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OLG Hamm: Vertragsstrafeansprüche nach § 339 Satz 2 BGB fallen nicht unter die Sonderzuständigkeit der Oberlandesgerichte nach § 6 Abs. 1 Satz 1 UKlaG

OLG Hamm
Urteil vom 10.03.2025
31 U 64/24


Das OLG Hamm hat entschieden, dass Vertragsstrafeansprüche nach § 339 Satz 2 BGBfallen grundsätzlich nicht unter die Sonderzuständigkeit der Oberlandesgerichte nach § 6 Abs. 1 Satz 1 UKlaG unterfallen.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Ob die ausschließliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 6 Abs. 1 Satz 1 UKlaG auch Vertragsstrafeansprüche gemäß § 339 Satz 2 BGB erfasst, die ihren Ursprung in einem auf einer Abmahnung nach dem UKlaG beruhenden Unterlassungsvertrag haben, ist nach Änderung des § 6 UKlaG durch Art. 10 des Gesetzes vom 8. Oktober 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 272) in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

a) Nach einer Ansicht wird eine entsprechende Anwendung bejaht (so: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 23. Oktober 2024 – 7 UKl 2/23, juris Rn. 37 ff.; Baetge in jurisPK/BGB, 10. Aufl., § 6 UKlaG Rn. 22, 1. Überarb. [Januar 2025]; Grüneberg in Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 6 UKlaG Rn. 1; Köhler/Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 6 UKlaG Rn. 4).

Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2016 - I ZR 93/15) § 13 UWG in der vom 4. August 2009 bis 1. Dezember 2020 geltenden Fassung (künftig aF) auch Vertragsstrafeklagen, die auf einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung beruhten, erfasst habe. Es habe dem Gesetzeszweck dieser Norm entsprochen, eine ausschließliche und vom Streitwert unabhängige sachliche Zuständigkeit der Landgerichte in Wettbewerbssachen einzuführen, weil bei den Landgerichten aufgrund der dort streitwertbedingt überwiegend anfallenden Wettbewerbssachen der für die Behandlung dieser Sachen erforderliche Sachverstand und das notwendige Erfahrungswissen vorhanden gewesen seien. Dies gelte gleichermaßen für die Behandlung von Streitigkeiten aufgrund von Vertragsstrafeversprechen und Unterlassungsverträgen, in denen ähnliche, spezifisch wettbewerbsrechtliche Probleme aufträten wie bei originären Ansprüchen aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2016 – I ZR 93/15, juris Rn. 19 ff.).

Entsprechend der – wegen § 545 Abs. 2 ZPO allerdings nicht tragenden – Auffassung des Bundesgerichtshofs seien Vertragsstrafeansprüche ebenfalls der sachlichen Zuständigkeit des § 6 Abs. 1 UKlaG zu unterstellen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 28. März 2017 – I-4 U 148/16, juris Rn. 20 zu § 6 Abs. 1 UKlaG in der vom 1. September 2004 bis 6. Juni 2021 geltenden Fassung, künftig aF), und zwar auch nach der zum 13. Oktober 2023 erfolgten Neufassung der Norm. Denn es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit Neufassung des § 6 Abs. 1 UKlaG eine abweichende Regelung habe schaffen wollen (A. Baetge in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 6 UKlaG 1. Überarb. [Stand: Januar 2025], Rn. 22_1). Zudem habe das Anliegen des Gesetzgebers, Rechtsfragen einer einheitlichen Entscheidung nun des Oberlandesgerichts zuzuführen, auch Bedeutung für die Auslegung der Unterlassungserklärung und die rechtliche Beurteilung, ob die Vertragsstrafe verwirkt sei und ob der Wortlaut einer Klausel „im Kern“ der Unterlassungsverpflichtung unterfalle (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 23. Oktober 2024 – 7 UKl 2/23, juris Rn. 37 ff.).

b) Nach der Gegenauffassung begründet § 6 Abs. 1 UKlaG keine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für Klagen, mit denen eine solche Vertragsstrafe geltend gemacht wird (vgl. z.B. OLG Stuttgart, Urteil vom 10. Juli 2024 - 9 UKl 2/24, juris Rn. 29; OLG Naumburg, Urteil vom 2. Oktober 2024, ZIP 2024, 2584, 2585; vgl. Feddersen in: Köhler/Feddersen, 43. Aufl., UWG § 14 Rn. 2, 3).

Für eine analoge Anwendung fehle es jedenfalls seit der Änderung des § 6 UKlaG zum 13. Oktober 2023 an der hierfür erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe die Zuständigkeitskonzentration bewusst neu gefasst, ohne Vertragsstrafeansprüche einzubeziehen (vgl. OLG Stuttgart, aaO; OLG Naumburg, aaO). Auch der Sinn und Zweck des § 6 Abs. 1 UKlaG sprächen gegen eine entsprechende Anwendung.

2. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

a) Nach § 6 Abs. 1 UKlaG sind die Oberlandesgerichte ausschließlich für „Klagen nach diesem Gesetz“ zuständig, also für Klagen über Ansprüche nach den §§ 1 bis 2b UKlaG. Vertragsstrafeklagen sind vom Wortlaut der Norm danach nicht erfasst.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ergibt sich nichts Abweichendes aus dem Urteil des 4. Zivilsenats des hiesigen Oberlandesgerichts vom 28. März 2017 (I-4 U 148/16, juris). Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung zwar die Ausführungen des Bundesgerichtshofs aus dem Beschluss vom 19. Oktober 2016 (I ZR 93/15) zu § 13 Abs. 1 UWG aF auf § 6 Abs. 1 UKlaG aF übernommen (aaO Rn. 17 ff.). Es hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass entsprechend den Ausführungen des Bundesgerichtshofs die vertragliche Verpflichtung in Form eines abstrakten Schuldanerkenntnisses im Wege der Schuldumschaffung an die Stelle des gesetzlichen Anspruchs aus dem UKlaG trete; aufgrund dessen sei auch für Ansprüche aus dieser Vereinbarung die Zuständigkeit nach § 6 Abs. 1 UKlaG aF gegeben.

Diese Überlegungen stellten indes nicht in Rechnung, dass nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 UWG aF (nunmehr § 14 Abs. 1 UWG) eine ausschließliche Zuständigkeit für „alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, mit denen ein Anspruch auf Grund dieses Gesetzes geltend gemacht wird“, bestand, während unter § 6 Abs. 1 UKlaG aF nur „Klagen nach diesem Gesetz“, mithin Verfahren über die im UKlaG selbst geregelten Ansprüche fielen. Hierzu gehört eine Klage, mit der ein Anspruch aus einer gegenüber einem Vertragspartner bestehenden vertraglichen Verpflichtung nach § 339 BGB geltend gemacht wird, nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 UKlaG aF nicht.

Der Kläger hat im Rahmen der hier erhobenen Zahlungsklage auch nicht nachzuweisen, dass die Abmahnung nach § 5 UKlaG i. V. m. § 13 Abs. 1 UWG, welche die Beklagte veranlasst hat, die Unterlassungserklärung abzugeben und für Zuwiderhandlungen eine Vertragsstrafe zu versprechen, bei Vertragsschluss nach § 1 UKlaG berechtigt war. Die Beurteilung dieser Frage fiel vielmehr in den Risikobereich der Beklagten und hätte von ihr vor Schaffung des eigenständigen, von dem Anspruch nach § 1 UKlaG grundsätzlich unabhängigen Schuldgrundes geprüft werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2019 – I ZR 46/19, juris Rn. 15 f.; BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - I ZR 210/12, GRUR 2014, 797 Rn. 28).

b) Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung oder eine analoge Anwendung des § 6 Abs. 1 UKlaG dahingehend, dass dieser auch die sachliche Zuständigkeit für Vertragsstrafeklagen begründet, scheidet nach Ansicht des Senats aus.

Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (BVerfGE 157, 273 Rn.106; BGHZ 210, 77 Rn. 69 jeweils mwN). Dabei bildet der Wortlaut zwar den Ausgangspunkt, jedoch in der Regel keine starre Auslegungsgrenze. Der gesetzgeberische Wille ist vielmehr auch nach der Systematik sowie nach dem Sinn und Zweck der Norm unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte zu ermitteln (vgl. BVerfGE 159, 355 Rn.83).

aa) Die Gesetzessystematik spricht nicht für eine vom Wortlaut abweichende Auslegung.

Fehl geht zunächst die Auffassung des Oberlandesgerichts Brandenburg, aus § 6 Abs. 3 UKlaG könne abgeleitet werden, dass Vertragsstrafeansprüche von § 6 Abs. 1 UKlaG erfasst sein könnten, auch wenn sie nicht im Gesetz erwähnt würden (OLG Brandenburg, Urteil vom 23. Oktober 2024 – 7 UKl 2/23, juris Rn. 38). Sind – wie bei richtigem Normverständnis anzunehmen – Vertragsstrafeklagen keine „Klagen nach diesem Gesetz“, sind diese auch nicht – wie Klagen, „die einen Anspruch der in § 13 UKlaG bezeichneten Art zum Gegenstand haben“ – gemäß § 6 Abs. 3 UKlaG aus dem Anwendungsbereich des Absatz 1 herauszunehmen.

Der Hinweis auf die „Schwesternvorschriften“ im Wettbewerbsrechts und des Rechts des gewerblichen Rechtsschutzes rechtfertigt ebenfalls keine extensive Auslegung des § 6 Abs. 1 UKlaG. Der zur Begründung der Einbeziehung von Vertragsstrafeklagen herangezogene „inhaltliche Gleichklang“ (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2016 – I ZR 93/15, juris Rn. 25) existiert nach der Neufassung der Norm und der dadurch geschaffenen Eingangszuständigkeit der Oberlandesgerichte für Unterlassungsklagen nicht mehr. In Kennzeichensachen nach § 140 Abs.1 MarkenG, § 27 Abs. 1 GebrMG, § 143 Abs. 1 PatG und eben auch § 14 Abs. 1 UWG sind vielmehr die Landgerichte erstinstanzlich zuständig geblieben, und zwar auch für die parallelen Unterlassungsansprüche nach § 8 Abs. 1 UWG.

bb) Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes rechtfertigt eine Ausweitung des § 6 Abs. 1 UKlaG auf Vertragsstrafeklagen gleichfalls nicht.

(1.) Zum einen ist schon davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber bei der Neuregelung im Jahr 2023 die seit ca. 2016 geführte Diskussion in Rechtsprechung und Literatur zu einer Einbeziehung von Vertragsstrafeklagen in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 UKlaG aF bekannt war. Dennoch hat dies keinen Niederschlag in der Neufassung gefunden; insbesondere ist die von der herrschenden Meinung aufgezeigte vermeintliche Regelungslücke nicht geschlossen worden. Soweit das Landgericht meint, der Gesetzgeber habe die Problematik schlicht übersehen, insbesondere, weil zwischen der Änderung der Zuständigkeitsregelung im UWG im Jahr 2020 und der des § 6 UKlaG im Jahr 2023 ein Regierungswechsel stattgefunden habe, ist auch im Falle eines Regierungswechsels regelmäßig davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber die Erwägungen der Vorgängerregierung zur Begründung einer Gesetzesänderung bekannt sind. Abgesehen davon genügte die Annahme, aus der Gesetzesbegründung ließe sich jedenfalls nicht der objektivierte Wille des Gesetzgebers entnehmen, Vertragsstrafeansprüche nicht in § 6 Abs. 1 UKlaG einzubeziehen, nicht, um eine Auslegung der Norm entgegen ihrem Wortlaut zu rechtfertigen.

(2.) Zum anderen ergibt auch die weitere Gesetzgebungshistorie keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den nach § 6 Abs. 1 UKlaG für Ansprüche aus diesem Gesetz zuständigen Oberlandesgerichten eine Kompetenz für die Entscheidung über Vertragsstrafeansprüche zuweisen wollte. Im Gegenteil zeigt eine Auswertung der Gesetzesmaterialien, dass den Oberlandesgerichten allein solche Ansprüche in erster (und in Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch in letzter) Instanz zur Entscheidung zufallen sollten, die ihre Grundlage in der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (Verbandsklagerichtlinie) haben (vgl. KG, Urteil vom 5. November 2024 – 5 UKl 5/24, juris Rn. 81 ff.).

Ausweislich Erwägungsgrund 7 der Verbandsklagerichtlinie ist es Ziel der Richtlinie, effiziente Instrumente des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes u.a. auf nationaler Ebene sicherzustellen, nämlich Unterlassungsklagen, durch die Zuwiderhandlungen gegen Verbraucherrecht beendet werden können, und Abhilfeklagen, durch die Verbraucherrechte durchgesetzt werden können. In Umsetzung dieser Vorgaben hat der Gesetzgeber die im deutschen Recht bis dahin nicht vorgesehene Abhilfeklage mit den Regelungen zu der bisher in der ZPO verankerten Musterfeststellungsklage in ein neues Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) aufgenommen. Insoweit ist die ausschließliche sachliche Zuständigkeit für die vom Gesetzgeber als Verbandsklagen (im engeren Sinne) bezeichnete Abhilfeklage und die Musterfeststellungsklage im VDuG angesichts der Breitenwirkung der mit Abhilfe- und Musterfeststellungsklagen geltend gemachten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse und der hiermit einhergehenden Bedeutung der Sache gemäß § 3 Abs. 1 VDuG den Oberlandesgerichten zugewiesen worden (vgl. BT-Drs. 20/6520, S. 70 „Zu § 3“ „Zu Absatz 1“). Indem die ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Landgerichte nach § 6 Abs. 1 UKlaG aF aufgegeben und für die Verfahren nach dem UKlaG nunmehr in § 6 Abs. 1 UKlaG eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gewählt worden ist, hat der Gesetzgeber einen Gleichlauf mit den übrigen von der Verbandsklagerichtlinie vorgesehenen Instrumenten für die effektive Durchsetzung der Verbraucherrechte hergestellt (KG, Urteil vom 5. November 2024 – 5 UKl 5/24, juris Rn. 87). Das vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2016 (I ZR 93/15, juris Rn. 25) unterstellte gesetzgeberische Ziel, die ausschließliche erstinstanzliche Zuständigkeit der Landgerichte im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und nach dem Unterlassungsklagengesetz einheitlich zu regeln, ist demgegenüber entfallen.

Diese Konzentration aller Klagen bei den Oberlandesgerichten, die nach dem VDuG und nach dem UKlaG von den prozessführungsbefugten Verbänden zum Zwecke der Durchsetzung der Verbraucherrechte erhoben werden können, sollte dabei zum einen der Erleichterung einer aufeinander abgestimmten Durchsetzung der Verbraucherrechte dienen (vgl. Meller-Hannich, DB 2023, 628, 634; KG, aaO Rn. 88). Zum anderen sollte die ausschließliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte die Verfahren beschleunigen. Hierbei ging der Gesetzgeber davon aus, dass in den künftig nach dem UKlaG geführten Verfahren überwiegend Rechtsfragen zu klären seien, so dass eine Tatsacheninstanz ebenso wie bei Musterfeststellungsklagen und Abhilfeklagen nach dem VDuG ausreichend sei (BT-Drucks. 20/6520, S. 118 „Zu Buchstabe b“). Für den Gesetzgeber stand danach bei der Bestimmung der ausschließlichen sachlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte das Interesse im Vordergrund, möglichst zügig Rechtsklarheit durch höchstrichterliche Entscheidungen zu schaffen und eine effektive Rechtsdurchsetzung zu vereinfachen (vgl. Janar, GRUR 2023, 985, 986; KG, aaO).

Dieser klaren Zielvorstellung des Gesetzgebers liefe es zuwider, würde man den Oberlandesgerichten neben den Klagen nach §§ 1 ff. UKlaG auch Vertragsstrafeklagen zuweisen. So handelte es sich bei diesen Klagen schon nicht um auf Rechtsfragen fokussierte Verfahren; sie werfen vielmehr regelmäßig auch Tatsachenfragen, die im Einzelfall zu entscheiden sind, auf. Ihre beschleunigte Bearbeitung diente ferner nicht der Durchsetzung von Verbraucherrechten. Insoweit weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass das Urteil bei einer Vertragsstrafeklage als Individualklage nur inter partes wirkt, während bei der Verbandsklage die Urteilswirkung weiter reicht. Auch hemmt nach § 204a BGB die Erhebung einer einstweiligen Verfügung bzw. einer Klage nach den §§ 1 bis 2a UKlaG die Verjährung von Ansprüchen von Verbrauchern gegenüber dem Unternehmer; diese verjährungshemmende Wirkung kommt einer Vertragsstrafeklage indes nicht zu. Gerade an den Regelungen zur Verjährung wird erneut deutlich, dass der Gesetzgeber zwischen Kollektiv- und Individualklagen unterscheiden wollte und nur den ersteren zugunsten der Verbraucher eine besondere Stellung zukommen sollte.

Dass der Gesetzgeber Vertragsstrafeklagen bei der Neufassung des § 6 Abs. 1 UKlaG nicht mit aufnehmen wollte, folgt darüber hinaus aus den dem VDuG angenäherten Vorschriften zum Verfahren. Nicht nur, dass zur Geltendmachung der Ansprüche nach §§ 1 bis 2a UKlaG „auf Unterlassung, auf Widerruf und auf Beseitigung“ allein die in § 3 und § 3a UKlaG aufgenommenen Stellen berechtigt sind; auch die Pflicht zur Veröffentlichung von Klagen und Entscheidungen nach § 5a bzw. nach § 6a UKlaG zeigt, dass von dem UKlaG ausschließlich Verfahren erfasst werden sollten, die grundsätzlich die Interessen einer Vielzahl von Verbrauchern betreffen. Für eine Vertragsstrafeklage, die für andere Verfahren keine Wirkung hat, passen diese Vorschriften demgegenüber nicht; eine Veröffentlichung dieser Klagen wäre ohne Sinn. Entsprechende Vorgaben zur Veröffentlichung enthält das UWG, dessen § 14 Abs. 1 Individualklagen grundsätzlich einschließt, folgerichtig auch nur für Klagen von qualifizierten Verbraucherverbänden nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, soweit diese Ansprüche nach § 8 Abs. 1 UWG gerichtlich geltend machen (§ 8 Abs. 5 Satz 2 UWG). Dies sind Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassung im Falle einer Wiederholungsgefahr entsprechend § 1 UKlaG, nicht aber Vertragsstrafeansprüche.

cc) Eine teleologische Betrachtung bestätigt schließlich dieses Ergebnis.

Die teleologische Interpretation gewährleistet, dass eine Norm ihrer Funktion gerecht wird und ist insbesondere bei einer nach dem Wortlaut unklaren Rechtslage bedeutsam (BVerfGE 124, 25/40). Da eine solche nach dem Wortlaut unklare Rechtslage – wie ausgeführt – schon nicht vorliegt, kommt eine teleologische Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 6 Abs. 1 UKlaG ohnehin nur eingeschränkt in Betracht. Eine Erweiterung wäre aber auch nicht vom Zweck der Norm gedeckt.

Wie aufgezeigt soll nach dem Willen des Gesetzgebers mit § 6 Abs. 1 UKlaG maßgeblich eine Verfahrensbeschleunigung durch Zuständigkeitskonzentration bei den Oberlandesgerichten in Kollektivverfahren erreicht werden (BT-Drucksache 20/650, S. 118, „Zu Buchstabe b“). Diesem Zweck entspricht eine Erstreckung der Zuständigkeit der Oberlandesgerichte auf Vertragsstrafeklagen nicht. Denn in Vertragsstrafeverfahren sind regelmäßig auch Tatsachenfragen zu klären, die sich aus dem Einzelfall ergeben; eine Verfahrensbeschleunigung durch eine einheitliche Beurteilung scheidet – anders als bei der Frage der Zulässigkeit bestimmter Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen – insoweit von vornherein aus. Dem einzelnen Fall käme im Hinblick darauf, dass die Wirksamkeit des Vertragsstrafeversprechens jeweils unter Zugrundelegung der konkreten Umstände des Einzelfalls und die Verwirkung der Strafe im Wege der Vertragsauslegung zu klären ist, keine Allgemeingültigkeit zu.

Würden Vertragsstrafeverfahren erstinstanzlich vor dem Oberlandesgericht geführt, würden diese tatsächlichen Fragen zudem nur durch eine Instanz geprüft, da nach § 6 Abs. 1 UKlaG gegen die Urteile der Oberlandesgerichte allein die Revision stattfindet. Eine „einfache“ Tatsacheninstanz ist aber gesetzlich wenigen Ausnahmefällen vorbehalten, maßgeblich bei Geringfügigkeit wegen Nichterreichens der Berufungssumme (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Gerade die von den Befürwortern einer erweiternden Auslegung hervorgehobene Bedeutung der Sache spricht dafür, dieser Bedeutung auch durch eine erneute Überprüfung der Tatsachenfeststellungen ausreichend Rechnung zu tragen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamburg: Es ist nicht dringlichkeitsschädlich wenn ein Markeninhaber bei Markenrechtsverletzungen nicht gegen den Hersteller sondern gegen Händler vorgeht

OLG Hamburg
Urteil vom 08.05.2025
5 U 98/24


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass es nicht dringlichkeitsschädlich ist, wenn ein Markeninhaber bei Markenrechtsverletzungen nicht gegen den Hersteller sondern gegen Händler vorgeht.

Aus den Entscheidungsgründen:
cc. Mit dem Landgericht ist auch ein Verfügungsgrund zu bejahen. Die Dringlichkeitsvermutung gem. § 140 Abs. 3 MarkenG ist im Streitfall nicht widerlegt. Auch aus dem Gesichtspunkt des anhängigen Löschungs- und Verfallsverfahrens gegen die Verfügungsmarke ergibt sich – wie vom Landgericht zu Recht angenommen – kein Fehlen der Dringlichkeit. Das hiergegen gerichtete Berufungsvorbringen bleibt ohne Erfolg.

aaa. Die Antragstellerin hat sich vorliegend nicht dringlichkeitsschädlich verhalten.

Die konkrete Verletzungsform, wie sie im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren angegriffen wird, ist der Antragstellerin unwidersprochen erst am 22.05.2024 bekannt geworden. Der Screenshot Anlage Ast 8 weist dieses Datum aus. Die Antragstellerin hat eine erstmalige Kenntnis am 22.05.2024 behauptet und mit der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers U. R. auch glaubhaft gemacht. Auch im Berufungsverfahren behauptet die Antragsgegnerin (bzw. die Nebenintervenientin, was sich die Antragsgegnerin zu eigen gemacht hat) keine frühere Kenntnis der Antragstellerin von der hier angegriffenen Verkaufsanzeige. Der Verfügungsantrag wurde am 17.06.2024 eingereicht.

Der Einwand der Berufung, die Antragstellerin habe sich dringlichkeitsschädlich verhalten, weil sie nicht (schnell genug) gegen die Nebenintervenientin als Herstellerin der betreffenden Stühle vorgegangen sei, bleibt ohne Erfolg. Die Dringlichkeit ist im Verhältnis der Parteien zueinander zu beurteilen; die Kenntnis von gleichartigen Verletzungshandlungen eines Dritten ist grundsätzlich nicht dringlichkeitsschädlich (Jaworski in Ingerl/Rohnke/Nordemann, MarkenG, 4. Aufl., Vor §§ 14-19d Rn. 259 m.w.N.). Die Dringlichkeit ist im Ausgangspunkt nicht durch die Untätigkeit des Antragstellers berührt, der gegen gleichartige Verstöße Dritter nicht vorgegangen ist. Denn die Entscheidung, ob und gegen welchen Verletzer er vorgeht, liegt allein in der Hand des Antragstellers (OLG Hamburg PharmR 2013, 418, 419; Köhler/Feddersen in Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 12 Rn. 2.19). Dies gilt auch für den Fall, dass der Antragsteller nur gegen den Vertreiber eines Produkts vorgeht, nicht aber gegen dessen Hersteller (Köhler/Feddersen in Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 12 Rn. 2.19).

Im vorliegenden Streitfall kommt hinzu, dass die Antragstellerin gegen die Nebenintervenientin als Herstellerin der Stühle eine einstweilige Verfügung vom 19.07.2024 erwirkt hat. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass ein Antragsteller bei seiner Rechtsverfolgung kein Prozessrisiko eingehen muss. Es kann von ihm nicht verlangt werden, überhastet und ohne ordnungsgemäße Prüfung einen Verfügungsantrag zu stellen. Er muss das Gericht deshalb erst anrufen, wenn er erstens verlässliche Kenntnis all derjenigen Tatsachen hat, die eine Rechtsverfolgung im einstweiligen Verfügungsverfahren erfolgversprechend machen, und wenn er zweitens die betreffenden Tatsachen in einer solchen Weise glaubhaft machen kann, dass sein Obsiegen sicher absehbar ist (Voß in Cepl/Voß, Prozesskommentar, 3. Aufl., § 940 ZPO Rn. 86). Dass die Antragstellerin vorliegend bereits nach der E-Mail vom 03.05.2024 (Anlage NI 26) mit Erfolg einen Verfügungsantrag gegenüber der Nebenintervenientin mit Sitz in Bosnien-Herzogowina hätte stellen können, davon ist im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren nicht überwiegend wahrscheinlich auszugehen. Die Antragstellerin macht insoweit geltend, eine Lieferung der betreffenden Stühle nach Deutschland habe zunächst nicht festgestellt werden können. Das Angebot der Nebenintervenientin selbst habe die Antragstellerin erst am 17.06.2024 festgestellt. Ein erforderliches bewusstes Sich-Verschließen von der Kenntnis vor dem 17.06.2024 betreffend die Inanspruchnahme der Nebenintervenientin als Herstellerin kann im Streitfall nicht festgestellt werden. Es besteht insoweit keine allgemeine Marktbeobachtungobliegenheit oder Obliegenheit zu ständiger Markenüberwachung (Jaworski in Ingerl/Rohnke/Nordemann, MarkenG, 4. Aufl., Vor §§ 14-19d Rn. 258 m.w.N.).

bbb. Auch im Hinblick auf das anhängige Löschungsverfahren betreffend die deutsche Verfügungsmarke ist ein Verfügungsgrund gegeben. Zwar kann ein Verfügungsgrund zu verneinen sein, wenn ein gleichzeitig anhängiger Löschungsantrag nach der Einschätzung des Verletzungsgerichts hohe Erfolgsaussicht hat (Senat GRUR-RS 2020, 33485 Rn. 78 - smartBASE/smartbase m.w.N.). Erforderlich ist nach der Auffassung des Senats jedoch, dass als so gut wie feststehend angenommen werden kann, dass die Marke zu löschen ist. Derartiges ist hier nicht der Fall. Das durch die Antragsgegnerin betriebene Löschungsverfahren wird nach dem im vorliegenden Verfahren gehaltenen und glaubhaft gemachten Vortrag nicht erfolgreich sein.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren gemäß § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten wenn erstinstanzlich nach Richterwechsel nicht erneut mündlich verhandelt wurde

BGH
Beschluss vom 16.04.2025
VII ZR 126/23
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 309, § 522 Abs. 2 Nr. 4


Der BGH hat entschieden, dass im Berufungsverfahren gemäß § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO eine mündliche Verhandlung geboten ist, wenn erstinstanzlich nach einem Richterwechsel entgegen § 309 ZPO nicht erneut mündlich verhandelt wurde.

Leitsatz:
In Fällen, in denen das mit der Berufung angefochtene Urteil durch einen Richter gefällt worden ist, der entgegen § 309 ZPO der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht beigewohnt hat, ist eine mündliche Verhandlung im Sinne von § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten.

BGH, Beschluss vom 16. April 2025 - VII ZR 126/23 - OLG München - LG Augsburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO gegen soziales Netzwerk (hier: X / Twitter) kann auch durch Self-Service-Tool vollständig erfüllt werden

OLG Frankfurt
Beschluss vom 02.07.2024
6 U 41/24


Das OLG Frankfurt hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass der Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO gegen ein soziales Netzwerk (hier: X / Twitter) auch durch ein Self-Service-Tool vollständig erfüllt werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte durch die Bereitstellung eines Self-Service-Tool sowie das Schreiben vom 18.04.2023 (Anlage K 3) den Auskunftsanspruch des Klägers nach § 15 II DSGVO erfüllt hat.

Die Bereitstellung des Selbstbedienungstools führt dazu, dass der Kläger die Auskünfte an seinem Wohnsitz abrufen kann, wenn er dies will. Der Auskunftserfolg tritt damit auch dann am rechten Ort ein, wenn man - mit der Berufungsbegründung - zugrunde legt, dass Erfüllungsort der Sitz des Klägers ist.

Anderes ergibt sich (entgegen der Berufungsbegründung) auch nicht aus Erwägungsgrund 63 zur DSGVO. Dieser lautet:

„Eine betroffene Person sollte ein Auskunftsrecht hinsichtlich der sie betreffenden personenbezogenen Daten, die erhoben worden sind, besitzen und dieses Recht problemlos und in angemessenen Abständen wahrnehmen können, um sich der Verarbeitung bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können. Dies schließt das Recht betroffener Personen auf Auskunft über ihre eigenen gesundheitsbezogenen Daten ein, etwa Daten in ihren Patientenakten, die Informationen wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten. Jede betroffene Person sollte daher ein Anrecht darauf haben zu wissen und zu erfahren, insbesondere zu welchen Zwecken die personenbezogenen Daten verarbeitet werden und, wenn möglich, wie lange sie gespeichert werden, wer die Empfänger der personenbezogenen Daten sind, nach welcher Logik die automatische Verarbeitung personenbezogener Daten erfolgt und welche Folgen eine solche Verarbeitung haben kann, zumindest in Fällen, in denen die Verarbeitung auf Profiling beruht. Nach Möglichkeit sollte der Verantwortliche den Fernzugang zu einem sicheren System bereitstellen können, der der betroffenen Person direkten Zugang zu ihren personenbezogenen Daten ermöglichen würde. Dieses Recht sollte die Rechte und Freiheiten anderer Personen, etwa Geschäftsgeheimnisse oder Rechte des geistigen Eigentums und insbesondere das Urheberrecht an Software, nicht beeinträchtigen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass der betroffenen Person jegliche Auskunft verweigert wird. Verarbeitet der Verantwortliche eine große Menge von Informationen über die betroffene Person, so sollte er verlangen können, dass die betroffene Person präzisiert, auf welche Information oder welche Verarbeitungsvorgänge sich ihr Auskunftsersuchen bezieht, bevor er ihr Auskunft erteilt.“

Der Erwägungsgrund 63 besagt somit nirgends, dass der Fernzugang (hier: Selbstbedienungstool) nur dann erfüllungstauglich wäre, wenn der Nutzer mit dieser Art der Erfüllung einverstanden ist. Auch gebietet er keine solche Folgerung. Die Bereitstellung eines angemessenen Fernzugangs über ein Self-Service-Tool wird daher als ausreichend angesehen, um den Anspruch auf Bereitstellung einer Kopie der personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO zu erfüllen (OLG Dresden, Urteil vom 5. Dezember 2023, Az. 4 U 1094/23, Rn. 65, juris; OLG München, Vfg. vom 29.01.2024, 14 U 4826/23 - nicht veröffentlicht; LG Bonn, Urteil vom 8. März 2023, Az.: 17 O 165/22, GRUR-RS 2023, 3854 Rn. 59 ff.; LG Bonn, Urteil vom 3. Februar 2023, Az.: 2 O 170/22, GRUR-RS 2023, 4566, Rn. 54 ff.; LG Bonn, Urteil vom 3. Februar 2023, Az.: 18 O 127/22, GRUR-RS 2023, 4565, Rn. 56 f.; LG Paderborn, Urteil vom 19. Dezember 2022, Az.: 3 O 99/22, GRUR-RS 2022, 39349, Rn. 162 ff.; LG Paderborn, Urteil vom 13. Dezember 2022, Az.: 2 O 212/22, GRUR-RS 2022, 41028 Rn. 176 ff.; LG München I, Urteil vom 2. September 2021, Az.: 23 O 10931/20, juris Rn. 23 f.; Krämer/Burghoff, ZD 2022, 428, 432; Paal, in: Paal/Pauly DSGVO, 3. Aufl. 2021, Art. 15 Rn. 38 iVm Rn. 14; Franck, in: Gola/Heckmann DSGVO, 3. Aufl. 2022, Art. 15 Rn. 40.), sie ist sogar die gewünschte Form der Übermittlung

Soweit eine einzelne Stimme (Schmidt-Wudy, BeckOK Datenschutzrecht, Art. 15 DS- GVO Rn. 84) der Auffassung ist, ein Fernzugriffssystem ersetze nur dann die Übersendung der Auskunft bzw. Datenkopie im Wege der Schickschuld per Post oder auf elektronischem Wege, wenn sich der Anspruchsteller hiermit einverstanden erkläre, fehlt es hierfür ebenso an einer tragfähigen Begründung wie in der Entscheidung des LAG Niedersachsen (NZA-RR 2020, 571, Rnr. 46), die ohne Begründung diese Literaturstelle zitiert.

Die Verweisung auf den Fernzugang kann im Einzelfall zwar dazu führen, dass der betroffenen Person faktisch die Auskunft verweigert wird: Beispielsweise haben auch Menschen, die „analog leben“ oder/und keine nennenswerten Fähigkeiten im Umgang mit IT-gestützten Portalen haben, ein Recht auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO, dieses könnte untergraben werden, wenn man sie auf das ihnen unzugängliche Selbstbedienungstool verwiese. Darüber muss vorliegend jedoch nicht entschieden werden, denn wer sich bei der Beklagten registriert, lebt denknotwendig nicht (mehr) analog und lässt auch nicht erwarten, im Umgang mit IT-gestützten Portalen unbeschlagen zu sein.

2. Es kann dahinstehen, ob der Anwendungsbereich von Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf Schäden infolge der reinen Datenverarbeitung im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DSGVO begrenzt ist und daher ein Verstoß gegen Art. 15 (oder Art. 34) DSGVO überhaupt einen Schadensersatzanspruch zur Folge hat. Der Kläger hat das Vorliegen eines Schadens nämlich nicht substantiiert vorgetragen.

a) Auch wenn - wie Erwägungsgrund 146 unterstreicht - der Schadensbegriff im Ansatz weit zu verstehen ist, ergibt schon die Zählung der Tatbestandsmerkmale des Art. 82 Abs. 1 DSGVO eine Anzahl von drei (so auch EuGH C-300/21), nämlich (1) Verstoß, (2) Schaden, (3) Kausalität.

Der Verstoß (Herbeiführung des Kontrollverlustes an den Daten) ist schon deshalb nicht bereits der Schaden und führt auch nicht „automatisch“ zu einem Schaden (EuGH, Urt. v. 04.05.2023, C-300/21 - Österreichische Post). Da die Erwägungsgründe besagen, dass der Schaden "erlitten" sein muss, kann der Kontrollverlust (als rein objektiver Befund) nicht für sich allein bereits der Schaden sein (OLG Hamm, 7 U 19/23 Rn 72 ff).

Dergleichen hat insbesondere der Gerichtshof der Europäischen Union nicht postuliert, sondern im Gegenteil (EuGH 5.12.2023, C-807/21 Rn 82) den „Verlust der Kontrolle“ in Erwägungsgrund 85 als Beispiel für Umstände gesehen, die „erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile“ darstellen können. Daraus leitet der EuGH aber gerade nicht her, dass schon der Kontrollverlust ohne weiteres der Schaden „sei“, sondern lediglich: dass der Schaden nicht eine bereits eingetretene „missbräuchliche Verwendung der betreffenden Daten zum Nachteil“ der betroffenen Person voraussetzt, sondern die Befürchtung (Rn 81) zukünftiger missbräuchlicher Verwendung ausreichen kann (vgl. auch EuGH, U. v. 20.6.2024 - C.590/22, juris Rn. 32 f.). Ein Schadensersatzanspruch besteht auch bei einem Kontrollverlust über personenbezogenen Daten nur, sofern die betroffene Person darlegt und bei Bedarf nachweist, dass sie tatsächlich einen Schaden - so geringfügig er auch sein mag - erlitten hat (EuGH, U. v. 20.6.2024 - C.590/22, juris Rn. 33 mwN), Die Fokussierung des EuGH auf den Begriff der „Befürchtung“ (englisch: „fear“, französisch: „crainte“) wäre überflüssig, wenn in dem objektiven Vorgang des Kontrollverlustes bereits ein Schaden im Sinne von § 82 Abs. 1 DSGVO läge.

Vorliegend ist das Landgericht zutreffend zum Schluss gelangt, dass nach dem Klägervortrag ein (hier unterstellter) Verstoß der Beklagten in keiner Weise irgendeine persönlich erlebte belastende Folge kausal verursacht hat. Wie gezeigt, ist der bloße Kontrollverlust als solcher nicht „der“ Schaden des Art. 82 Abs. 1 DSGVO. Er führt auch nicht etwa gleichsam „automatisch“ zu „einem Zustand, in dem sich die Klägerseite berechtigt wie nachvollziehbar in Sorge um den Verbleib sowie einen möglichen Missbrauch ihrer Daten“ befinden würde: Die für Art. 82 Abs. 1 DSGVO erforderliche Befürchtung (deutlicher englisch „fear“ und französisch „crainte“, also blanke „Furcht“) besteht nicht allein in einer logischen Gedankenoperation des Betrachters oder der Klagepartei, sondern wäre ein (negatives) Gefühl der Klagepartei, das bestritten und von dieser zu beweisen war - und anhand objektiver Umstände nachvollziehbar sein muss.

Jedenfalls hat das Landgericht zu Recht den klägerischen Vortrag als pauschal und substanzlos angesehen (“Zustand des Unwohlseins und der Sorge des Datenmissbrauchs“). Das ist angesichts des formelhaften und erkennbar nicht individualisierten Zuschnitts dieses Vorbringens nicht zu beanstanden; hiergegen erinnert die Berufungsbegründung auch nichts. Hinzu kommt, dass nicht nachvollziehbar ist, wieso im Fall einer mutmaßlichen Verletzung der Auskunftspflicht - in der bisher überhaupt kein Indiz für einen Datenabfluss bestanden hat - der „Zustand des Unwohlseins und der Sorge des Datenmissbrauchs“ gegeben sein kann.

3. Da sich die Bemessung der Höhe des Schadensersatzes nach nationalem Recht richtet (vgl. z.B. EuGH, U. v.26.2024 - C-182/22, juris Rn. 33), ist ein Anspruch auf Schadensersatz insoweit auch wegen überwiegenden Mitverschuldens (§ 254 BGB) ausgeschlossen, da der Kläger von der naheliegenden Möglichkeit, sich über das Selbstbedienungstool zu informieren, keinen Gebrauch gemacht hat. Eine Rechtsgrundlage für den Ersatz der außergerichtlichen Kosten ist nicht ersichtlich. Insbesondere lag kein Verzug vor. Die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten des Klägers erfolgt vor der erstmaligen Geltendmachung des Rechts aus Art. 15 DSGVO gegenüber der Beklagten.

Ein möglicher Verzug der Beklagten - der wegen Art. 12 III DSGVO vor Ablauf einer Monatsfrist wegen der von der Beklagten geschilderten Vielzahlt von Anfragen schwer zu begründen ist - wäre daher nicht kausal für den geltend gemachten Schaden in Form der Beauftragung des Prozessbevollmächtigten des Klägers.

4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert entgegen der Angabe des Klägers in der Klageschrift (8.000,-- €) auf 2.000 € festzusetzen.

Zwar sind die Angaben des Klägers in der Klageschrift bei der Ermessensausübung nach § 3 ZPO regelmäßig ein ganz erhebliches Indiz, da die Angabe unbeeinflusst vom Ausgang des Rechtsstreits erfolgt und damit eine erhöhte Richtigkeitsgewähr einhergeht. Anderes gilt jedoch dann, wenn der Wert offensichtlich über- oder untersetzt ist.

Dies ist hier der Fall. Der Senat hält die Schmerzensgeldangabe von 3.000 € als um ein Vielfaches übersetzt an; der Kläger selbst hat schriftsätzlich einen Betrag von 1.500 € als angemessen angegeben.

Den Wert des Klagantrags zu 1.) und 2.) hingegen setzt der Senat nicht mit zusammen 5.000 €, sondern mit 500 € fest. Auskunftsansprüche bewegen im Regel im Bereich eines Bruchteils des Hauptanspruchs, wenn sie diesen unterstützen. Der Anspruch nach § 15 DSGVO ist zwar ein selbständiger Anspruch, bewegt sich jedoch wertmäßig in einer vergleichbaren Höhe. Hinzu kommt, dass der Anspruch keinen wirtschaftlichen Interessen des Klägers dient. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Anhaltspunkte für eine Rechtsverletzung nicht bestehen. Der Senat hält daher einen Wert von 500 € für angemessen (vgl. z.B. OLG Köln ZD 2018, 268; OLG Köln ZD 2019, 463)

5. Einer Entscheidung nach § 522 II ZPO steht auch nicht ein etwaiger Revisionszulassungsgrund der Divergenz oder der grundsätzlichen Bedeutung entgegen. Soweit das LAG Niedersachen (NZA-RR 2020, 571, Rnr. 46) eine Datenübersendung in elektronischer Form als zur Erfüllung ungeeignet ansieht, kann dies eine Revisionszulassung nicht begründen.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. allgemein von Bedeutung ist (st Rspr; BGH NJW 2002, 3029). Klärungsbedürftig in diesem Sinne ist eine Rechtsfrage, wenn sie vom BGH nicht entschieden und von Oberlandesgerichten oder in der Literatur unterschiedlich beantwortet wird (BGH NZG 2010, 625 Rn. 3; DStR 2014, 383 Rn. 2). Der Klärungsbedarf entfällt, wenn abweichende Ansichten im Schrifttum vereinzelt geblieben und nicht oder nicht nachvollziehbar begründet sind (NZG 2024, 249 Rn. 9; BGH NZG 2010, 625). So verhält es sich hier.


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BGH: § 287 ZPO erleichtert für den Geschädigten nicht nur die Beweisführung sondern auch die Darlegungslast

BGH
Beschluss vom 30.07.2024
VI ZR 122/23
ZPO § 287


Der BGH hat entschieden, dass § 287 ZPO für den Geschädigten nicht nur die Beweisführung sondern auch die Darlegungslast erleichtert.

Leitsatz des BGH:
Dem Geschädigten wird durch § 287 ZPO nicht nur die Beweisführung, sondern bereits die Darlegung erleichtert. Er muss zur substantiierten Darlegung des mit der Klage geltend gemachten Schadens weder ein Privatgutachten vorlegen, noch ein vorgelegtes Privatgutachten dem Ergebnis der Beweisaufnahme oder der gerichtlichen Überzeugungsbildung entsprechend ergänzen. Der Geschädigte kann durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen aufklären lassen, in welcher geringeren als von ihm ursprünglich geltend gemachten Höhe Reparaturkosten anfallen.

BGH, Beschluss vom 30. Juli 2024 - VI ZR 122/23 - OLG Frankfurt am Main - LG Gießen

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OLG Zweibrücken: Laufendes Schiedsverfahren schließt Entscheidung im Wege des Eilrechtsschutzschutzes durch staatliche Gerichte nicht aus

OLG Zweibrücken
Beschluss vom 01.10.2024
4 U 74/24


Das OLG Zweibrücken hat entschieden, dass ein laufendes Schiedsverfahren eine Entscheidung im Wege des Eilrechtsschutzschutzes durch staatliche Gerichte nicht ausschließt.

Die Pressmeitteilung des Gerichts:
Aus der Rechtsprechung: Schiedsvertrag hindert staatlichen Eilrechtsschutz nicht

Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken hat entschieden, dass trotz eines laufenden Schiedsverfahrens eine Entscheidung im Wege des Eilrechtsschutzschutzes durch die staatlichen Gerichte zulässig ist.

Ein indonesisches Unternehmen stritt mit der Vermieterin von Maschinen um vertragliche Ansprüche wegen Überlassung von Maschinen und Belieferung mit Produktionsmaterial. Konkret ging es um Maschinen, mit denen (Vor-)Komponenten für Schuhproduzenten hergestellt werden können. Das Unternehmen beanspruchte während des laufenden Mietverhältnisses für sich eine Kaufoption für die Maschinen, was zum Streit geführt hatte. Im Januar 2024 kündigte die Vermieterin das seit mehr als zehn Jahren bestehende Mietverhältnis zum 21. Juli 2024. Überdies forderte sie die Rückführung der Maschinen, die Herausgabe des Know-hows sowie die Unterlassung der weiteren Nutzung. Seit 18. September 2023 führen die beiden Vertragspartner aufgrund einer gesondert zwischen ihnen abgeschlossenen Vereinbarung ein außergerichtliches Schiedsverfahren. Verhandlungstermin im Schiedsverfahren war auf den 3. September 2024 bestimmt.

Das Unternehmen beantragte Mitte Juni 2024 beim Landgericht im Wege des Eilrechtsschutzes der Vermieterin aufzugeben, die überlassenen Maschinen nebst Produktionsmaterial bis auf Weiteres bei ihr, dem Unternehmen, zu belassen. Das Landgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen.

Der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts hat auf die Berufung des Unternehmens die Entscheidung des Landgerichts rechtskräftig bestätigt. Bereits nach dem eigenen Verhalten bzw. Vortrag des Unternehmens fehle es an der notwendigen Dringlichkeit für die Gewährung von Eilrechtsschutz. Das Unternehmen habe nach der Kündigung mit der Antragsstellung beim Landgericht fast fünf Monate gewartet. Zudem habe es sich selbst darauf berufen, dass vor dem Erlass einer Entscheidung im Wege des Eilrechtsschutzes das Ergebnis des Schiedsverfahrens abzuwarten sei. Das Schiedsverfahren binde das staatliche Gericht jedoch weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht. Dies könne zwar zum Ergebnis führen, dass ein staatliches Gericht angerufen werde und eine (vorläufige) Regelung treffe, die Einfluss auf das schiedsgerichtliche Verfahren haben könne. Staatliche Gerichte hätten aber neben den Schiedsgerichten für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine konkurrierende Zuständigkeit. So könnten Verfahren vor staatlichen Gerichten schneller zum Ziel führen als der Weg über das Schiedsgericht, zumal nur die von staatlichen Gerichten angeordneten einstweiligen Maßnahmen aus sich heraus vollziehbar seien.

Verfahrensgang:
Landgericht Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 11.07.2024, 7 O 204/24,
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 01.10.2024, 4 U 74/24


LAG Niedersachsen legt EuGH vor: Ist Verarbeitung und Berücksichtigung rechtswidrig erlangter Daten im Prozess mit den Vorgaben der DSGVO vereinbar

LAG Niedersachsen
Beschluss vom 18.07.2024
8 Sa 688/23


Das LAG Niedersachsen hat dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Verarbeitung und Berücksichtigung rechtswidrig erlangter Daten im Prozess mit den Vorgaben der DSGVO vereinbar ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
LAG Niedersachsen legt dem EuGH Fragen zur Auslegung der DSGVO bei deren Anwendung auf die Tätigkeit der Gerichte vor

In einem vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen anhängigen Fall (Aktenzeichen: 8 Sa 688/23) verlangt die klagende Arbeitgeberin von einer ausgeschiedenen Arbeitnehmerin Schadenersatz in Höhe von rd. 46.000 Euro. Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe unbefugt Gegenstände aus dem privaten Firmeneigentum an Dritte veräußert und sich am Erlös bereichert. Die Klägerin stützt ihre Erkenntnisse über die Veräußerungsvorgänge auf eine ohne Wissen und Willen der Beklagten erfolgte Einsichtnahme in deren privates ebay-Konto. Auf welche Weise die Klägerin die Kenntnis der ebay-Benutzerkennung der Beklagten und des zugehörigen Passwortes erlangt hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen hat in dieser Rechtssache beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ein Vorabentscheidungsverfahren anhängig gemacht. Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen vom 24. März 2022 - C-245/20 - (Autoriteit Persoonsgegevens) in Rn. 25 und vom 2. März 2023 – C-268/21 – (Norra Stockholm Bygg AB) in Rn. 26 deutlich gemacht, dass auch justizielle Tätigkeit, soweit dabei Daten verarbeitet werden, in den Geltungsbereich der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) fällt. Mit der ersten Vorlagefrage soll Klarheit darüber geschaffen werden, ob die Regelungen des deutschen Zivilprozessrechts bestimmt genug sind - d.h., die erforderliche Regelungstiefe aufweisen -, um den Anforderungen der DSGVO zu genügen. Des Weiteren wird der Gerichtshof - kurz zusammengefasst - gefragt, welche der Normen der DSGVO auf gerichtliche Datenverarbeitungstätigkeit Anwendung finden und welche Rechtsgrundsätze hierbei von den Gerichten zu beachten sind. Die Beantwortung der Fragen durch den Gerichtshof kann über die konkrete Rechtssache hinaus in allen Fällen hilfreich sein, in denen die nationalen Gerichte zu beurteilen haben, ob und unter welchen Voraussetzungen möglicherweise rechtswidrig erlangte Kenntnisse und Beweismittel, die eine Partei in den Rechtsstreit einführt, von ihnen verwertet werden können.

Das Verfahren wird von dem Gerichtshof der Europäischen Union unter dem Aktenzeichen C-484/24 geführt.


BGH: Ist nur das Organ einer juristischen Person Unterlassungsschuldner so können Ordnungsmittel nur gegen das Organ verhängt werden

BGH
Beschluss vom 18.04.2024
I ZB 55/23
ZPO § 542 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 und Satz 2, § 890 Abs.1 Satz 1; BGB § 31


Der BGH hat entschieden, dass für den Fall, dass nur das Organ einer juristischen Person Unterlassungsschuldner ist, Ordnungsmittel auch nur gegen das Organ nicht aber die juristische Person verhängt werden können.

Leitsatz des BGH:
Ist allein das Organ einer juristischen Person Titelschuldner, sind Ordnungsmittel im Falle einer schuldhaften Zuwiderhandlung des Organs gegen den Vollstreckungstitel (allein) gegen das Organ festzusetzen.

BGH, Beschluss vom 18. April 2024 - I ZB 55/23 - OLG Hamburg - LG Hamburg

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BGH: Umstellung von großem Schadensersatz auf Differenzschaden unter Aufgabe des Zug-um-Zug-Vorbehalts im Berufungsverfahren setzt keine Anschlussberufung voraus

BGH
Urteil vom 23.04.2024
VIa ZR 1132/22
BGB § 826, § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; ZPO § 524 Abs. 1 und 2


Der BGH hat entschieden, dass die Umstellung von großem Schadensersatz auf Differenzschaden unter Aufgabe des Zug-um-Zug-Vorbehalts im Berufungsverfahren keine Anschlussberufung voraussetzt.

Leitsatz des BGH:
Der Übergang vom Antrag auf "großen" Schadensersatz zum Antrag auf Ersatz des Differenzschadens unter Aufgabe des Zug-um-Zug-Vorbehalts setzt eine Anschlussberufung grundsätzlich nicht voraus.

BGH, Urteil vom 23. April 2024 - VIa ZR 1132/22 - OLG Stuttgart - LG Stuttgart

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BMJ: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen

Das BMJ hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen vorgelegt.

Aus der Begründung:
A. Problem und Ziel
In Verfahren wegen bürgerlich-rechtlicher Rechtsstreitigkeiten sind je nach Fallgestaltung die Amtsgerichte oder die Langerichte als Eingangsinstanz zuständig. Dabei leisten insbesondere die Amtsgerichte als Eingangsinstanz einen wichtigen Beitrag zur Bürgernähe der Justiz. Denn durch ihre Verteilung in der Fläche wird den Bürgerinnen und Bürgern ein ortsnaher Rechtsschutz und ein leichter Zugang zur Justiz gewährleistet. Eine stark ausgeprägte und gut in der Fläche verteilte amtsgerichtliche Struktur übernimmt damit eine wichtige rechtsstaatliche Aufgabe.

Die Zahl der erstinstanzlich bei den Amtsgerichten eingegangenen Zivilverfahren ist in den letzten Jahrzehnten jedoch immer weiter zurückgegangen. Diese Schwächung ist insbesondere für kleinere Amtsgerichtsstandorte problematisch, da diese den Rückgang der Eingangszahlen nicht durch einen Abbau der Stellen kompensieren können und daher die Gefahr besteht, dass sie ganz geschlossen werden müssen. Ziel des vorliegenden Entwurfs ist daher, die Amtsgerichte in Zivilsachen zu stärken. Außerdem soll durch den Entwurf in bestimmten Bereichen die Spezialisierung in der Justiz gefördert werden.

Daneben sollen zwei Probleme der gerichtlichen Praxis adressiert werden:

Zum einen ist es Gerichten bislang nicht möglich, eine in Folge einer nachträglichen Streitwertänderung oder in Folge einer erfolgreichen Beschwerde gegen die Wertfestsetzung unrichtig gewordene Kostenentscheidung zu ändern. Dies führt zu Wertungswidersprüchen und Ungerechtigkeiten.

Zum anderen werden aufgrund der unklaren Regelung im Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz derzeit keine Richterinnen und Richter an das Bayerische Oberste Landesgericht abgeordnet. Dies hat zur Folge, dass dort bei hohem Geschäftsanfall Engpässe im richterlichen Bereich entstehen können, welche durch Abordnungen verhindert werden könnten.

Dieser Entwurf steht im Kontext der gefährdeten rechtzeitigen Erreichung der Ziele der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 25. September 2015 „Transformation unserer Welt: die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ und erhöht die Leistungsfähigkeit der Justiz im Sinne von Nachhaltigkeitsziel 16.

B. Lösung
Für die Begründung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Amtsgerichte in Zivilsachen ist vor allem der Zuständigkeitsstreitwert entscheidend. Dieser wird derzeit in § 23 Nummer 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes auf Ansprüche festgelegt, deren Gegenstand an Geld oder Geldwert die Summe von 5 000 Euro nicht übersteigt. Diese Streitwertgrenze für die Zuständigkeit der Amtsgerichte wurde seit mehr als 30 Jahren nicht mehr angehoben. Sie wurde zuletzt im Jahr 1993 auf 10 000 DM festgesetzt; dies entspricht der noch heute geltenden Streitwertgrenze von 5 000 Euro. Daher soll unter Berücksichtigung der seitdem eingetretenen Geldwertentwicklung eine Anhebung auf 8 000 Euro erfolgen. Durch diese Anhebung werden die streitwertabhängigen Zuständigkeiten aus dem Jahr 1993 weitestgehend wiederhergestellt und die Anzahl der erstinstanzlich vor dem Amtsgericht zu verhandelnden zivilrechtlichen Verfahren wird sich wieder erhöhen.

Daneben sollen zur Förderung der Spezialisierung weitere streitwertunabhängige Zuständigkeiten der Amts- und Landgerichte geschaffen werden. Zivilrechtliche Streitigkeiten werden in einigen Rechtsgebieten zunehmend komplexer, bei anderen Rechtsgebieten spielt hingegen die Ortsnähe eine besondere Rolle. Durch die im Entwurf vorgesehene, streitwertunabhängige Zuweisung von Sachgebieten an das Amts- oder das Landgericht wird diesem Umstand Rechnung getragen, sodass Verfahren effizient und ressourcenschonend bearbeitet werden können. So sollen Streitigkeiten aus dem Bereich des Nachbarrechts den Amtsgerichten streitwertunabhängig zugewiesen werden. Bei nachbarrechtlichen Streitigkeiten spielt die Ortsnähe oft eine besondere Rolle. Streitigkeiten aus dem Bereich der Vergabesachen, der Heilbehandlungen sowie der Veröffentlichungsstreitigkeiten sollen hingegen den Landgerichten streitwertunabhängig zugewiesen werden, um so eine weitergehende Spezialisierung zu erreichen. Der Entwurf greift damit ein Anliegen der Justizministerinnen und Justizminister aller Länder auf (vergleiche Beschluss zu TOP I.3 der Frühjahrskonferenz 2023 der Justizministerinnen und Justizminister).

Außerdem soll eine Regelung in der Zivilprozessordnung geschaffen werden, die eine Änderung der vom Gericht im Urteil oder Beschluss getroffenen Kostenentscheidung nach einer nachträglichen Änderung der Festsetzung des Streit- oder des Verfahrenswertes ermöglicht. Damit wird ebenfalls ein Anliegen der Justizministerinnen und Justizminister der Länder aufgegriffen (vergleiche Beschluss zu TOP I.15 der Frühjahrskonferenz 2023 der Justizministerinnen und Justizminister). Für das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sowie in den Verfahrensordnungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit sind jeweils entsprechende Regelungen zu schaffen.

Des Weiteren soll im Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz eine gesetzliche Klarstellung erfolgen, dass Abordnungen von Richterinnen und Richtern auch an oberste Landesgerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit möglich sind.


Den Entwurf finden Sie hier:




BGH: Keine Beschwer des Unterlassungsgläubigers hinsichtlich der Ordnungsgeldhöhe wenn Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds weder Betrag noch ungefähre Größenordnung enthält

BGH
Beschluss vom 23.11.2023
I ZB 29/23
ZPO § 572 Abs. 2, § 890 Abs. 1 Satz 1, § 891 Satz 3


Der BGH hat entschieden, dass keine Beschwer des Unterlassungsgläubigers hinsichtlich der Ordnungsgeldhöhe gegeben ist, wenn der Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds keinen Betrag oder keine ungefähre Größenordnung enthält.

Leitsatz des BGH:
Der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde des Gläubigers gegen die Entscheidung, mit der gegen den Schuldner ein Ordnungsgeld verhängt worden ist, steht die fehlende Beschwer entgegen, wenn in seinem Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds weder ein konkreter Betrag noch eine ungefähre Größenordnung des Ordnungsgelds
angegeben wurde und das Gericht die Höhe des Ordnungsgelds nach seinem Ermessen festgesetzt hat.

BGH, Beschluss vom 23. November 2023 - I ZB 29/23 - OLG Hamburg - LG Hamburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Geschäftsgeheimnisstreitsache im Sinn von § 16 Abs. 1 GeschGehG kann auch ein selbständiges Beweisverfahren sein

BGH
Beschluss vom 09.11.2023
I ZB 32/23
GeschGehG § 16 Abs. 1, § 20 Abs. 5 Satz 4


Der BGH hat entschieden, dass Geschäftsgeheimnisstreitsache im Sinn von § 16 Abs. 1 GeschGehG auch ein selbständiges Beweisverfahren sein kann.

Leitsätze des BGH:
a) Unter die Geschäftsgeheimnisstreitsachen im Sinn des § 16 Abs. 1 GeschGehG fallen auch selbständige Beweisverfahren.

b) Soweit § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG die Anfechtbarkeit von Anordnungen nach § 16 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 GeschGehG beschränkt, gilt dies nicht für in einem selbständigen Beweisverfahren ergangene Anordnungen. Insbesondere kann ein dem selbständigen Beweisverfahren eventuell nachfolgendes Klageverfahren nicht als Hauptsache im Sinn des § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG zu dem selbständigen Beweisverfahren angesehen werden.

BGH, Beschluss vom 9. November 2023 - I ZB 32/23 - OLG München - LG Augsburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Begrenzung des Instanzenzugs nach § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO gilt nur für einstweiliges Verfügungsverfahren und nicht für Kostenfestsetzungs- und Ordnungsmittelverfahren

BGH
Beschluss vom 26.09.2023
VI ZB 79/21
ZPO § 542 Abs. 2, § 574 Abs. 1 Satz 2, § 890


Der BGH hat entschieden, dass die Begrenzung des Instanzenzugs nach § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur für das einstweilige Verfügungsverfahren und nicht für sich anschließende selbständige Verfahren wie dass Kostenfestsetzungs- und Ordnungsmittelverfahren gilt.

Leitsätze des BGH:
a) Die Begrenzung des Instanzenzugs durch § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO gilt nur für das Verfügungsverfahren selbst, nicht hingegen für selbständige und mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestaltete Verfahren, die sich an das Verfügungsverfahren anschließen, wie beispielsweise das Kostenfestsetzungsverfahren oder Ordnungsmittelverfahren gemäß § 890 ZPO
.
b) Zum Schutzumfang eines titulierten Unterlassungsgebots (hier: Verbot bestimmter die Privatsphäre beeinträchtigender Äußerungen).

BGH, Beschluss vom 26. September 2023 - VI ZB 79/21 - KG Berlin - LG Berlin

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BGH: Berufungsgericht darf sich bei der Prüfung der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung nicht auf Umfang eines Revisionsgerichts beschränken

BGH
Beschluss vom 08.08.2023
VIII ZR 20/23
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 544 Abs. 9;
GG Art. 103 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass sich das Berufungsgericht bei der Prüfung der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung nicht auf den Umfang eines Revisionsgerichts beschränken darf.

Leitsatz des BGH:
Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist nicht auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben (Bestätigung von BGH, Urteile vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03, BGHZ 162, 313, 315 f.; vom 29. Juni 2016 - VIII ZR 191/15, NJW 2016, 3015 Rn. 26; Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2016 - VIII ZR 300/15, WuM 2016, 743 Rn. 23).

BGH, Beschluss vom 8. August 2023 - VIII ZR 20/23 - LG München II - AG Wolfratshausen

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Keine ordnungsgemäße Klageerhebung wenn als ladungsfähige Anschrift des Klägers ein Postdienstleister angegeben wird der Post an Kläger weiterleitet

BGH
Urteil vom 07.07.2023
V ZR 210/22
ZPO § 130 Nr. 1 Halbsatz 1, § 171 Satz 1, § 177, § 253 Abs. 2 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass keine ordnungsgemäße Klageerhebung vorliegt, wenn als ladungsfähige Anschrift des Klägers ein Postdienstleister angegeben wird, der die Post an den Kläger weiterleitet.

Leitsatz des BGH:
Eine ordnungsgemäße Klageerhebung setzt grundsätzlich die Angabe der
ladungsfähigen Anschrift des Klägers voraus; die Adresse eines Postdienstleisters, der lediglich mit der Weiterleitung der an den Kläger gerichteten Post beauftragt ist, reicht hierfür nicht aus.

BGH, Urteil vom 7. Juli 2023 - V ZR 210/22 - LG Frankfurt am Main - AG Wiesbaden

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