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BMJ: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen

Das BMJ hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen vorgelegt.

Aus der Begründung:
A. Problem und Ziel
In Verfahren wegen bürgerlich-rechtlicher Rechtsstreitigkeiten sind je nach Fallgestaltung die Amtsgerichte oder die Langerichte als Eingangsinstanz zuständig. Dabei leisten insbesondere die Amtsgerichte als Eingangsinstanz einen wichtigen Beitrag zur Bürgernähe der Justiz. Denn durch ihre Verteilung in der Fläche wird den Bürgerinnen und Bürgern ein ortsnaher Rechtsschutz und ein leichter Zugang zur Justiz gewährleistet. Eine stark ausgeprägte und gut in der Fläche verteilte amtsgerichtliche Struktur übernimmt damit eine wichtige rechtsstaatliche Aufgabe.

Die Zahl der erstinstanzlich bei den Amtsgerichten eingegangenen Zivilverfahren ist in den letzten Jahrzehnten jedoch immer weiter zurückgegangen. Diese Schwächung ist insbesondere für kleinere Amtsgerichtsstandorte problematisch, da diese den Rückgang der Eingangszahlen nicht durch einen Abbau der Stellen kompensieren können und daher die Gefahr besteht, dass sie ganz geschlossen werden müssen. Ziel des vorliegenden Entwurfs ist daher, die Amtsgerichte in Zivilsachen zu stärken. Außerdem soll durch den Entwurf in bestimmten Bereichen die Spezialisierung in der Justiz gefördert werden.

Daneben sollen zwei Probleme der gerichtlichen Praxis adressiert werden:

Zum einen ist es Gerichten bislang nicht möglich, eine in Folge einer nachträglichen Streitwertänderung oder in Folge einer erfolgreichen Beschwerde gegen die Wertfestsetzung unrichtig gewordene Kostenentscheidung zu ändern. Dies führt zu Wertungswidersprüchen und Ungerechtigkeiten.

Zum anderen werden aufgrund der unklaren Regelung im Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz derzeit keine Richterinnen und Richter an das Bayerische Oberste Landesgericht abgeordnet. Dies hat zur Folge, dass dort bei hohem Geschäftsanfall Engpässe im richterlichen Bereich entstehen können, welche durch Abordnungen verhindert werden könnten.

Dieser Entwurf steht im Kontext der gefährdeten rechtzeitigen Erreichung der Ziele der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 25. September 2015 „Transformation unserer Welt: die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ und erhöht die Leistungsfähigkeit der Justiz im Sinne von Nachhaltigkeitsziel 16.

B. Lösung
Für die Begründung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Amtsgerichte in Zivilsachen ist vor allem der Zuständigkeitsstreitwert entscheidend. Dieser wird derzeit in § 23 Nummer 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes auf Ansprüche festgelegt, deren Gegenstand an Geld oder Geldwert die Summe von 5 000 Euro nicht übersteigt. Diese Streitwertgrenze für die Zuständigkeit der Amtsgerichte wurde seit mehr als 30 Jahren nicht mehr angehoben. Sie wurde zuletzt im Jahr 1993 auf 10 000 DM festgesetzt; dies entspricht der noch heute geltenden Streitwertgrenze von 5 000 Euro. Daher soll unter Berücksichtigung der seitdem eingetretenen Geldwertentwicklung eine Anhebung auf 8 000 Euro erfolgen. Durch diese Anhebung werden die streitwertabhängigen Zuständigkeiten aus dem Jahr 1993 weitestgehend wiederhergestellt und die Anzahl der erstinstanzlich vor dem Amtsgericht zu verhandelnden zivilrechtlichen Verfahren wird sich wieder erhöhen.

Daneben sollen zur Förderung der Spezialisierung weitere streitwertunabhängige Zuständigkeiten der Amts- und Landgerichte geschaffen werden. Zivilrechtliche Streitigkeiten werden in einigen Rechtsgebieten zunehmend komplexer, bei anderen Rechtsgebieten spielt hingegen die Ortsnähe eine besondere Rolle. Durch die im Entwurf vorgesehene, streitwertunabhängige Zuweisung von Sachgebieten an das Amts- oder das Landgericht wird diesem Umstand Rechnung getragen, sodass Verfahren effizient und ressourcenschonend bearbeitet werden können. So sollen Streitigkeiten aus dem Bereich des Nachbarrechts den Amtsgerichten streitwertunabhängig zugewiesen werden. Bei nachbarrechtlichen Streitigkeiten spielt die Ortsnähe oft eine besondere Rolle. Streitigkeiten aus dem Bereich der Vergabesachen, der Heilbehandlungen sowie der Veröffentlichungsstreitigkeiten sollen hingegen den Landgerichten streitwertunabhängig zugewiesen werden, um so eine weitergehende Spezialisierung zu erreichen. Der Entwurf greift damit ein Anliegen der Justizministerinnen und Justizminister aller Länder auf (vergleiche Beschluss zu TOP I.3 der Frühjahrskonferenz 2023 der Justizministerinnen und Justizminister).

Außerdem soll eine Regelung in der Zivilprozessordnung geschaffen werden, die eine Änderung der vom Gericht im Urteil oder Beschluss getroffenen Kostenentscheidung nach einer nachträglichen Änderung der Festsetzung des Streit- oder des Verfahrenswertes ermöglicht. Damit wird ebenfalls ein Anliegen der Justizministerinnen und Justizminister der Länder aufgegriffen (vergleiche Beschluss zu TOP I.15 der Frühjahrskonferenz 2023 der Justizministerinnen und Justizminister). Für das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sowie in den Verfahrensordnungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit sind jeweils entsprechende Regelungen zu schaffen.

Des Weiteren soll im Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz eine gesetzliche Klarstellung erfolgen, dass Abordnungen von Richterinnen und Richtern auch an oberste Landesgerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit möglich sind.


Den Entwurf finden Sie hier:




BGH: Keine Beschwer des Unterlassungsgläubigers hinsichtlich der Ordnungsgeldhöhe wenn Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds weder Betrag noch ungefähre Größenordnung enthält

BGH
Beschluss vom 23.11.2023
I ZB 29/23
ZPO § 572 Abs. 2, § 890 Abs. 1 Satz 1, § 891 Satz 3


Der BGH hat entschieden, dass keine Beschwer des Unterlassungsgläubigers hinsichtlich der Ordnungsgeldhöhe gegeben ist, wenn der Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds keinen Betrag oder keine ungefähre Größenordnung enthält.

Leitsatz des BGH:
Der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde des Gläubigers gegen die Entscheidung, mit der gegen den Schuldner ein Ordnungsgeld verhängt worden ist, steht die fehlende Beschwer entgegen, wenn in seinem Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds weder ein konkreter Betrag noch eine ungefähre Größenordnung des Ordnungsgelds
angegeben wurde und das Gericht die Höhe des Ordnungsgelds nach seinem Ermessen festgesetzt hat.

BGH, Beschluss vom 23. November 2023 - I ZB 29/23 - OLG Hamburg - LG Hamburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Geschäftsgeheimnisstreitsache im Sinn von § 16 Abs. 1 GeschGehG kann auch ein selbständiges Beweisverfahren sein

BGH
Beschluss vom 09.11.2023
I ZB 32/23
GeschGehG § 16 Abs. 1, § 20 Abs. 5 Satz 4


Der BGH hat entschieden, dass Geschäftsgeheimnisstreitsache im Sinn von § 16 Abs. 1 GeschGehG auch ein selbständiges Beweisverfahren sein kann.

Leitsätze des BGH:
a) Unter die Geschäftsgeheimnisstreitsachen im Sinn des § 16 Abs. 1 GeschGehG fallen auch selbständige Beweisverfahren.

b) Soweit § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG die Anfechtbarkeit von Anordnungen nach § 16 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 GeschGehG beschränkt, gilt dies nicht für in einem selbständigen Beweisverfahren ergangene Anordnungen. Insbesondere kann ein dem selbständigen Beweisverfahren eventuell nachfolgendes Klageverfahren nicht als Hauptsache im Sinn des § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG zu dem selbständigen Beweisverfahren angesehen werden.

BGH, Beschluss vom 9. November 2023 - I ZB 32/23 - OLG München - LG Augsburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Begrenzung des Instanzenzugs nach § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO gilt nur für einstweiliges Verfügungsverfahren und nicht für Kostenfestsetzungs- und Ordnungsmittelverfahren

BGH
Beschluss vom 26.09.2023
VI ZB 79/21
ZPO § 542 Abs. 2, § 574 Abs. 1 Satz 2, § 890


Der BGH hat entschieden, dass die Begrenzung des Instanzenzugs nach § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur für das einstweilige Verfügungsverfahren und nicht für sich anschließende selbständige Verfahren wie dass Kostenfestsetzungs- und Ordnungsmittelverfahren gilt.

Leitsätze des BGH:
a) Die Begrenzung des Instanzenzugs durch § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO gilt nur für das Verfügungsverfahren selbst, nicht hingegen für selbständige und mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestaltete Verfahren, die sich an das Verfügungsverfahren anschließen, wie beispielsweise das Kostenfestsetzungsverfahren oder Ordnungsmittelverfahren gemäß § 890 ZPO
.
b) Zum Schutzumfang eines titulierten Unterlassungsgebots (hier: Verbot bestimmter die Privatsphäre beeinträchtigender Äußerungen).

BGH, Beschluss vom 26. September 2023 - VI ZB 79/21 - KG Berlin - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Berufungsgericht darf sich bei der Prüfung der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung nicht auf Umfang eines Revisionsgerichts beschränken

BGH
Beschluss vom 08.08.2023
VIII ZR 20/23
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 544 Abs. 9;
GG Art. 103 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass sich das Berufungsgericht bei der Prüfung der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung nicht auf den Umfang eines Revisionsgerichts beschränken darf.

Leitsatz des BGH:
Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist nicht auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben (Bestätigung von BGH, Urteile vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03, BGHZ 162, 313, 315 f.; vom 29. Juni 2016 - VIII ZR 191/15, NJW 2016, 3015 Rn. 26; Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2016 - VIII ZR 300/15, WuM 2016, 743 Rn. 23).

BGH, Beschluss vom 8. August 2023 - VIII ZR 20/23 - LG München II - AG Wolfratshausen

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BGH: Keine ordnungsgemäße Klageerhebung wenn als ladungsfähige Anschrift des Klägers ein Postdienstleister angegeben wird der Post an Kläger weiterleitet

BGH
Urteil vom 07.07.2023
V ZR 210/22
ZPO § 130 Nr. 1 Halbsatz 1, § 171 Satz 1, § 177, § 253 Abs. 2 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass keine ordnungsgemäße Klageerhebung vorliegt, wenn als ladungsfähige Anschrift des Klägers ein Postdienstleister angegeben wird, der die Post an den Kläger weiterleitet.

Leitsatz des BGH:
Eine ordnungsgemäße Klageerhebung setzt grundsätzlich die Angabe der
ladungsfähigen Anschrift des Klägers voraus; die Adresse eines Postdienstleisters, der lediglich mit der Weiterleitung der an den Kläger gerichteten Post beauftragt ist, reicht hierfür nicht aus.

BGH, Urteil vom 7. Juli 2023 - V ZR 210/22 - LG Frankfurt am Main - AG Wiesbaden

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BGH: Zuständigkeitsregelung in § 1 VeröffAnsprKonzV NW gilt auch für Veröffentlichungen im Internet

BGH
Beschluss vom 06.06.2023
VI ZB 75/22
VeröffAnsprKonzV NW § 1


Der BGH hat entschieden, dass die Zuständigkeitsregelung in § 1 VeröffAnsprKonzV NW (Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit zur Entscheidung in gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten und in Angelegenheiten der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit) auch für Veröffentlichungen im Internet gilt.

Leitsatz des BGH:
Die Zuständigkeitsregelung in § 1 der nordrhein-westfälischen KonzentrationsVerordnung über Ansprüche aus Veröffentlichungen vom 1. Oktober 2021 (GV. NRW. S. 1156) erfasst auch Streitigkeiten über Ansprüche aus Veröffentlichungen im Internet.

BGH, Beschluss vom 6. Juni 2023 - VI ZB 75/22 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Berufungsgericht darf nicht von erneuter mündlicher Anhörung eines Sachverständigen absehen wenn von Würdigung der Vorinstanz abgewichen werden soll

BGH
Beschluss vom 18.07.2023
VI ZR 126/21 -
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 398, 402, 529 Abs. 1 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass das Berufungsgericht nicht von einer erneuten mündlichen Anhörung eines Sachverständigen absehen darf, wenn von der Würdigung der Vorinstanz abgewichen werden soll

Leitsatz des BGH:
Auch wenn es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts steht, ob und inwieweit eine im ersten Rechtszug durchgeführte Beweisaufnahme zu wiederholen ist, kann von einer erneuten mündlichen Anhörung des Sachverständigen jedenfalls dann nicht abgesehen werden, wenn das Berufungsgericht dessen Ausführungen abweichend von der Vorinstanz würdigen will (Festhaltung an BGH, Urteil vom 8. Juni 1993 - VI ZR 192/92; Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 6. März 2019 - IV ZR 128/18, VersR 2019, 506 Rn. 7; vom 14. Juli 2020 - VI ZR 468/19, VersR 2021, 398 Rn. 6).

BGH, Beschluss vom 18. Juli 2023 - VI ZR 126/21 - OLG Köln - LG Köln

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BMJ: Entwurf - Justizstandort-Stärkungsgesetz - Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit

Das BMJ hat den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit (Justizstandort-Stärkungsgesetz) vorgelegt.

Aus dem Entwurf:
A. Problem und Ziel
Deutschland ist ein bedeutender Wirtschaftsstandort in Europa und in der Welt. Die Geschäftsbeziehungen der in Deutschland tätigen Unternehmen sind vielfältig und international. Das führt zwangsläufig zu Wirtschaftsstreitigkeiten, die in Zeiten globaler Lieferketten und internationalen Warenverkehrs häufig auch Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen verschiedener Staaten betreffen. Für große Wirtschaftsstreitigkeiten bietet die ordentliche Gerichtsbarkeit in Deutschland insgesamt nur eingeschränkt zeitgemäße Verfahrensmöglichkeiten an. In der Folge werden solche Streitigkeiten vermehrt in anderen Rechtsordnungen oder innerhalb der privaten Schiedsgerichtsbarkeit geführt. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer Stärkung des Justiz- und Wirtschaftsstandorts Deutschland. Parteien von privatrechtlichen Wirtschaftsstreitigkeiten sollen Verfahren künftig vollständig in englischer Sprache führen können. Außerdem soll den Parteien von großen privatrechtlichen Wirtschaftsstreitigkeiten ein attraktives Gesamtpaket für das Verfahren angeboten werden, damit sich Deutschland dem Wettbewerb mit anerkannten ausländischen Handelsgerichten und Schiedsgerichten stellen kann. Insbesondere Unternehmen mit starker Exportorientierung werden davon profitieren. Insgesamt wird ein an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiertes, schnelles, effizientes und attraktives Gerichtsverfahren angeboten werden. Zugleich soll der Gerichtsstandort Deutschland dadurch auch international an Anerkennung und Sichtbarkeit gewinnen und die notwendige Rechtsfortbildung im Bereich des Wirtschaftszivilrechts soll gestärkt werden.

B. Lösung
Um bessere Rahmenbedingungen für einen attraktiven Justizstandort Deutschland zu gewährleisten, sind folgende Änderungen angezeigt:

Zunächst ist den Ländern die Möglichkeit zu eröffnen, die landgerichtlichen Zivilverfahren im Bereich der Wirtschaftszivilsachen für die Gerichtssprache Englisch zu öffnen.

Ferner wird den Ländern die Befugnis eingeräumt, einen Commercial Court an einem Oberlandesgericht (OLG) oder einem Obersten Landesgericht einzurichten. Dabei handelt es sich um einen oder mehrere Zivilsenate, vor dem bzw. denen Wirtschaftszivilsachen ab einem Streitwert von einer Million Euro erstinstanzlich geführt werden können, sofern sich die Parteien auf die erstinstanzliche Anrufung des Commercial Courts verständigt haben. Die Commercial Courts werden das Verfahren – je nach Vereinbarung der Parteien – entweder in deutscher oder in englischer Sprache führen. Für die genannten Verfahren wird zudem die bereits aus der Schiedsgerichtsbarkeit bekannte Möglichkeit der Erstellung eines Wortprotokolls eröffnet.

Gegen erstinstanzliche Entscheidungen der Commercial Courts wird die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) eröffnet sein. Eine umfassende Verfahrensführung in der englischen Sprache soll – im Einvernehmen mit dem zuständigen Senat des BGH – auch in der Revision möglich sein.

Überdies sollen von der Möglichkeit, bei der Verhandlung über Geschäftsgeheimnisse die Öffentlichkeit auszuschließen und den Verfahrensgegner verstärkt zur Diskretion über die erlangten Erkenntnisse zu verpflichten, künftig sämtliche Parteien in der Zivilgerichtsbarkeit profitieren.

Durch diese Maßnahmen wird der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung entsprochen, die insbesondere in Ziel 16 verlangt: „Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung (zu) fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz (zu) ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen auf(zu)bauen".



BGH: Im Zivilverfahren können grundsätzlich auch Ermittlungs- und Strafakten beigezogen werden wobei des Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen zu beachten ist

BGH
Urteil vom 16.03.2023
III ZR 104/21
Zivilprozess, Beiziehung von Ermittlungs-/Strafakten
ZPO § 429 Satz 1 HS. 1; § 432 Abs. 1, Abs. 3; StPO § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4


Der BGH hat entschieden, dass im Zivilverfahren grundsätzlich auch Ermittlungs- und Strafakten beigezogen werden können, wobei des Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen zu beachten ist.

Leitsätze des BGH:
a) Gemäß § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätze 2 und 3 StPO steht einer Partei grundsätzlich die Möglichkeit zur Verfügung, in einem anhängigen Zivilprozess (Teile von) Ermittlungs- beziehungsweise Strafakten beiziehen zu lassen.

b) Nach § 474 Abs. 1 StPO ist den Gerichten grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren.

c) Grundrechten der anderen Partei oder Dritter, insbesondere deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass das Gericht nach Erhalt der angeforderten Akte unter Berücksichtigung von deren schutzwürdigen Interessen abwägt und so prüft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Informationen aus ihr im Zivilverfahren verwertet werden können; der Zugang zu den Informationen aus der beigezogenen Akte ist gegebenenfalls angemessen zu beschränken

d) Maßgeblich für die Vorlagepflicht Dritter gemäß § 429 Satz 1 HS. 1, § 432 Abs. 3 ZPO ist, ob die beweisführungsbelastete Partei im Verhältnis zu ihnen einen Vorlegungsanspruch hat. Ob die Gegenpartei in Ermangelung der Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO nicht zur Vorlage einer Urkunde verpflichtet ist, ist demgegenüber in Bezug auf Dritte nicht von Bedeutung.

BGH, Urteil vom 16. März 2023 - III ZR 104/21 - OLG Nürnberg - LG Regensburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Nürnberg: Sofortige Beschwerde des Antragstellers ohne Begründung lässt Dringlichkeit für einstweilige Verfügung entfallen

OLG Nürnberg
Beschluss vom 28.02.2023
3 W 290/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein sofortige Beschwerde des Antragstellers ohne Begründung die Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung entfallen lässt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO). Eine Begründung der Beschwerde ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Antragstellerin fehlt für die begehrte einstweilige Verfügung der Verfügungsgrund, weshalb es dahinstehen kann, ob ihr der geltend gemachte Anspruch zusteht.

Eine Dringlichkeitsvermutung besteht für die geltend gemachten Ansprüche nicht, weshalb der Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung aufgrund eines bloß summarischen Verfahrens einer besonderen Rechtfertigung bedarf (OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.10.2018 – 3 W 1932/18, juris-Rn. 15 – CurryWoschdHaus). Ein dabei maßgebliches Kriterium ist das Zeitmoment: Der Antragsteller bzw. sein Prozessbevollmächtigter hat alles in seiner Macht stehende zu tun, um einen möglichst baldigen Erlass der einstweiligen Verfügung zu erreichen. Daher besteht der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund nicht, wenn der Antragsteller mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet oder das Verfahren nicht zügig, sondern schleppend betreibt und damit selbst zu erkennen gibt, dass es ihm mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.10.2022 – 3 U 2178/22, juris-Rn. 10 – Kontolöschung).

Im vorliegenden Fall ergibt eine Gesamtschau der maßgeblichen Umstände, dass der Verfügungsgrund aufgrund des Prozessverhaltens der Antragstellerin zu verneinen ist.

1. Zum einen ist das erstinstanzliche Verhalten der Antragstellerin zu berücksichtigen.

Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Antragsteller durch sein prozessuales Verhalten zu erkennen geben, dass sein Begehren weiterhin dringlich ist. Dies ist mittels Gesamtbetrachtung seines Verhaltens zu eruieren. Auf einen Hinweis des Gerichts muss der Antragsteller, auch ohne Fristsetzung, so schnell wie möglich und geboten reagieren. Gesetzte Fristen sind einzuhalten (Voß, in Cepl/Voß, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Aufl. 2022, § 940 ZPO Rn. 91 m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund ist es im vorliegenden Fall als dringlichkeitsschädlich anzusehen, dass die Antragstellerin – obwohl ihr mit Verfügung des Landgerichts vom 02.01.2023 aufgegeben wurde, bis zum 09.01.2023 glaubhaft zu machen, Inhaberin der gegenständlichen Domains bzw. E-Mail-Postfächer zu sein – binnen dieser gesetzten Frist kein Mittel der Glaubhaftmachung einreichte. Mit Schriftsatz vom 09.01.2023 kündigte sie lediglich an, eine eidesstattliche Versicherung des Herrn A. nachzureichen. Diese ging jedoch erst nach Fristablauf, mithin am 10.01.2023, beim Erstgericht ein. Eine Berücksichtigung durch das Landgericht konnte nicht mehr erfolgen, da ausweislich der Verfügung der Vorsitzenden Richterin vom 11.01.2023 der Beschluss vom 10.01.2023 bereits vor Kenntnisnahme erlassen worden war.

2. Zum anderen ist in die Gesamtwürdigung das Verhalten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren einzustellen.

a) Die Pflicht zur zügigen Rechtsverfolgung setzt sich für den in erster Instanz unterlegenen Antragsteller in der Beschwerde- oder Berufungsinstanz fort.

So muss der noch ungesicherte Verfügungskläger im Berufungsverfahren den geltend gemachten Anspruch zügig weiterverfolgen. Ihm ist es daher jedenfalls zuzumuten, eine eingelegte Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zu begründen (OLG München, Urteil vom 30.06.2016 – 6 U 531/16, juris-Rn. 95) und nicht durch eigene Fristverlängerungsanträge das Verfahren zu verzögern (OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, juris-Rn. 2). Gleiches gilt für einen Terminsverlegungsantrag (OLG München, Beschluss vom 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, juris-Rn. 8).

Gleiches kann bei der Nichtbegründung einer Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist gelten. Zwar ist die Beschwerde – wenn sie nicht begründet wird – gleichwohl zulässig. Sie soll jedoch nach § 571 Abs. 1 ZPO begründet werden. Es entspricht daher einer sachgerechten Prozessführung, dem Rechtsmittelgericht gegenüber zeitnah zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013 – 11 W 13/13, juris-Rn. 20). Auch das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet und ob es ihr dementsprechend abhilft. Dies setzt in aller Regel – angesichts der vorangegangenen ablehnenden Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts – eine Beschwerdebegründung voraus (KG Berlin, Beschluss vom 20.09.2016 – 5 W 147/16, juris-Rn. 9). Insbesondere bei einem Rechtsmittelführer, der den Weg des einstweiligen Verfügungsverfahrens eingeschlagen hat, legt eine sachgerechte Prozessführung es nahe, die Beschwerdebegründung innerhalb der Beschwerdefrist oder jedenfalls im engen zeitlichen Zusammenhang mit ihr einzureichen (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013 – 11 W 13/13, juris-Rn. 20).

b) Im vorliegenden Fall ergibt eine Gesamtschau der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, dass die Nichtbegründung der Beschwerde als dringlichkeitsschädlich anzusehen ist.

Das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet (was in aller Regel eine Beschwerdebegründung voraussetzt) und ihr dementsprechend abhilft. Auf diese Weise kann im Eilverfahren der Beschwerdeführer auf raschem Wege zu seinem Ziel – Erlass der zunächst abgelehnten einstweiligen Verfügung – gelangen, ist doch das Erstgericht bereits in den Fall eingearbeitet, kennt die Akten und vermag schnell zu beurteilen, ob und ggf. dass die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe durchgreifen und die Verfügung nunmehr zu erlassen ist. Dieser Möglichkeit des schnellstmöglichen Erreichens des Rechtsschutzziels hat sich die Antragstellerin begeben, indem sie dem Landgericht die Gründe ihrer Beschwerde vorenthalten hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 04.04.2008 – 5 W 51/08, juris-Rn. 7).

Auch gegenüber dem Senat entspricht es den Interessen des Rechtsmittelführers, der die Überprüfung im Rechtsmittelweg beantragt, dass er dem überprüfenden Gericht gegenüber zum Ausdruck bringt, was er an der angefochtenen Entscheidung beanstandet (vgl. Heßler, in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 571 Rn. 1). Dass die Antragstellerin – entgegen dieses Eigeninteresses – keine Beschwerdebegründung einreichte, zeigt, dass es der Antragstellerin mit der Erreichung ihres Rechtsschutzziels nicht (mehr) eilig ist.

Erschwerend kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass die Antragstellerin im Beschwerdeschriftsatz angab, dass sie zur Begründung ihrer Anträge mit gesondertem Schriftsatz ausführen werde. Die Antragstellerin sah daher im vorliegenden Fall selbst die Notwendigkeit, zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird.

Schließlich kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Senat mit Verfügung vom 09.02.2023 beiden Parteien Gelegenheit gab, bis 24.02.2023 zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Die Antragsgegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Eine Begründung der Beschwerde durch die Antragstellerin ging dagegen nicht ein.

Ein Anlass für die Nichteinreichung der Begründung und die damit entstandene Verzögerung ist von der Antragstellerin nicht dargetan.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:





BGH: Zeugenvernehmung kein geeignetes Mittel zur Glaubhaftmachung der Beschwer im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde

BGH
Beschluss vom 24.11.2022
I ZR 25/22
ZPO §§ 294, 544 Abs. 2 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass das Anbieten einer Zeugenvernehmung kein geeignetes Mittel zur Glaubhaftmachung der Beschwer im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde ist.

Leitsatz des BGH:
Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist das Angebot des Beschwerdeführers auf Vernehmung eines Zeugen zur Glaubhaftmachung der Beschwer gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht geeignet (Anschluss an BGH, Beschluss vom
29. Oktober 2020 - V ZR 273/19, MDR 2021, 380 [juris Rn. 8 bis 11]).

BGH, Beschluss vom 24. November 2022 - I ZR 25/22 - OLG Rostock - LG Rostock

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Gehörsverstoß im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG durch Offenkundig unrichtige Nichtberücksichtigung eines Bestreitens wegen mangelnder Substantiierung

BGH
Beschluss vom 11.10.2022
VI ZR 361/21
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 2


Der BGH hat entschieden, dass ein Gehörsverstoß im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG durch eine offenkundig unrichtige Nichtberücksichtigung eines Bestreitens wegen mangelnder Substantiierung vorliegt.

Leitsatz des BGH:
Die offenkundig unrichtige Nichtberücksichtigung eines Bestreitens wegen mangelnder Substantiierung verletzt Art. 103 Abs. 1 GG.

BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2022 - VI ZR 361/21 - OLG Brandenburg - LG Potsdam

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Über Unterlassungsanträge bei denen mehrere Verletzungsformen mit "und/oder" verknüpft sind ist ggf. gesondert zu entscheiden

BGH
Urteil vom 02.06.2022
I ZR 93/21
7 x mehr
UWG § 3a; Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a und d


Der BGH hat entschieden, dass über Unterlassungsanträge, bei denen mehrere Verletzungsformen mit "und/oder" verknüpft sind, ggf. gesondert zu entscheiden ist.

Leitsätze des BGH:
a) Für die Feststellung, welches Verständnis eine mit einem Unterlassungsantrag angegriffene Werbeanzeige und etwaige dort getroffene Werbeaussagen bei dem angesprochenen Verkehr erwecken, ist der Gesamteindruck zu würdigen, den die Werbung vermittelt, und nicht isoliert auf einzelne Elemente derselben abzustellen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Mai 2022 - I ZR 203/20, juris Rn. 18 - Webshop Awards, mwN).

b) Ein Unterlassungsantrag, in dem mehrere Verletzungsformen durch die Formulierung "und/oder" miteinander verknüpft sind, ist nur dann in vollem Umfang begründet, wenn hinsichtlich aller damit beanstandeter Handlungsformen sowohl in ihrer Kombination als auch für sich genommen ein Unterlassungsanspruch besteht. Sieht ein Gericht nur eine von mehreren miteinander verbundenen Verletzungsformen als irreführend an, rechtfertigt dies nicht eine Abweisung des gesamten Unterlassungsantrags, sondern nur dessen teilweise Abweisung.

BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 - I ZR 93/21 - OLG München - LG München

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Für Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 ZPO gilt das außerstrafrechtliche Doppelahndungsverbot aus Art. 20 Abs. 3 GG

BGH
Beschluss vom 21.04.2022
I ZB 56/21
GG Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 3; ZPO § 890 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 und Abs. 2, § 927 Abs. 1, § 929 Abs. 2


Der BGH hat entschieden, dass für die Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 ZPO das außerstrafrechtliche Doppelahndungsverbot gilt, welches aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG folgt.

Leitsätze des BGH:
a) Für die Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 ZPO gilt nicht das allein auf Kriminalstrafgesetze anwendbare Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG, sondern das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende außerstrafrechtliche Doppelahndungsverbot. Dieses ist verletzt, wenn die Gegenstände der früheren und späteren Festsetzung von Ordnungsmitteln nach Anlass, Ziel und Zweck in allen Einzelheiten identisch sind (Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 3. August 1989 - 1 BvR 1194/88, BeckRS 1989, 6919 [juris Rn. 11]).

b) Hat der Schuldner gegen ein im Wege der einstweiligen Verfügung ergangenes Verbot der Produktkennzeichnung verstoßen, weil er seine Abnehmer nicht aufgefordert hat, das in beanstandeter Weise gekennzeichnete Produkt vorläufig nicht weiterzuvertreiben, und ist der Schuldner auch nach Zustellung eines gleichlautenden, in der Hauptsache ergangenen Unterlassungstitels nicht tätig geworden, so liegt in der zweifachen Verhängung von Ordnungsmitteln wegen des vor Vollstreckbarkeit des Hauptsachetitels begangenen Verstoßes gegen die einstweilige Verfügung und wegen nachfolgenden Verstoßes gegen den Hauptsachetitel kein Verstoß gegen das außerstrafrechtliche Doppelahndungsverbot.

BGH, Beschluss vom 21. April 2022 - I ZB 56/21 - OLG Hamburg - LG Hamburg

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