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EuGH: Bei verunglimpfenden Äußerungen im Internet kann Schadensersatz vor Gericht in jedem Mitgliedsstaat eingeklagt werden wo der Inhalt aufrufbar war

EuGH
Urteil vom 21.12.2021
C-251/20
Gtflix Tv gegen DR


Der EuGH hat entschieden, dass bei verunglimpfenden Äußerungen im Internet Schadensersatz vor Gericht in jedem Mitgliedsstaat eingeklagt werden kann, wo der Inhalt aufrufbar war. Dabei kann aber nur Schadensersatz hinsichtlich des im jeweiligen Mitgliedsland entstandenen Schadens eingeklagt werden.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Verbreitung angeblich verunglimpfender Äußerungen über das Internet: Ersatz des dadurch im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entstandenen Schadens kann vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates eingeklagt werden

Diese Zuständigkeit setzt lediglich voraus, dass der verletzende Inhalt in diesem Hoheitsgebiet zugänglich ist oder war.

Gtflix Tv (im Folgenden: Antragstellerin) ist eine Gesellschaft mit Sitz in der Tschechischen Republik, die audiovisuelle Inhalte für Erwachsene produziert und verbreitet. DR, der seinen Wohnsitz in Ungarn hat, ist beruflich im selben Bereich tätig.

Die Antragstellerin, die DR vorwirft, er habe sich auf verschiedenen Websites verunglimpfend über sie geäußert, beantragte bei den französischen Gerichten zum einen die Entfernung dieser Äußerungen sowie die Richtigstellung der veröffentlichten Angaben und zum anderen Ersatz für den durch diese Äußerungen entstandenen Schaden. Die französischen Gerichte sowohl des ersten als auch des zweiten Rechtszugs erklärten sich für unzuständig.

Vor der Cour de cassation (Frankreich) verlangt die Antragstellerin nun Aufhebung des Urteils der Cour d’appel (Berufungsgericht). Dieses Gericht habe gegen die besondere Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/20121 verstoßen, wonach die Gerichte „des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“, zuständig seien, indem sie die Zuständigkeit der französischen Gerichte mit der Begründung ausgeschlossen habe, dass es nicht ausreiche, dass die als verunglimpfend erachteten Äußerungen, die im Internet veröffentlicht wurden, im Zuständigkeitsbereich dieses Gerichts zugänglich seien, sondern dass sie zudem geeignet sein müssten, in diesem Zuständigkeitsbereich einen Schaden zu verursachen.

Da nach Auffassung des vorlegenden Gerichts der Mittelpunkt der Interessen der Antragstellerin in der Tschechischen Republik liegt und DR seinen Wohnsitz in Ungarn hat, hat es entschieden, dass die französischen Gerichte für die Entscheidung über den Antrag auf Entfernung angeblich verunglimpfender Äußerungen und die Richtigstellung der veröffentlichten Angaben unzuständig seien. Das vorlegende Gericht hat jedoch dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die französischen Gerichte für die Entscheidung über den Antrag auf Ersatz des Schadens zuständig sind, der der Antragstellerin im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats dieser Gerichte entstanden ist, selbst wenn sie nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig sind.

Der Gerichtshof (Große Kammer) erläutert in seinem Urteil, wie bei Klagen betreffend über das Internet verursachte Schäden das unter dem Gesichtspunkt des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs zuständige Gericht zu bestimmen ist.

Würdigung durch den Gerichtshof
Der Gerichtshof stellt fest, dass eine Person, die der Ansicht ist, dass ihre Rechte durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen über sie im Internet verletzt worden seien, und die sowohl auf Richtigstellung der Angaben und Entfernung der sie betreffenden veröffentlichten Inhalte als auch auf Ersatz des aus dieser Veröffentlichung entstandenen Schadens klagt, vor den
Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet diese Äußerungen zugänglich sind oder waren, Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihr in dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts entstanden sein soll, selbst wenn diese Gerichte nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig sind.

Zur Begründung dieses Ergebnisses weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach seiner Rechtsprechung die besondere Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012, wonach die Gerichte „des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“, zuständig sind, sowohl den Ort des ursächlichen Geschehens als auch
den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs meint und jeder der beiden Orte je nach Lage des Falles für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Prozesses einen besonders sachgerechten Anhaltspunkt liefern kann.

Was mutmaßliche Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte mittels auf einer Website veröffentlichter Inhalte betrifft, weist der Gerichtshof auch darauf hin, dass die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, die Möglichkeit hat, entweder, unter dem Gesichtspunkt des Ortes des ursächlichen Geschehens, bei den Gerichten des Ortes, an dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder, unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung des Schadenserfolgs, bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, eine Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben.

Anstelle einer Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind jedoch nur für die erhobenen Beweise den Eintritt und die Höhe des geltend gemachten Schadens zu beurteilen.

Schließlich setzt die Zuständigkeit dieser Gerichte für die Entscheidung allein über Schäden, die im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats entstanden sind, lediglich voraus, dass der verletzende Inhalt in diesem Hoheitsgebiet zugänglich ist oder war, da Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 insoweit keine zusätzliche Voraussetzung enthält. Die Einführung zusätzlicher Voraussetzungen könnte in der Praxis dazu führen, dass der betroffenen Person die Möglichkeit genommen würde, vor den Gerichten des Ortes, in deren Zuständigkeitsbereich sie meint, einen Schaden erlitten zu haben, auf teilweisen Ersatz des Schadens zu klagen.

Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist. Folglich kann gemäß Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 in seiner Auslegung durch die bisherige Rechtsprechung eine Person, die sich durch die Veröffentlichung von Angaben auf einer Website in ihren Rechten verletzt fühlt, einen auf Richtigstellung dieser Angaben und Entfernung der veröffentlichten Inhalte gerichteten Antrag entweder bei den Gerichten stellen, die für die Entscheidung über einen Antrag auf Ersatz des gesamten Schadens zuständig sind, d. h. entweder, unter dem Gesichtspunkt des Ortes des ursächlichen Geschehens, bei den Gerichten des Ortes, an dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder, unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung des Schadenserfolgs, bei den Gerichten, in deren Zuständigkeitsbereich sich der Mittelpunkt der Interessen der betroffenen Person befindet.

Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass ein Antrag auf Richtigstellung von Angaben und Entfernung von Inhalten nicht bei einem anderen als dem Gericht gestellt werden kann, das für die Entscheidung über den gesamten Schadensersatzantrag zuständig ist, weil ein solcher Antrag auf Richtigstellung und Entfernung einheitlich und untrennbar ist.

Dagegen kann sich ein Antrag auf Schadensersatz entweder auf den vollständigen oder auf den teilweisen Ersatz eines Schadens beziehen. Somit wäre es nicht gerechtfertigt, aus diesem Grund dem Antragsteller die Möglichkeit zu nehmen, vor einem anderen Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich er meint, einen Schaden erlitten zu haben, teilweisen Ersatz des Schadens zu beantragen.

Im Übrigen ist der Ausschluss einer solchen Möglichkeit auch nicht im Hinblick auf eine geordnete Rechtspflege geboten, da ein lediglich für die Entscheidung über den in seinem Mitgliedstaat entstandenen Schaden zuständiges Gericht durchaus in der Lage ist, im Rahmen eines in diesem Mitgliedstaat durchgeführten Verfahrens und in Anbetracht der in diesem Mitgliedstaat erhobenen Beweise den Eintritt und die Höhe des geltend gemachten Schadens zu beurteilen.

Schließlich setzt die Zuständigkeit dieser Gerichte für die Entscheidung allein über Schäden, die im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats entstanden sind, lediglich voraus, dass der verletzende Inhalt in diesem Hoheitsgebiet zugänglich ist oder war, da Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 insoweit keine zusätzliche Voraussetzung enthält. Die Einführung zusätzlicher Voraussetzungen könnte in der Praxis dazu führen, dass der betroffenen Person die Möglichkeit genommen würde, vor den Gerichten des Ortes, in deren Zuständigkeitsbereich sie meint, einen Schaden erlitten zu haben, auf teilweisen Ersatz des Schadens zu klagen.


Tenor der Entscheidung:

Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine Person, die der Ansicht ist, dass ihre Rechte durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen über sie im Internet verletzt worden seien, und die sowohl auf Richtigstellung der Angaben und Entfernung der sie betreffenden veröffentlichten Inhalte als auch auf Ersatz des durch diese Veröffentlichung entstandenen Schadens klagt, vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet diese Äußerungen zugänglich sind oder waren, Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihr in dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts entstanden sein soll, selbst wenn diese Gerichte nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig sind.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




BGH: Kein Verstoß gegen Unterlassunsgerklärung wenn Lichtbild nur noch durch Direkteingabe von langer URL aufrufbar und nicht mehr in Google-Bildersuche oder Suchmachinen-Cache auffindbar ist

BGH
Urteil vom 27.05.2021
I ZR 119/20
Lautsprecherfoto
UrhG § 15 Abs. 3, § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2, § 19a


Der BGH hat entschieden, dass kein Verstoß gegen eine abgegebene Unterlassunsgerklärung vorliegt, wenn ein Lichtbild nur durch Direkteingabe einer langen URL aufrufbar und der Link auch nicht mehr in Diensten wie der Google-Bildersuche oder im Suchmachinen-Cache auffindbar ist.

Leitsatz des BGH:

Das für die Prüfung der öffentlichen Zugänglichmachung relevante Kriterium "recht viele Personen" ist nicht erfüllt, wenn ein Produktfoto, dass zunächst von einem Verkäufer urheberrechtsverletzend auf einer Internethandelsplattform im Rahmen seiner Verkaufsanzeige öffentlich zugänglich gemacht worden war, nach Abgabe einer Unterlassungserklärung des Verkäufers nur noch durch die Eingabe einer rund 70 Zeichen umfassenden URL-Adresse im Internet zugänglich war und nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass die URL-Adresse nur von Personen eingegeben wird, die diese Adresse zuvor - als das Foto vor Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Rahmen der Anzeige des Verkäufers frei zugänglich gewesen war - abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert haben, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden war.

BGH, Urteil vom 27. Mai 2021 - I ZR 119/20 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet wenn die Webseite im jeweiligen Mitgliedsstaat aufrufbar ist - Zielgruppe der Webseite unbeachtlich

EuGH
Urteil vom 22.01.2015
C‑441/13
Pez Hejduk . /. EnergieAgentur.NRW GmbH


Der EuGH hat entschieden, dass bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, innerhalb der EU jedes Gericht international zuständig ist, in dem die Webseite, über die die Rechtsverletzung begangen wird, aufrufbar ist. Es kommt - so der EuGH - nicht darauf an, ob die fragliche Website auf den Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts „ausgerichtet“ ist.

Tenor der Entscheidung:

Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass im Fall der Geltendmachung einer Verletzung von Urheber‑ und verwandten Schutzrechten, die vom Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts gewährleistet werden, dieses Gericht in Anknüpfung an den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs für eine Klage auf Schadensersatz wegen Verletzung dieser Rechte durch die Veröffentlichung von geschützten Lichtbildern auf einer in seinem Bezirk zugänglichen Website zuständig ist. Dieses Gericht ist nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verursacht worden ist, zu dem es gehört.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: