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LG Hamburg: New York Times hat keine Ansprüche wegen bösgläubiger Markenanmeldung gegen Inhaber der deutschen Marke "Wordle"

LG Hamburg
Urteil vom 18.07.2024
327 O 195/23


Das LG Hamburg hat entschieden, dass die New York Times keine Ansprüche wegen bösgläubiger Markenanmeldung gegen den Inhaber der deutschen Marke "Wordle" hat.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Klägerin stehen der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten weder unter dem Gesichtspunkt des Werktitelschutzes noch aus ihrer Unionswortmarke „WORDLE“ zu (dazu unten I.). Ein Anspruch auf Einwilligung in die Löschung der deutschen Wortmarke „Wordle“ des Beklagten steht ihr nicht unter dem vorrangig geltend gemachten Aspekt der Markenanmeldung in Behinderungsabsicht und auch nicht aufgrund eines prioritätsbesseren Werktitelrechts zu (dazu unten II.). Schließlich stehen ihr auch die geltend gemachten Annexansprüche auf Auskunftserteilung, Schadensersatzfeststellung und Rückruf entsprechend gekennzeichneter Ware gegen den Beklagten nicht zu (dazu III.).

I. Der Klägerin steht kein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten wegen Nutzung des Zeichens „W.“ in der aus den Einblendungen in den Klagantrag ersichtlichen Weise zu.

1. Sie kann sich nicht mit Erfolg auf einen Unterlassungsanspruch aus § 15 Abs. 2, Abs. 4 MarkenG i. V. m. § 5 Abs. 1, Abs. 3 MarkenG gegen den Beklagten berufen. Ihr steht nämlich kein gegenüber der deutschen Wortmarke „Wordle“ des Beklagten prioritätsbesseres Recht am Werktitel „WORDLE“ zu (a.) und dem Beklagten ist es nicht aus lauterkeitsrechtlichen Gründen oder unter dem Gesichtspunkt der bösgläubigen Markenanmeldung verwehrt, sich auf sein Markenrecht zu berufen (b.).

a. Der Klägerin steht kein deutsches Werktitelrecht zu, das vor dem Zeitpunkt der Anmeldung der deutschen Wortmarke „Wordle“ durch den Beklagten am 1. Februar 2022 entstanden wäre. Sie selbst hat das Zeichen „WORDLE“ erst im Laufe des Februars 2022 auf ihrer Webseite genutzt. Ihr stehen aber auch keine Werktitelrechte zu, welche durch die Vereinbarung mit J. W. vom 31. Januar 2022 auf sie übergegangen wären. J. W. hat nämlich zu diesem Zeitpunkt selbst kein Recht an einem Werktitel im Sinne von § 5 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 3 MarkenG erworben, über das er mit der Vereinbarung vom 31. Januar 2022 verfügen konnte.

aa. Der Werktitelschutz als geschäftliche Bezeichnung im Sinne von § 5 Abs. 1 Alt. 2 MarkenG entsteht grundsätzlich mit der Aufnahme der Benutzung eines unterscheidungskräftigen Titels im geschäftlichen Verkehr im Inland (BGH, GRUR 2019, 535 Rn. 17 – Das Omen; GRUR 2009, 1055 Rn. 41 – airdsl; GRUR 2000, 70, 72, juris-Rn. 28 – SZENE; GRUR 1998, 1010, 1012, juris-Rn. 23 – WINCAD). Es kommt auf die Wahrnehmbarkeit des Werks auf dem Markt an (BeckOK MarkenR/Weiler, 36. Ed. 1.1.2024, MarkenG, § 5 Rn. 220). Das setzt grundsätzlich eine Veröffentlichung voraus. Es spielt keine Rolle, ob der Bezug für den Verkehr mit Entgelten verbunden ist, solange sich der Vertrieb an die Öffentlichkeit richtet (Ingerl/Rohnke/Nordemann/J. B. Nordemann, 4. Aufl. 2023, MarkenG § 5 Rn. 95).

Die Rechtsprechung legt an das Vorliegen eines Handelns im geschäftlichen Verkehr regelmäßig großzügige Maßstäbe an. Der Begriff ist weit auszulegen und umfasst jede wirtschaftliche Betätigung, mit der in Wahrnehmung oder Förderung eigener oder fremder Geschäftsinteressen am Erwerbsleben teilgenommen wird. Eine Gewinnerzielungsabsicht oder Entgeltlichkeit der Handlung ist nicht erforderlich. Nicht erfasst werden demgegenüber lediglich rein private, wissenschaftliche, politische und amtliche Handlungen. Für das Handeln im geschäftlichen Verkehr kommt es auf die erkennbar nach außen tretende Zielrichtung des Handelnden an. Ein Handeln im geschäftlichen Verkehr ist stets gegeben, wenn juristische Personen handeln. Bei Privatpersonen, Idealvereinen und hoheitlichem Handeln bedarf es dagegen der positiven Feststellung eines Handelns im geschäftlichen Verkehr (BeckOGK/B. Koch, 1.8.2023, BGB § 12 Rn. 529 m. w. Nachw.).

Die Frage, wann Werktitel im geschäftlichen Verkehr genutzt werden, ist – soweit ersichtlich – bislang weder von der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch von der Kommentarliteratur in den Blick genommen worden. Für den aus Sicht der Kammer vergleichbaren Fall der Nutzung von Internetdomains wird angenommen, dass es einer positiven Feststellung bedarf, dass die Domain im geschäftlichen Verkehr benutzt wird, wobei im Zweifel von einer rein privaten Nutzung auszugehen ist (BGH GRUR 2008, 1099, 1100 – afilias.de). Sind unter der Domain bereits Inhalte hinterlegt, kommt es bei der Beurteilung eines Handelns im geschäftlichen Verkehr maßgeblich auf den Inhalt der Webseite an. Ein Handeln im geschäftlichen Verkehr liegt jedenfalls dann vor, wenn unter der Domain kommerzielle Angebote unterbreitet werden bzw. die Domain zu einem solchen kommerziellen Angebot führt (BGH GRUR 2009, 1055, 1059 – airdsl). Bietet der Domaininhaber dem Inhaber des vermeintlich besseren Rechts die Domain zum Kauf an, begründet dies alleine noch kein Handeln im geschäftlichen Verkehr (BGH, GRUR 2016, 810 Rn. 25 – profitbricks.es). Dementsprechend liegt eine Benutzung im geschäftlichen Verkehr ebenfalls noch nicht vor, wenn ein Interessent an den Inhaber eines Domainnamens herantritt und ein Kaufangebot unterbreitet. Wird die Registrierung allerdings bereits mit dem Willen vorgenommen, die Domain zu lizenzieren oder zu veräußern, liegt im Zweifel ein Handeln im geschäftlichen Verkehr vor Ingerl/Rohnke/Nordemann/A. Nordemann, MarkenG § 14 Rn. 85).

Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Nutzung des Werktitels „WORDLE“ durch J. W. auf dessen privater Website nicht im geschäftlichen Verkehr erfolgt ist. Die Website wies unstreitig keinerlei kommerzielle Inhalte auf. Weder fanden sich allgemeine werbliche Inhalte noch konnten irgendwelche Waren oder Dienstleistungen über diese Website bezogen werden. Die gesamte Aufmachung der Website wies den gesamten Januar 2022 hindurch einen unzweifelhaften privaten Charakter auf, wie sich schon der Überschrift „Hi, I am J..“ entnehmen lässt. Auch der verwendete Domainname „www. p..co.uk“ lässt keinen kommerziellen Inhalt erkennen. Schließlich wurde auch das streitgegenständliche Spiel „Wordle“ auf der Seite kostenfrei angeboten. An diesen nach außen erkennbaren Umständen änderte sich bis zum Abschluss der Vereinbarung am 31. Januar 2022 und auch in den Tagen bis zum Umzug auf die Website der Klägerin nichts. Auch die immer stärker steigende Nutzerzahl der Website sowie die Berichterstattung darüber führt nicht dazu, dass sich der Charakter der nach außen unverändert gebliebenen Website geändert hätte. Dass sich viele Menschen für den Inhalt einer Website oder hier für ein dort abrufbares kostenloses Spiel interessieren, führt nicht dazu, dass dessen Titel im geschäftlichen Verkehr genutzt wird, solange der erhöhte Traffic auf der Seite auch weiterhin nicht – etwa durch das Schalten von Werbung – kommerziell genutzt wird.

Es ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht davon auszugehen, dass durch die Gespräche, die J. W. im Laufe des Januars mit verschiedenen Interessenten über den Verkauf des Rätselspiels und der damit zusammenhängenden Rechte führte, der Titel „WORDLE“ ab Mitte Januar 2022 im geschäftlichen Verkehr genutzt worden wäre. Der bloße Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt die hohe Aufmerksamkeit, welche dem Rätselspiel mit dem Titel „WORDLE“ zuteil wurde, den Kauf des Spiels und der damit zusammenhängenden Rechte für Interessenten attraktiver machte und dadurch die Verhandlungsposition von J. W. stärkte, führt nicht dazu, dass sich zu dieser Zeit das rechtliche Gepräge der Titelnutzung änderte. Dadurch, dass die Website aus der Sicht des angesprochenen Verkehrs ihren privaten Charakter durchgehend beibehielt, zumal dort nicht über die bereits laufenden Verhandlungen berichtet wurde, erfolgte die Titelnutzung von „WORDLE“ weiterhin privat und nicht im geschäftlichen Verkehr. Wie dies auch bei Internetdomains der Fall ist, führt die bloße Aufnahme von Verkaufsgesprächen noch nicht zu einer kommerziellen Nutzung (vgl. BGH, GRUR 2016, 810 Rn. 25 – profitbricks.es).

bb. Offen bleiben kann deshalb die Frage, ob – eine Aufnahme der Werktitelnutzung bereits im Januar 2022 durch J. W. unterstellt – diese einen hinreichenden Inlandsbezug in der Bundesrepublik Deutschland aufgewiesen hätte. Insoweit dürfte zu fordern sein, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Titelnutzung in Deutschland nicht nur als völlig untergeordnet einzustufen sind, vielmehr von einem „commercial effect“ der Titelnutzung auch in Deutschland auszugehen wäre. An diesem dürfte es aufgrund der fehlenden Kommerzialisierung der Website vor dem 1. Februar 2022 ebenfalls fehlen.

2. Auch der hilfsweise geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus Art. 9 Abs. 2 lit. a), lit. b) UMV in Verbindung mit der Unionsmarke... „WORDLE“ steht der Klägerin nicht zu. Da sowohl die Unionsmarke der Klägerin als auch die deutsche Wortmarke des Beklagten eine Priorität vom 1. Februar 2022 in Anspruch nehmen, führt dies nach § 6 Abs. 4 MarkenG i. V. m. Art. 36, 37 UMV dazu, dass aus diesen gleichrangigen Kennzeichenrechten gegeneinander keine Ansprüche begründet werden können.

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Beklagte gehindert sei, sein Markenrecht geltend zu machen, weil die Markenanmeldung gemäß § 4 Nr. 4 UWG in Behinderungsabsicht erfolgt sei.

Die markenrechtlichen Bestimmungen der § 8 Abs. 2 Nr. 14 und § 50 Abs. 1 MarkenG, Art. 59 Abs. 1 lit. b UMV zur bösgläubigen Markenanmeldung schließen die Anwendung des UWG nicht aus (vgl. Köhler/Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Auflage 2024, § 4 Rn. 4.84 m. w. Nachw.). Erste Voraussetzung der Unlauterkeit der Markenanmeldung ist insoweit, dass der Anmelder weiß oder wissen muss, dass der Mitbewerber ein gleiches oder ein ähnliches Kennzeichen im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat für gleiche oder verwechselbar ähnliche Waren benutzt oder benutzen möchte, ohne hierfür einen formalen Kennzeichenschutz erworben zu haben (EuGH, GRUR 2009, 763 Rn. 34–53 – Lindt & Sprüngli; BGH, GRUR 2004, 790 (793) – Gegenabmahnung; BGH, GRUR 2005, 581, 582 – The Colour of Elégance). Als zweite Voraussetzung müssen besondere Umstände hinzukommen, die das Verhalten des Anmelders als wettbewerbswidrig erscheinen lassen (BGH, GRUR 2008, 160 Rn. 19 – CORDARONE; GRUR 2008, 917 Rn. 20 – EROS; WRP 2010, 764 Rn. 51 – WM-Marken). Letzteres ist etwa der Fall, wenn die Anmeldung ohne ausreichenden sachlichen Grund mit dem Ziel der Störung eines schutzwürdigen inländischen Besitzstandes des Vorbenutzers geschieht oder sie in der Absicht erfolgt, für den Vorbenutzer den Gebrauch der Bezeichnung zu sperren oder damit das Ziel verfolgt wird, die kraft Eintragung entstehende und lauterkeitsrechtlich an sich unbedenkliche Sperrwirkung der Marke ohne sachlichen Grund und damit zweckfremd als Mittel des Wettbewerbskampfes einzusetzen (Köhler/Alexander a. a. O., § 4 UWG Rn. 4.84b mit umfangreichen Nachw.). Ein schutzwürdiger Besitzstand des Vorbenutzers setzt dabei eine gewisse Bekanntheit im Prioritätszeitpunkt entweder auf Grund einer im Inland erfolgten Nutzung oder einer überragenden Verkehrsgeltung im Ausland voraus (BGH, GRUR 2008, 621 Rn. 21 – AKADEMIKS). Um festzustellen, ob der Markenanmelder in Behinderungsabsicht gehandelt hat, ist eine Gesamtabwägung aller relevanten Umstände erforderlich (Köhler/Alexander a. a. O.).

Vorliegend kann nach Abwägung aller relevanten Umstände nicht festgestellt werden, dass der Beklagte die Anmeldung der deutschen Wortmarke „Wordle“ am 1. Februar 2022 in Behinderungsabsicht vorgenommen hat. Es ist zwar davon auszugehen, dass er zu diesem Zeitpunkt sowohl davon wusste, dass J. W. den Titel „WORDLE“ bereits Ende 2021 für sein Rätselspiel genutzt hatte, als auch, dass die Klägerin am 31. Januar 2022 – also am Vortag der Markenanmeldung – die Rechte an diesem Spiel erworben hatte. Dies reicht aber für sich genommen nicht aus, um von einer unlauteren Markenanmeldung auszugehen. Insoweit ist insbesondere von Bedeutung, dass die Klägerin am 1. Februar noch keinen schutzwürdigen Besitzstand im Inland, also in der Bundesrepublik Deutschland, erworben hatte. Da J. W. nicht im geschäftlichen Verkehr gehandelt hat, ist ein Werktitelrecht zu diesem Zeitpunkt noch nicht begründet worden (s.o. I.1.a). Die Klägerin konnte deshalb am 31. Januar 2022 auch kein bereits entstandenes Werktitelrecht erwerben. Aufgrund der rein privaten Nutzung ist auch nicht von einer überragenden Verkehrsgeltung des Titels im geschäftlichen Verkehr der USA auszugehen. Auch für den Kläger war aufgrund der Webseitengestaltung von J. W. klar erkennbar, dass insoweit eine rein private Nutzung erfolgt ist, was gegen eine Markenanmeldung in Behinderungsabsicht spricht. Hinzu kommt, dass der Beklagte die Absicht verfolgte, dass Zeichen „Wordle“ selbst für eine deutschsprachige Version des Rätselspiels zu nutzen und insoweit bereits im Dezember 2021 mit der Programmierung begann. Vor diesem Hintergrund kommt auch dem Umstand, dass sich der Beklagte in gestalterischer Hinsicht für sein Spiel an dem englischsprachigen Vorbild orientierte, keine entscheidende Rolle zu. Er führt insbesondere nicht dazu, dass anzunehmen wäre, dass die Sperrabsicht ein wesentliches Motiv bei der Markenanmeldung gewesen ist. Schließlich musste der Beklagte auch in Kenntnis des Rechteerwerbs durch die Klägerin nicht davon ausgehen, dass diese beabsichtigte, sich ihrerseits zeitnah Kennzeichenrechte in Europa und damit auch in Deutschland an dem Zeichen „WORDLE“ zu sichern. Entsprechende hinreichende Anhaltspunkte waren für den Beklagten nicht erkennbar.

II.

Randnummer68
Der Klägerin steht auch kein Anspruch gegen den Beklagten auf Löschung der deutschen Wortmarke des Beklagten zu. Soweit sie diesen Anspruch vorrangig unter dem Gesichtspunkt der gezielten Mitbewerberbehinderung gemäß §§ 3, 4 Nr. 4, 8 Abs. 1 UWG geltend macht, fehlt es an einer Markenanmeldung in Behinderungsabsicht. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen unter I.2 verwiesen werden. Soweit sich die Klägerin insoweit hilfsweise auf ihr Werktitelrecht an dem Zeichen „Wordle“ gemäß §§ 12, 15 Abs. 2, Abs. 4, 51 Abs. 1 MarkenG stützt, steht ihr der geltend gemachte Anspruch ebenfalls nicht zu. Wie bereits ausgeführt steht der Klägerin kein gegenüber der deutschen Wortmarke des Beklagten „Wordle“ prioritätsbesseres Werktitelrecht zu (vgl. oben I.1.a).

III. Mangels Hauptanspruchs stehen der Klägerin auch nicht die geltend gemachten Annexansprüche auf Auskunftserteilung, Schadensersatzfeststellung und Rückruf entsprechend gekennzeichneter Ware gegen den Beklagten zu.


Den Volltext der Entscheidung finden SIe hier:

BGH: Unterlassungsanspruch wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens

BGH
Urteil vom 25.06.2024
VI ZR 64/23
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens bestehen kann.

Leitsatz des BGH:
Die Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens an ein Presseunternehmen stellt grundsätzlich nur dann einen unmittelbaren Eingriff in dessen Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, wenn es zuvor durch ein sogenanntes Opt-Out zu verstehen gegeben hat, dass es die Zusendung solcher Schreiben nicht wünscht (Weiterführung Senatsurteil vom 15. Januar 2019 - VI ZR 506/17, AfP 2019, 40).

BGH, Urteil vom 25. Juni 2024 - VI ZR 64/23 - OLG München - LG München I

Den Volltext der Entscheidungf finden Sie hier:

EuGH-Generalanwältin: Google / Alphabet kann verpflichtet sein anderen Unternehmen Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren

EuGH-Generalanwältin
Schlussanträge vom 05.09.2024
C-233/23
Alphabet u. a.


Die EuGH-Generalanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass Google / Alphabet verpflichtet sein kann, anderen Unternehmen Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren

Die Pressemitteilung des EuGH:
Generalanwältin Medina: Die Weigerung von Google, Dritten Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren, verstößt möglicherweise gegen das Wettbewerbsrecht

Google ist Urheberin und Entwicklerin von Android OS, eines Open-Source-Betriebssystems für AndroidMobilgeräte. 2015 brachte sie Android Auto auf den Markt, eine App für Mobilgeräte mit dem Betriebssystem Android, mit dem es Benutzern möglich ist, über einen in das Fahrzeug integrierten Bildschirm auf bestimmte Apps auf ihrem Smartphone zuzugreifen. Drittentwickler können mit Hilfe von Templates, die Google bereitstellt, Versionen eigener Apps erstellen, die mit Android Auto kompatibel sind.

Enel X, die zur Enel Group gehört, erbringt Dienstleistungen für das Laden von Elektrofahrzeugen. Im Mai 2018 brachte sie die App JuicePass auf den Markt, die eine Reihe von Funktionen für das Laden von Elektrofahrzeugen anbietet. Im September 2018 ersuchte Enel X Google, JuicePass mit Android Auto kompatibel zu machen. Google lehnte dies mit der Begründung ab, dass in Ermangelung eines speziellen Templates Medien- und Messaging-Apps die einzigen Apps von Drittanbietern seien, die mit Android Auto kompatibel seien. Sie rechtfertigte ihre Weigerung mit Sicherheitserwägungen und der Notwendigkeit, die für die Entwicklung eines neuen Templates notwendigen Ressourcen bereitzustellen

Die italienische Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass das Verhalten von Google gegen das Wettbewerbsrecht der Union verstoße. Mit der Behinderung und Verzögerung der Veröffentlichung der JuicePass-App auf der Plattform Android Auto habe Google ihre beherrschende Stellung missbraucht. Google focht diese Entscheidung vor dem italienischen Staatsrat an, der den Gerichtshof mit dem Fall befasst hat.

In ihren Schlussanträgen vom heutigen Tag prüft Generalanwältin Laila Medina, ob in dieser Rechtssache die ständige Rechtsprechung zur Zugangsverweigerung durch ein beherrschendes Unternehmen einschlägig ist, d. h., ob die sogenannten Bronner-Voraussetzungen2 gelten. Anschließend untersucht sie, ob Zugangsverpflichtungen im Hinblick auf die Interoperabilität für beherrschende Unternehmen bedeuten, dass sie ein aktives Verhalten an den Tag legen, also z. B. die erforderliche Software entwickeln müssen.

Generalanwältin Medina gelangt zu dem Schluss, dass die Bronner-Voraussetzungen nicht anwendbar seien, wenn die Plattform, zu der Zugang gefordert werde, von dem beherrschenden Unternehmen nicht zu dessen ausschließlicher Nutzung entwickelt, sondern so konzipiert und gestaltet worden sei, dass sie die Apps von Drittentwicklern aufnehme. In einem solchen Fall sei es nicht erforderlich, nachzuweisen, dass diese Plattform für den benachbarten Markt unentbehrlich sei. Dagegen missbrauche ein Unternehmen seine beherrschende Stellung, wenn es mit seinem Verhalten den Zugang einer von einem Drittanbieter entwickelten App zur Plattform ausschließe, behindere oder verzögere, vorausgesetzt, dass sein Verhalten geeignet sei, wettbewerbswidrige Wirkungen zum Nachteil der Verbraucher zu entfalten, und nicht objektiv gerechtfertigt sei.

Die Weigerung eines beherrschenden Unternehmens, einem Drittanbieter Zugang zu einer Plattform wie der in der vorliegenden Rechtssache fraglichen zu gewähren, könne objektiv gerechtfertigt sein, wenn der geforderte Zugang technisch nicht möglich sei oder wenn er in technischer Hinsicht die Leistung der Plattform beeinträchtigen könnte oder deren wirtschaftlichem Modell oder Zweck zuwiderlaufen würde. Der bloße Umstand, dass das beherrschende Unternehmen, um Zugang zu der Plattform zu gewähren, über die Erteilung der Einwilligung hinaus ein Software-Template entwickeln müsste, das den spezifischen Bedürfnissen des um Zugang ersuchenden Anbieters Rechnung trage, könne als solcher eine Zugangsverweigerung dann nicht rechtfertigen, wenn für die Entwicklung ein angemessener Zeitrahmen zur Verfügung stehe und dem beherrschenden Unternehmen eine angemessene Vergütung geleistet werde. Das beherrschende Unternehmen müsse dem um Zugang ersuchenden Anbieter auf das Ersuchen hin diese beiden Aspekte mitteilen.

Das Wettbewerbsrecht der Union erlege nicht ohne Weiteres eine Verpflichtung auf, objektive Kriterien für die Prüfung von Ersuchen um Zugang zu einer Plattform aufzustellen. Nur in dem Fall, dass gleichzeitig mehrere Ersuchen gestellt würden, könne das Fehlen solcher Kriterien einen Gesichtspunkt darstellen, der bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit des dem beherrschenden Unternehmen vorgeworfenen Verhaltens zu berücksichtigen ist, wenn dieses zu übermäßigen Verzögerungen bei der Zugangsgewährung oder zu einer diskriminierenden Behandlung der konkurrierenden, um Zugang ersuchenden Anbieter führe.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


BGH: Begriff der "breiten Öffentlichkeit" in der CLP-Verordnung meint nicht "jedermann" sondern dient der Abgrenzung von den Fachkreisen

BGH
Urteil vom 11.07.2024
I ZR 164/23
nikotinhaltige Liquids
Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 Art. 32 Abs. 1, Art. 35 Abs. 2 Unterabsatz 1 Halbsatz 1


Der BGH hat entschieden, dass der Begriff der "breiten Öffentlichkeit" in der CLP-Verordnung nicht "jedermann" meint, sondern der Abgrenzung von den Fachkreisen dient.

Leitsätze des BGH:
a) Nach dem Gebot des Art. 32 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-Verordnung), die Gefahrenpiktogramme, Signalwörter, Gefahrenhinweise und Sicherheitshinweise auf dem Kennzeichnungsetikett zusammen anzuordnen, muss zwischen diesen einzelnen Kennzeichnungselementen ein Kennzeichnungszusammenhang dergestalt hergestellt werden, dass sie in einem unmittelbaren visuellen Zusammenhang stehen.

b) Der in der CLP-Verordnung verwendete Begriff der breiten Öffentlichkeit ist nicht im Sinn von "jedermann", sondern in Abgrenzung von den Fachkreisen zu verstehen.

BGH, Urteil vom 11. Juli 2024 - I ZR 164/23 - OLG Hamm - LG Essen

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Zur Kerngleichheit und einem Verstoß gegen Unterlassungstitel wenn untersagte Werbung vom Wortlaut her und inhaltlich geändert wurde

OLG Frankfurt
Beschluss vom 10.05.2024
6 W 44/24


Das OLG Frankfurt hat sich mit der Frage befasst, wann Kerngleichheit und ein Verstoß gegen einen Unterlassungstitel vorliegen kann, wenn die untersagte Werbung vom Wortlaut her und inhaltlich geändert wurde.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die gemäß § 793 ZPO i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und gemäß §§ 569, 571 ZPO auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin, über die der Senat zu entscheiden hat, da der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen kein Einzelrichter im Sinne von § 568 Satz 1 ZPO ist (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 20.10.2003 - II ZB 27/02, juris Rn. 10 ff.), ist unbegründet.

Das Landgericht hat den Ordnungsmittelantrag zu Recht zurückgewiesen. Zwar erstreckt sich ein tituliertes Verbot auf kerngleiche Verletzungshandlungen (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 26.09.2023 - VI ZB 79/21, GRUR 2023, 1788 Rn. 19 f. mwN - Reichweite eines Unterlassungstitels, DREAM TEAM). Allerdings fällt die mit dem Ordnungsmittelantrag beanstandete Werbung nach zutreffender Auffassung des Landgerichts nicht mehr in den Kernbereich des Unterlassungstitels.

1. Nach der sog. Kerntheorie umfasst das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der ursprünglichen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt. Dies gilt auch dann, wenn das Verbot - wie im Streitfall - auf die konkrete Verletzungsform beschränkt ist. Kern der konkreten Verletzungsform sind dabei die Elemente, die eine Verhaltensweise zur Verletzungshandlung machen, also das, was für den Unrechtsgehalt der konkreten Verletzungsform rechtlich charakteristisch ist und ihre Rechtswidrigkeit begründet (vgl. z.B. BGH, GRUR 2023, 1788 Rn. 20 mwN - Reichweite eines Unterlassungstitels, DREAM TEAM).

Das Charakteristische der Verletzungshandlung, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung maßgeblich ist, ist allerdings auf das beschränkt, was bereits Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen und in die Verurteilung einbezogen worden ist. Fehlt es hieran, muss die Zuordnung einer Handlung zum Kernbereich des Verbots unterbleiben. Die Kerntheorie beschränkt sich darauf, ein im Kern feststehendes und bei dessen sachgerechter Auslegung auch eine abweichende Handlung bereits umfassendes Verbot auf Letztere anzuwenden. Eine weitergehende Titelauslegung ist im Hinblick auf den Sanktionscharakter der Ordnungsmittel des § 890 ZPO und das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot unstatthaft (vgl. z.B. BGH, GRUR 2023, 1788 Rn. 21 mwN. - Reichweite eines Unterlassungstitels, DREAM TEAM).

2. Nach diesen Maßstäben fällt die im Ordnungsmittelverfahren streitgegenständliche Werbung nach zutreffender Ansicht des Landgerichts nicht mehr in den Kernbereich des Verbotstitels.

a) Die im Ausgangsverfahren beanstandeten drei Äußerungen in Anlage K4 zeichnen sich dadurch aus, dass sie den - nach dem Ausgangsurteil irreführenden - Eindruck eines sicher zu erwartenden Krankenkassenanteils erwecken („Jetzt Krankenkassenanteil sichern!“; „Fragen Sie hier direkt ihren Krankenkassenanteil an!“; „Sichern Sie sich hier schnell Ihren Krankenkassenanteil für bestes Hören“). Der angesprochene Verkehr geht insofern nicht nur wegen der Angabe „Deutschlands 1- Online-Hörakustiker“ unterhalb des weiß-roten Logos „X“, sondern auch wegen des Hinweises unter dem Foto in dem weiß umrandeten Kästchen auf grünem Grund:

„Perfekt in der aktuellen Corona-Situation: komplette Online-Abwicklung und Online-Service oder Rundum-Service vor Ort“

davon aus, dass der Krankenkassenanteil in gleicher Weise wie bei einem Präsenzerwerb gewährt wird, wenn eine „komplette[n] Online-Abwicklung“, einschließlich Hörakustik, erfolgt. Ein Hinweis auf das (mögliche) Erfordernis eines Ortstermins ist in Anlage K4 nicht enthalten. Die Werbung hat unter anderem wegen des Verweises auf die „Corona-Situation“, in der aus Infektionsschutzgründen Abstand gehalten werden sollte, den Eindruck erweckt, die Hörtechnologie und der Service der Schuldnerin sei in vollem Umfang online zu haben, ohne dass dies Auswirkungen auf den Krankenkassenanteil habe.

b) Davon unterscheidet sich die Werbung, die Gegenstand des Ordnungsmittelverfahrens ist.

Zwar wirbt die Schuldnerin weiterhin mit „Deutschlands 1. Online-Hörakustiker“. Bereits die Aufschrift auf dem anklickbaren dunkelblauen Kästchen „Jetzt Krankenkassenzuschlag anfragen“ deutet aber nicht darauf hin, dass ein Krankenkassenzuschuss sicher zu erwarten ist. Dieser Eindruck wird auch nicht durch den durch Fettdruck und große Schrift hervorgehobenen Hinweis erweckt: „Bis zu 1.690 Euro Zuschuss bekommen“, zumal nachfolgend in kleinerer Schrift lediglich die Rede davon ist, dass Krankenkassen bei der Anschaffung und dem Service der Hörgeräte „bis zu 1.690 Euro“ übernehmen „können“.

Ob jedenfalls ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs angesichts der abgebildeten Krankenkassen-Logos, dem Verweis der Schuldnerin auf die Zusammenarbeit mit den führenden Krankenkassen und ihres Angebots, von Montag bis Freitag von 08:00 Uhr bis 17:00 Uhr bei Fragen zur Krankenkasse des jeweiligen Adressaten und zu den notwendigen Unterlagen Hilfe zu leisten, gefolgt von einem anklickbaren Link auf blauem Grund mit der Aufschrift: „Wir helfen Ihnen beim Zuschuss“, dennoch annimmt, jedenfalls für die konkret abgebildeten Krankenkassen sei mit einem Zuschuss zu rechnen, kann nach zutreffender Ansicht des Landgerichts dahingestellt bleiben. Letzteres gilt auch für die Frage, ob jedenfalls ein erheblicher Teil des angesprochenen Adressatenkreises den oben wiedergegebenen Hinweis auf hellblauem Grund in kleiner Schrift am unteren rechten Rand der Internetseite der Schuldnerin zur Kenntnis nimmt.

Aufgrund der nicht nur im Wortlaut, sondern auch inhaltlich nicht übereinstimmenden Aussagen in der geänderten Online-Werbung der Schuldnerin kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass diese bereits - zumindest gedanklich - Gegenstand des ursprünglichen Erkenntnisverfahren waren und daher in die Ausgangsverbote einbezogen sind. Ob die geänderten Aussagen irreführend sind, kann daher nicht im Ordnungsmittelverfahren entschieden werden, sondern bleibt einer Prüfung im Erkenntnisverfahren vorbehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Der Festsetzung eines Streitwerts für die Gerichtskosten bedarf es nicht, da im Beschwerdeverfahren nach Nr. 2121 VV GKG eine Festgebühr anfällt.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO besteht kein Anlass (zur Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde im Ordnungsmittelverfahren, vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 21.12.2023 - I ZB 42/23, GRUR 2024, 486 Rn. 10). Die streitentscheidenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Vorliegend geht es nur um deren Anwendung auf den konkreten Fall.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Stuttgart: Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung aus § 812 Abs. 1 BGB wenn Online-Coaching-Vertrag wegen fehlender Zulassung nach § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig ist

OLG Stuttgart
Urteil vom 29.08.2024
13 U 176/23


Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass ein Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung aus § 812 Abs. 1 BGB besteht, wenn ein Online-Coaching-Vertrag wegen fehlender Zulassung nach § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig ist. Im vorliegenden Fall hat das Gericht eine Zulassungspflicht und damit die Nichtigkeit des Vertrages bejaht.

Aus den Entscheidungdgründen:
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der zwischen den Parteien abgeschlossene Dienstvertrag nichtig, sodass die Beklagte die geleistete Zahlung in Höhe von 23.800,00 € rechtsgrundlos erlangt hat und der Kläger diese aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückverlangen kann. Die Nichtigkeit folgt aus § 7 Abs. 1 FernUSG i.V.m. § 12 Abs. 1 FernUSG.

a) Der Kläger macht zu Recht geltend, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 FernUSG vorliegen.

aa) Die Parteien haben eine entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten vereinbart. Dies folgt bereits aus der Seite 7 der beklagtenseits als Anlage B7 vorgelegten Programmbeschreibung, in der es u.a. heißt, dass die Teilnehmer bis zum Ende des Programms Wissen aus den dort dann nachfolgend aufgeführten Bereichen abrufen und aneignen können werden. Auch auf den Seiten 1 und 5 der Programmbeschreibung wird der Aufbau bzw. die Vermittlung von Wissen bzw. „Know-How“ als ein wesentlicher Teil und Ziel des Programms hervorgehoben.

bb) Es ist auch das Merkmal der überwiegenden räumlichen Trennung gegeben.

(1) Diese Voraussetzung ist schon deshalb erfüllt, weil nach der Programmbeschreibung zweiwöchig online-meetings stattfinden und Präsenzveranstaltungen eine allenfalls untergeordnete Rolle spielen. Außerdem werden den Teilnehmern Lehrvideos mit Lektionen zum Durcharbeiten zur Verfügung gestellt (vgl. Anl. B2 sowie die Einlassung des Gesellschafters und früheren Geschäftsführers der Beklagten F. A. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 11.07.2024, Sitzungsprotokoll S. 2). Entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung (Faix, MMR 2023, 821, 824, Vennemann, FernUSG, 2. Aufl., § 1 Rn. 10) ist auch bei einem Online-Unterricht eine räumliche Trennung gegeben. Hierfür spricht schon der Wortlaut der Bestimmung. Eine einschränkende Auslegung des Wortsinns nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist nicht angezeigt. Zwar gab es zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 1976 noch keine Videokonferenzen. Der Gesetzgeber hat aber ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drs. 7/4245, S. 14) die Möglichkeit gesehen, dass der Unterricht in einen anderen Raum übertragen werden kann und hat auch diesen Sachverhalt unter den Begriff der räumlichen Trennung gefasst. Damit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass alle Unterrichtsformen, die nicht in Präsenz stattfinden, unter das Fernunterrichtsschutzgesetz fallen sollen. Auch der Umstand, dass bei Videokonferenzen eine synchrone Kommunikation wie bei Präsenzveranstaltungen möglich ist, kann eine einschränkende Auslegung des insoweit klaren Wortlauts nicht begründen. Ziel des Gesetzes ist eine umfassende Ordnung des Fernunterrichtsmarktes zum Schutz der Teilnehmerinteressen, nachdem Angebote von geringer methodischer und fachlicher Qualität auf dem Markt waren (BT-Drs. 7/4245, S. 12). Dieser Schutzzweck führt dazu, dass die Tatbestandsmerkmale weit und nicht restriktiv auszulegen sind (BGH v. 15.10.2009 - III ZR 310/08 - juris Rn. 16 ff.). Ausgehend hiervon gibt es für eine einschränkende Auslegung bei Videokonferenzen keinen Anlass. Dies gilt umso mehr, als das Bedürfnis, die Teilnehmer vor unseriösen Anbietern zu schützen, bei Videokonferenzen deutlich größer als bei Präsenzveranstaltungen ist, nachdem für Präsenzveranstaltungen Investitionen in die Räume erforderlich sind, was unseriöse Anbieter abschrecken kann. Hinzukommt, dass bei Präsenzveranstaltungen eine stärkere soziale Kontrolle stattfindet, da im Falle einer geringen Qualität des Unterrichts die Lehrenden unmittelbar mit dem Unmut der Teilnehmer konfrontiert werden und die Teilnehmer sich - unter anderem hierüber - auch unmittelbar austauschen können.

(2) Auf die Frage, ob das Merkmal der überwiegenden räumlichen Trennung jedenfalls dann erfüllt ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Online-Seminare aufgezeichnet und von den Teilnehmern nachträglich abgerufen werden können (vgl. hierzu OLG Celle v. 29.05.2024 - 13 U 8/24 - juris Rn. 9; OLG Köln v. 06.12.2013 - 2 U 24/23 - juris Rn. 50), kommt es daher nicht mehr an.

cc) Entgegen der Auffassung des Landgerichts findet im vorliegenden Fall auch eine Überwachung des Lernerfolgs statt.

(1) Nach der Rechtsprechung des BGH ist bei der Beurteilung ein weites Verständnis des Merkmals zu Grunde zu legen (BGH v. 15.10.2009 – III ZR 310/08 - juris Rn. 20 ff.). Danach ist eine Überwachung des Lernerfolgs nach §1 Abs.1 Nr.2 FernUSG bereits dann gegeben, wenn der Lernende nach dem Vertrag den Anspruch hat, z.B. in einer begleitenden Unterrichtsveranstaltung durch mündliche Fragen zum erlernten Stoff eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs durch den Lehrenden oder seinen Beauftragten zu erhalten. Ausreichend ist insoweit, wenn der Lernende in den Informationsveranstaltungen eine individuelle Anleitung erhält und Fragen zum eigenen Verständnis des bisher Erlernten an den jeweiligen Dozenten stellen kann, um insoweit eine persönliche Lernkontrolle herbeizuführen, ob das bisher Erlernte richtig verstanden wurde und "sitzt".

(2) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Möglichkeit, Fragen zu stellen, sieht bereits die Programmbeschreibung (Anlage B7) auf Seite 6 ausdrücklich vor, als es darin heißt, dass Fragen in den Meetings und per Mail, oder in der Facebook-Gruppe geklärt werden. Dies dient auch der persönlichen Lernkontrolle. Der frühere Geschäftsführer der Beklagten hat dies im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat bestätigt, indem er angegeben hat, dass in den Meetings die Fragen der Teilnehmer geklärt würden; natürlich hätten nicht alle Teilnehmer jede Woche eine Frage, die Sitzungen gingen aber immer so lange, bis alle ihre Fragen beantwortet bekommen hätten. Weiter hat der Vertreter der Beklagten im Rahmen der Parteianhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, dass der Kunde nach Erfassung der Grundlagen erst einmal mit Spielgeld agiere und anhand konkreter Investitionsentscheidungen Fragen stellen könne, die dann in Live-Calls geklärt würden. Erst wenn er stabil 3 bis 5 % Rendite pro Woche erreiche, könne er ins Echtgeldkonto wechseln und Echtgelt investieren. Soweit er dabei Verluste erwirtschafte, würden die Fehler analysiert und aufgezeigt, was man hätte besser machen können. Ausgehend hiervon findet auch insoweit eine Kontrolle der Lernenden durch die Lehrenden statt. Dies alles wird schließlich dadurch bestätigt, dass in der Programmbeschreibung (Anl. B7) an mehreren Stellen hervorgehoben wird, dass es nicht nur um die Vermittlung von Wissen, sondern - mithilfe einer intensiven Betreuung - auch um die Gewährleistung einer „erfolgreichen Umsetzung“ des Erlernten und die Erzielung bestimmter „Ergebnisse“ geht (vgl. etwa S. 5 und S. 8).

(3) Die Frage, ob die bloße Möglichkeit Fragen zu stellen, ausreicht, oder ob die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG voraussetzt, dass auch eine weitergehende Lernkontrolle durch den Lehrenden stattfindet (so OLG Hamburg v. 20.02.2024 – 10 U 44/23 - juris Rn. 29; OLG Köln v. 06.12.2023 – 2 U 24/23 - juris Rn. 56; vgl. zu dieser Diskussion auch OLG Celle v. 29.05.2024 - 13 U 8/24), kann daher offenbleiben.

b) Die Beklagte verfügt unstreitig nicht über eine Zulassung i.S.v. § 12 Abs. 1 FernUSG, sodass der Vertrag nach § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig ist.

c) Demnach hat die Beklagte nach § 818 Abs. 2 BGB Anspruch auf Rückerstattung der geleisteten Zahlung in Höhe von 23.800,00 €. Der Wert der beklagtenseits erbrachten Leistungen ist im Rahmen der Saldotheorie (vgl. für den Fall des Verstoßes gegen § 3 RDG BGH v. 03.07.2008 – III ZR 260/07 – juris Rn. 25) nicht zu berücksichtigen. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat zum Wert der erbrachten Leistung keinen Vortrag gehalten, obwohl sie auf die Möglichkeit, dass der Senat von der Nichtigkeit des Vertrages nach § 7 Abs. 1 FernUSG ausgeht, bereits durch die Terminsverfügung vom 19.03.2024 hingewiesen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war.

d) Auf die Frage, ob der Vertrag auch wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist oder wirksam gekündigt wurde, kommt es nicht mehr an.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG München: Weiterleitung geschäftlicher E-Mails an privaten E-Mail-Account verstößt gegen DSGVO und kann außerordentliche Kündigung rechtfertigen

OLG München
Urteil vom 31.07.2024
7 U 351/23 e


Das OLG München hat entschieden, dass die Weiterleitung geschäftlicher E-Mails an einen privaten E-Mail-Account gegen die DSGVO verstößt und eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die Weiterleitung der streitgegenständlichen Emails auf den privaten Account des Klägers ist auch ein wichtiger Grund iSd § 626 Abs. 1 BGB.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Dienstverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

a. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.2001 – II ZR 360/99, Rdnr. 9 zum Vorstand einer Genossenschaft, BGH, Urteil vom 02.06.1997 – II ZR 101 /96, Rdnr. 6 zum Geschäftsführer einer GmbH, zu Arbeitnehmern vgl. auch BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 186/11, Rdnr. 20, Weidenkaff in Grüneberg, BGB, 83. Auflage, München 2024, Rdnr. 38 zu § 626 BGB). Als wichtiger Grund ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung dabei neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rdnr. 19).

aa. Zur Begründung eines wichtigen Grundes „an sich“ kann im vorliegenden Fall jedoch nicht auf § 10 Abs. 1 DV abgestellt werden.

Nach § 10 Abs. 1 UA 1 DV ist der Vorstand verpflichtet, „alle betrieblichen Angelegenheiten und Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse“, die ihm während seiner Tätigkeit bekannt wurden, vertraulich zu behandeln. Insbesondere ist er verpflichtet, „vertrauliche Informationen dieser Art“ streng geheim zu halten, sie nicht zu verbreiten oder zu kommunizieren und sie auch nicht zu verwerten. Bei der Auslegung des § 10 Abs. 1 DV ist zu beachten, dass mit dieser Regelung der Umfang der Verschwiegenheitsverpflichtung des Vorstands bestimmt werden soll.

Die Verschwiegenheitsverpflichtung des Vorstands wird in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG geregelt, der stipuliert, dass Vorstandsmitglieder über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren haben. Da diese Vorschrift zwingendes Recht ist, kann sie nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Die in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG normierte Verschwiegenheitsverpflichtung kann aber auch nicht durch Satzung, Geschäftsordnung oder Anstellungsvertrag erweitert werden, wie sich aus § 23 Abs. 5 AktG ergibt (vgl. Fleischer in BeckOGK AktG, Stand 01.02.2024, Rdnr. 202 zu § 93 AktG; Spindler in Münchener Kommentar zum AktG, 6. Auflage, München 2023, Rdnr. 143 zu § 93 AktG; Schmidt in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Auflage, München 2020, Rdnr. 62 zu § 93 AktG; vgl. auch BGH, Urteil vom 05.06.1975 – II ZR 156/73, Rdnrn 8 f. zur Verschwiegenheitspflicht eines Aufsichtsrats nach § 116 iVm. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG a.F.). Stellt also die Weiterleitung der streitgegenständlichen Emails an den privaten Email-Account des Klägers keine Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des Vorstands nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG dar, so ist unbeachtlich, wenn der Kläger gegen etwaig weitergehende Verpflichtungen aus § 10 Abs. 1 DV verstoßen haben sollte.

Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei „vertrauliche(n) Angaben und Geheimnisse(n) der Gesellschaft“ iSd. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG um nicht allgemein bekannte (offenkundige) Tatsachen, an deren Geheimhaltung ein objektives Interesse des Unternehmens besteht (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2016 – IX ZR 108/15, Rdnr. 31).

Alle vom Kläger weitergeleiteten streitgegenständlichen Emails bezogen sich auf „betriebliche Angelegenheiten“ iSd. § 10 Abs. 1 UA 1 DV und beinhalteten keine offenkundigen Tatsachen. So betraf die Email vom 23.04.2021, 16:27 Uhr laut Anl. B 8 das Verhalten u.a. des Mitvorstands … bezüglich der Behandlung von Gehaltsabrechnungen nicht nur des Klägers, sondern auch des früheren Vorstandsvorsitzenden der Beklagten … . In der Email vom 10.05.2012 laut Anl. B 7 ging es um die Behandlung von Forderungen des Klägers gegen die Beklagte, um Schriftwechsel mit der Steuerberatungsgesellschaft der Beklagten sowie um Kompetenzstreitigkeiten mit dem Mitvorstand … Gegenstand der Email vom 31.05.2021, 12:10 Uhr (Anl. B 2) war eine Anfrage der … AG nach dem Geldwäschegesetz und eventuell drohende Maßnahmen der BAFIN gegen die Beklagte. Die Email vom 31.05.2021, 17:47 Uhr (Anl. B 9) bezog sich auf eine Zuständigkeitsstreitigkeit zwischen dem Kläger und Mitarbeitern der …-Gruppe sowie die Provisionsplanung für 2021. Letztere war auch Thema der am 16.06.2021 um 11:13 Uhr vom Kläger versandten Email (Anlage B 5), der u.a. eine als „confidentiel“ überschriebene Präsentation betreffend Fragen zur Provisionierung sowie das Protokoll eines internen Meetings vom 07.06.2021 zu dieser Problematik beigefügt war. Die Emails vom 18.06.2021, 17.17 Uhr (Anl. B 3) und vom 21.06.2021, 12:34 Uhr laut Anl. B 6 betrafen den von einem Mitarbeiter der Beklagten (…) gegen diese geltend gemachten Anspruch auf Provisionszahlungen. In der Email vom 24.06.2021, 11:51 Uhr (Anlage B 1) waren wiederum Umsatzerlöse und Bonifizierungsgrundlagen für diesen Mitarbeiter thematisiert. Dieser Email beigefügt waren Email-Verkehr des Klägers mit Mitarbeitern der Beklagten sowie die Kopie eines Lizenzvertrages mit dem Kundenunternehmen … GmbH. Gegenstand der am 28.06.2021 um 13:26 Uhr versandten Email laut Anl. B 4 an … und … von der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft … GmbH waren Spesenzahlungen der Beklagten an den Kläger.

Ob auch ein objektives Geheimhaltungsinteresse der Beklagten an diesen Tatsachen bestand, kann dahinstehen, da es jedenfalls an einer Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG durch den Kläger fehlt. Wann eine Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG vorliegt, ergibt sich aus dem objektiven Tatbestand des § 404 AktG, der Verletzungen der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG sanktioniert. Demzufolge ist die Verschwiegenheitsverpflichtung verletzt, wenn ein Geheimnis der Gesellschaft unbefugt offenbart (§ 404 Abs. 1 AktG) oder verwertet (§ 404 Abs. 2 S. 2 AktG) wird. Offenbart wiederum wird ein Geheimnis, wenn es jemandem, der dieses Wissen noch nicht hat (Unbefugter), mitgeteilt oder sonst in einer Weise zugänglich gemacht wird und er somit die Möglichkeit der Kenntnisnahme erhält. Die Art und Weise der Preisgabe ist irrelevant. Es kommt allein darauf an, dass der Adressat die nicht mehr abschirmbare Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (vgl. Hefendehl in BeckOGK AktG, Stand 01.06.2024, Rdnr. 54 zu § 404 AktG). Diese Voraussetzungen sind im streitgegenständlichen Fall durch die Weiterleitung der Emails an den privaten Email-Account des Klägers nicht erfüllt, da der Kläger den Inhalt der Emails unstreitig keinem Dritten mitgeteilt oder zugänglich gemacht hat. Die Speicherung auf einem Freemail-Server reicht hierfür nicht aus. Auch eine Verwertung der Geheimnisse durch den Kläger ist unstreitig nicht erfolgt.

In Ermangelung einer Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG kommt es daher nicht mehr darauf an, ob der Kläger die in § 10 Abs. 1 UA 3 lit a DV stipulierte Pflicht zur strengen Geheimhaltung vertraulicher Informationen verletzt hat, da eine Erweiterung der Geheimhaltungsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG durch den Vorstandsdienstvertrag nicht möglich ist.

bb. Auch wenn der Kläger nach alledem nicht gegen die ihm als Vorstand obliegende aktienrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtung aus § 93 Abs. 1 S. 3 AktG verstieß, so hat er doch durch die Weiterleitung der streitgegenständlichen Emails gegen seine sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 AktG ergebende Sorgfaltspflicht, die in Gestalt der Legalitätspflicht vom Vorstand eigene Regeltreue fordert, verstoßen. Denn wie das Landgericht richtig annahm (LGU S. 14), stellt die Weiterleitung der Emails auf den privaten Account des Klägers und die dortige Speicherung eine Verarbeitung iSd. Art. 4 Nr. 2 DSGVO dar, die nicht durch eine Einwilligung der betroffenen Personen gedeckt war (Art. 6 Abs. 1 lit a DSGVO). Diese Weiterleitung war auch nicht zur Wahrung der berechtigten Interessen des Klägers erforderlich (Art. 6 Abs. 1 lit f DSGVO). Gegen diese zutreffende rechtliche Wertung des Landgerichts hat die Berufung nichts erinnert, vielmehr hat der Kläger in seiner Berufungserwiderung/Anschlussberufungsbegründung (dort S. 13, Bl. 32 d.A.) sogar selbst eingeräumt, dass ihm nunmehr bewusst sei, dass eine Weiterleitung von dienstlichen Emails auf seinen privaten Email-Account nicht zulässig sei.

(1) Zwar ist nicht jeder Regelverstoß und damit auch nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung schon „an sich“ als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Dies ist jedoch zumindest dann der Fall, wenn – wie streitgegenständlich – die unter Missachtung der Regelungen der DSGVO erfolgte Weiterleitung der Emails an den privaten Email-Account des Klägers sensible Daten der Beklagten und anderer Dritter betrifft. Um solche sensiblen Daten handelte es sich vorliegend, da es in den Emails unter anderem um eine geldwäscherechtliche Bankanfrage, Provisisonsansprüche von Mitarbeitern (…), Gehaltsabrechnungen eines früheren Vorstandsvorsitzenden (…), Planungen der Beklagten zur Verprovisionierung ihrer Mitarbeiter und Zuständigkeitsstreitigkeiten im Vorstand der Beklagten ging. Zu berücksichtigen war darüber hinaus, dass die Weiterleitung nicht ein singulärer Vorfall war, sondern neun Emails weitergeleitet wurden.

(2) Die Weiterleitung der Emails wird auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Kläger – jedenfalls seiner Vorstellung nach – „nur solche Emails weiterleitete, die aufgrund der besorgniserregenden Veränderungen im Betrieb der Beklagten (…) unentbehrlich waren, um später beweisen zu können, dass er selbst keine zur Haftung führenden Fehler begangen hat“ (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 02.05.2022, S. 7, Bl. 31 d.A.). Denn für eine solche prophylaktische Selbsthilfe bestand – wie das Landgericht richtig ausführte (LGU S. 14 f.) – keine Veranlassung. Solange der Kläger noch Vorstand war, hatte er qua Amt Zugriff auf die Unterlagen der Beklagten. Nach seiner Abberufung als Vorstand hat er dagegen einen Einsichtsanspruch aus § 810 BGB, soweit er Unterlagen der Beklagten für seine Verteidigung benötigen sollte, wobei der Kläger durch die die Beklagte treffenden handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungspflichten auch vor unzeitiger Vernichtung der Unterlagen hinreichend geschützt ist (zur fehlenden Rechtfertigung prophylaktischer Selbsthilfe in einem vergleichbaren Fall eines Arbeitnehmers vgl. auch BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rdnr. 33 und LArbG Hamm, Urteil vom 28.05.2020 – 15 Sa 2008/19, Rdnr. 63).

Nach alledem kann in der streitgegenständlichen Weiterleitung der Emails ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ liegen. Ein Vorstand ist demnach nicht anders zu beurteilen als ein Arbeitnehmer, dem es ohne Einverständnis des Arbeitgebers ebenso verwehrt ist, sich betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen (vgl. BAG Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rdnr. 32).

b. Nach Feststellung, dass der streitgegenständliche Sachverhalt „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist, bedarf es der Prüfung, ob der Gesellschaft die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.2001 – II ZR 360/99, Rdnr. 9 zum Vorstand einer Genossenschaft, BGH, Urteil vom 02.06.1997 – II ZR 101 /96, Rdnr. 6 zum Geschäftsführer einer GmbH, zu Arbeitnehmern BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 186/11, Rdnr. 20, Weidenkaff in Grüneberg, BGB, 83. Auflage, München 2024, Rdnr. 38 zu § 626 BGB). Dabei ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse der Gesellschaft an der sofortigen Beendigung des Vorstandsanstellungsvertrages gegen das Interesse des Vorstands an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind dabei u.a. regelmäßig die Schwere der Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Vorstands, das Ausmaß des Schadens, eine mögliche Wiederholungsgefahr, die Dauer des Vorstandsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf sowie die sozialen Folgen für das Vorstandsmitglied (vgl. Fleischer in BeckOGK AktG, Stand 01.02.2024, Rdnr. 187 zu § 84 AktG).


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OLG Stuttgart: Keine Zuständigkeit der Oberlandesgerichte nach § 6 UKlaG für Klage auf Zahlung einer Vertragsstrafe durch Abmahnverein / Verband

OLG Stuttgart
Urteil vom 10.07.2024
9 UKl 2/24


Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass Oberlandesgerichte nicht nach § 6 UKlaG für Klagen auf Zahlung einer Vertragsstrafe durch einen Abmahnverein / Verband zuständig sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist zulässig. Das Oberlandesgericht ist wegen der bindenden Verweisung durch das Amtsgericht zuständig.

Die Zuständigkeit ergibt sich nicht aus § 6 Abs. 1 UKlaG i. d. F. v. 08.10.2023. Individualklagen wie insbesondere solche auf Geltendmachung von Vertragsstrafen fallen, wie der Kläger zu Recht ausgeführt hat, gerade nicht unter diese Zuständigkeitsregelung. Denn dabei handelt es sich nicht um Klagen i. S. d. §§ 1 f. UKlaG, sondern um die Geltendmachung von im Zweipersonenverhältnis begründeten Schadensersatzverpflichtungen. Entgegen der Ansicht von Köhler/Alexander (in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, 42. Aufl. 2024, § 6 UKlaG, Rn. 4), der sich auch das Amtsgericht Künzelsau angeschlossen hat, ist die Vorschrift – anders als dies hinsichtlich der vorangegangenen Fassung nach verbreiteter Auffassung erfolgt ist – auch nicht analog anwendbar. Das ergibt sich zum einen schon daraus, dass Voraussetzung einer analogen Rechtsanwendung eine planwidrige Regelungslücke ist (s. statt vieler nur BGH, Urteil vom 14.12.2006 – IX ZR 92/05, zit. nach juris, Rn. 15). Die ist nach der Zuständigkeitsänderung durch Art. 10 des Gesetzes vom 08.10.2023 (BGBl. 2023 I Nr. 272) nicht mehr ernsthaft anzunehmen (vgl. zur Rolle der Gesetzgebungshistorie schon BGH, aaO., Rn. 17). Trotz der bis dahin mitunter gesehenen Regelungslücke und darauf basierenden analogen Anwendung auf Vertragsstrafenansprüche hat der Gesetzgeber gerade diese Zuständigkeitskonzentration neu geregelt, ohne Vertragsstrafenansprüche einzubeziehen. Das ist erkennbar aufgrund bewusster Entscheidung erfolgt, wie auch daraus ersichtlich ist, dass die Geltendmachung von Ansprüchen aus Vertragsstrafen in §§ 13a f. UWG nun ausdrücklich geregelt ist. Von einer „planwidrigen“ Regelungslücke kann man danach schlicht nicht mehr ausgehen. Auch verfängt der Hinweis auf den erforderlichen Gleichlauf mit § 13 UWG (a.F.) nicht (mehr). Denn dessen analoge Anwendung auf Ansprüche auf Vertragsstrafen hatte der Bundesgerichtshof mit der großen Sachkunde und dem „notwendigen Erfahrungswissen“ der Landgerichte begründet (BGH, Beschluss vom 19.10.2016 – I ZR 93/15, zit. nach juris, Rn. 24). Die ausschließliche OLG-Zuständigkeit nach § 6 Abs. 1 UKlaG dagegen soll der Beschleunigung der Verfahren dienen, was damit gerechtfertigt wurde, dass bei Klagen nach §§ 1 und 2 UKlaG „überwiegend Rechtsfragen zu klären [seien], so dass eine Tatsacheninstanz ebenso wie bei Musterfeststellungsklagen und Abhilfeklagen nach dem VDuG ausreichend“ ist (BT-Drs. 20/6520, S. 118, zu Nr. 17 Buchstabe b). Das ist bei Ansprüchen aus Vertragsstrafen gerade nicht der Fall, da diese auf individuellen Willenserklärungen bzw. Verträgen beruhen, die durchaus auslegungsbedürftig sein können und dann nach §§ 133, 157 BGB – unter Berücksichtigung der weiteren bekannten und erkennbaren Umstände – auszulegen sind (vgl. statt vieler nur Grüneberg, Ellenberger, 83. Aufl. 2024, § 133 BGB, Rn. 9, 14 m. w. N.). Es ist keine Rechtfertigung dafür ersichtlich, den Parteien die ihnen bei Ermittlung und Bewertung entscheidender Willenserklärungen zustehende zweite Tatsacheninstanz vorzuenthalten. Schließlich haben auf Vertragsstrafenabreden basierende Ansprüche – anders als Verbands- wie insbesondere Musterfeststellungs- und Abhilfeklagen – auch keinerlei über das individuelle Schuldverhältnis hinausgehende Bedeutung für das Interesse der Allgemeinheit in einem größeren Bezirk, mit der man eine Notwendigkeit für diesbezügliche Entscheidungen durch die Oberlandesgerichte gegebenenfalls sonst noch zu rechtfertigen versuchen könnte.

Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts ergibt sich allein aus der Verweisung durch das Amtsgericht nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Es hat den Rechtsstreit, trotz Berücksichtigung der – zutreffenden – Erwägungen des Klägers, gestützt auf die Kommentierung insbesondere von Köhler/Alexander in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl. 2024, § 6 UKlaG Rn. 4 (die weiter angegebene Fundstelle im jurisPK-BGB Band 2, 10. Auflage 2023, § 6 UKlaG, Rn. 23, bezog sich auf die alte Fassung, die Erwägungen des BGH (MMR 2017, 169) ausschließlich auf § 13 UWG a.F.) an das Oberlandesgericht verwiesen. Willkürlich erfolgte die Entscheidung folglich nicht; sie ist vielmehr bindend.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Oldenburg: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen HCVO durch pauschale Bewerbung von Bio-Fertiggerichten als "gesund"

LG Oldenburg
Anerkenntnisurteil vom 05.08.2024
15 O 1594/24,


Das LG Oldenburg hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die HCVO durch die pauschale Bewerbung von Bio-Fertiggerichten als "gesund" vorliegt. Die allgemeine Bewerbung ohne konkrete und überprüfbare Spezifikation, in welcher Hinsicht die Produkte "gesund" sind, ist unzulässig. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

OLG Stuttgart: Übersendung von Werbung per Briefpost ohne vorherige Einwilligung auch mit den Vorgaben der DSGVO vereinbar

OLG Stuttgart
Hinweisbeschluss vom 02.02.2024
2 U 63/22


Das OLG Stuttgart hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass die Übersendung von Werbung per Briefpost ohne vorherige Einwilligung des Empfängers auch mit den Vorgaben der DSGVO vereinbar ist

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Das Landgericht hat zutreffend einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz abgewiesen. Auf die überzeugende Begründung des Landgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

I. Insbesondere hat das Landgericht zutreffend und überzeugend herausgearbeitet, dass sowohl die Erhebung der öffentlich zugänglichen Daten als auch die der Übersendung des Werbeschreibens zugrundeliegende Verarbeitung der Daten in Übereinstimmung mit Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO erfolgte.

Entgegen der Auffassung der Berufung ist für die Rechtmäßigkeit einer Direktwerbung nicht Voraussetzung, dass bereits eine Kundenbeziehung besteht. Bei seiner Auslegung des Artikels 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO hat das Landgericht überzeugend den Erwägungsgrund Nr. 47 herangezogen, der die Direktwerbung beispielhaft als berechtigtes Interesse im Sinne der genannten Norm anerkennt. Unter diesem Begriff versteht die Verordnung – etwa in Artikel 21 Absatz 2 DS-GVO – jede unmittelbare Ansprache der betroffenen Person, etwa durch Zusendung von Briefen (Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 4. Aufl. 2024, Artikel 21 DS-GVO Rn. 26). Weder aus Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO noch aus den Erwägungsgründen ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Direktwerbung nur innerhalb einer bestehenden Kundenbeziehung als berechtigtes Interesse anerkannt wird. Unter dem Begriff der berechtigten Interessen sind vielmehr sämtliche rechtlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Interessen zu verstehen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 11 LA 16/20, juris Rn. 16), die auch außerhalb oder im Vorfeld einer Kundenbeziehung liegen können. Zutreffend hat das Landgericht auch gesehen, dass das berechtigte Interesse eines Dritten – hier das Interesse der X. Lebensversicherung AG an der Verteilung der Werbebotschaft – dem Interesse des Beklagten als Verantwortlichen gleichsteht.

Weiter hat das Landgericht überzeugend herausgearbeitet, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten erforderlich war. Insbesondere steht der Erforderlichkeit nicht der Einwand der Berufung entgegen, dass auch eine Übersendung der Werbung per elektronischer Post möglich wäre. Zwar sollen personenbezogene Daten nicht verarbeitet werden, wenn der Zweck der Verarbeitung in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen eingreifen (EuGH, Urteil vom 4. Juli 2023 – C-252/21, Rn. 108). Dabei kann der Kläger die Beklagte allerdings nicht darauf verweisen, die Zusendung elektronischer Nachrichten sei weniger belastend für Betroffene. Nach der Wertung der deutschen Rechtsordnung stellt die Versendung elektronischer Nachrichten ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung vielmehr eine unzumutbare Belästigung dar (vgl. § 7 Absatz 2 Nr. 2 UWG), während die Zusendung eines Briefes mit einer sofort als Werbung erkennbaren Botschaft als zulässig bewertet wird (BGH, Urteil vom 30. April 1992 – I ZR 287/90, juris Rn. 14 – Briefwerbung; BGH, Urteil vom 3. März 2011 – I ZR 167/09, juris Rn. 19 – Kreditkartenübersendung).

Weiter hat das Landgericht auch überzeugend die Interessen der Streitparteien miteinander abgewogen und ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten des Klägers die Interessen der Beklagten und ihrer Auftraggeberin jedenfalls nicht überwiegen. Alleine das Interesse des Klägers, keine Werbung zu erhalten, führt nicht zu einer ihm günstigen Interessenabwägung. Erst wenn er einen Widerspruch erhebt, ist die künftige Direktwerbung unzulässig (Artikel 21 Absatz 2 DS-GVO).

II. Zutreffend hat das Landgericht auch die weiteren gerügten Handlungen nicht als Verstöße gegen die Datenschutz-Grundverordnung bewertet. Insbesondere wurde der Kläger ganz offenkundig nicht im Sinne von Artikel 22 Absatz 1 DS-GVO einer ihm gegenüber verbindlichen oder erheblich beeinträchtigenden Entscheidung unterworfen, die auf einer automatisierten Verarbeitung seiner Daten getroffen wurde (sog. Profiling). Eine derartige beeinträchtigende Entscheidung legt der Kläger schon nicht dar.

Auch die Behauptung, dass die Beklagte dem Kläger eine unvollständige Auskunft über die Verarbeitung seiner Daten erteilt habe, kann nicht festgestellt werden. Vorgerichtlich wurde danach nicht gefragt, und in der ersten Instanz hat die Beklagte ausgeführt, die personenbezogenen Daten des Klägers nicht mit zusätzlichen Informationen verknüpft zu haben. Auf die Frage, ob eine unvollständige Auskunft überhaupt zu einem Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 DS-GVO führen kann, kommt es nicht mehr an (zum Streitstand: OLG Stuttgart, Urteil vom 22. November 2023 – 4 U 20/23, juris Rn. 381 ff.).

III. Unabhängig davon, dass datenschutzrechtliche Verstöße nicht feststellbar sind, hat der Kläger auch nicht ausreichend dargelegt, einen Schaden erlitten zu haben. Zwar ist es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht erforderlich, dass der Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit überschreitet. Gleichwohl löst der bloße Verstoß gegen Bestimmungen der Verordnung einen Schadensersatzanspruch noch nicht aus. Es muss vielmehr festgestellt werden, dass tatsächlich ein Schaden entstanden ist (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, Rn. 42, 51). Insoweit beruft sich der Kläger auf eine mit dem Verlust der Daten seelisch belastende Ungewissheit über das Schicksal der Daten. Dieser Vortrag genügt nicht für die Darlegung eines Schadens, denn es muss festgestellt werden können, ob die Befürchtung einer künftigen missbräuchlichen Datenverwendung unter den gegebenen besonderen Umständen und im Hinblick auf die betroffene Person als begründet angesehen werden (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-340/21, Rn. 85). Dies ist jedoch nicht ersichtlich auf der Grundlage der überzeugenden und unangefochtenen Feststellung des Landgerichts, dass die Beklagte die personenbezogenen Daten nicht an Dritte übermittelt hat. Zudem hat die Beklagte die Daten gelöscht bzw. intern mit einem Sperrvermerk versehen, um künftige Werbesendungen zu verhindern.


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OLG Frankfurt: Bei Persönlicheitsrechtsverletzungen in Presse und Medien ist regelmäßig ein Streitwert zwischen 5.000 EUR und 15.000 EUR je selbständiger inhaltsverschiedener Äußerung angemessen

OLG Frankfurt
Beschluss vom 03.06.2024
16 W 18/24


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass bei Persönlicheitsrechtsverletzungen in Presse und Medien regelmäßig ein Streitwert zwischen 5.000 EUR und 15.000 EUR je selbständiger inhaltsverschiedener Äußerung angemessen ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der für die Streitwertfestsetzung gewählte Ausgangspunkt des Landgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden.

a) Bei der Abwehr von Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Äußerungen in der Presse oder anderen Medien ist der Streitwert gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Ermessen zu bestimmen. Abhängig vorwiegend davon, in welcher Sphäre seines Persönlichkeitsrechts der Betroffene durch die Äußerung berührt wird, welche Schwere ein hiermit verbundener Eingriff hat und welcher Verbreitungsgrad dem gewählten Medium zukommt, geht der Senat dabei unter Orientierung am Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG (vgl. BGH, Beschl. v. 17. Januar 2023 - VI ZB 114/21 -, Rn. 11; Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 3 ZPO, Rn. 16.57) von einem Streitwert zwischen etwa 5.000,00 EUR und 15.000,00 EUR je selbständiger, inhaltsverschiedener Äußerung aus. Höhere Beträge kommen regelmäßig nur bei der Betroffenheit von Prominenten oder bei besonders spektakulären Fällen in Betracht (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 2. Juni 2023 - 16 W 27/23 -, Rn. 21) bzw. dann, wenn statt einzelner Äußerungen die durch eine komplexere Schrift geschaffene Herabsetzung des Betroffenen insgesamt in Rede steht (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 21. September 1999 - 16 W 39/98 -, Rn. 5).

b) Wird um entsprechenden Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Verfügung nachgesucht, wird der Streitwert gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt. Er bleibt dann im Allgemeinen unter dem Streitwert der Hauptsache, weil das in diesem Verfahren verfolgte Sicherungsinteresse des Betroffenen im Regelfall nicht sein Befriedigungsinteresse erreicht. Da das Presserecht grundsätzlich von dem Erfordernis einer schnellen Reaktion geprägt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. März 2024 - 1 BvR 605/24 -, Rn. 16) und dem Sicherungsinteresse daher in äußerungsrechtlichen Sachverhalten häufig höheres Gewicht zukommt, erachtet der Senat einen Abschlag von mehr als 1/3 gegenüber dem Hauptsachewert allerdings regelmäßig für nicht angezeigt (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 2. Juni 2023 - 16 W 27/23 -, Rn. 22; vom 22. Dezember 2020 - 16 W 83/20 -, Rn. 31).

c) Mehrere Streitwerte werden gemäß § 39 GKG zusammengerechnet. Das gilt im Äußerungsrecht sowohl für die Beanstandung mehrerer selbständiger, inhaltsverschiedener Äußerungen, wie ebenso für die Inanspruchnahme mehrerer Unterlassungsschuldner. Denn diese schulden Unterlassung - hier aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG - nicht nur einmal, sondern jeder für sich (vgl. BGH, Urt. v. 27. November 2020 - V ZR 121/19 -, Rn. 35; v. 15. April 1975 - VI ZR 93/73 -, Rn. 19).

2. Dies zugrunde gelegt, ist die Festsetzung des Streitwerts auch in der Sache zu Recht mit 20.000 Euro erfolgt.

Die angegriffene Berichterstattung berichtet über das angebliche Angebot des Antragstellers, an seine Lebensgefährtin herangetragene Geldforderungen durch eine Einmalzahlung abzugelten, und betrifft damit Umstände, die auf Seiten des Antragstellers allenfalls dem äußeren Rand seiner Privatsphäre zuzurechnen sind. Zudem ist der Antragsteller - anders als seine Lebensgefährtin, die eine gewisse Boulevardprominenz genießt - einer breiteren Öffentlichkeit wenig bekannt. Bei dieser Sachlage war das verfolgte Unterlassungsbegehren unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien wie geschehen mit einem Streitwert von 10.000 Euro zu bewerten, ein am Sicherungsinteresse des Antragstellers ausgerichteter Abschlag von 1/3 vorzunehmen und mit der Anzahl der Antragsgegner zu multiplizieren.


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OLG Schleswig-Holstein: § 12 Abs. 1 FernUSG gilt nicht für Online-Mentoring-Angebote sofern keine Kontrolle des Lernerfolgs stattfindet

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom. 05.07.2024
19 U 65/24


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass § 12 Abs. 1 FernUSG nicht für Online-Mentoring-Angebote gilt, sofern keine Kontrolle des Lernerfolgs stattfindet.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Parteien haben einen wirksamen Vertrag geschlossen, der ein zwölfmonatiges Mentoringprogramm der Klägerin gegen Zahlung von zwölfmal 5.000 € (zzgl. MwSt.) zum Gegenstand hatte.

Bei dem geschlossenen Vertrag handelt es sich, wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, um einen Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BGB. Ein bestimmter Erfolg war nämlich im Schwerpunkt gerade nicht geschuldet. Wenngleich zum Teil auch konkrete Handlungen, z.B. die Übersendung von VIP-Tickets, vereinbart waren, so war das Programm der Klägerin nach seiner Leistungsbeschreibung doch überwiegend auf die Vermittlung von Inhalten in Präsenzveranstaltungen bzw. die Freischaltung von Zugängen zu Online-Medien ausgelegt, über die der Mentor sein Wissen an den noch unerfahrenen Kunden weitergeben und ihn bei seiner persönlichen und/oder beruflichen Entwicklung unterstützen sollte (vgl. auch die Sachverhalte und rechtliche Einordnung bei OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023 – 3 U 85/22; LG Ravensburg, Urteil vom 11.07.2023 – 5 O 25/23; LG Stuttgart Urteil vom 30.03.2023 – 30 O 266/22).

Unbestritten hat die Klägerin erstinstanzlich dargelegt, dass über die wesentlichen Vertragsbestandteile des Mentoring-Vertrages – auch die Zahlungsverpflichtung im Voraus (entgegen der Regelung des § 614 Satz 1 BGB) – im Telefonat vom 18.02.2023 gesprochen worden sei. § 614 Satz 1 BGB ist dispositiv (BeckOGK/Maties BGB § 614 Rn. 44). Im Zweifel war die Zahlung danach sofort fällig, § 271 Abs. 1 BGB. Auch über die Höhe der geschuldeten Leistung (50.000 € bei Einmalzahlung oder zwölfmal 5.000 €) ist unzweifelhaft gesprochen worden. Die Art der geschuldeten Leistung lässt sich aus der Beschreibung Anlage K1 jedenfalls im Groben entnehmen. Geschuldet sind Teilnahmerechte in Zoommeetings und Messenger-Gruppen, das Freischalten von Online-Seminaren und ähnliches, wobei Kursbeginn der 30.05.2023 hätte sein sollen.

Soweit der Beklagte mit Schriftsatz vom 13.06.2024 bestritten hat, dass die o.g. Leistungen vereinbart worden seien mit der Folge, dass es einer konkreten Leistungsbeschreibung gemangelt habe und der Vertrag unwirksam sei, greift er damit nicht durch. Der nicht angegriffene Tatbestand des landgerichtlichen Urteils weist den genannten Inhalt des Vertrages als unstreitig aus. Daran ist der Senat nach § 314 ZPO zwingend gebunden (BeckOK ZPO, 314 Rn. 29).

2. Der Vertrag ist auch nicht nichtig. Weder ist er sittenwidrig (dazu unter a.) noch unterfällt er dem Anwendungsbereich des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG), der in seinem § 7 Abs. 1 bei Fehlen der entsprechenden Zulassung des Veranstalters die Nichtigkeit des Vertrages vorsieht (dazu unter b.).

a. Der Vertrag ist, anders als das Landgericht es gesehen hat, nicht als wucherähnliches Rechtsgeschäft nichtig nach § 138 Abs. 1 BGB.

Keine Rechtsverletzung im Sinne der §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO stellt es dar, dass die Kammer im Rahmen der vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung, § 331 ZPO, die Frage der Sittenwidrigkeit überhaupt geprüft hat. Die Klage ist schlüssig, wenn das Gericht die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen ohne weitere tatsächliche Überprüfung im Sinne des Klageantrages unter eine Anspruchsgrundlage subsumieren kann und nach dem Tatsachenvortrag des Klägers auch keine Gegenrechte eingreifen. Es darf somit weder am Vortrag anspruchsbegründender Tatsachen fehlen, noch darf der Kläger vollumfänglich Tatsachen vorgebracht haben, die zu einer rechtshindernden oder rechtsvernichtenden Einwendung führen, ohne diese gleichzeitig durch eine Replik zu entkräften (Musielak/Voit/Stadler ZPO § 331 Rn. 7). Bei der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB handelt es sich um eine solche rechtsvernichtende Einwendung. Zu Recht rügt die Klägerin allerdings, dass die Kammer gerade nicht sämtliche tatsächlichen Grundlagen, die sie für die Sittenwidrigkeit herangezogen hat, insbesondere Preise von Vergleichsangeboten, aus dem Vortrag der Klägerin selbst entnommen, sondern diese selbst recherchiert hat.

Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag ist auch in der Sache nicht sittenwidrig. Entsprechenden Vortrag hat der Beklagte in der Berufung nachgeholt. Der Vertrag erweist sich jedoch auch auf der Grundlage des erweiterten aktenkundigen Sachverhalts nicht als sittenwidrig.

Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn das betreffende Rechtsgeschäft gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Die Vorschrift sichert ein im Rechtsverkehr zu wahrendes ethisches Minimum. Ihr Zweck ist es, Missbräuchen der Privatautonomie entgegenzuwirken und die Geltung von Rechtsgeschäften zu verhindern, die für die Rechtsgemeinschaft unerträglich sind, weil sie gegen deren ethische Wertvorstellungen – die guten Sitten – verstoßen (BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 1, 2 m.w.N.).

Wucher im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB (als lex specialis zu Abs. 1) liegt – unabhängig von der Frage nach einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung – schon deshalb nicht vor, weil es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Klägerin eine Zwangslage, die Unerfahrenheit oder den Mangel an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche des Beklagten ausgenutzt hätte.

Ein wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB wird angenommen, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dafür ist derjenige, der sich auf Sittenwidrigkeit beruft, darlegungs- und beweisbelastet (Grüneberg/Ellenberger, 83. Aufl. § 138 Rn. 34 m.w.N.). Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, lässt dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu (Grüneberg/Ellenberger, a.a.O. Rn. 34a m.w.N.; BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 61, 61.1). Dabei liegt ein auffälliges Missverhältnis vor, wenn der Wert der Leistung rund doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, wobei es jeweils auf die objektiven Werte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt (BGH, Urteil vom 19.01.2001 – V ZR 437/99;BGH, Urteil vom 05.10.2001 – V ZR 237/00; BGH, Urteil vom 18.12.2007 – XI ZR 324/06).Eine tatsächliche Vermutung für die verwerfliche Gesinnung besteht allerdings dann nicht, wenn es sich bei dem benachteiligten Vertragspartner um einen Kaufmann (§§ 1 Abs. 1, 5 HGB) handelt (BGH, Urteil vom 06.05.2003 – XI ZR 226/02 – „Benachteiligter“ war dort eine größere GmbH).

Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist nicht festzustellen. Es mangelt bereits an Vortrag der Beklagtenseite zum Wert der angebotenen Leistung der Klägerin.

Maßgeblich ist der objektive Wert der Leistung, wobei grundsätzlich der Marktwert für dessen Bestimmung ein geeignetes Mittel darstellt. Dabei wird der vereinbarte Betrag demjenigen gegenübergestellt, den die Mehrzahl der weiteren Anbieter für vergleichbare Leistungen verlangt (Marktwert; marktüblicher Preis). Ein generell überhöhtes Preisniveau vermag ein auffälliges Leistungsmissverhältnis nicht zu beseitigen. Lässt sich ein ortsüblicher Preis für eine Leistung nicht ermitteln, so kann sich die Sittenwidrigkeit aus einer Überschreitung der andernorts üblichen oder der angemessenen Vergütung ergeben (dazu: MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 206).

Soweit das Landgericht als Vergleichsmaßstab die Preise von Fernuniversitäten nebst Sicherheitszuschlag bemüht hat, begegnet dies neben den genannten prozessualen auch inhaltlichen Bedenken. Wie die Kammer selbst geschrieben hat, findet in Fernunterrichtskursen und Universitäten Unterricht in größeren Gruppen statt. Sie sind auf die Erlangung eines Abschlusses gerichtet. Das Angebot von Fernuniversitäten mag durch hierfür ausgebildete Lehrende und durch eine gewisse staatliche Kontrolle bzw. Qualitätsstandards nachhaltiger und grundlegender sein, es verfolgt aber einen anderen Ansatz und ein anderes Ziel als das Angebot der Klägerin. Während die Fernunis auf eher klassischem Wege Wissen vermitteln wollen, versprechen Mentorenprogramme wie das der Klägerin den modernen (insbes. durch Nutzung von Social Media) und schnellen individuellen Erfolg. Abschlüsse und die Vermittlung von Grundlagenwissen sind weniger wichtig; wichtig ist vielmehr die Persönlichkeit des Mentors, dessen (jedenfalls vermeintlicher) wirtschaftlicher Erfolg und dessen Erfahrung, die dieser an die Teilnehmer weitergeben soll, um das Wachstum des konkreten Unternehmens schnell voranzutreiben (so auch die Klägerin in ihrer Berufungsschrift (S. 6 eAOLG): „Es geht also um praktisch anwendbares Know-how, das bei konsequenter Umsetzung zu einer merklichen Umsatzsteigerung führt.“).

Soweit sich der Beklagte in der Berufungserwiderung ebenfalls auf private Unternehmen und Akademien bis hin zu Universitäten und anderen Einrichtungen wie IHKs bezieht, die „genau das Gleiche“ anböten wie die Klägerin, geht dies zum Teil aus den oben genannten Gründen fehl; soweit sei sich auf private Anbieter wie die Haufe-Akademie bezieht (1.350 EUR für Neukundengewinnung und Akquisegespräche), ist auch dieses Angebot nicht vergleichbar. Die Klägerin bietet ein Zwölf-Monats-Mentoring an. Die genannte H.-Akademie nimmt beispielsweise 1.300 € plus MwSt. für fünf Stunden Coaching (Nachweis: Link zur Webseite der H.-Akademie).

Während damit einerseits der Beklagte nicht ausreichend zu Angeboten anderer Anbieter vorträgt, die eine wucherische Überhöhung des von der Klägerin verlangten Preises erkennen ließen, kann andererseits die Klägerin auf einen von dem OLG Köln entschiedenen Fall verweisen, der – wie sie behauptet – einen ihrem Angebot vergleichbaren Fall betraf (OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – 2 U 24/23). Dort ging es um ein Angebot namens „Coaching & Consulting Excellence“. Die Laufzeit betrug ebenfalls zwölf Monate. Die Vergütung für dieses Angebot lag im Jahr 2021 bei 4.165,00 € (brutto) pro Monat.

Dies spricht jedenfalls dafür, dass die Klägerin mit ihrer Preisgestaltung nicht unangemessen außerhalb des üblichen Rahmens liegt.

b. Der Vertrag ist nicht nichtig wegen Verstoßes gegen das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG). Nach § 7 FernUSG ist ein Fernunterrichtsvertrag, der von einem Veranstalter ohne die nach § 12 Abs. 1 erforderliche Zulassung des Fernlehrgangs geschlossen wird, nichtig.

Ob das FernUSG auch auf Verträge zwischen Unternehmern Anwendung findet (wofür jedenfalls der uneingeschränkte Gesetzeswortlaut spricht; vgl. auch: OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023 – 3 U 85/22; diese Frage offenlassend OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – 2 U 24/23), braucht der Senat nicht zu entscheiden, denn bei den angebotenen Kursen der Klägerin handelt es sich nicht um Fernunterricht im Sinne des § 1 Abs. 1 FernUSG.

§ 1 Abs. 1 FernUSG lautet:

(1) Fernunterricht im Sinne dieses Gesetzes ist die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der

1. der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und
2. der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen.

Der Vertrag hat zwar zumindest auch die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zum Gegenstand. So gibt es nach dem Programm der Klägerin (Anlage K1) Mentoring-Termine etwa im „Verkauf“, „Vertrieb“, mit den Themen „Führung im Betrieb“, „Social Media Marketing“ und ähnlichem. Auch stellt sie z.B. ein Workbook zum Onlinekurs zur Verfügung. Dass es auch Präsenzveranstaltungen und unmittelbaren Austausch miteinander gibt, schließt eine Anwendung des FernUSG nicht aus („überwiegend“, Nr. 1). Eine Überwachung des Lernerfolgs im Sinne der Nr. 2 schuldet die Klägerin allerdings nach dem konkreten Vertrag nicht.

Zwar ist das Tatbestandsmerkmal weit auszulegen. In dem Urteil des BGH vom 15.10.2019 – III ZR 310/08 – heißt es insoweit:

„[19] (3) Der Gesetzgeber ging selbst bei der Formulierung des Gesetzes von einem umfassenden und weiten Verständnis des Begriffs der Überwachung des Lernerfolgs aus. Der Lehrende oder sein Beauftragter sollte sich dabei schriftlicher Korrekturen ebenso wie begleitender Unterrichtsveranstaltungen oder anderer Mittel bedienen können (BT-Dr 7/4245, S. 14). Deshalb kommt auch eine mündliche Kontrolle während eines begleitenden Direktunterrichts als hinreichende Überwachung des Lernerfolgs, z.B. durch Frage und Antwort, in Betracht (vgl. LG Frankfurt a. M., Urt. v. 10. 10. 1979 – 2/1 S 153/79, S. 5). Es ist ausreichend, wenn eine individuelle Anleitung des Lernenden vorgesehen ist (Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fern-USG, 1984, S. 94; Faber/Schade, Fern-USG, 1980, § 1 Rdnr. 15; Bartl, NJW 1976, 1993 [1994]), die eine Lernerfolgskontrolle ermöglicht (Faber/Schade, § 1 Rdnr. 16).

[20] (4) Da nach § 2 I i.V. mit § 1 I FernUSG eine Überwachung des Lernerfolgs nach dem Vertrag vorgesehen sein muss, kommt es für die Anwendung des Fernunterrichtsschutzgesetzes nicht darauf an, ob diese letztlich auch tatsächlich durchgeführt wird (Bühler, S. 94; Faber/Schade, § 1 Rdnrn. 14f.). Es reicht deshalb aus, dass nach dem Vertrag der Lernende das Recht hat, eine solche einzufordern, um den Lernerfolg kontrollieren zu lassen.

[21] Insgesamt ist deshalb eine Überwachung des Lernerfolgs nach § 1 I Nr. 2 FernUSG bereits dann gegeben, wenn der Lernende nach dem Vertrag den Anspruch hat, zum Beispiel in einer begleitenden Unterrichtsveranstaltung durch mündliche Fragen zum erlernten Stoff eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs durch den Lehrenden oder seinen Beauftragten zu erhalten.“

Dies ist hier aber nicht der Fall. Der Beklagte hat nach dem Angebot der Klägerin nicht die Möglichkeit einer individuellen Kontrolle seines Lernerfolgs durch einen Lehrenden zu erhalten. Entsprechendes ergibt sich nicht aus dem Programm der Klägerin.

Zwar heißt es in der Broschüre Anlage K1 beispielsweise: „Schildere für alle Coaches so konkret, aber kompakt wie möglich, Deine aktuelle Situation und stelle gezielte Fragen zum weiteren Vorgehen.“ Es gebe „Feedback“ von Experten (Anlage K 1, Bl. 2), eine Teilnehmerin lobt „die Schnelligkeit der Antworten“ (Anlage K1, 7), als Inhalt der „Lektoring“-Einheit wird ein Telefonskript genannt (Anlage K1, Bl. 5). All dies impliziert eine gewisse Interaktion zwischen dem Dozenten und dem Teilnehmer, reicht aber – trotz geringer Anforderungen daran - nicht für die Annahme einer irgendwie gearteten Lernerfolgskontrolle aus. Begriffe wie „Studium“, Absolvent“, „Zertifikat“ (BGH, a.a.O.) oder ähnliches, die implizieren könnten, dass eine solche stattfinden würde, werden gerade nicht genannt. Das Programm ist schon seinem objektiven Inhalt nach nicht darauf gerichtet, dass ein bestimmter, objektiv messbarer Lernerfolg erzielt würde, sondern darauf, dass der Mentor sein persönliches Erfahrungswissen weitergibt. Die Geschäftsführerin der Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Senat nachvollziehbar erläutert, wie die Interaktion der Mentoren und der Teilnehmer untereinander ausgestaltet ist. So sei es bei den Meetings so, dass die Mentoren ihre Erfahrungen teilten und ganz individuelle Fragen, die auch zuvor eingesandt werden könnten, beantworteten. Konkret angesprochen auf das Telefon-Skript (Anlage K1, Bl. 5) erklärte sie, dass im Rahmen der „Lektoring“-Stunden im Gegensatz zum „Mentoring“ keine Fragen gestellt werden könnten. Die Teilnehmer könnten hier – bei diesem Beispiel bleibend – ihr bisher genutztes Telefonskript einreichen und dieses werde dann “durchgegangen“. Die Coaches erläuterten, was sie ändern würden und gäben Tipps. Die Umsetzung des Gehörten liege jeweils an den Kunden selbst.

Danach fehlt es aber an einer Kontrolle eines abprüfbaren Lerninhaltes.

(Erlaubte) Verständnisfragen dergestalt, ob das Gehörte richtig verstanden worden sei, reichen für eine Lernerfolgskontrolle nicht aus. Zum einen ließe sich so jede Art Vortrag, der nur ein Mindestmaß an Fragestellung durch die Teilnehmer zulässt, in eine Lernkontrolle wandeln, zum anderen erfolgte diese im Rahmen einer Art Selbstkontrolle und nicht durch den Lehrenden oder Beauftragten, wie es aber der Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG verlangt (so auch OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – 2 U 24/23). Deswegen wäre auch eine irgendwie geartete Kontrolle durch die Teilnehmer untereinander (etwa in Telegram-Gruppen) nicht geeignet, eine Kontrolle des Lernerfolgs im Sinne des FernUSG darzustellen.

Aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 01.03.2020 – 3 U 85/22 –, wonach das FernUSG auf einen Coaching-Vertrag anwendbar sei, ergibt sich schon deshalb nichts anderes, weil der dortige Sachverhalt sich von dem hiesigen unterscheidet. So gab es dort einen WhatsApp-Support, in dem Fragen gestellt werden konnten, und Zugang zu einer Akademie bestand, „die Videos, Checklisten und Prüfungen“ beinhalte. Ähnliches bietet hiesige Klägerin aber gerade nicht an.

3. Der Beklagte hat sich von dem Vertrag auch nicht lösen können. Weder hat er wirksam widerrufen (dazu unter a.) noch stand ihm ein Kündigungsrecht zur Verfügung (dazu unter b.).

a. Das Widerrufsrecht für Fernabsatzverträge nach §§ 312c, g, 355 BGB gilt für Verbraucher. Der Beklagte hat nicht als Verbraucher den Vertrag abgeschlossen. Ein solcher ist nach § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Darlegungs- und beweisbelastet für seine Verbrauchereigenschaft ist der Beklagte.

Zwar hat der Beklagte erstinstanzlich vorgetragen (Bl. 20 eALG), er sei davon ausgegangen, dass der Vertrag „mit ihm selber“ abgeschlossen worden sei, zumal er die Leistungen ja auch nur persönlich hätte entgegennehmen können; damit greift er aber nicht durch. Die „persönliche Entgegennahme“ von Coaching-Inhalten liegt in der Natur der Sache. Der Coaching-Erfolg hätte aber dem Unternehmen des Beklagten zu Gute kommen sollen, dessen Wachstum er vorantreiben wollte. Die Zweckrichtung des Mentorings war der unternehmerischen Sphäre des Beklagten zuzurechnen. Nicht zuletzt hat der Beklagte telefonisch bestätigt, dass er als Unternehmer handele und hat ein Mitarbeiter der Klägerin darauf hingewiesen, dass diese nur im B2B-Bereich tätig sei.

Ein Widerrufsrecht ergibt sich auch nicht daraus, dass die Widerrufsbelehrung der Klägerin unklar gewesen wäre. Die Angaben auf ihrer Internetseite sind nicht irreführend. Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass es dieser Art der Widerrufsbelehrung, in der von Verbrauchern die Rede ist, nicht bedurft hätte, weil die Klägerin nach eigenem Vortrag mit Verbrauchern keine Verträge schließt. Nicht ersichtlich ist allerdings, wie sich daraus ein Widerrufsrecht des Beklagten herleiten lassen sollte. Es wird zwar vertreten, dass die irrtümliche Belehrung über ein nicht bestehendes Widerrufsrecht als Angebot auf Einräumung eines vertraglichen ausgelegt werden kann (umstr., s. BeckOGK/Mörsdorf, BGB § 355 Rn. 37). Gegenüber einem Unternehmer kommt dies aber in der Regel nicht in Betracht (ebd.). Das gilt erst recht in einem Fall wie hier, in dem die Belehrung mit der Klarstellung verbunden war, dass ein Widerrufsrecht nur für Verbraucher und nicht auch für Unternehmer bestehe. Ein Widerrufsrecht nach § 4 FernUSG, § 355 BGB besteht nicht, weil es sich nicht um einen Fernunterrichtevertrag i.S.d. FernUSG handelt (s.o.).

b. Der Beklagte hat den Vertrag auch nicht wirksam gekündigt.

Zwar mag die Widerrufserklärung in eine Kündigungserklärung umgedeutet werden und hat der Beklagte mit der Klageerwiderung vom 28.09.2023 (Bl. 20f. eALG) erneut die Kündigung des Vertrages ausgesprochen, ihm stand aber kein Kündigungsrecht zur Seite.

Eine ordentliche Kündigung ist bei – wie hier – auf bestimmte Zeit geschlossenen Dienstverträgen grundsätzlich nicht möglich, § 620 Abs. 1 BGB.

Möglich bleibt allerdings eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund, § 626 BGB. Ein solcher ist aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vertragsreue und fehlende Liquidität stellen einen solchen wichtigen Grund jedenfalls nicht dar.

In Betracht kommt des Weiteren eine Kündigung wegen der Erbringung von Dienstleistungen höherer Art, § 627 BGB. Dienste höherer Art sind solche, die ein überdurchschnittliches Maß an Fachkenntnissen, Kunstfertigkeit oder wissenschaftlicher Bildung, eine hohe geistige Phantasie oder Flexibilität voraussetzen und infolgedessen dem Dienstpflichtigen eine herausgehobene Stellung verleihen. Für die Beurteilung, ob Dienste höherer Art geschuldet werden, ist die typische Situation, nicht der konkrete Einzelfall, entscheidend. Der klassische Anwendungsbereich des § 627 BGB liegt z.B. in qualifizierten Tätigkeiten, die den persönlichen Lebensbereich betreffen, insbesondere Ehe-, Partner- und Bekanntschaftsvermittler (MüKoBGB/Henssler BGB § 627 Rn. 22 f.). Die Tätigkeit vieler Unternehmensberater ist nicht nur Dienstleistung, sondern auch ein Vertrauensverhältnis i.S.d. § 627 BGB, dies jedenfalls dann, wenn und soweit einem solchen Berater auch Einblicke in interne Vorgänge gewährt werden, was nur bei vorhandenem Vertrauen möglich ist (s. OLG München, Urteil vom 10.01.2001 – 7 U 21005/00; OLG Hamm, Beschluss vom 22.01.2015 – 17 U 143/14). Wenn hingegen die Vermittlung von spezifischen Fertigkeiten im Vordergrund steht, so etwa bei bestimmten Formen des Coachings, kann nicht unbedingt von einem Kündigungsrecht nach § 627 BGB ausgegangen werden (OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – 2 U 24/23; LG Trier, Urteil vom 07.12.2016 – 5 O 128/16; LG Frankfurt am Main, Urteil vom 15.09.2023 – 2-21 O 323/21).

Hier fehlt es jedenfalls an einer „besonderen Vertrauensstellung“, denn der Mentor erhält nicht, ähnlich einem Unternehmensberater, tiefe Einblicke in das Unternehmen, in Geschäftsgeheimnisse und Geschäftszahlen. Die Mentoring-Termine sind schlagwortartig beschrieben mit etwa „Mentoring – Verkauf, Vertrieb, Mindset, Skalierbarkeit, Unternehmertum, Onboarding, Recruiting und Führung im Vertrieb“, „Lektoring – Verkaufstext, Telefon-Skript, 33 gute Gründe etc.“ (Anlage K1, dort S. 5). Sie sind darauf ausgelegt, dass Erfahrungswissen weitergegeben wird oder Fragen zu konkreten Themen beantwortet werden, deren Umsetzung dann den jeweiligen Teilnehmern obliegt (s.o.). Eines besonderen Vertrauens des Dienstberechtigten in den Dienstverpflichteten bedarf es dabei nicht.

Für einen Anspruch des Beklagten gegen die Klägerin auf Rückabwicklung des zustande gekommenen Vertrags aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 BGB wegen der Verletzung vorvertraglicher Beratungspflichten mangelt es an Vortrag des Beklagten und an sonstigen Anhaltspunkten. Jedenfalls gab es unstreitig ein telefonisches Beratungsgespräch.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

VG Köln: Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Vergabe- und Auktionsregeln für die Versteigerung der 5G-Mobilfunkfrequenzen 2019 rechtswidrig

VG Köln
Urteil vom 26.08.2024
1 K 1281/22 und 1 K 8531/18


Das VG Köln hat entschieden, dass die Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Vergabe- und Auktionsregeln für die Versteigerung der 5G-Mobilfunkfrequenzen 2019 rechtswidrig war.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
VG Köln: Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Vergabe- und Auktionsregeln für die im Jahr 2019 durchgeführte Versteigerung der 5G-Mobilfunkfrequenzen ist rechtswidrig

Die Entscheidung der Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur vom 26. November 2018 über die Vergabe- und Auktionsregeln für die im Jahr 2019 durchgeführte Versteigerung der für den 5G-Mobilfunk besonders geeigneten Frequenzen in den Bereichen 2 GHz und 3,6 GHz ist rechtswidrig. Dies hat das Verwaltungsgericht Köln durch Urteil vom gestrigen Tag (26. August 2024) entschieden und die Bundesnetzagentur zur Neubescheidung verpflichtet.

Für die Zuteilung der genannten Frequenzen ordnete die Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur am 14. Mai 2018 ein Vergabeverfahren an und bestimmte, dieses als Versteigerungsverfahren durchzuführen (BK1-17/001, Teil I und II). Am 26. November 2018 erließ die Präsidentenkammer die im vorliegenden Verfahren angegriffene Entscheidung über die Vergabe- und Auktionsregeln (BK1-17/001, Teil III und IV). Die Versteigerung wurde im Jahr 2019 durchgeführt und erzielte Erlöse in Höhe von rund 6,6 Milliarden Euro.

Die Vergaberegeln in der Präsidentenkammerentscheidung vom 26. November 2018 umfassen unter anderem die Frequenznutzungsbestimmungen für die späteren Zuteilungsinhaber. Hierzu gehören z.B. konkrete Versorgungsverpflichtungen für Haushalte und Verkehrswege sowie eine sog. Diensteanbieterregelung. Durch diese werden die späteren Zuteilungsinhaber verpflichtet, mit Diensteanbietern ohne eigene Netzinfrastruktur über die Mitnutzung von Funkkapazitäten zu verhandeln.

Dieses Verhandlungsgebot halten die hier klagenden Diensteanbieterinnen für unzureichend. Sie beantragten bereits im Verfahren vor der Präsidentenkammer eine sog. Diensteanbieterverpflichtung. Diese Anträge verfolgten sie mit ihren im Dezember 2018 erhobenen Klagen weiter. Sie begründeten ihre Klagen mit schwerwiegenden Verfahrens- und Abwägungsfehlern der Präsidentenkammerentscheidung. Das Verfahren sei insbesondere durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) unter Leitung des damaligen Bundesministers Scheuer in rechtswidriger Weise beeinflusst worden. Dies ergebe sich aus den Verwaltungsvorgängen des BMVI, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sowie des Bundeskanzleramts, die die Klägerinnen nach erfolgreichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes erhalten hatten.

Das Verwaltungsgericht Köln hatte die Klage der einen Diensteanbieterin mit Urteil vom 3. Juli 2019 zunächst als unzulässig abgewiesen (Az.: 9 K 8489/18). Mit Urteil vom 21. Oktober 2021 (Az.: 6 C 8.20) hob das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung teilweise auf und verwies sie insoweit an das Verwaltungsgericht Köln zurück. Hierzu führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass aufzuklären sei, ob mit Blick auf die Präsidentenkammer eine Besorgnis der Befangenheit bestanden habe, ob es zu einem Verstoß gegen die unionsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur als nationaler Regulierungsbehörde gekommen sei und ob die Abwägung der Präsidentenkammer unter dem Gesichtspunkt einer faktischen Vorfestlegung fehlerhaft gewesen sei. Denn es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass das BMVI in erheblichem Umfang versucht habe, insbesondere auf die Festlegung der Versorgungsverpflichtungen Einfluss zu nehmen. Hierzu bedürfe es weiterer Sachverhaltsaufklärung. Insbesondere sei aufzuklären, wie die Präsidentenkammer auf den politischen Druck reagiert habe.

In dem zurückverwiesenen Verfahren (neues Az.: 1 K 1281/22) sowie in dem noch anhängigen Verfahren der zweiten Diensteanbieterin (Az.: 1 K 8531/18) führte das Verwaltungsgericht Köln Anfang Juni 2024 eine Beweisaufnahme durch. Hierzu vernahm das Gericht die seinerzeitigen Mitglieder der Präsidentenkammer – den ehemaligen Präsidenten der Bundesnetzagentur Homann und die ehemaligen Vizepräsidenten Dr. Eschweiler und Franke – sowie den damaligen Leiter der Fachabteilung Dr. Hahn.

Mit dem gestern nach mündlicher Verhandlung verkündeten Urteil hat das Verwaltungsgericht Köln die Präsidentenkammerentscheidung vom 26. November 2018 aufgehoben und die Bundesnetzagentur verpflichtet, die Anträge der Klägerinnen auf Aufnahme einer Diensteanbieterverpflichtung neu zu bescheiden. Zur Begründung führte die Vorsitzende der 1. Kammer bei der Urteilsverkündung aus:

„Die Präsidentenkammerentscheidung ist formell rechtswidrig. Die konkrete Verfahrensgestaltung der Präsidentenkammer begründet gegenüber allen drei Mitgliedern die Besorgnis der Befangenheit. Hierfür ist nicht erforderlich, dass das Mitglied tatsächlich befangen war. Es reicht der ‚böse Schein‘. Dieser kann sich auch daraus ergeben, dass sich die Verfahrensgestaltung des Amtswalters so weit von den anerkannten rechtlichen Grundsätzen entfernt, dass für den davon betroffenen Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung entsteht.



Vorliegend ergibt sich die Besorgnis der Befangenheit zwar nicht schon aus der Teilnahme einzelner Mitglieder der Präsidentenkammer an Gipfelveranstaltungen und anderen Terminen im Zusammenhang mit der Behördenleitung (wie dem Mobilfunkgipfel am 12. Juli 2018). Das Gericht ist aber überzeugt, dass die Präsidentenkammer dem massiven Druck von Seiten des BMVI zumindest teilweise nachgegeben hat. Das BMVI versuchte während des gesamten Vergabeverfahrens im Jahr 2018 in erheblicher Weise, auf die Entscheidungen der Präsidentenkammer Einfluss zu nehmen, indem es sich für strengere Versorgungsverpflichtungen einsetzte. Parallel zum streitigen Verfahren fand am 12. Juli 2018 ein allein vom BMVI initiierter und vorbereiteter Mobilfunkgipfel statt, bei dem der Bund den bei der 5G-Frequenzversteigerung erfolgreichen Netzbetreibern im Fall verbindlicher Erschließungszusagen den Aufschub des Zahlungsbeginns und die Stundung der Zahlung der Auktionserlöse in Aussicht stellte.

Die Einflussnahme des BMVI auf das Verfahren zeigt sich in der Gesamtschau verschiedener Reaktionen der Präsidentenkammer, etwa zu Beginn des Verfahrens im Zurückziehen erster Erwägungen, oder in der terminlichen Gestaltung des Verfahrens wie der aus Rücksicht auf das BMVI erfolgten Verlegung der mündlichen Anhörung auf den Tag nach dem Mobilfunkgipfel. Darüber hinaus gab es nach der Veröffentlichung des Konsultationsentwurfs im September 2018 mehrere persönliche Treffen zwischen Mitgliedern der Präsidentenkammer und den damaligen Bundesministern Scheuer und Altmaier sowie dem seinerzeitigen Chef des Bundeskanzleramts Prof. Dr. Braun. Bei diesen Treffen wurde die Präsidentenkammer nachdrücklich zu Änderungen des Entwurfs aufgefordert, u.a. wurde ihr ein ,Fünf-Punkte-Plan‘ zur Sicherstellung der im Koalitionsvertrag der Großen Koalition enthaltenen Ziele im Bereich Mobilfunk übergeben. Zwar sind politische Stellungnahmen unschädlich, soweit Ministerien diskursive Beteiligungsrechte wahrnehmen, die ihnen in einem institutionalisierten Rahmen zukommen. Ein solcher Rahmen lag hier aber weder vor noch wurde er durch die Präsidentenkammer geschaffen. Die mangelnde Transparenz ließ für die am Vergabeverfahren beteiligten Kreise den Eindruck eines politischen und damit für die Frequenzversteigerung sachwidrigen ‚Nebenverfahrens‘ entstehen.

Aus denselben Gründen ist das Gericht überzeugt, dass es im Vergabeverfahren zu einem Verstoß gegen die unionsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur als nationaler Regulierungsbehörde gekommen ist. Dies folgt nicht schon daraus, dass das BMVI die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur etwa nicht respektierte. Der Verstoß ergibt sich daraus, dass die Bundesnetzagentur ihre Unabhängigkeit nicht ausreichend aktiv geschützt hat, indem sie die ministeriellen Einflussnahmeversuche weder auf Ebene der Ministertreffen noch auf Facharbeitsebene unterbunden hat.

Nach alledem leidet die Präsidentenkammerentscheidung auch an einem materiellen Fehler im Abwägungsvorgang. Da die Forderungen des BMVI teilweise Eingang in die Vergaberegeln gefunden haben, kann die Annahme einer faktischen Vorfestlegung nicht ausgeschlossen werden. Es liegt vielmehr nahe, dass die Präsidentenkammer ihre Entscheidung ohne die massive Einflussnahme durch das BMVI im Einzelnen anders ausgestaltet hätte.“

Gegen die Entscheidung steht den Beteiligten die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu, über die – sofern das Verwaltungsgericht Köln der Beschwerde nicht abhelfen würde – das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheiden würde.

Aktenzeichen: 1 K 1281/22 (vormals 9 K 8489/18) und 1 K 8531/18



OLG Dresden: Auch einmalige Zusendung einer E-Mail mit Sponsoringanfrage ist unzulässige E-Mail-Werbung und begründet Unterlassungsanspruch

OLG Dresden
Hinweisbeschluss vom 24.06.2024
4 U 168/24


Das OLG Dresden hat in einem Hinweissbeschluss im Rahmen eines Berufungsverfahrens ausgeführt, dass auch die einmalige Zusendung einer E-Mail mit einer Sponsoringanfrage unzulässige E-Mail-Werbung ist und einen Unterlassungsanspruch begründet.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die negatorische Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Der Beklagten steht gegen die Klägerin ein Anspruch auf Unterlassung der Zusendung der beanstandeten Email wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu gem. § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1, § 831 BGB.

a) Ein Unterlassungsanspruch kann hier allerdings nicht auf § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 UWG gestützt werden, auch wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen. Denn von einem Verstoß gegen diese Regelung betroffene Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer sind nach der abschließenden Regelung des § 8 Abs. 3 UWG nicht berechtigt, selbst Ansprüche auf Unterlassung gemäß § 8 Abs. 1 UWG geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2017 – VI ZR 721/15 –, BGHZ 214, 204-219, Rn. 10ff – juris m.w.N.).

3. Das von der Klägerin veranlasste Zusenden der E-Mail stellt aber einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht der Beklagten am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.

a) Die Maßstäbe des § 7 UWG kommen zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch im Rahmen der Prüfung eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1 BGB zur Anwendung (vgl. BGH, a.a.O. m.w.N., BGH Urteil vom 21. April 2016 - I ZR 276/14, GRUR 2016, 831 Rn. 16; Urteil vom 20. Mai 2009 - I ZR 218/07, GRUR 2009, 980 Rn. 14; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 7 Rn. 14; Koch in Ullmann, jurisPK-UWG, 4. Aufl., § 7 Rn. 359).

b) Die streitgegenständliche Email der Klägerin fällt unter den Begriff der Werbung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 Fall 3, Abs. 3 UWG. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG i.d.F.v. 10.8.2021 ist davon umfasst jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen unmittelbar und objektiv zusammenhängt; als Waren gelten auch Grundstücke und digitale Inhalte, Dienstleistungen sind auch digitale Dienstleistungen, als Dienstleistungen gelten auch Rechte und Verpflichtungen (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – VI ZR 225/17 –, BGHZ 219, 233-242, Rn. 17 – 18 m.w.N.). Ihrem Inhalt nach ist die Email vom 03.02.2023 auf Absatzförderung von Dienstleistungen der Klägerin im Rahmen der Veranstaltung am 09.03.2023 in Leipzig gerichtet, für die die Klägerin Sponsoren einwerben wollte. Die Beklagte sollte die Shopify-Veranstaltung der Klägerin mittels Zurverfügungstellung kostenfreier Getränke fördern und unterstützen, wofür die Klägerin im Gegenzug anbot, Werbemittel der Beklagten aufzustellen zu wollen. Das Angebot der Klägerin lässt den Werbecharakter der Email nicht entfallen. Werbemittel aufzustellen stellt keine – erst recht nicht adäquate - Bezahlung einer Getränkeliefererung der Beklagten dar. Zudem ist in der Email mehrfach von einem „Sponsoring“ der Veranstaltung der Klägerin die Rede. Mit dem Begriff wird im allgemeinen Sprachgebrauch die kostenfreie Unterstützung fremder Zwecke bezeichnet, hier konkret die von der Klägerin entsprechend ihrem Unternehmenszweck angebotenen Dienstleistungen. Hinzu kommt, dass auch die Beklagte E-Commerce betreibt und die Shopify-Veranstaltung der Klägerin auf in diesem Bereich tätige Unternehmen abzielte. Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, mit ihrem Angebot zur Aufstellung von Werbemitteln habe sie lediglich eine Geschäftsbeziehung im Sinne eines gegenseitigen Vertrages beabsichtigt, da Werbung im Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen über Waren und Dienstleistungen unter die obige Legaldefinition fällt. Vor diesem Hintergrund kann der Werbecharakter der Email der Klägerin nicht in Zweifel gezogen werden.

c) Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, aus der vom Landgericht zitierten Rechtsprechung des BGH folge nicht, dass auch in der unverlangten einmaligen E-Mail-Versendung ein rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegen könne. Vielmehr wird in der Entscheidung vom 20.05.2009 – I ZR 218/07 – ausdrücklich klargestellt:

„In Rechtsprechung und Schrifttum ist die Frage umstritten, ob die unverlangte Zusendung von E-Mails mit Werbung an Gewerbetreibende einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Zum Teil wird ein rechtswidriger Eingriff in das geschützte Rechtsgut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs jedenfalls bei einer einmaligen Zusendung einer E-Mail mit Werbung verneint (AG Dresden NJW 2005, 2561; Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl., § 7 Rdn. 199; Ohly in Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl., § 7 Rdn. 22; Baetge, NJW 2006, 1037, 1038). Die überwiegende Ansicht in der Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums bejahen dagegen auch bei einer einmaligen E-Mail-Versendung eine entsprechende Rechtsverletzung (KG MMR 2002, 685; GRUR-RR 2005, 66; OLG München MMR 2004, 324; OLG Düsseldorf MMR 2004, 820; OLG Bamberg MMR 2006, 481; OLG Naumburg DB 2007, 911; LG Berlin NJW 2002, 2569; Fezer/Mankowski, UWG, § 7 Rdn. 97; Koch in Ullmann, jurisPK-UWG, 2. Aufl., § 7 Rdn. 189). Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen. ...“

Diese Auffassung hat der BGH auch nochmals mit Urteilen vom 12.09.2013 und vom 10.07. 2018 ( – I ZR 208/12 –, Rn. 15ff; – VI ZR 225/17 –, beide juris) bestätigt.

d) Ebenso ohne Erfolg bleibt der Einwand der Berufung, es habe sich nicht um eine massenhafte Versendung einer Werbeemail bspw. mittels Newsletter, sondern um eine auf einen konkreten Anlass – die Veranstaltung am 09.03.2023 - bezogene Sponsorenanfrage gehandelt, für deren Unterbindung keine weitere Maßnahme wie ein Widerspruch erforderlich gewesen sei, so dass die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze im vorliegenden Fall nicht anwendbar seien. Abgesehen davon, dass bei der Beklagten als Getränkelieferant Sponsorenanfragen häufig eingehen dürften, kann bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um massenhaft auftretende Werbung und welche Folgen diese nach sich zieht, nicht auf den Absender und dessen konkrete Handhabung des Einsatzes von Werbeemails abgestellt werden. Vielmehr ist für die Frage der Zulässigkeit nur der Empfänger und die bei ihm eintretenden Störungen des Betriebsablaufs maßgeblich sowie die Frage, welche Folgen eine Sanktionslosigkeit des Werbeemailversands für ihn hat. Gegenstand des Schutzes ist die Verhinderung des Eindringens des Werbenden in die geschäftliche Sphäre, insbesondere die Ungestörtheit der Betriebsabläufe des sonstigen Marktteilnehmers; es soll verhindert werden, dass dem Marktteilnehmer Werbemaßnahmen gegen seinen erkennbaren und mutmaßlichen Willen aufgedrängt werden (vgl. BGH, a.a.O., m.w.N.). Verhindert werden soll darüber hinaus, dass die belästigende Werbung zu einer Bindung von Ressourcen des Empfängers führt (BGH, Urteil vom 1. Juni 2006 - I ZR 167/03, GRUR 2007, 164 Rn. 9). Unverlangt zugesendete E-Mail-Werbung erfolgt betriebsbezogen und beeinträchtigt den Betriebsablauf im Unternehmen des Empfängers. Das Verwenden von E-Mails mit unerbetener Werbung, die der Empfänger jeweils einzeln sichten muss führt daher zu einer nicht unerheblichen Belästigung, auch wenn kein Widerspruch erforderlich ist, um eine weitere Zusendung zu unterbinden. Es kann daher nicht darauf ankommen, ob der Emailversand für die Klägerin einmalig und anlassbezogen gewesen ist – wovon der Senat allerdings auch nicht ausgeht, da Sponsorensuche, Veranstaltungsorganisation sowie Werbung von und für E-Commerce Kunden u.a. zum Geschäftsfeld der Klägerin gehören dürften.

e) Der Eingriff in das Recht der Beklagten am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist auch im Übrigen rechtswidrig. Die aufgrund seines Charakters als Rahmenrecht erforderliche Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien geht zu Lasten der Klägerin aus, wie schon der Wertung des § 7 Abs. 2 UWG zu entnehmen ist. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG stellt - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 3 UWG - jede Werbung unter Verwendung elektronischer Post ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten (dazu unter f) stets eine unzumutbare Belästigung dar (vgl. BGH, Beschluss vom 20.05.2009, a.a.O.; OLG Frankfurt, Urteil vom 24.11.2016 – 6 U 33/16 –, Rn. 19 - 21, juris). Zwar ist einerseits zu berücksichtigen, dass die unerwünschte Werbung die Interessen der Beklagten nur vergleichsweise geringfügig beeinträchtigte, zumal sie die Sponsorenanfrage einfach ignorieren konnte. Andererseits musste sich die Beklagte mit der Anfrage zumindest gedanklich beschäftigen. Zwar mag sich der Arbeitsaufwand bei einer einzelnen E-Mail in Grenzen halten. Mit der häufigen Verwendung von solchen Anfragen ist aber dann zu rechnen, wenn eine Sponsorensuche per Email zulässig ist, auch wenn sie mit einem allgemeinen Angebot, die Veranstaltung selbst für werbliche Zwecke zu nutzen, verbunden ist. Denn im Hinblick auf die billige, schnelle und durch Automatisierungsmöglichkeit

arbeitssparende Versendungsmöglichkeit und ihrer günstigen Werbewirkung ist mit einem Umsichgreifen dieser Werbeart zu rechnen (so auch BGH, a.a.O.). Eine bei isolierter Betrachtung unerhebliche Belästigung kann Mitbewerber zur Nachahmung veranlassen, wobei durch diesen Summeneffekt eine erhebliche Belästigung entstehen kann. Das Interesse der Beklagten an Unterlassung überwiegt daher das Interesse der Klägerin, der Beklagten Werbung mit elektronischer Post ohne ihr Einverständnis zuzuleiten. Auch hier gilt, dass der Schutz der geschäftlichen Sphäre, insbesondere die Ungestörtheit der Betriebsabläufe, vorrangig gegenüber dem wirtschaftlichen Gewinnstreben von anderen Unternehmen oder Gewerbetreibenden ist und dass die berechtigten Interessen der gewerblichen Wirtschaft, ihre Produkte werbemäßig anzupreisen, es angesichts der Vielfalt der Werbemethoden nicht erfordern, mit der Werbung in die internen Betriebsabläufe einzudringen (vgl. BGH, a.a.O. und Urteil vom 27.01.2000 - I ZR 241/97, GRUR 20, 818, 819 zu Telefonwerbung).

f) Die Klägerin konnte auch nicht davon ausgehen, dass die Zusendung der Email von einer vorherigen Einwilligung der Beklagten gedeckt war, da die Kontaktaufnahme über die auf der Webseite der Beklagten veröffentlichte Email-Anschrift erfolgt ist oder die Beklagte bereits zuvor im Bereich des Sponsoring aktiv gewesen sein sollte.

Nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG sind die dort aufgeführten Maßnahmen der Direktwerbung, zu denen auch die E-Mail - Werbung gehört, stets als unzumutbare Belästigung anzusehen, wenn nicht die vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten vorliegt. Der Begriff der "Einwilligung" muss richtlinienkonform dahingehend bestimmt werden, dass es sich um eine Willensbekundung handelt, die ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt (Köhler/Bornkamm aaO., Rn 185 zu § 7 UWG). Mit dem Merkmal "für den konkreten Fall" soll ausgeschlossen werden, dass die Veröffentlichung einer E-Mail-Adresse oder eines Fax-Anschlusses als "Generaleinwilligung" in die Zusendung von Werbemitteilungen bewertet wird (OLG Frankfurt, a.a.O.).

aa) Bei Werbung durch elektronische Post reicht eine mutmaßliche Einwilligung des Adressaten nicht aus, allenfalls eine konkludente. Bei der Frage, ob eine solche Einwilligung vorliegt, ist lediglich im Falle von E-Mails, mit denen gegenüber einem Gewerbetreibenden eine Nachfrage geäußert wird, ein großzügiger Maßstab anzulegen, da es Sinn und Zweck eines Unternehmens ist, eine Nachfrage zu befriedigen (vgl. Seichter in: Seichter, jurisPK-UWG, 5. Aufl., § 7 UWG (Stand: 12.12.2023), Rn. 250). Eine ausdrückliche oder zumindest konkludente Einwilligung ergibt sich aber noch nicht daraus, dass der umworbene Händler auf seiner Homepage auch seine E-Mail-Anschrift angibt, wenn sich diese Angabe erkennbar nur an Endkunden richtet (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25. Oktober 2007 – 4 U 89/07 –, juris). Bei der Klägerin handelte es sich nicht um eine Endkundin, sie konnte daher aufgrund der auf der Webseite der Beklagten eröffneten Kontaktmöglichkeit nicht davon ausgehen, dass sie ihre Sponsorenanfrage über diese Email-Adresse der Beklagten übermitteln konnte.

bb) Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte in der Vergangenheit bereits im Bereich des Sponsoring tätig gewesen sei, abgesehen davon, dass der - bestrittene - Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren verspätet sein dürfte. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, lässt ein offenbar zeitlich zurückliegendes Sponsoring einer Veranstaltung der Uni Leipzig erkennbar nicht den Schluss darauf zu, dass die Beklagte zukünftig damit einverstanden gewesen wäre, auch von anderen Firmen Sponsorenanfragen per Email zu erhalten. Auch im Rahmen der Abwägung lässt eine frühere Sponsorentätigkeit die Rechtswidrigkeit der Emailzusendung nicht entfallen.

4. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch das festgestellte rechtsverletzende Verhalten der Klägerin indiziert (BGH, Urteil vom 15.12.2015 - VI ZR 134/15, AfP 2016, 149 Rn. 23; BGH, Urteil vom 12. September 2013 - I ZR 208/12, VersR 2014, 1462 Rn. 25 f. mwN - Empfehlungs-E-Mail). Die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hat die Klägerin abgelehnt.




EuGH: Zugriff von Behörden auf mit IP-Adressen verknüpfte Identitätsdaten zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen im Internet als ultima ratio zulässig

EuGH
Urteil vom 30.04.2024
C-470/21
La Quadrature du Net u. a.
(Personenbezogene Daten und Bekämpfung von Verletzungen der Rechte des geistigen Eigentums)


Der EuGH hat entschieden, dass der Zugriff von Behörden auf mit IP-Adressen verknüpfte Identitätsdaten zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen im Internet als ultima ratio zulässig ist.

Tenor der Entscheidung:
Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die der mit dem Schutz von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten vor Verletzungen dieser Rechte im Internet betrauten Behörde den Zugang zu den von den Betreibern öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste auf Vorrat gespeicherten Identitätsdaten, die IP-Adressen zuzuordnen sind, die zuvor von Einrichtungen der Rechteinhaber gesammelt wurden, gestattet, damit die Behörde die Inhaber dieser für Aktivitäten, die solche Rechtsverletzungen darstellen können, genutzten Adressen identifizieren und gegebenenfalls Maßnahmen gegen sie ergreifen kann, unter der Voraussetzung, dass nach dieser Regelung

– diese Daten zu Bedingungen und unter technischen Modalitäten gespeichert werden, die gewährleisten, dass es ausgeschlossen ist, dass aus der Vorratsspeicherung genaue Schlüsse auf das Privatleben der Inhaber der IP-Adressen, z. B. durch Erstellung ihres detaillierten Profils, gezogen werden können, was insbesondere dadurch erreicht werden kann, dass den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste eine Pflicht zur Vorratsspeicherung der verschiedenen Kategorien personenbezogener Daten wie Identitätsdaten, IP-Adressen sowie Verkehrs- und Standortdaten auferlegt wird, die eine wirksame strikte Trennung dieser verschiedenen Datenkategorien gewährleistet, mit der im Stadium der Speicherung jede kombinierte Nutzung dieser verschiedenen Datenkategorien verhindert wird, und die Dauer der Speicherung das absolut notwendige Maß nicht überschreitet;

– der Zugang dieser Behörde zu solchen wirksam strikt getrennt auf Vorrat gespeicherten Daten ausschließlich dazu dient, die Person zu identifizieren, die im Verdacht steht, eine Straftat begangen zu haben, und dieser Zugang mit den erforderlichen Garantien versehen ist, um auszuschließen, dass er, abgesehen von atypischen Situationen, genaue Schlüsse auf das Privatleben der Inhaber der IP-Adressen ermöglichen kann, z. B. durch die Erstellung ihres detaillierten Profils, was insbesondere impliziert, dass es den Bediensteten dieser Behörde, denen ein solcher Zugang gestattet worden ist, untersagt ist, Informationen über den Inhalt der von den Inhabern der IP-Adressen konsultierten Dateien, außer zum alleinigen Zweck der Befassung der Staatsanwaltschaft, in welcher Form auch immer offenzulegen, die von diesen Personen besuchten Internetseiten nachzuverfolgen und allgemeiner die IP-Adressen zu anderen Zwecken als dem der Identifizierung ihrer Inhaber im Hinblick auf den Erlass etwaiger gegen sie gerichteter Maßnahmen zu nutzen;

– die Möglichkeit für die bei der betreffenden Behörde mit der Prüfung des Sachverhalts betrauten Personen, solche Daten mit Dateien zu verknüpfen, die Elemente enthalten, denen sich der Titel geschützter Werke entnehmen lässt, deren Bereitstellung im Internet die Sammlung der IP-Adressen durch Einrichtungen der Rechteinhaber gerechtfertigt hat, in Fällen der erneuten Entfaltung einer Aktivität, mit der dieselbe Person Urheberrechte oder verwandte Schutzrechte verletzt, von einer Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle abhängig gemacht wird, wobei die Kontrolle nicht vollständig automatisiert sein darf und vor einer solchen Verknüpfung erfolgen muss, da diese es in derartigen Fällen ermöglichen kann, genaue Schlüsse auf das Privatleben der Person zu ziehen, deren IP-Adresse für Aktivitäten genutzt wurde, die möglicherweise Urheberrechte oder verwandte Schutzrechte verletzen;

– das von der Behörde verwendete Datenverarbeitungssystem in regelmäßigen Abständen einer zur Überprüfung der Integrität des Systems, einschließlich wirksamer Garantien zum Schutz vor den Gefahren eines missbräuchlichen oder unberechtigten Zugangs zu den Daten und ihrer missbräuchlichen oder unberechtigten Nutzung, sowie seiner Wirksamkeit und Zuverlässigkeit bei der Aufdeckung etwaiger Verstöße dienenden Kontrolle durch eine unabhängige Stelle unterliegt, bei der es sich im Verhältnis zu dieser Behörde um einen Dritten handelt.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: