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BGH: Zur Rechtmäßigkeit identifizierender Presseberichterstattung über Ende einer nicht öffentlich gemachten Liebesbeziehung

BGH
Urteil vom 06.12.2022
VI ZR 237/21
BGB §§ 823, 1004 (analog)


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung zur Rechtmäßigkeit identifizierender Presseberichterstattung über Ende einer nicht öffentlich gemachten Liebesbeziehung geäußert.

Leitsätze des BGH:
a) Eine Berichterstattung über eine nicht öffentlich gemachte Liebesbeziehung und ihr Ende sind Teil der Privatsphäre beider daran beteiligter Partner. Sie berührt damit die Privatsphäre beider Partner, soweit diese für potentielle Leser identifizierbar
sind. Dabei ist nicht entscheidend, ob alle oder ein erheblicher Teil der Adressaten der Berichterstattung oder gar der "Durchschnittsleser" die betroffene Person identifizieren können. Es reicht vielmehr aus, dass über die Berichterstattung Informationen über den Betroffenen an solche Personen geraten, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, die betroffene Person zu identifizieren (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3619, 3620).

b) Das für die Rechtmäßigkeit einer in die Privatsphäre einer Person eingreifenden Berichterstattung grundsätzlich erforderliche berechtigte öffentliche Informationsinteresse kann sich in Bezug auf eine von der Berichterstattung mitbetroffene Person
auch daraus ergeben, dass ein solches Interesse an der Berichterstattung allein in Bezug auf eine andere Person besteht (vgl. Senatsurteil vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, AfP 2022, 429 Rn. 57). Voraussetzung für das Vorliegen eines solchen in
Bezug auf eine andere Person bestehenden, in Bezug auf den Mitbetroffenen also "abgeleiteten" Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist allerdings, dass die Berichterstattung der anderen Person gegenüber zulässig ist.

BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - VI ZR 237/21 - LG Berlin - KG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Berichterstattung über Umstände des Todes des Ehepartners

BGH
Urteil vom 13.12.2022
VI ZR 280/21
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Berichterstattung über Umstände des Todes des Ehepartners geäußert. Wie immer kommt es auf eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls an.

Leitsätze des BGH:
1. Zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Ehemanns durch eine Berichterstattung über die Umstände des Todes der Ehefrau.

2. a) Gegen rechtsverletzende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht kann nur der unmittelbar Verletzte, nicht auch derjenige vorgehen, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet wird, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind. Es hängt von den
Umständen einer Berichterstattung über den Tod einer Person im Einzelfall ab, ob sie das
Persönlichkeitsrecht eines nahen Angehörigen unmittelbar oder nur mittelbar beeinträchtigt.

b) Der Aussagegehalt einer Äußerung ist nur in dem Kontext des Artikels zu erfassen, in dem sie steht. Es stellte eine nicht zu rechtfertigende Einschränkung der Meinungsfreiheit dar, würde zur Bestimmung des Aussagegehalts einer Äußerung und daran anknüpfend zur Beurteilung, ob diese Äußerung den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überhaupt berührt, der Inhalt anderer Artikel zum selben Thema einbezogen, die der Leser zur Kenntnis genommen haben kann, aber nicht muss.

3. Eine vom Recht auf Achtung der Privatsphäre umfasste Situation großer emotionaler Belastung kann auch die des Bangens um das Leben eines nahen Angehörigen sein.

BGH, Urteil vom 13. Dezember 2022 - VI ZR 280/21 - KG Berlin - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Zur Zulässigkeit der Presseberichterstattung über sektenähnliche Gemeinschaft auf Grundlage von Äußerungen ehemaliger Mitglieder

BVerfG
Beschluss vom 09.11.2022
1 BvR 523/21


Das Bundesverfassungsgericht hat sich in dieser Entscheidung zur Zulässigkeit der Presseberichterstattung über eine sektenähnliche Gemeinschaft auf Grundlage von Äußerungen ehemaliger Mitglieder befasst.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde einer Zeitungsherausgeberin gegen die gerichtliche Untersagung einer Meinungsäußerung

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Beschwerdeführerin – Herausgeberin einer Tageszeitung – in ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt ist, indem ihr die Äußerung „Den Staat lehne [der Antragsteller] (…) ab“ mit der Begründung gerichtlich untersagt wurde, dass für diese Meinung kein Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen festzustellen sei. Die Berichterstattung betrifft einen Beitrag über eine aus Sicht ehemaliger Mitglieder sektenähnliche Gemeinschaft, der der Antragsteller des Ausgangsverfahrens vorstehe.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin ist Herausgeberin einer Tageszeitung, in deren Onlineausgabe sie am 4. September 2020 einen Beitrag mit dem Titel „Aussteiger packen aus: So geht es in der Guru-Gemeinschaft zu“ veröffentlichte. Der Bericht beleuchtet kritisch inhaltliche Ausrichtung, Strukturen und Hierarchien innerhalb einer aus Sicht ehemaliger Mitglieder sektenähnlichen Gemeinschaft, der der Antragsteller des Ausgangsverfahrens vorstehe. In dem Beitrag heißt es unter Bezugnahme auf die Aussage einer ehemaligen „Schülerin“: „Den Staat lehne [der Antragsteller] (…) - der sich seine Seminargebühren auch in bar bezahlen lässt - ab (…)“. Anders als die Ausgangsinstanz untersagte das Oberlandesgericht die Verbreitung der angegriffenen Äußerung. Trotz des grundsätzlichen Vorrangs freier Meinungsäußerung sei die Äußerung einer abschätzigen Meinung unzulässig, wenn gemessen an der Eingriffsintensität kein Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen festzustellen sei. Vorliegend fehle es an Anknüpfungstatsachen, die ansatzweise die Meinung belegten, dass der Antragsteller tatsächlich in einem weiten Sinne den Staat ablehne.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts und rügt eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

1. Hinsichtlich des Inhalts der Berichterstattung ergeben sich Umfang und Grenzen des grundrechtlichen Schutzes aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, wobei die Aufgabe der Presse, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren, eine Verstärkung des durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Schutzes begründen kann. In Fällen der vorliegenden Art ist eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungs- und Pressefreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits vorzunehmen. Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Im Rahmen der Abwägung ist dann die Richtigkeit ihrer tatsächlichen Bestandteile von maßgeblicher Bedeutung.

2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht.

a) Das Oberlandesgericht lässt bereits nicht sicher erkennen, ob es bedacht hat, dass es mit seiner Forderung nach einem „Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen“ Sorgfaltspflichten formuliert hat, die die Beschwerdeführerin in unterschiedlichem Maße treffen können, je nachdem, ob sie sich die Äußerung ihrer Informantin zu eigen gemacht hat oder lediglich deren Einschätzung dokumentiert.

b) Soweit das Oberlandesgericht die angegriffene Äußerung als Meinungsäußerung einstuft, ist dies im Ergebnis nicht zu beanstanden, bietet für die nachfolgende Abwägung jedoch einen unvollständigen Ausgangspunkt, soweit es dies damit begründet, dass der Bericht der Beschwerdeführerin keine Tatsachen angebe, aus denen ihre Informantin ihre Meinung herleite, der Antragsteller lehne den Staat ab. Wer behauptet, ein anderer vertrete einen bestimmten Standpunkt, äußert eine Einschätzung, in der tatsächliche und wertende Elemente miteinander vermengt sind, und die deshalb insgesamt als Meinung geschützt wird. Meinungsäußerungen müssen jedoch grundsätzlich nicht begründet werden, sondern genießen unabhängig davon Grundrechtsschutz, ob sie rational oder emotional, begründet oder grundlos sind. Dem wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht, soweit das Oberlandesgericht in seiner Abwägung davon ausgeht, die angegriffene Äußerung enthalte eine „abschätzige Meinung“, für die es gemessen an ihrer erhöhten „Eingriffsintensität“ an einem „Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen“ fehle, die ansatzweise belegten, dass der Antragsteller tatsächlich in einem weiten Sinne den Staat ablehne.

aa) Allerdings ist der vom Oberlandesgericht zugrunde gelegte Maßstab im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat hierzu festgestellt, dass es auch für Schlussfolgerungen über Beweggründe oder Absichten Dritter als einem Werturteil gleichkommende Erklärungen eine ausreichende Tatsachengrundlage geben müsse. Innerhalb der Abwägung ergibt es einen Unterschied, ob es sich bei der Einschätzung von Beweggründen, Absichten oder Standpunkten eines anderen um eine auf Tatsachen fußende Schlussfolgerung handelt oder um eine willkürlich aus der Luft gegriffene Wertung.

bb) Den hiernach zu stellenden Anforderungen an eine ausreichende Tatsachengrundlage wird die angegriffene Entscheidung für den Streitfall aber nicht hinlänglich gerecht. Das Oberlandesgericht zieht die der Berichterstattung zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen in ihrer Wahrheit nicht in Zweifel, misst ihnen jedoch im Rahmen der Abwägung keine Bedeutung zu. Zudem wird der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit verkürzt, soweit es der angegriffenen Äußerung eine "erhöhte Eingriffsintensität" beimisst, ohne zu begründen, inwieweit die Einschätzung, der Antragsteller lehne „den Staat“ ab, überhaupt abschätzig oder geeignet sein soll, ihn in der öffentlichen Wahrnehmung herabzusetzen.

c) Verfassungsrechtlich keinen Bestand haben kann die angegriffene Entscheidung aber auch insoweit, als das Oberlandesgericht meint, selbst die Wahrnehmung eines öffentlichen Interesses könne die Verbreitung der angegriffenen Äußerung nur dann rechtfertigen, wenn die Beschwerdeführerin davon habe ausgehen dürfen, über hinreichende Anknüpfungstatsachen für die Haltung des Antragstellers zu verfügen, „den Staat“ abzulehnen. Damit entzieht die Entscheidung in verfassungsrechtlich nicht tragbarer Weise den Informationswert der angegriffenen Berichterstattung von vornherein jeder Abwägung und verkürzt überdies Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit im öffentlichen Meinungskampf, die bei öffentlich zur Diskussion gestellten, gesellschaftliches Interesse erregenden Beiträgen selbst mit scharfen Äußerungen gebraucht werden darf.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Köln: Öffentliche Wiedergabe bzw. Restreamen der "Berliner Runde" des ZDF durch Medienunternehmen weder zulässige Berichterstattung über Tagesereignisse noch vom Zitatrecht gedeckt

OLG Köln
Urteil vom 21.10.2022
6 U 61/22


Das OLG Köln hat entschieden, dass die öffentliche Wiedergabe bzw. das Restreamen der "Berliner Runde" des ZDF durch ein Medienunternehmen über 13 Minuten weder eine zulässige Berichterstattung über Tagesereignisse nach § 50 UrhG darstellt noch vom Zitatrecht nach § 51 UrhG gedeckt ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Rechtmäßigkeit der Weitersendung und öffentlichen Zugänglichmachung einer Funksendung Wahlberichterstattung über die Bundestagswahl – "Berliner Runde"

Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahren die 13 minütige Live-Weitersendung der Funksendung "Berliner Runde" bzw. deren öffentliche Zugänglichmachung durch die Antragsgegnerinnen als urheberrechtswidrig beurteilt und insoweit die vorangegangenen Entscheidungen des Landgerichts Köln bestätigt. Die Sendung betrifft die Berichterstattung über die Bundestagswahl am 26. September 2021.

Die Antragstellerin ist eine gebührenfinanzierte, öffentlich - rechtliche Rundfunkanstalt in der Bundesrepublik Deutschland, die unterschiedliche mediale Angebote betreibt, darunter das bundesweit ausgestrahlte Fernsehprogramm ZDF. Die Antragsgegnerin zu 1 ist ein bundesdeutsches Medienunternehmen und als solches hundertprozentiges Tochterunternehmen der Antragsgegnerin zu 3, die ihrerseits ein großes europäisches Verlagshaus und Alleingesellschafterin der Antragsgegnerin zu 2 ist. Gegenstand der Antragsgegnerin zu 2 ist die Entwicklung, Erstellung, Verbreitung und Vermarktung von Multimedia-Inhalten auf unterschiedlichen Medienplattformen.

Am Tag der Bundestagswahl strahlte die Antragstellerin im Rahmen ihres Fernsehprogramms u.a. die Wahlberichterstattung "Berliner Runde" aus, welche zwischen 20:15 und 21:15 Uhr gesendet wurde. Die ersten 13 Minuten der Sendung wurden auf dem von der Antragsgegnerin zu 1 betriebenen Fernsehsender zeitgleich zwischen 20:15 und 20:28 Uhr gezeigt und im Internet unter der URL https://www.[...] sowie über YouTube unter der URL https://www.youtube.com/[...] bereitgehalten.

Mit einstweiliger Verfügung vom 22. Oktober 2021 hatte das erstinstanzlich zuständige Landgericht Köln der Antragsgegnerin zu 1 verboten, Ausschnitte der Funksendung "Berliner Runde" der Antragstellerin ohne Zustimmung der Berechtigten zu senden und/oder senden zu lassen. Den Antragsgegnerinnen zu 2 und 3 hatte das Landgericht verboten, Ausschnitte der bezeichneten Funksendung ohne Zustimmung der Berechtigten öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen (Az. 14 O 354/21 [...]). Auf den gegen den Beschluss gerichteten Widerspruch der Antragsgegnerinnen hin hatte das Landgericht die einstweilige Verfügung mit am 3. März 2022 verkündeten Urteil (Az. 14 O 354/21 [...]) bestätigt.

Die dagegen gerichtete Berufung der Antragsgegnerinnen hat der Senat nun mit am 21. Oktober 2022 verkündeten Urteil zurückgewiesen. Mit dem Landgericht hat er namentlich einen Unterlassungsanspruch der Antragstellerin aus §§ 97, 87 Abs. 1 UrhG bejaht. Die Antragsgegnerinnen haben - so der Senat - in die Rechte der Antragstellerin eingegriffen. Dies betreffe zunächst das Recht der Weitersendung; auch im Lichte an dem Sendesignal vorgenommener optischer Änderungen und eingeblendeter inhaltlicher Ergänzungen liege eine Weitersendung durch die Antragsgegnerin zu 1 vor. Seitens der Antragsgegnerinnen zu 2 und 3 sei ein Eingriff in das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung hinsichtlich des Senderechts der Antragstellerin erfolgt. Die Eingriffe seien auch rechtswidrig, namentlich führten die Schrankenregelung der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) und das Zitatrecht (§ 51 UrhG) zu keinem anderen Ergebnis. Die Berichterstattung der Antragsgegnerinnen betreffe schon nicht ein im Laufe eines Tagesereignisses wahrnehmbar gewordenes Werk, zudem habe sich der von der Antragstellerin beanstandete Eingriff in das Recht des Sendeunternehmens nicht in einem durch ihren Zweck gebotenen Umfang gehalten. Die Berichterstattung sei gemäß § 50 UrhG nur dann privilegiert, wenn sie verhältnismäßig sei; hieran fehle es, da die 13-minütige Weitersendung auch unter Berücksichtigung des hohen Informationsinteresses der Öffentlichkeit nicht erforderlich gewesen sei. Vielmehr hätten ohne Verfehlung des Informationszwecks auch einzelne pointierte Aussagen der Politiker dargestellt werden können, auch wenn hierfür ein gewisser zeitlicher Versatz notwendig gewesen wäre. Das Zitatrecht nach § 51 UrhG streite nicht für die Antragstellerin, da der Umfang der Darstellung vom Zitatzweck nicht umfasst sei.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Oktober 2022 - Az.: 6 U 61/22 - ist rechtskräftig.


OLG Köln: Zulässige Verdachtsberichterstattung des SPIEGEL über heimliche intime Filmaufnahmen von Mitarbeiterinnen durch einen Unternehmer

OLG Köln
Urteil vom 18.08.2022
15 U 258/21


Das OLG Köln hat in diesem Fall entschieden, dass die Verdachtsberichterstattung des Spiegel über heimliche intime Filmaufnahmen von Mitarbeiterinnen durch einen Unternehmer zulässig war.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung ist teilweise begründet. Sie wendet sich mit Erfolg gegen die Verurteilung, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe auf der fraglichen Klausurtagung Kameras in Hotelzimmern angebracht und hiermit heimlich Mitarbeiterinnen gefilmt, und über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe im Badezimmer eines Hotelzimmers einer Mitarbeiterin eine Kamera entfernt. Soweit sich die Berufung darüber hinaus gegen die Verurteilung wendet, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe zu Kollegen gesagt „Fickt ihr die mal alle, das ist nichts mehr für mich“, und es zu unterlassen, das in dem Artikel abgedruckte Foto des Klägers erneut zu veröffentlichen, hat die Berufung keinen Erfolg.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte entgegen der Auffassung des Landgerichts keinen Anspruch darauf, es zu unterlassen, unter namentlicher Nennung des Klägers über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe auf der Klausurtagung Kameras in Hotelzimmern angebracht und hiermit heimlich Mitarbeiterinnen gefilmt (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB). Die entsprechenden Äußerungen der Beklagten, die in dem angegriffenen Beitrag vom 6. beziehungsweise 7. November 2020 unstreitig enthalten sind, verletzen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) des Klägers nach Auffassung des Senats nicht.

a) Sie berühren allerdings dessen Schutzbereich.

Denn die Äußerung des Verdachts, der in der breiten Öffentlichkeit bis dahin unbekannte, im Bericht mit vollem Namen genannte Kläger habe Mitarbeiterinnen in deren Hotelzimmern heimlich gefilmt, ist offensichtlich geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Klägers auszuwirken. Es steht ein Übergriff des Klägers in die Privatsphäre ihm beruflich unterstellter Personen und ein offenbar zumindest beabsichtigter Eingriff auch in die Intimsphäre in Rede.

Hinzukommt, dass in dem Beitrag auch über das gegen den Kläger geführte Strafverfahren, insbesondere über die Wohnungsdurchsuchung, die Anklageschrift und die Einlassung des Klägers im Zwischenverfahren berichtet wird. Die den Beschuldigten identifizierende Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 21 mwN).

Diese Erwägungen gelten unabhängig davon, ob das dem Kläger vorgeworfene, wegen des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Mitarbeiterinnen unzweifelhaft rechtswidrige Verhalten strafbar war. Dies ist rechtlich zweifelhaft, weil eine Strafbarkeit gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB voraussetzt, dass die tatsächlich gefertigten Filmaufnahmen den höchstpersönlichen Lebensbereich der gefilmten Mitarbeiterinnen betreffen, wofür das Filmen einer Mitarbeiterin beim Öffnen des Hosenbundes möglicherweise nicht ausreichen könnte (vgl. dazu etwa Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 201a Rn. 3).

b) Es liegt aber kein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Im Rahmen der gebotenen Abwägung dieses Rechts mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit überwiegt das Schutzinteresse des Klägers die schutzwürdigen Belange der anderen Seite nicht.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Verfehlungen - auch konkreter Personen - aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien (zuletzt BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 19; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 25).

Eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, darf nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 22; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 27; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 18).

Diese Maßstäbe gelten im Grundsatz auch für die Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten (§ 157 StPO). In diesem Verfahrensstadium ist nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen - auch konkreter Personen - aufzuzeigen. Im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung ist aber die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder Durchführung eines Strafverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Verfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt" (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 23; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 28; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 19).

Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert" verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 24; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 29; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 20).

bb) Ausgehend von diesen Maßstäben erweist sich die angegriffene Verdachtsberichterstattung als rechtmäßig.

(1) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprachen, vorlag.

Das folgt bereits aus der Anklageerhebung, die nach § 170 Abs. 1 StPO voraussetzt, dass der Beschuldigte aus Sicht der Staatsanwaltschaft einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint, also eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung besteht (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, AfP 2022, 337 Rn. 28; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 34). Nichts anderes folgt aus dem - im Übrigen erst nach Veröffentlichung des angegriffenen Beitrags ergangenen - Einstellungsbeschluss des Amtsgerichts. Denn auch eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO setzt das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 1995 - 2 BvR 1732/95, NStZ-RR 1996, 168, 169; BeckOK-StPO/Beukelmann, § 153a Rn. 14 [Stand: 1. Juli 2022]; MüKo-StPO/Peters, § 153a Rn. 8). Einen solchen hat das Amtsgericht in den Gründen des Beschlusses in tatsächlicher Hinsicht auch nicht verneint. Es hat lediglich aus Rechtsgründen Zweifel an der Strafbarkeit des Verhaltens geäußert. Diese Zweifel stehen der Annahme eines Mindestbestandes an Beweistatsachen - also von Anhaltspunkten dafür, dass die als Verdacht geäußerten Tatsachen der Wahrheit entsprechen - nicht entgegen.

Unbeschadet dessen lag ein Mindestbestand an Beweistatsachen auch unabhängig von der Anklageerhebung vor. Denn unstreitig war der Kläger von einer der „Spycams“ in einem später von einer der betroffenen Mitarbeiterinnen bezogenen Hotelzimmer gefilmt worden, was darauf hindeutete, dass er die Kamera dort installiert hatte. Seine diesbezügliche Einlassung, er habe das Zimmer betreten, um die Toilette zu benutzen, war jedenfalls nicht so plausibel, dass die Einlassung bereits der Annahme eines Mindestbestandes an Beweistatsachen entgegenstand. Da die Einlassung nicht auf nahe liegende Fragen einging (Warum hat der in Eile befindliche Kläger keine für alle Hotelgäste zugängliche Toilette - etwa in der Nähe des Tagungsraums - benutzt? Warum hat er, obwohl er das Zimmer als von ihm bezogen angesehen haben will, beim Verlassen des Zimmers die Tür nicht abgeschlossen? Warum hat er das Zimmer so verlassen, dass die betroffene Mitarbeiterin es als noch nicht bezogen angesehen hat? Warum hat er die bereits im Auto ergriffenen Unterlagen und die Powerbar erst im Zimmer in die mitgeführte Tasche gepackt?), durfte die Beklagte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts davon ausgehen, dass die Richtigkeit der Einlassung widerlegt werden könnte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger unmittelbar nach der Entdeckung der ersten „Spycam“ das Gerät gegen den Willen der betroffenen Mitarbeiterin an sich genommen, es als normales Ladegerät bezeichnet und sich einer Herausgabe widersetzt hatte.

(2) Der angegriffene Bericht ist ausgewogen, enthält keine Vorverurteilung des Klägers und erweckt nicht den Eindruck, er sei bereits überführt. Das macht der Kläger auch nicht geltend.

(3) Ferner ist unstreitig, dass die Beklagte vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme des Klägers eingeholt hat, aus der in dem Beitrag auch mehrfach zitiert wird.

(4) Schließlich handelte es sich entgegen der Ansicht des Landgerichts um einen Vorgang von solchem Gewicht, dass eine Mitteilung des Sachverhalts unter namentlicher Nennung des Klägers durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt war.

(a) Denn zwar schützt die Unschuldsvermutung den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist. Ein identifizierender Bericht über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist deshalb auch daraufhin zu überprüfen, ob er geeignet ist, den Beschuldigten an den Pranger zu stellen, ihn zu stigmatisieren oder ihm in sonstiger Weise Nachteile zuzufügen, die einem Schuldspruch oder einer Strafe gleichkommen. Oftmals kann im Hinblick auf die Unschuldsvermutung bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Wortberichterstattung überwiegen. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn die besonderen Umstände der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat oder dessen herausgehobene Stellung ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit - auch über die Identität des Beschuldigten - begründen, hinter dem das Interesse des Beschuldigten am Schutz seiner Persönlichkeit zurückzutreten hat (BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 41 - Staranwalt).

Im Streitfall ist die Unschuldsvermutung bei der Abwägung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob das dem Kläger vorgeworfene Verhalten tatsächlich als Straftat zu werten ist. Maßgeblich ist nur, dass die Staatsanwaltschaft das Verhalten als strafbar angesehen hat, der Kläger deshalb strafrechtlich verfolgt worden ist und die Beklagte - ohne rechtliche Fragen zu thematisieren - über das Strafverfahren berichtet hat.

(b) Gemessen an diesen Grundsätzen war eine Mitteilung des Sachverhalts unter namentlicher Nennung des Klägers durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit aber noch gerechtfertigt. Das Informationsinteresse rührt vor allem aus dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität von Führungskräften öffentlicher Unternehmen (vgl. BGH, Urteile vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 43 - Staranwalt; vom 18. November 2014 - VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 Rn. 24 - Chefjustiziar).

Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Kläger jedenfalls bis zum Erscheinen der angegriffenen Berichte einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt war. Dass in Fachmedien - ohne Mitteilung der Kündigungsgründe - unter Namensnennung über seine Entlassung berichtet worden war, ändert daran nichts. Auch war der zwar nicht in der Überschrift, wohl aber im weiteren Text mit vollem Namen genannte Kläger wegen der Berichterstattung in dem auflagenstarken Nachrichtenmagazin der Beklagten und in ihrem Internetauftritt schon vor einer Verurteilung der Gefahr erheblicher sozialer Missachtung ausgesetzt. Es stand ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre ihm beruflich unterstellter Personen und ein offenbar zumindest beabsichtigter Eingriff auch in die Intimsphäre in Rede. Denn der Kläger soll anlässlich einer dienstlichen Veranstaltung Mitarbeiterinnen des von ihm geführten Unternehmens in deren Hotelzimmern heimlich gefilmt haben.

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine leitende Stellung beim C hatte, einer großen und beitragsfinanzierten öffentlichen Rundfunkanstalt. Als Geschäftsführer einer Enkelgesellschaft hatte er Personalverantwortung für nach seinem eigenen Vortrag etwa 250 Mitarbeiter. Der gegen den Kläger erhobene, seine Sozialsphäre betreffende Vorwurf, heimlich ihm unterstellte Mitarbeiterinnen in zumindest privaten, wenn nicht intimen Situationen gefilmt zu haben, stand, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, mit dieser herausgehobenen Funktion in einem öffentlichen Unternehmen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Angesichts des dadurch begründeten besonderen Informationsinteresses überwogen die durch die Unschuldsvermutung konkretisierten Interessen des Klägers das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung jedenfalls nach der Anklageerhebung nicht mehr.

Die Berufung macht zu Recht geltend, dass es für diese Beurteilung entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass das dem Kläger vorgeworfene Verhalten - sollte es überhaupt strafbar sein - nach § 201a Abs. 1 StGB nur mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Denn das Informationsinteresse folgt - wie ausgeführt - nicht aus der Schwere einer möglicherweise vorliegenden Straftat, sondern aus der Stellung des Klägers und den Besonderheiten des ihm vorgeworfenen - unzweifelhaft rechtswidrigen - Verhaltens. Strafrechtliche Fragen werden in dem Bericht auch nicht angesprochen. Die von der Berufungserwiderung angeführte Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO ist für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung ohnehin ohne Bedeutung, weil sie eine gänzlich andere Fragestellung regelt.

2. Ferner hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe im Badezimmer eines Hotelzimmers einer Mitarbeiterin eine Kamera entfernt. Eine solche Aussage lässt sich dem angegriffenen Bericht schon nicht entnehmen.

In dem Bericht werden lediglich Äußerungen einer „dritte[n] betroffene[n] Kollegin“ wiedergegeben. Danach hat diese Kollegin, nachdem der Kläger und zwei weitere Mitarbeiterinnen ihr erzählt hatten, es seien kleine schwarze Kameras gefunden worden, gesagt, dass sie im Badezimmer „so etwas“ gesehen habe. Der Kläger und eine der weiteren Mitarbeiterinnen seien daraufhin in das Badezimmer „gestürmt“. Als sie herausgekommen seien, habe die Kollegin gemeint, „da sei nichts gewesen.“

Aus diesen Äußerungen kann ein unbefangener Durchschnittsleser zwar den möglichen Schluss ziehen, der Kläger habe auch im Zimmer der dritten Mitarbeiterin eine Kamera installiert und habe diese, um seine Tat zu verdecken, bei der Durchsuchung des Badezimmers wieder entfernt. Unabweisbar nahe gelegt wird dem Leser eine solche Schlussfolgerung aber nicht. Eine eigene Behauptung der Beklagten mit dem aus dem Klageantrag ersichtlichen Inhalt ist deshalb nicht anzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2005 - VI ZR 204/04, NJW 2006, 601 Rn. 17; Senat, Urteil vom 26. November 2020 - 15 U 39/20, GRUR-RS 2020, 38050 Rn. 20).

3. Hingegen hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers, es zu unterlassen, über den Verdacht zu berichten, der Kläger habe zu Kollegen gesagt „Fickt ihr die mal alle, das ist nichts mehr für mich“, im Ergebnis zu Recht bejaht. Es fehlt insoweit jedenfalls an einem Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprachen. Der Kläger hat in seiner von der Beklagten eingeholten Stellungnahme - wie auch im vorliegenden Rechtsstreit - bestritten, sich in der berichteten Weise geäußert zu haben. Angesichts dieser Einlassung durfte die Beklagte sich nicht allein und ausschließlich auf die Angaben einer der von den Filmaufnahmen betroffenen Mitarbeiterinnen verlassen, wonach ein Kollege ihr mitgeteilt habe, der Kläger habe die Äußerung getätigt. Es handelte sich bei dieser Mitarbeiterin lediglich um eine Zeugin vom Hörensagen, die im Übrigen schon wegen des Vorwurfs des heimlichen Filmens dem Kläger gegenüber negativ eingestellt war, deswegen bereits Klage beim Arbeitsgericht erhoben hatte und möglicherweise erhebliche Eigeninteressen verfolgte, was bei der Bewertung der Überzeugungskraft ihrer Bekundungen auch im Rahmen des Mindestbestandes an Beweistatsachen kritisch zu würdigen ist (Senat, Urteil vom 12. November 2020 - 15 U 112/20, BeckRS 2020, 37979 Rn. 39 mwN). Die Beklagte hätte deshalb vor der Verdachtsberichterstattung zumindest den Kollegen, gegenüber dem der Kläger sich geäußert haben soll, selbst befragen müssen. Dass ihr dies nicht möglich oder nicht zumutbar war, ist nicht ersichtlich; auch bei der Erörterung der Frage im Termin wurde dazu nichts geltend gemacht.

4. Schließlich hat der Kläger gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Unterlassung der ihn identifizierenden Bildberichterstattung.

a) Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen, das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben als auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die - wie vorliegend - nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen (zuletzt etwa BGH, Urteile vom 9. April 2019 - VI ZR 533/16, AfP 2019, 333 Rn. 7 und vom 6. Februar 2018 - VI ZR 76/17, NJW 2018, 1820 Rn. 10 mwN).

Bei einer strafverfahrensbegleitenden Bildberichterstattung hat in der Abwägung der widerstreitenden Interessen bereits bei der Prüfung, ob ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorliegt die Unschuldsvermutung Berücksichtigung zu finden. Sie gebietet eine entsprechende Zurückhaltung und die Berücksichtigung einer möglichen Prangerwirkung. Danach wird oftmals bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Bildberichterstattung überwiegen. Eine individualisierende Bildberichterstattung über den Beschuldigten eines Strafverfahrens scheidet aber nicht in jedem Fall aus. Vielmehr können es die jeweiligen Umstände rechtfertigen, dass sich der Betreffende nicht beziehungsweise nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann. Dies gilt etwa dann, wenn er kraft seines Amtes oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung beziehungsweise Prominenz in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 46 mwN).

b) Gemessen daran handelt es sich bei der im Streitfall zu beurteilenden Abbildung nicht um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Denn nach den Ausführungen unter 1 b bb stand der Kläger gerade nicht im Blickfeld der Öffentlichkeit.

Zwar überwogen seine durch die Unschuldsvermutung konkretisierten Interessen das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Wortberichterstattung jedenfalls nach der Anklageerhebung nicht mehr. Für die angegriffene Veröffentlichung eines Bildes, deren Zulässigkeit nicht nach denselben Maßstäben wie die Zulässigkeit der Wortberichterstattung zu beurteilen ist (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 2018 - VI ZR 56/17, NJW-RR 2018, 1063 Rn. 28), fehlt es aber an einer Rechtfertigung.

Auch wenn es sich um eine kontextneutrale Aufnahme handelt, die für sich gesehen keinen besonderen Verletzungsgehalt hat, wird die ohnehin bestehende Gefahr erheblicher sozialer Missachtung durch die Bebilderung der Verdachtsberichterstattung mit einem Foto des Klägers noch weiter verstärkt. Während der Leser den Namen des Klägers erst bei einem aufmerksamen Durchlesen des Berichts erfährt, kann er auf das Bild schon bei einem flüchtigen Durchblättern des Magazins aufmerksam werden; entsprechendes gilt für die Internetveröffentlichung. Die Veröffentlichung des Bildes des in der Öffentlichkeit unbekannten Klägers in dem auflagenstarken Nachrichtenmagazin der Beklagten und ihrem Internetauftritt ist deshalb noch deutlich weitgehender als eine reine Namensnennung geeignet, eine besondere öffentliche Aufmerksamkeit hinsichtlich seiner Person zu erregen und damit auch eine gewisse Prangerwirkung zu erzeugen (vgl. Senat, Urteil vom 21. Februar 2019 - 15 U 132/18, juris Rn. 29). Dies ist unter Berücksichtigung der oben (1 b bb) erörterten Abwägungskriterien mit der wegen der Unschuldsvermutung gebotenen Zurückhaltung nicht mehr zu vereinbaren.


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KG Berlin: Zeitgleiche Ausstrahlung von ARD-Wahlsendung zur Bundestagswahl 2021 durch BILD LIVE weder zulässige Berichterstattung über Tagesereignisse noch von Zitatrecht gedeckt

KG Berlin
Urteil
24 U 9/22


Das Kammergericht hat entschieden, dass die zeitgleiche Ausstrahlung der ARD-Wahlsendung zur Bundestagswahl 2021 durch BILD LIVE anlässlich der Bundestagswahl 2021 weder eine zulässige Berichterstattung über Tagesereignisse noch von Zitatrecht gedeckt und somit rechtswidrig war.


BGH: Berichterstattung über Liebesbeziehung eines Comedians mit Sex-Bloggerin zulässig wenn diese bei Instagram gemeinsame Urlaubsfotos veröffentlich haben

BGH
Urteil vom 02.08.2022
VI ZR 26/21
BGB § 823; GG Art. 5


Der BGH hat entschieden, dass die Berichterstattung über die Liebesbeziehung eines Comedians mit einer Sex-Bloggerin jedenfalls dann zulässig ist, wenn diese bei Instagram gemeinsame Urlaubsfotos veröffentlich haben.

Leitsatz des BGH:
Zur Zulässigkeit einer Berichterstattung, die über eine Liebesbeziehung spekuliert (Fortführung und Abgrenzung Senat, Urteil vom 2. Mai 2017 - VI ZR 262/16, NJW-RR 2017, 1516).

BGH, Urteil vom 2. August 2022 - VI ZR 26/21 - KG Berlin - LG Berlin

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BVerfG: Beschaffung von Daten von Informanten durch Journalisten regelmäßig von Pressefreiheit gedeckt und nicht als Datenhehlerei nach § 202d StGB strafbar

BVerfG
Beschluss vom 30.03.2022
1 BvR 2821/16


Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass die Beschaffung von Daten von Informanten durch Journalisten regelmäßig von der Pressefreiheit gedeckt und nicht als Datenhehlerei nach § 202d StGB strafbar ist. Da die Verfassungsbeschwerde aber nicht hinreichend substantiiert war, hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten durch die angegriffenen Regelungen nicht hinreichend substantiiert dargelegt haben.

1. Die Beschwerdeführer können grundsätzlich Träger von Grundrechten und damit beschwerdefähig sein. Das gilt auch für die Beschwerdeführer zu 2) und zu 9), die als eingetragene Vereine (vgl. BVerfGE 3, 383 <390>; 10, 221 <225>; 24, 278 <282>; 97, 228 <253>; 105, 279 <292 f.>) und damit als inländische juristische Personen im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsberechtigt sind. Juristische Personen können sich grundsätzlich auf die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Grundrechte der Presse- und Rundfunkfreiheit berufen (vgl. BVerfGE 95, 28 <34 f.>).

2. Die Beschwerdeführer haben jedoch nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt, beschwerdebefugt zu sein.

a) Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG ist zur Begründung der Verfassungsbeschwerde das angeblich verletzte Recht zu bezeichnen und der seine Verletzung enthaltende Vorgang substantiiert darzulegen (vgl. BVerfGE 9, 109 <114 f.>; 81, 208 <214>; 99, 84 <87>). Die Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 89, 155 <171>; 101, 331 <345 f.>). Die Beschwerdeführenden müssen darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert; sie müssen das Grundrecht in Bezug zu dem Lebenssachverhalt setzen und die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung verdeutlichen (vgl. BVerfGE 79, 203 <209>; 108, 370 <386 f.>; 120, 274 <298>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 88). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein sollen (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 101, 331 <346>; 115, 166 <179 f.>; 130, 1 <21>). Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen eine gesetzliche Vorschrift, so muss der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert geltend machen, durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 40, 141 <156>; 60, 360 <370>; 72, 39 <43>; 79, 1 <13>; stRspr). Zu den Begründungsanforderungen an eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde gehört auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der einfachrechtlichen Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juli 2015 - 1 BvR 1560/15 -, Rn. 5; vom 20. Mai 2021 - 1 BvR 928/21 -, Rn. 12).

b) Diesen Maßstäben genügt die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis nicht. Zwar ist der Schutzbereich der Presse- und Rundfunkfreiheit eröffnet, und die Beschwerdeführer haben dargelegt, dass die Tätigkeiten, die sie durch die angegriffenen Normen für beeinträchtigt halten, dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unterfallen. Der Vortrag der Beschwerdeführer genügt hinsichtlich des geltend gemachten Eingriffs und ihrer Beschwer jedoch nicht den Anforderungen.

aa) Das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt den gesamten Prozess der Herstellung und Verbreitung von digitalen oder analogen Presseerzeugnissen und Rundfunksendungen von der Informationsgewinnung bis zur Veröffentlichung und zum Vertrieb der hergestellten Inhalte (vgl. BVerfGE 10, 118 <121>; 66, 116 <133>; 77, 65 <74 ff.>; 117, 244 <258 f.>; stRspr). Dabei schützt das Grundrecht die an diesem Prozess berufsmäßig beteiligten Personen nicht nur vor gezielter staatlicher Einflussnahme auf die inhaltliche und formelle Gestaltung der Presse- und Rundfunkerzeugnisse. Als Grundentscheidung für ein freies Presse- und Rundfunkwesen gewährleistet Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vielmehr auch die institutionellen Rahmen- und Funktionsbedingungen der journalistischen Tätigkeit (vgl. BVerfGE 20, 162 <174 ff.>; 66, 116 <133 f.>). Zu diesen unentbehrlichen Funktionsbedingungen freier Presse- und Rundfunktätigkeit gehören insbesondere auch die grundsätzliche Zugänglichkeit der für diese Tätigkeit benötigten Informationen. Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zur Information versetzt die Medien in den Stand, die ihnen in der freiheitlichen Demokratie zukommende Funktion wahrzunehmen (BVerfGE 91, 125 <134>; 103, 44 <59>). Dies bedingt auch die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes der für die Informationsgewinnung benötigten Quellen, des in diesem Rahmen vorausgesetzten Vertrauensverhältnisses und der Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit (vgl. BVerfGE 20, 162 <176>; 66, 116 <134>; 100, 313 <365>; 117, 244 <259>). Zudem betrifft der Schutz vor inhaltsbezogenen Einwirkungen nicht allein Eingriffe im traditionellen Sinne (zum herkömmlichen Eingriffsbegriff siehe BVerfGE 105, 279 <300>), sondern kann auch bei mittelbaren Einwirkungen auf die Presse (vgl. BVerfGE 52, 283 <296>) ausgelöst werden, wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Eingriffen gleichkommen (vgl. BVerfGE 105, 252 <273>). Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt den Trägern der Pressefreiheit daher ein subjektives Abwehrrecht auch gegen Beeinträchtigungen, die mittelbar über eine Einflussnahme des Staates auf Dritte eintreten, etwa dadurch, dass das Verhalten dieser Dritten die publizistischen Wirkungsmöglichkeiten oder die finanziellen Erträge des Presseorgans in einer Weise nachteilig beeinflusst, die einem Eingriff gleichkommt. Dass über faktische Nachteile des Informationshandelns hinaus rechtliche Auswirkungen an die staatliche Maßnahme geknüpft sein müssen, ist nicht Voraussetzung dafür, dass die Kommunikationsfreiheit beeinträchtigt sein kann (vgl. BVerfGE 113, 63 <76 f.>).

bb) Es bleibt in jedem Fall Sache der Beschwerdeführer, die Einzelheiten der von ihnen erstrebten Handlungen, deren Verbot sie bekämpfen möchten, hinreichend substantiiert darzulegen, so dass das Bundesverfassungsgericht in die Lage versetzt wird, die Frage der unmittelbaren Betroffenheit zu beurteilen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 92 BVerfGG; vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 88).

Die Beschwerdeführer tragen nicht hinreichend substantiiert vor, dass ein grundrechtlich geschütztes Verhalten von der angegriffenen Norm nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik betroffen und eine Auslegung im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 GG nicht möglich ist. Insbesondere sind die von den Beschwerdeführern vorgetragenen Beispielsfälle vom Tatbestand der Datenhehlerei eindeutig nicht umfasst. Mangels ersichtlicher Strafbarkeit besteht hier kein Risiko von Journalisten betreffenden strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen nach § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO (n.F.). Das Vorbringen der Beschwerdeführer lässt auch nicht erkennen, dass die angegriffenen Vorschriften für sie oder Dritte eine einem Eingriff gleichkommende abschreckende Wirkung entfalten könnten.

(1) Regelmäßig dürfte es bereits an der rechtswidrigen Tat eines anderen im Sinne des § 202d Abs. 1 StGB fehlen, durch die die Daten erlangt wurden. Handelt es sich bei dem Informanten um einen an sich berechtigten Mitarbeiter des Betroffenen, der auf die übermittelten Daten zugreifen kann, kann sich der Mitarbeiter und Informant durch die Weitergabe der Daten strafbar gemacht haben. Er hätte die Daten aber nicht durch eine rechtswidrige Tat erlangt, da er schon zuvor auf sie zugreifen konnte.

(2) Selbst bei unterstellter Verwirklichung des objektiven Tatbestandes bestehen unter Zugrundelegung des Vortrags der Beschwerdeführer erhebliche Zweifel daran, dass der subjektive Tatbestand der Datenhehlerei erfüllt sein könnte. Zunächst ist fraglich, ob sich aus den Ausführungen der Beschwerdeführer zu den von ihnen gebildeten Beispielsfällen überhaupt ein bedingter Vorsatz des Handelnden im Hinblick auf die rechtswidrige Vortat ergibt. Der Gesetzesbegründung nach reicht das Bewusstsein, dass die Daten aus irgendeiner rechtswidrigen Tat stammen, nicht aus (BTDrucks 18/5088, S. 47). Dass ein Journalist eine rechtwidrige Beschaffung der Daten aufgrund ihrer Sensibilität nicht ausschließen kann, genügt gerade nicht.

Weiter fehlt es an hinreichendem Vortrag, der eine Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht des Journalisten erkennen ließe. Die (Dritt-)Bereicherung und die Schädigung setzen gemäß der Gesetzesbegründung ausdrücklich Absicht voraus (BTDrucks 18/5088, S. 47). Die Schädigung beziehungsweise der Vorteil müssen vom Täter als Erfolg gewollt werden, es muss ihm gerade darauf ankommen. Steht die Aufklärung von Missständen im Vordergrund, richtet sich die Absicht des Täters hierauf, nicht aber auf die Schädigung.

(3) Letztlich fehlt es an hinreichendem Vortrag der Beschwerdeführer dazu, warum der Tatbestandsausschluss für sie keine Anwendung finden sollte. In Anbetracht der weiteren Gesetzesbegründung drängt sich entgegen der Annahme der Beschwerdeführer auf, dass ein umfassender Ausschluss journalistischer Tätigkeiten bezweckt wird ("Zum anderen wird klargestellt, dass [...] insbesondere journalistische Tätigkeiten unter den Tatbestandsausschluss fallen."; BTDrucks 18/5088, S. 48). Der Tatbestandsausschluss zielt darauf ab, dass eine journalistische Tätigkeit auch dann nicht unter Strafe gestellt wird, wenn Recherchen gegebenenfalls unergiebig sind und es im Ergebnis nicht zu einer Veröffentlichung kommt. Entscheidend ist die Vorstellung des jeweiligen Journalisten, dass seine Handlungen in eine konkrete Veröffentlichung münden kann.

Soweit die Beschwerdeführer vortragen, das Ausschließlichkeitskriterium des § 202d Abs. 3 Satz 1 StGB werde der journalistischen Praxis nicht gerecht, weil regelmäßig ein Bündel von Motiven vorliege, überzeugt dies bereits im Ansatz nicht. Die Lesart der Beschwerdeführer verengt in nicht nachvollziehbarer Weise den Anwendungsbereich des zugunsten der Journalisten eingefügten Tatbestandsausschlusses und steht in direktem Widerspruch zu der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Zielsetzung, journalistische Tätigkeiten umfassend zu schützen. Aus dem Wortlaut und der Systematik der Norm ergibt sich, dass die Verwendung einen objektiv funktionalen Zusammenhang zur Aufgabenerfüllung aufweisen muss. Der konkrete Zusammenhang mit der - hier journalistischen - Aufgabenerfüllung ist der Grund, der die Tatbestandslosigkeit des Umgangs mit ansonsten bemakelten Daten begründet.

(4) Die von den Beschwerdeführern monierte abschreckende und eingriffsäquivalente Wirkung der angegriffenen Normen, die eine "Aura des vielleicht Strafbaren" umgebe, lässt sich nach dem Obenstehenden nicht nachvollziehen. Ein hinreichendes Risiko, dass sich Journalisten nach § 202d StGB strafbar machen, besteht nicht. Dementsprechend ist ebensowenig mit vorgelagerten Ermittlungsmaßnahmen zu rechnen. Dies deckt sich mit der vom Bundesministerium der Justiz im Rahmen der Beantwortung des Fragenkatalogs (§ 27a BVerfGG, § 22 Abs. 5 GOBVerfG) durchgeführten Abfrage in den Landesjustizverwaltungen, wonach seit 2018 keine Verfahren nach § 202d StGB Journalisten betreffend bekannt sind.

Gleichfalls ist nicht nachzuvollziehen und von den Beschwerdeführern nicht dargelegt, dass von den angegriffenen Normen eine Einschüchterungswirkung bei den Quellen der Journalisten ausgehen sollte, da sie sich als Vortäter nicht nach § 202d StGB strafbar machen. Auch eine von den angegriffenen Normen ausgehende Abschreckungswirkung auf sonstige Mittelspersonen haben die Beschwerdeführer weder dargelegt, noch würde sie aus den eingegangenen Antworten auf den Fragenkatalog der Kammer sonstwie ersichtlich. Eine Tatbestandsverwirklichung durch Hilfspersonen der Journalisten liegt ebenfalls fern und ist nicht hinreichend ausgeführt; erhalten etwa IT-Spezialisten von Journalisten Daten zur Bearbeitung, so fehlt es aufgrund des Tatbestandsausschlusses zugunsten der Journalisten bereits an einer tauglichen, rechtswidrigen Vortat im Sinne des § 202d StGB mit Blick auf die Hilfspersonen.


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BGH: Identifizierende Verdachtsberichterstattung nur bei Mindestbestand an Beweistatsachen und Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen vor Veröffentlichung zulässig

BGH
Urteil vom 16.11.2021
VI ZR 1241/20
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2; KUG § 22, § 23


Der BGH hat entschieden, dass eine Identifizierende Verdachtsberichterstattung nur bei einem Mindestbestand an Beweistatsachen und Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen vor Veröffentlichung zulässig ist.

Leitsätze des BGH:
a) Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen, erforderlich. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

b) Das grundsätzliche Erfordernis einer Möglichkeit zur Stellungnahme soll sicherstellen, dass der Standpunkt des von der Verdachtsberichterstattung Betroffenen in Erfahrung und gegebenenfalls zum Ausdruck gebracht wird, der Betroffene also selbst zu Wort kommen kann. Dies setzt voraus, dass der Betroffene nicht nur Gelegenheit zur Stellungnahme erhält, sondern dass seine etwaige Stellungnahme auch zur Kenntnis genommen und der Standpunkt des Betroffenen in der Berichterstattung sichtbar wird.

BGH, Urteil vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20 - OLG Köln - LG Köln

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LG Berlin: Zeitgleiche Übernahme von ARD Wahlprognose und Hochrechnung durch BILD LIVE weder zulässige Berichterstattung über Tagesereignisse noch von Zitatrecht gedeckt

LG Berlin
Urteil vom 09.12.2021
16 O 297/21


Das LG Berlin hat entschieden, dass die zeitgleiche Übernahme der ARD Wahlprognose und Hochrechnung durch BILD LIVE weder eine zulässige Berichterstattung über Tagesereignisse nach § 50 UrhG noch vom Zitatrecht nach § 51 UrhG gedeckt war. Die zeitversetze Ausstrahlung eines Politikerinterviews war nach Ansicht des Gerichts nach § 50 UrhG zulässig.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Landgericht Berlin: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Ausstrahlung von ARD-Wahlberichterstattung vom 26. September 2021 auch im Fernsehsender BILD LIVE teilweise erfolgreich

Die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin hat heute über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verhandelt, der von neun Rundfunksendeanstalten der ARD (Antragstellerinnen) eingereicht worden war und sich gegen drei Gesellschaften eines privaten Medienkonzerns (Antragsgegnerinnen) richtet.

Die Antragstellerinnen halten die Übernahme von Ausschnitten aus ihrer am 26. September 2021 ausgestrahlten Wahlberichterstattung in das Fernsehprogramm von „BILD LIVE“, welches von den Antragsgegnerinnen betrieben und verantwortet wird, für unzulässig. Sie machen daher Ansprüche auf Unterlassung gegen die Antragsgegnerinnen geltend, die teilweise auf die Verletzung urheberrechtlicher Leistungsschutzrechte, teilweise auf die Verletzung des wettbewerbsrechtlichen Nachahmungsschutzes gestützt wird.

Die Kammer hat dem Antrag in ihrem am Schluss der Sitzung verkündeten Urteil teilweise stattgegeben und ihn im Übrigen zurückgewiesen. Sie sah in der zeitgleichen Übernahme eines Ausschnittes aus dem Programm der Antragstellerinnen, der die Prognose und die erste Hochrechnung enthielt, in das Programm von „BILD LIVE“ eine Verletzung der Leistungsschutzrechte, die § 87 UrhG Sendeunternehmen gewährt. Die Übernahme sei nicht unter dem Gesichtspunkt einer Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) und auch nicht als urheberrechtlich zulässiges Zitat (§ 51 UrhG) gerechtfertigt gewesen.

Im Übrigen sah die Kammer die Antragstellerinnen durch das angegriffene Verhalten der Antragsgegnerinnen nicht als in ihren Rechten verletzt an. Dies betrifft zum einen das aus der Wahlberichterstattung der Antragstellerinnen zeitversetzt übernommene Interview mit dem CDU-Generalsekretär. Denn insoweit hielt die Kammer die Übernahme durch die Antragsgegnerinnen im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über den Ausgang der Wahl gemäß § 50 UrhG für gerechtfertigt. Zum anderen sah die Kammer die von den Antragstellerinnen geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche nicht als gegeben an, weil diese im konkreten Fall nicht als Mitbewerber i. S. d. Wettbewerbsrechts (UWG) und damit nicht als anspruchsbefugt angesehen werden könnten.

Die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin hat in der heutigen mündlichen Verhandlung die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert, am Schluss der heutigen Sitzung aber nur den Tenor des Urteils verkündet. Wegen der Einzelheiten der Gründe für diese Entscheidung müssen daher die schriftlichen Urteilsgründe abgewartet werden, die noch nicht vorliegen.

Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig; es kann dagegen Berufung beim Kammergericht innerhalb von einem Monat nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe eingelegt werden.

Landgericht Berlin: Urteil vom 9. Dezember 2021, Aktenzeichen: 16 O 297/21


BGH: Zur Bestimmtheit eines Klageantrags bei einem auf Erstbegehungsgefahr gestützten äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch

BGH
Urteil vom 09.03.2021
VI ZR 73/20
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung mit der hinreichenden Bestimmtheit eines Klageantrags bei einem auf Erstbegehungsgefahr gestützten äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch befasst.

Leitsätze des BGH:
a) Zur Bestimmtheit eines Klageantrags bei einem auf Erstbegehungsgefahr gestützten äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch.

b) Zur Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einerseits und der Meinungs- und Medienfreiheit andererseits bei einem auf Erstbegehungsgefahr gestützten Anspruch auf Unterlassung einer angekündigten, aber nicht näher konkretisierten Berichterstattung (hier: Berichterstattung über wissenschaftliches Plagiat).

BGH, Urteil vom 9. März 2021 - VI ZR 73/20 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Die hinreichende Bestimmtheit eines Klageantrags ist auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 2019 - VI ZR 506/17, AfP 2019, 40 Rn. 11 mwN). Ein Klageantrag ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) absteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt. Dies ist bei einem Unterlassungsantrag regelmäßig der Fall, wenn die konkret angegriffene Verletzungsform antragsgegenständlich ist (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 2019 - VI ZR 506/17, AfP 2019, 40 Rn. 12 mwN). Wird demgegenüber wie im Streitfall ein auf Erstbegehungsgefahr gestützter Unterlassungsanspruch vorbeugend geltend gemacht, kommt es - soweit die konkret erwartete Verletzungsform im Einzelfall ungewiss bleibt - maßgeblich darauf an, ob das Klagebegehren im Rahmen des dem Kläger Möglichen und zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes für beide Seiten Gebotenen hinlänglich eindeutig formuliert ist und als Urteilstenor vollstreckbar wäre (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1986 - I ZR 43/84, WRP 1987, 101, 102, juris Rn. 14 - Tomatenmark).

2. An diesen Anforderungen gemessen ist der Antrag der Klägerin hinreichend bestimmt. Zwar ist er auch unter Berücksichtigung des in Bezug genommenen anwaltlichen Schreibens des Beklagten vom 14. Dezember 2017 denkbar weit gefasst, da darin lediglich "eine Berichterstattung über den Plagiatsfall Ihrer Mandantin und deren Bemühungen, bisherige Berichterstattung zu unterbinden" angekündigt wurde. Trotz und gerade wegen dieser Weite ist der Antrag jedoch bestimmt. Denn für den Beklagten ergibt sich hieraus sowohl im Hinblick auf seine Rechtsverteidigung wie auch unter dem Gesichtspunkt der Zwangsvollstreckung eindeutig, dass die Klägerin das Unterlassen jeder Berichterstattung über gegen sie erhobene Plagiatsvorwürfe einschließlich etwaiger Bemühungen, bisherige Berichterstattung zu unterbinden, begehrt, sofern sie namentlich erfolgt. Ob eine Berichterstattung den Namen einer Person nennt oder nicht, unterliegt aber keinem Zweifel. Wenn der Antrag dabei - wie der Beklagte meint - nach seiner Formulierung auch Fälle umfasst, deren Verbot die Klägerin gar nicht verlangen kann, lässt sich daraus kein Einwand gegen seine Bestimmtheit, sondern allenfalls gegen seine sachliche Berechtigung herleiten (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1986 - I ZR 43/84, WRP 1987, 101, 102, juris Rn. 14 - Tomatenmark).

Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Klägerin der geltend gemachte vorbeugende Anspruch auf Unterlassung jeglicher namentlichen Berichterstattung über ihren Plagiatsfall nicht zusteht (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG)."


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BGH: Zur Zulässigkeit der Presseberichterstattung über ehrbeeinträchtigende Äußerungen Dritter und zur Abgrenzung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung

BGH
Urteil vom 26.01.2021
VI ZR 437/19
BGB § 823; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung zur Zulässigkeit der Presseberichterstattung über ehrbeeinträchtigende Äußerungen Dritter und zur Abgrenzung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung befasst.

Leitsatz des BGH:
Zur Presseberichterstattung über ehrbeeinträchtigende Äußerungen Dritter.

BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 - VI ZR 437/19 - OLG Schleswig - LG Itzehoe

Aus den Entscheidungsgründen:

"aa) Soweit die Berichterstattungen der Beklagten über die im Tenor des Berufungsurteils unter I.1., I.2., I.4., II., III.1., III.2. aufgeführten Äußerungen den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers betreffen, handelt es sich um die zulässige Wiedergabe von Meinungsäußerungen Dritter.

(1) Ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil einzustufen ist, ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen. Eine Äußerung, die auf Werturteilen beruht, kann sich als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird. Auch die schlagwortartig verkürzte Wiedergabe eines Sachverhalts kann selbst dann, wenn sie sich wertender Schlagworte bedient, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten. Anders liegt es jedoch, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm bleibt, dass er gegenüber der subjektiven Wertung ganz zurücktritt (vgl. Senat, Urteil vom 27. September 2016 - VI ZR 250/13, NJW 2017, 482 Rn. 25 f. mwN). Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (vgl. Senat, Urteil vom 16. Dezember 2014 - VI ZR 39/14, NJW 2015, 773 Rn. 8 mwN; BVerfG [K], Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 1 BvR 704/18, juris Rn. 21). Im Zweifel ist im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes davon auszugehen, dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt (vgl. BVerfG [K], Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 1 BvR 704/18, juris Rn. 21 mwN).

Die genannten Äußerungen beschränken sich auch unter Berücksichtigung des Kontextes auf - zudem allgemein gehaltene - Bewertungen, ohne beim Leser zugleich eine Vorstellung von konkreten, damit zusammenhängenden inneren und äußeren Vorgängen hervorzurufen (siehe oben B.I.1.b.). Der tatsächliche Gehalt der Äußerungen bleibt so substanzarm, dass er gegenüber dem Werturteil ganz zurücktritt"

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OLG Nürnberg: Kein Schadensersatz in Höhe von 78 Millionen EURO wegen behaupteter falscher Berichterstattung in Süddeutscher Zeitung in Sachen Solar Millenium AG im Artikel "Wetten auf den Absturz"

OLG Nürnberg
Beschluss vom 03.02.2021
3 U 2445/18


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass kein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 78 Millionen EURO wegen behaupteter falscher Berichterstattung in der Süddeutscher Zeitung in Sachen Solar Millenium AG in dem Artikel "Wetten auf den Absturz" besteht. Die Berichterstattung war nach den Grundsätzen zur Verdachtsberichtserstattung zulässig.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Millionenklage gegen Süddeutsche Zeitung: Berufung zurückgewiesen

Mit Beschluss vom 3. Februar 2021 hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg die Berufung des Klägers, welcher unter anderem von der Süddeutschen Zeitung sowie zwei Redakteuren wegen von ihm behaupteter falscher Berichterstattung einen Schadensersatzbetrag in Höhe von ca. 78 Millionen Euro verlangt, zurückgewiesen.

Der Kläger ist bzw. war Mitbegründer, Hauptaktionär und Mitglied des Aufsichtsrats der in Erlangen ansässigen Solar Millennium AG. Am 25. Juni 2013 war in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Wetten auf den Absturz“ ein Artikel veröffentlicht worden, in welchem unter anderem die Frage aufgeworfen wurde, ob der Kläger Insiderwissen zu seinen Gunsten genutzt hatte. Einen Tag später erschien in dem in der Schweiz verbreiteten „Tages-Anzeiger“ unter der Überschrift „Spur in deutschem Insiderfall führt zu Bank Vontobel“ ein Artikel, in welchem inhaltlich auf den Bericht in der Süddeutschen Zeitung Bezug genommen wurde.

Der Kläger behauptet, dass aufgrund dieser Berichte eine bereits weit fortgeschrittene Vereinbarung über die Realisierung eines Kraftwerkprojektes in Indien und weiterer Projekte in Indonesien geplatzt sei. Ihm und den beteiligten Gesellschaften, welche die Schadensersatzansprüche an ihn abgetreten hätten, sei deshalb ein Gewinn in Höhe von 78.242.500 Euro entgangen. Die Beklagten hätten ihn, da die Zeitungsartikel unzutreffende Behauptungen enthalten hätten, vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, weshalb ihm ein Schadensersatzanspruch zustehe. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte die Klage nach Vernehmung zweier Zeugen und Anhörung des Klägers abgewiesen und dabei im Wesentlichen ausgeführt, dass es Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Darstellung der beiden Zeugen und deren Glaubwürdigkeit habe. Zudem weiche der Artikel im Schweizer Tages-Anzeiger wesentlich von dem Artikel der Süddeutschen Zeitung ab, weshalb letzterer nicht ursächlich für das gescheiterte Geschäft gewesen sein könne.

Der 3. Zivilsenat ist der Auffassung, dass das Landgericht Nürnberg-Fürth die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen hat. Er hat daher zunächst mit Beschluss vom 4. März 2020 die Parteien darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung des Klägers mangels Erfolgsaussichten zurückzuweisen. Nach Eingang umfangreicher Stellungnahmen erfolgte die Berufungszurückweisung mit Beschluss vom 3. Februar 2021.

Für den Senat waren vier Gründe maßgeblich, die Berufung zurückzuweisen:

1. Der Senat wies darauf hin, dass die Berufungsinstanz keine vollwertige Tatsacheninstanz darstelle. Vielmehr sei das Berufungsgericht an die Feststellungen und Würdigung des Erstgerichts gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründeten und deshalb eine erneute Feststellung geböten. Derartige konkrete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichtes bestünden vorliegend nicht.

2. Voraussetzung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten wäre es, dass diese durch die Veröffentlichung des Artikels vom 25. Juni 2013 pflichtwidrig und rechtswidrig gehandelt hätten. Dies sei vorliegend zu verneinen. Die Darstellungen in dem Artikel seien im Wesentlichen zutreffend gewesen. Im Übrigen können sich die Beklagten nach Ansicht des Senats auf die Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung berufen.

3. Der Senat ist der Auffassung, dass der im Schweizer Tages-Anzeiger erschienene Artikel sich von den zulässigen Äußerungen des Artikels der Süddeutschen Zeitung inhaltlich so unterscheide, dass ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem ursprünglichen Artikel und einem Scheitern der Geschäfte des Klägers entfalle. Die Süddeutsche Zeitung habe in dem Artikel „Wetten auf den Absturz“ deutlich zu erkennen gegeben, dass es sich um eine – wenn auch starke – Vermutung handle, dass der Kläger Insiderwissen ausgenutzt habe. Zwar bestehe grundsätzlich eine Haftung auch für sogenannte Folgeschäden, das Verhalten der Redaktion des Tages-Anzeigers habe aber presserechtlichen Maßstäben in besonderer Weise widersprochen, so dass sich letztlich kein von den Beklagten geschaffenes Risiko verwirklicht habe.

4. Der Senat hält die Klage noch aus einem anderen Gesichtspunkt heraus für unbegründet. Der Senat konnte zwar nachvollziehen, dass aufgrund der damals gegen den Kläger im Raum stehenden Vorwürfe ein Geschäftspartner nachteilige Folgen für die Reputation des Geschäfts und negative Reaktionen einzubindender Dritter befürchtet und daher die Geschäftsbeziehung abbricht. Es lasse sich aber keine Überzeugung gewinnen, dass gerade die möglicherweise im Artikel missverständlich dargestellten Details zu den Optionsgeschäften für den Abbruch der Geschäftsbeziehung ausschlaggebend gewesen seien.

Der Senat beschäftigt sich in seinem mehr als 60-seitigen Beschluss dezidiert mit den einzelnen Problemen des Falles und geht auch noch auf weitere Gesichtspunkte ein.

Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25. Oktober 2018, Az. 11 O 9597/16
Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 04. März 2020, Az. 3 U 2445/18
Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 03. Februar 2021, Az. 3 U 2445/18



LG Köln: Unzulässige Berichterstattung der Bild-Zeitung mit Urlaubsbildern des niederländischen Königspaares - Fotos von Yachtausflug keine Bildnisse des Zeitgeschehens

LG Köln
Beschluss vom 24.09.2020
28 O 340/20


Das LG Köln hat entschieden, dass die Berichterstattung der Bild-Zeitung mit Urlaubsbildern des niederländischen Königspaares unzulässig war. Die Urlaubsbilder, die einen privaten Yachtausflug zeigen, sind - so das Gericht - keine Bildnisse des Zeitgeschehens im Sinne von §§ 22, 23 KUG.

Volltext BGH liegt vor: Bundesrepublik Deutschland kann Veröffentlichung militärischer Lageberichte durch die Presse nicht unter Hinweis auf Urheberrecht untersagen - Afghanistan Papiere II

BGH
Urteil vom 30.04.2020
I ZR 139/15
Afghanistan Papiere II
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2, Art. 14 Abs. 1; UrhG §§ 50, 63 Abs. 1 und 2 Satz 1; Richtlinie 2001/29/EG Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2, Abs. 5


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Bundesrepublik Deutschland kann Veröffentlichung militärischer Lageberichte durch die Presse nicht unter Hinweis auf Urheberrecht untersagen - Afghanistan Papiere II über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Im Rahmen der bei Prüfung der Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG vorzunehmenden Grundrechtsabwägung ist im Falle der Veröffentlichung eines bislang unveröffentlichten Werks auch das vom Urheberpersönlichkeitsrecht geschützte Interesse an einer Geheimhaltung des Werks zu berücksichtigen. Dieses schützt das urheberrechtsspezifische Interesse
des Urhebers, darüber zu bestimmen, ob er mit der erstmaligen Veröffentlichung den Schritt von der Privatsphäre in die Öffentlichkeit tut und sich und sein Werk damit der öffentlichen Kenntnisnahme und Kritik aussetzt.

b) Nicht zu berücksichtigen ist bei dieser Abwägung dagegen das Interesse an der Geheimhaltung von Umständen, deren Offenlegung Nachteile für die Interessen des Staates und seiner Einrichtungen haben könnten. Dieses Interesse ist nicht durch das Urheberpersönlichkeitsrecht, sondern durch andere Vorschriften - etwa das Sicherheitsüberprüfungsgesetz, § 3 Nr. 1 Buchst. b IFG und die strafrechtlichen Bestimmungen gegen Landesverrat und die Gefährdung der äußeren Sicherheit gemäß §§ 93 ff. StGB - geschützt.

BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 139/15 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: