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BVerfG: Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen - Wörtliche Veröffentlichung beschlagnahmter Tagebuchaufzeichnungen im CumEx-Skandal zulässig

BVerfG
Beschluss vom 10.04.2024
1 BvR 2279/23


Das BVerfG hat entschieden, dass die wörtliche Veröffentlichung im Rahmen des CumEx-Skandals beschlagnahmter Tagebuchaufzeichnungen zulässig ist und eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolglose Verfassungsbeschwerde wegen der wörtlichen Veröffentlichung beschlagnahmter Tagebuchaufzeichnungen

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde eines Bankiers nicht zur Entscheidung angenommen, mit der sich dieser gegen die Abweisung seiner Klage auf Unterlassung der wörtlichen Wiedergabe von Auszügen aus seinen beschlagnahmten Tagebüchern wendet.

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens betreibt eine Internetseite, auf der sie im September 2020 einen Artikel veröffentlichte, in dem Auszüge aus den Tagebüchern des Beschwerdeführers wörtlich wiedergegeben wurden. Diese hatten die Strafverfolgungsbehörden zuvor im Rahmen eines gegen den Beschwerdeführer im Zusammenhang mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften geführten Ermittlungsverfahrens beschlagnahmt. Daraufhin nahm der Beschwerdeführer die Beklagte des Ausgangsverfahrens gerichtlich auf Unterlassen der wörtlichen Wiedergabe der Tagebuchauszüge in Anspruch, blieb jedoch ohne Erfolg. Gegen die schließlich vollständige Abweisung seiner Klage durch den Bundesgerichtshof (Urteil vom 16. Mai 2023 - VI ZR 116/22 -) wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie genügt offensichtlich nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen. Eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz und eine Verletzung der zu seinen Gunsten bestehenden Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sind nicht hinreichend dargetan.

Soweit der Beschwerdeführer unter anderem beanstandet, dass der Bundesgerichtshof die Vorschrift des § 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) nicht als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anerkannt hat, beziehungsweise, dass der Bundesgerichtshof meint, eine etwaige Anwendung von § 353d Nr. 3 StGB als Schutzgesetz setzte für die Zuerkennung zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche jedenfalls eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen voraus, ist eine Missachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfindung durch den Bundesgerichtshof, die dem Willkürverbot zuwiderliefe, nicht substantiiert vorgebracht. Sie ist auch nicht ersichtlich.

Zudem setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert mit der seitens des Bundesgerichtshofs herangezogenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auseinander, der es für die Anwendung eines strafrechtlichen Veröffentlichungsverbots nach portugiesischem Recht – dessen Vergleichbarkeit mit § 353d Nr. 3 StGB der Beschwerdeführer dahingestellt lässt und damit für das vorliegende Verfahren hinnimmt – beanstandet hat, dass es in seiner allgemeinen und absoluten Fassung den Richter an einer Abwägung mit den durch Art. 10 EMRK geschützten Rechten hindere.

Nach § 353d Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer amtliche Dokumente eines Strafverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Scharfe Kritik an der Bundesregierung durch Journalisten auf X mittels Ankündigungstext und Verlinkung auf Artikel einer Online-Publikation von Meinungsfreiheit gedeckt

BVerfG
Beschluss vom 11.04.2024
1 BvR 2290/23

Das BVerfG hat entschieden, dass scharfe Kritik an der Bundesregierung durch einen Journalisten auf X mittels Ankündigungstext und Verlinkung auf einen Artikel einer Online-Publikation von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Journalisten gegen die gerichtliche Untersagung einer kritischen Äußerung über die Bundesregierung

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde eines Journalisten stattgeben. Dieser wendet sich gegen eine einstweilige Verfügung, durch die ihm eine kritische Äußerung gegenüber der Bundesregierung untersagt wurde.

Im August 2023 veröffentlichte der Beschwerdeführer auf der Kommunikationsplattform „X“ die Kurznachricht „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. In der Kurznachricht verlinkt war der Artikel eines Online-Nachrichtenmagazins mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“. Das Kammergericht untersagte dem Beschwerdeführer auf Antrag der Bundesregierung die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!).“ Die Äußerung sei eine unwahre Tatsachenbehauptung, die geeignet sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit der Bundesregierung zu gefährden. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Verfassungsbeschwerde.

Die Entscheidung des Kammergerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Sie verfehlt erkennbar den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Indem das Kammergericht für seine Beurteilung die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile ausblendet, verharrt seine Sinndeutung auf einer isolierten Betrachtung des Kurznachrichtentextes.

Sachverhalt:

Am 25. August 2023 veröffentlichte das Online-Nachrichtenmagazin (…) einen Artikel mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“, in dem es unter anderem hieß: „Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor zwei Jahren hat die Bundesregierung 371 Millionen Euro für Entwicklungshilfe im Land bereitgestellt. (…).“ Etwa eine Stunde nach der Veröffentlichung setzte der Beschwerdeführer auf der Kommunikationsplattform „X“ eine zu diesem Artikel verlinkende Kurznachricht ab. Ihr Text lautete: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. Am Ende seiner Kurznachricht fügte der Beschwerdeführer den Internet-Link zu dem Artikel ein, dessen Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ unterhalb des Links angezeigt wurde.

Mit angegriffenem Beschluss vom 14. November 2023 untersagte das Kammergericht dem Beschwerdeführer die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)“. Juristische Personen des öffentlichen Rechts könnten zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt werde. Ein solcher Ehrenschutz könne jedenfalls dann geltend gemacht werden, wenn die konkrete Äußerung geeignet sei, die juristische Person schwerwiegend in ihrer Funktion zu beeinträchtigen. So liege es hier. Durch die Äußerung des Beschwerdeführers bestünde die Gefahr, dass bei der Bevölkerung der Eindruck entstehe, die Bundesregierung zahle Entwicklungshilfe an ein Terrorregime, das die Rechte der Bevölkerung mit Füßen trete. Dies könne Zweifel in das Vertrauen der Arbeit der Bundesregierung und ihre Funktionsfähigkeit wecken.

Durch den Beschluss des Kammergerichts sieht sich der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

1. a) Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Zwar dürfen grundsätzlich auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen. Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen. Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden Grundrechts der Meinungsfreiheit ist dann besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.

b) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Auszugehen ist stets vom Wortlaut der Äußerung. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind verkannt, wenn die Gerichte eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinne einstufen mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Werturteile ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter.

2. Hieran gemessen, verstößt die Entscheidung des Kammergerichts gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit, da sie den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung erkennbar verfehlt.

a) Aus der Sicht eines Durchschnittslesers war es bereits angesichts der wiedergegebenen Vorschau des verlinkten Artikels ein hervorstechendes Anliegen des Beschwerdeführers, zwischen seiner Kurznachricht und einem hiermit verlinkten Nachrichtenartikel einen inhaltlichen Bezug herzustellen. Wird für die Kontextbestimmung einer Äußerung eine hierin für den Rezipienten erkennbar in Bezug genommene, inhaltlich sogar unmittelbar wahrnehmbare Schlagzeile eines Nachrichtenartikels ausgeblendet, verfehlt bereits dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Deutung umstrittener Äußerungen. Das war hier der Fall.

b) Indem das Kammergericht für seine Beurteilung die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ ausblendet, verharrt seine Sinndeutung auf einer isolierten Betrachtung des Kurznachrichtentextes. Auch zieht es nicht in Erwägung, ob die Annahme einer Tatsachenbehauptung angesichts der wiedergegebenen Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ als fernliegend auszuscheiden und aus der Sicht eines Durchschnittslesers allein die zugespitzte Meinungsäußerung anzunehmen sei, mit einer Zahlung von „Entwicklungshilfe für Afghanistan“ zahle Deutschland faktisch „Entwicklungshilfe an die Taliban“. Zugleich verliert das Kammergericht aus dem Blick, dass die Kritik an der Bundesregierung als Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens geprägt ist, auch dann als Meinungsäußerung geschützt wird, wenn sich in ihr Tatsachen und Meinungen vermengten, und dass weder die Bundesregierung Zahlungen von Entwicklungshilfe „für Afghanistan“ in Abrede stellt, noch die angegriffene Entscheidung in Zweifel zieht, dass die Gefahr ihres mittelbaren Zugutekommens an die Machthaber in Afghanistan besteht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit wenn einstweilige Verfügung keine Ausführungen enthält weshalb Gericht von mündlicher Verhandlung abgesehen hat

BVerfG
Beschluss vom 12.03.2024
1 BvR 605/24


Das BVerfG hat in einem Eilverfahren entschieden, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit naheliegt, wenn eine einstweilige Verfügung keine Ausführungen enthält, weshalb das Gericht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreicher Eilantrag einer Zeitungsverlegerin gegen die gerichtliche Untersagung der Bebilderung zweier Presseartikel

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts dem Antrag der Verlegerin einer deutschlandweit erscheinenden Zeitung auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben. Sie wendet sich gegen eine ohne mündliche Verhandlung ergangene einstweilige Verfügung, mit der ihr die Bebilderung zweier Presseartikel teilweise untersagt wurde. Eine Entscheidung über die in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde steht noch aus.

Im Dezember 2023 berichtete die Beschwerdeführerin auf ihrer Internetseite in zwei Artikeln über einen Unfall. Beide Artikel waren mit Fotoaufnahmen bebildert, auf denen der bei dem Unfall Verstorbene – bis auf die Augenpartie unverpixelt – zu sehen war. Auf Antrag der Witwe des Verstorbenen untersagte das Landgericht der Beschwerdeführerin im Wege der – ohne mündliche Verhandlung ergangenen – einstweiligen Verfügung, diese Bilder zu veröffentlichen. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhoben und hiermit verbunden beantragt, die Wirksamkeit des angegriffenen Beschlusses einstweilen außer Vollzug zu setzen. Der angegriffene Beschluss verletze sie insbesondere in ihrem Recht auf prozessuale Waffengleichheit.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet. Die vorzunehmende Folgenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen. Denn die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der gerügten Verletzung der prozessualen Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren offensichtlich zulässig und begründet.

Weshalb das Landgericht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat, obschon eine solche auch vor der Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Regel ist, lässt sich seiner Entscheidung nicht entnehmen. Ihre Begründung lässt mangels jeglicher Ausführungen zu § 937 Abs. 2 ZPO nicht einmal erkennen, dass sich das Landgericht von den einfachrechtlichen Anforderungen an seine Verfahrensweise überhaupt leiten ließ. Soweit es damit sogar hinter einer nur formelhaft begründeten Verfahrenshandhabung zurückbleibt, die das Bundesverfassungsgericht in einem ähnlich gelagerten Fall desselben Spruchkörpers erst unlängst beanstandet hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Juni 2023 - 1 BvR 1011/23 -, Rn. 31 f.), ist deshalb ein bewusstes und systematisches Übergehen der prozessualen Rechte der Beschwerdeführerin nachvollziehbar dargetan.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwalt: Offensichtliche Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit kann Versagung der Vollstreckbarerklärung in anderem EU-Mitgliedsstaat zur Folge haben

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 08.02.2024
C-633/22
Real Madrid Club de Fútbol u.a. gegen Société Éditrice du Monde SA u.a.


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass die offensichtliche Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit die Versagung der Vollstreckbarerklärung in anderem EU-Mitgliedsstaat zur Folge haben kann.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Erster Generalanwalt Szpunar: Eine offensichtliche Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit kann einen Grund für die Versagung der Vollstreckbarerklärung darstellen

Eine Verurteilung zu Schadensersatz, dessen Betrag offensichtlich überhöht sei, führe zu einer abschreckenden Wirkung, die sowohl die journalistische Freiheit als auch die Informationsfreiheit beeinträchtige.

Vor nahezu zehn Jahren wurden die Zeitung Le Monde und einer ihrer Journalisten in Spanien wegen der 2006 erfolgten Veröffentlichung eines Artikels verurteilt, in dem über Verbindungen zwischen dem Fußballverein Real Madrid und Dr. Fuentes berichtet wurde, dem Drahtzieher eines Dopingrings im Radsport. Mit der Entscheidung, dass der Artikel verleumderisch sei und dem Ruf des Vereins schade, ordnete die spanische Justiz eine Strafzahlung in Höhe von 390 000 Euro gegen die Herausgeberin der Zeitung Le Monde und in Höhe von 33 000 gesamtschuldnerisch gegen Letztere und ihren Journalisten an.

Real Madrid beantragte die Vollstreckung dieser spanischen Entscheidungen in Frankreich. 2020 lehnte das Berufungsgericht Paris den Antrag aber unter Verweis auf die Ordre-public-Klausel ab: Die Verurteilung entfalte unter Verletzung der Presse- und der Meinungsäußerungsfreiheit eine abschreckende Wirkung auf Journalisten und Presseorgane in Bezug auf die Beteiligung an der öffentlichen Erörterung für die Allgemeinheit interessanter Themen.

Der mit der Rechtssache befasste französische Kassationsgerichtshof möchte vom Gerichtshof wissen, ob die von der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierte Pressefreiheit in der Unionsrechtsordnung ein Grundprinzip darstellt, deren Verletzung einen Rückgriff auf die Ordre-Public-Klausel rechtfertigen kann.

Der Erste Generalanwalt Maciej Szpunar geht in seinen Schlussanträgen davon aus, dass ein Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckung einer Entscheidung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden beantragt wird, diese Vollstreckung versagen oder aufheben müsse, wenn sie zu einer offensichtlichen Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit führen würde.

Bei einer Verurteilung zu kompensatorischem Schadensersatz ist der Generalanwalt der Auffassung, dass die Gefahr einer Abschreckungswirkung, die über die Situation der unmittelbar betroffenen Person hinausgehe, die Versagung der Vollstreckbarerklärung rechtfertige, da sie eine offensichtliche und unverhältnismäßige Verletzung der Pressefreiheit in dem in Rede stehenden Mitgliedstaat darstelle. Insoweit stellt er klar, dass der Gesamtbetrag, den eine natürliche Person zu zahlen habe, als offensichtlich überhöht anzusehen sei, wenn diese Person jahrelang kämpfen müsste, um ihn vollständig zu begleichen, oder wenn der Betrag mehreren Dutzend Standardmindestlöhnen im betreffenden Mitgliedstaat entspreche. Was juristische Personen angehe, dürfe die Höhe des Presseunternehmen auferlegten Schadensersatzes nicht geeignet sein, deren finanzielles Gleichgewicht zu gefährden.

Unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat stelle die Pressefreiheit einen wesentlichen Grundsatz der Unionsrechtsordnung dar, dessen offensichtliche Verletzung einen Grund für die Versagung der Vollstreckbarerklärung bilden könne. Ein Rückgriff auf die öffentliche Ordnung sei nur in Ausnahmefällen möglich, und zwar dann, wenn bei einer Verurteilung zu kompensatorischen Schadensersatz die Vollstreckung der Entscheidung geeignet sei, im betroffenen Mitgliedstaat eine abschreckende Wirkung auf die Ausübung dieser Freiheit zu entfalten.


Ergebnis der Schlussanträge:
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen der Cour de Cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) wie folgt zu beantworten:

Art. 45 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 34 Nr. 1 und Art. 45 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass

ein Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt wird, die sich auf eine Verurteilung eines Unternehmens, das eine Zeitung herausgibt, und eines Journalisten wegen Schädigung des Rufs eines Sportvereins und eines Mitglieds seines medizinischen Teams durch eine in dieser Zeitung veröffentlichte Information bezieht, eine Vollstreckbarerklärung der Entscheidung versagen oder aufheben muss, wenn deren Vollstreckung zu einer offensichtlichen Verletzung der in Art. 11 der Charta der Grundrechte garantierten Freiheit der Meinungsäußerung führen würde.

Eine solche Verletzung ist zu bejahen, wenn die Vollstreckung der Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat eine potenziell abschreckende Wirkung in Bezug auf die Beteiligung sowohl der von der Verurteilung betroffenen Personen als auch anderer Presseunternehmen und Journalisten an der Debatte über ein Thema von allgemeinem Interesse hat. Eine potenziell abschreckende Wirkung liegt vor, wenn der Gesamtbetrag, dessen Zahlung gefordert wird, in Anbetracht der Art und der wirtschaftlichen Lage der betroffenen Person offensichtlich überhöht ist. Im Fall eines Journalisten liegt eine potenziell abschreckende Wirkung insbesondere dann vor, wenn dieser Betrag mehreren Dutzend Standardmindestlöhnen im Vollstreckungsmitgliedstaat entspricht. Im Fall eines Unternehmens, das eine Zeitung herausgibt, ist die potenziell abschreckende Wirkung so zu verstehen, dass das finanzielle Gleichgewicht dieser Zeitung offensichtlich gefährdet ist. Das Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats darf die Schwere des Verschuldens und das Ausmaß des Schadens nur berücksichtigen, um festzustellen, ob der Gesamtbetrag einer Verurteilung, obwohl er auf den ersten Blick offensichtlich überhöht scheint, angemessenen ist, um den Auswirkungen der verleumderischen Äußerungen entgegenzuwirken.

Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

OLG Köln: Weitere Passagen aus dem Buch und dem Hörbuch "Vermächtnis Die Kohl-Protokolle" müssen gestrichen werden

OLG Köln
Urteil vom 06.02.2024
15 U 314/19


Das OLG Köln hat entschieden, dass weitere Passagen aus dem Buch und dem Hörbuch "Vermächtnis Die Kohl-Protokolle" gestrichen werden müssen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Oberlandesgericht Köln: Berufungsverfahren Dr. Kohl-Richter gegen Dr. Schwan u.a. - Urteilsverkündung im Verfahren 15 U 314/19

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat am heutigen Tag in dem vorbezeichneten Verfahren entschieden und die angefochtene landgerichtliche Entscheidung teilweise abgeändert.

In dem Verfahren (vgl. dazu bereits die Pressemitteilung vom 07.10.2022 - PM 10/22) nimmt die Klägerin im Nachgang zu einem früheren Unterlassungsverfahren (OLG Köln, Urteil vom 29.05.2018, Az.: 15 U 65/17, teilweise aufgehoben durch BGH, Urteil vom 29.11.2021, Az. VI ZR 248/18, sodann entschieden durch Teilurteil des Senats vom 22.06.2023, Az. 15 U 65/17, n.v.) die Beklagten zu 1) bis 3) auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung weiterer Passagen aus dem von den Beklagten zu 1) und 2) verfassten und im Verlag der Beklagten zu 3) erschienenen Buch mit dem Namen „Vermächtnis Die Kohl-Protokolle“ (bzw. einem gleichnamigen Hörbuch) in Anspruch. Ferner begehrt sie Auskunft mit dem - jedenfalls primären - Ziel einer Verfolgung von Ansprüchen auf Auskehrung des sogenannten Verletzergewinns wegen eines angeblichen Eingriffs (auch) in „vermögenswerte Bestandteile“ des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Erblassers. Infolge zwischenzeitlichen Versterbens des Beklagten zu 2) ist das Verfahren insoweit unterbrochen. Soweit zwei weitere Beklagte - ehemals Beklagte zu 4) und 5) - wegen eigener Presseberichterstattungen über das Buch von der Klägerin auf Unterlassung und Löschung mehrerer Äußerungen in Anspruch genommen werden, ist das Verfahren abgetrennt und zwischenzeitlich entschieden worden (Urteil des Senats vom 22.06.2023 - 15 U 135/22, n.v.; Nichtzulassungsbeschwerde anhängig: BGH, Az. VI ZR 226/23).

Das Landgericht hat der gegen den Beklagten zu 1) auf Unterlassung gerichteten Klage im Wesentlichen und der gegen diesen im Rahmen einer Stufenklage gerichteten Auskunftsklage vollumfänglich stattgegeben. Die gegen die Beklagte zu 3) auf Unterlassung und im Rahmen einer Stufenklage auf Auskunft und Schadensersatz gerichtete Klage hat das Landgericht vollumfänglich abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin als auch der Beklagte zu 1) Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte zu 1) im Rahmen einer gegen die Klägerin gerichteten sog. Zwischenfeststellungswiderklage die Feststellung begehrt, dass in Bezug auf die geführten Memoirengespräche keine vertraglichen Geheimhaltungspflichten zwischen dem Beklagten zu 1) und dem Erblasser begründet worden sind.

Der 15. Zivilsenat hat - nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen und nach Anhörung der Klägerin und des Beklagten zu 1) - die angefochtene Entscheidung mit Urteil vom heutigen Tage teilweise abgeändert. Danach haben sowohl die Berufung der Klägerin als auch die Berufung des Beklagten zu 1) teilweise Erfolg. In Bezug auf den gegen den Beklagten zu 1) gerichteten Unterlassungsantrag hat der Senat dem Grunde nach das Bestehen eines vertraglichen Unterlassungsanspruchs bejaht, aber einige geringfügige Abänderungen mit Blick auf den Umfang der Verurteilung zur Unterlassung der Veröffentlichung/Verbreitung bestimmter Passagen des Buches ausgesprochen. Den auf die Feststellung fehlender vertraglicher Geheimhaltungspflichten gerichteten Zwischenfeststellungsantrag des Beklagten zu 1) hat der Senat abgewiesen. In Bezug auf die Beklagte zu 3) hat der Senat der auf Unterlassung zahlreicher Passagen des Buches gerichteten Klage nur in geringem Umfang stattgegeben. Die weitergehende gegen die Beklagte zu 3) gerichtete Berufung der Klägerin ist zurückgewiesen worden.

Zur näheren Begründung der Entscheidung hat der Senat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Im Verhältnis zu dem Beklagten zu 1) stehe der Klägerin dem Grunde nach ein vertraglicher Unterlassungsanspruch zu. Zwar sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung der übrigen feststehenden Umstände nicht sicher davon auszugehen, dass der Erblasser und der Beklagte zu 1) im Zusammenhang mit den Arbeiten am "Memoirenprojekt" - unter dem Dach der von ihnen jeweils nur mit dem Verlag abgeschlossenen, insoweit keine eindeutige Verschwiegenheitsverpflichtung regelnden schriftlichen Verträge - unmittelbar eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung über eine (umfassende) Verschwiegenheitspflicht des Beklagten zu 1) trafen. Den Beklagten zu 1) treffe aber aufgrund einer zwischen ihm und dem Erblasser stillschweigend begründeten auftragsähnlichen Rechtsbeziehung als vertragliche Nebenpflicht eine umfassende Verschwiegenheitspflicht. Aufgrund der hier vorliegenden besonderen Gesamtumstände sei von einem Rechtspflichten begründenden Rechtsverhältnis auszugehen. Die insoweit bestehende (Neben-)Pflicht sei auch nicht durch spätere Ereignisse in Wegfall geraten.

Folge der vertraglichen Bindung sei u.a., dass der Beklagte zu 1) sich im Verhältnis zu dem Erblasser nicht mehr auf sein Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen könne. Die vertragliche Verschwiegenheitspflicht beziehe sich inhaltlich nicht nur auf die Wiedergabe etwaiger Äußerungen des Erblassers in Form einer wörtlichen oder sinngemäßen Wiedergabe von Zitaten. Vielmehr umfasse sie auch alle anderen Informationen und Umstände aus der gesamten Memoirenarbeit sowie alle hieran anknüpfenden Wertungen des Beklagten zu 1), welche einen Rückschluss auf Äußerungen des Erblassers und /oder sonstige Vorkommnisse während der Memoirenarbeiten zuließen. Eine Ausnahme gelte nur für die Wiedergabe öffentlich vorbekannter Tatsachen und für Umstände, mit denen der Beklagte zu 1) nur "detailarm" den äußeren Rahmen der Memoirengespräche sowie die Rechtsstreitigkeiten der Parteien zutreffend beschreibe. Nach umfassender Prüfung der im Buch enthaltenen Passagen sei das Verbot der Veröffentlichung und Verbreitung in Bezug auf die vom Senat als unzulässig erkannten einzelnen Passagen auszusprechen. Weitere, im Einzelnen als zulässig erachtete Passagen seien - insoweit unter Klageabweisung - vom Verbot auszunehmen. Die Voraussetzungen für ein "Gesamtverbot" des Buches und einen daraus ableitbaren Anspruch auf Unterlassung seien zu verneinen.

Der auf die Feststellung fehlender vertraglicher Geheimhaltungspflichten gerichtete Zwischenfeststellungsantrag des Beklagten zu 1) sei entsprechend unbegründet.

Der von der Klägerin gegen den Beklagten zu 1) geltend gemachte Auskunftsanspruch sei zu bejahen. Er sei zur Vorbereitung eines der Klägerin zustehenden (unstreitig vererblichen) deliktischen Schadensersatzanspruchs wegen eines Eingriffs (auch) in die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts des Erblassers gegeben. Dem Grunde nach bestehe auch bei - hier allein feststellbarer - Fahrlässigkeit des Beklagten zu 1), der seine ungeschriebene vertragliche Bindung verkannt habe, ein Anspruch auf den sogenannten Verletzergewinn als Teil der im Immaterialgüterbereich anerkannten sogenannten dreifachen Schadensberechnung.

Gegen die Beklagte zu 3) bestehe ein Unterlassungsanspruch nur in geringem Umfang in Bezug auf einzelne Passagen. Mangels Bestehens einer vertraglichen Beziehung zwischen dem Erblasser und der Beklagten zu 3) stünden der Klägerin nach dem Tod des Erblassers gegen diese Unterlassungsansprüche nur bei Annahme einer postmortalen Persönlichkeitsrechtsverletzung zu. Unter Berücksichtigung der dazu in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien sei dies hier nur in besonderen Fällen anzunehmen, u.a. soweit dem Erblasser als unwahre Tatsachenbehauptungen angebliche Eigenaussagen zugeschrieben worden seien, die er nicht, in abweichendem Kontext oder jedenfalls in anderer Stimmungslage, Lautstärke, Tonfall etc. getätigt habe, und wenn hierdurch jeweils auch das Lebensbild des Erblassers verfälscht, seine Menschenwürde berührt werde. Diese Voraussetzungen seien jedoch nur für wenige Buchpassagen von der im Grundsatz darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin prozessual ausreichend substantiiert dargetan worden, dies insbesondere im Kontext einiger im Vorverfahren bereits beanstandeter Fehlzitate sowie unwahrer bzw. bewusst unvollständiger Tatsachenbehauptungen, so etwa bezogen auf den Abschiedsbrief der ersten Ehefrau des Erblassers. Mit Blick auf die - dem Senat nicht vollständig vorliegenden - Tonbandaufnahmen aus den Memoirengesprächen bzw. digitalen Audiokopien seien im Übrigen verfahrensrechtlich keine weitergehenden gerichtlichen Vorlageanordnungen zu treffen gewesen. Dies sei auch nicht gegenüber dem materiell-rechtlich möglicherweise herausgabepflichtigen Beklagten zu 1) geboten. Es bestehe kein Anlass, das Verfahren bis zum Abschluss des - ebenfalls im Wege der Stufenklage geführten und derzeit wieder beim Landgericht Köln anhängigen - Herausgabeverfahrens u.a. wegen der vom Beklagten zu 1) im Besitz gehaltenen Audiokopien der Tonbänder (dazu BGH, Urteil vom 03.09.2020 - III ZR 136/18, abrufbar über die Datenbank www.bundesgerichtshof.de externer Link, öffnet neues Browserfenster / neuen Browser-Tab) auszusetzen.

Die Stufenklage habe das Landgericht insgesamt zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte zu 3) mangels rechtlicher Grundlage kein Auskunftsanspruch und kein Anspruch auf Auskehr des mit dem Buchverkauf erzielten Gewinns zu. Da sich die Beklagte zu 3) - anders als der Beklagte zu 1) - im Zusammenhang mit der Buchveröffentlichung auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen und ihr kein erheblicher Verschuldensvorwurf gemacht werden könne, kämen etwa deliktische Schadensersatzansprüche oder Ansprüche wegen angemaßter Eigengeschäftsführung hier nicht in Betracht.

Der Senat hat die Revision (nur) mit Blick auf die Verurteilung des Beklagten zu 1) zur Auskunftserteilung bzw. die Abweisung der Stufenklage im Verhältnis zur Beklagten zu 3) zur höchstrichterlichen Klärung diesbezüglicher Rechtsfragen zugelassen.




VG Köln: Bundesnetzagentur darf in Pressemitteilung über Bußgeldbescheid das betroffene Unternehmen nicht namentlich nennen

VG Köln
Urteil vom 17.11.2023
1 K 3664/21


Das VG Köln hat entschieden, dass die Bundesnetzagentur in einer Pressemitteilung über einen Bußgeldbescheid das betroffene Unternehmen nicht namentlich nennen darf.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Bundesnetzagentur darf keine Pressemitteilung veröffentlichen, in der sie unter namentlicher Nennung des betroffenen Unternehmens über den Erlass eines Bußgeldbescheides unterrichtet
Die Bundesnetzagentur darf keine Pressemitteilung veröffentlichen, in der sie unter namentlicher Nennung des betroffenen Unternehmens über den Erlass eines Bußgeldbescheides unterrichtet. Dies hat das Verwaltungsgericht Köln mit Urteil vom 17. November 2023 entschieden, das den Beteiligten heute zugestellt wurde.

Die Klägerin betreibt Telemarketing. Wegen des Verdachts unerlaubter Telefonwerbung leitete die Bundesnetzagentur ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen die Klägerin ein und erließ Ende 2020 einen Bußgeldbescheid. Der Bußgeldbescheid ist noch nicht rechtskräftig. Kurze Zeit später veröffentlichte die Bundesnetzagentur eine Pressemitteilung, in der sie über die verhängte Geldbuße und die vorgeworfenen Rechtsverstöße berichtete. Die Klägerin wurde in der Pressemitteilung mehrfach namentlich genannt. Hiergegen beantragte die Klägerin zunächst einstweiligen Rechtsschutz. Im Eilverfahren untersagte das Oberverwaltungsgericht NRW der Bundesnetzagentur mit Beschluss vom 17. Mai 2021 (Az.: 13 B 331/21) vorläufig, die Pressemitteilung zu verbreiten. Mit der vorliegenden Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren zwecks endgültiger Klärung weiter.

Das Verwaltungsgericht Köln hat der Klage stattgegeben und der Bundesnetzagentur die Verbreitung einer derartigen Pressemitteilung untersagt. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Pressemitteilung greift in die durch Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützte Berufsfreiheit der Klägerin ein. Dieser Eingriff ist rechtswidrig, weil es an einer gesetzlichen Grundlage für ein solches Vorgehen fehlt. Die Bundesnetzagentur kann sich nicht darauf stützen, im Zusammenhang mit den ihr zugewiesenen Aufgaben allgemein Presse-, Öffentlichkeits- und Informationsarbeit betreiben zu dürfen. Die hier streitige Pressemitteilung dient nicht bloß der Information über die Tätigkeit der Bundesnetzagentur, sondern hat aufgrund ihrer konkreten Gestaltung eine anprangernde Wirkung, die den Sanktionscharakter des Bußgeldes verstärkt, wenn nicht übertrifft. Soweit die Bundesnetzagentur geltend macht, die Pressemitteilung diene der Warnung der Verbraucher vor unerlaubten Werbeanrufen, kommt dem im Text der Pressemitteilung und ausweislich eines behördeninternen Aktenvermerks nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Die Bundesnetzagentur kann sich auch nicht auf die Informationspraxis der Kartellbehörden stützen. Diese sind durch Gesetz zur Veröffentlichung ihrer Bußgeldentscheidung unter namentlicher Nennung der sanktionierten Unternehmen ermächtigt. Für eine entsprechende Anwendung dieser Rechtsgrundlage auf die Bundesnetzagentur fehlt es an einer Vergleichbarkeit der jeweils wahrzunehmenden Aufgaben.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache für die Behördenpraxis der Bundesnetzagentur hat das Gericht die Berufung und die Sprungrevision zugelassen. Über die Berufung würde das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden, über die Sprungrevision das Bundesverwaltungsgericht.


BVerfG: Verfassungsbeschwerde eines Presseunternehmens gegen eine im zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht unzulässig

BVerfG
Beschluss vom 10.11.2023
1 BvR 2036/23


Das BVerfG hat entschieden, dass die Verfassungsbeschwerde eines Presseunternehmens gegen eine in einem zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht unzulässig ist.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Unzulässige Verfassungsbeschwerde eines Presseunternehmens gegen eine in einem zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde eines überregional tätigen Presseunternehmens, seines Rechtsnachfolgers und zweier Mitarbeiter nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen eine in einem laufenden zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht richtet. Damit wird der daneben gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

Die Beschwerdeführerin zu 1) - ein überregional tätiges Presseunternehmen - wird in dem Ausgangsverfahren von einem dem Erzbistum Köln angehörenden Geistlichen auf Unterlassung einer im Jahr 2021 veröffentlichten Berichterstattung in Anspruch genommen. Diese betraf den Vorwurf der dienstlichen Beförderung des Geistlichen trotz Kenntnis der Entscheidungsträger von gegen ihn erhobenen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs. Das Oberlandesgericht Köln bestimmte im Berufungsverfahren Termin zur Beweisaufnahme durch Vernehmung eines Zeugen, schloss die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung des Zeugen aus und legte unter anderem den im Termin anwesenden Mitarbeitern der Beschwerdeführerin zu 2), die den entsprechenden Geschäftsbereich der Beschwerdeführerin zu 1) zwischenzeitlich übernommen hatte, gemäß § 174 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) die Verpflichtung auf, über den Inhalt der Aussage des Zeugen und die Inhalte der Erörterung der Beweisaufnahme Stillschweigen zu bewahren. Die Beschwerdeführer sehen sich durch die auferlegte Geheimhaltungsverpflichtung in ihrer Pressefreiheit verletzt und rügen eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Verfassungsrechtlich relevante Fehler bei der Auslegung oder Anwendung der gesetzlichen Grundlage der angeordneten Geheimhaltungspflicht sind weder dargetan noch ersichtlich.

Sachverhalt:

Kläger des Ausgangsverfahren (im Folgenden: Kläger) ist ein dem Erzbistum Köln angehörender katholischer Geistlicher, der sich mit einer Unterlassungsklage gegen eine von der Beschwerdeführerin zu 1) im Jahr 2021 veröffentlichte Berichterstattung wendet. Die Berichterstattung betraf den Vorwurf einer dienstlichen Beförderung des Klägers trotz Kenntnis der Entscheidungsträger von gegen ihn erhobenen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs, die unter anderem auf einen internen Bericht des Erzbistums gestützt wurden. Der Kläger wurde im Nachgang zu dieser Berichterstattung beurlaubt; in einem kirchenrechtlichen Verfahren wurde er zwischenzeitlich freigesprochen.

Im Berufungsverfahren bestimmte das Oberlandesgericht Köln die Vernehmung eines Zeugen, auf dessen Schilderungen der interne Bericht des Erzbistums Bezug nimmt. Das Beweisthema umfasste die Frage, ob es „während der Zeit der Tätigkeit des Klägers (…) Saunabesuche, Alkohol, Masturbation und das Vorspielen von Pornofilmen im Zusammenhang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ gegeben habe. Der Berufungssenat schloss für die Dauer der Vernehmung des Zeugen die Öffentlichkeit aus und legte den im Termin anwesenden Mitarbeitern und dem Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zu 2) die Verpflichtung auf, über den Inhalt der Aussage des Zeugen und die Inhalte der Erörterung der Beweisaufnahme Stillschweigen zu bewahren. Die auf § 174 Abs. 3 GVG gestützte Auferlegung von Geheimhaltungspflichten begründete er damit, dass innerhalb der ihm eingeräumten Ermessensausübung das Schutzinteresse des Zeugen an der Wahrung seiner Anonymität und seines persönlichen Lebensbereichs das von der Beschwerdeführerin zu 2) geltend gemachte Recht aus Art. 5 Grundgesetz (GG) und das von ihr wiederholt bekundete Interesse an einer weiteren Berichterstattung überwiege.

Mit ihrer erhobenen Verfassungsbeschwerde und ihrem gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügen die Beschwerdeführer, die ihnen auferlegte Geheimhaltungsverpflichtung verletze sowohl ihre Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als auch das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da ihre Begründung eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen lässt.

Zwar beinhaltet die ausgesprochene Geheimhaltungsverpflichtung einen intensiven Eingriff in die Pressefreiheit der Beschwerdeführer. Verfassungsrechtlich relevante Fehler bei der Auslegung oder Anwendung von § 174 Abs. 3 GVG sind indes weder dargetan noch ersichtlich. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde legen die Beschwerdeführer ungeachtet einer gesteigerten Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Kommunikationsgrundrechte eine die Pressefreiheit verkennende Fehlgewichtung der schutzwürdigen Interessen des Zeugen bei einer Aussage in öffentlicher Sitzung nicht dar.

1. Die Aufarbeitung sexueller Übergriffe auf Kinder und Jugendliche durch Geistliche und sonstige Mitarbeiter der katholischen Kirche bildet allerdings ein gesellschaftliches Thema, das von einem herausragenden öffentlichen Informationsinteresse begleitet wird. Dem steht jedoch gegenüber, dass Prozesse zwar in der, aber nicht für die Öffentlichkeit stattfinden. Einer unbegrenzten Öffentlichkeit der Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht stehen gewichtige Interessen gegenüber. Für § 171b Abs. 1 GVG war es eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Entscheidung des Gesetzgebers, den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht davon abhängig zu machen, dass das Schutzinter­esse des Betroffenen überwiegt, sondern ihn bereits zu ermöglichen, wenn bei einer Verletzung schutzwürdiger Interessen des Betroffenen das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände nicht überwiegt. § 174 Abs. 3 GVG verstärkt diesen Schutz des Betroffenen. Er zielt damit zugleich - mittelbar - auf die Vermeidung von Einschüchterungseffekten ab, die bei Fehlen einer effektiv geschützten Aussagesituation auf Seiten der Betroffenen zu besorgen wären, und die zugleich die im öffentlichen Interesse stehende Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege beeinträchtigen würden.

2. Nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen ist es, mit den Beschwerdeführern das Beweisthema lediglich der Privat- oder gar nur der Sozialsphäre des Zeugen zuzuordnen. Indem es Hintergrund, Hergang und Folgen sexueller Handlungen umfasst, die dem Zeugen widerfahren sein sollen, berührt es vielmehr insgesamt dessen Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und Wahrung seiner Intimsphäre. Diesem Recht auch unter den Bedingungen der Rechtspflege in einer seinem Stellenwert gerecht werdenden Weise Rechnung zu tragen, sind die Gerichte durch Anwendung der ihnen in den Vorschriften der §§ 169 bis 174 GVG eingeräumten Befugnisse in besonderer Weise berufen. Das öffentliche Informationsinteresse ist daher nicht in gleicher Weise schützenswert wie die übrigen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Zeugen gegenübertretenden Interessen, insbesondere das öffentliche Interesse an einer ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung. Diesem Umstand wird die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.

3. Ebensowenig gelingt es den Beschwerdeführern, die ihnen auferlegte Geheimhaltungspflicht unter dem Aspekt der Erforderlichkeit nachvollziehbar anzugreifen.

Bereits nicht nachvollziehbar begründet haben die Beschwerdeführer, weshalb sich die ihnen auferlegte Geheimhaltungspflicht auch auf sämtliche etwaig identischen Tatsachen erstrecke, die bereits vor Vernehmung des Zeugen bekannt geworden seien. Weder dargelegt noch ersichtlich ist deshalb auch, weshalb die ausgesprochene Geheimhaltungsverpflichtung mit Blick auf § 353d Nr. 2 StGB nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen sollte.

Nicht nachvollziehbar darzulegen vermögen die Beschwerdeführer eine Verletzung der Pressefreiheit aber auch insoweit, als sie rügen, dass die Geheimhaltungsverpflichtung nicht auf identifizierende Tatsachen beschränkt worden sei. Abgesehen von der Vermeidung einer erneuten Aktivierung der bereits entstandenen Identifizierbarkeit durfte sich das Oberlandesgericht auch davon leiten lassen, nicht auch die unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgte Aussage des Zeugen zum Ursprung einer erneuten Konfrontation des Zeugen mit dem von ihm geschilderten Geschehnissen durch eine Berichterstattung der Beschwerdeführer werden zu lassen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerwG: Bundesnachrichtendienst muss einem Journalisten Auskunft über Hintergrundgespräche des BND mit anderen Medienvertretern erteilen

BVerwG
Urteil vom 09.11.2023
10 A 2.23


Das BVerwG hat entschieden, dass der Bundesnachrichtendienst einem Journalisten Auskunft über Hintergrundgespräche des BND mit anderen Medienvertretern erteilen muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Auskünfte über Hintergrundgespräche beim Bundesnachrichtendienst
Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist verpflichtet, einem Journalisten Auskünfte darüber zu erteilen, welche fünf Medien in den Jahren 2019 und 2020 jeweils die meisten Einzelhintergrundgespräche erhalten haben, wie viele Gespräche jeweils geführt wurden und wie hoch jeweils Anteil und Zahl der mit Vertretern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veranstalteten Gespräche war. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger ist Journalist einer Tageszeitung. Er begehrt die genannten Auskünfte, die ihm seitens des BND unter Berufung auf nicht vorliegende statistische Auswertungen zunächst nicht erteilt wurden. Später teilte der BND dem Kläger die fünf Medien mit, mit denen im Gesamtzeitraum 2019/2020 am häufigsten Einzelhintergrundgespräche geführt worden sind. Bereits zuvor hatte der BND dem Kläger die im Zeitraum 2019 bis März 2020 besprochenen Themen mitgeteilt.

Die Klage hatte Erfolg. Dem Kläger stehen auf der Grundlage des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Presse die begehrten Auskünfte zu. Eine Generierung nicht vorhandener Informationen verlangt der Kläger nicht. Überwiegende öffentliche Interessen und der Schutz der Pressefreiheit der Medien, die an Einzelhintergrundgesprächen teilgenommen haben, stehen der Auskunftserteilung im konkreten Fall nicht entgegen. Im Hinblick auf die durch den BND bereits erteilten Auskünfte wird nicht ersichtlich, dass durch die Herausgabe der begehrten ergänzenden Informationen die Gefahr der Aufdeckung der Recherchen betroffener Medienvertreter durch Dritte signifikant gesteigert wird.

BVerwG 10 A 2.23 - Urteil vom 09. November 2023


BVerwG: Kein vorbeugender Rechtsschutz eines Journalisten gegen BND auf Unterlassung der Anhörung Betroffener bei zukünftigen Medienanfragen

BVerwG
Urteil vom 09.11.2023
10 A 3.23

Das BVerwG hat entschieden, dass ein Journalist gegen den BND einen Anspruch auf Unterlassung der Anhörung Betroffener bei zukünftigen Medienanfragen nicht im Wege des vorbeugendes Rechtsschutzes geltend machen kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kein vorbeugender Rechtsschutz eines Journalisten auf Unterlassungen des BND bei künftigen Anfragen

Ein Journalist, der zu Pressekontakten einer Behörde mit anderen Medienvertretern recherchiert, kann im Hinblick auf seine erst künftigen Auskunftsbegehren nicht verlangen, dass die Behörde auf die Anhörung Betroffener verzichtet. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger ist Journalist bei einer Tageszeitung. Er hatte verschiedene Auskünfte des Bundesnachrichtendienstes (BND) zu dessen Einzelhintergrundgesprächen mit Vertretern anderer Medien verlangt (vgl. hierzu die Presseinformation Nr. 85/2023 vom heutigen Tage im Verfahren BVerwG 10 A 2.23). Vor Erteilung einer Antwort hatte sich der BND in anonymisierter und abstrahierter Form an die betroffenen Medien gewandt, um zu erfragen, ob dort Einwände gegen entsprechende Auskünfte bestünden. Der Kläger verlangte vom BND die Abgabe einer Erklärung, es bei künftigen Rechercheanfragen zu unterlassen, die betroffenen Medien anzuhören. Der BND lehnte die Abgabe einer entsprechenden Erklärung ab.

Die Unterlassungsklage hat keinen Erfolg; sie ist bereits unzulässig. Sie bezieht sich auf künftige Rechercheanfragen des Klägers zu Hintergrundgesprächen mit Medien mit nicht näher bekanntem Inhalt. Vorbeugender verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz setzt voraus, dass der Kläger das von der Behörde erwartete Verhalten konkret bezeichnet, um dem Gericht eine Rechtmäßigkeitsprüfung zu ermöglichen. Nach dem Vortrag des BND wird es jedoch bei zukünftigen Rechercheanfragen betreffend Hintergrundgespräche nicht in jedem Falle erneut zu einer Anhörung der betroffenen Medien kommen. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer etwaigen Anhörung betroffener Medienvertreter kommt es außerdem einzelfallbezogen auf die betroffenen Belange auf Seiten des Klägers wie auch auf Seiten der anderen Medienvertreter an, im Besonderen auf den Schutz ihres Grundrechts der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in Gestalt des Recherchegeheimnisses. Ihre Abwägung ist ohne Kenntnis des näheren Inhalts einer künftigen Rechercheanfrage des Klägers nicht möglich.

BVerwG 10 A 3.23 - Urteil vom 09. November 2023


BVerfG: Abweichen von Abmahnung und Verfügungsantrag nur bei Verlassen des alten Streitgegenstands oder neuen Sachverhaltsumständen Verstoß gegen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit

BVerfG
Beschluss vom 18.09.2023
1 BvR 1728/23


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Abweichen von Abmahnung und Verfügungsantrag nur bei Verlassen des ursprünglichen Streitgegenstands oder neuen Sachverhaltsumständen einen Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit begründen kann.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Verfassungsbeschwerde gegen wettbewerbsrechtliche Eilentscheidung wegen fehlender Rechtswegerschöpfung erfolglos

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen eine ohne mündliche Verhandlung und ohne Anhörung der Beschwerdeführerin im Verfahren ergangene wettbewerbsrechtliche einstweilige Verfügung richtet. Damit wird der mit der Verfassungsbeschwerde verbundene Eilantrag gegenstandslos.

Die Beschwerdeführerin vertreibt kleine Solaranlagen (sogenannte Balkonkraftwerke) an Endverbraucher. Sie wurde von einem Wettbewerber wegen des Vorwurfs künstlich generierter Rezensionen auf einem Online-Bewertungsportal abgemahnt. Die Beschwerdeführerin teilte daraufhin mit, sich wegen Urlaubsabwesenheit ihrer Geschäftsführer erst nach Ablauf der gesetzten Frist äußern zu können. Auf Antrag des Wettbewerbers erließ das Landgericht Düsseldorf eine einstweilige Verfügung gegen die Beschwerdeführerin, ohne diese zuvor anzuhören. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht sie einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) und das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend.

Die Beschwerdeführerin hat eine Erschöpfung des Rechtswegs nicht dargetan. Für eine ausnahmsweise direkt gegen eine einstweilige Verfügung gerichtete Verfassungsbeschwerde, mit der unter Berufung auf die prozessuale Waffengleichheit eine Verletzung prozessualer Rechte geltend gemacht wird, bedarf es eines hinreichend gewichtigen Feststellungsinteresses. Dafür reicht es nicht aus, einen Verfahrensfehler geltend zu machen. Vielmehr müssen die Zivilgerichte die aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit folgenden Anforderungen grundsätzlich verkennen und ihre Praxis hieran unter Missachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht ausrichten. An der näheren Darlegung eines solchen Feststellungsinteresses fehlt es hier.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin wurde von einem Wettbewerber abgemahnt, der ihr vorhielt, auf einem Bewertungsportal im Internet künstlich generierte, nicht auf echten Kundenbeziehungen beruhende Rezensionen eingestellt zu haben.

Am Tag nach Ablauf der in der Abmahnung gesetzten Frist beantragte der Wettbewerber beim Landgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Im Verfügungsantrag sowie in der antragsgemäß und ohne Einbeziehung der Beschwerdeführerin erlassenen einstweiligen Verfügung wurde das Unterlassungsbegehren, das in der Abmahnung noch durch Verweis auf einen Internetlink zum Profil der Beschwerdeführerin auf dem Bewertungsportal näher beschrieben worden war, unter Bezugnahme auf Bildschirmfotografien (sogenannte Screenshots) fünf einzelner Rezensionen konkretisiert.

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die einstweilige Verfügung hätte nicht ohne ihre Anhörung im Verfahren ergehen dürfen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die gesetzlichen Annahmevoraussetzungen nicht erfüllt sind. Insbesondere liegen die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise unmittelbar gegen eine einstweilige Verfügung selbst erhoben werden kann, nicht vor.

1. Bei der Geltendmachung einer Verletzung prozessualer Rechte unter Berufung auf die prozessuale Waffengleichheit im Wege einer auf Feststellung gerichteten Verfassungsbeschwerde bedarf es eines hinreichend gewichtigen Feststellungsinteresses. Dafür reicht es nicht aus, einen Verfahrensfehler geltend zu machen. Vielmehr müssen die Zivilgerichte die aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit folgenden Anforderungen grundsätzlich verkennen und ihre Praxis hieran unter Missachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht ausrichten.

2. An der näheren Darlegung eines solchen Feststellungsinteresses fehlt es hier.

a) Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, ihre Anhörung im Verfahren sei wegen des von der Abmahnung abweichenden Unterlassungsbegehrens im Verfügungsantrag geboten gewesen, übergeht sie die Bedeutung der sogenannten Kerntheorie für lauterkeitsrechtliche einstweilige Verfügungen. Danach bezieht sich ein Unterlassungsgebot auf den Inhalt der zu unterlassenden Handlung und weniger auf ihre konkrete Formulierung im Einzelfall.

Jedenfalls fehlt es an einem Feststellungsinteresse, weil das mit der einstweiligen Verfügung ergangene Unterlassungsgebot, bezogen auf fünf konkrete Rezensionen, in der Sache als „Minus“ bereits in dem mit der Abmahnung geltend gemachten Unterlassungsbegehren hinsichtlich aller Rezensionen auf dem Profil der Beschwerdeführerin enthalten war.

b) Auch hinsichtlich der angeblich abweichenden Begründung des Verfügungsantrags verfehlt die Beschwerdeführerin die gebotene Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben für lauterkeitsrechtliche einstweilige Verfügungen. Danach ist eine Identität der rechtlichen Begründung nicht erforderlich; eine Grenze ist erst dort zu ziehen, wo der gerichtliche Verfügungsantrag den im Rahmen der außergerichtlichen Abmahnung geltend gemachten Streitgegenstand verlässt oder weitere Streitgegenstände und Sachverhaltsumstände neu einführt.

Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, dass der Wettbewerber im Verfügungsantrag erstmals auf diverse Angebote von Unternehmen hingewiesen habe, bei denen die Beschwerdeführerin gefälschte Bewertungen gekauft haben soll, erschließt sich aus ihren Ausführungen nicht, inwiefern darin eine waffengleichheitsrelevante Begründungsänderung liegen soll. Denn die Mutmaßung, dass die Beschwerdeführerin die beanstandeten Rezensionen „gekauft“ habe, dient nur der Illustration des streitgegenständlichen Vorwurfs unlauteren Verhaltens durch Verwendung solcher Rezensionen, bildet aber keinen neuen Streitgegenstand.

Soweit die Beschwerdeführerin ferner damit argumentiert, dass der Verfügungsantrag länger als die Abmahnung gewesen sei, zeigt sie allein damit noch keine inhaltliche Abweichung auf.

c) Die Darlegung eines hinreichend gewichtigen Feststellungsinteresses ist vorliegend auch nicht entbehrlich. Allein die fortgesetzte Belastung durch einen einseitig erstrittenen Unterlassungstitel reicht hierzu nicht aus. Vielmehr müsste die Beschwerdeführerin auch in der Sache durch die Unterlassungsverpflichtung belastet sein. Dafür, dass die Beschwerdeführerin einen durch die Schadensersatzpflicht gemäß § 945 ZPO nicht ausgleichbaren Nachteil erlitte, wenn sie die beanstandeten Rezensionen erst nach Abschluss des fachgerichtlichen Verfahrens wieder auf ihrem Profil auf dem verfahrensgegenständlichen Bewertungsportal einstellen könnte, ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Köln: Veränderung eines als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützten Zeitungsartikels kann nach § 14 UrhG und § 39 UrhG unzulässig sein

LG Köln
Urteil vom 10.08.2023
14 O 144/23


Das LG Köln hat entschieden, dass die Veränderung eines als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützten Zeitungsartikels nach § 14 UrhG und § 39 UrhG unzulässig sein kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Köln gem. § 32 ZPO örtlich zuständig. Erfolgsort der von dem Verfügungskläger vorgetragenen unerlaubten Handlung i. S. d. § 32 ZPO war auch der Bezirk des Landgerichts Köln, da der Online-Artikel der Verfügungsbeklagten jedenfalls auch im Bezirk des Landgerichts Köln bestimmungsgemäß abrufbar war (s. schon die Beschlussverfügung der Kammer, Bl. 135 d. A.).

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet.

1. Es besteht ein Verfügungsanspruch. Der Verfügungskläger hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus §§ 97 Abs. 1, 14, 19a, 39 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG folgenden Unterlassungsanspruchs gegen die Verfügungsbeklagte dargelegt und glaubhaft gemacht.

Zunächst wird auf die Ausführungen der Kammer in der Beschlussverfügung zu der Schutzfähigkeit des streitgegenständlichen Artikels und der im Rahmen der §§ 14, 39 UrhG erforderlichen Interessenabwägung verwiesen. Das Vorbringen der Verfügungsbeklagten in der Widerspruchsbegründung verändert die Einschätzung der Kammer in diesem Zusammenhang nicht.

Bei dem Artikel des Verfügungsbeklagten handelt es sich um ein geschütztes Sprachwerk i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG. Ein Sprachwerk genießt dann urheberrechtlichen Schutz, wenn es auf einer persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG beruht. Diese kann sowohl in der von der Gedankenführung geprägten Gestaltung der Sprache als auch in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffes zum Ausdruck kommen (BGH GRUR 1997, 459, 460 – CB-infobank I; OLG Düsseldorf ZUM 2014, 242, 243). Je länger dabei ein Text ist, desto größer ist der Spielraum für Gestaltungsmöglichkeiten bei der individuellen Wortwahl und Darstellungsform und kann deshalb umso eher eine hinreichende eigenschöpferische Prägung erkannt werden (OLG Köln GRUR-RR 2016, 59, 60 – Afghanistan Papiere). Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, ein Thema darzustellen, und der Vielzahl der Ausdrucksmöglichkeiten ist bei Zeitungsartikeln in aller Regel von einer persönlichen geistigen Schöpfung des Autors auszugehen (Loewenheim/Leistner, in: Schricker/Loewenheim, UrhG, 6. Aufl. 2020, § 2 Rn. 142).

Nach diesen Grundsätzen ist bei dem streitgegenständlichen Artikel ohne Weiteres von einer persönlichen geistigen Schöpfung des Verfügungsklägers und damit einer Schutzfähigkeit des Artikels auszugehen. Die Länge des Artikels, die Gedankenführung des Verfügungsbeklagten in Bezug auf ein mögliches „Greenwashing“ von B. sowie die politischen Kontakte, die das Unternehmen unterhält, sowie die Originalität von Wortwahl, Satzbau und sprachlichen Bildern („Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet“) gehen weit über eine bloße Aneinanderreihung vorgegebener Fakten, die ggf. nicht schutzfähig wäre, hinaus.

Die Verfügungsbeklagte hat das Werk des Verfügungsklägers durch die Entfernung der im Tenor der Beschlussverfügung genannten Passagen ohne dessen Zustimmung verändert und es damit beeinträchtigt (§ 14 UrhG) bzw. in unzulässiger Weise verändert (§ 39 Abs. 1 UrhG). Die durch die Verfügungsbeklagte vorgenommenen Änderungen sind insbesondere nicht im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung bzw. über § 39 Abs. 2 UrhG als gerechtfertigt anzusehen.

Wie bereits in der Beschlussverfügung angesprochen ist das Verhältnis zwischen § 14 UrhG und § 39 UrhG nicht abschließend geklärt (vgl. LG Berlin GRUR 2007, 964, 967 – Z. Hauptbahnhof). Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, weil der Artikel durch die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Auslassungen i. S. d. § 14 UrhG beeinträchtigt wird. Von einer Entstellung bzw. sonstigen Beeinträchtigung gem. § 14 UrhG ist auszugehen, wenn der geistig-ästhetische Gesamteindruck des Werks beeinträchtigt wird, die Beeinträchtigung geeignet ist, die Interessen des Urhebers zu gefährden und eine Interessenabwägung zulasten des Beeinträchtigenden ausfällt (OLG Köln GRUR 2023, 1012, 1015 – Moschee-Vordach; LG Köln ZUM-RD 2023, 224, 227; vgl. LG Berlin GRUR 2007, 964, 967). Eine Beeinträchtigung liegt bei jeder objektiv nachweisbaren Änderung des vom Urheber bestimmten Gesamteindrucks vor (OLG Köln GRUR 2023, 1012, 1015 – Moschee-Vordach; Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 7. Aufl. 2022, § 14 Rn. 10). Bei der sodann vorzunehmenden Interessenabwägung kommt es insbesondere darauf an, festzustellen, welchen Einfluss die Veränderungen auf den künstlerischen bzw. hier journalistischen Gesamteindruck des Werks haben. Beziehen sich die Änderungen nur auf ganz untergeordnete Werkelemente oder sind sie sonst von nicht nennenswerter Relevanz für das gesamte Werk, kommt ihnen in der Interessenabwägung auch weniger Gewicht zu. Umgekehrt führen erhebliche Änderungen im Gesamteindruck zu einer entsprechend schwerwiegenden Beeinträchtigung der Urheberinteressen (LG Köln ZUM-RD 2023, 224, 227).

Nach diesen Maßstäben liegt bei den im Tenor aufgeführten Auslassungen ein hinreichend relevanter Eingriff in den Gesamteindruck des Sprachwerks vor. In objektiver Hinsicht fehlen in der angegriffenen Fassung zum einen Ausführungen zur bekannten Verteidigungspolitikerin H.-Y. und zum anderen das abschließende Fazit zu dem Themenkomplex der politischen Verflechtungen von B.. Das Fazit „Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet“ zeichnet sich zudem – jedenfalls im Kontext des Gesamtwerks – durch eine besondere sprachliche Individualität und Originalität aus. Diese fußt auf einer persönlichen geistigen Schöpfung des Verfügungsbeklagten und verstärkt den Eindruck einer individuellen Stellungnahme zum Thema. Durch die Auslassungen geht ein maßgeblicher Teil der Aussage des Artikels verloren, zumal die Verknüpfungen des Konzerns zu verschiedenen Personen des politischen Lebens in einer vom Verfügungskläger individuell und ohne Sachzwänge gewählten Abfolge dargestellt worden sind. Diese Teile waren gerade auch für die Verfügungsbeklagte von besonderer Bedeutung, hatte Herr T. den Verfügungsbeklagten doch explizit mit der Durchdringung der politischen Beziehungen von B. beauftragt („Wer stürzt [sic] sie politisch?“). Insofern erscheint der Vortrag der Verfügungsbeklagten, die Änderungen seien geringfügig gewesen und hätten sich auf den unbedingt erforderlichen Umfang beschränkt, nicht tragfähig und sogar widersprüchlich.

Die Streichungen beeinträchtigen die Interessen des Verfügungsklägers. Dem Verfügungskläger wurde durch die veränderte Fassung ein Text zugeordnet, der in dieser Fassung nicht von ihm stammt. Aufgrund dessen muss er ggf. mit Kritik rechnen, etwa weil er nicht ausreichend recherchiert und die Beziehungen von Frau H.-Y. zu B. nicht ausreichend kritisch beleuchtet hätte. Damit könnte der vom Antragsteller nicht gewünschte Eindruck entstehen, er wäre parteiisch oder wollte bestimmte Personen schützen. Durch den Hinweis der Verfügungsbeklagten unter dem Artikel, dass die entfernten Teile irreführend gewesen seien, drohte dem Verfügungskläger zudem der Vorwurf der unsachgemäßen, ggf. tendenziösen Berichterstattung. Beides muss er grundsätzlich vor dem Hintergrund seiner urheberpersönlichkeitsrechtlichen Beziehung zu dem Sprachwerk nicht hinnehmen.

Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung überwiegen die Interessen des Verfügungsklägers die der Verfügungsbeklagten. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Gesamteindruck des Werks durch die Änderungen in journalistisch-erzählerischer wie in sprachlicher Hinsicht erheblich verändert wurde (s. o.) und die Urheberinteressen des Verfügungsklägers entsprechend schwerwiegend beeinträchtigt wurden. Die von der Verfügungsbeklagten vorgetragenen Gegeninteressen können diesen Eingriff nicht rechtfertigen.

Zu berücksichtigen sind vorliegend das Interesse der Antragsgegnerin, nicht durch Frau H.-Y. verklagt zu werden und diesbezüglich eine Opportunitätsentscheidung treffen zu können, und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Frau H.-Y. – insoweit hat die Verfügungsbeklagte entsprechende Gegendarstellungsverlangen von Frau H.-Y. nach Ansicht des Gerichts hinreichend glaubhaft gemacht. Das Interesse der Verfügungsbeklagten, einen Prozess zu vermeiden, ist im Wesentlichen wirtschaftlicher Natur und damit nach Auffassung des Gerichts nicht besonders gewichtig. Insbesondere sind auch die Prozessaussichten von Frau H.-Y. völlig unklar. Der Verfügungskläger bezeichnet Frau H.-Y. im Originalartikel als „Rüstungs- und Kriegslobbyistin“. Diese Bezeichnung könnte ggf. eine Ehrverletzung darstellen und einen Unterlassungsanspruch von Frau H.-Y. rechtfertigen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Frau H.-Y. unstreitig nicht im Lobbyregister des Bundestags eingetragen ist. Auf der anderen Seite ist fraglich, ob dem Lobbyregister in diesem Zusammenhang ausschlaggebende Bedeutung zukommen kann und es sich nicht gerade mit Blick auf den Begriff der „Kriegslobbyistin“ um eine Meinungsäußerung des Verfügungsklägers handelt. An dieser Frage hängen das Prozessrisiko der Verfügungsbeklagten und das Gewicht der zu berücksichtigenden Interessen von Frau H.-Y.. Letztlich kann die Frage jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls wäre es aus Sicht der Verfügungsbeklagten geboten gewesen, den Verfügungskläger vor der Entfernung der beiden Textstellen um seine Zustimmung zu bitten. Hätte er zugestimmt, hätte die Verfügungsbeklagte die Kürzungen unproblematisch vornehmen können. Hätte er nicht zugestimmt, hätte die Verfügungsbeklagte den Artikel im Gesamten von ihrem Online-Auftritt entfernen können. Der Beklagten wäre in diesem Fall lediglich ein Schaden in Höhe des an den Kläger gezahlten Honorars von 400,00 EUR entstanden. Indem sie eine entsprechende Nachfrage unterließ, gewährte sie ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen eigenständig Vorrang vor den urheberrechtlichen Interessen des Verfügungsklägers. Sie beeinträchtigte damit das Urheberrecht des Verfügungsklägers in so schwerwiegender Weise, dass sein Interesse die Interessen der Verfügungsbeklagten und die Interessen von Frau H.-Y. nach Auffassung des Gerichts überwiegt. Da also bereits das Gesetz die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Änderungen verbietet, kommt es nicht darauf an, ob die Forderung des Verfügungsklägers, dass alle Änderungen an dem Artikel mit ihm abgesprochen werden müssten, noch Vertragsbestandteil geworden ist. Insofern ist aber darauf hinzuweisen, dass Urheberpersönlichkeitsrechte im Grundsatz aufgrund ihrer engen persönlichen Verbundenheit zum Werk die Tendenz haben, soweit wie möglich beim Urheber zu bleiben (vgl. zu § 13 UrhG: BGH, GRUR 1995, 671 – Namensnennungsrecht des Architekten). Ein wirksamer Verzicht auf die Ausübung von solchen urheberrechtlichen Positionen ist nur ausnahmsweise anzunehmen. Dabei trägt vorliegend jedoch die Verfügungsbeklagte bereits keinen schuldrechtlichen Verzicht auf urheberrechtliche Positionen bzw. eine schuldrechtliche Einigung hinsichtlich zukünftiger einseitiger Änderungen am Text durch sie vor.

Weil bereits eine Beeinträchtigung des Werks i. S. d. § 14 UrhG vorliegt, kann die Verfügungsbeklagte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Verfügungskläger seine Einwilligung zu den Änderungen nach Treu und Glauben nicht hätte versagen können, § 39 Abs. 2 UrhG. Im Übrigen erlaubt § 39 Abs. 2 UrhG bei Printmedien lediglich die Korrektur von Schreib- oder Interpunktionsfehlern, ggf. auch die Verbesserung sprachlicher Ausdrücke etwa eines nicht muttersprachlichen Autors. Die sinnentstellende Kürzung von Beiträgen ist jedoch nicht von § 39 Abs. 2 UrhG umfasst (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 7. Aufl. 2022, § 39 Rn. 19; Wandtke, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 6. Aufl. 2022, § 39 Rn. 26). Auch aus dem Vortrag der Verfügungsbeklagten, es entspreche ständiger Branchenübung im Zeitungswesen, dass redaktionelle Änderungen ohne weitere Absprachen zulässig seien, folgt nichts anderes. Denn nach den vorstehenden Ausführungen handelt es sich bei den von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Änderungen gerade nicht um redaktionelle Änderungen, also die Berichtigung von offensichtlichen Schreib- oder Interpunktionsfehlern, sondern die Beeinträchtigung des Werks in seinem journalistischen und sprachlichen Kern.

Der veränderte Artikel wurde sodann über die Webseite der Verfügungsbeklagten öffentlich zugänglich gemacht, § 19a UrhG. Dies war angesichts der von der Verfügungsbeklagten vorgenommen Veränderungen nicht mehr von der ursprünglich eingeräumten Lizenz des Verfügungsklägers gedeckt, mithin rechtswidrig. Die für die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die vorangegangene Rechtsverletzung indiziert. Diese kann grundsätzlich nur durch Abgabe einer geeignet strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung beseitigt werden. Eine solche hat die Antragsgegnerin auf die Abmahnung des Verfügungsklägers vom 14.04.2023 nicht abgegeben.

2. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeit als Voraussetzung des Verfügungsgrunds wird im Urheberrecht – anders als im Lauterkeitsrecht nach § 12 Abs. 1 UWG – zwar nicht vermutet. Der Antragsteller hat vielmehr darzutun und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist (vgl. OLG Köln ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Nürnberg GRUR-RR 2019, 64). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit aber auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben (vgl. OLG Köln ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Köln BeckRS 2016, 09601; OLG München BeckRS 2008, 42109). So liegen die Dinge hier. Die Rechtsverletzung dauerte im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch an. Aufgrund der Aktualität des Artikels und der schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Urheberinteressen musste der Verfügungskläger sich vorliegend nicht auf das Hauptsacheverfahren verweisen lassen.

III. Die durch §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO vorgesehene Vollziehungsfrist von einem Monat ab Zustellung der einstweiligen Verfügung beim Verfügungskläger ist durch die Zustellung der Beschlussverfügung vom 28.04.2023 bei der Verfügungsbeklagten am 25.05.2023 (vgl. Bl. 190 d. A.) gewahrt.

IV. Auch war die Beschlussverfügung nicht wegen eines Gehörsverstoßes des Gerichts aufzuheben. Die Kammer hat bereits mit Verfügung vom 09.06.2023 darauf hingewiesen, dass der Verfügungsbeklagten die Antragsschrift vom 19.04.2023 und der Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 per E-Mail am 20.04.2023 übersendet worden sind. Gegen eine Unkenntnis der Verfügungsbeklagten spricht zudem die E-Mail von Herrn T. an den Verfügungskläger vom 05.05.2023, in der Herr T. dem Verfügungskläger eine außergerichtliche Beilegung des Streits vorschlug (Bl. 246 d. A.). Jedenfalls wirkt sich ein etwaiger Gehörsverstoß durch die Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 10.08.2023 und die damit einhergehende Möglichkeit zur rechtlichen Stellungnahme für das weitere Verfahren nicht aus (vgl. ausführlich Urteil der Kammer vom 03.03.2022, Az. 14 O 419/21).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BVerfG: Durch Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit beanstandete Verfahrensfehler müssen im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde konkret dargelegt werden

BVerfG
Beschluss vom 31.08.2023 - 1 BvR 1601/23
Beschluss vom 31.08.2023 - 1 BvR 1602/23


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass durch Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit beanstandete Verfahrensfehler im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde konkret und nachvollziehbar dargelegt werden müssen.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Verfassungsbeschwerden in äußerungsrechtlichen Eilverfahren wegen unzureichend dargelegter Verfahrensfehler unzulässig

Mit heute veröffentlichten Beschlüssen hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zwei Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die fachgerichtliche Untersagung einer Online-Berichterstattung richten. Die mit ihnen verbundenen Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen werden damit gegenstandslos.

Die Beschwerdeführerin zu 1) veröffentlichte in ihrem Online-Nachrichtenportal einen von der beschwerdeführenden Person zu 2) verfassten Beitrag mit dem Titel „Schwere Vorwürfe gegen Vorstandsmitglieder des (…) e.V.“ und der Unterzeile „Veruntreuung, Steuerhinterziehung, unklare Buchführung, Überweisungen in die Schweiz - die Liste der im Raum stehenden Verdächtigungen gegen den Vorstand des Vereins ist lang (…)“. Das Landgericht Berlin untersagte die Berichterstattung durch zwei einstweilige Verfügungen. Hiergegen wenden sich die Beschwerdeführenden mit ihren Verfassungsbeschwerden und rügen eine Verletzung ihres Rechts auf prozessuale Waffengleichheit. Das Landgericht habe sie zuvor nicht angehört, indem es ihnen die Antragsschrift (Verfahren 1 BvR 1601/23) beziehungsweise den letzten Schriftsatz der Gegenseite (Verfahren 1 BvR 1602/23) nicht zugeleitet habe. Auch hätte es einer mündlichen Verhandlung bedurft.

Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig. Zwar scheitern sie – anders, als im Verfahren 1 BvR 1612/23 (vgl. Pressemitteilung Nr. 78/2023 vom 6. September 2023) – nicht an einer fehlenden Rechtswegerschöpfung vor den Fachgerichten. Denn die Beschwerdeführenden bringen nachvollziehbar vor, die von ihnen gerügten Verfahrensfehler seien Ausdruck eines bewussten und systematischen Übergehens ihrer prozessualen Rechte durch die Pressekammer des Landgerichts Berlin. Allerdings haben sie die als Verletzung ihres Rechts auf prozessuale Waffengleichheit beanstandeten Verfahrensfehler nicht nachvollziehbar dargetan.

Sachverhalt:

Am 2. Juni 2023 veröffentlichte die Beschwerdeführerin zu 1) in dem von ihr betriebenen Online-Nachrichtenportal einen von der beschwerdeführenden Person zu 2) verfassten Beitrag mit dem in der Einleitung genannten Titel über verschiedene gegen Vorstandsmitglieder des Vereins (…) e.V. gerichtete Vorwürfe. Auf zeitnahe Abmahnungen des Vereins und zweier Vorstandsmitglieder gaben die Beschwerdeführenden keine Erklärungen ab.

Gut einen Monat später beantragten vier Vorstandsmitglieder des Vereins wegen einzelner zuvor abgemahnter Äußerungen den Erlass einer einstweiligen Verfügung bei der Pressekammer des Landgerichts Berlin (Verfahren 1 BvR 1601/23). Ein weiteres Vorstandsmitglied stellte einen entsprechenden Antrag wegen weiterer, auf seine Person bezogener Äußerungen (Verfahren 1 BvR 1602/23). Die Beschwerdeführenden bringen vor, im Verfahren 1 BvR 1601/23 sei ihnen schon die Antragsschrift nicht zugeleitet worden. Im Verfahren 1 BvR 1602/23 hätten sie zwar zur Antragsschrift Stellung genommen, zu der nachfolgenden Erwiderung des antragstellenden Vorstandsmitglieds seien sie jedoch nicht mehr angehört worden.

Mit angegriffenen Beschlüssen vom 18. Juli 2023 (Verfahren 1 BvR 1601/23) und vom 25. Juli 2023 (Verfahren 1 BvR 1602/23) untersagte das Landgericht den Beschwerdeführenden im Wege der einstweiligen Verfügung „wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung“ die abgemahnten Äußerungen.

Hiergegen legten die Beschwerdeführenden Widerspruch ein. Das Landgericht habe in beiden Fällen gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit verstoßen, da sie vor Erlass der einstweiligen Verfügungen nicht angehört worden seien. Soweit die Kammer von einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe, verletze auch dies die prozessuale Waffengleichheit. Während die Antragsteller ihren ohnehin verspäteten Antrag am 3. Juli 2023 gestellt hätten, habe die Kammer ihren Beschluss erst am 18. Juli 2023 beziehungsweise am 25. Juli 2023 erlassen.

Am 18. August 2023 haben die Beschwerdeführenden mit der gleichen Begründung Verfassungsbeschwerde erhoben.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig. Zwar haben die Beschwerdeführenden den Rechtsweg erschöpft, da die unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit gerügte Rechtsverletzung nicht ausschließlich einen fachgerichtlich angreifbaren Verfahrensfehler beinhaltet, für den es im Hinblick auf § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bei der vorrangigen Zuständigkeit der Fachgerichte verbleibt. Die Verfassungsbeschwerden genügen jedoch offensichtlich nicht den gesetzlichen Anforderungen, da ihre jeweilige Begründung die als Verletzung ihres Rechts auf prozessuale Waffengleichheit beanstandeten Verfahrensfehler inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen lässt.

1. Das gilt zunächst für die Rüge der Beschwerdeführenden, vor den angegriffenen Entscheidungen nicht durch das Landgericht angehört worden zu sein.

a) Soweit sich die Beschwerdeführenden im Verfahren 1 BvR 1601/23 darauf beziehen, den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung nicht zur Stellungnahme erhalten zu haben, geht aus den beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens hervor, dass das Landgericht am 4. Juli 2023 die formlose Übersendung beglaubigter Abschriften der Antragsschrift nebst Anlagen an die Beschwerdeführenden zur Stellungnahme binnen drei Tagen verfügt hatte und diese Verfügung am 5. Juli 2023 ausgeführt wurde. Bei dieser Sachlage ist ein bewusstes und systematisches Übergehen ihrer prozessualen Rechte nicht ersichtlich.

b) Im Verfahren 1 BvR 1602/23 stützen sich die Beschwerdeführenden maßgeblich darauf, zum erwidernden Schriftsatz des Antragstellers vom 17. Juli 2023 auf ihre vorherige Stellungnahme vom 10. Juli 2023 durch das Landgericht nicht ein weiteres Mal angehört worden zu sein. Auch damit ist eine Verletzung von Rechten im Sinne von § 90 Abs. 1 BVerfGG nicht nachvollziehbar dargetan.

Zwar gewährleistet das Grundrecht auf rechtliches Gehör die Gelegenheit, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern, also grundsätzlich zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite. Verwertet das Gericht eine solche Stellungnahme, ohne sie dem Betroffenen zur Kenntnis gebracht zu haben, liegt hierin daher eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Die Beschwerdeführenden legen aber weder dar, welcher der in der Erwiderung des Antragstellers vom 17. Juli 2023 vorgetragenen Gesichtspunkte zuvor nicht bereits Gegenstand des Verfahrens gewesen sei, noch, welchen Gesichtspunkt das Landgericht in seiner angegriffenen Entscheidung verwertet habe, der ihnen zuvor nicht zur Kenntnis gebracht worden sei.

2. Soweit die Beschwerdeführenden eine Verletzung ihres Rechts auf prozessuale Waffengleichheit ferner unter dem Aspekt einer unterbliebenen mündlichen Verhandlung rügen, ist auch dies in beiden Verfahren nicht hinlänglich dargetan.

a) Eine Dringlichkeit, die die nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotene Anhörung des Gegners ausnahmsweise entbehrlich macht, ist im Regelfall zu verneinen, wenn der Antragsteller vom Ablauf der außergerichtlich eingeräumten Äußerungsfrist bis zur gerichtlichen Antragstellung ein Mehrfaches jener Zeit verstreichen lässt, die er dem Antragsgegner als außergerichtliche Frist gewährt hatte. Hingegen begründet Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung, sondern gestaltet § 937 Abs. 2 ZPO die Frage, ob mündlich zu verhandeln sei, zunächst einfachrechtlich aus. Ein zeitlicher Verlauf, der es nicht mehr gestattet, von einer Anhörung des Gegners abzusehen, schließt daher das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht notwendig aus.

b) Eine mit diesen Maßstäben unvereinbare Verfahrenshandhabung ist nicht ersichtlich. Das Verfahren betrifft eine aktuelle, im Internet abrufbare Berichterstattung. Weshalb es der Pressekammer nicht nur möglich, sondern sie – nicht nur einfachrechtlich (§ 937 Abs. 2 ZPO), sondern von Verfassungs wegen – gehalten gewesen sei, statt der gewählten schriftlichen Verfahrensweise einen Termin zur mündlichen Verhandlung noch auf einen Zeitpunkt vor dem 18. Juli 2023 beziehungsweise dem 25. Juli 2023 zu bestimmen, ist unter Berücksichtigung des den Fachgerichten in dieser Frage eingeräumten weiten Wertungsrahmens nicht dargetan. Insbesondere setzen sich die Beschwerdeführenden nicht hinlänglich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander, wonach die Fachgerichte davon ausgehen dürfen, dass das Presserecht grundsätzlich von dem Erfordernis einer schnellen Reaktion geprägt und das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nach § 937 Abs. 2 ZPO daher nicht selten sogar geboten ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
Beschluss vom 31.08.2023 - 1 BvR 1601/23
Beschluss vom 31.08.2023 - 1 BvR 1602/23


BGH: In einem Äußerungsrechtsstreit ist Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums unter Berücksichtigung des sprachlichen Kontexts und der Begleitumstände maßgeblich

BGH
Urteil vom 01.08.2023 - VI ZR 307/21
Urteil vom 01.08.2023 - VI ZR 308/21
ZPO § 306, § 555 Abs. 3; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat entschieden, dass in einem Äußerungsrechtsstreit für die Sinndeutung einer Aussage das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums unter Berücksichtigung des sprachlichen Kontexts und der Begleitumstände maßgeblich ist.

Leitsätze des BGH:
a) Entsprechend der Regelung in § 555 Abs. 3 ZPO für das Anerkenntnisurteil ergeht ein Verzichtsurteil in der Revisionsinstanz nur auf gesonderten Antrag des Beklagten.

b) Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut - der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann - und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen.

BGH, Urteil vom 1. August 2023 - VI ZR 307/21 - KG - LG Berlin
und
BGH, Urteil vom 1. August 2023 - VI ZR 308/21 - KG - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
- VI ZR 307/21 -
- VI ZR 308/21 -

BVerfG: Verfassungsbeschwerde kann nicht allein darauf gestützt werden dass das Gericht in einem äußerungsrechtlichem Eilverfahren eine hinterlegte Schutzschrift nicht beachtet hat

BVerfG
Beschluss vom 25.08.2023
1 BvR 1612/23


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass eine Verfassungsbeschwerde nicht allein darauf gestützt werden kann, dass das Gericht in einem äußerungsrechtlichem Eilverfahren eine hinterlegte Schutzschrift nicht beachtet hat.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Verfassungsbeschwerde in äußerungsrechtlichem Eilverfahren mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die fachgerichtliche Untersagung mehrerer Äußerungen auf einer Internetseite richtet. Der mit ihr verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird damit gegenstandslos.

Die Beschwerdeführer, eine lokale politische Initiative und ihr Vorstand, wenden sich mit ihrer am 19. August 2023 erhobenen Verfassungsbeschwerde gegen eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Potsdam, durch die ihnen teilweise untersagt wurde, auf der von ihnen verantworteten Internetseite „Potsdam – Stadt für alle“ über ein mit Immobilieninvestitionen in Potsdam engagiertes, im internationalen Erdölhandel tätiges Unternehmen zu berichten. Sie rügen eine Verletzung ihres Rechts auf prozessuale Waffengleichheit; das Landgericht habe entschieden, ohne eine im zentralen Schutzschriftenregister hinterlegte Schutzschrift der Beschwerdeführer zur Kenntnis zu nehmen. Ebenfalls am 19. August 2023 legten die Beschwerdeführer beim Landgericht Potsdam Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beschwerdeführer den Rechtsweg vor den Fachgerichten nicht ausgeschöpft haben. Zwar verletzt die Außerachtlassung der hinterlegten Schutzschrift das Recht der Beschwerdeführer auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. Allerdings ist ein solcher einzelner Verfahrensfehler regelmäßig nicht geeignet, ein bewusstes und systematisches Übergehen prozessualer Rechte von Verfahrensbeteiligten darzutun. Es verbleibt dann bei der vorrangigen Zuständigkeit der Fachgerichte. Eine auf die Rüge der prozessualen Waffengleichheit gestützte Verfassungsbeschwerde ist in einem solchen Fall erst zulässig, wenn der vor den Fachgerichten eröffnete Rechtsweg erschöpft ist.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer, eine lokale politische Initiative in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins und dessen Vorstand, verantworten im Rahmen des Vereinsprojekts „Potsdam – Stadt für alle“ eine gleichnamige Internetseite. Am 25. Juli 2023 veröffentlichten sie auf dieser Seite einen Beitrag über ein mit Immobilieninvestitionen in Potsdam engagiertes, im internationalen Erdölhandel tätiges Unternehmen mit dem Titel „Wie Profite aus dem Geschäft mit russischen Erdölprodukten in Potsdam angelegt werden“. Dieses und sein Inhaber und Geschäftsführer forderten die Beschwerdeführer am 2. August 2023 außergerichtlich zur Abgabe vertragsstrafenbewehrter Unterlassungserklärungen auf. Daraufhin hinterlegten die Beschwerdeführer eine Schutzschrift im zentralen Schutzschriftenregister. Darin erklärten sie unter anderem, sich gegen die erhobenen Ansprüche zur Wehr zu setzen.

Mit angegriffenem Beschluss vom 14. August 2023 untersagte das Landgericht Potsdam den Beschwerdeführern, wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung, die Verbreitung mehrerer Äußerungen aus dem veröffentlichten Beitrag. Gegen diesen Beschluss legten die Beschwerdeführer am 19. August 2023 Widerspruch ein. Zur Begründung stützten sie sich unter anderem auf eine Verletzung ihres Rechts auf prozessuale Waffengleichheit, da das Landgericht die einstweilige Verfügung erlassen habe, ohne ihre Schutzschrift zur Kenntnis zu nehmen.

Ebenfalls am 19. August 2023 haben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Diese sei hinsichtlich einer Rüge der prozessualen Waffengleichheit zulässig. Die Beschwerdeführer richteten sich gegen eine bewusste Übergehung ihrer prozessualen Rechte. Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Das Landgericht sei insbesondere gehalten gewesen, die von den Beschwerdeführern hinterlegte Schutzschrift zur Kenntnis zu nehmen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da die Beschwerdeführer eine Erschöpfung des Rechtswegs entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nicht dargetan haben.

1. Eine Verfassungsbeschwerde kann ausnahmsweise unmittelbar gegen eine einstweilige Verfügung selbst erhoben werden, wenn zwar andere Rechtsverletzungen – auch ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör – fachgerichtlich angegriffen werden können, die Rügen der Verfassungsbeschwerde sich aber auf eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die Handhabung des Prozessrechts im Verfahren über den Erlass der einstweiligen Verfügung selbst richten. Das Bundesverfassungsgericht hat dies wiederholt angenommen, wenn sich der Beschwerdeführer gegen ein seinem Vorbringen nach bewusstes und systematisches Übergehen seiner prozessualen Rechte wendet. Beinhaltet die unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit gerügte Rechtsverletzung demgegenüber ausschließlich einen fachgerichtlich angreifbaren Verfahrensfehler, verbleibt es bei der vorrangigen Zuständigkeit der Fachgerichte.

2. Hieran gemessen, haben die Beschwerdeführer eine Erschöpfung des Rechtswegs nicht dargetan.

a) Wird eine Schutzschrift im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht berücksichtigt, kann das Recht des Antragsgegners auf prozessuale Waffengleichheit zwar verletzt werden. Das bedeutet allerdings nicht, das für den hiermit gerügten Verfahrensfehler ein fachgerichtlicher Rechtsbehelf von vornherein ausgeschlossen ist.

Die Außerachtlassung einer hinterlegten Schutzschrift verletzt das grundrechtsgleiche Recht des Antragsgegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. Besteht für eine Gehörsverletzung jedoch noch fachgerichtlicher Rechtsschutz, hat der Beschwerdeführer für die Zulässigkeit einer auf die Verletzung der prozessualen Waffengleichheit gestützten Verfassungsbeschwerde vorzutragen, welche über den Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hinausgehende Rechtsverletzung er rügt, für die es an fachgerichtlichem Rechtsschutz fehlt. Stützt er hierzu seine Rüge – wie im vorliegenden Fall – auf eine bewusste und systematische Übergehung seiner prozessualen Rechte, bedarf es daher entsprechenden Vortrags, mit dem die Gehörsverletzung nicht als bloßer Verfahrensfehler, sondern nachvollziehbar als bewusste und systematische Übergehung seiner prozessualen Rechte dargetan ist.

b) Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, haben die Beschwerdeführer eine bewusste und systematische Übergehung ihrer prozessualen Rechte nicht nachvollziehbar dargetan.

Ein einzelner Verfahrensfehler ist regelmäßig nicht geeignet, ein bewusstes und systematisches Übergehen prozessualer Rechte von Verfahrensbeteiligten darzutun. Es kann sich dabei ebenso um ein bloßes Versäumnis handeln, das mit weitergehenden Gründen der Verfahrenshandhabung nicht einhergeht. Das gilt auch dann, wenn ein Verfahrensfehler – wie im hier gegebenen Fall einer Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG – zugleich eine Verletzung von Verfassungsrecht beinhaltet. Denn auch das besondere rechtliche Gewicht eines Verfahrensfehlers besagt regelmäßig nichts über die Gründe der Verfahrenshandhabung, auf denen er beruht.


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KG Berlin: Amtspflichtverletzung durch Äußerungen eines Staatsanwalts auf einer Pressekonferenz zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren - Anspruch auf Geldentschädigung

KG Berlin
Urteil vom 20.12.2022
9 U 21/21


Das KG Berlin hat in diesem Fall entschieden, dass die Äußerungen eines Staatsanwalts auf einer Pressekonferenz zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eine Amtspflichtverletzung darstellen und somit wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Anspruch auf Geldentschädigung besteht.

Aus den Entscheidungsgründen;:
Die Kläger zu 1) und 2) haben gegen den Beklagten jeweils einen Anspruch auf Leistung von Geldentschädigung für immaterielle Schäden, die ihnen aus schuldhaften Amtspflichtverletzungen des Beklagten erwachsen sind. Diese Ansprüche sind begründet aus der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 839 Absatz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG.

Denn die für den Beklagten handelnden Beamten haben die ihnen den Klägern zu 1) und 2) gegenüber obliegenden Amtspflichten (a) rechtswidrig und schuldhaft (b) und dadurch auch das Persönlichkeitsrecht der Kläger zu 1) und 2) verletzt, wodurch ihnen kausal ein immaterieller Schaden erwachsen ist (c, d), für den der Beklagte an sie eine Geldentschädigung zu leisten hat (e, f).

a) Die von den Klägern beanstandeten Äußerungen des für den Beklagten handelnden Leitenden Oberstaatsanwalt ... auf der Pressekonferenz vom ... waren amtspflichtwidrig.

aa) Bei Presseäußerungen hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Bereich die erforderliche Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Geheimhaltungsinteresse) des jeweils Betroffenen (Artikel 5 Absatz 1 GG einerseits, Artikel 1 Absätze 1, 2 Absatz 1 GG andererseits; BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973 – 1 BvR 536/72 –, juris, Rn. 45; BGH, Urteil vom 15. April 1980 – VI ZR 76/79 –, Rn. 9, juris; BGH Urteil vom 13. November 1990 – VI ZR 104/90 –, Rn. 12, juris; BGH, Urteil vom 12. Oktober 1993 – VI ZR 23/93 –, Rn. 19, juris; BGH, Urteil vom 17. März 1994 – III ZR 15/93 –, Rn. 21, juris) vorzunehmen. Entscheidend ist nicht der reine Wortlaut der Auskunft, sondern der Eindruck, den eine solche zur Veröffentlichung in der Presse bestimmte Auskunft bei den Kreisen hervorrufen muss, an die die Presse sich wendet. Ganz besondere Vorsicht ist aber am Platze, wenn es sich wie hier um eine Auskunft im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens handelt: Ein solches Verfahren wird bereits auf Verdacht hin eröffnet; wird die Auskunft gar noch - wie hier - in einem Stadium erteilt, in dem die Ermittlungen zwar begonnen, aber bei weitem noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis geführt haben, so ist sorgfältig darauf zu achten, dass die Öffentlichkeit durch die Auskunft kein falsches Bild von der Belastung des Betroffenen erhält, zumal der juristisch nicht vorgebildete Laie allzu leicht geneigt ist, die Eröffnung eines solchen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens beinahe mit dem Nachweis der zur Last gelegten Tat gleichzusetzen. Das unkritische Vertrauen, dass die Bevölkerung dem gedruckten Wort entgegenbringt, zwingt die Staatsanwaltschaft, wenn sie Auskünfte an die Presse gibt, im Interesse des Ehrenschutzes des Beschuldigten gerade im Anfangsstadium der Ermittlungen alle Formulierungen zu vermeiden, die geeignet sein können, in der Öffentlichkeit den Gegenstand der Ermittlungen belastender erscheinen zu lassen, als es dem wirklichen Gehalt der dem Beschuldigten gemachten Vorwürfe entspricht (BGH, Urteil vom 29. Mai 1958 – III ZR 38/57 –, juris, Rn. 10; BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99 –, juris, Rn. 19).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe, die auch in die Presserichtlinien für die Berliner Justiz in der hier maßgeblichen Fassung vom ... (JustV IA 2) wie auch Nr. 23 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) vom 1. Januar 1977 eingearbeitet waren, werden die Äußerungen des ehemaligen Leitenden Oberstaatsanwaltes ... den Anforderungen an eine amtspflichtgemäße Information der Öffentlichkeit nicht gerecht. Denn sie waren zum Teil nicht zutreffend (bb), zum Teil unpräzise (cc), im Gesamteindruck vorverurteilend (dd) und in unzulässiger Weise reißerisch formuliert (ee).

bb) Die Informationen der Öffentlichkeit, welche öffentlich verlautbart wurden, waren zum Teil nicht zutreffend, und zwar auch nicht auf der Grundlage der zum damaligen Zeitpunkt nur vorläufigen Ermittlungsergebnisse. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer staatsanwaltschaftlichen Presseinformation ist zunächst überhaupt das Vorliegen eines Mindestbestandes an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2019 – VI-Kart 7/18 (V) –, Rn. 145, juris) und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen. Dies setzt voraus, dass der Verfasser der Presseinformation eine hinreichend sorgfältige Recherche über den Wahrheitsgehalt angestellt hat, wobei die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht umso höher anzusetzen sind, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99 –, juris, Rn. 20; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12 –, Rn. 28; OLG Hamm, Urteil vom 14. November 2014 – I-11 U 129/13 –, Rn. 38, juris). Daran fehlte es hier. Angesichts der Schwere der erhobenen Vorwürfe, welche das Strafgesetzbuch zum Teil sogar im Bereich der Gewaltverbrechen ansiedelt, war dabei ein besonders hoher Sorgfaltsmaßstab anzulegen:

(1) Wenn der Leitende Oberstaatsanwalt ... informierte „alles das, was wir in dem Bereich schwerpunktmäßig neben anderen gewalttätigen Straftaten hier ermittelt haben, ...“, so ist diese Aussage sachlich unzutreffend. Denn es lagen der Staatsanwaltschaft des beklagten Landes keine validen, einer gerichtlichen Überprüfung im Sinne eines hinreichenden Tatverdachtes standhaltenden Ermittlungsergebnisse zu Gewalttaten vor. Dementsprechend wurden schon die Haftbefehle gegen die Kläger zu 1) und 2) vom ... in keiner Weise auf Gewalttaten gestützt, diese Ermittlungen vielmehr fallen gelassen, was den Eindruck erweckt, dass schon die Staatsanwaltschaft selbst keine (vor dem Maßstab des Gesetzes ausreichenden) Anhaltspunkte hatte. Er vertieft die Unrichtigkeit, wenn er äußert „... das System der Prostitution in gewalttätigen... Umfeld bestätigen und unterstützen...“ Sachlich falsch ist auch die Behauptung „... sind Prostituierte ausgebeutet worden, ist Gewalt ausgeübt worden...“ Unzutreffend ist auch die Behauptung, dass es nach den „Ermittlungen, die wir bisher geführt haben, ganz direkte Bezüge zu den hier in ... ansässigen ..., die dort auch ihr Geschäft weitergemacht haben...“ [gebe]. Diesen Verdacht mag die Staatsanwaltschaft (insgeheim) gehegt haben, er mag von der vor der Razzia am ... vernommenen Zeugin ... sehr vage geäußert worden sein, die von einem „sehr, sehr gut[en]“ Verhältnis der Kläger zu 1) und 2) zu den ... sprach, von Absprachen nichts wusste, eine Geschäftsbeziehung verneinte, von Menschenhandel oder Zwang zur Prostitution nichts wusste, lediglich meinte, sie würde sich auch nicht wundern. Die Zeugin verneinte, dass Prostituierte für die Kläger zu 1) und 2) arbeiteten und hatte selbst keinen Arbeitsvertrag unterschrieben. Bestätigen ließ sich der Verdacht aber nicht und war schon gar nicht im Zeitpunkt der Pressekonferenz ausreichend erhärtet. Beruht eine mit einer so erheblichen Ehrenkränkung verbundene Behauptung auf einer derart dürftigen Tatsachen- und Ermittlungsgrundlage, wie dies vorliegend der Fall ist, gebietet eine an den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern ausgerichtete Abwägung der Interessen, die betroffene Person, hier die Kläger, nicht "an den Pranger zu stellen" (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12 –, Rn. 33 anders als hier unter voller Namensnennung).


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