlose Registrierung
Richtlinie 2005/29/EG Art. 5 Abs. 5, Nr. 20 des Anhangs I


Die BGH hat dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob etwas "kostenlos" im Sinne der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ist, wenn die Nutzer bzw. Kunden mit ihren personenbezogenen Daten "bezahlen" und in die Verarbeitung der Daten zu kommerziellen Zwecken einwilligen.

Leitsatz des BGH:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Nr. 20 des Anhangs I in Verbindung mit Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken; ABl. L 149 vom 11. Juni 2005,S. 28, 36) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Erfasst der Begriff der "Kosten" im Sinne von Nr. 20 des Anhangs I in Verbindung mit Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG auch die Preisgabe personenbezogener Daten und Einwilligung in ihre Nutzung zu kommerziellen Zwecken?

BGH, Beschluss vom 25. September 2025 - I ZR 11/20 - Kammergericht - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Lübeck legt EuGH Fragen zur datenschutzrechtlichen Zuslässigkeit der Übermittlung von Positivdaten von Kunden durch Mobilfunkanbieter an die Schufa vor

LG Lübeck
Beschluss vom 04.09.2025
15 O 12/24


Das LG Lübeck hat dem EuGH Fragen zur datenschutzrechtlichen Zuslässigkeit der Übermittlung von Positivdaten von Kunden durch Mobilfunkanbieter an die Schufa zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Datenübermittlung an die Schufa:

Landgericht Lübeck ruft Europäischen Gerichtshof an Bundesweit verzeichnen die Gerichte eine Vielzahl von Klagen gegen Mobilfunkunternehmen, die ohne Zustimmung ihrer Kunden deren Vertragsdaten an die Schufa übermittelt hatten. Das Landgericht Lübeck hat jetzt ein derartiges Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen vorgelegt, um ein Urteil sprechen zu können.

Was ist passiert?

Das Mobilfunkunternehmen hatte ohne Einwilligung des Kunden Name, Geburtsdatum, Anschrift, Datum des Vertragsschlusses und Vertragsnummer an die Schufa weitergegeben. Die Schufa hatte ca. 2 Jahre später mitgeteilt, dass die Daten in den von der Schufa berechneten „Bonitätsscore“ eingeflossen waren. Der Betroffene verlangt nun von dem Mobilfunkunternehmen, künftig derartige Datenübermittlungen an Auskunfteien wie die Schufa zu unterlassen. Zudem begehrt er Schadensersatz. Das Mobilfunkunternehmen hingegen argumentiert, die Datenschutzgrundverordnung erlaube die Datenübermittlung an die Schufa.

Wie hat das Gericht entschieden?

Das Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen vorgelegt. Hierzu sind alle europäischen Gerichte berechtigt, wenn sie Zweifel über die Auslegung von europäischem Recht haben.

Konkret möchte das Gericht vom Europäischen Gerichtshof wissen,

1. ob die Bestimmung, auf die sich das Mobilfunkunternehmen beruft, nämlich Art. 6 f.) der Datenschutzgrundverordnung, auf derartige Fälle überhaupt Anwendung findet. Das Gericht hat daran Zweifel, da die massenhafte Übermittlung derartiger Daten an die Schufa die Grundrechte sehr vieler Bürger berühre. Es sei deshalb Aufgabe der Europäischen Union, genau zu regeln, wer was zu welchem Zweck an die Schufa übermitteln dürfe. Das sei bislang nicht geschehen;

2. ob die Übermittlung von Daten an die Schufa jedenfalls dann rechtswidrig sei, wenn die Schufa die Daten zur Profilbildung (sogenanntes Scoring) verwendet;

3. und ob die betroffenen Verbraucher auch dann Schadensersatz verlangen können, wenn sie vor Vertragsschluss zwar nicht nach ihrer Zustimmung gefragt wurden, aber immerhin auf die Datenübermittlung hingewiesen wurden.

Was steht dazu im Gesetz? Wie ist die Rechtslage?

Ob die Datenübermittlung an die Schufa rechtmäßig ist, entscheidet sich anhand von Art. 6 f) DSGVO:

(1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist: (...)

f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

Die Fragen des Gerichts zielen darauf ab, zu klären, ob diese Bestimmung hier anwendbar ist und falls ja, wie sie zu verstehen ist.

Der Beschluss vom 4.9.2025 ist unanfechtbar.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH legt EuGH Fragen zur urheberrechtlichen Haftung eines Content Delivery Networks im Zusammenhang mit dem öffentlichem Zugänglichmachen urheberechtlich geschützer Werke vor

BGH
Urteil vom 31.07.2025
I ZR 155/23
Content Delivery Network
Richtlinie 2001/29/EG Art. 3 Abs. 2; Richtlinie 2000/31/EG Art. 13 Abs. 1; Verordnung (EU) 2022/2065 Art. 5 Abs. 1


Der BGH hat dem EuGH Fragen zur urheberrechtlichen Haftung eines Content Delivery Networks im Zusammenhang mit dem öffentlichem Zugänglichmachen urheberechtlich geschützer Werke zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Leitsatz des BGH:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2022/2065 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann eine Handlung des öffentlichen Zugänglichmachens eines Tonträgers im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG nur durch denjenigen vorgenommen werden, in dessen eigener Zugriffssphäre sich die geschützte Aufnahme befindet? Oder kann dies - und wenn ja unter welchen Voraussetzungen - auch durch das Setzen eines Hyperlinks geschehen ?

2. Sind die vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Kriterien für eine Handlung der öffentlichen Wiedergabe nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG durch den Betreiber einer Video-Sharing-Plattform oder Sharehosting-Plattform auch auf die Beurteilung der Frage zu übertragen, ob der Betreiber eines Content Delivery Networks, der nach Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG / Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2022/2065 von der Haftung befreit sein kann, eine eigene Handlung des öffentlichen Zugänglichmachens nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG vorgenommen hat? Wenn dies nicht der Fall ist: Welche Kriterien gelten für eine eigene Handlung des öffentlichen Zugänglichmachens durch den Betreiber eines Content Delivery Networks ?

BGH, Beschluss vom 31. Juli 2025 - I ZR 155/23 - OLG Köln LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 7 HWG wenn Versandhandelsapotheke für das Einlösen von e-Rezepten 10-Euro-Gutscheine auslobt

OLG Frankfurt
Urteil vom 15.05.2025
6 U 347/24

Das OLG Frankfurt hat enntschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 7 HWG vorliegt, wenn eine Versandhandelsapotheke für das Einlösen von e-Rezepten 10-Euro-Gutscheine auslobt.

DIe Pressmeitteilung des Gerichts:
Heilmittelwerbegesetz - Auslobung von 10 €-Gutscheinen durch Versandhandelsapotheke ist unzulässig

Die Auslobung von 10 €-Gutscheinen bei der Einlösung von e-Rezepten, deren Guthaben - jedenfalls teilweise - auch für den Kauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel verwendet werden kann, verstößt gegen das Heilmittelwerbegesetz. Das Oberlandesgericht wies mit heute veröffentlichter Entscheidung die Berufung einer niederländischen Versandhandelsapotheke zurück.

Die Klägerin betreibt eine auf gesundheitsbezogene Leistungen ausgerichtete Internet-Plattform. Über ihr Angebot können u.a. Bestellungen von - auch verschreibungspflichtigen - Arzneimitteln aufgegeben werden. Die in den Niederlanden ansässige Beklagte bietet einen Versandhandel mit Arzneimitteln an und ist auch für den Vertrieb rezeptpflichtiger Arzneimittel zugelassen. Sie bewarb die Inanspruchnahme ihrer Leistungen mit zwei Gutscheinaktionen: Zum einen wurde ein 10 €-Gutschein ausgelobt bei Einlösung eines e-Kassenrezepts. Die Verrechnung sollte zunächst mit der gesetzlichen Zuzahlung und bei einem verbleibenden Restbetrag mit nicht verschreibungspflichtigen Produkten erfolgen. Zum anderen wurde ein 10 €-App-Gutschein für die erste Bestellung nicht verschreibungspflichtiger Artikel über ihre App ausgelobt.

Das Landgericht hatte den auf Unterlassung der Gutscheinaktionen gerichteten Anträgen stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte auch vor dem für Wettbewerbsrecht zuständigen 6. Zivilsenat des OLG keinen Erfolg.

Die Beklagte verstoße mit dieser Werbung gegen das Heilmittelwerbegesetz (i.F.: HWG), begründete der Senat seine Entscheidung. Gemäß § 7 HWG ist beim Verkauf von Arzneimitteln u.a. das Anbieten und Ankündigen von nicht nur geringwertigen Werbegaben unzulässig. Hier liege eine derartige unzulässige produktbezogene Werbung vor. Auch die Werbung für das gesamte Warensortiment einer Apotheke könne produktbezogen im Sinne des HWG sein. „Es gibt keinen Grund, den vom Gesetzgeber im Bereich der Heilmittelwerbung als grundsätzlich unerwünscht angesehenen Anreiz einer Wertreklame gerade dann hinzunehmen, wenn diese Form der Reklame für eine besonders große Zahl von Heilmitteln eingesetzt wird“, erläuterte der Senat. Dieses Verständnis sei auch unionsrechtskonform. Grundsätzlich erfasse das Verbot der Werbung für Arzneimittel die Frage, „ob“ ein Arzneimittel gekauft werde. Nur die Entscheidung des „wie“, d.h. in welcher Apotheke, sei nicht vom Werbeverbot erfasst.

Der Gutscheinbetrag könne hier in beiden Fällen für den vergünstigten Bezug nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel genutzt werden. Die Werbung fördere damit den Verbrauch nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel.

Die Gutscheine stellten sog. Werbegaben dar. Diese lägen vor, wenn es sich aus der Sicht des Empfängers um ein Geschenk handele. Ihr Wert von 10 € übersteige auch den Betrag einer „geringwertigen Kleinigkeit“, der bei Publikumswerbung mit 1 € angesetzt werde. Soweit im Handelsverkehr etablierte Sofortrabatte von diesem Verbot ausgenommen werden, liege hier kein derartiger Sofortrabatt vor.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

(Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 15.5.2025, Az. 6 U 347/24
Vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, 3-10 O 134/24)

Erläuterungen:
§ 7 HWG
(1) Es ist unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, es sei denn, dass

es sich bei den Zuwendungen oder Werbegaben um Gegenstände von geringem Wert, die durch eine dauerhafte und deutlich sichtbare Bezeichnung des Werbenden oder des beworbenen Produktes oder beider gekennzeichnet sind, oder um geringwertige Kleinigkeiten handelt; Zuwendungen oder Werbegaben sind für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die auf Grund des
Arzneimittelgesetzes
Öffnet sich in einem neuen Fenster oder des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch
Öffnet sich in einem neuen Fenster gelten;
(...)



BGH legt EuGH vor: Steht Art. 101 AEUV Regressansprüchen eines Unternehmens gegen ihre Geschäftsführer wegen Kartellbußgeldern entgegen

BGH
Beschluss vom 11.02.2025
KZR 74/23
Geschäftsführerhaftung
HGB § 43 Abs. 2; AktG § 93 Abs. 2 Satz 1; GWB § 81 Abs. 1; OWiG § 30; AEUV Art. 101


Der BGH hat dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 101 AEUV Regressansprüchen eines Unternehmens gegen ihre Geschäftsführer wegen Kartellbußgeldern entgegensteht.

Leitsatz des BGH:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 101 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegen, nach der eine juristische Person, gegen die eine nationale Wettbewerbsbehörde ein Bußgeld wegen eines durch ihr Leitungsorgan begangenen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV verhängt hat, den ihr dadurch entstandenen Schaden von dem Leitungsorgan ersetzt verlangen kann?

BGH, Beschluss vom 11. Februar 2025 - KZR 74/23 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben für pflanzliche Stoffe (Botanicals) nach der Health Claims-Verordnung derzeit unzulässig

EuGH
Urteil vom 30.04.2025
C-386/23
Novel Nutriology GmbH gegen Verband Sozialer Wettbewerb e. V.


Der EuGH hat entschieden, dass die Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben für pflanzliche Stoffe (Botanicals) nach der Health Claims-Verordnung derzeit unzulässig ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Die Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben über pflanzliche Stoffe ist derzeit verboten

Das grundsätzliche Verbot gilt solange, bis die Kommission die Prüfung dieser Angaben abgeschlossen und sie in die Listen der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben aufgenommen hat, sofern die Verwendung der Angaben nicht bereits nach einer Übergangsregelung zulässig ist

Das deutsche Unternehmen Novel Nutriology vertreibt ein Nahrungsergänzungsmittel, das Safran- und Melonensaft-Extrakte enthält. Das Unternehmen warb für das Nahrungsergänzungsmittel damit, dass diese Extrakte stimmungsaufhellend wirkten sowie Stressgefühle und Erschöpfung reduzierten.

Ein deutscher Wirtschaftsverband verklagte Novel Nutriology vor den deutschen Gerichten auf Unterlassung dieser Angaben, die unionsrechtswidrig seien.

Zu dieser Fragestellung hat der Bundesgerichtshof den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht.

Der Gerichtshof stellt fest, dass nach einer Verordnung aus dem Jahr 20061 die Verwendung gesundheitsbezogener Angaben bei der Werbung2 für Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel grundsätzlich verboten ist. Die Verwendung kann zulässig sein, sofern es sich um von der Kommission zugelassene und in die Liste der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben aufgenommene Angaben handelt.

Allerdings hat die Kommission ihre Prüfung der gesundheitsbezogenen Angaben über pflanzliche Stoffe ausgesetzt und sie daher noch nicht in die Listen zulässiger gesundheitsbezogener Angaben aufgenommen.

Die Prüfung und das Erfordernis einer Zulassung durch die Kommission sollen sicherstellen, dass gesundheitsbezogene Angaben wissenschaftlich abgesichert sind, wodurch die Verbraucher und die menschliche Gesundheit geschützt werden sollen.

Daher dürfen gesundheitsbezogene Angaben zu pflanzlichen Stoffen derzeit nicht bei der Werbung für Nahrungsergänzungsmittel verwendet werden.

Etwas anderes kann gelten, wenn die geforderten Angaben unter eine Übergangsregelung fallen, die in der Verordnung aus dem Jahr 2006 vorgesehen ist.

Nach den Angaben des Bundesgerichtshofs ist dies vorliegend nicht der Fall. Es handelt sich nämlich um gesundheitsbezogene Angaben über psychische Funktionen, die in Deutschland vor dem Inkrafttreten der Verordnung keiner Bewertung unterzogen und nicht zugelassen wurden. Für solche Angaben hätte vor dem 19. Januar 2008 bei der zuständigen nationalen Behörde ein Zulassungsantrag gestellt werden müssen, was Novel Nutriology nicht getan hat.


Tenor der Entscheidung:
Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der durch die Verordnung (EG) Nr. 109/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen,

dass er dem entgegensteht, im Rahmen der kommerziellen Werbung für ein aus „Botanicals“ bestehendes Nahrungsergänzungsmittel im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 der Kommission vom 16. Mai 2012 zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern spezielle gesundheitsbezogene Angaben über solche Stoffe zu verwenden, die psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beschreiben oder darauf verweisen, oder auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile solcher Stoffe für die Gesundheit im Allgemeinen und das gesundheitsbezogene Wohlbefinden zu verweisen, solange die Europäische Kommission die Prüfung der gesundheitsbezogenen Angaben über pflanzliche Stoffe im Hinblick auf ihre Aufnahme in eine der Listen der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben nach den Art. 13 und 14 der Verordnung Nr. 1924/2006 nicht abgeschlossen hat, wenn den Verweisen keine in diesen Listen enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist, es sei denn, die Verwendung solcher Angaben ist nach Art. 28 Abs. 6 dieser Verordnung zulässig.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


VG Ansbach legt EuGH vor: Besteht ein Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO gegen Datenschutzbehörde

VG Ansbach
Beschluss v. 19.02.2025
AN 14 K 22.02562


Das VG Ansbach hat dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgeleget, ob ein Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO gegen eine Datenschutzbehörde besteht.

Tenor der Entscheidung:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 15 VO (EU) 2016/679 i.V.m. Art. 4 Nr. 7 VO (EU) 2016/679 dahingehend auszulegen, dass eine Aufsichtsbehörde nach Art. 4 Nr. 21 VO (EU) 2016/679, die im Rahmen eines von einer betroffenen Person eingeleiteten Beschwerdeverfahrens nach Art. 77 VO (EU) 2016/679 tätig wird, gleichzeitig im Sinne von Art. 15 VO (EU) 2016/679 i.V.m. Art. 4 Nr. 7 VO (EU) 2016/679 „Verantwortlicher“ und damit auf Grundlage des Art. 15 VO (EU) 2016/679 gegenüber der betroffenen Person zur Auskunft verpflichtet ist ?

2. Für den Fall, dass Frage 1 mit „ja“ beantwortet wird:
Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 23 VO (EU) 2016/679, dahingehend auszulegen, dass es einer nationalen Regelung – wie dem im Ausgangsverfahren streitigen Art. 20 Abs. 2 BayDSG – entgegensteht, wonach Auskunfts- oder Einsichtsrechte hinsichtlich Akten und Dateien der Aufsichtsbehörden nach Art. 4 Nr. 21 VO (EU) 2016/679 pauschal nicht bestehen ?

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Gutscheine oder Rabatte einer Versandapotheke beim Kauf verschreibungspflichtiger Arzneimittel für nachfolgende Käufe - DocMorris

EuGH
Urteil vom 27.02.2025
C-517/23
Apothekerkammer Nordrhein ./. DocMorris


Der EuGH hat sich mit der Frage befasst, ob Gutscheine oder Rabatte einer Versandapotheke beim Kauf verschreibungspflichtiger Arzneimittel für nachfolgende Käufe durch nationale Regelungen untersagt werden dürfen.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Die Mitgliedstaaten dürfen Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Gestalt von Preisnachlässen oder Zahlungen in Höhe eines genauen Betrags erlauben

Ferner dürfen die Mitgliedstaaten Werbeaktionen für den Bezug solcher Arzneimittel verbieten, wenn damit Gutscheine für nachfolgende Bestellungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten angeboten werden.

DocMorris, eine niederländische Versandapotheke, führte seit dem Jahr 2012 verschiedene Werbeaktionen für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch, die auf Kunden in Deutschland abzielten

Es handelte sich zum einen um Preisnachlässe und Zahlungen in Höhe eines genauen Betrags für die Bestellung unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel und zum anderen um eine Prämie über einen Betrag zwischen 2,50 Euro und 20 Euro, die zu einer Zahlung führte, deren genaue Höhe jedoch im Vorhinein nicht ersichtlich war. Überdies bot DocMorris für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel Gutscheine für nachfolgende Bestellungen weiterer Produkte an, nämlich für Bestellungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten.

Auf Antrag der Apothekerkammer Nordrhein erließ das Landgericht Köln einstweilige Verfügungen, mit denen die Werbeaktionen von DocMorris untersagt wurden.

Da jedoch die meisten dieser einstweiligen Verfügungen in der Folge1 aufgehoben wurden, begehrt DocMorris vor den deutschen Gerichten von der Apothekerkammer Schadensersatz in Höhe von ca. 18,5 Mio. Euro. Nach Ansicht von DocMorris waren die einstweiligen Verfügungen von Anfang an ungerechtfertigt.

Der deutsche Bundesgerichtshof hat den Gerichtshof danach gefragt, ob das deutsche Recht, das die Werbeaktionen unter Verwendung von Preisnachlässen und Zahlungen in Höhe eines bestimmten Betrags erlaube, während es die anderen Werbeaktionen verbiete, mit der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel vereinbar ist.

Im Zuge einer vollständigen Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung sieht die Richtlinie zum einen vor, dass die Mitgliedstaaten die Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel verbieten. Zum anderen kann für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel unter bestimmten Bedingungen und Beschränkungen Öffentlichkeitswerbung erfolgen.

Allerdings fällt nicht jede Werbeaktion für unbestimmte Arzneimittel automatisch in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Ihre Anwendbarkeit setzt voraus, dass eine solche Aktion darauf abzielt, die ärztliche Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern. Ist dies nicht der Fall, findet die Richtlinie keine Anwendung.

Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie auf Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Gestalt von Preisnachlässen oder Zahlungen in Höhe eines genauen Betrags oder in Gestalt einer Prämie, deren genaue Höhe im Vorhinein nicht ersichtlich ist, nicht anwendbar ist. Solche Werbeaktionen beziehen sich tatsächlich nur auf die Entscheidung für die Apotheke und fördern nicht den Verbrauch solcher Arzneimittel. Wenn ein Kunde ein Rezept erhält, bleibt ihm im Hinblick auf das verschreibungspflichtige Arzneimittel nämlich nur noch die Entscheidung für die Apotheke, bei der er es bezieht.

Die Richtlinie verwehrt es daher nicht, dass solche Werbeaktionen in Gestalt eines bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrags nach deutschem Recht erlaubt sind.

Allerdings darf ein Mitgliedstaat Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel, mit denen eine Prämie angeboten wird, deren genaue Höhe für den Kunden im Vorhinein nicht ersichtlich ist, auf der Grundlage anderer unionsrechtlicher Bestimmungen aus Verbraucherschutzgründen verbieten – was Deutschland offenbar getan hat . Mit einem solchen Verbot kann nämlich verhindert werden, dass die Verbraucher die Höhe der Prämie überschätzen.

In Bezug auf Gutscheine für nachfolgende Bestellungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie anwendbar ist, soweit solche Gutscheine den Verbrauch nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel fördern.

Daher steht die Richtlinie nach Auffassung des Gerichtshofs einem Verbot solcher Werbeaktionen im nationalen Recht nicht entgegen. Da sich ein Verbraucher zwischen dem Kauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und dem Kauf anderer Produkte – wie von Gesundheits- und Pflegeprodukten – entscheiden kann, stellen solche Gutscheine nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel diesen anderen Produkten gleich und lenken den Verbraucher so von einer sachlichen Prüfung der Frage ab, ob die Einnahme dieser Arzneimittel erforderlich ist.


Tenor der Entscheidung:
1. Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass

– Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Gestalt von Preisnachlässen und Zahlungen nicht unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung fallen,

– wohingegen Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter Verwendung von Werbegaben in Form von Gutscheinen für den nachfolgenden Erwerb nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter diesen Begriff fallen.

Art. 34 AEUV und Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die eine Werbeaktion, in deren Rahmen den Kunden einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Apotheke für die Einsendung ihrer Rezepte und die Teilnahme an einem „Arzneimittel-Check“ eine Geldprämie angeboten wird, ohne dass die genaue Höhe dieser Prämie ersichtlich wäre, aus Verbraucherschutzgründen verbietet.

2. Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2011/62 geänderten Fassung ist dahin auszulegen,

dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter Verwendung von Werbegaben in Gestalt von Gutscheinen über einen bestimmten Geldbetrag oder über einen prozentualen Preisnachlass für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte, wie nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, verbietet.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

VG Wiesbaden: Fingerabdruckpflicht - Kein Anspruch auf Ausstellung eines Personlausweises ohne Speicherung der Fingerabdrücke

VG Wiesbaden
Urteil vom 18.12.2024
6 K 1563/21.WI


Das VG Wiesbaden hat in Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH (siehe dazu EuGH: Erfassung und Speicherung des Fingerabdrucks auf dem Personalausweis ist mit der DSGVO sowie Art. 7 und 8 der EU-Grundrechte-Charta vereinbar) entschieden, dass kein Anspruch auf Ausstellung eines Personlausweises ohne Speicherung der Fingerabdrücke besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Klage abgewiesen - Fingerabdruckpflicht in Personalausweisen rechtmäßig

Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden hat mit Urteil vom 18.12.2024 eine Klage abgewiesen, mit der der Kläger die Ausstellung eines Personalausweises ohne Speicherung der Fingerabdrücke auf dessen elektronischem Speichermedium (sog. „Chip“) begehrte.

Die Pflicht zur Speicherung von Fingerabdrücken bei Ausweisen beruht auf der europäischen Verordnung (EU) 2019/1157 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2019 zur Erhöhung der Sicherheit der Personalausweise von Unionsbürgern und der Aufenthaltsdokumente, die Unionsbürgern und deren Familienangehörigen ausgestellt werden, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben (VO (EU) 2019/1157). Der Kläger trug vor, dass hierdurch seine Grundrechte auf Schutz des Privatlebens nach Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) und auf Schutz personenbezogener Daten nach Art. 8 GRCh verletzt würden.

Die 6. Kammer hatte das Verfahren zunächst ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV die Frage vorgelegt, ob die Pflicht zur Aufnahme von Fingerabdrücken in Personalausweisen mit höherrangigem Unionsrecht vereinbar ist. Mit Urteil vom 21.03.2024 – C-61/22 – hatte der EuGH entschieden, dass die Verordnung wegen der Durchführung eines ungeeigneten Gesetzgebungsverfahrens ungültig sei. Die Wirkungen der VO (EU) 2019/1157 würden jedoch aufrechterhalten bleiben, bis innerhalb einer angemessenen Frist, die zwei Jahre ab dem 01.01.2025 nicht überschreiten dürfe, eine neue, im korrekten Gesetzgebungsverfahrens erlassene Verordnung, die sie ersetzt, in Kraft trete. In materieller Hinsicht verstoße die Einschränkung der in Art. 7 und Art. 8 GRCh garantierten Rechte nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sodass die Verordnung nicht aus diesem Grund ungültig sei.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden, dessen Gründe nun vorliegen, erging im Rahmen einer Beratung vom 18.12.2024. Die Prozessbeteiligten hatten auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Die Ablehnung der Ausstellung eines Personalausweises ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken sei rechtmäßig und verletze den Kläger deshalb auch nicht in seinen Rechten. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden sei an das Urteil des EuGH, insbesondere bezüglich der Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit der VO (EU) 2019/1157 gebunden. Auch bezüglich der im konkreten Verfahren vorliegenden Frage der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Ausstellung eines Personalausweises ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken durch die Landeshauptstadt Wiesbaden sei keine andere Beurteilung geboten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei auch im konkreten Fall gewahrt. In der Ablehnung der Ausstellung eines Personalausweises ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken durch die Beklagte liege kein Verstoß gegen Grundrechte.

Auch habe das Verwaltungsgericht Wiesbaden für die Entscheidung über den vorliegenden Fall nicht den Fristablauf der Fortgeltung der VO (EU) 2019/1157 oder den Erlass einer neuen Verordnung abwarten müssen. Angesichts der Entscheidung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren sei die Sache entscheidungsreif. Der EuGH habe ausdrücklich entschieden, dass die Wirkungen der VO (EU) 2019/1157 aufrechterhalten blieben, weshalb im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein Anspruch des Klägers auf Ausstellung eines Personalausweises ohne Speicherung von Fingerabdrücken bestehe. Die Frage, ob sich ein solcher Anspruch möglicherweise in der Zukunft infolge einer Änderung der Rechtslage ergeben könnte, sei im vorliegenden Verfahren nicht von Relevanz.

Das Urteil (6 K 1563/21.WI) ist noch nicht rechtskräftig. Der Kläger kann binnen eines Monats den Antrag auf Zulassung der Berufung stellen, über den der Hessische Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden hätte.



EuGH: Verbandsklagebefugnis von Verbraucherschutzverbänden bei DSGVO-Verstößen - hier: Verstöße gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO

EuGH
Urteil vom 11.07.2024
C‑757/22
Meta Platforms Ireland Ltd, vormals Facebook Ireland Ltd
gegen
Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V
.

Der EuGH hat die Verbandsklagebefugnis von Verbraucherschutzverbänden bei DSGVO-Verstößen abermals bejaht und seine Rechtsprechung weiter präzisiert. Vorliegend ging es um Verstöße gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO.

Tenor der Entscheidung:
Art. 80 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)

ist dahin auszulegen, dass

die Voraussetzung, wonach eine befugte Einrichtung, um eine Verbandsklage im Sinne dieser Bestimmung erheben zu können, geltend machen muss, dass ihres Erachtens die in dieser Verordnung vorgesehenen Rechte einer betroffenen Person „infolge einer Verarbeitung“ im Sinne dieser Bestimmung verletzt wurden, erfüllt ist, wenn sich diese Einrichtung darauf beruft, dass die Verletzung der Rechte dieser Person anlässlich einer Verarbeitung personenbezogener Daten geschieht und auf einer Missachtung der Pflicht beruht, die dem Verantwortlichen gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e der Verordnung obliegt, der betroffenen Person spätestens bei dieser Datenerhebung Informationen über den Zweck der Datenverarbeitung und die Empfänger der Daten in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu übermitteln.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Erfassung und Speicherung des Fingerabdrucks auf dem Personalausweis ist mit der DSGVO sowie Art. 7 und 8 der EU-Grundrechte-Charta vereinbar

EuGH
Urteil vom 21.03.2024
C-61/22


Der EuGH hat entschieden, dass die Erfassung und Speicherung des Fingerabdrucks auf dem Personalausweis mit der DSGVO sowie Art. 7 und 8 der EU-Grundrechte-Charta vereinbar ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
B. Zum zweiten Ungültigkeitsgrund: Nichtbeachtung von Art. 35 Abs. 10 DSGVO
Der zweite vom vorlegenden Gericht angeführte Ungültigkeitsgrund stützt sich darauf, dass die Verordnung 2019/1157 unter Verstoß gegen Art. 35 Abs. 10 DSGVO ohne Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung erlassen worden sei.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 35 Abs. 1 DSGVO der Verantwortliche, wenn eine Form der Verarbeitung, insbesondere bei Verwendung neuer Technologien, aufgrund der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge hat, vorab eine Abschätzung der Folgen der vorgesehenen Verarbeitungsvorgänge für den Schutz personenbezogener Daten durchführen muss. Art. 35 Abs. 3 DSGVO stellt klar, dass eine solche Folgenabschätzung im Fall umfangreicher Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO (wie biometrischer Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person) erforderlich ist.

Da im vorliegenden Fall die Verordnung 2019/1157 selbst keinen Vorgang im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten oder Sätzen von personenbezogenen Daten durchführt, sondern lediglich vorsieht, dass die Mitgliedstaaten im Fall der Beantragung eines Personalausweises bestimmte Verarbeitungen vornehmen, ist festzustellen, dass der Erlass dieser Verordnung nicht von der vorherigen Durchführung einer Abschätzung der Folgen der vorgesehenen Verarbeitungsvorgänge im Sinne von Art. 35 Abs. 1 DSGVO abhängig war. Art. 35 Abs. 10 DSGVO enthält insoweit eine Ausnahme von Art. 35 Abs. 1 DSGVO.

Da nach den vorstehenden Ausführungen Art. 35 Abs. 1 DSGVO beim Erlass der Verordnung 2019/1157 nicht anzuwenden war, konnte dieser Erlass folglich nicht gegen Art. 35 Abs. 10 der Verordnung 2016/679 verstoßen.

Nach alledem vermag der zweite Grund, der auf einen Verstoß gegen Art. 35 Abs. 10 DSGVO gestützt wird, nicht zur Ungültigkeit der Verordnung 2019/1157 zu führen.

C. Zum dritten Ungültigkeitsgrund: Unvereinbarkeit von Art. 3 Abs. 5 der Verordnung 2019/1157 mit den Art. 7 und 8 der Charta

Der dritte vom vorlegenden Gericht angeführte Grund für die Ungültigkeit der Verordnung 2019/1157 betrifft die Frage, ob die in Art. 3 Abs. 5 der Verordnung vorgesehene Verpflichtung, zwei vollständige Fingerabdrücke in das Speichermedium der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Personalausweise aufzunehmen, eine nicht gerechtfertigte Einschränkung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte mit sich bringt.

[...]

In die Beurteilung der Schwere des Eingriffs, den eine Einschränkung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte bewirkt, sind die Art der betroffenen personenbezogenen Daten, insbesondere der möglicherweise sensible Charakter dieser Daten, sowie die Art und die konkreten Modalitäten der Datenverarbeitung, u. a. die Zahl der Personen, die Zugang zu diesen Daten haben, und die Modalitäten des Zugangs zu diesen Daten, einzubeziehen. Gegebenenfalls ist auch zu berücksichtigen, ob diese Daten nicht Gegenstand missbräuchlicher Verarbeitungen sind.

Im vorliegenden Fall kann die sich aus der Verordnung 2019/1157 ergebende Einschränkung der Ausübung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte zwar eine große Zahl von Personen betreffen, wobei diese Zahl von der Kommission in ihrer Folgenabschätzung auf 370 Millionen der damals 440 Millionen Einwohner der Union geschätzt wurde. Fingerabdrücke sind als biometrische Daten naturgemäß besonders sensibel und genießen, wie u. a. aus dem 51. Erwägungsgrund der DSGVO hervorgeht, im Unionsrecht einen besonderen Schutz.

Die Erfassung und Speicherung von zwei vollständigen Fingerabdrücken ist nach der Verordnung 2019/1157 jedoch nur im Hinblick auf die Aufnahme dieser Fingerabdrücke in das Speichermedium von Personalausweisen gestattet.

Des Weiteren ergibt sich aus Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 3 der Verordnung, dass, sobald diese Aufnahme erfolgt und der Personalausweis der betroffenen Person ausgehändigt worden ist, die erfassten Fingerabdrücke ausschließlich auf dem Speichermedium dieses Ausweises gespeichert werden, der sich grundsätzlich im physischen Besitz der betroffenen Person befindet.

Schließlich sieht die Verordnung 2019/1157 eine Reihe von Garantien vor, die die Risiken begrenzen sollen, dass bei ihrer Durchführung personenbezogene Daten zu anderen Zwecken als zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele erhoben oder verwendet werden, und zwar nicht nur in Bezug auf die Vorgänge der Verarbeitung personenbezogener Daten, die diese Verordnung zwingend vorschreibt, sondern auch im Hinblick auf die hauptsächlichen Verarbeitungen, denen die in das Speichermedium der Personalausweise aufgenommenen Fingerabdrücke unterzogen werden können.

Was erstens die Datenerfassung betrifft, sieht Art. 10 Abs. 1 und 2 der Verordnung 2019/1157 vor, dass biometrische Identifikatoren „ausschließlich durch qualifiziertes und ordnungsgemäß befugtes Personal erfasst“ werden und dass dieses Personal „angemessene und wirksame Verfahren für die Erfassung biometrischer Identifikatoren“ einhalten muss, wobei diese Verfahren den in der Charta, in der EMRK und im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes verankerten Rechten und Grundsätzen entsprechen müssen. Zudem enthält Art. 3 Abs. 7 der Verordnung, wie in Rn. 93 des vorliegenden Urteils ausgeführt, Sonderregelungen für Kinder unter zwölf Jahren (Unterabs. 1 und 2) sowie für Personen, bei denen eine Abnahme von Fingerabdrücken physisch nicht möglich ist (Unterabs. 3), wobei die letztgenannten Personen „von der Pflicht zur Abgabe von Fingerabdrücken befreit“ sind.

Was zweitens die Speicherung der Daten betrifft, verpflichtet die Verordnung 2019/1157 zum einen die Mitgliedstaaten, ein Gesichtsbild und zwei Fingerabdrücke als biometrische Daten zu speichern. Insoweit stellt der 21. Erwägungsgrund der Verordnung ausdrücklich klar, dass diese „keine Rechtsgrundlage für die Einrichtung oder Aufrechterhaltung von Datenbanken auf nationaler Ebene zur Speicherung biometrischer Daten in den Mitgliedstaaten [darstellt], zumal es sich dabei um eine Frage des nationalen Rechts handelt, welches dem Unionsrecht im Bereich Datenschutz entsprechen muss“ und sie auch „keine Rechtsgrundlage für die Einrichtung oder Aufrechterhaltung einer zentralen Datenbank auf der Ebene der Union“ darstellt. Zum anderen sieht Art. 10 Abs. 3 der Verordnung vor, dass diese „biometrischen Identifikatoren … ausschließlich bis zu dem Tag der Abholung des Dokuments und keinesfalls länger als 90 Tage ab dem Tag der Ausstellung des Dokuments gespeichert“ werden, und stellt klar, dass „die biometrischen Identifikatoren [nach diesem Zeitraum] umgehend gelöscht oder vernichtet“ werden.

Daraus ergibt sich insbesondere, dass Art. 10 Abs. 3 der Verordnung 2019/1157 es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, biometrische Daten zu anderen als den in dieser Verordnung vorgesehenen Zwecken zu verarbeiten. Außerdem steht diese Bestimmung einer zentralen Speicherung von Fingerabdrücken entgegen, die über die vorläufige Speicherung dieser Abdrücke zum Zweck der Personalisierung von Personalausweisen hinausgeht.

Schließlich weist Art. 11 Abs. 6 der Verordnung 2019/1157 auf die Möglichkeit hin, dass die im sicheren Speichermedium enthaltenen biometrischen Daten gemäß dem Unionsrecht und dem nationalen Recht von ordnungsgemäß befugten Mitarbeitern der zuständigen nationalen Behörden und Agenturen der Union verwendet werden dürfen.

Was Art. 11 Abs. 6 Buchst. a der Verordnung betrifft, erlaubt diese Bestimmung die Verwendung von auf dem Speichermedium von Personalausweisen und Aufenthaltsdokumenten gespeicherten biometrischen Daten nur, um den Personalausweis oder das Aufenthaltsdokument auf seine Echtheit zu überprüfen.

Art. 11 Abs. 6 Buchst. b der Verordnung 2019/1157 sieht vor, dass die auf dem Speichermedium von Personalausweisen und Aufenthaltsdokumenten gespeicherten biometrischen Daten zur Überprüfung der Identität des Inhabers „anhand direkt verfügbarer abgleichbarer Merkmale …, wenn die Vorlage des Personalausweises oder Aufenthaltsdokuments gesetzlich vorgeschrieben ist“, verwendet werden können. Da eine solche Verarbeitung jedoch geeignet ist, zusätzliche Informationen über das Privatleben der betroffenen Personen zu liefern, kann sie nur zu Zwecken, die strikt auf die Identifizierung der betroffenen Person beschränkt sind, und unter durch gesetzliche Bestimmungen über die Vorlage des Personalausweises oder des Aufenthaltsdokuments genau abgegrenzten Voraussetzungen erfolgen.

Was drittens die Abfrage der auf dem Speichermedium von Personalausweisen gespeicherten biometrischen Daten anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass der 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2019/1157 eine Rangfolge bei der Verwendung der Mittel zur Überprüfung der Echtheit des Dokuments und der Identität des Inhabers aufstellt, indem er vorsieht, dass die Mitgliedstaaten „vorrangig das Gesichtsbild überprüfen“ müssen und, falls zur zweifelsfreien Bestätigung der Echtheit des Dokuments und der Identität des Inhabers notwendig, „auch die Fingerabdrücke“.

Was viertens das Risiko des unbefugten Zugriffs auf die gespeicherten Daten betrifft, sieht Art. 3 Abs. 5 und 6 der Verordnung 2019/1157 zur Reduzierung dieses Risikos auf ein Minimum vor, dass die Fingerabdrücke auf einem „hochsicheren Speichermedium“ gespeichert werden, das „eine ausreichende Kapazität [aufweist] und geeignet [ist], die Integrität, die Authentizität und die Vertraulichkeit der Daten sicherzustellen“. Zudem geht aus Art. 3 Abs. 10 dieser Verordnung hervor, dass dann, wenn „die Mitgliedstaaten im Personalausweis Daten für elektronische Dienste wie elektronische Behördendienste und den elektronischen Geschäftsverkehr [speichern], … diese nationalen Daten physisch oder logisch getrennt sein [müssen]“, insbesondere von Fingerabdrücken, die auf der Grundlage der Verordnung erhoben und gespeichert wurden. Schließlich ergibt sich aus den Erwägungsgründen 41 und 42 sowie aus Art. 11 Abs. 4 dieser Verordnung, dass die Mitgliedstaaten für die ordnungsgemäße Verarbeitung biometrischer Daten verantwortlich bleiben, auch wenn sie mit externen Dienstleistungsanbietern zusammenarbeiten.

ii) Zur Bedeutung der verfolgten Zielsetzungen

Wie in Rn. 86 des vorliegenden Urteils ausgeführt, zielt die Aufnahme von zwei Fingerabdrücken in das Speichermedium von Personalausweisen darauf ab, die Herstellung gefälschter Personalausweise und den Identitätsdiebstahl zu bekämpfen sowie die Interoperabilität der Systeme zur Überprüfung von Identitätsdokumenten zu gewährleisten. Insoweit ist sie geeignet, zum Schutz des Privatlebens der betroffenen Personen sowie im weiteren Sinne zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus beizutragen.

Des Weiteren ermöglicht es eine solche Maßnahme, sowohl dem Bedürfnis jedes Unionsbürgers nachzukommen, über ein Mittel zu verfügen, um sich zuverlässig zu identifizieren, als auch dem der Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass den Personen, die sich auf durch das Unionsrecht anerkannte Rechte berufen, diese Rechte auch tatsächlich zustehen. Sie trägt somit insbesondere dazu bei, den Unionsbürgern die Ausübung ihres Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht zu erleichtern, das ebenfalls ein in Art. 45 der Charta verbürgtes Grundrecht ist. Somit haben die mit der Verordnung 2019/1157, insbesondere durch die Aufnahme von zwei Fingerabdrücken in das Speichermedium von Personalausweisen, verfolgten Zielsetzungen nicht nur für die Union und die Mitgliedstaaten, sondern auch für die Unionsbürger besondere Bedeutung.

Im Übrigen werden die Legitimität und Bedeutung dieser Zielsetzungen nicht durch den vom vorlegenden Gericht angeführten Umstand in Frage gestellt, dass in den Rn. 24 bis 26 der Stellungnahme 7/2018 darauf hingewiesen wurde, dass zwischen 2013 und 2017 nur 38 870 gefälschte Personalausweise festgestellt worden seien und dass diese Zahl seit mehreren Jahren abnehme.

Selbst wenn man nämlich von einer geringen Zahl der gefälschten Personalausweise ausginge, war der Unionsgesetzgeber nicht verpflichtet, bis zum Anstieg dieser Zahl zu warten, um Maßnahmen zur Vermeidung des Risikos der Verwendung solcher Ausweise zu erlassen, sondern konnte, insbesondere im Interesse der Risikokontrolle, eine solche Entwicklung vorwegnehmen, sofern die übrigen Voraussetzungen in Bezug auf die Achtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurden.

iii) Abwägung

Nach alledem ist festzustellen, dass die Einschränkung der Ausübung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte, die sich aus der Aufnahme von zwei Fingerabdrücken in das Speichermedium von Personalausweisen ergibt, angesichts der Art der in Rede stehenden Daten, der Art und der Modalitäten der Verarbeitungsvorgänge sowie der vorgesehenen Schutzmechanismen nicht so schwer erscheint, dass sie außer Verhältnis zur Bedeutung der verschiedenen mit dieser Maßnahme verfolgten Zielsetzungen stünde. Somit ist davon auszugehen, dass eine solche Maßnahme auf einer ausgewogenen Gewichtung zwischen diesen Zielsetzungen und den betroffenen Grundrechten beruht.

Folglich verstößt die Einschränkung der Ausübung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so dass der dritte Ungültigkeitsgrund nicht zur Ungültigkeit der Verordnung 2019/1157 zu führen vermag.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwalt: Verbandsklagebefugnis für Verbraucherschutzverbände bei DSGVO-Verstoß - Verletzung der Informationspflicht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c, e DSGVO

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 25.01.2024
C‑757/22
Meta Platforms Ireland Limited
gegen
Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass die Verbandsklagebefugnis für Verbraucherschutzverbände bei DSGVO-Verstößen u.a. dann anzunehmen ist, wenn es um die Verletzung der Informationspflicht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO geht.

Ergebnis des EuGH-Generalanwalts:
Art. 80 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass

die Bedingung, wonach eine ermächtigte Einrichtung, um eine Verbandsklage nach dieser Bestimmung erheben zu können, geltend machen muss, dass ihres Erachtens die Rechte einer betroffenen Person aus der DSGVO infolge einer Verarbeitung verletzt worden sind, voraussetzt, dass diese Einrichtung eine Verarbeitung personenbezogener Daten sowie einen Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung und der Verarbeitung behauptet. Die Bedingung ist erfüllt, wenn die Klage im Zusammenhang mit einer Verarbeitung personenbezogener Daten darauf gestützt wird, dass der Verantwortliche die Informationspflicht gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO verletzt hat, da eine solche Verletzung die Verarbeitung rechtswidrig machen kann.

Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


Volltext BGH-Vorlagebeschluss an EuGH: Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß - Voraussetzungen und Höhe des Schadensersatzanspruchs aus Art. 82 DSGVO

BGH
Beschluss vom 26.09.2023
VI ZR 97/22
Verordnung (EU) 2016/679 Art. 17, Art. 18, Art. 79, Art. 82 Abs. 1, Art. 84; GG Art. 2 Abs. 1; BGB §§ 253, 823, § 1004 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH legt EuGH vor: Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO - Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Vorlagefragen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 17, Art. 18, Art. 79, Art. 82 Abs. 1 und Art. 84 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO, ABl. EU L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1) zur Frage des Bestehens eines unionsrechtlichen Unterlassungsanspruchs der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, bzw. zu der insoweit bestehenden Möglichkeit eines Rückgriffs auf das nationale Recht und zum Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO.

BGH, Beschluss vom 26. September 2023 - VI ZR 97/22 - OLG Frankfurt in Darmstadt - LG Darmstadt

Die Vorlagefragen:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DatenschutzGrundverordnung, DSGVO, ABl. EU L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a) Ist Art. 17 DSGVO dahingehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt?

b) Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art. 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben?

2. Falls Fragen 1a) und/oder 1b) bejaht werden:

a) Besteht der unionsrechtliche Unterlassungsanspruch nur dann, wenn künftig weitere Beeinträchtigungen der sich aus der DSGVO ergebenden Rechte der betroffenen Person zu besorgen sind (Wiederholungsgefahr)?

b) Wird das Bestehen der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls aufgrund des bereits vorliegenden Verstoßes gegen die DSGVO vermutet?

3. Falls Fragen 1a) und 1b) verneint werden:

Sind Art. 84 i.V.m. Art. 79 DSGVO dahingehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, neben dem Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO und den sich aus Art. 17 und Art. 18 DSGVO ergebenden Ansprüchen einen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen?

4. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass für die Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung bloße negative Gefühle wie z.B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Angst, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens sind, genügen? Oder ist für die Annahme eines Schadens ein über diese Gefühle hinausgehender Nachteil für die betroffene natürliche Person erforderlich?

5. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters bzw. seiner Mitarbeiter ein relevantes Kriterium darstellt? 6. Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden: Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

6. Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden:

Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Bei Werbung für Waren in Pfandbehältern ist der Pfandbetrag gesondert auszuweisen da der Pfandbetrag nicht Bestandteil des Gesamtpreises ist

BGH
Urteil vom 26.10.2023
I ZR 135/20
Flaschenpfand IV


Der BGH hat entschieden, dass bei der Werbung für Waren in Pfandbehältern der Pfandbetrag gesondert auszuweisen ist, da der Pfandbetrag nicht Bestandteil des Gesamtpreises ist.

Pressemitteilung des BGH:
Bei der Werbung für Waren in Pfandbehältern ist der Pfandbetrag gesondert anzugeben

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass bei der Werbung für Waren in Pfandbehältern der Pfandbetrag gesondert anzugeben ist.

Sachverhalt:

Der Kläger ist ein Verein, der im Interesse seiner Mitglieder die Einhaltung des Wettbewerbsrechts überwacht. Die Beklagte vertreibt Lebensmittel. In einem Faltblatt bewarb sie unter anderem Getränke in Pfandflaschen und Joghurt in Pfandgläsern. Der Pfandbetrag war in die angegebenen Preise nicht einberechnet, sondern mit dem Zusatz "zzgl. … € Pfand" ausgewiesen. Der Kläger sieht darin einen Verstoß gegen die Preisangabenverordnung und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 29. Juli 2021 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union insbesondere eine Frage zur Auslegung die Richtlinie 98/6/EG (Preisangabenrichtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt (vgl. Pressemitteilung Nr. 148/21 vom 29. Juli 2021). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage mit Urteil vom 29. Juni 2023 (C-543/21) beantwortet.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Pfandbetrag gesondert auszuweisen ist. Wer - wie die Beklagte - als Anbieter von Waren gegenüber Verbrauchern unter Angabe von Preisen wirbt, hat zwar nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV aF (§ 3 Abs. 1, § 2 Nr. 3 PAngV nF) den Gesamtpreis anzugeben. Der Gesamtpreis schließt aber nicht den Pfandbetrag ein, der beim Kauf von Waren in Pfandbehältern zu entrichten ist. Die Preisangabenverordnung setzt die Preisangabenrichtlinie ins deutsche Recht um und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Der dem Begriff des Gesamtpreises entsprechende Begriff des Verkaufspreises in Art. 2 Buchst. a der Preisangabenrichtlinie enthält nach der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht den Pfandbetrag. Dieser ist daher neben dem Verkaufspreis bzw. dem Gesamtpreis anzugeben. Die entsprechende Regelung in § 1 Abs. 4 PAngV aF (§ 7 Satz 1 PAngV nF) stellt dies in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht ausdrücklich klar. Die gesonderte Angabe von Verkaufspreis und Pfandbetrag ermöglicht es Verbraucherinnen und Verbrauchern, die Preise von Waren besser zu beurteilen und leichter miteinander zu vergleichen.

Vorinstanzen:

LG Kiel - Urteil vom 26. Juni 2019 - 15 HKO 38/18, MD 2019, 907

OLG Schleswig - Urteil vom 30. Juli 2020 - 6 U 49/19, GRUR-RR 2021, 133

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 PAngV aF

(1) Wer Verbrauchern gemäß § 13 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gewerbs- oder geschäftsmäßig oder wer ihnen regelmäßig in sonstiger Weise Waren oder Leistungen anbietet oder als Anbieter von Waren oder Leistungen gegenüber Verbrauchern unter Angabe von Preisen wirbt, hat die Preise anzugeben, die einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile zu zahlen sind (Gesamtpreise). …

(4) Wird außer dem Entgelt für eine Ware oder Leistung eine rückerstattbare Sicherheit gefordert, so ist deren Höhe neben dem Preis für die Ware oder Leistung anzugeben und kein Gesamtbetrag zu bilden.

§ 2 Nr. 3 PAngV nF

Im Sinne dieser Verordnung bedeutet …

3."Gesamtpreis" den Preis, der einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile für eine Ware oder eine Leistung zu zahlen ist;

§ 3 Abs. 1 PAngV nF

(1) Wer als Unternehmer Verbrauchern Waren oder Leistungen anbietet oder als Anbieter von Waren oder Leistungen gegenüber Verbrauchern unter Angabe von Preisen wirbt, hat die Gesamtpreise anzugeben.

§ 7 Satz 1 PAngV nF

Wer neben dem Gesamtpreis für eine Ware oder Leistung eine rückerstattbare Sicherheit fordert, insbesondere einen Pfandbetrag, hat deren Höhe neben dem Gesamtpreis anzugeben und nicht in diesen einzubeziehen.

Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6/EG

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck "Verkaufspreis" den Endpreis für eine Produkteinheit oder eine bestimmte Erzeugnismenge, der die Mehrwertsteuer und alle sonstigen Steuern einschließt.