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BAG: 200 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wenn Arbeitgeber datenschutzwidrig personenbezogene Echtdaten an eine Konzerngesellschaft für die Personalverwaltung überträgt

BAG
Urteil vom 08.05.2025
8 AZR 209/21

Das BAG hat entschieden, dass dem Betroffenen im vorliegenden Fall 200 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO zusteht, da der Arbeitgeber datenschutzwidrig personenbezogene Echtdaten an eine Konzerngesellschaft für die Personalverwaltung übertragen hatte. Insbesondere war die Datenweitergabe nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit.. f DSGVO nicht zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Schadenersatz nach Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) - Betriebsvereinbarung - Workday

Ein Arbeitnehmer kann einen Anspruch auf Schadenersatz wegen einer Verletzung der Datenschutz-Grundverordnung haben, wenn der Arbeitgeber personenbezogene Echtdaten innerhalb des Konzerns an eine andere Gesellschaft überträgt, um die cloudbasierte Software für Personalverwaltung „Workday“ zu testen.

Die Beklagte verarbeitete personenbezogene Daten ihrer Beschäftigten ua. zu Abrechnungszwecken mit einer Personalverwaltungs-Software. Im Jahr 2017 gab es Planungen, konzernweit Workday als einheitliches Personal-Informationsmanagementsystem einzuführen. Die Beklagte übertrug personenbezogene Daten des Klägers aus der bisher genutzten Software an die Konzernobergesellschaft, um damit Workday zu Testzwecken zu befüllen. Der vorläufige Testbetrieb von Workday war in einer Betriebsvereinbarung geregelt. Danach sollte es der Beklagten erlaubt sein, ua. den Namen, das Eintrittsdatum, den Arbeitsort, die Firma sowie die geschäftliche Telefonnummer und E-Mail-Adresse zu übermitteln. Die Beklagte übermittelte darüber hinaus weitere Daten des Klägers wie Gehaltsinformationen, die private Wohnanschrift, das Geburtsdatum, den Familienstand, die Sozialversicherungsnummer und die Steuer-ID.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO ein immaterieller Schadenersatz wegen einer Verletzung der ab dem 25. Mai 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung iHv. 3.000,00 Euro zu. Die Beklagte habe die Grenzen der Betriebsvereinbarung überschritten.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit Beschluss vom 22. September 2022 (- 8 AZR 209/21 (A) – BAGE 179, 120) hatte der Senat das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht. Der EuGH hat diese mit Urteil vom 19. Dezember 2024 (- C-65/23 – [K GmbH]) beantwortet.

Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts teilweise Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadenersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO iHv. 200,00 Euro. Soweit die Beklagte andere als die nach der Betriebsvereinbarung erlaubten personenbezogenen Daten an die Konzernobergesellschaft übertragen hat, war dies nicht erforderlich iSv. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO und verstieß damit gegen die Datenschutz-Grundverordnung. Der immaterielle Schaden des Klägers liegt in dem durch die Überlassung der personenbezogenen Daten an die Konzernobergesellschaft verursachten Kontrollverlust. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, dass er sich nicht weiter darauf beruft, auch die Übertragung der von der Betriebsvereinbarung erfassten Daten sei nicht erforderlich gewesen. Der Senat hatte daher nicht zu prüfen, ob die Betriebsvereinbarung so ausgestaltet war, dass die Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung erfüllt wurden.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Mai 2025 – 8 AZR 209/21
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Februar 2021 – 17 Sa 37/20

Hinweise:

Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO lautet:

Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:



f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

Art. 82 Abs. 1 DSGVO lautet:

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.


LAG Hessen: Weiterleitung personenbezogener Beschäftigtendaten durch Betriebsratsmitglied über privaten E-Mail-Account rechtfertigt Ausschluss aus Betriebsrat

LAG Hessen
Beschluss vom 10.03.2025
16 TaBV 109/24


Das LAG Hessen hat entschieden, dass die Weiterleitung personenbezogener Beschäftigtendaten durch ein Betriebsratsmitglied über dessen privaten E-Mail-Account den Ausschluss aus dem Betriebsrat rechtfertigt.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die Beschwerden des Betriebsratsvorsitzenden und des Betriebsrats sind nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Arbeitgebers nach § 23 Abs. 1 BetrVG zu Recht stattgegeben. Die Beschwerdekammer schließt sich der zutreffenden Begründung an und nimmt auf diese Bezug. Das Vorbringen der Beteiligten im Beschwerdeverfahren führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

Nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG kann (unter anderem) der Arbeitgeber den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten verlangen. Gemäß § 79a S. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Verarbeitung personenbezogener Daten die Vorschriften über den Datenschutz einzuhalten. Dies bedeutet, dass der Betriebsrat innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs eigenverantwortlich die Umsetzung technischer und organisatorischer Maßnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit im Sinne der Art. 24, 32 DSGVO vorzunehmen hat (ErfK/Kania, 25. Aufl. § 79a Rn. 3; Fitting, BetrVG, 32. Auf., § 79a Rn 50). Der Betriebsrat hat bei jeder Datenverarbeitung -und damit auch bei der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten- die Datenschutzbestimmungen einzuhalten und ihre Vorgaben zu beachten (BAG 09.05.2023 -1 ABR 14/22- Rn. 57). Je nach Schwere kann ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Pflichten einen Ausschlussgrund gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG begründen (GK-BetrVG/Franzen, 12. Aufl., § 79a Rn. 12; Fitting, BetrVG, § 79a Rn. 53).

Die vom Betriebsratsvorsitzenden per E-Mail an seine private Adresse weitergeleitete Liste mit den Namen sämtlicher Mitarbeiter, Stellung im Betrieb, Zeitansatz, Tarifgruppe, Stufe, Grundentgelt, zeitliche Stufenverlauf, Tarifeintritt, Eingruppierung, Vergleichsdaten zur Eingruppierung Konzern, zu Grundgehalt Konzern (Anl. K6, Bl. 116 ff. erstinstanzliche Akte) enthielt „personenbezogene Daten“ im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Sie enthält Informationen, die sich auf identifizierbare natürliche Personen beziehen, insbesondere über deren Vergütung. Art. 4 Nr. 1 umfasst ohne Einschränkung „alle Informationen“, die sich auf eine Person beziehen und ist daher grundsätzlich weit zu verstehen. Unter die Vorschrift fallen sowohl im Kontext verwendete persönliche Informationen wie Identifikationsmerkmale (zB Name, Anschrift und Geburtsdatum), äußere Merkmale (wie Geschlecht, Augenfarbe, Größe und Gewicht) oder innere Zustände (zB Meinungen, Motive, Wünsche, Überzeugungen und Werturteile), als auch sachliche Informationen wie etwa Vermögens- und Eigentumsverhältnisse, Kommunikations- und Vertragsbeziehungen und alle sonstigen Beziehungen der betroffenen Person zu Dritten und ihrer Umwelt (Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, 4. Aufl., Art. 4 Nr. 1 Rn. 8).

Die betreffenden Informationen beziehen sich auch auf bestimmte natürliche Personen, die namentlich genannt werden.

Diese Daten hat der Betriebsratsvorsitzende verarbeitet, Art. 4 Nr. 2 DSGVO. Hierbei handelt es sich um jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten. Bei der Verarbeitung muss es sich um einen Vorgang oder eine Vorgangsreihe handeln, die „ausgeführt“ werden. Die Verbindung mit dem Verb „ausführen“ macht deutlich, dass es sich bei einem Vorgang in diesem Sinne um ein Geschehen handeln muss, das auf eine menschliche Handlung zurückgeht. (Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, Art. 4 Nr. 2 Rn. 14). Das Erheben (collection) und das Erfassen (recording) von personenbezogenen Daten bezeichnet einen Vorgang, durch den solche Daten erstmals in den Verfügungsbereich des Verantwortlichen gelangen. Erheben und Erfassen sind nicht scharf zu unterscheiden; das Erheben bezieht sich eher auf die gezielte Beschaffung einzelner Daten, während das Erfassen eher auf die kontinuierliche Aufzeichnung eines Datenstroms abstellt (Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, Art. 4 Nr. 2 Rn. 21, 22). Durch die Weiterleitung der personenbezogenen Daten sämtlicher Mitarbeiter an seinen privaten E-Mail Account hat der Betriebsratsvorsitzende diese sich gezielt beschafft und damit „erhoben“ im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DSGVO. Dieses „erheben“ kann hier auch mit einer Speicherung verbunden gewesen sein, notwendig ist ein solcher Zusammenhang jedoch nicht.

Diese Verarbeitung personenbezogener Daten war nicht rechtmäßig.

Hierbei kann dahinstehen, ob § 26 Abs. 1 BDSG unionsrechtlich noch anwendbar ist. In seiner Entscheidung zu § 23 Abs. 1 des Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetzes (HDSIG) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Art. 88 Abs. 1 und 2 DSGVO dahin auszulegen ist, dass nationale Rechtsvorschriften zur Gewährung des Schutzes der Rechte und Freiheiten von Beschäftigten hinsichtlich der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten im Beschäftigungskontext unangewendet bleiben müssen, wenn sie nicht die dort vorgegebenen Voraussetzungen und Grenzen beachten, es sei denn sie stellen eine Rechtsgrundlage im Sinne von Art. 6 Abs. 3 DS GVO dar, die den Anforderungen dieser Verordnung genügt (EuGH 30.03.2023 C-34/21 Rn. 89). Bestimmungen wie § 23 Abs. 1 HDSIG, die die Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten davon abhängig machen, dass diese zu bestimmten Zwecken in Zusammenhang mit der Durchführung eines Beschäftigungs- bzw. Dienstverhältnisses erforderlich sein muss, die bereits in Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 1 Buchst. b DSGVO aufgestellte Bedingung für die allgemeine Rechtmäßigkeit der Verarbeitung zu wiederholen, ohne eine spezifische Vorschrift im Sinne von Art. 88 Abs. 1 DS GVO hinzuzufügen, scheiden aus (EuGH, a.a.O., Rn. 81). Entsprechend hat der Europäische Gerichtshof zu § 26 Abs. 4 BDSG hinsichtlich der konzernweiten Weiterleitung personenbezogener Daten der Beschäftigten mittels der cloudbasierten Software „Workday“ entschieden (EuGH 19.12.2024 C-65/23). Vor dem Hintergrund, dass § 26 Abs. 1 BDSG weitgehend wortgleich mit § 23 HDSIG ist (siehe die Gegenüberstellung in EuGH 30.03.2023 C-34/21, Rn. 11 und 12) könnte diese Vorschrift unionsrechtlich unanwendbar sein.

Im Falle der Anwendung von § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG ergibt sich folgendes: Danach dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten für die Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung oder zur Ausübung oder Erfüllung der sich aus einem Gesetz oder einem Tarifvertrag, einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung (Kollektivvereinbarung) ergebenden Rechte und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist.

Für die Weiterleitung der personenbezogenen Daten sämtlicher Beschäftigter an den privaten E-Mail Account des Betriebsratsvorsitzenden bestand keine Erforderlichkeit, denn es wäre ihm möglich gewesen, die zur Vorbereitung der abzuschließenden Betriebsvereinbarung erforderliche Verarbeitung der Daten der Beschäftigten von dem ihm für die Betriebsratstätigkeit vom Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 2 BetrVG zur Verfügung gestellten Computer zu bearbeiten. Erforderlichenfalls hätte er sich mit der IT-Abteilung des Arbeitgebers ins Benehmen setzen können, um einen größeren Bildschirm oder einen Adapter für den Anschluss des Betriebsrats-Laptops an seinen privaten, größeren Bildschirm zu erhalten. Für die Verarbeitung der Daten im Sinne einer Weiterleitung derselben auf sein privates Endgerät per Email bestand daher keine Veranlassung.

Auch eine Einwilligung der Beschäftigten im Sinne von § 26 Abs. 2 BDSG zur Erhebung von deren persönlichen Daten auf dem privaten Endgerät des Betriebsratsvorsitzenden lag nicht vor.

Unter Zugrundelegung der unionsrechtlichen Unanwendbarkeit von § 26 Abs. 1 BDSG ergibt sich folgendes:

Nach Art. 5 Abs. 1 DSGVO müssen personenbezogene Daten auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden („Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz“). „Auf rechtmäßige Weise“ iSv Art. 5 Abs. 1 lit. a bedeutet demnach, dass die Verarbeitung auf der Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer anderweitigen Rechtsgrundlage beruht (Kühling/Buchner, DSGVO, Art. 5 Rn. 11). Hier lag weder eine Einwilligung sämtlicher Beschäftigter hinsichtlich der Weiterleitung ihrer persönlichen Daten an den privaten E-Mail Account des Betriebsratsvorsitzenden vor, noch eine anderweitige Rechtsgrundlage hierfür. Schon gar nicht erfolgte die Verarbeitung der Daten in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise. Damit ist der Ausschluss heimlicher Verarbeitungen personenbezogener Daten und die umfassende Information der betroffenen Person über die Verarbeitung der auf sie bezogenen Daten gemeint. Transparenz ist eine Vorbedingung für informationelle Selbstbestimmung und verlangt die Information der betroffenen Person über (geplante) Verarbeitungen, sodass diese als autonomes Individuum darauf reagieren und insbesondere ihre Betroffenenrechte wahrnehmen kann (Kühling/Buchner, DSGVO, Art. 5 Rn. 18). Auch eine derartige Information der Beschäftigten ist nicht erfolgt. Der Betriebsratsvorsitzende hat diese nicht darüber informiert, dass er deren personenbezogene Daten vom Betriebsratsaccount an seinen privaten E-Mail Account weitergeleitet und von dort aus im Rahmen der Vorbereitung auf eine abzuschließende Betriebsvereinbarung verarbeitet hat.

Durch die Weiterleitung der personenbezogenen (Entgelt-) Daten sämtlicher Beschäftigter an seine private E-Mail-Adresse hat der Betriebsratsvorsitzende auch gegen den Grundsatz der Datenminimierung nach Art. 5 Abs. 1c DSGVO verstoßen. Daraus ergibt sich insbesondere, dass die Daten auf das notwendige Maß zu beschränken sind. Dies wurde vom Betriebsratsvorsitzenden hier deshalb nicht beachtet, weil er auf dem ihm in seiner Eigenschaft als Betriebsrat zur Verfügung gestellten Computer Zugang zu den für die Wahrnehmung seiner Mitbestimmungsrechte ihm vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Daten hatte und -wie ausgeführt- keine Veranlassung bestand, diese Daten an sein privates Endgerät weiterzuleiten und auch dort zu verarbeiten.

Die Verarbeitung der Daten verstieß auch gegen Art. 6 Abs. 1 DSGVO. Danach ist die Verarbeitung nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:

a) Die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben.

Eine derartige Einwilligung zur Weiterleitung der personenbezogenen Daten der Beschäftigten auf den privaten E-Mail Account des Betriebsratsvorsitzenden lag nicht vor.

b) Die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Partei ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen.

Dies war hier nicht der Fall.

c) Die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt.

Dies war hier nicht der Fall. Es bestand gerade keine Verpflichtung zur Weiterleitung der personenbezogenen Daten an den privaten E-Mail Account des Betriebsratsvorsitzenden. Dies auch nicht im Hinblick auf die Vorbereitung der abzuschließenden Betriebsvereinbarung.

d) Die Verarbeitung ist erforderlich, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen.

Dies war hier nicht der Fall.

e) Die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde.

Dies war hier nicht der Fall (vergleiche die Anwendungsbeispiele bei Kühling/Buchner, DSGVO, Art. 6 Rn. 159ff). Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die Betriebsratstätigkeit zwar ein Ehrenamt ist, aber nicht im „öffentlichen“ Interesse liegt. Im Übrigen erforderte hier die Betriebsratstätigkeit gerade nicht die Weiterleitung der Daten an den privaten E-Mail Account des Betriebsratsvorsitzenden.

f) Die Verarbeitung ist zur Wahrnehmung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

Dies war hier nicht der Fall.

Damit steht fest, dass der Betriebsratsvorsitzende mit der Weiterleitung der personenbezogenen (insbesondere Entgelt-) Daten an seinen privaten E-Mail Account gegen die ihm aus § 79a S. 1 BetrVG obliegenden Pflichten bei der Verarbeitung personenbezogener Daten verstoßen hat.

Die Pflichtverletzung war auch „grob“ im Sinne von § 23 Abs. 1 BetrVG. Der Betriebsratsvorsitzende hat eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzung im Hinblick auf die Einhaltung des Datenschutzes bei Ausübung seines Betriebsratsamts begangen. Der Verstoß gegen den Datenschutz wirkt zunächst deshalb schwer, weil es sich um die Mitteilung der Höhe der Vergütung jedes einzelnen Mitarbeiters handelte. Dass mit dem Umgang solcher Daten allergrößte Sensibilität verbunden sein muss, konnte der Betriebsratsvorsitzende ohne weiteres selbst erkennen. Hinzu kommt, dass ihm bereits aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzung mit seinem Arbeitgeber wegen der Weiterleitung dienstlicher E-Mails an seinen privaten E-Mail Account bekannt war, dass der Arbeitgeber hierin einen (gravierenden) Datenschutzverstoß sieht. Gleichwohl hat er erneut -diesmal in Bezug auf ihm in seiner Eigenschaft als Betriebsrat zugeleiteter, in höchstem Maße vertraulicher personenbezogener Unterlagen- zunächst erfolglos versucht, diese an seinen bisherigen (gmx-) Account weiterzuleiten und, als dies nicht funktionierte, an weitere private E-Mail-Adressen. Dies zeigt, dass er sich noch nicht einmal von den seitens des Arbeitgebers eingerichteten technischen Möglichkeiten zur Verhinderung eines Wiederholungsfalles abhalten ließ. Der Betriebsratsvorsitzende zeigte sich als unbelehrbar. Er handelte bewusst zur Umgehung der ihm vom Arbeitgeber im Interesse des Datenschutzes der Beschäftigten auferlegten Verpflichtung. Dieses Fehlverhalten war durch nichts zu rechtfertigen. Insbesondere entschuldigt ihn nicht, dass er dies getan habe, um die Daten zu Hause an seinem größeren Bildschirm besser bearbeiten zu können. Hierfür hätte es der Übertragung der Daten auf seinen privaten Rechner nicht bedurft. Er hätte vielmehr den Arbeitgeber um einen entsprechenden Adapter seines ihm in seiner Eigenschaft als Betriebsrat zur Verfügung gestellten Laptops an seinen privaten Bildschirm bitten können. Im Übrigen hat der Betriebsratsvorsitzende für die Betriebsratstätigkeit nicht seine privaten Arbeitsmittel einzubringen, sondern die ihm vom Arbeitgeber nach § 40 Abs. 2 BetrVG zur Verfügung zu stellende Informations- und Kommunikationstechnik zu nutzen, wozu auch ein größerer Bildschirm gehören kann, soweit dieser zur Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben erforderlich ist. Ob dies hier der Fall war, bedarf keiner abschließenden Beurteilung durch die Kammer, da die Weiterleitung der personenbezogenen Daten an seinen persönlichen E-Mail Account aus den dargestellten Gründen keinesfalls zu rechtfertigen war. Es entlastet ihn auch nicht, dass sein privater PC passwortgeschützt und auch sonst durch ein System „Bitfender Total Security“ gesichert war. Wie die immer wieder vorkommenden Fälle sog. Hackings zeigen, lässt sich eine absolute Datensicherheit nicht erreichen. Gerade deshalb sind die Vorschriften der DSGVO unbedingt zu beachten und vermeidbare Risiken auszuschließen. Auch die behauptete Eilbedürftigkeit der Angelegenheit (Vorbereitung einer Betriebsvereinbarung) entschuldigt den begangenen Datenschutzverstoß nicht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO wegen Kontrollverlustes wenn eine Behörde die Personalakten nicht selbst verwaltet

BGH
Urteil vom 11.02.2025
VI ZR 365/22
DSGVO Art. 82 Abs. 1

Der BGH hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO wegen Kontrollverlustes besteht. wenn eine Behörde die Personalakten nicht selbst verwaltet.

Leitsatz des BGH:
Zum Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO bei der Verwaltung von Personalakten durch hierzu nicht befugte Dritte.

BGH, Urteil vom 11. Februar 2025 - VI ZR 365/22 - OLG Celle LG Hannover

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Der geltend gemachte Feststellunganspruch ist auch begründet, Art. 82 Abs. 1 DSGVO. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) erfordert ein Schadensersatzanspruch im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung, das Vorliegen eines materiellen oder immateriellen Schadens sowie einen Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verstoß, wobei diese drei Voraussetzungen kumulativ sind (EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2024 - C-507/23, K&R 2024, 730 Rn. 24 - Patērētāju tiesību aizsardzības centrs; vom 11. April 2024 - C-741/21, NJW 2024, 1561 Rn. 34 - juris; vom 25. Januar 2024 - C-687/21, NJW 2024, 2009 Rn. 58 - MediaMarktSaturn). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Ein Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung liegt nach den getroffenen Feststellungen vor. Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten bis zum Erlass der Organisationsverfügung vom 22. August 2019 geübte Praxis, die Verwaltung der Personalakten von Bundesbeamten wie der Klägerin durch Bedienstete des Landes Niedersachsen vornehmen zu lassen, als von § 111a BBG aF i.V.m. § 26 BDSG i.V.m. Art. 88 DSGVO nicht gedeckte Verarbeitung personenbezogener Daten durch Dritte und damit als Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung (der Sache nach: gegen Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 28 DSGVO) gewertet. Die Beklagte sei selbst von der offensichtlichen Rechtswidrigkeit dieser Praxis ausgegangen und habe weder näher zu den Einzelheiten der geübten Personalaktenverwaltung vorgetragen noch eine vorherige Zustimmung der obersten Dienstbehörde behauptet. Hiergegen wendet die Beklagte auch mit der Revisionserwiderung nichts ein; Rechtsfehler sind insoweit auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen und nicht mit Gegenrügen angegriffenen Feststellungen im Übrigen nicht ersichtlich.

b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen durch diesen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung verursachten Schaden der Klägerin verneint. Der Schaden liegt hier bereits in dem durch die Überlassung ihrer Personalakte an Bedienstete des Landes verursachten vorübergehenden Verlust der Kontrolle der Klägerin über ihre in ihrer Personalakte enthaltenen personenbezogenen Daten.

aa) Schon der bloße Kontrollverlust kann, wie der Senat in Umsetzung der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 4. Oktober 2024 - C-200/23, juris Rn. 145, 156 i.V.m. 137- Agentsia po vpisvaniyata; vom 20. Juni 2024 - C-590/22, DB 2024, 1676 Rn. 33 - PS GbR; vom 11. April 2024 - C-741/21, NJW 2024, 1561 Rn. 42 - juris; vgl. zuvor bereits EuGH, Urteile vom 25. Januar 2024 - C-687/21, NJW 2024, 2009 Rn. 66 - MediaMarktSaturn; vom 14. Dezember 2023 - C-456/22, NZA 2024, 56 Rn. 17-23 - Gemeinde Ummendorf sowie - C-340/21, NJW 2024, 1091 Rn. 82 - Natsionalna agentsia za prihodite) entschieden hat, einen ersatzfähigen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO darstellen (Senat, Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, WM 2024, 2301 Rn. 30 mwN). Anders als das Berufungsgericht meint, muss der Verpflichtung zum Ausgleich keine über diesen Kontrollverlust hinausgehende "benennbare und insoweit tatsächliche Persönlichkeitsrechtsverletzung gegenüberstehen"; auch muss der Beeinträchtigung des Betroffenen kein besonderes "Gewicht" zukommen, das "über eine individuell empfundene Unannehmlichkeit hinausgeht oder das Selbstbild oder Ansehen ernsthaft beeinträchtigt" (vgl. Senat, aaO Rn. 29 mwN).

bb) Nach diesen Grundsätzen liegt der Schaden hier ohne Weiteres darin, dass die Beklagte auch nach dem 25. Mai 2018 die personenbezogenen, in deren Personalakte enthaltenen Daten der Klägerin hierzu nicht berechtigten Dritten, nämlich Bediensteten des Landes Niedersachsen, zur Bearbeitung überlassen und diese Praxis erst mit Organisationsverfügung vom 22. August 2019 beendet hat. Der vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang angeführte Umstand, dass auch die mit Personalangelegenheiten betrauten Bediensteten des Landes Niedersachsen zur Verschwiegenheit verpflichtet waren, steht der Annahme eines Schadens insoweit dem Grunde nach nicht entgegen, sondern wird erst bei Bemessung der Höhe des zu leistenden Schadensersatzes (§ 287 ZPO) zu berücksichtigen sein (s. zu den Bemessungskriterien weiterführend Senat, aaO Rn. 92 ff., insb. 99).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


AG München: Kein Anspruch auf Richtigstellung und Unterlassung der Weiterleitung einer E-Mail durch die Hausverwaltung an Miteigentümer einer WEG

AG München
Urteil vom 02.07.2024
171 C 22496/23


Das AG München hat im vorliegenden Rechtsstreit entschieden, dass kein Anspruch auf Richtigstellung und Unterlassung der Weiterleitung einer E-Mail durch die Hausverwaltung an die übrigen Miteigentümer einer WEG besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Die weitergeleitete Mail
Kein Anspruch auf Richtigstellung und Unterlassung der Weiterleitung
Die Klägerin war Eigentümerin einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in München. Die Wohnung ist Teil einer WEG, die Hausverwaltung wurde durch ein Hausverwaltungsunternehmen geführt.

Im Zusammenhang mit Unstimmigkeiten zwischen der Klägerin und der Hausverwaltung über die Höhe bereits geleisteter bzw. noch zu leistender Hausgeld-Vorschüsse, sandte die Klägerin am 02.08.2023 eine Mail an die Hausverwaltung, in der es u.a. hieß:

„[…] natürlich kenne ich den Beschluss […], aber ich wusste nicht, dass Ihre Intelligenz so überragend ist, dass Sie nicht einmal Ihre eigenen Beschlüsse verstehen. […] Außerdem möchte ich Ihnen empfehlen, sich einen entsprechenden Stil anzugewöhnen, der Ihrer Position als Dienstleister der WEG entspricht und nicht eines Aufsehers der JVA“

Die Mail gelangte zur Kenntnis des Beklagten als Vorsitzenden des Verwaltungsbeirates der WEG. Am 05.08.2023 leitete der Beklagte die Mail an sämtliche Mitglieder der WEG weiter. In der begleitenden Mail hieß es u.a.: „Leider wird nach wie vor seitens einzelner Eigentümer ein unserer Ansicht nach höchst unangemessener Umgangston an den Tag gelegt. […] Bitte bilden Sie sich Ihre eigene Meinung“.

Vor dem Amtsgericht München verklagte die Klägerin den Beklagten auf Richtigstellung und Unterlassung. Die Klägerin sah in der Weiterleitung ihrer Mail an die Miteigentümer u.a. eine Ehrverletzung und eine Verletzung des Postgeheimnisses. Sie sei ohne Vorgeschichte und Sachzusammenhang an den Pranger gestellt worden.

Das Amtsgericht wies die Klage ab. Es führte in seinem Urteil insbesondere aus:

„Der Anspruch auf Richtigstellung setzt grundsätzlich voraus, dass die Unwahrheit der Behauptung feststeht, weil niemand durch Richterspruch verpflichtet werden darf, etwas als unrichtig zu bezeichnen, was möglicherweise wahr ist […].

Es ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form der Beklagte objektiv unzutreffende Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben soll. Es steht fest, dass die Klägerin die durch den Beklagten weitergeleitete E-Mail mit dem nämlichen Inhalt verfasst und an die Mitarbeiterin der [Hausverwaltung] gesendet hatte. Der Beklagte hat demnach keine objektive unzutreffende Behauptung aufgestellt. […]

Ferner muss das Gericht zum Inhalt des Postgeheimnisses folgende Feststellung treffen: […] Der Grundrechtsschutz des Briefgeheimnisses umfasst […] den Versendungsvorgang als solchen, das heißt von der Aufgabe des Briefes bis zur Ankunft des Briefes beim Empfänger. Eine Verletzung des Postgeheimnisses ist schon begrifflich nicht denkbar, da es sich um eine elektronische Nachricht und nicht um eine physisch verkörperte Nachricht (Brief, schriftliche Aufzeichnung, Postkarte) gehandelt hat. […]

Die Klägerin kann auch keine Klarstellung seitens des Beklagten verlangen, dass seine Weiterleitung der E-Mail die Klägerin in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt hat. […]

Das Handeln des Beklagten war zur Überzeugung des Gerichts nicht rechtswidrig. […] Der Inhalt der Nachricht kann […] nicht als sonderlich schutzbedürftig angesehen werden. […] Die Klägerin hat […] eine geschäftliche Thematik […] mit persönlichen Angriffen gegen die Mitarbeiterin verbunden. […] Wer als Mitglied einer WEG sich gegenüber einem Mitarbeiter der [Hausverwaltung] derart im Ton vergreift, der muss sich nicht wundern, wenn dieser Umstand im Rahmen des Verhältnisses zwischen WEG und [Hausverwaltung] thematisiert wird.“

Urteil des Amtsgerichts München vom 02.07.2024
Aktenzeichen: 171 C 22496/23
Das Urteil ist rechtskräftig.



BGH: Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat weder eine Abschreckungsfunktion noch eine Straffunktion sondern ausschließlich eine Ausgleichsfunktion

BGH
Urteil vom 28.01.2025
VI ZR 183/22
DSGVO Art. 82 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass eim Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO weder eine Abschreckungsfunktion noch eine Straffunktion sondern ausschließlich eine Ausgleichsfunktion hat. Aus diesem Grund dürfen - so der BGH - auch die Schwere des Verstoßes und Verschuldensfragen bei der Bestimmung der Höhe des Anspruchs nicht berücksichtigt werden.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Zwar sind die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht den immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO mit 500 € bemessen hat, rechtsfehlerhaft. Entgegen der Ansicht der Revision hätte das Berufungsgericht bei der Bemessung des Schadensersatzes einer abschreckenden Wirkung aber nicht noch größeres Gewicht einräumen müssen. Es hätte diese vielmehr überhaupt nicht, sondern ausschließlich eine Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes berücksichtigen dürfen. Dass sich dieser Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten ausgewirkt hätte, ist aber nicht ersichtlich.

1. Der Begriff des "immateriellen Schadens" ist in Ermangelung eines Verweises in Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten im Sinne dieser Bestimmung autonom unionsrechtlich zu definieren (st. Rspr., EuGH, Urteil vom 20. Juni 2024 - C-590/22, DB 2024, 1676 Rn. 31 - PS GbR; Senatsurteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, DB 2024, 3091 Rn. 28; jeweils mwN). Dabei soll nach ErwG 146 Satz 3 DSGVO der Begriff des Schadens weit ausgelegt werden, in einer Art und Weise, die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht (Senatsurteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, DB 2024, 3091 Rn. 28).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union kommt dem in Art. 82 Abs. 1 DSGVO niedergelegten Schadensersatzanspruch ausschließlich eine Ausgleichsfunktion zu. Er erfüllt - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und der Revision - keine Abschreckungs- oder gar Straffunktion (EuGH, Urteil vom 20. Juni 2024 - C-182/22 und C-189/22, NJW 2024, 2599 Rn. 23 - Scalable Capital; Senatsurteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, DB 2024, 3091 Rn. 18; jeweils mwN).

In Anbetracht der Ausgleichsfunktion des in Art. 82 DSGVO vorgesehenen Schadensersatzanspruchs, wie sie in ErwG 146 Satz 6 DSGVO zum Ausdruck kommt, ist eine auf Art. 82 DSGVO gestützte Entschädigung in Geld als "vollständig und wirksam" anzusehen, wenn sie es ermöglicht, den aufgrund des Verstoßes gegen diese Verordnung konkret erlittenen Schaden in vollem Umfang auszugleichen (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Juni 2024 - C-182/22 und C-189/22, NJW 2024, 2599 Rn. 24 - Scalable Capital; Senatsurteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, DB 2024, 3091 Rn. 96 mwN). Da der Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO weder eine Abschreckungs- noch eine Straffunktion erfüllt, darf weder die Schwere des Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung, durch den der betreffende Schaden entstanden ist, berücksichtigt werden, noch der Umstand, ob schuldhaft gehandelt wurde (vgl. Senatsurteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, DB 2024, 3091 Rn. 96 mwN).


Leitsatz des BGH:
Zur Frage des immateriellen Schadens im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO.

BGH, Urteil vom 28. Januar 2025 - VI ZR 183/22 - OLG Koblenz LG Koblenz

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LAG Köln: Freischaltung der Website eines Konkurrenzunternehmens kann Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot darstellen und eine außerordenrtliche Kündigung rechtfertigen

LAG Köln
Urteil vom 06.06.2024
6 Sa 606/23

Das LAG Köln hat entschieden, dass die Freischaltung der Website eines Konkurrenzunternehmens den Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot darstellen und eine außerordenrtliche Kündigung rechtfertigen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Es kann daher insgesamt auf die ausführlichen Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen werden. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich daher auf Konkretisierungen, soweit sie durch die Berufungsbegründung veranlasst sind.

Die fristlose Kündigung vom 26.05.2023 hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien wirksam beendet. Die Firma K GmbH ist ein Konkurrenzunternehmen der Beklagten; seit der Freischaltung der Internetseite war sie werbend am Markt tätig; der Kläger hat durch die Weiterleitung von Kundenmails der Beklagten diese Firma unterstützt und damit gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen; dieser Wettbewerbsverstoß stellt einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar; die Kündigung ist innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen worden; sie ist als ultima ratio verhältnismäßig und interessengerecht; eine Abmahnung war gemäß § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB entbehrlich.

Die Rügen des Klägers gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts führen zu keinem anderen Ergebnis.

1. Die Auffassung des Klägers, bei der K GmbH handele es sich nicht um ein Konkurrenzunternehmen der Beklagten, versteht die erkennende Berufungskammer nicht. Daran hat sich auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung und durch die darauf abgegebenen Erklärungen des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten nichts geändert: Abfall, Kunststoff, Logistik, Beratung. Selten sind Firmenprofile so deckungsgleich wie hier.


2. Mit seiner Auffassung, eine freigeschaltete Internetpräsenz sei keine werbende Tätigkeit, hat der Kläger das Bundesarbeitsgericht nicht an seiner Seite. Der 5. Leitsatz des von beiden Parteien zitierten Urteils vom 24.10.2021 - 10 AZR 8/19 - ist eindeutig: Mit der Freischaltung der Internetpräsenz beginnt die werbende Tätigkeit der fraglichen Firma. Ob der Kläger die Seite selbst freigeschaltet hat oder ob er selbst (Mehrheits-) Inhaber der Firma war, ist für die Frage, ob die Firma werbend tätig war oder nicht, unerheblich.

3. Gegenstand der fristlosen Kündigung wegen eines Wettbewerbsverstoßes ist die Prognose, dass in der Zukunft ein Vertrauensverhältnis nicht mehr bestehen und nicht mehr aufgebaut werden kann. Diese Prognose für die Zukunft ist gerechtfertigt, wenn in der Vergangenheit etwas geschehen ist, was die Arbeitgeberin als Loyalitätsverstoß betrachten kann. Es kommt daher darauf an, was der Kläger tut und nicht darauf, was er verdient. Ob also die Konkurrenzfirma Umsatz oder gar Gewinn erwirtschaftet hat, ist entgegen der Auffassung des Klägers irrelevant.

4. Wer im Vertrieb tätig ist, arbeitet mit Netzwerken, Adressen und Informationen. Wenn diese Informationen im Netz frei verfügbar sind, mögen sie einfacher zu schöpfen sein, als im gegenteiligen Fall. Das bedeutet aber nicht, dass die Weiterleitung von Kunden-Emails an Konkurrenzunternehmen dadurch unbedenklich werden, dass die Weiterleitung nur einen Internetlink betrifft. Denn das Finden dieser Adresse gehört zur Tätigkeit des Vertrieblers.

5. Der Kläger hat vertragswidrig eine Vielzahl an Emails weitergeleitet. Deshalb kommt es auf die eine Email vom 13.04.2023 nicht an und erst recht nicht auf die Frage, ob die Worte „eine sehr interessante Idee“ ironisch gemeint waren oder nicht. Die Annahme von Ironie ist allerdings an dieser Stelle auch nicht plausibel. Hier ist die Berufungskammer erneut der gleichen Auffassung wie das Arbeitsgericht, welches die Behauptung des Klägers nach den Maßstäben des § 286 ZPO als Schutzbehauptung betrachtet hat.

6. Die Einlassung des Klägers, er habe die Emails seiner Arbeitgeberin an seinen Bruder, den Geschäftsführer eines Konkurrenzunternehmens, weitergeleitet, um dessen Kenntnisse und Erfahrungen als Kunststoffexperten zu nutzen, ist nicht plausibel und kann nicht mit dem Inhalt der Emails in Einklang gebracht werden. In keiner der Emails bittet der Kläger seinen Bruder um Rat und nirgends kommt dort eine Motivation des Klägers zum Ausdruck, sich von seinem Bruder (oder dessen Firma) helfen lassen zu müssen.

7. Insgesamt ist die Berufungskammer mit dem Arbeitsgericht nach dem Maßstab des § 286 ZPO einer Meinung, dass der Kläger vorsätzlich ein Konkurrenzunternehmen seiner Arbeitgeberin unterstützt und damit verbotenen Wettbewerb betrieben hat. Das reicht als wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB. Hinsichtlich der Interessenabwägung und der Verhältnismäßigkeit kann wieder auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bezug genommen werden.


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OLG München: Weiterleitung geschäftlicher E-Mails an privaten E-Mail-Account verstößt gegen DSGVO und kann außerordentliche Kündigung rechtfertigen

OLG München
Urteil vom 31.07.2024
7 U 351/23 e


Das OLG München hat entschieden, dass die Weiterleitung geschäftlicher E-Mails an einen privaten E-Mail-Account gegen die DSGVO verstößt und eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die Weiterleitung der streitgegenständlichen Emails auf den privaten Account des Klägers ist auch ein wichtiger Grund iSd § 626 Abs. 1 BGB.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Dienstverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

a. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.2001 – II ZR 360/99, Rdnr. 9 zum Vorstand einer Genossenschaft, BGH, Urteil vom 02.06.1997 – II ZR 101 /96, Rdnr. 6 zum Geschäftsführer einer GmbH, zu Arbeitnehmern vgl. auch BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 186/11, Rdnr. 20, Weidenkaff in Grüneberg, BGB, 83. Auflage, München 2024, Rdnr. 38 zu § 626 BGB). Als wichtiger Grund ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung dabei neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rdnr. 19).

aa. Zur Begründung eines wichtigen Grundes „an sich“ kann im vorliegenden Fall jedoch nicht auf § 10 Abs. 1 DV abgestellt werden.

Nach § 10 Abs. 1 UA 1 DV ist der Vorstand verpflichtet, „alle betrieblichen Angelegenheiten und Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse“, die ihm während seiner Tätigkeit bekannt wurden, vertraulich zu behandeln. Insbesondere ist er verpflichtet, „vertrauliche Informationen dieser Art“ streng geheim zu halten, sie nicht zu verbreiten oder zu kommunizieren und sie auch nicht zu verwerten. Bei der Auslegung des § 10 Abs. 1 DV ist zu beachten, dass mit dieser Regelung der Umfang der Verschwiegenheitsverpflichtung des Vorstands bestimmt werden soll.

Die Verschwiegenheitsverpflichtung des Vorstands wird in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG geregelt, der stipuliert, dass Vorstandsmitglieder über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren haben. Da diese Vorschrift zwingendes Recht ist, kann sie nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Die in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG normierte Verschwiegenheitsverpflichtung kann aber auch nicht durch Satzung, Geschäftsordnung oder Anstellungsvertrag erweitert werden, wie sich aus § 23 Abs. 5 AktG ergibt (vgl. Fleischer in BeckOGK AktG, Stand 01.02.2024, Rdnr. 202 zu § 93 AktG; Spindler in Münchener Kommentar zum AktG, 6. Auflage, München 2023, Rdnr. 143 zu § 93 AktG; Schmidt in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Auflage, München 2020, Rdnr. 62 zu § 93 AktG; vgl. auch BGH, Urteil vom 05.06.1975 – II ZR 156/73, Rdnrn 8 f. zur Verschwiegenheitspflicht eines Aufsichtsrats nach § 116 iVm. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG a.F.). Stellt also die Weiterleitung der streitgegenständlichen Emails an den privaten Email-Account des Klägers keine Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des Vorstands nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG dar, so ist unbeachtlich, wenn der Kläger gegen etwaig weitergehende Verpflichtungen aus § 10 Abs. 1 DV verstoßen haben sollte.

Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei „vertrauliche(n) Angaben und Geheimnisse(n) der Gesellschaft“ iSd. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG um nicht allgemein bekannte (offenkundige) Tatsachen, an deren Geheimhaltung ein objektives Interesse des Unternehmens besteht (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2016 – IX ZR 108/15, Rdnr. 31).

Alle vom Kläger weitergeleiteten streitgegenständlichen Emails bezogen sich auf „betriebliche Angelegenheiten“ iSd. § 10 Abs. 1 UA 1 DV und beinhalteten keine offenkundigen Tatsachen. So betraf die Email vom 23.04.2021, 16:27 Uhr laut Anl. B 8 das Verhalten u.a. des Mitvorstands … bezüglich der Behandlung von Gehaltsabrechnungen nicht nur des Klägers, sondern auch des früheren Vorstandsvorsitzenden der Beklagten … . In der Email vom 10.05.2012 laut Anl. B 7 ging es um die Behandlung von Forderungen des Klägers gegen die Beklagte, um Schriftwechsel mit der Steuerberatungsgesellschaft der Beklagten sowie um Kompetenzstreitigkeiten mit dem Mitvorstand … Gegenstand der Email vom 31.05.2021, 12:10 Uhr (Anl. B 2) war eine Anfrage der … AG nach dem Geldwäschegesetz und eventuell drohende Maßnahmen der BAFIN gegen die Beklagte. Die Email vom 31.05.2021, 17:47 Uhr (Anl. B 9) bezog sich auf eine Zuständigkeitsstreitigkeit zwischen dem Kläger und Mitarbeitern der …-Gruppe sowie die Provisionsplanung für 2021. Letztere war auch Thema der am 16.06.2021 um 11:13 Uhr vom Kläger versandten Email (Anlage B 5), der u.a. eine als „confidentiel“ überschriebene Präsentation betreffend Fragen zur Provisionierung sowie das Protokoll eines internen Meetings vom 07.06.2021 zu dieser Problematik beigefügt war. Die Emails vom 18.06.2021, 17.17 Uhr (Anl. B 3) und vom 21.06.2021, 12:34 Uhr laut Anl. B 6 betrafen den von einem Mitarbeiter der Beklagten (…) gegen diese geltend gemachten Anspruch auf Provisionszahlungen. In der Email vom 24.06.2021, 11:51 Uhr (Anlage B 1) waren wiederum Umsatzerlöse und Bonifizierungsgrundlagen für diesen Mitarbeiter thematisiert. Dieser Email beigefügt waren Email-Verkehr des Klägers mit Mitarbeitern der Beklagten sowie die Kopie eines Lizenzvertrages mit dem Kundenunternehmen … GmbH. Gegenstand der am 28.06.2021 um 13:26 Uhr versandten Email laut Anl. B 4 an … und … von der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft … GmbH waren Spesenzahlungen der Beklagten an den Kläger.

Ob auch ein objektives Geheimhaltungsinteresse der Beklagten an diesen Tatsachen bestand, kann dahinstehen, da es jedenfalls an einer Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG durch den Kläger fehlt. Wann eine Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG vorliegt, ergibt sich aus dem objektiven Tatbestand des § 404 AktG, der Verletzungen der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG sanktioniert. Demzufolge ist die Verschwiegenheitsverpflichtung verletzt, wenn ein Geheimnis der Gesellschaft unbefugt offenbart (§ 404 Abs. 1 AktG) oder verwertet (§ 404 Abs. 2 S. 2 AktG) wird. Offenbart wiederum wird ein Geheimnis, wenn es jemandem, der dieses Wissen noch nicht hat (Unbefugter), mitgeteilt oder sonst in einer Weise zugänglich gemacht wird und er somit die Möglichkeit der Kenntnisnahme erhält. Die Art und Weise der Preisgabe ist irrelevant. Es kommt allein darauf an, dass der Adressat die nicht mehr abschirmbare Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (vgl. Hefendehl in BeckOGK AktG, Stand 01.06.2024, Rdnr. 54 zu § 404 AktG). Diese Voraussetzungen sind im streitgegenständlichen Fall durch die Weiterleitung der Emails an den privaten Email-Account des Klägers nicht erfüllt, da der Kläger den Inhalt der Emails unstreitig keinem Dritten mitgeteilt oder zugänglich gemacht hat. Die Speicherung auf einem Freemail-Server reicht hierfür nicht aus. Auch eine Verwertung der Geheimnisse durch den Kläger ist unstreitig nicht erfolgt.

In Ermangelung einer Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG kommt es daher nicht mehr darauf an, ob der Kläger die in § 10 Abs. 1 UA 3 lit a DV stipulierte Pflicht zur strengen Geheimhaltung vertraulicher Informationen verletzt hat, da eine Erweiterung der Geheimhaltungsverpflichtung des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG durch den Vorstandsdienstvertrag nicht möglich ist.

bb. Auch wenn der Kläger nach alledem nicht gegen die ihm als Vorstand obliegende aktienrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtung aus § 93 Abs. 1 S. 3 AktG verstieß, so hat er doch durch die Weiterleitung der streitgegenständlichen Emails gegen seine sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 AktG ergebende Sorgfaltspflicht, die in Gestalt der Legalitätspflicht vom Vorstand eigene Regeltreue fordert, verstoßen. Denn wie das Landgericht richtig annahm (LGU S. 14), stellt die Weiterleitung der Emails auf den privaten Account des Klägers und die dortige Speicherung eine Verarbeitung iSd. Art. 4 Nr. 2 DSGVO dar, die nicht durch eine Einwilligung der betroffenen Personen gedeckt war (Art. 6 Abs. 1 lit a DSGVO). Diese Weiterleitung war auch nicht zur Wahrung der berechtigten Interessen des Klägers erforderlich (Art. 6 Abs. 1 lit f DSGVO). Gegen diese zutreffende rechtliche Wertung des Landgerichts hat die Berufung nichts erinnert, vielmehr hat der Kläger in seiner Berufungserwiderung/Anschlussberufungsbegründung (dort S. 13, Bl. 32 d.A.) sogar selbst eingeräumt, dass ihm nunmehr bewusst sei, dass eine Weiterleitung von dienstlichen Emails auf seinen privaten Email-Account nicht zulässig sei.

(1) Zwar ist nicht jeder Regelverstoß und damit auch nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung schon „an sich“ als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Dies ist jedoch zumindest dann der Fall, wenn – wie streitgegenständlich – die unter Missachtung der Regelungen der DSGVO erfolgte Weiterleitung der Emails an den privaten Email-Account des Klägers sensible Daten der Beklagten und anderer Dritter betrifft. Um solche sensiblen Daten handelte es sich vorliegend, da es in den Emails unter anderem um eine geldwäscherechtliche Bankanfrage, Provisisonsansprüche von Mitarbeitern (…), Gehaltsabrechnungen eines früheren Vorstandsvorsitzenden (…), Planungen der Beklagten zur Verprovisionierung ihrer Mitarbeiter und Zuständigkeitsstreitigkeiten im Vorstand der Beklagten ging. Zu berücksichtigen war darüber hinaus, dass die Weiterleitung nicht ein singulärer Vorfall war, sondern neun Emails weitergeleitet wurden.

(2) Die Weiterleitung der Emails wird auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Kläger – jedenfalls seiner Vorstellung nach – „nur solche Emails weiterleitete, die aufgrund der besorgniserregenden Veränderungen im Betrieb der Beklagten (…) unentbehrlich waren, um später beweisen zu können, dass er selbst keine zur Haftung führenden Fehler begangen hat“ (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 02.05.2022, S. 7, Bl. 31 d.A.). Denn für eine solche prophylaktische Selbsthilfe bestand – wie das Landgericht richtig ausführte (LGU S. 14 f.) – keine Veranlassung. Solange der Kläger noch Vorstand war, hatte er qua Amt Zugriff auf die Unterlagen der Beklagten. Nach seiner Abberufung als Vorstand hat er dagegen einen Einsichtsanspruch aus § 810 BGB, soweit er Unterlagen der Beklagten für seine Verteidigung benötigen sollte, wobei der Kläger durch die die Beklagte treffenden handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungspflichten auch vor unzeitiger Vernichtung der Unterlagen hinreichend geschützt ist (zur fehlenden Rechtfertigung prophylaktischer Selbsthilfe in einem vergleichbaren Fall eines Arbeitnehmers vgl. auch BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rdnr. 33 und LArbG Hamm, Urteil vom 28.05.2020 – 15 Sa 2008/19, Rdnr. 63).

Nach alledem kann in der streitgegenständlichen Weiterleitung der Emails ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ liegen. Ein Vorstand ist demnach nicht anders zu beurteilen als ein Arbeitnehmer, dem es ohne Einverständnis des Arbeitgebers ebenso verwehrt ist, sich betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen (vgl. BAG Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rdnr. 32).

b. Nach Feststellung, dass der streitgegenständliche Sachverhalt „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist, bedarf es der Prüfung, ob der Gesellschaft die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.2001 – II ZR 360/99, Rdnr. 9 zum Vorstand einer Genossenschaft, BGH, Urteil vom 02.06.1997 – II ZR 101 /96, Rdnr. 6 zum Geschäftsführer einer GmbH, zu Arbeitnehmern BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 186/11, Rdnr. 20, Weidenkaff in Grüneberg, BGB, 83. Auflage, München 2024, Rdnr. 38 zu § 626 BGB). Dabei ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse der Gesellschaft an der sofortigen Beendigung des Vorstandsanstellungsvertrages gegen das Interesse des Vorstands an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind dabei u.a. regelmäßig die Schwere der Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Vorstands, das Ausmaß des Schadens, eine mögliche Wiederholungsgefahr, die Dauer des Vorstandsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf sowie die sozialen Folgen für das Vorstandsmitglied (vgl. Fleischer in BeckOGK AktG, Stand 01.02.2024, Rdnr. 187 zu § 84 AktG).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Öffentliche Wiedergabe durch Bereitstellung von Fernsehgeräten in Gästezimmern und Fitnessraum eines Hotels wenn Sendesignal über eine hoteleigene Kabelverteilanlage weitergeleitet wird

EuGH
Urteil vom 11.04.2024
C‑723/22
Citadines Betriebs GmbH gegen MPLC Deutschland GmbH


Der EuGH hat entschieden, dass eine öffentliche Wiedergabe durch Bereitstellung von Fernsehgeräten in Gästezimmern und im Fitnessraum eines Hotels, wenn das Sendesignal über eine hoteleigene Kabelverteilanlage weitergeleitet wird.

Tenor der Entscheidung:
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die Bereitstellung von Fernsehgeräten in den Gästezimmern oder dem Fitnessraum eines Hotels eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn zusätzlich das Sendesignal über eine hoteleigene Kabelverteilanlage an diese Geräte weitergeleitet wird.

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Volltext BGH Vorlagebeschluss an EuGH: Öffentliche Wiedergabe durch Weiterleitung per Satellit empfangener Radio- und Fernsehprogramme durch Seniorenwohnheimbetreiber

BGH
Beschluss vom 08.02.2024
I ZR 34/23
Seniorenwohnheim
Richtlinie 2001/29/EG Art. 3 Abs. 1; UrhG § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 3, Abs. 3, §§ 20, 20b Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 Satz 1

Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH legt EuGH Fragen zur Klärung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe vor - Weiterleitung per Satellit empfangener Radio- und Fernsehprogramme durch Seniorenwohnheimbetreiber über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Handelt es sich bei den Bewohnern eines kommerziell betriebenen Seniorenwohnheims, die in ihren Zimmern über Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk verfügen, an die der Betreiber des Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz weitersendet, um eine "unbestimmte Anzahl potentieller Adressaten" im Sinne der Definition der "öffentlichen Wiedergabe" gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG ?

2. Hat die bisher vom Gerichtshof der Europäischen Union verwendete Definition, wonach die Einstufung als "öffentliche Wiedergabe" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG erfordert, dass "die Wiedergabe des geschützten Werks unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheidet, oder ansonsten für ein neues Publikum erfolgt, das heißt für ein Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe seines Werks erlaubte", weiterhin allgemeine Gültigkeit, oder hat das verwendete technische Verfahren nur noch in Fällen Bedeutung, in denen eine Weiterübertragung von zunächst terrestrisch, satelliten- oder kabelgestützt empfangenen Inhalten in das offene Internet stattfindet ?

3. Handelt es sich um ein "neues Publikum" im Sinne der Definition der "öffentlichen Wiedergabe" gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG, wenn der zu Erwerbszwecken handelnde Betreiber eines Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz an die vorhandenen Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weitersendet? Ist für diese Beurteilung von Bedeutung, ob die Bewohner unabhängig von der Kabelsendung die Möglichkeit haben, die Fernseh- und Rundfunkprogramme in ihren Zimmern terrestrisch zu empfangen? Ist für diese Beurteilung weiter von Bedeutung, ob die Rechtsinhaber bereits für die Zustimmung zur ursprünglichen Sendung eine Vergütung erhalten ?

BGH, Beschluss vom 8. Februar 2024 - I ZR 34/23 - OLG Zweibrücken LG Frankenthal (Pfalz)

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH legt EuGH Fragen zur Klärung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe vor - Weiterleitung per Satellit empfangener Radio- und Fernsehprogramme durch Seniorenwohnheimbetreiber

BGH
Beschluss vom 08.02.2024 - I ZR 34/23 ("Seniorenwohnheim") und
Beschluss vom 08.02.2024 - I ZR 35/23


Der BGH hat dem EuGH Fragen zur Klärung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe im Zusammenhang mit der Weiterleitung per Satellit empfangener Radio- und Fernsehprogramme durch Seniorenwohnheimbetreiber vorgelegt.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof legt Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur weiteren Klärung des Begriffs
der öffentlichen Wiedergabe vor

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen vorgelegt, mit denen geklärt werden soll, ob der Betreiber eines Seniorenwohnheims, der über eine Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme durch ein Kabelnetz an die Heimbewohner weitersendet, eine öffentliche Wiedergabe vornimmt.

Sachverhalt:

Die Klägerinnen sind Verwertungsgesellschaften, die die urheberrechtlichen Nutzungsrechte von Musikurhebern (I ZR 34/23) und Sendeunternehmen (I ZR 35/23) wahrnehmen. Die Beklagte betreibt ein Senioren- und Pflegezentrum. In dessen Pflegebereich wohnen in 88 Einzel- und 3 Doppelzimmern auf Dauer 89 pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren, die umfassend pflegerisch versorgt und betreut werden. Zusätzlich zum Pflegebereich verfügt die Einrichtung über verschiedene Gemeinschaftsbereiche wie Speisesäle und Aufenthaltsräume.

Die Beklagte empfängt über eine eigene Satellitenempfangsanlage Rundfunkprogramme (Fernsehen und Hörfunk) und sendet diese zeitgleich, unverändert und vollständig durch ihr Kabelnetz an die Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weiter.

Die Klägerinnen sehen in der Weitersendung der Rundfunkprogramme einen Eingriff in die von ihnen wahrgenommenen urheberrechtlichen Nutzungsrechte und haben die Beklagte deshalb - erfolglos - zum Abschluss von Lizenzverträgen aufgefordert.

Bisheriger Prozessverlauf:

In beiden Verfahren hat das Landgericht den Klagen stattgegeben und der Beklagten dem Antrag der Klägerin entsprechend die Weitersendung der Rundfunkprogramme untersagt.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klagen abgewiesen. Die Weitersendung der Rundfunkprogramme erfülle nicht die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe, weil sich die Wiedergabe auf den begrenzten Personenkreis der Bewohner der Einrichtung beschränke, die - ähnlich den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft - einen strukturell sehr homogenen und auf dauernden Verbleib in der Einrichtung ausgerichteten stabilen Personenkreis mit eher niedriger Fluktuation bildeten. Die Gemeinschaftsräume böten die Möglichkeit zu gemeinsamen Mahlzeiten, persönlichem Austausch und sozialem Miteinander der Bewohner. Anders als in einem Hotel oder einer Reha-Einrichtung bestehe durch die Wahl der Heimeinrichtung als Wohnung für den letzten Lebensabschnitt zwischen den Bewohnern eine enge Verbundenheit.

Mit ihren Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihre Klageanträge weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

In dem Verfahren I ZR 34/23 hat der Bundesgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen zur Auslegung des in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft enthaltenen Begriffs der öffentlichen Wiedergabe vorgelegt.

Zunächst soll durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt werden, ob es sich bei den Bewohnern eines kommerziell betriebenen Seniorenwohnheims, die in ihren Zimmern über Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk verfügen, an die der Betreiber des Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz weitersendet, im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Begriff der "öffentlichen Wiedergabe" gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG um eine "unbestimmte Anzahl potentieller Adressaten" (die - wie etwa Gäste eines Hotels oder Patienten eines Rehabilitationszentrums - eine Öffentlichkeit bilden können) oder um "besondere Personen, die einer privaten Gruppe angehören" (die keine Öffentlichkeit bilden) handelt.

Fraglich ist außerdem, ob die bisher vom Gerichtshof der Europäischen Union verwendete Definition, wonach die Einstufung als "öffentliche Wiedergabe" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG erfordert, dass "die Wiedergabe des geschützten Werks unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheidet (wie hier die Kabelweitersendung eines über eine Satellitenempfangsanlage empfangenen Rundfunkprogramms), oder ansonsten für ein neues Publikum erfolgt, das heißt für ein Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe seines Werks erlaubte", weiterhin allgemeine Gültigkeit hat, oder ob das verwendete technische Verfahren nur noch in Fällen Bedeutung hat, in denen eine Weiterübertragung von zunächst terrestrisch, satelliten- oder kabelgestützt empfangenen Inhalten (anders als im Streitfall) in das offene Internet stattfindet.

Ferner ist bislang nicht eindeutig geklärt, ob es sich um ein "neues Publikum" im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Begriff der "öffentlichen Wiedergabe" gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG handelt, wenn der zu Erwerbszwecken handelnde Betreiber eines Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz an die vorhandenen Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weitersendet. Fraglich ist insbesondere, ob es für diese Beurteilung von Bedeutung ist, ob die Bewohner unabhängig von der Kabelsendung die Möglichkeit haben, die Fernseh- und Rundfunkprogramme in ihren Zimmern terrestrisch zu empfangen, sowie, ob die Rechtsinhaber bereits für die Zustimmung zur ursprünglichen Sendung eine Vergütung erhalten.

Das Verfahren I ZR 35/23 hat der Bundesgerichtshof bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem Verfahren I ZR 34/23 ausgesetzt.

Vorinstanzen:

I ZR 34/23

LG Frankenthal - Urteil vom 13. Juli 2022 - 6 O 272/21

OLG Zweibrücken - Urteil vom 16. März 2023 - 4 U 101/22

und

I ZR 35/23

LG Frankenthal - Urteil vom 13. Juli 2022 - 6 O 318/21

OLG Zweibrücken - Urteil vom 16. März 2023 - 4 U 102/22

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 3 UrhG

Der Urheber hat … das ausschließliche Recht, sein Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben (Recht der öffentlichen Wiedergabe). Das Recht der öffentlichen Wiedergabe umfasst insbesondere … 3. das Senderecht

§ 20 UrhG

Das Senderecht ist das Recht, das Werk durch Funk, wie Ton- und Fernsehrundfunk, Satellitenrundfunk, Kabelfunk oder ähnliche technische Mittel, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

§ 20b Abs. 1 Satz 1 UrhG

Das Recht, ein gesendetes Werk im Rahmen eines zeitgleich, unverändert und vollständig weiterübertragenen Programms weiterzusenden (Weitersendung), kann nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden.

Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2001/29/EG

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke … zu erlauben oder zu verbieten.




BGH: Kein Anspruch auf Freigabe einer vor Entstehung der Namensrechte registrierten Domain wegen unberechtigter Namensanmaßung wenn berechtigtes Interesse des Domaininhabers besteht

BGH
Urteil vom 26.10.2023
I ZR 107/22
energycollect.de
EU-Grundrechtecharta Art. 17; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; BGB § 12 Satz 1 Fall 2; MarkenG §§ 5, 14, 15, 49 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass kein Anspruch auf Freigabe einer vor Entstehung der Namensrechte registrierten Domain wegen unberechtigter Namensanmaßung besteht, wenn ein berechtigtes Interesse des Domaininhabers an der Aufrechterhaltung der Domainregistrierung besteht.

Leitsatz des BGH:
Bei der Prüfung einer unberechtigten Namensanmaßung (§ 12 Satz 1 Fall 2 BGB) durch die Aufrechterhaltung einer vor Entstehung des Namensrechts registrierten Internetdomain sind im Rahmen der Interessenabwägung auf Seiten des Domaininhabers nicht nur spezifisch namens- oder kennzeichenrechtliche, sondern sämtliche Interessen an der Aufrechterhaltung der Domainregistrierung zu berücksichtigen, deren Geltendmachung nicht rechtsmissbräuchlich ist. Hierzu zählt auch ein wirtschaftliches Interesse an der Fortführung eines Weiterleitungsgebrauchs, um durch eine Verbesserung der Trefferquote und des Rankings der Zielseite in Suchmaschinen das Besucheraufkommen zu erhöhen (Fortführung von BGH, Urteil vom 24. April 2008 - I ZR 159/05, GRUR 2008, 1099 [juris Rn. 30 bis 34] = WRP 2008, 1520 - afilias.de; Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 6. November 2013 - I ZR 153/12, GRUR 2014, 506 [juris Rn. 30] = WRP 2014, 584 - sr.de).

BGH, Urteil vom 26. Oktober 2023 - I ZR 107/22 - OLG Karlsruhe - LG Mannheim

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Keine ordnungsgemäße Klageerhebung wenn als ladungsfähige Anschrift des Klägers ein Postdienstleister angegeben wird der Post an Kläger weiterleitet

BGH
Urteil vom 07.07.2023
V ZR 210/22
ZPO § 130 Nr. 1 Halbsatz 1, § 171 Satz 1, § 177, § 253 Abs. 2 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass keine ordnungsgemäße Klageerhebung vorliegt, wenn als ladungsfähige Anschrift des Klägers ein Postdienstleister angegeben wird, der die Post an den Kläger weiterleitet.

Leitsatz des BGH:
Eine ordnungsgemäße Klageerhebung setzt grundsätzlich die Angabe der
ladungsfähigen Anschrift des Klägers voraus; die Adresse eines Postdienstleisters, der lediglich mit der Weiterleitung der an den Kläger gerichteten Post beauftragt ist, reicht hierfür nicht aus.

BGH, Urteil vom 7. Juli 2023 - V ZR 210/22 - LG Frankfurt am Main - AG Wiesbaden

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LG Köln: Kein immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Weiterleitung nicht anonymisierter Entscheidung an diverse Rechtsämter

LG Köln
Urteil vom 03.08.2021
5 O 84/21

Das LG Köln hat entschieden, dass kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen der Weiterleitung einer nicht anonymisierten Entscheidung an diverse Rechtsämter besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Klageantrag zu 1) ist zulässig, da keine verdeckte Teilklage vorliegt. Der Kläger begehrt ein angemessenes Schmerzensgeld für den Schaden, den er infolge der streitgegenständlichen Datenschutzverletzung erlitten haben will. Nur weil er außergerichtlich ein höheres Schmerzensgeld gefordert hat, kann nicht bereits von einer Teilklage ausgegangen werden.

Die Beklagte hat den Anspruch nicht dem Grunde nach anerkannt. Ein entsprechender Rechtsbindungswille der Beklagten geht aus dem Schreiben vom 05.06.2020 nicht hervor. Nur weil die Beklagte äußerte, eine Entschädigungsleistung sei denkbar, hat sie noch nicht anerkannt, dass eine Haftung dem Grunde nach besteht.

Ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld besteht nicht, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass ihm infolge der streitgegenständlichen Datenschutzverletzung ein immaterieller Schaden entstanden ist. Nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Die streitgegenständliche Übersendung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Köln an die Rechtsamtsleiterinnen und Rechtsamtsleiter anderer Kommunen stellt einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung dar. Die Beklagte durfte den Beschluss zur Information und zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung jedenfalls nicht unanonymisiert übersenden.

Allerdings reicht ein Verstoß alleine zur Anspruchsbegründung nicht aus, es muss auch ein Schaden eingetreten sein (Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 10). Der Schaden muss auf den Verstoß zurückzuführen sein, wobei eine Mitursächlichkeit genügt (Quaas, in: BeckOK DatenschutzR, 35. Ed. 1.11.2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 26).

Vorliegend bestreitet die Beklagte in zulässiger Weise, dass die klägerseits behaupteten Beeinträchtigungen durch den streitgegenständlichen Verstoß verursacht wurden. In Bezug auf den vorgelegten Chat im Internet ist festzuhalten, dass aus diesem nicht hervorgeht, dass er sich auf den Kläger bezieht. Auch ist nicht ersichtlich, warum die Chatteilnehmer die Information der Beteiligung des Klägers am verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausgerechnet über die Rechtsamtsleiterinnen und Rechtsamtsleiter erhalten haben sollen. Diesbezüglich hat die Beklagte dargelegt, dass insgesamt 24 Spielhallenbetreiber ein verwaltungsgerichtliches Verfahren angestrengt hätten. Es ist nicht auszuschließen, dass diese an den Beschluss gelangt sind und ihn verbreitet haben. Jedenfalls trägt die Klägerin keine Hinweise dafür vor, dass die streitgegenständliche Übersendung die einzige oder auch nur naheliegende Möglichkeit dafür war, dass weitere Personen Kenntnis von dem Beschluss erlangten.

Gleiches gilt für die hinterlassene Nachricht an der Windschutzscheibe. Der klägerische Vortrag lässt bereits offen, wer diese Nachricht hinterlassen hat.

Eine Beweislastumkehr oder eine Beweiserleichterung greift vorliegend zu Gunsten des Klägers nicht. Die Beweislast auch für diese Voraussetzung obliegt dem Anspruchsberechtigten, dies entspricht den allgemeinen deliktischen Voraussetzungen. Eine Beweislastumkehr ist der Norm ausdrücklich nur bezüglich des Gesichtspunkts des Verschuldens zu entnehmen (Quaas, in: BeckOK DatenschutzR, 36. Ed. 1.5.2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 27). Dies ist auch interessengerecht, denn die Beklagte kann genauso wenig wie der Kläger wissen, wer noch Kenntnis von dem Beschluss des Verwaltungsgerichts hatte.

Nach alledem ist nicht ersichtlich, welchen immateriellen Schaden der Kläger dadurch erlitten haben soll, dass der Beschluss an 62 Rechtsamtsleiterinnen und Rechtsamtsleiter versandt wurde. Für den immateriellen Schadensersatz gelten dabei die im Rahmen von § 253 BGB entwickelten Grundsätze, die Ermittlung obliegt dem Gericht nach § 287 ZPO (Quaas, in: BeckOK DatenschutzR, 32. Ed. 1.2.2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 31). Es können für die Bemessung die Kriterien des Art. 83 Abs. 2 DS-GVO herangezogen werden, z.B. die Art, Schwere und Dauer des Verstoßes unter Berücksichtigung der Art, des Umfangs oder des Zwecks der betreffenden Verarbeitung, die betroffenen Kategorien personenbezogener Daten. Zu berücksichtigen ist auch, dass die beabsichtigte abschreckende Wirkung nur durch für den Anspruchsverpflichtenden empfindliche Schmerzensgelder erreicht wird, insbesondere wenn eine Kommerzialisierung fehlt (LG Köln, ZD 2021, 47 Rn. 12). Vorliegend ist eine Beeinträchtigung des Klägers nicht ersichtlich, nachdem nicht feststeht, dass die von ihm behaupteten Vorfälle auf den streitgegenständlichen Verstoß zurückgeführt werden können. Da die Adressaten der streitgegenständlichen E-Mail selbst dienstlichen Verschwiegenheitspflichten obliegen, bleibt bereits unklar, ob der Beschluss auf diesem Wege weiteren Personen zur Kenntnis gelangt ist. Das Zuerkennen von Schmerzensgeld in einem derartigen Bagatellfall würde die Gefahr einer nahezu uferlosen Häufung der Geltendmachung von Ansprüchen bergen, was nicht Sinn und Zweck von Art. 82 DS-GVO entsprechen kann (vgl. LG Köln, ZD 2021, 47 Rn. 14). Zudem ist eine extensive Auslegung des Begriffs des immateriellen Schadens nicht geboten, weil nach Art. 83 DS-GVO die Möglichkeit besteht, Geldbußen in erheblichem Umfang zu verhängen (vgl. Franzen, in: EuArbRK, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 22).

Eine Vorlagepflicht an den EuGH besteht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bereits deshalb nicht, weil vorliegend nicht letztinstanzlich entschieden wird.

Die mit dem Klageantrag zu 2) geltend gemachte Nebenforderung teilt das Schicksal der Hauptforderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 8.000,00 EUR festgesetzt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Systematische Speicherung und Weiterleitung von IP-Daten, Namen und Anschriften von Filesharing-Nutzern zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen zulässig

EuGH
Urteil vom 17.06.2021
C-597/19
Mircom International Content Management & Consulting (M.I.C.M.) Limited gegen Telenet BVBA,
Beteiligte: Proximus NV, Scarlet Belgium NV


Der EuGH hat entschieden, dass die systematische Speicherung und Weiterleitung von IP-Daten, Namen und Anschriften von Filesharing-Nutzern an Rechteinhaber zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen zulässig ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Die systematische Speicherung von IP-Adressen von Nutzern und die Übermittlung ihrer Namen und Anschriften an den Inhaber geistiger Rechte oder an einen Dritten, um die Erhebung einer Schadensersatzklage zu ermöglichen, ist unter bestimmten Voraussetzungen zulässig

Der Auskunftsantrag eines Inhabers von Rechten des geistigen Eigentums darf nicht missbräuchlich sein und er muss gerechtfertigt und verhältnismäßig sein Das Unternehmen Mircom International Content Management & Consulting (M.I.C.M.) Limited (im Folgenden: Mircom) stellte bei der Ondernemingsrechtbank Antwerpen (Unternehmensgericht Antwerpen, Belgien) einen Auskunftsantrag gegen die Telenet BVBA, einen Internetzugangsanbieter. Dieser Antrag ist auf eine Entscheidung gerichtet, mit der Telenet verpflichtet wird, die Daten zur Identifizierung ihrer Kunden auf der Grundlage der von einem spezialisierten Unternehmen im Auftrag von Mircom erhobenen IP-Adressen vorzulegen. Die Internetanschlüsse von Kunden von Telenet wurden dazu genutzt, in einem Peer-to-Peer-Netz über das BitTorrent-Protokoll Filme aus dem Repertoire von Mircom zu teilen. Telenet tritt dem Antrag von Mircom entgegen.

Vor diesem Hintergrund hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof als Erstes gefragt, ob das Teilen von Segmenten einer Mediendatei, die ein geschütztes Werk enthält, in einem Peer-toPeer-Netz eine öffentliche Wiedergabe nach dem Unionsrecht darstellt. Als Zweites wollte es wissen, ob einem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums wie Mircom, der sie nicht nutzt, sondern von mutmaßlichen Verletzern Schadensersatz verlangt, die im Unionsrecht vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe offenstehen, um die Durchsetzung dieser Rechte zu gewährleisten, z. B. durch die Einholung von Informationen. Als Drittes hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Klärung ersucht, ob die Art und Weise, in der die IP-Adressen der Kunden durch Mircom gesammelt werden, und die Übermittlung der von Mircom bei Telenet angefragten Daten zulässig sind.

In seinem Urteil entscheidet der Gerichtshof erstens, dass ein Hochladen von Segmenten einer Mediendatei in einem Peer-to-Peer-Netz wie das in Rede stehende eine öffentliche Zugänglichmachung im Sinne des Unionsrechts darstellt. Zweitens kann ein Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums wie Mircom das System zum Schutz dieser Rechte in Anspruch nehmen,
aber sein Auskunftsantrag muss insbesondere nicht missbräuchlich, gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Drittens sind die systematische Speicherung von IP-Adressen von Nutzern eines Peer-to-peer-Netzes und die Übermittlung ihrer Namen und Anschriften an den Rechtsinhaber oder an einen Dritten, um die Erhebung einer Schadensersatzklage zu ermöglichen, unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

Würdigung durch den Gerichtshof
Der Gerichtshof, der sich bereits zum Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Kontext des Urheberrechtsschutzes geäußert hat, stellt erstens klar, dass es sich um eine „öffentliche Zugänglichmachung eines Werks“ handelt, wenn die zuvor heruntergeladenen Segmente einer Mediendatei, die ein geschütztes Werk enthält, unter Nutzung eines Peer-to-Peer-to-Peer-Netzes hochgeladen werden, auch wenn diese Segmente als solche nicht nutzbar sind und das Hochladen automatisch erfolgt, sofern der Nutzer sein Einverständnis mit der Filesharing-Software BitTorrent-Client erklärt hat, indem er deren Anwendung zugestimmt hat, nachdem er ordnungsgemäß über ihre Eigenschaften informiert wurde.

Jeder Nutzer des Peer-to-Peer-Netzes kann die Originaldatei aus den auf den Computern der anderen Nutzer verfügbaren Segmenten leicht wieder zusammensetzen. Durch das Herunterladen der Segmente einer Datei macht er sie zugleich für das Hochladen durch andere Nutzer zugänglich. Er muss auch keine Mindestmenge an Segmenten herunterladen. Jede Handlung, mit der er in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens Zugang zu geschützten Werken verschafft, kann eine Zugänglichmachung darstellen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine solche Handlung, weil sie auf eine unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten abzielt, eine recht große Zahl von Personen betrifft und gegenüber einem neuen Publikum erfolgt. Mit dieser Auslegung soll der angemessene Ausgleich zwischen den Interessen und Grundrechten der Inhaber von Rechten
des geistigen Eigentums einerseits und den Interessen und Grundrechten der Nutzer von Schutzgegenständen andererseits gesichert werden.

Der Gerichtshof stellt zweitens fest, dass dem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums wie Mircom, der diese Rechte im Wege einer Forderungsabtretung erworben hat und sie nicht nutzt, sondern von mutmaßlichen Verletzern Schadensersatz verlangen möchte, grundsätzlich die im Unionsrecht vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zustehen können, es sei denn, sein Antrag ist missbräuchlich. Die etwaige Feststellung eines solchen Missbrauchs unterliegt der Würdigung durch das vorlegende Gericht, das zu diesem Zweck z. B. prüfen könnte, ob tatsächlich Klagen erhoben worden sind, wenn eine gütliche Lösung abgelehnt wurde. Insbesondere kann ein Auskunftsantrag wie der von Mircom nicht deshalb als unzulässig angesehen werden, weil er in einem vorgerichtlichen Verfahren gestellt wurde. Der Antrag ist jedoch abzulehnen, wenn er unbegründet ist oder nicht die Verhältnismäßigkeit wahrt, was das nationale Gericht zu prüfen hat. Mit dieser Auslegung möchte der Gerichtshof ein hohes Schutzniveau für das geistige Eigentum im Binnenmarkt gewährleisten.

Der Gerichtshof entscheidet drittens, dass das Unionsrecht grundsätzlich weder den Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums oder einen in dessen Auftrag handelnden Dritten daran hindert, IP-Adressen von Nutzern von Peer-to-Peer-Netzen, deren Internetanschlüsse für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt worden sein sollen, systematisch zu speichern (vorgelagerte Datenverarbeitung), noch dem entgegensteht, dass die Namen und Anschriften der Nutzer an den Rechtsinhaber oder an einen Dritten im Hinblick auf eine Schadensersatzklage übermittelt werden (nachgelagerte Datenverarbeitung). Die dahin gehenden Maßnahmen und Anträge müssen jedoch gerechtfertigt, verhältnismäßig, nicht missbräuchlich und in einer nationalen Rechtsvorschrift vorgesehen sein, die die Rechte und Pflichten aus dem Unionsrecht beschränkt. Der Gerichtshof stellt klar, dass das Unionsrecht keine Verpflichtung für eine Gesellschaft wie Telenet begründet, personenbezogene Daten an Privatpersonen zu übermitteln, damit diese vor den Zivilgerichten Urheberrechtsverstöße verfolgen können. Das Unionsrecht erlaubt es den Mitgliedstaaten jedoch, eine solche Verpflichtung vorzusehen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass es sich um eine öffentliche Zugänglichmachung im Sinne dieser Bestimmung handelt, wenn die von einem Nutzer eines Peer-to-Peer-Netzes zuvor heruntergeladenen Segmente einer Mediendatei, die ein geschütztes Werk enthält, von dem Endgerät dieses Nutzers aus auf die Endgeräte anderer Nutzer dieses Netzes hochgeladen werden, obwohl diese Segmente als solche erst nach dem Herunterladen eines bestimmten Prozentsatzes aller Segmente nutzbar sind. Unerheblich ist, dass dieses Hochladen aufgrund der Konfiguration der Filesharing-Software BitTorrent-Client durch die Software automatisch erfolgt, wenn der Nutzer, von dessen Endgerät aus das Hochladen erfolgt, sein Einverständnis mit dieser Software erklärt hat, indem er deren Anwendung zugestimmt hat, nachdem er ordnungsgemäß über ihre Eigenschaften informiert wurde.

2. Die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ist dahin auszulegen, dass eine Person, die vertragliche Inhaberin bestimmter Rechte des geistigen Eigentums ist, diese Rechte aber nicht selbst nutzt, sondern lediglich Schadensersatzansprüche gegen mutmaßliche Verletzer geltend macht, die in Kapitel II dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe grundsätzlich in Anspruch nehmen kann, es sei denn, es wird aufgrund der allgemeinen Verpflichtung aus Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie und auf der Grundlage einer umfassenden und eingehenden Prüfung festgestellt, dass ihr Antrag missbräuchlich ist. Ein auf Art. 8 der Richtlinie gestützter Auskunftsantrag ist insbesondere auch dann abzulehnen, wenn er unbegründet ist oder nicht die Verhältnismäßigkeit wahrt, was das nationale Gericht zu prüfen hat.

3. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er grundsätzlich weder den Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums oder einen in dessen Auftrag handelnden Dritten daran hindert, IP‑Adressen von Nutzern von Peer-to-Peer-Netzen, deren Internetanschlüsse für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt worden sein sollen, systematisch zu speichern, noch dem entgegensteht, dass die Namen und Anschriften dieser Nutzer an den Rechtsinhaber oder an einen Dritten übermittelt werden, um ihm die Möglichkeit zu geben, bei einem Zivilgericht eine Schadensersatzklage wegen eines Schadens zu erheben, der von diesen Nutzern verursacht worden sein soll, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die dahin gehenden Maßnahmen und Anträge des Rechtsinhabers oder des Dritten gerechtfertigt, verhältnismäßig und nicht missbräuchlich sind und ihre Rechtsgrundlage in einer Rechtsvorschrift im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 in der durch die Richtlinie 2009/136 geänderten Fassung haben, die die Tragweite der Bestimmungen der Art. 5 und 6 dieser Richtlinie in geänderter Fassung beschränkt.



BGH: Wettbewerbswidrige Behinderung wenn Telekommunikationsanbieter systematisch bereits widerrufene Portierungsaufträge von Kunden an Mitbewerber weiterleitet

BGH
Urteil vom 11.10.2017
I ZR 210/16
Portierungsauftrag
UWG § 4 Nr. 4


Der BGH hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Behinderung vorliegt, wenn ein Telekommunikationsanbieter systematisch bereits widerrufene Portierungsaufträge von Kunden an einen Mitbewerber weiterleitet.


Leitsatz des BGH:

Ein Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen handelt gemäß § 4 Nr. 4 UWG unlauter, wenn er zu seinen Gunsten von Kunden eines Wettbewerbers erteilte, vor Ausführung widerrufene Portierungsaufträge in Kenntnis des Widerrufs erneut systematisch und planmäßig dem Wettbewerber zuleitet, so dass der unzutreffende Eindruck entsteht, die Kunden hätten sich zum wiederholten Male zu seinen Gunsten entschieden.

BGH, Urteil vom 11. Oktober 2017 - I ZR 210/16 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: