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OLG Köln: Berichterstattung in Bild Zeitung und Bild-Online über Kardinal Woelki teilweise unzulässig

OLG Köln
Urteil vom 16.03.2023 - 15 U 120/22
Urteil vom 16.03.2023 - 15 U 131/22


Das OLG Köln hat entschieden, dass die Berichterstattung in der Bild Zeitung und bei Bild-Online über Kardinal Woelki teilweise unzulässig war.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Urteilsverkündung in den Berufungsverfahren 15 U 120/22 und 15 U 131/22

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat am heutigen Tag in den vorbezeichneten Verfahren entschieden und insoweit unter teilweiser Abänderung der landgerichtlichen Entscheidungen den Beklagten das Verbreiten bzw. Verbreiten lassen einzelner Äußerungen untersagt.

Im Verfahren 15 U 120/22 verlangt der Kläger, Kardinal der römisch-katholischen Kirche und Erzbischof von Köln, von der Beklagten zu 1 als Betreiberin eines Online-Portals und dem Beklagten zu 2, dem Chefreporter des Portals, die Unterlassung von fünf Äußerungen aus einem Artikel sowie der Äußerung aus einem Kommentar, die sich mit der vom Kläger ausgesprochenen Beförderung eines Priesters befassen.

Das Landgericht Köln hat der Klage mit Urteil vom 18. Mai 2022 antragsgemäß stattgegeben (Az. 28 O 276/21, abrufbar über die Datenbank NRWE). Auf die dagegen seitens der Beklagten eingelegte Berufung hin hat der Senat die Entscheidung des Landgerichts dahingehend abgeändert, dass es die Beklagten in Bezug auf vier von sechs angegriffenen Äußerungen zu unterlassen haben, diese zu verbreiten oder verbreiten zu lassen; im Übrigen ist die Klage abgewiesen worden. Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, die sechs angegriffenen Äußerungen berührten den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. In Bezug auf vier der sechs Äußerungen liege auch ein rechtswidriger Eingriff vor; im Rahmen der gebotenen Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers mit dem Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit überwiege das Schutzinteresse des Klägers die schutzwürdigen Belange der anderen Seite. Dies sei hinsichtlich der zwei weiteren Äußerungen nicht der Fall. Im Einzelnen:

Als unwahre Tatsachenbehauptungen unzulässig seien die Äußerungen, der Priester habe "der Polizei 2001 sexuelle Handlungen mit einem Minderjährigen gestanden" beziehungsweise er habe "bei polizeilicher Vernehmung […] Sex mit dem obdachlosen und minderjährigen Prostituierten gestanden". Sie seien deshalb unwahr, weil ein unbefangener und verständiger Leser sie nur so verstehen könne, dass der Priester gegenüber der Polizei Angaben zur Minderjährigkeit seines Sexualpartners gemacht habe, was tatsächlich im Rahmen seiner (alleinigen) Vernehmung als Zeuge - nicht als Beschuldigter - nicht der Fall gewesen sei. Die Beklagte habe zudem die Leser zur Vermeidung einer fehlerhaften Vorstellung darüber aufklären müssen, dass das von dem Priester gegenüber der Polizei eingeräumte - zum damaligen Zeitpunkt nach staatlichem Recht unzweifelhaft nicht strafbare - Verhalten nicht Gegenstand eines staatlichen Ermittlungsverfahrens gewesen sei.

Unzulässig sei auch die Äußerung "obwohl dieser zuvor Kindesmissbrauch gestanden hat". Es handele sich um eine irreführende Meinungsäußerung mit einem unwahren Tatsachenkern. Namentlich sei im Rahmen der Zeugenvernehmung des Priesters, wie ausgeführt, die Minderjährigkeit von dessen Sexualpartner überhaupt nicht zur Sprache gekommen.

Auch die Äußerung "Ungeachtet dessen befördert […] diesen Sexualstraftäter nur zwei Jahre später […]." enthalte mit der Bezeichnung des Priesters als "Sexualstraftäter" im Zusammenhang mit dessen im Artikel angegebenen angeblichen Äußerungen bei der Polizei, er habe Sex bzw. sexuelle Handlungen mit einem Minderjährigen bzw. Kindesmissbrauch gestanden, eine weitere irreführende und in Ermangelung einer Erläuterung ebenfalls unzulässige Meinungsäußerung. Sie verstärke die Gefahr eines fehlerhaften Verständnisses dahingehend, dass die staatlichen Ermittlungsbehörden gegen diesen ermittelt hätten.

Um zulässige Meinungsäußerungen handele es sich dagegen bei der von dem Kläger angegriffenen Artikelüberschrift "Obwohl er von den Vorwürfen wusste - Kardinal Woelki beförderte Missbrauchs-Priester" und bei der angegriffenen Äußerung aus dem Kommentar "Kardinal Woelki, der Erzbischof von Köln, hat einen Missbrauchspriester befördert". Zwar enthielten diese eine scharfe und zugespitzte Kritik an der Amtsführung des Kardinals. Diese Kritik müsse sich der Kläger als Träger eines hohen kirchlichen Amtes aber u.a. im Lichte der breiten öffentlichen Diskussion um sein Verhalten im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche gefallen lassen.

Die Bezeichnung des Priesters als "Missbrauchs-Priester" sei - jedenfalls im Verhältnis der Beklagten zum Kläger - rechtmäßig. Die Frage, ob ein Verhalten als Missbrauch anzusehen sei, unterliege der rechtlichen oder moralischen Bewertung. Mangels Vorliegens eines unwahren tatsächlichen Bestandteils stehe den Beklagten die Bewertung als Missbrauch frei mit der Konsequenz, dass sie den Priester dementsprechend in einer zugespitzten Wertung als "Missbrauchs-Priester" bezeichnen könne. Bei der Äußerung, der Kläger habe "von den Vorwürfen" gewusst, handele es sich auf der Grundlage des diesbezüglichen Parteivortrags ebenfalls um eine auf Tatsachen fußende Schlussfolgerung auf das Vorliegen einer inneren Tatsache.

Auch in dem Verfahren 15 U 131/22 streiten die Parteien um die Zulässigkeit verschiedener Äußerungen. Das Landgericht Köln hat der Klage antragsgemäß mit Urteil vom 8. Juni 2022 stattgegeben (Az. 28 O 295/21, abrufbar über die Datenbank NRWE). Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat auf die Berufung der Beklagten das angegriffene Urteil teilweise abgeändert. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, ein Unterlassungsanspruch bestehe hinsichtlich einzelner der vom Kläger angegriffenen Äußerungen. Im Einzelnen:

Abgesehen von einem Äußerungsteil, der von dem titulierten Verbot auszunehmen sei, habe das Landgericht zu Recht angenommen, dass dem Kläger ein Unterlassungsanspruch zustehe bezüglich der - in Artikeln mit der Überschrift "Die Vertuschungs-‚Mafia‘ im Erzbistum Köln" und "VERTUSCHUNGS-‚MAFIA‘ im Erzbistum Köln" veröffentlichten - Äußerungen "DIESER bislang geheim gehaltene Bericht aus dem Giftschrank des Erzbistums Köln" und "wo er bis heute liegt".

Diese Äußerungen beträfen den Kläger; aus den Überschriften und dem weiteren Text der beiden Artikel ergebe sich, dass das fragliche Dokument - der in dem Artikel genannte Bericht eines anonymen Insiders - dem Kläger seit dem Jahr 2015 bekannt gewesen sei. Die angegriffenen Äußerungen seien auch geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Klägers als Träger eines hohen kirchlichen Amtes auszuwirken. Denn dem Leser werde die Schlussfolgerung nahe gelegt, er habe die Aufklärung der Vorwürfe, die in dem angeblich geheim gehaltenen Dokument erhoben beziehungsweise wiedergegeben werden, nicht beziehungsweise nicht ernsthaft betrieben. Die Äußerungen seien als unzulässige Meinungsäußerungen mit einem unwahren, jedenfalls aber nicht erweislich wahren Tatsachenkern einzuordnen.

Dazu hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, in den Äußerungen vermengten sich tatsächliche und wertende Elemente in der Weise, dass die Äußerungen insgesamt noch als Werturteil anzusehen seien. Bei derartigen Äußerungen falle bei der Abwägung der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile ins Gewicht; ausgehend davon trete hier das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter den Schutzinteressen des von der Äußerung Betroffenen zurück. Denn nach dem bewiesenen Vortrag des Klägers sei davon auszugehen, dass das von den Beklagten in Bezug genommene Dokument, nachdem es zuvor auch anderen Anwälten zur Kenntnis gebracht worden sein soll, im Jahr 2020 an die mit der Erstellung eines Missbrauchsgutachtens beauftragte Kanzlei übergeben worden sei. Eine andere Beurteilung ergebe sich aber auch dann nicht, wenn man von einem Tatsachenkern mit ungeklärtem Wahrheitsgehalt ausgehen wolle. Nach den im Verfahren maßgeblichen Tatsachenfeststellungen im landgerichtlichen Urteil sei im Übrigen davon auszugehen, dass die Kanzlei den Auftrag gehabt habe, die gesichteten Dokumente, sofern zur Verfolgung konkreter Strafverdachtsmomente als notwendig erachtet, an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Der mit der Weitergabe der Informationen an eine solche Stelle verbundene Kontrollverlust sei mit der Annahme, die Informationen seien weiterhin geheim gehalten worden, auch unter Berücksichtigung erheblicher Wertungsspielräume nicht mehr vereinbar. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang einen weiteren, den damaligen Generalvikar betreffenden Äußerungsteil untersagt habe, sei dieser dagegen auszunehmen. Dieser sei äußerungsrechtlich in Bezug auf den Kläger nicht zu beanstanden.

Hinsichtlich weiterer verfahrensgegenständlicher Äußerungen sei bereits der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht berührt, da diese ihn entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht beträfen. Dies gelte u.a. für die Überschrift "Die Vertuschungs-Mafia im Erzbistum Köln". Dazu hat der Senat unter näherer Darlegung ausgeführt, die Überschrift dürfe nicht isoliert von dem dazugehörigen Zeitungsbericht betrachtet werden.

Der im Übrigen angegriffene Äußerungsteil "bringt Kardinal Woelki (64) in Erklärungsnot" betreffe zwar den Kläger, diesen müsse er indes hinnehmen. Es handele sich dabei um eine zulässige Bewertung der Umstände, dass der Kläger das Schreiben nicht zum Anlass genommen habe, von einer Beförderung abzusehen, und dass er auf Anfrage der Beklagten zu diesem Vorgang Stellung genommen habe.

In beiden Verfahren ist die Revision vom Senat nicht zugelassen worden.

BGH: Kein Anspruch auf Löschung eines Jameda-Basisprofils aus Art. 17 DSGVO - vorrangige berechtigte Gründe des Portalbetreibers im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c Halbsatz 1 DSGVO

BGH
Urteil vom 13.12.2022
VI ZR 54/21


Der BGH hat nochmals entschieden, dass kein Anspruch auf Löschung eines Jameda-Basisprofils aus Art. 17 DSGVO besteht. Es liegen auf Seiten des Portalbetreibers vorrangige berechtigte Gründe im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c Halbsatz 1 DSGVO vor.

Aus den Entscheidungsgründen:
d) Auch der Löschungsgrund des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO ist nicht gegeben. Denn für die von der Klägerin angegriffene Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten liegen jedenfalls vorrangige berechtigte Gründe im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c Halbsatz 1 DS-GVO vor. Die auch insoweit gebotene Gesamtabwägung führt zu keinem anderen Ergebnis als die oben zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f DS-GVO vorgenommene Abwägung (vgl. Senatsurteile vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 24 mwN; vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 488/19, NJW 2022, 1098 Rn. 68 und VI ZR 489/19,
BGHZ 231, 263 Rn. 71, vom 15. Februar 2022 - VI ZR 692/20, NJW-RR 2022,693 Rn. 42).

2. Der ebenfalls aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO abzuleitende Unterlassungsanspruch (vgl. Senatsurteile vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 489/19, BGHZ 231, 263 Rn. 10; vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 20, 23 zur Auslistung; BSGE 127, 181 Rn. 13) ist nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DS-GVO im Ergebnis zu Recht verneint. Da die Klägerin im Zusammenhang mit dem Unterlassungsbegehren keine weiteren Gestaltungsvarianten oder Verhaltensweisen der Beklagten beanstandet hat, kann zur Begründung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Datenverarbeitung auf die obigen Ausführungen zum Löschungsanspruch verwiesen werden.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



VG Köln: Juristische Person mit Sitz außerhalb der EU kann sich nicht auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen

VG Köln
Beschluss vom 14.11.2022
6 L 1523/22


Das VG Köln hat entschieden, dass sich eine juristische Person mit Sitz außerhalb der EUnicht auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen kann.

Leitsätze des Gerichts:
Wer auftragsbasiert den Interessen Dritter durch strategische Beratung und andere Dienstleistungen der Öffentlichkeitsarbeit zum Zwecke einer öffentlichen Meinungsbildung im Sinne der Auftragsgeber dient und dabei auch Mittel, Methoden und Ausdrucksformen mit journalistisch-redaktionellem Anschein verwendet, kann sich nicht auf das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) berufen.

Presseethische Grundsätze können auch als freiwillige Selbstverpflichtung in Form eines Pressekodex für die Bestimmung des Schutzbereichs der Pressefreiheit relevant sein.

Eine juristische Person, die ihren Sitz außerhalb der Europäischen Union hat, kann sich nicht auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Es ist kein Anordnungsanspruch in Form einer Rechtsposition ersichtlich, die auf Art. 5 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG gestützt werden kann.

Gegen einen presserechtlichen Informationsanspruch (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG),

vgl. dazu: VG Köln, Beschluss vom 22.08.2022 – 6 L 978/22 –, juris, Rn. 23 m. w. N.,

spricht bereits, dass die Antragstellerin keine Presse im Sinne des verfassungsunmittelbaren Informationsanspruchs ist. Publizistisch tätig, d. h. Vertreter der Presse, ist nur, wer deren Funktion wahrnimmt. Ob der erforderliche Funktionsbezug vorliegt, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab; das schließt typisierende Bewertungen nicht aus. Der Schutz der Pressefreiheit knüpft nach Maßgabe des weiten und formalen Pressebegriffs an das Substrat einer Publikation in gedruckter oder digitalisierter und zur Verbreitung geeigneter und bestimmter Form an. Darüber hinaus wird in inhaltlicher Hinsicht vorausgesetzt, dass die Publikation am Kommunikationsprozess zur Ermöglichung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung teilnimmt. Dies ist ohne weiteres regelmäßig nur bei Presseunternehmen wie etwa Zeitungs- oder Zeitschriftenverlagen gerechtfertigt. Entsprechendes gilt für Journalisten und Redakteure, deren Berufsbild ebenfalls von der Wahrnehmung dieser Aufgabe geprägt wird. Bei anderen Unternehmen fehlt es an einer vergleichbar eindeutigen Verknüpfung zwischen Tätigkeit und publizistischem Zweck. In diesen Fällen bedarf daher näherer Prüfung, ob der erforderliche Funktionsbezug vorliegt. Insoweit ist darauf abzustellen, welche Tätigkeit das Unternehmen prägt und wofür die begehrten Informationen verwendet werden (sollen). Der Informationsanspruch knüpft an die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe der Presse an. Dieser verfassungsrechtlich begründete Funktionsbezug verhindert ein zweckwidriges Ausufern des Kreises der Anspruchsberechtigten. Es ist daher jedenfalls zu verlangen, dass das journalistisch-redaktionell aufbereitete Angebot nach Inhalt und Verbreitungsart dazu bestimmt und geeignet ist, zur öffentlichen Kommunikation und Meinungsbildung beizutragen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.03.2019 – 7 C 26.17 –, juris, Rn. 24 ff. m. w. N.

An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Die Antragstellerin dient auftragsbasiert privaten Interessen oder auch Interessen von öffentlichen Trägern durch strategische Beratung und andere Dienstleistungen der Öffentlichkeitsarbeit zum Zwecke einer öffentlichen Meinungsbildung im Sinne der Auftragsgeber. Dazu verwendet sie möglicherweise auch Mittel, Methoden und Ausdrucksformen mit journalistisch-redaktionellem Anschein, die jedoch bereits aufgrund der Auftragsmotivation presseethischen Grundsätzen zuwiderlaufen, welche auch als freiwillige Selbstverpflichtung in Form von Pressekodices für die Bestimmung des Schutzbereichs der Pressefreiheit relevant sind.

Vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 13.10.2020 – 2 C 41.18 –, juris, Rn. 42; OVG NRW, Beschluss vom 27. 06.2012 – 5 B 1463/11 –, juris, Rn. 47; VG Saarland, Urteil vom 12.10.2006 – 1 K 64/05 –, juris, Rn. 60 ff.

In Ziffer 6. der Publizistischen Grundsätze (Pressekodex) des Deutschen Presserates in der Fassung vom 11.11.2019,

abrufbar auf www.presserat.de/pressekodex.html,

heißt es: „Journalisten und Verleger üben keine Tätigkeiten aus, die die Glaubwürdigkeit der Presse in Frage stellen könnten.“ Laut Ziffer 7. gebietet die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden.

Im Übrigen nehmen auch nach der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ im Journalistenkodex des Schweizer Presserates in der Fassung vom 05.06.2008,

abrufbar unter www.presserat.ch/journalistenkodex/erklaerung,

Journalistinnen und Journalisten weder Vorteile noch Versprechungen an, die geeignet sind, ihre berufliche Unabhängigkeit und die Äußerung ihrer persönlichen Meinung einzuschränken (Ziffer 9). Sie vermeiden in ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalistinnen und Journalisten jede Form von kommerzieller Werbung und akzeptieren keinerlei Bedingungen von Seiten der Inserentinnen und Inserenten (Ziffer 10). Sie nehmen journalistische Weisungen nur von den hierfür als verantwortlich bezeichneten Mitgliedern ihrer Redaktion entgegen, und akzeptieren sie nur dann, wenn diese zur Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten nicht im Gegensatz stehen (Ziffer 10).

Die Antragstellerin trägt vor, „ein Redaktionsbüro für die Belieferung von deutschsprachigen Medien mit tagesaktuellen Inhalten“ zu betreiben. Ihr Geschäftsführer ist ausweislich des in Kopie vorgelegten Presseausweises ein in der Schweiz akkreditierter Journalist. Auf ihrer Internetseite „Internetadresse wurde entfernt“ bewirbt die Antragstellerin sich als „content creation company“ folgendermaßen:

„[…]“

Ausweislich der Eintragung im Handelsregister des Kantons B. B1. ,

abrufbar unter: „Internetadresse wurde entfernt“

ist der Gesellschaftszweck der Antragstellerin wie folgt bestimmt:

„[…]“

von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützter Funktionsbezug zur Ermöglichung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung durch ein journalistisch-redaktionell aufbereitetes Angebot ist angesichts der gewerblichen Förderung der Eigeninteressen Dritter zu verneinen. Das Fehlen eines solchen Funktionsbezugs zeigt sich auch daran, dass die Antragstellerin als juristische Person kein eigenes Medium im presserechtlichen Sinne, sondern „corporate publishing“ für ihre Kunden in anderen „Medienkanälen“ betreibt. Das materielle Grundrecht der Pressefreiheit schützt Marketing und Lobbyismus auch dann nicht, wenn diese in journalistischen Erscheinungsformen betrieben werden.

Darüber hinaus steht einem presserechtlichen Anspruch wie auch einem auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gestützten Informationsfreiheitsanspruch der Antragstellerin entgegen, dass sie als ausländische juristische Person nicht grundrechtsberechtigt ist. Träger von Grundrechten sind in erster Linie natürliche Personen. Darüber hinaus gelten die Grundrechte gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Ausländische juristische Personen können sich dagegen nicht auf materielle Grundrechte berufen. Wortlaut und Sinn von Art. 19 Abs. 3 GG verbieten eine ausdehnende Auslegung auf ausländische juristische Personen im Hinblick auf materielle Grundrechte; die Staatsangehörigkeit der hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen ist dabei unerheblich. Eine Ausnahme bilden nur ausländische juristische Personen, die ihren Sitz in der Europäischen Union haben. Auf diese juristischen Personen ist die Grundrechtsberechtigung zu erstrecken, wenn ein hinreichender Inlandsbezug besteht, der die Geltung der Grundrechte in gleicher Weise wie für inländische juristische Personen geboten erscheinen lässt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.06.2018 – 2 BvR 1287/17 –, juris, Rn. 26 ff. m. w. N.; BFH, Beschluss vom 24.01.2001 – I R 81/99 –, juris, Rn. 8 f.

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Sinne der Art. 772 - 827 des schweizerischen Obligationenrechts mit Sitz in C. (Kanton B. B1. ) sowie weiteren Niederlassungen in C1. (Kanton A. ) und in A1. Die Schweizerische Eidgenossenschaft ist nicht Mitglied der Europäischen Union. Eine Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf schweizerische juristische Personen ergibt sich auch nicht aufgrund eines bilateralen Vertrages zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland oder der Europäischen Union.

Vgl. dazu: BFH, Urteil vom 08.08.2013 – V R 3/11 –, juris, Rn. 38.

Unabhängig von der Frage eines Anordnungsanspruchs ist auch kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die wie hier auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist, besteht nur dann, wenn dem Antragsteller ohne deren Erlass schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die nachträglich durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.01.2018 – 13 C 59/17 –, juris, Rn. 2 m. w. N.

Derartige Nachteile hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Es ist ihr auch ohne die begehrte Anordnung möglich, als Abonnentin („Follower“) des Twitter-Accounts des Bundesministeriums für Gesundheit (im Folgenden: Bundesministerium) von denjenigen Nachrichten („Tweets“) des Twitter-Accounts „Account-Adresse01“, die das Bundesministerium auf seinem Account @BMG_Bund mit Followern teilt („Retweets“), in zumutbarer Weise Kenntnis zu nehmen. Wenn die Antragsgegnerin auf ihrem eigenen Account Nachrichten des Twitter-Profils „Account-Adresse01“ mit Abonnenten teilt, wird die Antragstellerin davon unmittelbar in Kenntnis gesetzt. Zwar kann die Antragstellerin den Inhalt dieser Retweets nicht unmittelbar auf dem Account der Antragsgegnerin lesen, weil sie – die Antragstellerin – vom Nutzer des Accounts „Account-Adresse01“ blockiert worden ist. Allerdings ist es ihr ohne weiteres möglich, im Falle eines solchen Retweets den Inhalt der Twitter-Nachricht auf der Internetseite „Internetadresse wurde entfernt“ nachzulesen, auf der der Twitter-Feed des Accounts „Account-Adresse01“ eingebettet ist. Es ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, warum ihr trotz dieser Möglichkeit schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die nicht mehr nachträglich durch eine Entscheidung in der Hauptsache beseitigt werden könnten.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Zur Zulässigkeit der Presseberichterstattung über sektenähnliche Gemeinschaft auf Grundlage von Äußerungen ehemaliger Mitglieder

BVerfG
Beschluss vom 09.11.2022
1 BvR 523/21


Das Bundesverfassungsgericht hat sich in dieser Entscheidung zur Zulässigkeit der Presseberichterstattung über eine sektenähnliche Gemeinschaft auf Grundlage von Äußerungen ehemaliger Mitglieder befasst.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde einer Zeitungsherausgeberin gegen die gerichtliche Untersagung einer Meinungsäußerung

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Beschwerdeführerin – Herausgeberin einer Tageszeitung – in ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt ist, indem ihr die Äußerung „Den Staat lehne [der Antragsteller] (…) ab“ mit der Begründung gerichtlich untersagt wurde, dass für diese Meinung kein Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen festzustellen sei. Die Berichterstattung betrifft einen Beitrag über eine aus Sicht ehemaliger Mitglieder sektenähnliche Gemeinschaft, der der Antragsteller des Ausgangsverfahrens vorstehe.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin ist Herausgeberin einer Tageszeitung, in deren Onlineausgabe sie am 4. September 2020 einen Beitrag mit dem Titel „Aussteiger packen aus: So geht es in der Guru-Gemeinschaft zu“ veröffentlichte. Der Bericht beleuchtet kritisch inhaltliche Ausrichtung, Strukturen und Hierarchien innerhalb einer aus Sicht ehemaliger Mitglieder sektenähnlichen Gemeinschaft, der der Antragsteller des Ausgangsverfahrens vorstehe. In dem Beitrag heißt es unter Bezugnahme auf die Aussage einer ehemaligen „Schülerin“: „Den Staat lehne [der Antragsteller] (…) - der sich seine Seminargebühren auch in bar bezahlen lässt - ab (…)“. Anders als die Ausgangsinstanz untersagte das Oberlandesgericht die Verbreitung der angegriffenen Äußerung. Trotz des grundsätzlichen Vorrangs freier Meinungsäußerung sei die Äußerung einer abschätzigen Meinung unzulässig, wenn gemessen an der Eingriffsintensität kein Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen festzustellen sei. Vorliegend fehle es an Anknüpfungstatsachen, die ansatzweise die Meinung belegten, dass der Antragsteller tatsächlich in einem weiten Sinne den Staat ablehne.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts und rügt eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

1. Hinsichtlich des Inhalts der Berichterstattung ergeben sich Umfang und Grenzen des grundrechtlichen Schutzes aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, wobei die Aufgabe der Presse, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren, eine Verstärkung des durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Schutzes begründen kann. In Fällen der vorliegenden Art ist eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungs- und Pressefreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits vorzunehmen. Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Im Rahmen der Abwägung ist dann die Richtigkeit ihrer tatsächlichen Bestandteile von maßgeblicher Bedeutung.

2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht.

a) Das Oberlandesgericht lässt bereits nicht sicher erkennen, ob es bedacht hat, dass es mit seiner Forderung nach einem „Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen“ Sorgfaltspflichten formuliert hat, die die Beschwerdeführerin in unterschiedlichem Maße treffen können, je nachdem, ob sie sich die Äußerung ihrer Informantin zu eigen gemacht hat oder lediglich deren Einschätzung dokumentiert.

b) Soweit das Oberlandesgericht die angegriffene Äußerung als Meinungsäußerung einstuft, ist dies im Ergebnis nicht zu beanstanden, bietet für die nachfolgende Abwägung jedoch einen unvollständigen Ausgangspunkt, soweit es dies damit begründet, dass der Bericht der Beschwerdeführerin keine Tatsachen angebe, aus denen ihre Informantin ihre Meinung herleite, der Antragsteller lehne den Staat ab. Wer behauptet, ein anderer vertrete einen bestimmten Standpunkt, äußert eine Einschätzung, in der tatsächliche und wertende Elemente miteinander vermengt sind, und die deshalb insgesamt als Meinung geschützt wird. Meinungsäußerungen müssen jedoch grundsätzlich nicht begründet werden, sondern genießen unabhängig davon Grundrechtsschutz, ob sie rational oder emotional, begründet oder grundlos sind. Dem wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht, soweit das Oberlandesgericht in seiner Abwägung davon ausgeht, die angegriffene Äußerung enthalte eine „abschätzige Meinung“, für die es gemessen an ihrer erhöhten „Eingriffsintensität“ an einem „Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen“ fehle, die ansatzweise belegten, dass der Antragsteller tatsächlich in einem weiten Sinne den Staat ablehne.

aa) Allerdings ist der vom Oberlandesgericht zugrunde gelegte Maßstab im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat hierzu festgestellt, dass es auch für Schlussfolgerungen über Beweggründe oder Absichten Dritter als einem Werturteil gleichkommende Erklärungen eine ausreichende Tatsachengrundlage geben müsse. Innerhalb der Abwägung ergibt es einen Unterschied, ob es sich bei der Einschätzung von Beweggründen, Absichten oder Standpunkten eines anderen um eine auf Tatsachen fußende Schlussfolgerung handelt oder um eine willkürlich aus der Luft gegriffene Wertung.

bb) Den hiernach zu stellenden Anforderungen an eine ausreichende Tatsachengrundlage wird die angegriffene Entscheidung für den Streitfall aber nicht hinlänglich gerecht. Das Oberlandesgericht zieht die der Berichterstattung zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen in ihrer Wahrheit nicht in Zweifel, misst ihnen jedoch im Rahmen der Abwägung keine Bedeutung zu. Zudem wird der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit verkürzt, soweit es der angegriffenen Äußerung eine "erhöhte Eingriffsintensität" beimisst, ohne zu begründen, inwieweit die Einschätzung, der Antragsteller lehne „den Staat“ ab, überhaupt abschätzig oder geeignet sein soll, ihn in der öffentlichen Wahrnehmung herabzusetzen.

c) Verfassungsrechtlich keinen Bestand haben kann die angegriffene Entscheidung aber auch insoweit, als das Oberlandesgericht meint, selbst die Wahrnehmung eines öffentlichen Interesses könne die Verbreitung der angegriffenen Äußerung nur dann rechtfertigen, wenn die Beschwerdeführerin davon habe ausgehen dürfen, über hinreichende Anknüpfungstatsachen für die Haltung des Antragstellers zu verfügen, „den Staat“ abzulehnen. Damit entzieht die Entscheidung in verfassungsrechtlich nicht tragbarer Weise den Informationswert der angegriffenen Berichterstattung von vornherein jeder Abwägung und verkürzt überdies Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit im öffentlichen Meinungskampf, die bei öffentlich zur Diskussion gestellten, gesellschaftliches Interesse erregenden Beiträgen selbst mit scharfen Äußerungen gebraucht werden darf.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Frankfurt: Twitter muss wie Facebook bei ehrverletzenden Inhalten auch kerngleiche Tweets und Memes ohne erneute Inkenntnissetzung automatisch löschen

LG Frankfurt
Urteil vom 14.12.2022
2-03 O 325/22

Das LG Frankfurt hat wie erwartet entschieden, dass Twitter wie Facebook bei ehrverletzenden Inhalten auch kerngleiche Tweets und Memes ohne erneute Inkenntnissetzung automatisch löschen muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Persönlichkeitsrecht - Ehrverletzung durch herabwürdigenden Tweet

Twitter muss bei einem konkreten Hinweis auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auch kerngleiche Äußerungen entfernen.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat heute entschieden: Betroffene können von Twitter verlangen, dass falsche oder ehrverletzende Tweets über sie gelöscht werden. Auch sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern muss Twitter entfernen, sobald es von der konkreten Persönlichkeitsrechtsverletzung Kenntnis erlangt.

Im September 2022 erschienen auf Twitter diverse Kommentare, in denen wahrheitswidrig behauptet wurde, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg habe „eine Nähe zur Pädophilie“ und er habe „einen Seitensprung gemacht“. Außerdem wurde über ihn verbreitet, er sei in „antisemitische Skandale“ verstrickt und er sei „Teil eines antisemitischen Packs“.

Die zuständige Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main stellte in einem Eilverfahren fest, dass diese ehrenrührigen Behauptungen unwahr sind. Die Bezeichnung als Antisemit sei zwar zunächst eine Meinungsäußerung. Sie sei aber jedenfalls in dem gewählten Kontext rechtswidrig, denn sie trage nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei und ziele erkennbar darauf ab, in emotionalisierender Form Stimmung gegen den Antisemitismusbeauftragten zu machen.

Nachdem der Antisemitismusbeauftragte die Entfernung dieser Kommentare verlangt hat, hätte Twitter ihre Verbreitung unverzüglich unterlassen und einstellen müssen. Darüber hinaus entschied die Kammer: „Das Unterlassungsgebot greift nicht nur dann, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt wird, sondern auch, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß erneut veröffentlicht werden.“ Unter weiter: „Die Äußerungen werden nicht in jeglichem Kontext untersagt. Betroffen sind nur solche Kommentare, die als gleichwertig anzusehen sind und die trotz gewisser Abweichungen einen identischen Äußerungskern aufweisen.“

Twitter werde damit auch keine allgemeine Monitoring-Pflicht im Hinblick auf seine rund 237 Mio. Nutzer auferlegt. Eine Prüfpflicht bestehe nämlich nur hinsichtlich der konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzung. „Das deutsche Recht mutet jedem Verpflichteten eines Unterlassungsgebots zu, selbst festzustellen, ob in einer Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist. Twitter befindet sich damit in keiner anderen Situation, als wenn eine bestimmte Rechtsverletzung gemeldet wird. Auch in diesem Fall muss Twitter prüfen, ob diese Rechtsverletzung eine Löschung bedingt oder nicht“, so die Vorsitzende in der Urteilsbegründung.

Als zulässig erachtete die Kammer indes die Äußerung eines Nutzers, wonach der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg in die jährlich vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Liste der größten Antisemiten weltweit aufgenommen worden ist. Unabhängig davon, ob die Aufnahme in diese Liste gerechtfertigt sei, dürfe darüber informiert werden. Dagegen müsse sich der Antisemitismusbeauftragte im öffentlichen Meinungskampf zur Wehr setzen.

Das Urteil (Az. 2-03 O 325/22) ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main angefochten werden. Die Entscheidung wird in Kürze unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abrufbar sein.

Ergänzender Hinweis:
Dieselbe Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main hatte mit Urteil vom 8.4.2022 (Az.: 2-03 O 188/21) entschieden, dass in einer Wort-Bild-Kombination (sog. „Meme“) unterge-schobene Falschzitate auf Facebook auch ohne erneuten Hinweis gelöscht werden müssen, wenn sie einen kerngleichen Inhalt aufweisen. Geklagt hatte dort MdB Renate Künast.



EuGH: Suchmaschinenbetreiber Google muss offensichtlich unrichtige Inhalte nach Art. 17 DSGVO aus Suchindex entfernen - keine gerichtliche Entscheidung gegen Websitebetreiber erforderlich

EuGH
Urteil vom 08.12.2022
C-460/20
TU, RE gegen Google LLC


Der EuGH hat entschieden, dass der Suchmaschinenbetreiber Google offensichtlich unrichtige Inhalte nach Art. 17 DSGVO (Recht auf Vergessenwerden) aus dem Suchindex entfernen muss. Dabei muss der Betroffene zum Nachweis der Unrichtigkeit keine gerichtliche Entscheidung gegen den eigentlichen Websitebetreiber, auf dessen Website der gerügte Inhalt veröffentlicht wird, erwirken.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)

ist dahin auszulegen, dass

im Rahmen der Abwägung, die zwischen den Rechten aus den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und den Rechten aus Art. 11 der Charta der Grundrechte vorzunehmen ist, um einen an den Betreiber einer Suchmaschine gerichteten Auslistungsantrag zu prüfen, der darauf abzielt, dass in der Übersicht der Ergebnisse einer Suche der Link zu einem Inhalt, der Behauptungen enthält, die von der die Auslistung begehrenden Person für unrichtig gehalten werden, gelöscht wird, diese Auslistung nicht davon abhängt, dass die Frage der Richtigkeit des aufgelisteten Inhalts im Rahmen eines von dieser Person gegen den Inhalteanbieter eingelegten Rechtsbehelfs einer zumindest vorläufigen Klärung zugeführt worden ist.

2. Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr und Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung 2016/679

sind dahin auszulegen, dass

im Rahmen der Abwägung, die zwischen den Rechten aus den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte und den Rechten aus Art. 11 der Charta der Grundrechte vorzunehmen ist, um einen an den Betreiber einer Suchmaschine gerichteten Auslistungsantrag zu prüfen, der darauf abzielt, dass in den Ergebnissen einer anhand des Namens einer natürlichen Person durchgeführten Bildersuche Fotos, die in Gestalt von Vorschaubildern angezeigt werden und diese Person darstellen, gelöscht werden, dem Informationswert dieser Fotos – unabhängig vom Kontext ihrer Veröffentlichung auf der Internetseite, der sie entnommen sind, aber unter Berücksichtigung jedes Textelements, das mit der Anzeige dieser Fotos in den Suchergebnissen unmittelbar einhergeht und Aufschluss über den Informationswert dieser Fotos geben kann – Rechnung zu tragen ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Google (Auslistung eines angeblich unrichtigen Inhalts) - Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“): Der Betreiber einer Suchmaschine muss die in dem aufgelisteten Inhalt enthaltenen Informationen auslisten, wenn der Antragsteller nachweist, dass sie offensichtlich unrichtig sind

Allerdings ist es nicht erforderlich, dass sich dieser Nachweis aus einer gerichtlichen Entscheidung ergibt, die gegen den Herausgeber der Website erwirkt wurde.

Zwei Geschäftsführer einer Gruppe von Investmentgesellschaften forderten Google auf, aus den Ergebnissen einer anhand ihrer Namen durchgeführten Suche die Links zu bestimmten Artikeln auszulisten, die das Anlagemodell dieser Gruppe kritisch darstellten. Sie machen geltend, dass diese Artikel unrichtige Behauptungen enthielten. Ferner forderten sie Google auf, dass Fotos von ihnen, die in Gestalt von Vorschaubildern („thumbnails“) angezeigt werden, in der Übersicht der Ergebnisse einer anhand ihrer Namen durchgeführten Bildersuche gelöscht werden. In dieser Übersicht wurden nur die Vorschaubilder als solche angezeigt, ohne die Elemente des Kontexts der Veröffentlichung der Fotos auf der verlinkten Internetseite wiederzugeben.

Anders ausgedrückt, wurde bei der Anzeige des Vorschaubildes der ursprüngliche Kontext der Veröffentlichung der Bilder nicht benannt und war auch im Übrigen nicht erkennbar.

Google lehnte es ab, diesen Aufforderungen Folge zu leisten, und zwar unter Hinweis auf den beruflichen Kontext dieser Artikel und Fotos sowie unter Berufung darauf, nicht gewusst zu haben, ob die in diesen Artikeln enthaltenen Informationen unrichtig seien.

Der mit diesem Rechtsstreit befasste deutsche Bundesgerichtshof hat den Gerichtshof darum ersucht, die Datenschutz- Grundverordnung, die u. a. das Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“) regelt, und die Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr unter Berücksichtigung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auszulegen.

In seinem heutigen Urteil erinnert der Gerichtshof daran, dass das Recht auf Schutz personenbezogener Daten kein uneingeschränktes Recht ist, sondern im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden muss. So sieht die Datenschutz-Grundverordnung ausdrücklich vor, dass das Recht auf Löschung ausgeschlossen ist, wenn die Verarbeitung u. a. für die Ausübung des Rechts auf freie Information erforderlich ist.

Die Rechte der betroffenen Person auf Schutz der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten überwiegen im Allgemeinen gegenüber dem berechtigten Interesse der Internetnutzer, die potenziell Interesse an einem Zugang zu der fraglichen Information haben. Der Ausgleich kann aber von den relevanten Umständen des Einzelfalls abhängen, insbesondere von der Art dieser Information, von deren Sensibilität für das Privatleben der betroffenen Person und vom Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information, das u. a. je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt, variieren kann.

Allerdings kann das Recht auf freie Meinungsäußerung und Information dann nicht berücksichtigt werden, wenn zumindest ein für den gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil der in dem aufgelisteten Inhalt stehenden Informationen unrichtig ist.

Was zum einen die Verpflichtungen der Person, die wegen eines unrichtigen Inhalts die Auslistung begehrt, anbelangt, betont der Gerichtshof, dass dieser Person der Nachweis obliegt, dass die Informationen offensichtlich unrichtig sind oder zumindest ein für diese Informationen nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig ist. Damit dieser Person jedoch keine übermäßige Belastung auferlegt wird, die die praktische Wirksamkeit des Rechts auf Auslistung beeinträchtigen könnte, hat sie lediglich die Beweise beizubringen, die von ihr vernünftigerweise verlangt werden können. Insoweit kann diese Person grundsätzlich nicht dazu verpflichtet werden, bereits im vorgerichtlichen Stadium eine – auch in Form einer im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes ergangene – gerichtliche Entscheidung vorzulegen, die gegen den Herausgeber der betreffenden Website erwirkt wurde.

Was zum anderen die Verpflichtungen und den Verantwortungsbereich des Betreibers der Suchmaschine anbelangt, führt der Gerichtshof aus, dass sich dieser Betreiber infolge eines Auslistungsbegehrens auf alle betroffenen Rechte und Interessen sowie auf alle Umstände des Einzelfalls zu stützen hat, um zu prüfen, ob ein Inhalt in der Ergebnisübersicht der über seine Suchmaschine durchgeführten Suche verbleiben kann. Gleichwohl ist dieser Betreiber nicht verpflichtet, bei der Suche nach Tatsachen, die von dem Auslistungsantrag nicht gestützt werden, aktiv mitzuwirken, um festzustellen, ob dieser Antrag stichhaltig ist.

Folglich ist der Betreiber der Suchmaschine dann, wenn die eine Auslistung begehrende Person relevante und hinreichende Nachweise vorlegt, die ihr Begehren stützen können und belegen, dass die in dem aufgelisteten Inhalt stehenden Informationen offensichtlich unrichtig sind, verpflichtet, diesem Auslistungsantrag nachzukommen. Dies gilt umso mehr, wenn diese Person eine gerichtliche Entscheidung vorlegt, die das feststellt.

Dagegen ist bei Nichtvorliegen einer solchen gerichtlichen Entscheidung dieser Betreiber, wenn sich aus den von der betroffenen Person vorgelegten Nachweisen nicht offensichtlich ergibt, dass die in dem aufgelisteten Inhalt stehenden Informationen unrichtig sind, nicht verpflichtet, einem solchen Auslistungsantrag stattzugeben.

Allerdings muss sich die Person, die in einem solchen Fall die Auslistung begehrt, an die Kontrollstelle oder das Gericht wenden können, damit diese die erforderlichen Überprüfungen vornehmen und den Verantwortlichen anweisen, die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. Ferner verlangt der Gerichtshof von dem Betreiber der Suchmaschine, dass er die Internetnutzer über ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren informiert, in dem die Frage geklärt werden soll, ob in einem Inhalt enthaltene Informationen unrichtig sind, sofern dem Betreiber dieses Verfahren zur Kenntnis gebracht worden ist.

In Bezug auf die Anzeige der Fotos in Gestalt von Vorschaubildern („thumbnails“) betont der Gerichtshof, dass die nach einer namensbezogenen Suche erfolgende Anzeige von Fotos der betroffenen Person in Gestalt von Vorschaubildern einen besonders starken Eingriff in die Rechte dieser Person auf Schutz des Privatlebens und der personenbezogenen Daten dieser Person darstellen kann.

Der Gerichtshof stellt fest, dass der Betreiber einer Suchmaschine, wenn er in Bezug auf in Gestalt von Vorschaubildern angezeigte Fotos mit einem Auslistungsantrag befasst wird, prüfen muss, ob die Anzeige der fraglichen Fotos erforderlich ist, um das Recht auf freie Information auszuüben, das den Internetnutzern zusteht, die potenziell Interesse an einem Zugang zu diesen Fotos haben. Insoweit stellt der Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse einen entscheidenden Gesichtspunkt dar, der bei der Abwägung der widerstreitenden Grundrechte zu berücksichtigen ist.

Der Gerichtshof stellt klar, dass eine unterschiedliche Abwägung der widerstreitenden Rechte und Interesse vorzunehmen ist: Einerseits dann, wenn es sich um Artikel handelt, die mit Fotos versehen sind, die in ihrem ursprünglichen Kontext die in diesen Artikeln enthaltenen Informationen und die dort zum Ausdruck gebrachten Meinungen veranschaulichen, und andererseits dann, wenn es sich um Fotos handelt, die in Gestalt von Vorschaubildern in der Ergebnisübersicht außerhalb des Kontexts angezeigt werden, in dem sie auf der ursprünglichen Internetseite veröffentlicht worden sind. Im Rahmen der Abwägung hinsichtlich der in Gestalt von Vorschaubildern angezeigten Fotos kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass ihrem Informationswert unabhängig vom Kontext ihrer Veröffentlichung auf der Internetseite, der sie entnommen sind, Rechnung zu tragen ist. Allerdings ist jedes Textelement zu berücksichtigen, das mit der Anzeige dieser Fotos in den Suchergebnissen unmittelbar einhergeht und Aufschluss über den Informationswert dieser Fotos geben kann.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BVerwG: Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten (hier: MDR) dürfen Nutzer-Kommentare ohne Sendungsbezug auf ihrer Facebook-Seite löschen

BVerwG
Urteil vom 30.11.2022
6 C 12.20

Das BVerwG hat entschieden, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (hier: MDR) Nutzer-Kommentare ohne Sendungsbezug auf ihrer Facebook-Seite löschen dürfen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
MDR darf Kommentare ohne Sendungsbezug auf seiner Facebook-Seite löschen

Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sind berechtigt, nicht-sendungsbezogene Kommentare der Nutzer in Foren auf ihren Unternehmensseiten in den sozialen Medien zu löschen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) veröffentlicht auf seiner Facebook-Seite Beiträge zu ausgewählten Sendungen, die Nutzer kommentieren können. Für die Erstellung von Kommentaren verweist der MDR auf Vorgaben in Form einer sog. Netiquette, die u.a. einen Bezug zu dem Thema der jeweiligen Sendung verlangt. Der MDR hat 14 vom Kläger auf der Facebook-Seite des MDR gepostete Kommentare gelöscht.

Das Verwaltungsgericht hat der auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Löschung gerichteten Klage hinsichtlich eines Kommentars stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die gegen die Klageabweisung gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision des Klägers hatte beim Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich eines weiteren Kommentars Erfolg.

Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der Löschung noch geltenden Rundfunkstaatsvertrags bestimmte sich die Zulässigkeit des Telemedienangebots des MDR nach § 11d RStV. Danach unterlagen sendungsbezogene und eigenständige Telemedienangebote unterschiedlich strengen Anforderungen. Foren und Chats ohne Sendungsbezug waren unzulässig. Mit diesen zum Teil in den nunmehr geltenden Medienstaatsvertrag übernommenen Regelungen haben die Landesgesetzgeber den sog. Beihilfekompromiss zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Kommission umgesetzt. Die Kommission hatte im April 2007 ein auf Betreiben privater Medienanbieter eingeleitetes Beihilfeverfahren eingestellt, nachdem sich die Bundesrepublik Deutschland zum Schutz privater Medien sowie der Presse verpflichtet hatte, den gesetzlichen Auftrag des beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Internetauftritte näher zu präzisieren.

Zwar liegt in der Löschung der Kommentare des Klägers ein Eingriff in dessen durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsäußerungsfreiheit. Dieser Eingriff ist jedoch gerechtfertigt. Denn zu den allgemeinen Gesetzen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG zählen u.a. die das Telemedienangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betreffenden Regelungen des § 11d RStV. Die Beschränkung des Angebots dieser Rundfunkanstalten auf sendungsbezogene Telemedien sowie das Verbot von Foren und Chats ohne Sendungsbezug und redaktionelle Begleitung erstreckt sich auch auf die Kommentare der Nutzer. Die das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip wahrenden Vorschriften verleihen dem MDR zudem die Berechtigung zur Löschung von Posts ohne Sendungsbezug. Hierbei bedarf es weder einer vorherigen Anhörung noch einer nachträglichen Benachrichtigung.

Die noch im Streit stehenden Kommentare des Klägers hatten überwiegend keinen Bezug zu den Themen der jeweiligen Sendungen des MDR. Insbesondere der vom Kläger in dem Forum wiederholt geäußerten Kritik an der Löschungspraxis des MDR fehlte der notwendige Sendungsbezug. Zu eng haben die Vorinstanzen dieses Erfordernis jedoch hinsichtlich eines Kommentars gehandhabt, in dem der Kläger auf einen Beitrag mit dem Titel "Bundesweite Razzia gegen Neonazis" auch den islamistischen Terrorismus in den Blick genommen hatte.

BVerwG 6 C 12.20 - Urteil vom 30. November 2022

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, OVG 5 A 35/20 - Urteil vom 16. September 2020 -

VG Leipzig, VG 1 K 1642/18 - Urteil vom 11. September 2019 -


LG München: Bezeichnung eines Wissenschaftlers in einem Flyer als "Gollum" kann eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen

LG München
Beschluss vom 14.11.2022
25 O 12738/22

Das LG München hat entschieden, dass die Bezeichnung eines Wissenschaftlers in einem Flyer als "Gollum" eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen kann und einen entsprechenden Unterlassungsanspruch begründet.


OLG München: Löschungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO umfasst auch einen Anspruch auf Unterlassung der zukünftigen Verarbeitung der gelöschten Daten

OLG München
Urteil vom 22.03.2022
18 U 1697/21 Pre


Das OLG München hat entschieden, dass der Löschungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO auch einen Anspruch auf Unterlassung der zukünftigen Verarbeitung der gelöschten Daten umfasst.

Aus den Entscheidungsgründen:
Entgegen der Ansicht des Landgerichts steht der Klägerin kein Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO darauf zu, dass die Beklagte es unterlässt, die private Anschrift der Klägerin oder deren Telefonnummer zu veröffentlichen, wenn dies geschieht wie im Februar 2020 unter der URL https://www. …

1. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass Art. 17 DS-GVO dem Betroffenen im Einzelfall auch einen Unterlassungsanspruch gewähren kann. Der gegenteiligen Rechtsansicht der Beklagten kann nicht gefolgt werden. Der Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten gemäß Art. 17 Abs. 1 DS-GVO schließt den Anspruch darauf ein, dass die gelöschten Daten nicht erneut verarbeitet werden. Hat der Verantwortliche - wie die Beklagte im vorliegenden Fall - die personenbezogenen Daten bereits gelöscht, kann bei Vorliegen der erforderlichen Wiederholungsgefahr der auf Unterlassung künftiger Verarbeitung gerichtete Anspruch selbständig geltend gemacht werden.

a) Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 27.07.2020 (Az: VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285) bereits entschieden, dass ein auf dauerhafte Auslistung beanstandeter Suchergebnisse gerichtetes Rechtsschutzbegehren grundsätzlich von Art. 17 Abs. 1 DS-GVO erfasst wird. Dem steht nicht entgegen, dass die technische Umsetzung eines solchen Begehrens sich unter Umständen nicht im einmaligen Löschen von Daten erschöpft, sondern weitere Maßnahmen erfordert, um die erneute Indexierung der beanstandeten Information unter dem fraglichen Suchbegriff zu verhindern.

Der Begriff der Löschung im Sinne des Art. 17 Abs. 1 DS-GVO ist autonom auszulegen. Das in der Vorschrift niedergelegte „Recht auf Löschung“ ist schon aufgrund der für den Betroffenen letztlich unwägbaren und zudem stetem Entwicklungsfortschritt unterworfenen technischen Voraussetzungen der beanstandeten Datenverarbeitung nicht auf das schlichte Löschen von Daten zu verengen, sondern - entsprechend der zielorientierten weiteren Artikelüberschrift - als „Recht auf Vergessenwerden“ normativ zu verstehen, so dass ihm auch das Auslistungsrecht der von einer Suchmaschine betroffenen Person unterfällt (vgl. BGH a.a.O., Rn. 17, zit. nach juris). In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war das Rechtsschutzziel des damaligen Klägers im Übrigen ausdrücklich als Unterlassungsbegehren formuliert worden (vgl. a.a.O., Rn. 1).

b) Die Beklagte führt selbst aus, dass das Recht auf Löschung personenbezogener Daten gemäß Art. 17 Abs. 1 DS-GVO in die Zukunft wirkt und einen Anspruch darauf gewährt, dass die gelöschten Daten nicht mehr verarbeitet werden dürfen (Berufungsbegründung, S. 3 f. = Bl. 83 f. d.A.). Da gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO der Verantwortliche nach einem Widerspruch des Betroffenen nicht mehr verarbeiten dürfe und gemäß Art. 6 Abs. 1 DS-GVO eine Verarbeitung personenbezogener Daten nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei, bedeute dies im Umkehrschluss, dass eine Verarbeitung auch zukünftig nicht mehr erfolgen dürfe (a.a.O., S. 3 f. = Bl. 83 f. d.A.). Es erschließt sich nicht, warum es dem Betroffenen verwehrt sein sollte, dieses Verbot durch Erhebung einer Unterlassungsklage titulieren zu lassen, wenn der Verantwortliche dem Löschungsbegehren bereits entsprochen hat, aber eine Wiederholungsgefahr zu bejahen ist.

2. Im vorliegenden Fall fehlt es aber sowohl an der Störereigenschaft der Beklagten als auch an der für einen Unterlassungsanspruch konstitutiven Wiederholungsgefahr. Denn die von der Klägerin beanstandete Datenverarbeitung - die Wiedergabe ihrer Privatanschrift und Telefonnummer unter den „Local Listings“ - war jedenfalls bis zum Löschungsverlangen der Klägerin, dem die Beklagte unverzüglich nachkam, rechtmäßig gewesen.

Als Betreiberin einer Suchmaschine ist die Beklagte nicht von sich aus zu einer proaktiven Prüfung des Inhalts der von ihrer Suchmaschine generierten Nachweise verpflichtet (vgl. BGH, Urteil vom 27.07.2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285, Rn. 19 m.w.N.). Störerin kann die Beklagte erst werden, wenn sie durch Benennung der konkret beanstandeten Ergebnislinks und eine zusammenhängende Darstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts und der daran geknüpften rechtlichen Erwägungen in formeller Hinsicht hinreichend deutlich auf die aus Sicht des Betroffenen vorliegende Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung hingewiesen und zur Löschung aufgefordert wird (vgl. BGH a.a.O.). Kommt sie der Aufforderung unverzüglich nach, fehlt es an einer rechtswidrigen Beeinträchtigung, welche die Störereigenschaft - und die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr (vgl. Grüneberg-Herrler, BGB, 81. Aufl., § 1004 Rn. 32 m.w.N.) - begründen könnte.

a) Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. f DS-GVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten unter anderem dann rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen.

Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten gilt nicht uneingeschränkt, sondern muss - wie im vierten Erwägungsgrund der Datenschutz-Grundverordnung ausgeführt - im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden (BGH, Urteil vom 27.07.2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285, Rn. 23, zit. nach juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 24.09.2019 - C-136/17, NJW 2019, 3503, Rn. 57). Diese Grundrechtsabwägung ist auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Grundrechte der betroffenen Person einerseits, der Grundrechte des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen, der Interessen seiner Nutzer und der Öffentlichkeit sowie der Grundrechte der Anbieter der in den beanstandeten Ergebnislinks nachgewiesenen Inhalte andererseits umfassend vorzunehmen (BGH a.a.O., Rn. 23 m.w.N.).

Im Hinblick auf die in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht gebotene umfassende Prüfung muss die Abwägung jeweils zu demselben Ergebnis führen, unabhängig davon, ob der Abwägungsvorgang seinen Ausgangspunkt in der Frage nimmt, ob die Verarbeitung der Daten allgemein zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich war (Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO), ob die Verarbeitung speziell der Daten des Betroffenen aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich war (Art. 9 Abs. 2 lit. g DS-GVO) oder ob der Verantwortliche zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen kann, welche die Interessen, Rechte und Freihei18 U 1697/21 Pre - Seite 5 - ten des Betroffenen überwiegen (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO) (vgl. BGH a.a.O., Rn. 24 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 24.09.2019 - C-136/17, NJW 2019, 3503, Rn. 59, 66; Urteil vom 13.05.2014 - C-131/12, NJW 2014, 2257, Rn. 76).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind im Bereich der unionsrechtlich vollständig vereinheitlichten Regelungen nicht die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein die Unionsgrundrechte maßgeblich (BGH a.a.O., Rn. 25 unter Verweis auf BVerfG, NJW 2020, 314, Rn. 34 - Recht auf Vergessen II). Der Senat hat bereits im Berufungstermin darauf hingewiesen, dass der Hinweisbeschluss vom 10.02.2022 (Bl. 94/99 d.A.), in dem er die Grundrechte der Parteien nach dem Grundgesetz fallbezogen gegeneinander abgewogen hatte, in diesem Punkt zu korrigieren ist.

b) Im vorliegenden Fall sind auf Seiten der Klägerin deren Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) und auf Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 GRCh in die Abwägung einzustellen. Das Interesse der Beklagten, im Rahmen des von ihr betriebenen Geolokalisierungsdienstes ihren Nutzern unter den „Local Listings“ Kontaktinformationen zu dem jeweiligen Ort zur Verfügung zu stellen, wird durch ihr Grundrecht auf unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 GRCh geschützt.

Für das Ergebnis der vorzunehmenden Abwägung kommt im vorliegenden Fall dem Umstand maßgebliche Bedeutung zu, dass die Beklagte die von ihr verarbeiteten personenbezogenen Daten nicht nur allgemein zugänglichen Quellen, sondern sogar der eigenen Internetpräsenz der Klägerin entnommen hat. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten hatte die Klägerin jedenfalls im Zeitraum von September 2013 bis August 2018 im Impressum ihres Internetauftritts eben jene Anschrift und Telefonnummer angegeben, deren Veröffentlichung sie der Beklagten nunmehr untersagen will (vgl. Anlage B 2). Die Beklagte durfte deshalb zunächst davon ausgehen, dass die Klägerin kein Interesse an der Geheimhaltung der von ihr selbst veröffentlichten Kontaktdaten hatte, sondern vielmehr mit deren Aufnahme in die „Local Listings“ einverstanden war.

c) Eine Pflicht zur unverzüglichen Löschung der streitgegenständlichen personenbezogenen Daten gemäß Art. 17 Abs. 1 DS-GVO traf die Beklagte deshalb allenfalls ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von der Klägerin zur Löschung aufgefordert worden war. Da aufgrund des Vorbringens der Parteien davon auszugehen ist, dass die Beklagte die streitgegenständlichen Einträge auf Verlangen der Klägerin unverzüglich gelöscht hat, kann im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits dahinstehen, ob der Klägerin ein Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO auf deren Löschung zustand.

aa) Einen Widerspruch im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. c DS-GVO gegen die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten durch die Beklagte hat die Klägerin erst mit Anwaltsschreiben vom 07.05.2020 (Anlage K 2) erhoben, mit dem sie die Beklagte unter anderem aufgefordert hat, die Veröffentlichung ihrer privaten Anschrift und ihrer privaten Telefonnummer zu unterlassen. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten ist ihr dieses Schreiben am 14.05.2020 per Telefax zugegangen (vgl. Klageerwiderung, S. 5 = Bl. 19 d.A.).

bb) Die E-Mail der Klägerin vom 13.02.2020 (Anlage K 1) hatte dagegen keine Prüfungspflichten der Beklagten ausgelöst, weil die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt hat, dass diese E-Mail der Beklagten zugegangen ist oder die Beklagte sich so behandeln lassen muss, als ob sie die E-Mail erhalten hätte.

Die Beklagte behauptet, dass die E-Mail vom 13.02.2020 ausweislich des von der Klägerin verwendeten Antragsformulars nicht an sie, sondern an die G. LLC gegangen sei. Dabei handele es sich um ein selbständiges Unternehmen, mit dem die Beklagte lediglich im Konzern der Alphabet Inc. verbunden sei (vgl. Klageerwiderung, S. 4 = Bl. 18 d.A.; Schriftsatz vom 21.12.2020, S. 2 = Bl. 32 d.A.).

Die Klägerin bestreitet dies nicht, hält den Einwand aber für unbeachtlich, weil sich das sogenannte „Local Listing“ auch für einen erfahrenen Benutzer der von der Beklagten betriebenen Suchmaschine als ein - wenn auch besonders hervorgehobenes - Suchergebnis darstelle. Für den Benutzer sei in keiner Weise erkennbar, dass es sich dabei um einen vermeintlich nicht von der Beklagten verbreiteten Inhalt handeln solle, auf den sich das von der Beklagten bereitgestellte Formular angeblich nicht beziehe. Selbst wenn es sich so verhielte, müsste die Beklagte aber Vorsorge dafür treffen, dass Datenschutz-Beschwerden, die unter Verwendung des Formulars eingereicht würden, intern entsprechend zugeordnet und bearbeitet würden (Schriftsatz vom 10.12.2020, S. 2 = Bl. 26 d.A.).

Mit diesen Ausführungen verkennt die Klägerin, dass die Beklagte nicht ihre Verantwortlichkeit für die Veröffentlichung der „Local Listings“ bestreitet, sondern den Erhalt der - an eine andere juristische Person gerichteten - E-Mail vom 13.02.2020. Eine Organisationspflicht der Beklagten, sicherzustellen, dass an andere juristische Personen des Konzerns gerichtete E-Mails ihr zeitnah zugeleitet werden, ist nicht ersichtlich. Nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag ist die Beklagte nicht die Muttergesellschaft des Konzerns (vgl. Schriftsatz vom 23.02.2021, S. 2 = Bl. 36 d.A.). Ihr obliegen deshalb auch keine Koordinationspflichten hinsichtlich der einzelnen zum Konzern gehörenden Unternehmen.

Die Klägerin hat auch nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die Beklagte durch eine irreführende Gestaltung ihrer Formulare oder sonstiger Mitteilungen in zurechenbarer Weise eine Ursache gesetzt hatte, dass die Klägerin sich mit ihrer E-Mail vom 13.02.2020 an die unzuständige G. LLC gewandt hat. Dagegen spricht nicht zuletzt der Umstand, dass das Anwaltsschreiben vom 07.05.2020 (Anlage K 2) zutreffend an die Beklagte („G. Ireland Ltd.“) gerichtet ist.

cc) Auf das Anwaltsschreiben vom 07.05.2020 hin hat die Beklagte unstreitig den streitgegenständlichen Eintrag unter den „Local Listings“ gelöscht. Dass die Beklagte auf die Aufforderung verspätet reagiert hätte, hat die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt.

Das in Art. 17 Abs. 1 Satz 1 DS-GVO verwendete Wort „unverzüglich“ bedeutet nach der für das deutsche Recht maßgeblichen Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Anhaltspunkte dafür, dass das Wort im Rahmen der Datenschutz-Grundverordnung einen anderen Sinngehalt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Der Beklagten ist grundsätzlich eine angemessene Prüfungsfrist zuzubilligen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann zu deren Konkretisierung regelmäßig die in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 NetzDG geregelte Frist zur Entfernung rechtswidriger Inhalte nach Eingang einer Beschwerde herangezogen werden. Danach muss ein rechtswidriger Inhalt - von dem hier nicht einschlägigen Sonderfall eines offensichtlich rechtswidrigen Inhalts abgesehen - innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde entfernt werden.

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden, dass sie auf die Löschungsaufforderung der Klägerin vom 07.05.2020 verspätet reagiert hätte. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten ist ihr die Aufforderung erst am 14.05.2020 zugegangen. Ihre Antwort, in der sie die Prüfung der Beanstandung der Klägerin ankündigt, datiert vom 19.05.2019 (Anlage K 3). In der Folgezeit wurde der streitgegenständliche Eintrag unstreitig gelöscht. Da die Klägerin den konkreten Zeitpunkt der Löschung nicht mitteilt, ist zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass die Löschung jedenfalls innerhalb einer Frist von sieben Tagen nach Eingang der Löschungsaufforderung bei der Beklagten erfolgt ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Anspruch auf Entfernung aus dem Google-Suchindex richtet sich nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO und erfordert Abwägung aller Umstände des Einzelfalls - Recht auf Vergessenwerden

BGH
Urteil vom 03.05.2022
VI ZR 832/20
DSGVO Art. 17


Der BGH hat entschieden, dass sich der Anspruch auf Entfernung aus dem Google-Suchindex nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO richtet und eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erfordert.

Leitsatz des BGH:
Zu den Voraussetzungen eines Auslistungsanspruchs gegen den Verantwortlichen eines Internet-Suchdienstes nach Art. 17 DS-GVO.

BGH, Urteil vom 3. Mai 2022 - VI ZR 832/20 - OLG Karlsruhe - LG Karlsruhe

Aus den Entscheidungsgründen:

"I. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann sich der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB, sondern ausschließlich aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO ergeben.

Die Datenschutz-Grundverordnung ist zeitlich, sachlich und räumlich anwendbar (vgl. dazu Senat, Urteil vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 12 ff.). Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt insoweit aus Art. 79 Abs. 2 DS-GVO (vgl. dazu Senat, Urteil vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 16). Das auf dauerhafte Auslistung gerichtete Rechtsschutzbegehren des Klägers ist grundsätzlich von Art. 17 Abs. 1 DS-GVO erfasst (vgl. dazu Senat, Urteil vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 17). Im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des vorliegend unionsweit abschließend vereinheitlichten Datenschutzrechts und die bei Prüfung eines Auslistungsbegehrens nach Art. 17 DS-GVO vorzunehmende umfassende Grundrechtsabwägung kann der Kläger seinen Anspruch hingegen nicht auf Vorschriften des nationalen deutschen Rechts stützen (vgl. dazu Senat, Urteil vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 64).

II. Der Kläger hat auf der Grundlage des im Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalts einen Anspruch gegen die Beklagte auf Auslistung des streitgegenständlichen Ergebnislinks aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO, da die von der Beklagten vorgenommene Datenverarbeitung nach den relevanten Umständen des Streitfalls nicht zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist (Art. 17 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Buchst. f, Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO)."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



EU-Parlament und EU-Rat einigen sich über Digital Services Act - Gesetz über digitale Dienste

EU-Parlament und EU-Rat haben sich über den Digital Services Act bzw. das Gesetz über digitale Dienste geeinigt.

Die Pressemitteilung der EU:

Digital Services Act: agreement for a transparent and safe online environment

- Access to platforms’ algorithms now possible
- Online platforms will have to remove illegal products, services or content swiftly after they have been reported
- Protection of minors online reinforced; additional bans on targeted advertising for minors as well as targeting based on sensitive data
- Users will be better informed how content is recommended to them

EU negotiators agree on landmark rules to effectively tackle the spread of illegal content online and protect people's fundamental rights in the digital sphere.

On Friday, Parliament and Council reached a provisional political agreement on the Digital Services Act (DSA). Together with the Digital Markets Act, the DSA will set the standards for a safer and more open digital space for users and a level playing field for companies for years to come.


More responsible online platforms


Under the new rules, intermediary services, namely online platforms - such as social media and marketplaces - will have to take measures to protect their users from illegal content, goods and services.

Algorithmic accountability: the European Commission as well as the member states will have access to the algorithms of very large online platforms;
Swift removal of illegal content online, including products, services: a clearer “notice and action” procedure where users will be empowered to report illegal content online and online platforms will have to act quickly;
Fundamental rights to be protected also online: stronger safeguards to ensure notices are processed in a non-arbitrary and non-discriminatory manner and with respect for fundamental rights, including the freedom of expression and data protection;
More responsible online marketplaces: they have to ensure that consumers can purchase safe products or services online, by strengthening checks to prove that the information provided by traders is reliable (“Know Your Business Customer” principle) and make efforts to prevent illegal content appearing on their platforms, including through random checks;
Victims of cyber violence will be better protected especially against non-consensual sharing (revenge porn) with immediate takedowns;
Penalties: online platforms and search engines can be fined up to 6% of their worldwide turnover. In the case of very large online platforms (with more that 45 million users), the EU Commission will have exclusive power to demand compliance;
Fewer burdens and more time to adapt for SMEs: longer period to apply the new rules will support innovation in the digital economy. The Commission will follow closely the potential economic effects of the new obligations on small businesses.
Safer online space for users

New transparency obligations for platforms will allow users to be better informed about how content is recommended to them (recommender systems) and to choose at least one option not based on profiling;
Online advertising: users will have better control over how their personal data are used. Targeted advertising is banned when it comes to sensitive data (e.g. based on sexual orientation, religion, ethnicity);
Protection of minors: platforms accessible to minors will have to take specific measures to protect them, including by fully banning targeted advertising;
Manipulating users’ choices through ‘dark patterns’ will be prohibited: online platforms and marketplaces should not nudge people into using their services, for example by giving more prominence to a particular choice or urging the recipient to change their choice via interfering pop-ups. Moreover, cancelling a subscription for a service should become as easy as subscribing to it;
Compensation: recipients of digital services will have a right to seek redress for any damages or loss suffered due to infringements by platforms.

Harmful content and disinformation


Very large online platforms will have to comply with stricter obligations under the DSA, proportionate to the significant societal risks they pose when disseminating illegal and harmful content, including disinformation.

Very large online platforms will have to assess and mitigate systemic risks and be subject to independent audits each year. In addition, those large platforms that use so-called “recommender systems” (algorithms that determine what users see) must provide at least one option that is not based on profiling;
Special measures in times of crisis: when a crisis occurs, such as a public security or health threat, the Commission may require very large platforms to limit any urgent threats on its platforms. These specific actions are limited to three months.
Quote


“The Digital Services Act will set new global standards. Citizens will have better control over how their data are used by online platforms and big tech-companies. We have finally made sure that what is illegal offline is also illegal online. For the European Parliament, additional obligations on algorithmic transparency and disinformation are important achievements,” said rapporteur Christel Schaldemose (DK, S&D). “These new rules also guarantee more choice for users and new obligations for platforms on targeted ads, including bans to target minors and restricting data harvesting for profiling.”

Next steps

The text will need to be finalised at technical level and verified by lawyer-linguists, before both Parliament and Council give their formal approval. Once this process is completed, it will come into force 20 days after its publication in the EU Official Journal and the rules will start to apply 15 months later.

From 23 to 27 May, a delegation from the EP’s Internal Market Committee will visit several company headquarters (Meta, Google, Apple and others) in Silicon Valley to discuss in person the Digital Services Act package, and other digital legislation in the pipeline, and hear the position of American companies, start-ups, academia and government officials.



LG Frankfurt: Facebook muss bei ehrverletzenden Inhalten auch kerngleiche Inhalte und Memes ohne erneute Inkenntnissetzung automatisch löschen

LG Frankfurt
Urteil vom 08.04.2022
2-03 O 188/21

Das LG Frankfurt hat entschieden, dass der Betreiber eines sozialen Netzwerks (hier: Facebook / Meta) bei ehrverletzenden Inhalten auch kerngleiche Inhalte und Memes ohne erneute Inkenntnissetzung automatisch löschen muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Ehrverletzung durch Falschzitat in sozialem Netzwerk

Diensteanbieter muss Varianten mit kerngleichem Inhalt ohne erneuten Hinweis sperren.
Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast kann verlangen, dass eine bestimmte Wort-Bild-Kombination (sog. „Meme“) mit einem ihr untergeschobenen Falschzitat auf Facebook gesperrt wird. Auch Varianten dieses Memes mit kerngleichem Inhalt muss das soziale Netzwerk ohne erneuten Hinweis auf die jeweilige URL löschen. Renate Künast steht wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts außerdem ein Schmerzensgeldanspruch gegen die Betreiberin von Facebook zu.

Auf Facebook erschien ein Bild von Renate Künast, dem folgendes Zitat beigefügt war: „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!“ Dieses Zitat ist falsch. Renate Künast hat die Äußerung nicht getätigt. Sie verlangte von Meta als Betreiberin von Facebook die Löschung des Eintrages. Der Post wurde außerdem in verschiedenen Varianten veröffentlicht, etwa mit verändertem Layout oder durch Erweiterung oder Weglassen von Textinhalten, durch Tippfehler oder durch Veränderung für das Auge nicht wahrnehmbarer Pixel. Diese Varianten haben eine andere URL als das ursprüngliche, von Renate Künast zunächst beanstandete Meme.

Vor dem Landgericht Frankfurt am Main hat Renate Künast darauf geklagt, dass Meta es unterlässt, Memes mit kerngleichem Inhalt auf Facebook öffentlich zugänglich machen zu lassen. Mit Urteil vom heutigen Tage hat eine Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main ihrer Klage stattgegeben.

Durch das Falschzitat werde Renate Künast in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Ein Diensteanbieter müsse zwar nicht ohne einen Hinweis alle ins Netz gestellten Beiträge auf eine eventuelle Rechtsverletzung prüfen. „Nachdem Renate Künast aber konkret darauf hingewiesen hatte, dass die ihr zugeschriebene Äußerung ein falsches Zitat ist, muss sie diesen Hinweis nicht für jeden weiteren Rechtsverstoß unter Angabe der URL wiederholen,“ erklärte die Vorsitzende der Kammer in der Urteilsbegründung. „Denn für die Beklagte ist unschwer erkennbar, dass es sich bei Varianten mit kerngleichem Inhalt um Falschzitate handelt.“ Und weiter: „Das deutsche Recht mutet jedem Verpflichteten eines Unterlassungsgebots zu, selbst festzustellen, ob in einer Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist. Das gilt auch in diesem Fall.“

Die Kammer stellte weiter fest: „Die Beklagte hat nicht dargetan, dass es ihr technisch und wirtschaftlich nicht zumutbar ist, ohne konkrete Bezeichnung der URL identische und ähnliche Memes zu erkennen und zwar auch, wenn für die Beurteilung eines abgewandelten Textes in einem Eintrag eine menschliche Moderationsentscheidung notwendig wird“.

In seinem Urteil billigte die Pressekammer Renate Künast außerdem eine Geldentschädigung in Höhe von 10.000 Euro zu. Meta treffe aufgrund der Veröffentlichung der persönlichkeitsrechts-verletzenden Posts eine Mitverantwortung. Denn Meta sei ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, ihre Plattform von weiteren Falschzitaten zu befreien. Die Schwere der Rechtsverletzungen rechtfertige das Schmerzensgeld. Renate Künast sei aufgrund der Falschzitate Anfeindungen ausgesetzt gewesen.

Die Kammer erklärte: „Die Glaubwürdigkeit ist das Kapital eines jeden Menschen, besonders einer Politikerin. Diese Glaubwürdigkeit wird durch das Zuschreiben von Falschzitaten beschädigt. Dies ist ehrenrührig und beeinträchtigt das Persönlichkeitsrecht der Falschzitierten. Falschzitate verzerren auch den Meinungskampf und sie schaden der Allgemeinheit.“

Das heutige Urteil (Aktenzeichen 2-03 O 188/21) ist nicht rechtskräftig.


EuGH-Generalanwalt: Suchmaschinenbetreiber Google muss bei Antrag auf Löschung angeblich unrichtiger Inhalte aus Suchindex Richtigkeit im Rahmen des Möglichen prüfen

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 07.04.2022
C-460/20
TU, RE gegen Google LLC
Google (Auslistung eines angeblich unrichtigen Inhalts)


Der EUGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass ein Suchmaschinenbetreiber (hier: Google) bei einem Antrag auf Löschung angeblich unrichtiger Inhalte aus dem Suchindex Richtigkeit im Rahmen des Möglichen prüfen

Die Pressemitteilung des EuGH:
Generalanwalt Pitruzzella ist der Auffassung, dass ein auf die angebliche Unrichtigkeit der Informationen gestützter Antrag auf Auslistung den Suchmaschinenbetreiber verpflichtet, die Überprüfungen vorzunehmen, die in den Rahmen seiner konkreten Möglichkeiten fallen.

Des Weiteren darf im Rahmen eines Antrags auf Entfernung von Vorschaubildern aus den Ergebnissen einer Bildersuche nur der Informationswert der Bilder als solcher berücksichtigt werden.

TU und RE erhoben gegen die Google LLC Klage und beantragten zum einen die Auslistung bestimmter Links, die in den Ergebnissen der Suchen über die von der Google LLC betriebene Suchmaschine angezeigt wurden. Die Links beziehen sich auf im Internet veröffentliche Artikel eines Dritten, in denen TU und RE genannt werden. Zum anderen beantragten sie die Unterlassung der Anzeige von Fotos, die mit diesen Artikeln in Form von Vorschaubildern verbunden sind. TU ist für verschiedene Gesellschaften, die Finanzdienstleistungen anbieten, in verantwortlicher Position tätig oder an ihnen beteiligt. RE war die Lebensgefährtin von TU und bis Mai 2015 Prokuristin einer dieser Gesellschaften. Auf der Website g-net erschienen drei Artikel, in denen kritische Meinungen und Zweifel hinsichtlich der Seriosität des Anlagemodells verschiedener dieser Gesellschaften zum Ausdruck gebracht wurden und von denen einer mit vier Fotos bebildert war, auf denen TU und RE am Steuer von Luxus-Autos, in einem Hubschrauber und vor einem Charterflugzeug gezeigt wurden, was den Eindruck erwecken konnte, dass sie in fremdfinanziertem Luxus schwelgten. TU und RE forderten die Google LLC auf, die fraglichen Artikel auszulisten, die ihrer Auffassung nach unrichtige Behauptungen und verleumderische Ansichten enthielten, die auf unwahren Tatsachen beruhten, und die Vorschaubilder aus der Ergebnisliste der Suche zu entfernen.

Der deutsche Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die erste Frage betrifft die Besonderheit der Funktion von Suchmaschinen und das Spannungsverhältnis, das sie zwischen den Grundrechten aus den Art. 7,8 und 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union1 erzeugt, in einem vom Gerichtshof noch nicht geprüften Szenarium, nämlich dem, dass die betroffene Person die Richtigkeit der verarbeiteten Daten bestreitet und aus diesem Grund die Auslistung der Links verlangt, die auf von Dritten herausgegebene Inhalte verweisen, in denen diese Daten enthalten sind. Die zweite Frage betrifft die Notwendigkeit, bei der Prüfung eines Antrags auf Entfernung von Vorschaubildern aus den Ergebnissen einer Bildersuche den Inhalt der Website, in die das betreffende Foto eingefügt ist, zu berücksichtigen.

In seinen heute vorgelegten Schlussanträgen untersucht Generalanwalt Pitruzzella zunächst die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Verpflichtungen, die einem Suchmaschinenbetreiber obliegen, und arbeitet dabei vier Eckpunkte heraus.

Zunächst erläutert er, welche Verpflichtungen dem Betreiber einer Suchmaschine bei der Behandlung eines Antrags auf Auslistung obliegen, wenn dieser auf die nicht durch Beweise untermauerte Behauptung gestützt wird, dass einige der in dem gelisteten Inhalt enthaltene Informationen unrichtig seien.

Der Generalanwalt weist darauf hin, dass die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten keinen absoluten Charakter hätten. Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten müsse im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen werden und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegen andere Grundrechte abgewogen werden. Dabei sei das Recht, zu informieren, angemessen zu gewichten. Soweit in dem Fall, dass die betroffene Person eine öffentliche Rolle habe, das Recht, zu informieren, und das Recht auf Information Vorrang hätten, kehre sich dies dann um, wenn sich die Informationen, die Gegenstand des Auslistungsantrags seien, als unrichtig herausstellten.
Denn die Richtigkeit der Daten stelle nicht nur eine der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten dar, sondern dieses Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit könne in seiner zweifachen, aktiven und passiven, Bedeutung, wenn es sich um eine unrichtige Information handele, auch nicht auf der gleichen Ebene stehen wie die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten. In diesem Fall kommt nach Auffassung des Generalanwalts ein vorrangiges Kriterium zum Tragen, das in einem der Grundwerte der Europäischen Union wurzelt, nämlich dem der in Art. 1 der Charta der Grundrechte verbürgten Menschenwürde. Eine unrichtige
Information verletze nicht nur das Grundrecht der Person, auf die sich der Schutz personenbezogener Daten beziehe, sondern beeinträchtige ihre Würde, da sie auf einer unrichtigen Darstellung beruhe und eine Verfälschung ihrer Identität bewirke, die heute vor allem im Netz definiert werde.

Wenn Zweifel an der Richtigkeit der vom Suchmaschinenbetreiber verarbeiteten Information bestünden, stelle sich die Frage der Abwägung der betroffenen Grundrechte daher ganz besonders, zumindest in dem Stadium, in dem die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Information noch nicht festgestellt worden sei. Zwar könne der Suchmaschinenbetreiber nicht verpflichtet
werden, die gespeicherten Inhalte einer allgemeinen Kontrolle in Bezug auf deren Richtigkeit zu unterziehen; aufgrund seiner besonderen Verantwortung, die mit seiner Funktion eines „gatekeeper“ der Information verbunden sei, müsse er jedoch eine aktive Rolle bei der Löschung der Ergebnisse der Suche nach Inhalten spielen, in denen unrichtige personenbezogene Daten
enthalten seien.

Allerdings schließt der Generalanwalt aus, dass eine Auslistung allein auf der Grundlage des bloß einseitigen Antrags des Betroffenen vorgenommen werden kann, ebenso wie er es ausschließt, dass von dem Betroffenen verlangt werden kann, sich an den Herausgeber der Webseite zu wenden, um die Entfernung des angeblich unrichtigen Inhalts zu verlangen. Der Generalanwalt ist der Ansicht, dass der Betroffene verpflichtet sei, die Umstände anzugeben, auf die der Antrag gestützt wird, und einen Anfangsbeweis dafür zu erbringen, dass die Inhalte, deren Auslistung verlangt wird, unrichtig seien. Der Suchmaschinenbetreiber müsse demgegenüber die Überprüfungen durchführen, mit denen die Begründetheit des Antrags
bestätigt oder nicht bestätigt werde und die sich im Rahmen seiner konkreten Möglichkeiten hielten. Dabei habe er, wenn möglich, den Herausgeber der gelisteten Website zu kontaktieren, und dann darüber zu entscheiden, ob er dem Auslistungsantrag stattgebe oder nicht. Wenn sich der Inhalt auf eine Person beziehe, die eine öffentliche Rolle habe, müsse
sich die Entscheidung für die Auslistung auf besonders aussagekräftige Bestätigungen für die Unrichtigkeit der Informationen stützen. Schließlich könne der Suchmaschinenbetreiber, wenn die Umstände des Falls dies angezeigt erscheinen ließen, um einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für die betroffene Person zu vermeiden, die Listung vorübergehend aussetzen oder in den Ergebnissen der Suche angeben, dass die Richtigkeit einiger der Informationen bestritten werde.

Hinsichtlich der Antwort auf die zweite Frage stellt der Generalanwalt fest, dass für namensbezogene Bildersuchen über eine Internetsuchmaschine dieselben Regeln gelten wie für Websuchen und dass der Suchmaschinenbetreiber mit der Zusammenstellung von im Internet veröffentlichten Fotos von natürlichen Personen und der Wiedergabe dieser Fotos einen
Dienst anbiete, bei dem er eine eigenständige Verarbeitung personenbezogener Daten vornehme, die sowohl von der des Herausgebers der Website, von der die Fotos entnommen seien, als auch von derjenigen der Listung dieser Website verschieden sei.

Nach Auffassung des Generalanwalts ist bei der Abwägung der widerstreitenden Grundrechte, die im Rahmen eines an den Suchmaschinenbetreiber gerichteten Antrags auf Entfernung von als Vorschaubilder angezeigten Fotos vorzunehmen sei, nur der Informationswert der Fotos als solcher zu berücksichtigen, unabhängig von dem Inhalt, in den sich diese Fotos auf der Webseite, von der sie entnommen worden seien, einfügten.

Angesichts des Umstands, dass das Bild einer Person eines der Hauptmerkmale ihrer Persönlichkeit sei, komme dem Schutz des Rechts der Person auf Vertraulichkeit in diesem Kontext besondere Bedeutung zu, da die Fotos besonders persönliche Informationen vermitteln könnten.

Schlussanträge:

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des BGH wie folgt zu antworten:

1. Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass bei der Abwägung der widerstreitenden Grundrechte aus den Art. 7, 8, 11 und 16 der Charta, die im Rahmen der Prüfung eines Auslistungsbegehrens gegen den Betreiber einer Suchmaschine, das auf der Grundlage erhoben wird, dass die in dem indexierten Inhalt enthaltenen Informationen unrichtig seien, vorzunehmen ist, nicht maßgeblich darauf abgestellt werden kann, ob der Betroffene in zumutbarer Weise, z. B. durch eine einstweilige Verfügung, Rechtsschutz gegen den Inhalteanbieter erlangen kann. Im Rahmen eines solchen Antrags obliegt es dem Betroffenen, einen Anfangsbeweis dafür zu erbringen, dass die Inhalte, deren Auslistung verlangt wird, unrichtig sind, wenn dies, insbesondere in Bezug auf die Art der in Rede stehenden Informationen, nicht offensichtlich unmöglich oder übermäßig schwer ist. Es ist Sache des Suchmaschinenbetreibers, die in den Rahmen seiner konkreten Möglichkeiten fallenden Überprüfungen in Bezug auf die behauptete Unrichtigkeit der verarbeiteten Daten durchzuführen und so weit wie möglich mit dem Herausgeber der indexierten Webseite in Kontakt zu treten. Der Suchmaschinenbetreiber kann, wenn die Umstände des Falls dies angezeigt erscheinen lassen, um einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für die betroffene Person zu vermeiden, die Listung vorübergehend aussetzen oder in den Ergebnissen der Suche angeben, dass die Richtigkeit einiger Informationen, die in dem Inhalt enthalten sind, zu dem der fragliche Link führt, bestritten wird.

2. Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 95/46 und Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung 2016/679 sind dahin auszulegen, dass bei der Abwägung der widerstreitenden Grundrechte der Art. 7, 8, 11 und 16 der Charta, die im Rahmen eines an den Suchmaschinenbetreiber gerichteten Antrags auf Entfernung von als Vorschaubilder angezeigten Fotos, die eine natürliche Person darstellen, aus den Ergebnissen einer mit dem Namen dieser Person durchgeführten Bildersuche vorzunehmen ist, der Kontext der Veröffentlichung im Internet, in dem diese Fotos ursprünglich erscheinen, nicht zu berücksichtigen ist.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


OLG Köln: Comedian darf ehemaligen Fußballnationalspieler bei Twitter nicht als "krankes Schwein" bezeichnen

OLG Köln
Urteil vom 10.03.2022
15 U 244/21


Das OLG Köln hat entschieden, dass ein Comedian einen ehemaligen Fußballnationalspieler nicht als "krankes Schwein" bezeichnen darf. Gegenstand des Rechtsstreits war ein Twitter-Post.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Da die einstweilige Verfügung des Senats durch die Aufhebung in dem angefochtenen Urteil auf den Widerspruch des Verfügungsbeklagten hin (endgültig) „kassiert“ worden ist, war – wie im Termin durch die auf Hinweis des Senats hin erfolgte Klarstellung der Anträge betont – richtigerweise dabei ein entsprechender Neuerlass der einstweiligen Verfügung geboten (vgl. etwa zum prozessualen Vorgehen in solchen Fällen OLG Köln v. 10.09.2002 - 16 U 80/02, BeckRS 2003, 153; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 925 Rn. 10; Dötsch, MDR 2010, 1429, 1432 Fn. 56 m.w.N.).

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat.

a)Eine doppelte Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO analog) wegen des ohnehin erst später vor dem Landgericht Hamburg wegen der weiteren Äußerung eingeleiteten Verfahrens steht mit den entsprechenden Ausführungen des Senats im Beschluss vom 24.06.2021 – 15 W 41/21 (Bl. 290 ff. der Beschwerdeakte), auf die verwiesen wird, dem Antrag nicht entgegen. Zudem geht es richtigerweise ohnehin schon wegen des ganz anderen Kontextes der Äußerungen um zwei unterschiedliche Streitgegenstände, wie auch das LG Hamburg im Urt. v. 20.08.2021 – 324 O 265/21, Bl. 179 ff. d. Senatshefts im Parallelverfahren zutreffend ausgeführt hat. Es liegt aus ähnlichen Gründen schließlich auch keine sog. unzulässige Mehrfachverfolgung (§ 242 BGB) vor, wie der Senat a.a.O. ebenfalls bereits ausgeführt hat. Dem tritt der Verfügungsbeklagte auch nicht mit neuen sachlichen Einwendungen entgegen.

b) Wie das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung unter Verweis auf einschlägige Fundstellen zutreffend ausgeführt hat – worauf Bezug genommen wird -, ist die hier bereits vor Verfahrensbeginn ausgestellte, nunmehr im Original vorliegende und vom Senat in dem in elektronischen Akten geführten Berufungsverfahren als Papier-Urkunde zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachte Verfahrensvollmacht (Protokoll, Bl. 224 d. Senatshefts) prozessual ohne weiteres noch vom Berufungsgericht zu berücksichtigen. Die Vorlage der Urkunde war allerdings sachlich geboten, denn § 80 Abs. 1 ZPO gilt richtigerweise auch in einstweiligen Verfügungsverfahren (OLG Saarbrücken v. 30.04.2008 – 1 U 461/07, juris; LG Bochum v. 04.10.2017 – 13 O 136/17, juris), so dass der Nachweis nicht – wie der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers es versucht hat – mittels einer eidesstattlichen Versicherung als Glaubhaftmachungsmittel zu führen war, wie im Schrifttum teilweise angedeutet wird (so Zöller/Althammer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 80 Rn. 8 unter Verweis auf die dies allerdings nicht tragende Entscheidung des LG Hamburg v. 13.08.2020 – 304 T 10/20, juris; an diese anschließend formstreng auch BGH v. 29.09.2021 – VII ZB 25/20, juris Rn. 15). Angesichts der nunmehr vorliegenden Urkunde - deren Echtheit nicht bestritten ist und die deswegen auch nicht (im Freibeweisverfahren, dazu MüKo-ZPO/Toussaint, 6. Aufl. 2020, § 80 Rn. 18) zu klären war - bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob das spontane Erheben der Rüge erst im Termin zur mündlichen Verhandlung im konkreten Fall rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) war, woran mit den Ausführungen des Landgerichts aber durchaus Bedenken bestehen.

2. Es fehlt vorliegend nicht - wie der Verfügungsbeklagte meint - am Verfügungsgrund, denn es liegt kein „dringlichkeitsschädliches“ Verhalten des Verfügungsklägers bzw. seines – ihm nach allgemeiner Ansicht über § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden (OLG München v. 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, GRUR-RS 2021, 29384 m.w.N.) - Verfahrensbevollmächtigten vor, welches zu einer sog. Selbstwiderlegung der Dringlichkeit/Dringlichkeitsvermutung hätte führen können.

a) Als „dringlichkeitsschädliches“ Verhalten ist nur ein solches anzusehen, das erkennen lässt, dass es dem Verfügungskläger mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht oder nicht mehr so eilig ist, so dass die Durchführung eines Eilverfahrens mit den damit zu Lasten des Verfügungsbeklagten verbundenen Einschränkungen gegenüber einem Klageverfahren einerseits und der Bevorzugung der Sachbehandlung gegenüber anderen bei dem angerufenen Gericht anhängigen Verfahren andererseits nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund können dabei anerkanntermaßen nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens bzw. sogar bei der Zwangsvollstreckung haben. Indes liegen hier keine solchen Verhaltensweisen vor.

b) Es kann zunächst nicht daran angeknüpft werden, dass der Verfahrensbevollmächtigte einen (später zurückgezogenen) Antrag auf Fristverlängerung für die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat gestellt hat.

aa) Zwar ist der Verfügungskläger nach Aufhebung der vom Senat erlassenen einstweiligen Verfügung auf Widerspruch hin durch das angefochtene Urteil (wieder) genauso wie vor dem erstmaligen Erlass einer einstweiligen Verfügung „ungesichert“ gewesen (vgl. OLG Frankfurt v. 02.09.2021 – 19 U 86/21, juris Rn. 55), so dass etwaigen Termins- und Fristverlegungsanträgen (außerhalb hier nicht vorliegender besonderer rechtfertigender Umstände, dazu OLG Karlsruhe v. 09.06.2005 – 4 U 164/04, BeckRS 2005, 30357864) kritischer zu begegnen ist, weil mit der Stattgabe solcher Anträge in aller Regel nicht unerhebliche Verfahrensverzögerungen einhergehen, die der Verfügungskläger dann mit seinem Antrag billigend in Kauf nimmt. Soweit dies teilweise so streng gehandhabt wird, dass schon allein ein Verlängerungsantrag für die Berufungsbegründungsfrist um – wie hier – einen Monat schädlich sein soll, selbst wenn diesem Antrag gar nicht entsprochen wird oder er auch sonst keine Folgen hat (so die von der Vorsitzenden in ihrem Hinweis zitierte Entscheidung des OLG München v. 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, GRUR-RS 2021, 29384 und möglicherweise auch Kontusch JuS 2012, 323, 326 sowie Schuschke/Roderburg, in: Schuschke u.a., Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2020, Vor § 935 Rn. 105; beide allerdings nur unter Verweis auf eine dies so nicht tragende Entscheidung des KG v. 16.04.2009 - 8 U 249/08, BeckRS 2009, 14692), deckt sich das zwar mit der teils wohl gleichermaßen sehr strengen Handhabung bei Anträgen auf Terminsverlegung (siehe selbst für einen Hilfsantrag in einer mündlicher Verhandlung auf eine kurze Vertagung OLG Düsseldorf v. 10.07.1997 - 2 U 9/97, WRP 1997, 968).

bb) Indes erscheint diese Lesart so pauschal überzogen streng und verstellt den Blick auf die tatsächlich gebotene Einzelfallbetrachtung, zumal die rein prozessualen Möglichkeiten einer Fristverlängerung für Rechtsmittelfristen - die ohnehin primär auf „normale“ Klageverfahren ausgelegt sind - mit der Frage der „Dringlichkeit“ unmittelbar nichts zu tun haben und es allenfalls um indizielle Auswirkungen auf die tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit gehen kann (grundlegend Teplitzky, WRP 2013, 1414 ff.); deswegen ist stets eine Würdigung im Einzelfall geboten (so auch OLG Hamburg v. 21.03.2019 – 3 U 105/18, juris, Rn. 45; gegen Dringlichkeitsschädlichkeit einer prozessual zulässigen Fristverlängerung und –ausschöpfung – überholt – aber sogar noch OLG Hamburg v. 08. Juli 1976 – 3 U 45/76, juris Rn. 38; v. 17.08.1995 – 3 U 87/95, WRP 1996, 27, 28). Mit Blick darauf wird eine Dringlichkeitsschädlichkeit von der herrschenden Meinung nur dann diskutiert, wenn man über den Fristverlängerungsantrag hinaus die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist auch tatsächlich überschritten hat (so OLG München v. 30.06.2016 – 6 U 531/16, GRURRR 2016, 499 Rn. 79 selbst bei nur wenigen Tagen), wobei zumeist zusätzlich eine „nicht unerhebliche“ Verlängerung der Frist vorausgesetzt wird, bei der man die so bewilligte Frist auch „nicht unerheblich“ oder sogar vollständig „ausnutzt“ (so etwa schon Senat v. 19.01.2012 - 15 U 195/11, BeckRS 2012, 5820; siehe ferner OLG Frankfurt v. 02.09.2021 – 19 U 86/21, juris Rn. 52 ff.; v. 13.09.2001 – 6 U 79/01, juris Rn. 4 f. – 6 Tage unschädlich; OLG Dresden v. 06.03.2018 – 4 U 1675/17, NJW-RR 2018, 1135 Rn. 7 f.; OLG Hamburg v. 18.08.2017 – 7 U 72/17, BeckRS 2017, 127226 Rn. 2 ff.; OLG Celle v. 17.09.2015 - 13 U 72/15, BeckRS 2016, 17073; KG v. 16.04.2009 - 8 U 249/08, BeckRS 2009, 14692; OLG Düsseldorf v. 15.07.2002 - 20 U 74/02, GRUR-RR 2003, 31; OLG Köln v. 05.07.1999 – 16 U 3/99, BeckRS 1999, 30065637; OLG München v. 09.08.1990 - 6 U 3296/90, GRUR 1992, 328; OLG Naumburg v. 20.09.2012 - 9 U 59/12, MMR 2013, 131, 132 – zwei Wochen unschädlich; siehe allg. auch MüKo-ZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, § 935 Rn. 22; Dötsch, MDR 2010, 1429, 1433; Feddersen, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl. 2019, Kap. 54 Rn. 27; Schlingloff, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn. 401; offen Senat v. 18.03.2019 - 15 U 25/19, BeckRS 2019, 22208 bei Verlängerung um eine Woche über Karneval im Rheinland).

cc) Mit Blick darauf und auf die weitere Tatsache, dass es hier um einen Fristablauf kurz nach den Weihnachts-/Neujahrstagen mit einer Urlaubsabwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten ging und zudem nicht gesetzt ist, dass der Verfahrensbevollmächtigte selbst ohne den richterlichen Hinweis der Vorsitzenden (siehe zu dessen Bewertung den Beschluss des Senats vom 17.02.2022 – 15 U 244/21, Bl. 211 ff. d. Senatshefts mit Blick auf § 42 ZPO) die beantragte Frist auch tatsächlich voll ausgeschöpft hätte, ist die indizielle Wirkung (nur) des Antrages aber noch nicht so deutlich, dass in der Gesamtschau schon ein dringlichkeitsschädliches Verhalten anzunehmen wäre. Ist etwa das OLG Frankfurt v. 24.09.2015 – 6 U 60/15, BeckRS 2016, 1414 Rn. 4 in einem ganz ähnlichen Fall – dort sogar nach erfolgter Fristverlängerung - bei auf einen richterlichen Hinweis auf die möglichen Folgen hin zumindest noch zeitnah eingereichter Berufungsbegründung vom Fortbestehen des Verfügungsgrundes ausgegangen, kann vorliegend nichts anderes gelten, zumal hier sogar noch innerhalb der regulären Begründungsfrist reagiert und die Begründung fristgerecht vorgenommen worden ist. Allein auf das bloße Einreichen des Verlängerungsantrages als Indiz für eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit abzustellen, wäre in einem solchen Fall zu streng (vgl. auch erneut Schlingloff, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn. 401: „Der Ver-längerungsantrag selbst schadet nicht, wenn die beantragte und gewährte Verlängerung nicht oder nur unerheblich ausgenutzt wird.“).

c) Soweit die Berufung – wie gerade ausgeführt - nach Rücknahme des Fristverlängerungsantrages tatsächlich (kurz) vor Ablauf der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist begründet worden ist, wäre selbst ein vollständiges Ausschöpfen dieser prozessualen Frist jedenfalls im Regelfall nach ständiger Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln nicht dringlichkeitsschädlich gewesen (OLG Köln v. 20.12.1996 – 6 U 204/96, NJWE-WettbR 1997, 176; v. 13.12.2002 - 6 U 156/02487, NJOZ 2003, 486, 488; v. 13.12.2002 – 6 U 156/02, BeckRS 2003, 1281 Rn. 11; offen BGH v. 01.07.1999 – I ZB 7/99, juris Rn. 11). Der vorliegende Sachverhalt bietet keinen Anlass für eine strengere Handhabung im Einzelfall.

d) Der Verfügungsbeklagte dringt auch nicht mit der weiteren Erwägung durch, dass die Dringlichkeitsvermutung allgemein eben auch dadurch widerlegt werden kann, dass ein Verfügungskläger in einem auf einen Widerspruch (§ 924 ZPO) hin anberaumten Termin säumig bleibt (vgl. OLG Frankfurt v. 04.09.2020 – 10 U 18/20, NJW-RR 2021, 117 Rn. 19 m.w.N.; jedenfalls bei Ausschöpfen der Einspruchsfrist auch OLG Düsseldorf v. 25.08.2015 - 20 U 196/14, BeckRS 2015, 16904). Denn die Versuche des Verfügungsbeklagten, dem den Fall einer „nicht ordnungsgemäßen Vertretung“ im Termin gleichzustellen, tragen hier gleich mehrfach nicht: Zum einen war tatsächlich eine Prozessvollmacht vor Verfahrensbeginn erteilt und allein der formale Nachweis scheiterte in der besonderen, durch die spontane Rüge i.S.d. § 80 Abs. 1 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung und die durch die allseitige Teilnahme an diesem Termin nach § 128a Abs. 1 ZPO besonders erschwerten Reaktionsmöglichkeiten. Soweit die Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsbeklagten meint, dass „ein gewissenhafter Anwalt „auf Nummer sicher gegangen" (wäre) und … jedenfalls die erforderliche Vollmacht zum Nachweis bei sich geführt“ hätte, verkennt sie zum anderen schon ganz grundlegend, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers die Vollmachtsurkunde tatsächlich „greifbar“ in seiner Kanzlei bei sich hatte und allein das rechtzeitige Verbringen der Urkunde an die richtige Stelle eines der größten Landgerichte der Bundesrepublik in der besonderen Situation der Verhandlung nach § 128a Abs. 1 ZPO zum rein praktischen Problem geworden ist. Hier eine „Selbstwiderlegung“ der Dringlichkeit allein daraus abzuleiten, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers in der Situation im Termin möglicherweise bei prozessual etwas „geschickterem“ Vorgehen noch einen weiteren Fristverlängerungsantrag für die Beibringung (etwa um 30 Minuten) hätte stellen können - was das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung als geeignete Reaktionsmöglichkeit angesprochen hat – und dies versäumt worden ist, ginge nach Auffassung des Senats hier zu weit, zumal man sich ansonsten um eine zeitnahe Vorlage der Urkunde eben durchaus bemüht und diese sogleich auf den Weg zum Landgericht gebracht hatte.

e) Eine „Selbstwiderlegung“ der Dringlichkeit kann schließlich auch nicht mit Blick auf eine angeblich zu zögerliche Vollziehung und Zwangsvollstreckung der vom Senat erlassenen einstweiligen Verfügung angenommen werden. Abstrakt ist das zwar durchaus denkbar, wenn etwa ein mögliches Verfahren nach § 890 ZPO gegen fortbestehende Verletzungen nicht oder nicht zeitnah betrieben wird (vgl. etwa OLG Köln v. 07.04.2017 – 6 U 135/16, GRUR-RR 2018, 95 sowie OLG Frankfurt v. 25.03.2010 - 6 U 219/09, BeckRS 2010, 16885; KG v. 08.04.2011 – 5 U 140/10, BeckRS 2011, 09414). Ein solcher Fall liegt aber hier ersichtlich nicht vor: Mit Blick auf die konkrete „Erstverletzung“ hat der Verfügungskläger die einstweilige Verfügung unstreitig zeitnah vollzogen. Soweit es allein um spätere - sei es inhaltlich vergleichbare - Äußerungen des Verfügungsbeklagten geht, die zu der gesonderten Einleitung eines eigenständigen gerichtlichen Verfahrens in Hamburg geführt haben, hat der Senat bereits im Beschluss vom 24.06.2021 - 15 W 41/21 (Bl. 290 ff. der Beschwerdeakte) ausgeführt, dass schon wegen des doch etwas anderen Kontextes dieser Äußerung erhebliche Zweifel an einer „Kerngleichheit“ angebracht waren, weswegen gerade auch keine rechtsmissbräuchliche Mehrfachverfolgung im Raum steht. Mit den gleichen Erwägungen kann das Unterlassen des Versuchs des Erwirkens eines Ordnungsmittelbeschlusses über § 890 ZPO hier aber auch nicht als dringlichkeitsschädliches Verhalten eingeordnet werden, zumal der Verfügungskläger durch sein Vorgehen mit dem zeitnahen Antrag auf Erlass einer weiteren einstweiligen Verfügung in Hamburg gerade deutlich belegt hat, dass ihm an einer umfassenden und zeitnahen Sicherung stets gelegen war.

4. Auch ein Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers (jedenfalls) aus § 1004 Abs. 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG ist hier hinreichend glaubhaft gemacht (§§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO).

a) Zur Meidung unnötiger Wiederholungen verweist der Senat zunächst auf den - seinerzeit nach Anhörung des Verfügungsbeklagten sowie nach Einsichtnahme durch den Senat in das zwar von den Parteien bisher nicht vollständig zu den Akten gereichte, damals im Internet gemäß dem Hinweis des Landgerichts vom 19.05.2021 (Bl. 52 d.A.) aber noch frei abrufbare (§ 291 ZPO) Video mit einem ca. 13-minütigen Statement des Verfügungsbeklagten zum Verfügungskläger ergangenen - Beschluss vom 24.06.2021 - 15 W 41/21 (Bl. 290 ff. der Beschwerdeakte). Dies gilt auch mit Blick auf die Fassung des Tenors und die mit Blick auf die beAVolumenbegrenzungen hier noch mögliche Einbettung der Datei (dazu allg. auch Senat v. 12.07.2021 – 15 W 45/21, GRUR-RS 2021, 26526 Rn. 29).

b) Das weitere Vorbringen des Verfügungsbeklagten in der Widerspruchsbegründung (Bl. 138 ff. d.A.) und im Berufungsverfahren rechtfertigt nur noch nachstehende ergänzende Ausführungen des Senats:

aa) Soweit der Senat bei dem Erlass der einstweiligen Verfügung im genannten Beschluss in der Tat noch keine näheren Ausführungen zur Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) gemacht hat, kann dem Video-Posting zwar ein gewisser satirischer Charakter nicht abgesprochen werden, mag das an der konkret streitgegenständlichen Stelle auch weniger zum Ausdruck kommen. Indes ist die Kunstfreiheit anerkanntermaßen nicht schrankenlos gewährt und findet in kollidierenden Grundrechtspositionen Dritter – hier dem Recht der persönlichen Ehre des Verfügungsklägers – ihre Grenzen, wobei die kollidierenden Grundrechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz zum schonenden Ausgleich zu bringen sind. Letztlich geht es damit aber auch hier (nur) um eine Abwägungsentscheidung (vgl. etwa OLG Hamburg v. 15.05.2018 - 7 U 34/17, BeckRS 2018, 8374 Rn. 19; dazu BVerfG v. 26.01.2022 – 1 BvR 2026/19, BeckRS 2022, 1484), zu der sogleich näher auszuführen ist; auch Art 5 Abs. 3 GG trägt hier im Ergebnis keine andere Gewichtung. Wegen der eindeutigen Teilbarkeit der streitgegenständlichen Passagen vom Rest des Beitrages (als „Gesamtkunstwerk“) bestehen auch mit Blick auf Art. 5 Abs. 3 GG keine durchgreifenden Bedenken an einem – gegenüber einem sonst alleindenkbaren sog. Gesamtverbot immerhin „milderen“ – Teilverbot eben nur der hier konkret angegriffenen Passage (allg. dazu auch OLG Hamburg a.a.O. Rn. 21 selbst zu einem Gedicht). Die hier fragliche Passage zeichnet sich auch nicht durch ganz besondere satirische Elemente aus, was ggf. die Frage nach einer Trennung von Aussagegehalt und nur satirischer Einkleidung aufwerfen könnte; anderes behauptet auch der Verfügungsbeklagte nicht.

bb) Der Senat lässt mit Blick auf die weiteren Ausführungen des Verfügungsbeklagten zur popkulturellen bzw. im allgemeinen Sprachgebrauch heutzutage üblichen Nutzung des in der Tat vielschichtigen Begriffs „Schwein“ in Fällen mit sexueller Konnotation bzw. egoistischer Triebbefriedigung nunmehr ausdrücklich offen, ob tatsächlich bereits von einer Formalbeleidigung und/oder einer Schmähkritik mit der Folge eines Abwägungsausfalls auszugehen ist; auch die vorgelegte Entscheidung des LG Hamburg im Urt. v. 20.08.2021 – 324 O 265/21 (Bl. 179 ff. d. Senatshefts) hat dies ersichtlich in Frage gestellt. Denn darauf kommt es – wie auch im Termin erörtert – hier nicht entscheidend an: Denn der Senat hat schon bei Erlass der einstweiligen Verfügung ausgeführt, dass ungeachtet der (formalen) Einordnung der Äußerung als Formalbeleidigung oder Schmähkritik (die man deswegen offenlassen könnte) jedenfalls in der Abwägung – diese nur bezogen auf die konkrete Äußerung als konkrete Verletzungsform im hier fraglichen Kontext - die schutzwürdigen Persönlichkeitsrechte des Verfügungsklägers – mag dieser auch nur in seiner sog. Sozialsphäre betroffen sein – ebenfalls überwiegen. Ein solches – mehr oder weniger „vorsorgliches“ - Abstellen auf eine Abwägungsentscheidung (unter Offenlassen eines sonst denkbaren „Abwägungsausfalls“ wegen der Annahme einer Formalbeleidigung/Schmähkritik) entspricht – dies entgegen der im nicht nachgelassenen Schriftsatz des Verfügungsbeklagten vom 23.02.2021 zum Ausdruck Gebrachten - auch der zuletzt u.a. in der sog. „D“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (v. 19.12.2021- 1 BvR 1073/20, juris Rn. 30 und 42 ff.) vorgezeichneten Möglichkeit eines gerichtlichen Vorgehens in Fällen wie dem Vorliegenden.

cc) Zu der Abwägungsentscheidung kann zunächst dann ebenfalls auf den o.a. Beschluss des Senats und die in dem Parallelverfahren gemachten und gleichlaufenden Erwägungen des Landgerichts Hamburg Bezug genommen werden. Zusammenfassend sei (noch einmal) betont, dass der Senat nicht in Frage stellen will, dass auch eine polemische und „überzogene“ Auseinandersetzung mit dem strafbaren Verhalten des Verfügungsklägers, der nicht nur wegen seiner Rolle als ehemaliger Nationalspieler, sondern gerade auch wegen des greifbaren Kontrastes seines Verhaltens zu seinem früheren sozialen Engagement für Kinderrechte keinesfalls pauschal zu sanktionieren wäre. Ganz im Gegenteil muss sich der Verfügungskläger die kritische Würdigung im Grundsatz gefallen lassen. Auch steht außer Frage, dass die aus Anlass der Verurteilung versuchte „Selbstinszenierung“ des Verfügungsklägers als ein „Medienopfer“– ungeachtet aller möglichen Auswüchse von manchen Presseorganen – ebenso Anlass zu Kritik bieten mag wie die auch aus den Ausführungen des Verfahrensbevollmächtigten des Verfügungsklägers im Termin vor dem Senat wieder ableitbaren, eher durchschaubaren Versuche, das Verhalten des Verfügungsklägers in Ansehung der inhaltlich nicht bestrittenen Chatverläufe „schönzufärben“ oder gar den damals beteiligten Zeuginnen eine Schuld am Gesamtgeschehen zuzuweisen bzw. entsprechende Mutmaßungen über deren Geltendmachung von Zeugnisverweigerungsrechten im Strafverfahren anzustellen. Auch der von einem „agent provocateur“ – sei es auch unter dem behaupteten Einfluss von Bekannten, Polizei und/oder gar Presseorganen – zu einer Straftat veranlasste Straftäter ist und bleibt im Zweifel ein Straftäter bzw. muss sich – selbst wenn es strafrechtliche Bedenken gegen eine Verurteilung gegeben hätte (wie nicht) – zumindest dennoch der kritischen Würdigung seines tatsächlichen Verhaltens stellen, für das eine Rechtfertigung zu finden auch dem Senat ausdrücklich nicht möglich ist. Indes bedeutet dies – dies entgegen den engagierten Ausführungen der Verfahrensbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten im Termin und im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2022 – keinen „Freibrief“ auch für grenzenlos übersteigerte und die Person des Betroffenen in ihrem sozialen Geltungsanspruch tief treffende Äußerungen; genau um eine solche geht es aber hier.

(1) In der Abwägung bedarf es dabei stets einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören (vgl. etwa BVerfG v. 19.12.2021- 1 BvR 1073/20, juris Rn. 30 m.w.N.). Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (BVerfG a.a.O. Rn. 31 m.w.N.). Treten so etwa selbst bei einem Politiker etwaige Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen einer öffentlichen Debatte zurück, wenn es um eine ins Persönliche gehende Beschimpfung und eine auf die Person abzielende öffentlichen Verächtlichmachung geht (BVerfG a.a.O. Rn. 34), sind ganz allgemein kritische Äußerungen umso weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt (BVerfG a.a.O. Rn. 34). Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann nach den Umständen des Falles dann insbesondere auch erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Denn für die Freiheit der Meinungsäußerung wäre es abträglich, wenn vor einer mündlichen Äußerung jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden müsste. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit impliziert - in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – durchaus die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit (BVerfG a.a.O. Rn. 36). Ebenfalls bei der Abwägung in Rechnung zu stellen ist stets auch die konkrete Verbreitung und Wirkung einer Äußerung, wobei Form und Begleitumstände der Kommunikation maßgeblich sind und der Adressatenkreis, die Frage der Perpetuierung eines Eingriffs und auch die Breitenwirkung einer Internetpublikation (BVerfG a.a.O. Rn. 37).

(2) Unter Berücksichtigung dieser Prämissen bleibt es auch mit Blick auf das weitere Vorbringen des Verfügungsbeklagten und auch das oben zu Art. 5 Abs. 3 GG Gesagte bei dem bereits aufgezeigten Abwägungsergebnis.

(a) Selbst wenn man zu Gunsten des Verfügungsbeklagten in Rechnung stellt, dass er in einem bundesweit für Aufsehen sorgenden und gesetzliche Reformen im Strafrecht beeinflussenden Strafverfahren tagesaktuell kritisch Position bezogen haben mag und – wie aufgezeigt – der Verfügungskläger selbst hinreichenden Anlass für eine solche Kritik gegeben hat, wurden an der hier fraglichen Stelle des Postings - auch nach Mimik, Gestik und Ausdruck, wobei eben Wort-/Bildberichterstattungen anerkanntermaßen in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind – sprichwörtlich „alle Hemmungen fallengelassen“ und der Bogen schlichtweg „überspannt.“ Es geht dabei – dies entgegen dem Standpunkt der Verfahrensbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten – nicht darum, dass die Ausführungen des Senats zum „virtuellen Marktplatz“ eigentlich doch dazu führen müssten, das - konsequent zu Ende gedacht – das gesamte ca. 13-minütige Statement des Verfügungsbeklagten insgesamt zu verbieten sei. Die Widerspruchsbegründung (S. 30 = Bl. 167 d.A.) sieht nämlich selbst den Unterschied gerade im Duktus der angegriffenen Stelle („Was allein bleibt, ist der - so man es so betrachten will - vermeintlich schärfere Wortlaut.“); genau dies ist aber – wie ausgeführt – das Problem.

(b) Da dem durchschnittlichen „Follower“ des Verfügungsbeklagten die vorangegangenen öffentlichen Auseinandersetzungen unter den Parteien auch schwerlich verborgen geblieben sein können, fällt dabei aber gerade die (erneute) Verwendung (ausgerechnet) des Terminus „krankes Schwein“, der in anderem Kontext bereits zu Lasten des Verfügungsbeklagten streitentscheidend gewesen ist (Senat v. 13.10.2020 – 15 W 46/20, GRUR-RS 2020, 46637 Rn. 12), deutlich ins Gewicht. Es geht hier nicht etwa um eine in einer emotionalen Situation möglicherweise aufgrund einer verständlichen Erregung (nur) im Einzelfall entgleisende scharfe Formulierung, sondern vielmehr um das ganz bewusstes Kalkül eines offenkundig Uneinsichtigen, der mit dem schon damals plakativ genutzten, einprägsamen und in die Öffentlich getragenen Passus offenbar hier nur (erneut) „Stimmung machen“ wollte, um auf dem „virtuellen Marktplatz“ vor dem Gerichtsgebäude zur Stimmungsmache unter seinen Anhängern nochmals mit deutlich abschätzender Mimik und Gestik den Stab über dem Verfügungskläger zu brechen. Dass der Verfügungsbeklagte gerade um die ihm im Zusammenhang mit einer Verdachtsäußerung bereits einmal vom Senat untersagte Bezeichnung als „krankes Schwein“ ringt und mit der damaligen prozessualen „Niederlage“ offenbar hadert, zeigt plastisch das „Nachtatverhalten“ zum hiesigen Vorfall, welches zu dem weiteren Verfahren vor dem Landgericht Hamburg geführt hat und in dem auch die dortige Kammer nur eine überzogene und in der Abwägung nicht hinnehmbare (wiederholte) Kränkung mit der bewussten und öffentlich bekannt gewordenen Formulierung gesehen hat.

(c) Verstärkt wird das Vorgenannte im konkreten Zusammenhang zudem dadurch, dass sich der Verfügungsbeklagte zusätzlich noch aus dem Nichts heraus in haltlosen Spekulationen (auch) über angeblich mögliche Missbrauchshandlungen des Verfügungsklägers (auch) im Ausland („Osteuropa, Asien“) verliert, zu denen weder das Strafverfahren noch sonstige tatsächliche Umstände Anlass boten. Dies kann man möglicherweise in Abgrenzung zu einer Auseinandersetzung (nur) mit den abstoßenden Inhalten der im Termin vor dem Senat inhaltlich nicht bestrittenen „Chatverläufe“ des Verfügungsklägers sehen, die möglicherweise Rückschlüsse zumindest auf ein „Weiter-Denken“ des Verfügungsklägers im Hinblick auch auf körperliche Missbrauchshandlungen von Kindern bieten mögen (vgl. dazu auch S. 7 ff. des Schriftsatzes vom 23.06.2021 = Bl. 163 ff. der Beschwerdeakte sowie Anlage ASt 5, Bl. 192 ff. d.A. und den nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2022, Bl. 226 ff. d. Senatshefts). Jedenfalls dieser weitere (haltlose) Angriff mit dem Vorwerfen etwaiger Auslandsstraftaten zeigt aber, dass es im vorliegenden Kontext mit dem darin liegenden Bedienen üblicher „Klischee-Vorstellungen“ zu „Triebtätern“ und deren Verhalten etwa im asiatischen Ausland nur um eine besondere Herabsetzung des damals frisch verurteilten Verfügungsklägers ging, hinter der das öffentliche Interesse an einer (unbestreitbar möglichen) kritischen Würdigung von Tat, Täter, Gerichtsverfahren und Umgang des Täters mit der Strafe (nur) im vorliegenden Einzelfall zurücktritt. Diese Umstände lassen den Begriff „krankes Schwein“ - ungeachtet des sonst vom Verfügungsbeklagten reklamierten Bedeutungswandels dieses Begriffs – jedenfalls hier weiterhin als übermäßigen Eingriff in die Rechte des Verfügungsklägers erscheinen, den dieser im konkreten Kontext in der Gesamtabwägung nicht mehr hinzunehmen hat. Ob man sonst das Schwein in der christlichen Lehre mit der Unzucht, Völlerei und den sog. Todsünden in Verbindung gebracht hat und es zu einer kulturell-religiös gewachsenen Symbolfigur für das Triebhafte geworden ist, spielt insofern dann auch keine entscheidende Rolle mehr.

(d) Dem Verfügungsbeklagten soll – was der Senat a.a.O. bereits zum Ausdruck gebracht hat - ansonsten auch ausdrücklich nicht die Möglichkeit genommen werden, sich kritisch mit dem Verfügungsklägers und seinem strafbaren Verhalten bzw. seinem Umgang mit der Verurteilung auseinanderzusetzen. Dass in anderem sprachlichen Duktus und anderer Einkleidung u.U. dann auch ähnlich scharfe Begrifflichkeiten bzw, „schweinisches“ oder „krankes“ Verhalten vorgeworfen werden könnten, ist Frage des Einzelfalles und hier nicht allgemein zu entscheiden. Vorliegend jedenfalls tritt das sachliche Anliegen des Verfügungsbeklagten aber – ungeachtet des tagesaktuellen Anlasses seiner Äußerungen und dem möglicherweise im Kern auch berechtigten Sachanliegen jedenfalls derart in den Hintergrund, dass sich die Äußerung letztlich in einer persönlichen Kränkung erschöpft.

5. Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Verfügungsbeklagten vom 23.02.2022 (Bl. 226 ff. d. Senatshefts) rechtfertigt keine andere Sichtweise und trägt keine – im Verfahren betreffend den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohnehin regelmäßig ausgeschlossene (Feddersen, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl. 2019, Kap. 55 Rn. 19) – Wiedereröffnung nach § 525 S. 1, 156 Abs. 1 oder 2 ZPO.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Kein Anspruch auf Löschung eines Jameda-Basisprofils aus Art. 17 DSGVO - berechtigtes Interesse des Portalbetreibers nach Art. 6 Abs.1 lit. f DSGVO

BGH
Urteil vom 15.02.2022
VI ZR 692/20
DS-GVO Art. 17 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 Buchst. f, DS-GVO Art. 82 Abs. 2; BayDSG Art. 38 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass kein Anspruch auf Löschung eines Jameda-Basisprofils aus Art. 17 DSGVO besteht. Dem steht ein berechtigtes Interesse des Portalbetreibers nach Art. 6 Abs.1 lit. f DSGVO entgegen.

Leitsätze des BGH:
a) Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Löschung von personenbezogenen Daten in einem Arztsuche- und -bewertungsportal im Internet (www.jameda.de).

b) Zum sogenannten "Medienprivileg" im Sinne des Art. 38 Abs. 1 BayDSG in Verbindung mit Art. 85 Abs. 2 DS-GVO.

BGH, Urteil vom 15. Februar 2022 - VI ZR 692/20 - OLG Frankfurt a.M. - LG Hanau

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