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LG Kiel: Unzulässige Klage eines Abgeordneten gegen Meta / Facebook wegen der automatisierten Kontrolle von Facebook-Messenger-Chatverläufen auf illegale Inhalte

LG Kiel
Urteil vom 04.04.2024
13 O 40/23


Das LG Kiel hat vorliegend die Klage eines Abgeordneten gegen Meta / Facebook wegen der automatisierten Kontrolle von Facebook-Messenger-Chatverläufen auf illegale Inhalte als unzulässig abgewiesen (fehlende internationale Zuständigkeit und zu unbestimmter Antrag).

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Das Landgericht Kiel ist international nicht zuständig.

Eine Zuständigkeit folgt bereits nicht aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, in einem anderen Mitgliedstaat u.a. dann, wenn eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, verklagt werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Zwar hat die Beklagte ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, nämlich in Irland. Denn gemäß Art. 63 Abs. 1 Buchst. a), Abs. 2 EuGVVO haben Gesellschaften und juristische Personen für die Anwendung der Verordnung ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich u.a. ihr satzungsmäßiger Sitz befindet.

Allerdings liegt der Ort des Eintritts des schädigenden Ereignisses nicht im Gerichtsbezirk des Landgerichts Kiel, sondern am Ort des Interessenmittelpunktes des Klägers in Brüssel. Der Begriff des Anknüpfungspunktes, der Ort, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ ist, wie der Begriff der unerlaubten Handlung, autonom auszulegen. International zuständig nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Das schädigende Ereignis i.S.d. Nr. 2 ist sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (vgl. BeckOK ZPO/Thode, 51. Ed. 1.12.2023, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 81, 82 mwN). Der Erfolgsort liegt dort, wo das geschützte Rechtsgut tatsächlich oder voraussichtlich verletzt wird, d.h. an dem Ort, an dem „die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten“ (vgl. EuGH EuZW 1995, 248 Rn. 28 – Shevill und andere/Presse Alliance). Der Ort der mittelbaren Folgeschäden ist für die Zuständigkeitsbegründung gem. Nr. 2 nicht relevant. Bei Internetdelikten, insbesondere bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet ist Erfolgsort der Ort des Interessenmittelpunktes (vgl. BeckOK IT-Recht/Rühl, 12. Ed. 1.10.2023, VO (EU) Nr. 1215/2012 Art. 7 Rn. 15). Der Ort, an dem eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen hat, entspricht im Allgemeinen ihrem gewöhnlichen Aufenthalt. Jedoch kann eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen auch in einem anderen Mitgliedstaat haben, in dem sie sich nicht gewöhnlich aufhält, sofern andere Indizien wie die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit einen besonders engen Bezug zu diesem Staat herstellen können (EuGH, NJW 2012, 137 Rn. 49).

Der Kläger hat schon nicht darzulegen vermocht, dass sein Interessenmittelpunkt im Gerichtsbezirk des Landgerichts Kiel liegt. Auch der nach dem Hinweis der Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 01.02.2024 erfolgte weitere Vortrag des Klägers, er habe in Kiel eine Eigentumswohnung sowie familiäre Beziehungen, ist vorliegend nicht ausreichend, um den Interessenmittelpunkt, nach den dargestellten Maßstäben, des Klägers in Kiel zu begründen. Vielmehr bestimmt sich der Interessenmittelpunkt des Klägers aufgrund seiner Tätigkeit als Abgeordneter im Europäischen Parlament in Brüssel. Die berufliche Tätigkeit des Klägers als Abgeordneter bestimmt im Wesentlichen seinen derzeitigen Aufenthaltsort. So unterhält der Kläger ebenfalls eine Wohnung in Brüssel, um seiner parlamentarischen Arbeit nachgehen zu können. Dass der Kläger in Brüssel keine Familie hat, ist insofern für die Entscheidung über den tatsächlichen Interessenmittelpunkt unerheblich.

Selbst wenn man diesen Vortrag für ausreichend erachten würde, wäre der Kläger insofern beweisfällig geblieben. Denn er hat auch auf den Hinweis der Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 01.02.2024 keinen Beweis angeboten.

Eine internationale Zuständigkeit des Landgerichts Kiel folgt auch nicht aus Art. 17 Abs. 1, 18 EuGVVO. Nach Art. 17 Abs. 1 lit. c) EUGVVO bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 6 und des Artikels 7 Nr. 5 nach diesem Abschnitt (heißt hier: Art. 18 EuGVVO), wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, Gegenstand des Verfahren sind und wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Der Kläger hat nicht als Verbraucher den Vertrag mit der Beklagten geschlossen. Der Verbraucherbegriff ist eng auszulegen und anhand der Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrags in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht anhand ihrer subjektiven Stellung zu bestimmen (EuGH, NJW 2018, 1003 Rn. 29).

Bei Verträgen, die sowohl privaten als auch beruflichen oder gewerblichen Zwecken dienen, liegt kein Verbrauchergeschäft vor, es sei denn, der beruflich-gewerbliche Zweck ist derart nebensächlich, dass er im Gesamtzusammenhang des betreffenden Geschäfts nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt (EuGH NJW 05, 653; Mankowski IPRax 05, 503). Vorliegend hat der Kläger die streitgegenständliche F-Seite „X“ im Januar 2019 aus Anlass seiner Kandidatur zur Europawahl 2019 für Wahlkampfzwecke eingerichtet. Die Einrichtung der F-Seite und damit auch die Nutzung des F-Messengers diente hiernach ausschließlich beruflichen Zwecken des Klägers.

Entgegen der Auffassung des Klägers stellt seine Tätigkeit als Abgeordneter auch eine berufliche Tätigkeit dar. Von Art. 17 EuGVVO werden nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nur Verträge erfasst, die eine Einzelperson ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen allein zu dem Zweck schließt, ihren Eigenbedarf beim privaten Verbrauch zu decken (EuGH, EuZW 2022, 1061 Rn. 53, beck-online). Es ist entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht danach zu unterscheiden, ob es sich bei der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit um eine selbständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung handelt. Es ist lediglich zu ermitteln, ob der Vertrag ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen geschlossen worden ist (EuGH, EuZW 2022, 1061 Rn. 54, beck-online). Hierbei sind insbesondere die mit dem Abschluss dieses Vertrags verfolgten gegenwärtigen oder zukünftigen Ziele zu berücksichtigen (EuGH, EuZW 2023, 420 Rn. 28).

Diesen Grundsätzen zufolge ist der streitgegenständliche Vertrag ausschließlich im Zusammenhang mit den beruflichen bzw. politischen Interessen des Klägers und seiner Tätigkeit als Abgeordneter abgeschlossen worden. Der Kläger nutzt die F-Seite unstreitig ausschließlich zu diesen beruflichen Zwecken. Auch die Einrichtung der F-Seite erfolgte einzig zu Wahlkampfzwecken im Hinblick auf die Europawahl im Mai 2019.

2. Darüber hinaus ist der Klageantrag nicht hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO. Unterlassungsanträge müssen so konkret gefasst sein, dass bei einer Rechtsverteidigung und der Vollstreckung klar ist, worauf sich das Verbot erstreckt (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 253 ZPO, Rn. 13b).

Dabei genügt die bloße Wiedergabe unbestimmter Tatbestandsmerkmale der verletzten Rechtsnorm in der Regel nicht (vgl. BGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 – I ZR 143/04 –, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 12. März 2020 – I ZR 126/18 –, BGHZ 225, 59-90, Rn. 39, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze genügt der vom Kläger gestellte Unterlassungsantrag dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO nicht.

Der Unterlassungsantrag bezieht sich verallgemeinert darauf es zu unterlassen, „den Inhalt und die näheren Umstände von mittels „F-Messenger“ versandten Nachrichten von und an den Kläger zur Suche nach möglicherweise rechtswidrigen Inhalten oder Kontaktaufnahmen automatisiert zu analysieren, zu kontrollieren und an Dritte weiterzugeben“. Dieser Antrag gibt lediglich formelhaft die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 TTDSG in verallgemeinerter Form wieder, ohne dabei konkret auf das begehrte Verbot einzugehen. Wie der Kläger mit Schriftsatz vom 27.02.2024 (Bl. 325 f. d.A.) klargestellt hat, begehrt er das Unterlassen einer allgemeinen Kontrolle/Analyse und Weitergabe seiner Nachrichten und gerade nicht nur im Hinblick auf kinderpornografische Inhalte (sog. CSAM). Wie eine anderweitige Kontrolle der Beklagten indes aussehen soll, trägt der Kläger nicht vor.

Insoweit genügt der Antrag gerade nicht noch den Bestimmtheitserfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dies ist wäre dann der Fall, wenn der Kläger hinreichend deutlich macht, dass er nicht ein Verbot im Umfang des Gesetzeswortlauts beansprucht, sondern sich mit seinem Unterlassungsbegehren an der konkreten Verletzungshandlung orientiert. Die Bejahung der Bestimmtheit setzt in solchen Fällen allerdings grundsätzlich voraus, dass sich das mit dem selbst nicht hinreichend klaren Antrag Begehrte im Tatsächlichen durch Auslegung unter Heranziehung des Sachvortrags des Klägers eindeutig ergibt und die betreffende tatsächliche Gestaltung zwischen den Parteien nicht in Frage gestellt ist, sondern sich der Streit der Parteien ausschließlich auf die rechtliche Qualifizierung der angegriffenen Verhaltensweise beschränkt (BGH, GRUR 2017, 537 Rn. 12 - Konsumgetreide, mwN; BGH, Urteil vom 12. März 2020 – I ZR 126/18 –, BGHZ 225, 59-90, Rn. 39). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Auch unter Heranziehung des Sachvortrags des Klägers ist nicht ersichtlich, welche Verhaltensweise der Kläger von der Beklagten tatsächlich begehrt.

3. Darüber hinaus fehlt es dem Kläger auch an einem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Mit dem Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses als Einschränkung des durch Art. 20 Abs. 3 GG iVm Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich abgesicherten Justizgewährleistungsanspruchs (lediglich) soll verhindert werden, dass die Gerichte als Teil der Staatsgewalt unnütz oder gar unlauter bemüht werden oder ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Verfolgung zweckwidriger und insoweit nicht schutzwürdiger Ziele ausgenutzt wird. Es sollen solche Klagebegehren nicht in das Stadium der Begründetheitsprüfung gelangen, die – gemessen am Zweck des Zivilprozesses – ersichtlich eines staatlichen Rechtsschutzes durch eine materiell-rechtliche Prüfung nicht bedürfen (vgl. BGH, NJW-RR 2022, 660 Rn. 16).

Vorliegend fehlt es an diesen Voraussetzungen.

Zum einen kann der Kläger seine von ihm aufgeführten Interessen effektiver und schneller durchsetzen, indem er in den Chats manuell die „Ende-zu-Ende“- Verschlüsselung aktiviert (vgl. OLG Hamm, GRUR 2023, 1791 Rn. 217 f.). Eine Kontrolle der Nachrichten auf kinderpornografische Inhalte ist insofern nach dem übereinstimmenden Parteivortrag nicht mehr möglich.

Zum anderen geht es dem Kläger vorliegend nicht um den Schutz seiner Individualinteressen, sondern um die Durchsetzung einer politischen Kampagne. Dies kann indes nicht im Rahmen eines Zivilprozesses verfolgt werden.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nach der EuGVVO im Gestattungsverfahren zur Bestandsdatenauskunft durch Anbieter von Telemedien

BGH
Beschluss vom 28.09.2023
III ZB 25/21
TTDSG § 21 Abs. 2 bis 4; Verordnung (EU) 1215/2012 Art. 7 Nr. 2


Leitsatz des BGH:
Die Geltendmachung deliktischer Ansprüche gegen einen Dritten genügt nicht, um im Gestattungsverfahren zur Bestandsdatenauskunft durch Anbieter von Telemedien den Deliktsgerichtsstand der EuGVVO zu begründen.

BGH, Beschluss vom 28. September 2023 - III ZB 25/21 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Bei verunglimpfenden Äußerungen im Internet kann Schadensersatz vor Gericht in jedem Mitgliedsstaat eingeklagt werden wo der Inhalt aufrufbar war

EuGH
Urteil vom 21.12.2021
C-251/20
Gtflix Tv gegen DR


Der EuGH hat entschieden, dass bei verunglimpfenden Äußerungen im Internet Schadensersatz vor Gericht in jedem Mitgliedsstaat eingeklagt werden kann, wo der Inhalt aufrufbar war. Dabei kann aber nur Schadensersatz hinsichtlich des im jeweiligen Mitgliedsland entstandenen Schadens eingeklagt werden.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Verbreitung angeblich verunglimpfender Äußerungen über das Internet: Ersatz des dadurch im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entstandenen Schadens kann vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates eingeklagt werden

Diese Zuständigkeit setzt lediglich voraus, dass der verletzende Inhalt in diesem Hoheitsgebiet zugänglich ist oder war.

Gtflix Tv (im Folgenden: Antragstellerin) ist eine Gesellschaft mit Sitz in der Tschechischen Republik, die audiovisuelle Inhalte für Erwachsene produziert und verbreitet. DR, der seinen Wohnsitz in Ungarn hat, ist beruflich im selben Bereich tätig.

Die Antragstellerin, die DR vorwirft, er habe sich auf verschiedenen Websites verunglimpfend über sie geäußert, beantragte bei den französischen Gerichten zum einen die Entfernung dieser Äußerungen sowie die Richtigstellung der veröffentlichten Angaben und zum anderen Ersatz für den durch diese Äußerungen entstandenen Schaden. Die französischen Gerichte sowohl des ersten als auch des zweiten Rechtszugs erklärten sich für unzuständig.

Vor der Cour de cassation (Frankreich) verlangt die Antragstellerin nun Aufhebung des Urteils der Cour d’appel (Berufungsgericht). Dieses Gericht habe gegen die besondere Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/20121 verstoßen, wonach die Gerichte „des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“, zuständig seien, indem sie die Zuständigkeit der französischen Gerichte mit der Begründung ausgeschlossen habe, dass es nicht ausreiche, dass die als verunglimpfend erachteten Äußerungen, die im Internet veröffentlicht wurden, im Zuständigkeitsbereich dieses Gerichts zugänglich seien, sondern dass sie zudem geeignet sein müssten, in diesem Zuständigkeitsbereich einen Schaden zu verursachen.

Da nach Auffassung des vorlegenden Gerichts der Mittelpunkt der Interessen der Antragstellerin in der Tschechischen Republik liegt und DR seinen Wohnsitz in Ungarn hat, hat es entschieden, dass die französischen Gerichte für die Entscheidung über den Antrag auf Entfernung angeblich verunglimpfender Äußerungen und die Richtigstellung der veröffentlichten Angaben unzuständig seien. Das vorlegende Gericht hat jedoch dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die französischen Gerichte für die Entscheidung über den Antrag auf Ersatz des Schadens zuständig sind, der der Antragstellerin im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats dieser Gerichte entstanden ist, selbst wenn sie nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig sind.

Der Gerichtshof (Große Kammer) erläutert in seinem Urteil, wie bei Klagen betreffend über das Internet verursachte Schäden das unter dem Gesichtspunkt des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs zuständige Gericht zu bestimmen ist.

Würdigung durch den Gerichtshof
Der Gerichtshof stellt fest, dass eine Person, die der Ansicht ist, dass ihre Rechte durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen über sie im Internet verletzt worden seien, und die sowohl auf Richtigstellung der Angaben und Entfernung der sie betreffenden veröffentlichten Inhalte als auch auf Ersatz des aus dieser Veröffentlichung entstandenen Schadens klagt, vor den
Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet diese Äußerungen zugänglich sind oder waren, Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihr in dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts entstanden sein soll, selbst wenn diese Gerichte nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig sind.

Zur Begründung dieses Ergebnisses weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach seiner Rechtsprechung die besondere Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012, wonach die Gerichte „des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“, zuständig sind, sowohl den Ort des ursächlichen Geschehens als auch
den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs meint und jeder der beiden Orte je nach Lage des Falles für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Prozesses einen besonders sachgerechten Anhaltspunkt liefern kann.

Was mutmaßliche Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte mittels auf einer Website veröffentlichter Inhalte betrifft, weist der Gerichtshof auch darauf hin, dass die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, die Möglichkeit hat, entweder, unter dem Gesichtspunkt des Ortes des ursächlichen Geschehens, bei den Gerichten des Ortes, an dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder, unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung des Schadenserfolgs, bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, eine Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben.

Anstelle einer Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind jedoch nur für die erhobenen Beweise den Eintritt und die Höhe des geltend gemachten Schadens zu beurteilen.

Schließlich setzt die Zuständigkeit dieser Gerichte für die Entscheidung allein über Schäden, die im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats entstanden sind, lediglich voraus, dass der verletzende Inhalt in diesem Hoheitsgebiet zugänglich ist oder war, da Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 insoweit keine zusätzliche Voraussetzung enthält. Die Einführung zusätzlicher Voraussetzungen könnte in der Praxis dazu führen, dass der betroffenen Person die Möglichkeit genommen würde, vor den Gerichten des Ortes, in deren Zuständigkeitsbereich sie meint, einen Schaden erlitten zu haben, auf teilweisen Ersatz des Schadens zu klagen.

Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist. Folglich kann gemäß Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 in seiner Auslegung durch die bisherige Rechtsprechung eine Person, die sich durch die Veröffentlichung von Angaben auf einer Website in ihren Rechten verletzt fühlt, einen auf Richtigstellung dieser Angaben und Entfernung der veröffentlichten Inhalte gerichteten Antrag entweder bei den Gerichten stellen, die für die Entscheidung über einen Antrag auf Ersatz des gesamten Schadens zuständig sind, d. h. entweder, unter dem Gesichtspunkt des Ortes des ursächlichen Geschehens, bei den Gerichten des Ortes, an dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder, unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung des Schadenserfolgs, bei den Gerichten, in deren Zuständigkeitsbereich sich der Mittelpunkt der Interessen der betroffenen Person befindet.

Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass ein Antrag auf Richtigstellung von Angaben und Entfernung von Inhalten nicht bei einem anderen als dem Gericht gestellt werden kann, das für die Entscheidung über den gesamten Schadensersatzantrag zuständig ist, weil ein solcher Antrag auf Richtigstellung und Entfernung einheitlich und untrennbar ist.

Dagegen kann sich ein Antrag auf Schadensersatz entweder auf den vollständigen oder auf den teilweisen Ersatz eines Schadens beziehen. Somit wäre es nicht gerechtfertigt, aus diesem Grund dem Antragsteller die Möglichkeit zu nehmen, vor einem anderen Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich er meint, einen Schaden erlitten zu haben, teilweisen Ersatz des Schadens zu beantragen.

Im Übrigen ist der Ausschluss einer solchen Möglichkeit auch nicht im Hinblick auf eine geordnete Rechtspflege geboten, da ein lediglich für die Entscheidung über den in seinem Mitgliedstaat entstandenen Schaden zuständiges Gericht durchaus in der Lage ist, im Rahmen eines in diesem Mitgliedstaat durchgeführten Verfahrens und in Anbetracht der in diesem Mitgliedstaat erhobenen Beweise den Eintritt und die Höhe des geltend gemachten Schadens zu beurteilen.

Schließlich setzt die Zuständigkeit dieser Gerichte für die Entscheidung allein über Schäden, die im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats entstanden sind, lediglich voraus, dass der verletzende Inhalt in diesem Hoheitsgebiet zugänglich ist oder war, da Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 insoweit keine zusätzliche Voraussetzung enthält. Die Einführung zusätzlicher Voraussetzungen könnte in der Praxis dazu führen, dass der betroffenen Person die Möglichkeit genommen würde, vor den Gerichten des Ortes, in deren Zuständigkeitsbereich sie meint, einen Schaden erlitten zu haben, auf teilweisen Ersatz des Schadens zu klagen.


Tenor der Entscheidung:

Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine Person, die der Ansicht ist, dass ihre Rechte durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen über sie im Internet verletzt worden seien, und die sowohl auf Richtigstellung der Angaben und Entfernung der sie betreffenden veröffentlichten Inhalte als auch auf Ersatz des durch diese Veröffentlichung entstandenen Schadens klagt, vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet diese Äußerungen zugänglich sind oder waren, Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihr in dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts entstanden sein soll, selbst wenn diese Gerichte nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig sind.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




BGH legt EuGH vor: Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für Klage auf Schadensersatz bei Kaufvertragsschluss nach arglistiger Täuschung

BGH
Beschluss vom 13.10.2020
VI ZR 63/19
Verordnung (EU) 1215/2012 Art. 7 Nr. 2



Leitsatz der Entscheidung:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

Sind Art. 7 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. Nr. L 351 vom 20. Dezember 2012) dahin auszulegen, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für eine auf Schadensersatz gerichtete Klage eröffnet ist, wenn der Kläger durch arglistige Täuschung zum Abschluss eines Kaufvertrages und zur Zahlung des Kaufpreises veranlasst worden ist?

BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2020 - VI ZR 63/19 - OLG Celle - LG Hannover

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Gestattungsverfahren nach § 14 Abs. 3 - 5 TMG ist Zivilsache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO - Diensteanbieter gemäß § 14 Abs. 3 TMG sind alle Diensteanbieter gemäß § 2 Satz 1 Nr

BGH
Beschluss vom 24.09.2019
VI ZB 39/18
Brüssel-Ia-VO Art. 1 Abs. 1; DS-GVO Art. 6 Abs. 4; TMG § 14 Abs. 3 - 5


Der BGH hat entschieden, dass Gestattungsverfahren nach § 14 Abs. 3 - 5 TMG Zivilsachen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO sind und Diensteanbieter gemäß § 14 Abs. 3 TMG alle Diensteanbieter gemäß § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG sind.

Leitsätze des BGH:

a) Bei einem Gestattungsverfahren gemäß § 14 Abs. 3 - 5 TMG handelt es sich um eine Zivilsache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO.

b) § 14 Abs. 3 - 5 TMG ist eine Rechtsvorschrift, die in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz des in Art. 23 Abs. 1 Buchst. j DS-GVO genannten Ziels darstellt, Art. 6 Abs.
4 DS-GVO.

c) Diensteanbieter im Sinne von § 14 Abs. 3 TMG sind alle Diensteanbieter im Sinne von § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG.

BGH, Beschluss vom 24. September 2019 - VI ZB 39/18 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Für internationale Zuständigkeit aufgrund Satzungssitzes nach EuGVVO genügt Registerseintrag - Verwaltungs- oder Geschäftstätigkeit am Ort des Satzungssitzes nicht erforderlich

BGH
Urteil vom 14.11.2017
VI ZR 73/17
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (= Brüssel Ia-VO) Art. 63 Abs. 1 lit. a
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (= Brüssel I-VO) Art. 60 Abs. 1 lit. a


Der BGH hat entschieden, dass für die internationale Zuständigkeit aufgrund Satzungssitzes nach EuGVVO der Registerseintrag genügt. Eine Verwaltungs- oder Geschäftstätigkeit am Ort des Satzungssitzes ist nicht erforderlich

Leitsatz des BGH:

Der Begriff des satzungsmäßigen Sitzes i.S.d. Art. 63 Abs. 1 lit. a EuGVVO nF/Art. 60 Abs. 1 lit. a EuGVVO aF setzt keine Verwaltungs- oder Geschäftstätigkeit am Ort des Satzungssitzes voraus. Es bedarf keines über den Registertatbestand
hinausgehenden realwirtschaftlichen Bezugs (Fortführung von BGH,Urteil vom 12. Juli 2011 - II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 Rn. 19 ff.).

BGH, Urteil vom 14. November 2017 - VI ZR 73/17 - OLG Celle LG Hannover

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zur internationalen Zuständigkeit bei aus verletzter Primärverpflichtung abgeleiteten Sekundäransprüchen aus einem Vertragsverhältnis

BGH
Urteil vom 16.10.2015
V ZR 120/14
EuGVVO alt Art. 5 Nr. 1 Buchstabe a; ZPO § 538 Abs. 2 Satz 1

Leitsätze des BGH:


Die Gerichte des Orts, an dem die Primärverpflichtung aus einem Vertragsverhältnis im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchstabe a EuGVVO alt (= Art. 7 Nr. 1 Buchstabe a EuGVVO neu) erfüllt worden ist oder zu erfüllen war, sind auch für die Entscheidung
über die aus der verletzten Primärverpflichtung abgeleiteten Sekundäransprüche international zuständig.

Das Revisionsgericht kann die Sache unmittelbar an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung die ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts wäre.

BGH, Urteil vom 16. Oktober 2015 - V ZR 120/14 - OLG Schleswig - LG Kiel

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zur Abgrenzung eines verbindlichen Angebots von der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots sowie Stellvertretung und Schriftformklauseln nach dem CISG und der EuGVVO

BGH
Urteil vom 25. März 2015
VIII ZR 125/14

Leitsätze des BGH:


a) Zur Abgrenzung eines verbindlichen Angebots von der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots sowie zur teilweisen Annahmefähigkeit von Angeboten.

b) Ein nach Art. 19 Abs. 1 CISG beziehungsweise § 150 Abs. 2 BGB unter Ablehnung eines Angebots unterbreitetes egenangebot ist, wenn es nur einzelne Änderungen enthält, nach dem maßgeblichen Horizont des Erklärungsempfängers
im Zweifel dahin auszulegen, dass der Erklärende alle Bedingungen des ursprünglichen Angebots, zu denen er selbst keine abweichenden Vorschläge macht, in sein Gegenangebot aufgenommen hat, so dass dieses bei Fehlen einer entgegenstehenden Erklärung zu den im Übrigen unveränderten Bedingungen des ursprünglichen Angebots abgegeben ist. Das gilt auch für eine im ursprünglichen Angebot enthaltene Gerichtsstandsklausel (Aufgabe der Rechtsprechung im Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2010 - VIII ZR 34/09, IHR 2011, 179 Rn. 6 ff.).

c) Die für eine Handlungsvollmacht im Sinne von § 54 HGB erforderliche Ermächtigung kann auch konkludent durch Übertragung einer verkehrstypisch mit Handlungsvollmacht verbundenen Stellung oder Aufgabenzuweisung im betreffenden
Geschäftsbetrieb liegen.

d) Art. 23 EuGVVO regelt nicht die Frage einer Stellvertretung bei den der Einigung über den Gerichtsstand zugrunde liegenden Willenserklärungen sowie einer Heilung von Vertretungsmängeln. Insoweit ist vielmehr auf das nach dem Internationalen
Privatrecht des Forums maßgebliche materielle Recht zurückzugreifen.

e) Gerichtsstandsklauseln in Kaufverträgen, die dem Geltungsbereich des UNKaufrechtsübereinkommens unterfallen, beurteilen sich ungeachtet ihrer klarstellenden Erwähnung in Art. 19 Abs. 3, Art. 81 Abs. 1 Satz 2 CISG hinsichtlich der Anforderungen an ihr wirksames Zustandekommen nicht nach den Bestimmungen des Übereinkommens, sondern gemäß Art. 4 Satz 2 CISG nach dem dafür maßgeblichen Recht des Forumstaates. Das gilt neben dem Einigungserfordernis auch für die über diejenigen des Übereinkommens teilweise hinausgehenden prozessrechtlichen (Schriftform-)Vorgaben des Art. 23 EuGVVO.

f) Für das Vorhandensein einer die Schriftform gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 Buchst. b EuGVVO ersetzenden Gepflogenheit kommt es bei Gerichtsstandsvereinbarungen nicht entscheidend darauf an, wie die Vertragsschlüsse im Einzelnen
ausgesehen haben. Entscheidend ist vielmehr die mit einem hohen Maß an Beständigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg praktizierte Willensübereinstimmung der Vertragsparteien, die auf eine solche Vereinbarung abzielende Klausel über die laufende Geschäftsbeziehung hinweg in die zwischen ihnen geschlossenen Verträge einzubeziehen.

BGH, Urteil vom 25. März 2015 - VIII ZR 125/14 - OLG Hamburg - LG Hamburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: