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LG Düsseldorf: Tchibo hat weder einen kartellrechtlichen noch einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen Aldi Süd wegen des Verkaufs von Kaffee zu günstigen Preisen

LG Düsseldorf
Urteil vom 156.01.2024
14d O 14/24


Das LG Düsseldorf hat entschieden, das Tchibo weder einen kartellrechtlichen noch einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen Aldi Süd wegen des Verkaufs von Kaffee zu günstigen Preisen hat..

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Unterlassungsanspruch aus § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB zu.

Gemäß § 33 Abs. 1 GWB ist u.a. bei Verstoß gegen eine Vorschrift des Teils 1 des GWB der Rechtsverletzer gegenüber dem Betroffenen zur Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 GWB dürfen Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht ihre Marktmacht nicht dazu ausnutzen, solche Wettbewerber unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern. Eine unbillige Behinderung im Sinne dieser Vorschrift liegt gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB insbesondere vor, wenn ein Unternehmen Lebensmittel unter Einstandspreis anbietet, es sei denn, dies ist jeweils sachlich gerechtfertigt. Das Anbieten von Lebensmitteln unter Einstandspreis ist gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 GWB sachlich gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, den Verderb oder die drohende Unverkäuflichkeit der Waren beim Händler durch rechtzeitigen Verkauf zu verhindern sowie in vergleichbar schwerwiegenden Fällen.

Vorliegend kann dahinstehen, ob Klägerin gegenüber den Beklagten eine „kleine oder mittlere Wettbewerberin“ ist und das Verbot des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB überhaupt anwendbar ist (dazu 1.). Jedenfalls liegt keine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagten vor (dazu 2.).

1. Es kann letztlich offenbleiben, ob die Beklagten über eine überlegene Marktmacht gegenüber der Klägerin als „kleine oder mittlere Wettbewerberin“ verfügt.

a) Allerdings kann die Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits deshalb aus dem Schutzbereich des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB ausgeschlossen werden, weil sie schon wegen ihrer absoluten Größe kein „kleiner oder mittlerer Wettbewerber“ sein könne.

Für die Abgrenzung, welche Wettbewerber auf dem relevanten Markt als kleine und mittlere Unternehmen anzusehen sind, kommt es allein auf das (horizontale) Verhältnis der Unternehmensgrößen der in Betracht stehenden Unternehmen an; die generelle Festlegung einer absoluten Obergrenze ist nicht möglich (Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 207; Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 140 f.). Das entspricht auch der Auffassung des BGH, der gegen die Einstufung als kleines oder mittleres Unternehmen nach absoluten Zahlen anführt, dass die Verhältnisse auf dem jeweils maßgeblichen Markt nicht ausgeblendet werden dürfen (BGH NJW 2003, 205, 206 – Konditionenanpassung). Deshalb sei eine unter funktionalen Gesichtspunkten vorzunehmende Prüfung erforderlich, die von den Besonderheiten des jeweils relevanten Marktes ausgeht.

b) Die Prüfung hat von dem Markt für Kaffeeprodukte auszugehen.

Die Feststellung einer überlegenen Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern lässt sich nur für die Tätigkeit von Unternehmen auf einzelnen, in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgegrenzten Märkten bestimmen (Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 204; Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 133).

Der sachliche Markt, auf dem die Klägerin und die Beklagten jeweils tätig sind und der hier betroffen ist, ist der Markt für Kaffeeprodukte. Dieser ist insbesondere von dem Sortimentsmarkt „Lebensmitteleinzelhandel“ abzugrenzen, bei dem es um die Nachfrage an einem Produktbündel geht. Auf diesem Markt ist die Klägerin aber gerade nicht tätig. Auch durch die Präsenz auf diesem Markt durch ihr Depot-Geschäft u.a. bei Lebensmitteleinzelhändlern wird sie gerade nicht selbst zur Anbieterin des Sortiments dieser Händler. Es kommt daher auf die Verhältnisse des Markts für Kaffeeprodukte und insofern insbesondere darauf an, welche Marktmacht ein großer Lebensmitteleinzelhändler wie V. auf dem Markt für dieses Produktsegment entfalten kann.

c) Der Vortrag der Parteien ist hier nicht ausreichend, um eine etwaige Überlegenheit der Beklagten gegenüber der Klägerin auf dem Markt für Kaffeeprodukte feststellen zu können. Die Parteien haben nur zum Gesamtumsatz der jeweiligen Unter-nehmensgruppen vorgetragen, ohne im Einzelnen auf die Umsätze, Marktanteile und die spezifischen Verhältnisse des Marktes für Kaffeeprodukte einzugehen.

Festgehalten werden soll dennoch Folgendes: Trotz des erforderlichen Einzelmarkt-bezuges kommt es in Betracht, die Ressourcenvorteile der Beklagten unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass sie diesen langfristig wirksame, erweiterte Verhaltensspielräume – auch auf dem Markt für Kaffeeprodukte – vermitteln könnten (vgl. dazu Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 135). Die finanziellen Ressourcen und das breite Sortiment der Beklagten könnten es diesen ermöglichen, auf die Marktverhältnisse im Markt für Kaffeeprodukte in einer stärkeren Weise einzuwirken, als es ihr Marktanteil auf diesem Markt grundsätzlich zuließe. Auch der BGH hat bei der Prüfung überlegener Marktmacht darauf abgestellt, dass die überragenden finanziellen Ressourcen eines in einen großen internationalen Handelskonzern eingebundenen Unternehmens dieses in die Lage versetzt, eine Verlustpreisstrategie für einzelne Produkte über einen längeren Zeitraum durchzustehen (vgl. BGH NJW 2003, 1736, 1737 – Wal-Mart). Das könnte allerdings ausgeschlossen sein, wenn die Klägerin über den langfristig gesicherten höheren Marktanteil verfügt (vgl. dazu erneut Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 135 m.w.N.). Außerdem könnten die Verhaltensspielräume der Beklagten dadurch begrenzt sein, dass auch die Klägerin, nicht zuletzt durch ihre Einbindung in den D.-Konzern, über ganz erhebliche finanzielle Ressourcen verfügt. Letztlich kann all dies aber dahinstehen.

2. Es liegt jedenfalls keine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagten vor.

Die Parteien gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, dass die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB hier nicht vorliegen (dazu a)). Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB liegen hier mangels Verdrängungsabsicht bzw. Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb ebenfalls nicht vor (dazu b)). Schließlich sind die Voraussetzungen der Generalklausel für die Fallgruppe des Anbietens von Lebensmitteln unter Herstellungskosten auch nicht aufgrund der Wertungen des Regelbeispiels zu modifizieren (dazu c)).

a) Das Regelbeispiel des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB greift hier mangels Vorliegen eines „Einstandspreises“ nicht.

Durch den Begriff des „Einstandspreises“, der in § 20 Abs. 3 S. 3 GWB legaldefiniert wird, ist das strenge Verbot des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB praktisch auf den Handel mit fremdbezogenen Waren und Dienstleistungen begrenzt und gilt nicht für selbst hergestellte Waren oder erbrachte Dienstleistungen (vgl. Bosch, in: Bechtold/Bosch, 11. Aufl. 2025, § 20 GWB Rn. 34 f.; Markert, in: Immenga/ Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 219). Das gilt auch für vertikal integrierte Unternehmen, bei denen zwar ein Preis an ein konzernzugehöriges Unternehmen zu zahlen ist, sich aber ein „Einstandspreis“ nicht anhand objektiver Kriterien ermitteln lässt (vgl. Westermann, in MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 96). Danach fehlt es auch bei dem hier vorliegenden Bezug der Kaffeeprodukte der Beklagten von der konzernzugehörigen J. an einem „Einstandspreis“.

b) Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB liegen nicht vor.

aa) Zur Beurteilung, ob die Ausnutzung einer überlegenen Marktmacht kleinere oder mittlere Wettbewerber unbillig behindert, ist eine Interessenabwägung unter Berück-sichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes vorzunehmen (BGH NJW 1995, 2293, 2294 – Hitlisten-Platten; auch zum Folgenden). Wettbewerbsmaßnahmen von Unternehmen mit überlegener Markt-macht sind nicht schon deshalb als unbillige Behinderung kleiner oder mittlerer Wettbewerber anzusehen, weil sie dazu beitragen können, die Lage von kleinen oder mittleren Unternehmen im Wettbewerb zu verändern oder einzelne Wettbewerber oder Gruppen von Wettbewerbern zu verdrängen; denn dem wirksamen Wettbewerb ist eine solche Wirkung eigen. Eine unbillige Behinderung liegt danach nur vor, wenn in Verdrängungsabsicht gehandelt wird oder kleine oder mittlere Wettbewerber in ihren wettbewerblichen Betätigungsmöglichkeiten derart behindert werden, dass daraus die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb – einschließlich des Wettbewerbs durch kleine oder mittlere Unternehmen – erwächst.

Bei der Beurteilung von Unter-Kosten-Verkäufen anhand des § 20 Abs. 3 GWB ist davon auszugehen, dass es dem Unternehmer grundsätzlich freisteht, seine Preisgestaltung in eigener Verantwortung vorzunehmen (BGH NJW 1995, 2293, 2294 – Hitlisten-Platten; auch zum Folgenden). Dementsprechend sind auch Unter-Kosten-Verkäufe und die Werbung für diese grundsätzlich zulässig. Der Kaufmann muss nicht auf einen Stückgewinn ausgehen. Es ist vielmehr jedenfalls in Handelsbetrieben mit breitem Sortiment zulässig, auf die Werbewirkung eines Unter-Kosten-Angebots zu setzen, um mit dem Absatz des gesamten Angebots ein möglichst günstiges Betriebsergebnis zu erzielen. Die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb kann nicht schon dann angenommen werden, wenn Unter-Kosten-Angebote nicht nur gelegentlich, sondern systematisch im Wettbewerb eingesetzt werden. Dies gilt schon deshalb, weil mit der Feststellung eines systematischen Vorgehens noch nichts über den Umfang und die Marktbedeutung der Maßnahmen ausgesagt ist.

bb) Nach diesen Maßstäben ist hier weder eine Verdrängungsabsicht der Beklagten, noch eine Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte festzustellen.

(1) Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass nach den zutreffenden Ausführungen des BGH grundsätzlich nichts gegen das im Lebensmitteleinzelhandel verbreitet vorzu-findende und auch hier von den Beklagten eingesetzte Konzept einer Mischkalku-lation einzuwenden ist. Bei diesem Ansatz zielt der Kaufmann nicht darauf ab, mit jedem einzelnen Produkt seines Sortiments einen größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Vielmehr setzt er die Werbewirkung von verlustbringenden Angebotspreisen für einzelne Produkte ein, um die Kunden dazu zu veranlassen, den Einkauf eines größeren Warenbündels bei ihm vorzunehmen. Da die Verbraucher ein „One-stop-shopping“ bevorzugen, ist es nachvollziehbar, dass ein solches Konzept dem Lebensmitteleinzelhändler ein besseres Betriebsergebnis verspricht und deshalb betriebswirtschaftlich vernünftig ist (vgl. dazu auch Monopolkommission, Sondergutachten „Preiskontrollen in Energiewirtschaft und Handel? Zur Novellierung des GWB“, 2007, Rn. 57; zuletzt abgerufen am 06.01.2025 unter https://www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s47_volltext.pdf; im Folgenden: Monopolkommission, 2007).

Auf dieser Grundlage hat der BGH ebenfalls zutreffend ausgeführt, dass auch der systematische Einsatz dieser Strategie diese noch nicht unzulässig macht.

(2) Eine Verdrängungsabsicht der Beklagten gegenüber kleinen und mittleren Wett-bewerbern auf dem Markt für Kaffeeprodukte kann hier nicht festgestellt werden, da ihre Strategie gerade den dauerhaften, nachvollziehbaren Zweck der Förderung des eigenen Absatzes im Rahmen einer Mischkalkulation verfolgt und ihre Preisgestaltung deshalb auf einer kaufmännisch vertretbaren Kalkulation beruht. Es ist gerade nicht ersichtlich, dass die Beklagten eine kaufmännisch eigentlich unvertretbare, nur kurz- bis mittelfristig durchzuhaltende Strategie einsetzen, mit der sie zeitweise Verluste in Kauf nehmen – was sie durch ihre Finanzkraft aushalten könnten –, um kleine und mittlere Wettbewerber von dem Markt für Kaffeeprodukte zu verdrängen und anschließend die Preise anheben zu können.

Eine solche Strategie verspräche auch keinen Erfolg. Denn zum einen bestehen Preiserhöhungsspielräume nur dann, wenn es auf einem Markt erhebliche Marktzutrittsbarrieren gibt (vgl. Monopolkommission, 2007, Rn. 58). Davon ist bei dem Markt für Kaffeeprodukte nicht auszugehen. Die Ausführungen der Klägerin zur Preisgestaltung im Markt für Kaffeeprodukte zeigen anschaulich, dass der mit Abstand größte Kostenfaktor der Einkauf des Rohkaffees ist und der Aufwand zur Röstung des Kaffees finanziell überschaubar ist. Deshalb ist von einer hohen Wirksamkeit potentiellen Wettbewerbs auf dem Markt für Kaffeeprodukte auszu-gehen, die einem Preiserhöhungsspielraum der Beklagten entgegensteht. Zum anderen findet der Preiswettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel primär zwischen den großen Unternehmen aus der Spitzengruppe statt (vgl. Monopolkommission, 2007, Rn. 59). Auch deshalb ließe eine Verdrängung kleiner und mittelständischer Wettbewerber auf dem Markt für Kaffeeprodukte nicht das Entstehen von Preiserhöhungsspielräumen für die Beklagten erwarten.

(3) Es ist auch keine Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte festzustellen.

Zum einen sind Intensität und Häufigkeit der Maßnahmen der Beklagten begrenzt.

Zwar ist der Grad der Unterschreitung der Herstellungskosten teilweise durchaus hoch, wie die Berechnungen der Klägerin – auch unter Berücksichtigung der mit diesen verbundenen Unsicherheiten und der Einwendungen der Beklagten – zeigen und wie indiziell auch schon dadurch deutlich wird, dass die Beklagten mit Reduktionen von bis zu 50 % auf die regulären Preise werben. Dem steht allerdings gegenüber, dass die Häufigkeit der Angebotswochen und der Umfang der jeweils betroffenen Produkte überschaubar sind. Obwohl sich der Antrag der Klägerin nur auf die drei Angebotswochen ab dem 11.12.2023, 18.12.2023 und 12.02.2024 bezieht, gehören auch die nachfolgenden Angebotswochen zum Streitstoff, soweit sie Rückschlüsse auf die Strategie der Beklagten und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb zulassen. Im Jahr 2024 waren insgesamt 7 von 52 Kalenderwochen von den Angeboten der Beklagten betroffen. Das entspricht einem Anteil von ca. 13,5 % bzw. durchschnittlich einer Angebotswoche alle ca. 7,5 Wochen. Von den Angeboten war jeweils nur ein kleiner Ausschnitt des insgesamt 25 Sorten umfassenden Kaffee-Sortiments der Beklagten betroffen, nämlich jeweils zwei bis fünf wechselnde Produkte. Wie die Übersicht der Klägerin über die Wiederholungen der betroffenen Produkte zeigt (Anlage K 59, S. 10), war im Jahr 2024 kein Produkt von mehr als drei Angebotswochen betroffen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es fernliegend, dass ein nennenswerter Anteil der Verbraucher seinen Kaffeebedarf alleine durch Nutzung der Angebotswochen der Beklagten zu decken vermag. Dies auch deshalb, weil die Anzahl und Staffelung der Angebotswochen für die Verbraucher nicht vorherzusehen sind. Das spricht dagegen, dass das Vorgehen der Beklagten die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte gefährdet.

Zum anderen fehlt es an einer solchen Gefahr hier aber selbst dann, wenn man im Hinblick auf Häufigkeit und Intensität der Maßnahmen der Beklagten eine Veränderung der Strukturen auf dem Markt für Kaffeeprodukte dahingehend für möglich hält, dass Fachhändler erhebliche Marktanteile gegenüber den Beklagten einbüßen könnten. Denn in einem auf die grundsätzliche Freiheit des Wettbewerbes ausgerichteten System kann nicht die Aufrechterhaltung einer bestimmten Marktstruktur verlangt werden, die zu einem gewissen Zeitpunkt vorgefunden wird. Das ist auch mit der Wendung der „Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb“ nicht gemeint. Selbst wenn dauerhaft kein Mitbewerber mit den Preisen der Beklagten für Kaffeeprodukte mithalten könnte, wären die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf diesem Markt nicht gefährdet, weil den Mitbewerbern die Möglichkeit bleibt, sich etwa durch ein differenziertes Sortiment, besondere Qualität oder Beratung hervorzuheben. Das unterscheidet den vorliegenden Fall von dem Unter-Kosten-Verkauf von standardisierten Lebensmitteln wie Zucker oder Milch, bei denen neben dem Preis keine solchen Möglichkeiten zur Differenzierung bestehen.

c) Schließlich sind die Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB für die Fallgruppe des Anbietens von Lebensmitteln unter Herstellungskosten auch nicht aufgrund der Wertungen des Regelbeispiels des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB zu modifizieren.

Mit dem Regelbeispiel hat der Gesetzgeber an das Angebot von Lebensmitteln unter Einstandspreis durch ein marktmächtiges Unternehmen die (unwiderlegliche) Vermutung geknüpft, dass dieses damit eine Strategie zu Lasten der geschützten Gruppe von kleinen und mittleren Wettbewerbern unter Einsatz seiner überlegenen Marktmacht betreibt (vgl. BGH NJW 2003, 1736, 1738 – Wal-Mart). Nach Auffassung der Klägerin muss die dahinterstehende Wertung des Gesetzgebers auch bei der Anwendung der Generalklausel berücksichtigt werden. Es wäre dann Raum dafür, in ähnlich gelagerten Fallgruppen wie womöglich dem Angebot von Lebensmitteln unter Herstellungskosten die Anforderungen der Generalklausel abzusenken.

Richtig ist jedoch, dass das Gesetz nur für Angebote unter Einstandspreis eine Vermutung der Unbilligkeit enthält und für andere Niedrigpreisstrategien an den anerkannten Voraussetzungen der Generalklausel festzuhalten ist (so auch Westermann, in MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 93). Es entzieht sich der gerichtlichen Bewertung, welche – auch politischen – Erwägungen den Gesetzgeber im Einzelnen dazu bewogen haben, einerseits das sehr strenge Verbot des Angebots unter Einstandspreis zu schaffen und dieses andererseits nicht auf Angebote produzierender Unternehmen unter Herstellungskosten zu erstrecken. Weitergehende Regelungsvorschläge lagen ihm vor (vgl. dazu Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 219 mit Nachweisen) und sind auch seither unterbreitet, aber bisher nicht umgesetzt, worden. Der „Kontrast zwischen der Aktivität des Gesetzgebers im Bereich der Regelbeispiele und seiner Passivität bezüglich der Generalklausel“ (Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 154) spricht dafür, dass über den Anwendungsbereich des Regelbeispiels hinaus eine bewusste Nichtregelung durch den Gesetzgeber vorliegt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es auch normativ jedenfalls nicht zwingend, die Fallgruppen der Angebote von Lebensmitteln unter Einstandspreis sowie unter Herstellungskosten gleich zu behandeln. Die vom Gesetzgeber mit dem Regelbeispiel in den Blick genommenen Händler kaufen Waren lediglich zu einem bestimmten Einstandspreis ein und verkaufen diese sodann zu einem bestimmten Verkaufspreis wieder. Eine Unterschreitung des Einstandspreises mag dabei für den Gesetzgeber bereits den starken Verdacht missbräuchlichen Verhaltens begründen. Demgegenüber sind die Hersteller von Waren an einer grundsätzlich komplexen Wertschöpfung beteiligt. Das mag es für den Gesetzgeber rechtfertigen, hinsichtlich ihrer Preisgestaltung eine größere Zurückhaltung an den Tag zu legen.

Nun wendet die Klägerin einerseits ein, dass die Wertschöpfung bei der Verarbeitung von Rohkaffee gerade nicht besonders komplex sei, und andererseits, dass die zunehmende vertikale Integration des Lebensmitteleinzelhandels in den letzten Jahren eine neue Bewertung dieser Zusammenhänge erfordern könnte. Das sind jedoch politische Forderungen, die an den Gesetzgeber zu richten wären. Ob und ggf. wie die von ihm bisher gegen (bloße) Lebensmittelhändler gerichtete Missbrauchsvermutung auch auf vertikal integrierte Händler, womöglich beschränkt auf zu definierende „wenig komplexe“ Produkte, ausgeweitet werden sollte, kann nur Gegenstand einer ergebnis-offenen, politischen Diskussion sein.

Auf dieser Grundlage kann auch aus der Verwendung der Regelbeispielstechnik durch den Gesetzgeber nichts Anderes abgeleitet werden. Zwar ist der Klägerin methodisch Recht zu geben, dass der Gesetzgeber mit der Verwendung eines Regelbeispiels regelmäßig zum Ausdruck bringt, die Voraussetzungen der Generalklausel seien in dem Regelbeispiel erfüllt. Dann wäre es folgerichtig, dass die Wertungen des Regelbeispiels auch auf die Generalklausel „zurückwirken“ können. Die Regelung des § 20 Abs. 3 GWB ist jedoch atypisch: Im Kern handelt es sich bei § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB um einen eigenständigen Verbotstatbestand, der lediglich rechtstechnisch als Regelbeispiel ausgestaltet wurde (Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 152). Das zeigt sich alleine daran, dass nach der Vorschrift bereits eine einmalige, wenig gewichtige Unterschreitung des Einstandspreises eines Lebensmittels etwa im Rahmen einer Werbeaktion zur Produkteinführung untersagt ist, bei der ein Zusammenhang mit der Ausnutzung überlegener Marktmacht sowie eine Verdrängungsabsicht bzw. Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb an sich nicht vorliegt.

Man mag es für dogmatisch unstimmig halten, dass diese einschränkenden Merkmale nach diesem Verständnis bei der Generalklausel Geltung beanspruchen, aber bei dem Regelbeispiel nicht (vgl. Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 152). Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts, diese Unstimmigkeit durch Auslegung zu beseitigen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber sie bewusst geschaffen hat. So liegt es hier.

Eine analoge Anwendung des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB scheidet nach alledem ebenfalls aus, da es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, aber auch die Vergleichbarkeit der Interessenlagen zweifelhaft erscheint.

II. Der Klägerin steht gegen die Beklagten auch aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. § 3 Abs. 1 UWG kein Unterlassungsanspruch zu.

Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 UWG kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer eine nach § 3 UWG oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt. Gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG stehen die Ansprüche jedem Mitbewerber zu, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Gemäß § 3 Abs. 1 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig.

Es kann dahinstehen, ob im Rahmen der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG an der Fallgruppe der allgemeinen Marktbehinderung festzuhalten ist. Dem ist entgegen-zuhalten, dass eine solche Fallgruppe erstens in jüngerer Zeit keinen praktischen Anwendungsbereich mehr erkennen lässt, zweitens in ihren inhaltlichen Kriterien ausgesprochen vage ist und drittens Gefahr läuft, mit spezialgesetzlichen Rege-lungen in Konflikt zu geraten (vgl. zum Ganzen Köhler/Alexander, in: Köhler/ Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 4 Rn. 5.1 ff.). Insbesondere dürfen die Wertungen der speziellen Tatbestände der §§ 19 ff. GWB nicht unterlaufen werden.

Jedenfalls liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 UWG – auch unter Berück-sichtigung dieser Gesichtspunkte – hier nicht vor. Der BGH hat einen Fall der allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Preisunterbietung angenommen, wenn die Preisunterbietung sachlich nicht gerecht-fertigt ist und dazu führen kann, dass Mitbewerber vom Markt verdrängt werden und der Wettbewerb dadurch auf diesem Markt völlig oder nahezu aufgehoben wird (BGH GRUR 2009, 416 – Küchentiefstpreis-Garantie). Es kann auf die Ausführungen zu den vergleichbaren Maßstäben des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB verwiesen werden (unter I. 2. b)). Es wäre widersprüchlich und systemwidrig, eine unbillige Behinderung i.S.d. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB zu verneinen, aber für das gleiche Verhalten jedoch eine unlautere geschäftliche Handlung in Form einer allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG anzunehmen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Düsseldorf: Preisanpassungsklausel für Amazon-Prime-Abo in Amazon-AGB wegen unangemessener Benachteiligung und fehlender Transparenz unwirksam

LG Düsseldorf
Urteil vom 15.01.2025
12 O 293/22


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass die Preisanpassungsklausel für das Amazon-Prime-Abo in den Amazon-AGB wegen unangemessener Benachteiligung und fehlender Transparenz unwirksam ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Bei der streitgegenständlichen Klausel 5.2 handelt es sich um eine Preisanpassungsklausel in Form einer Leistungsvorbehaltsklausel, die grundsätzlich einer AGB-Kontrolle unterfällt.

Preisanpassungsklauseln in AGB, welche es der AGB-Verwenderin gestatten, den zunächst vereinbarten Preis über eine wie auch immer geartete Klausel einseitig zu ändern, ergänzen das dispositive Recht, welches grundsätzlich von einer bindenden Preisvereinbarung der Parteien ausgeht; sie fallen daher nicht in den kontrollfreien Raum von § 307 Abs. 3 BGB, sondern sind – wie allgemein anerkannt – an § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu messen (vgl. Graf von Westphalen/Mock, in Westphalen, Graf von/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Werkstand: 48. EL März 2022, Preisanpassungsklauseln, Rn. 22, Fn. 78 und 79 m.w.N.). Bei der hier zu beurteilenden Regelung handelt es sich um eine Preisanpassungsklausel in der Form einer Leistungsvorbehaltsklausel im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 PrKG. Anders als bei einer Kostenelementeklausel (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 PrKG) erfolgt eine Preisänderung bei einer Leistungsvorbehaltsklausel nicht aufgrund feststehender rechnerischer Bezugsgrößen, sondern der Verwenderin wird hinsichtlich des Ausmaßes der Preisänderung ein Ermessensspielraum eröffnet, der es ermöglicht, die neue Höhe der Geldschuld nach Billigkeitsgrundsätzen zu bestimmen. Da derartige Klauseln der Verwenderin einen einseitigen Eingriff in den ausgehandelten Vertrag ermöglichen, sind sie gemessen an § 307 Abs. 1 BGB nur dann zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse der Verwenderin hieran besteht und sowohl Anlass, Voraussetzungen als auch Umfang des Leistungsbestimmungsrechts so hinreichend konkretisiert sind, dass der Kunde eine Entgeltänderung vorhersehen kann (vgl. BGH, Urt. v. 09.05.2012 − XII ZR 79/10 –, NJW 2012, 2187, Rn. 20, 21; Urteil vom 31.07.2013 – VIII ZR 162/09 –, BGHZ 198, 111, Rn. 59; BGH, Urteil vom 20.07.2005 – VIII ZR 121/04 –, BGHZ 164, 11, Rn. 39,).

(2) Die Treu und Glauben widersprechende unangemessene Benachteiligung der Vertragspartner der Beklagten (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) ergibt sich hier aus dem mangelnden berechtigten Interesse der Beklagten an einer Preisanpassungsklausel.

Zwar ist bei einer AGB-Verwenderin in Dauerschuldverhältnissen grundsätzlich ein berechtigtes Interesse, eine Preisanpassung an geänderte Kosten vorzunehmen, zu bejahen. Preisanpassungsklauseln sind ein geeignetes und anerkanntes Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung bei langfristigen Lieferverträgen. Sie dienen dazu, einerseits der Verwenderin das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihre Gewinnspanne trotz nachträglicher, sie belastender Kostensteigerungen zu sichern, und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass die Verwenderin mögliche künftige Kostenerhöhungen vorsorglich schon bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.2017 – III ZR 247/06 –, BGH NJW 2008, 360, juris Rn. 10).

Hier allerdings ist der Beklagten durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein Kündigungsrecht innerhalb von 14 Tagen eingeräumt. Es handelt sich also zwar weiterhin um einen auf Dauer angelegten Vertrag. Gleichwohl ist das Vertragsverhältnis von der Beklagten – wie auch im Bereich der Streaming-Dienste üblich – mit der Möglichkeit der kurzfristigen Vertragsbeendigung ausgestaltet worden. Die Beklagte muss demnach stets auf der Grundlage kurzfristig schwankender Nutzerzahlen kalkulieren (KG Berlin, GRUR-RS 2023, 33453 zu der Plattform Spotify). Es ist nicht ersichtlich, dass sie ohne die Einräumung einer Preisanpassungsklausel gezwungen wäre, von vornherein höhere Preise zu kalkulieren, von dem Risiko, sich im Rahmen einer Änderungskündigung mit einem neuen Angebot dem Wettbewerb stellen zu müssen, darf die Beklagte sich nicht auf Kosten ihrer Vertragspartner befreien (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.2007 – III ZR 247/06; BGH, Urteil vom 11.10.2007 – III ZR 63/07 –, juris Rn. 24).

Das Kündigungsrecht kann nicht entsprechend den Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 11.06.1980 – VIII ZR 174/79 – unberücksichtigt bleiben. Dort hat der BGH zwar in der Vergangenheit für die Preiserhöhungsklausel bei einem Zeitschriftenabonnement in einem obiter dictum ausgeführt, die Änderungskündigung sei einem Lieferanten deswegen nicht zuzumuten, weil sie bei Massengeschäften der vorliegenden Art mit einem übermäßigen, zusätzliche Kosten verursachenden Geschäftsaufwand verbunden wäre. Es sei auch fraglich, ob ein solcher Weg im Interesse des Kunden liege, der in aller Regel seine Zeitschrift weiter beziehen möchte, solange der Preis noch angemessen sei (vgl. BGH, Urteil vom 11.06.1980 – VIII ZR 174/79 –, NJW 1980, 2518, juris Rn. 25). Die vom BGH entschiedene Konstellation ist zur hiesigen aber nicht vergleichbar. Bei einem Zeitschriftenabonnement im 20. Jahrhundert war die Aufforderung zu der Zustimmung zu einer Preiserhöhung und eine etwaige Kündigung mit erheblichem Aufwand verbunden. Regelmäßig dürfte hierfür zunächst ein postalisch zu versendender Brief der Unternehmerin erforderlich sein, um die Preiserhöhung anzukündigen. Sodann musste der Verbraucher entweder schriftlich zustimmen oder die Unternehmerin bei mangelnder Zustimmung kündigen. Dies ging mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand einher. Im Falle der hiesigen Beklagten kann derlei Kommunikation ohne weiteres per E-Mail erfolgen, ohne dass hierfür ein erheblicher Aufwand erkennbar wäre. Auch die Erklärung einer Kündigung lässt sich für die Beklagte in viel weitreichenderem Umfang automatisieren als dies früher der Fall war (KG Berlin, GRUR-RS 2023, 33453 zu der Plattform Spotify).

(3) Der Einwand der Beklagten, eine unangemessene Benachteiligung scheide deshalb aus, weil es sich hier insoweit nicht um eine einseitige Preisanpassungsklausel handele, sondern die Zustimmung des Vertragspartners entsprechend der Vorschrift des § 308 Nr. 5 BGB fingiert werde, greift nicht durch.

Nach § 308 Nr. 5 BGB ist eine Bestimmung, wonach eine Erklärung des Vertragspartners des Verwenders als abgegeben gilt, unwirksam, es sei denn die weiteren Voraussetzungen des § 308 Nr. 5 a) und b) (angemessene Frist und Hinweispflicht) werden eingehalten. Soweit eine AGB-Klausel der Kontrolle nach § 308 BGB standhält, gibt es daneben keinen Raum mehr für die Anwendung des § 307 BGB (Wurmnest in MüKo, BGB, 9. Auflage 2022, § 308 Nr. 4).

Allerdings greift der Kläger hier nicht die Klausel 5.3, die die Zustimmungsfiktion beinhaltet, an, sondern die Klausel 5.2., welche der Beklagten eine grundsätzliche Berechtigung zur Preisanpassung einräumt. An der grundsätzlichen Berechtigung zur Preisanpassung, geregelt in Klausel 5.2, fehlt es der Beklagten mangels berechtigtem Interesse unabhängig davon, ob sie die nachfolgende Zustimmungsfiktion konform zu § 308 BGB geregelt hat. Die Einräumung eines Rechts zur Preisanpassung (Klausel 5.2) und der Abwicklungsweg einer solchen Anpassung (Klausel 5.3) unterliegen unabhängig voneinander einer AGB-Kontrolle und sind in ihrer Wirksamkeit gesondert zu überprüfen.

bb) Die beanstandete Klausel 5.2 verstößt ebenfalls gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, indem sie nicht hinreichend klar und verständlich ausgestaltet ist.

Eine Preisanpassungsklausel muss den Anlass und den Modus der die Entgeltänderung prägenden Umstände so transparent darstellen, dass die Kunden die etwaigen Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien vorhersehen können (BGH, NJW 2016, 936 – Stromlieferungsvertrag). Dies verlangt der Beklagten eine so genaue Beschreibung der tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen ab, dass für sie keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Dazu gehört auch, dass ihre Preisanpassungsregelungen wirtschaftliche Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies – bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses – nach den Umständen, insbesondere auch nach den Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Kunden, gefordert werden kann (BGHZ 200, 362 = NJW 2014, 2269; BGHZ 201, 271 = NJW 2014, 2940, jew. mwN). Denn nur dann wird der Kunde in die Lage versetzt, ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte zu erkennen sowie eine geltend gemachte Preisanpassung nachzuvollziehen und zumindest auf Plausibilität zu überprüfen (vgl. BGH, NJW 2007, 3632 = NZM 2007, 879 Rn. 31; NVwZ-RR 2013, 807 = VersR 2013, 888 Rn. 45). Die aus dem Transparenzgebot folgende Verpflichtung des Verwenders zur klaren und verständlichen Formulierung des Klauselinhalts besteht anerkanntermaßen aber nur im Rahmen des Möglichen (BGHZ 162, 39 [45] = NJW 2005, 1183; NJW-RR 2011, 1618 mwN) und beschränkt sich auf diejenigen Angaben, die dem Verwender rechtlich und tatsächlich zumutbar sind (BGHZ 164, 11 [16] = NJW-RR 2005, 1496; BGHZ 170, 1 = NJW 2007, 1198 Rn. 41). Dementsprechend brauchen die notwendig generalisierenden Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht einen solchen Grad an Konkretisierung anzunehmen, dass alle Eventualitäten erfasst sind und im Einzelfall keinerlei Zweifelsfragen auftreten können. Vielmehr müssen Allgemeine Geschäftsbedingungen auch noch ausreichend flexibel bleiben, um künftigen Entwicklungen und besonderen Fallgestaltungen Rechnung tragen zu können, ohne dass von ihnen ein unangemessener Benachteiligungseffekt ausgeht. Die Anforderungen an die mögliche Konkretisierung dürfen deshalb nicht überspannt werden; sie hängen auch von der Komplexität des Sachverhalts unter den spezifischen Gegebenheiten des Regelungsgegenstands ab (BGH, NJW-RR 2011, 1618; Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl., § 307 Rn. 342).

Gemessen an hieran genügt die streitgegenständliche Klausel den vorgenannten Anforderungen nicht.

Für den durchschnittlich verständigen und informierten Verbraucher ist das in der betreffenden Klausel genannte Kriterium „generelle und wesentliche Kostenänderungen aufgrund von Inflation oder Deflation“ nicht tauglich, um etwaige Anhebungen vorherzusehen bzw. ergangene Preisanpassungen auf Plausibilität überprüfen zu können. Bei der Inflation handelt es sich gerade nicht um eine feste, von dritter Seite bestimmte Größe wie beispielsweise den Basiszinssatz, bei welchem der Verbraucher unter Umständen an Hand einer bestimmten Entwicklung in der Vergangenheit die möglichen Preisanpassungen in der Zukunft abschätzen könnte. Ferner ist hier der Zuschnitt der über das Prime-Angebot erbrachten Dienstleistungen zu betrachten. Es handelt sich um ein weit diversifiziertes Angebot an verschiedenen Leistungen, die vom kostenfreien und schnelleren Versand bis hin zu Streaming-Angeboten reichen. Eine Plausibilitätsprüfung der Preisanpassung an Hand des Kriteriums „wesentliche Kostensteigerung durch Inflation“ ist dem Verbraucher durch die Kopplung der unterschiedlichsten Marktsegmente schlicht unmöglich. Neben den weiteren in der Klausel aufgeführten und durchaus nachprüfbaren Kriterien – beispielsweise Lohnerhöhungen oder gestiegene Produktionskosten – eröffnet das Kriterium der Kostensteigerung durch Inflation ein gleichsam unüberprüfbares Einfallstor für jedwede von Unternehmensseite gewünschte Preiserhöhung. Genau dies soll aber auch unter Berücksichtigung des Flexibilitätserfordernisses des Verwenders vermieden werden.

Dadurch, dass die Beklagte in ihrer Klausel einige durchaus auf Plausibilität nachprüfbare konkrete Kriterien benennt, zeigt sie, dass ihr eine transparente Gestaltung der Preisanpassungsklausel möglich und zumutbar ist.

Durch die Verwendung eines derart intransparenten Kriteriums hat sich die Beklagte unkontrollierbare Spielräume zur Preiserhöhung eingeräumt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie den Anpassungsmechanismus dazu missbraucht, den Preis im Nachhinein (einseitig) zu ihren Gunsten zu verschieben., beispielsweise indem sie einen höheren Betrag als die (vermeintlichen) Mehrkosten auf den Kunden abwälzt. Etwaige Kontrollmechanismen sind ausgehebelt und das vorgeblich ausgeglichene Verhältnis zwischen Beklagter und Verbraucher besteht faktisch nicht mehr. Mithin ist ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu bejahen.


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LG Düsseldorf: Bei der Werbung mit einer Preisermäßigung ist der niedrigste Preis der letzten 30 Tage als Vergleichspreis maßgeblich - Aldi Süd Preis-Highlight

LG Düsseldorf
Beschluss vom 31.10.2024
38 O 182/22


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass bei der Werbung mit einer Preisermäßigung der niedrigste Preis der letzten 30 Tage als Vergleichspreis maßgeblich ist. Damit setzt das Gericht die EuGH-Rechtsprechung um (siehe dazu EuGH. Urteil vom 26.09.2024 - C-330/23).

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die Bewerbung von Bananen und Ananas verstößt jeweils gegen § 11 Abs. 1 PAngV.

a) § 11 Abs. 1 PAngV schreibt (in Umsetzung von Art. 6a Abs. 1 und Abs. 2 PreisangabenRL) vor, dass derjenige, der zur Angabe eines Gesamtpreises verpflichtet ist, gegenüber Verbrauchern bei jeder Bekanntgabe einer Preisermäßigung für eine Ware den niedrigsten Gesamtpreis anzugeben hat, den er innerhalb der letzten 30 Tage vor der Anwendung der Preisermäßigung gegenüber Verbrauchern angewendet hat.

b) Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Regelung erfüllt sind, beurteilt sich wie auch sonst bei Vorschriften, die (auch) eine Täuschung von Verbrauchern verhindern sollen, nach den gefestigten, ursprünglich zum Verbraucherschutzrecht entwickelten Grundsätzen, und damit nach der mutmaßlichen Erwartung eines normal informierten, verständigen und angemessen aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juni 2018 – C-44/17, Scotch Whisky Association/Michael Klotz [Rn. 45, 47]; Urteil vom 21. Januar 2016 – C-75/15, Viiniverla Oy/Sosiaali – ja terveysalan lupa – ja valvontavirasto [Rn. 22 und 25]; Urteil vom 28. Januar 1999 – C-303/97, Verbraucherschutzverein eV ./. Sektkellerei G.C. Kessler GmbH & Co. KG [Rn. 36]; Urteil vom 16. Juli 1998 – Rs. C-210/96, Gut Springenheide GmbH und Rudolf Tusky ./. Oberkreisdirektor des Kreises Steinfurt [Rn. 31 und 37]). Diese, bereits bei der Anwendung anderer Vorschriften der PreisangabenRL zugrunde gelegte (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 2016 – C-476/14, Citroën Commerce GmbH/Zentralvereinigung des Kraftfahrzeuggewerbes zur Aufrechterhaltung lauteren Wettbewerbs e. V. [Rn. 30]), auf die Verbraucherwahrnehmung abstellende Sichtweise steht im Einklang mit dem allgemein von der PreisangabenRL verfolgten Ziel, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen, was verlangt, dass Informationen über die Preise und die Methoden zur Berechnung bekannt gegebener Ermäßigung eindeutig sind (vgl. EuGH, Urteil vom 26. September 2024 – C-330/23, Verbraucherzentrale Baden-Württemberg eV ./. Aldi Süd Dienstleistungs SE & Co. OHG [Rn. 23 f.]).

c) Die Bewerbung der Bananen und der Ananas fällt in den Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 PAngV. Da es sich um Preiswerbung handelt, mussten in ihr gemäß § 3 Abs. 1 PAngV Gesamtpreise angegeben werden.

d) Die in dem Prospekt enthaltene Bewerbung der Bananen und der Ananas hat die Pflicht zur Angabe des niedrigsten für diese Artikel innerhalb der letzten 30 Tage vor dem 17. Oktober 2022 geforderten Preise ausgelöst. Für beide Artikel wird in der Werbung nach der Wahrnehmung des Verbrauchers eine Preisermäßigung bekanntgegeben. Das folgt bereits aus der Überschrift der Prospektseite, in der von einer Reduzierung der Preise für die sechs auf ihr vorgestellten Erzeugnisse die Rede ist. Davon unabhängig ergibt es sich für beide Produkte aus der Gegenüberstellung eines höheren durchgestrichenen – und auf diese Weise als nicht (mehr) gültig gekennzeichneten – Preises mit einem niedrigeren Preis. Für die Bananen kommt noch hinzu, dass eine negative Prozentzahl genannt wird, die vom Verkehr als Ermäßigungsfaktor wahrgenommen wird.

e) Der Verpflichtung zur Angabe des niedrigsten Preises der letzten 30 Tage ist in der Werbung nicht (vollständig) entsprochen worden. Zwar wird sowohl für die Bananen als auch für die Ananas jeweils der niedrigste Preis der letzten 30 Tage genannt. Gleichwohl ist die Werbung nicht regelkonform gestaltet, weil sie weitere Elemente enthält, die auf die Vorteilhaftigkeit des Preises hinweisen, ohne dass diese Elemente auf den niedrigsten Preis der letzten 30 Tage bezogen sind.

aa) Wie der Gerichtshof auf die Vorlagefrage der Kammer entschieden hat, erschöpft sich der Regelungsgehalt von Art. 6a Abs. 1 und Abs. 2 PreisangabenRL nicht in der Verpflichtung, bei jeder Bekanntgabe einer Preisermäßigung den niedrigsten Preis der letzten 30 Tage anzugeben. Im Hinblick auf die von der PreisangabenRL allgemein und ihrem Art. 6a Abs. 1 und Abs. 2 im Besonderen verfolgten Ziele verlangt die Vorschrift darüber (und über ihren Wortlaut) hinaus, dass ein angegebener Ermäßigungsfaktor oder sonstige Werbeaussagen, mit denen die Ermäßigung bzw. die Vorteilhaftigkeit des abgesenkten Preises hervorgehoben werden soll, auf den niedrigsten Preis der letzten 30 Tage bezogen sein müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 26. September 2024 – C-330/23, Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e. V./Aldi Süd Dienstleistungs SE & Co. OHG [Rn. 24 ff.]).

bb) Das Ergebnis dieser Auslegung von Art. 6a Abs. 1 und Abs. 2 PreisangabenRL ist auf § 11 Abs. 1 PAngV zu übertragen. Den von der Beklagten insoweit erhobenen Bedenken kann jedenfalls deshalb nicht beigetreten werden, weil eine von den Vorgaben des Art. 6a Abs. 1 und Abs. 2 PreisangabenRL abweichende Auslegung von § 11 Abs. 1 PAngV gegen Unionsrecht verstieße.

Zwar finden selbst klare, genaue und unbedingte Bestimmungen einer Richtlinie, die dem Einzelnen Rechte gewähren oder Verpflichtungen auferlegen, als solche im Rahmen eines zwischen Privaten geführten Rechtsstreits keine Anwendung und können deshalb nicht angeführt werden, um die Anwendung einer Vorschrift des nationalen Rechts, die gegen die Richtlinie verstößt und nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden kann, auszuschließen (vgl. EuGH, Urteil vom 7. August 2018 – C-122/17, David Smith ./. Patrick Meade u.a. [Rn. 41 ff.]). Davon unberührt bleibt aber die Verpflichtung der mit der Auslegung des nationalen Rechts betrauten nationalen Gerichte, bei dessen Anwendung sämtliche nationalen Rechtsnormen zu berücksichtigen und die im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden anzuwenden, um – ggf. unter Aufgabe einer gefestigten nationalen Rechtsprechung – seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck einer einschlägigen Richtlinie des Unionsrechts auszurichten, damit das darin festgelegte Ergebnis erreicht und Art. 288 Abs. 3 AEUV nachgekommen wird (vgl. EuGH, Urteil vom 11. September 2019 – C-143/18, Antonio Romano u.a. ./. DSL Bank… [Rn. 37 ff.]; Urteil vom 7. August 2018 – C-122/17, David Smith ./. Patrick Meade u.a. [Rn. 36 ff.]). Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung unterliegt Grenzen lediglich dergestalt, dass die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts das Unionsrecht heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen findet und nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen darf (vgl. EuGH, Urteil vom 7. August 2018 – C-122/17, David Smith ./. Patrick Meade u.a. [Rn. 40]).

Einer richtlinienkonformen, einen Gleichklang mit Art. 6a Abs. 1 und Abs. 2 PreisangabenRL herstellenden Auslegung ist § 11 Abs. 1 PAngV zugänglich. Anders läge es nur, wenn die Vorschrift nach ihrem Wortlaut, der Systematik, dem Zweck und der Entstehungsgeschichte eindeutig einen bestimmten (abweichenden) Regelungsgehalt hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Lässt eine Norm im Rahmen des nach dem innerstaatlichen Recht methodisch Erlaubten unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten im Rahmen dessen zu, was der gesetzgeberischen Zweck- und Zielsetzung entspricht, ist eine richtlinienkonforme Auslegung zulässig. So aber liegt es hier. Nach Zweck und Entstehungsgeschichte der PAngV ist nicht zweifelhaft, dass dieses Regelwerk der Umsetzung der Vorgaben der PreisangabenRL dient. Mit dem Wortlaut von § 11 Abs. 1 PAngV ist eine Übernahme der Auslegung, wie sie der Gerichtshof für Art. 6a Abs. 1 und Abs. 2 PreisangabenRL vorgenommen hat, nicht schlechthin unvereinbar, und die PAngV dient letztlich denselben Zielen, die mit der PreisangabenRL verfolgt werden.

Offenbleiben kann, ob sich der Begründung des (deutschen) Verordnungsgebers positive Hinweise darauf entnehmen lassen, dass dessen Vorstellungen zu § 11a Abs. 1 PAngV bereits so weit reichten, wie die Vorgaben, die der Gerichtshof Art. 6a Abs. 1 und Abs. 2 PreisangabenRL entnommen hat (vgl. dazu Stillner, WRP 2023, 1293 [1295 f.]). Selbst wenn dem nicht so sein sollte oder sich die Begründung der Bundesregierung (BR Drs. 669/21) sogar gegenteilig verstehen ließe, stünde das einer richtlinienkonformen Auslegung von § 11 Abs. 1 PAngV nicht entgegen. Nach den anerkannten nationalen Auslegungsgrundsätzen können die Materialien bei der Auslegung von Normen nur unterstützend und insgesamt nur insofern herangezogen werden, als sie auf einen „objektiven“ Norminhalt schließen lassen, weshalb der sogenannte Wille des Normgebers oder der am Normgebungsverfahren Beteiligten bei der Interpretation nur insoweit berücksichtigt werden kann, als er auch im Text seinen Niederschlag gefunden hat; die Materialien dürfen nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der normgebenden Instanzen dem objektiven Norminhalt gleichzusetzen, so dass sich Erkenntnisse zum Willen des Normgebers nicht gegenüber widerstreitenden gewichtigen Befunden durchsetzen können, die aus der Anwendung der anderen Auslegungskriterien gewonnen werden (vgl. BVerwG Beschluss vom 20. Juni 2022 – 5 PB 14.21 [Rn. 5]).

cc) Danach entspricht die Bewerbung der Bananen nicht den Vorgaben des § 11 Abs. 1 PAngV.

Für dieses Obst wird in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit den in der Preiskachel enthaltenen Preisen ein negativer Prozentsatz genannt. Dieser Prozentsatz stellt sich nach der Wahrnehmung des Verbrauchers als Angabe des Rabattfaktors dar.

Mithin ist der Prozentsatz Teil der Werbeaussagen, mit denen die angekündigte Preisermäßigung beschrieben wird. Folglich hätte er auf den niedrigsten Preis der letzten 30 Tage bezogen sein müssen.

Letzteres ist nicht der Fall. Der Prozentsatz gibt nicht den Ermäßigungsfaktor im Vergleich zu dem niedrigsten Preis der letzten 30 Tage an, sondern denjenigen im Vergleich zu dem unmittelbar vor Eintritt der Preisermäßigung für die Bananen geforderten Preis.


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LG Düsseldorf: Wettbewerbsverstoß durch Werbung für Grana Padano unter Verwendung des vorschriebenen Gütesiegels mit falscher Beschriftung

LG Düsseldorf
Urteil vom 31.10.2024
38 O 58/24


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass ein Wettbewerbsverstoß durch Werbung für Grana Padano unter Verwendung des vorschriebenen Gütesiegels aber mit falscher Beschriftung vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die allgemeinen Voraussetzungen des von dem Kläger mit seinem Antrag I verfolgten, auf Wiederholungsgefahr gestützten wettbewerbsrechtlichen Verletzungsunterlassungsanspruchs aus §§ 8 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 Nr. 3, 3 Abs. 1 UWG sind erfüllt.

a) Der Kläger ist - wie unter I bereits angesprochen - gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG anspruchsberechtigt.

b) Den von ihm verfolgten Unterlassungsanspruch leitet der Kläger aus dem öffentlichen Zugänglichmachen der von ihm inhaltlich beanstandeten, aus Wort- und Bildelementen bestehenden Darstellung her, die im Tatbestand beschrieben ist. Dieses Geschehen - also die (physische) Verbreitung der diese Darstellung enthaltenden Prospekte ebenso wie die (elektronische) Verbreitung durch das Bereithalten entsprechender Darstellungen zum Abruf über das Internet - erfüllt die Merkmale einer geschäftlichen Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG, und zwar jedenfalls in der Form der Förderung fremden Wettbewerbs (nämlich dem der Verkäuferinnen der beworbenen Waren, also der das Filialgeschäft der Unternehmensgruppe ALDI SÜD abwickelnden Gesellschaften).

c) Wegen dieser Vorgänge kann die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Sie bzw. eine Person, deren Verhalten ihr entsprechend § 31 BGB oder gemäß § 8 Abs. 2 UWG zuzurechnen ist, hat das Zugänglichmachen der Darstellungen in der beanstandeten Form veranlasst oder jedenfalls entscheidend daran mitgewirkt.

d) Das geschäftliche Handeln ist gemäß § 3 Abs. 1 UWG unzulässig, soweit es unlauter ist. Letzteres ist der Fall, weil die Darstellung den bei ihrer Gestaltung zu beachtenden normativen Vorgaben zuwiderläuft (dazu nachfolgend 2) und die inhaltlichen Verstöße die Unlauterkeit des in dem öffentlichen Zugänglichmachen der Werbung liegenden geschäftlichen Handelns nach sich zieht (dazu unter 3).

e) Ein unzulässiges geschäftliches Handeln begründet die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Gefahr der Wiederholung entsprechender sowie kerngleicher Verstöße (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2024 - I ZR 147/22 - Eindrehpapier [unter B II 5 a]; Urteil vom 12. März 2020 - I ZR 126/18 - WarnWetter-App [unter B III 5 a]). Das gilt unabhängig davon, ob sich eine unlautere Handlung wirtschaftlich zum Nachteil des Unternehmers auswirkt. Für die Entstehung der Wiederholungsgefahr kommt es weder ein Verschulden des Unternehmers noch auf von ihm mit seinem Handeln verfolgte Ziele an. Deshalb räumt die Erkenntnis, mit einem beanstandeten Handeln nachteilige Folgen verursacht zu haben, die Wiederholungsgefahr nicht aus.

2. Die Bewerbung des Hartkäses entspricht nicht den bei ihrer Gestaltung zu beachtenden normativen Vorgaben.

a) Da der von dem Kläger geltend gemachte, auf Wiederholungsgefahr gestützte und in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch nur besteht, wenn das beanstandete Verhalten sowohl nach dem zum Zeitpunkt seiner Vornahme geltenden Recht wettbewerbswidrig war als auch nach dem zum Zeitpunkt der letzten, der Entscheidung über den Anspruch zugrundeliegenden mündlichen Verhandlung geltenden Recht wettbewerbswidrig ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. März 2023 - I ZR 17/22 - Aminosäurekapseln [unter C II 2 a]), sind bei der rechtlichen Prüfung des Verhaltens der Beklagten sowohl die bis zum 12. Mai 2024 (und damit zum Zeitpunkt der Vornahme der beanstandeten Handlung) geltende Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (Qualitätsregelungen-VO a.F.) als auch die seit dem 13. Mai 2024 (und damit im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung) geltende Verordnung (EU) 2024/1143 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. April 2024 über geografische Angaben für Wein, Spirituosen und landwirtschaftliche Erzeugnisse und über garantiert traditionelle Spezialitäten und fakultative Qualitätsangaben für landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1308/2013, (EU) 2019/787 und (EU) 2019/1753 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 (Qualitätsregelungen-VO) heranzuziehen.

b) Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. schrieb unter anderem vor, dass in Werbematerial zu Erzeugnissen aus der Union, die unter einer nach den Verfahren der Qualitätsregelungen-VO a.F. eingetragenen geschützten Ursprungsbezeichnung oder geschützten geografischen Angabe vermarktet werden, die für diese Angaben vorgesehenen Unionszeichen erscheinen müssen. Im inhaltlichen Gleichlauf dazu ordnet Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO an, dass im Fall von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die aus der Union stammen und unter einer geografischen Angabe vermarktet werden, das für die jeweilige Angabe vorgesehene Unionszeichen im entsprechenden Werbematerial erscheinen muss.

c) Der in dem von der Beklagten herausgegebenen Prospekt beworbene Hartkäse ist ein landwirtschaftliches Erzeugnis. Er wird als Grana Padano - und damit unter einer eingetragenen geschützten geografischen Angabe - vermarktet. Von daher musste in der Werbung nach altem wie neuem Recht das vorgesehene Unionszeichen erscheinen. Dabei handelt es sich um das rotgelbe Siegel mit der Aufschrift "geschützte Ursprungsbezeichnung" (vgl. Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang X Nr. 1 der Durchführungsverordnung [EU] Nr. 668/2014 der Kommission vom 13. Juni 2014 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung [EU] Nr. 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel).

d) Diesen Vorgaben genügt die Darstellung in dem Prospekt nicht. In ihr wird ein abweichendes Zeichen verwandt, das zwar in den Farben des für geschützte Ursprungsbezeichnungen vorgesehenen Siegels gehalten ist, aber den Text des für geschützte geografische Angaben vorgesehenen Siegels enthält.

3. Infolge des inhaltlichen Verstoßes der angegriffenen Darstellung gegen die der Qualitätsregelungen-VO a.F. und der aktuell geltenden Qualitätsregelungen-VO zu entnehmenden Vorgaben ist das öffentliche Zugänglichmachen dieser Darstellung gemäß §§ 5a Abs. 1 und Abs. 3, 5b Abs. 4 UWG unlauter. Die Beklagte hat dem Verbraucher in der Werbung eine unionsrechtlich geforderte wesentliche Informationen vorenthalten.

a) Einer Prüfung der Lauterkeit der inhaltlich gegen Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO verstoßenden Geschäftspraxis der Beklagten anhand von §§ 5a Abs. 1 bis Abs. 3, 5b Abs. 4 UWG stehen Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt (UGPRL) und die diese Regelung gleichlaufend in nationales Recht umsetzende Vorschrift des § 1 Abs. 2 UWG nicht entgegen.

aa) Ein die Anwendbarkeit der UGPRL ausschließender Kollisionsfall im Sinne von Art. 3 Abs. 4 UGPRL liegt regelmäßig nicht vor, wenn - was in Bezug auf die Qualitätsregelungen-VO, wie nachfolgend noch näher ausgeführt werden wird, der Fall ist - Art. 7 Abs. 5 UGPRL eingreift. Art. 7 Abs. 5 UGPRL bezieht über die Verweisung auf im sonstigen Gemeinschaftsrecht festgelegte, die kommerzielle Kommunikation betreffende Informationsanforderungen diese Normen derart in den Anwendungsbereich der UGPRL ein, dass sie und die UGPRL sich gegenseitig ergänzen mit der Folge, dass auf die Verletzung von Informationspflichten im Sinne von Art. 7 Abs. 5 UGPRL, die zugleich solche im Sinne von § 5b Abs. 4 UWG darstellen, Art. 7 Abs. 1 bis Abs. 3 UGPRL - und damit die diese umsetzenden Regelungen in § 5a Abs. 1 bis Abs. 3 UWG - anzuwenden sind (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2022 - I ZR 69/21 - Grundpreisangabe im Internet [unter C II 3 b cc (2)]; Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 143/19 - Knuspermüsli II [unter B II 1 e bb (2)]; Beschluss vom 29. Juli 2021 - I ZR 135/20 - Flaschenpfand III [unter B II 3 b dd (1)]; s.a. Beschluss vom 10. Februar 2022 - I ZR 38/21 - Zufriedenheitsgarantie [unter B II 6 b aa] sowie EuGH, Urteil vom 16. Juli 2015 - C-544/13 und 545/13, Abcur AB/Apoteket Farmaci AB und Abcur AB/Apoteket AB u.a [Rn. 78 f.]; Urteil vom 13. September 2018 - C-54/17 und 55/17, Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato/Wind Tre SpA und Autorità Garante.../Vodafone Italia SpA [Rn. 58 und 60 f.], Erwägungsgrund 10 der UGPRL und Abschnitte 1.2.1 und 1.2.2 der Leitlinien zur Auslegung und Anwendung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt, Bekanntmachung der Kommission, ABl. 2021/C 526/01).

Spezifischen Vorschriften des Unionsrechts wie denen der Qualitätsregelungen-VO kommt gemäß Art. 3 Abs. 4 UGPRL (und damit einhergehend § 1 Abs. 2 UWG) ein die Prüfung anhand der UGPRL und der sie umsetzenden Normen beschränkender Anwendungsvorrang nur insoweit zu, als die spezifischen Vorschriften besondere Aspekte von auf ihre Lauterkeit zu prüfenden Geschäftspraktiken in einer mit den Vorgaben der UGPRL unvereinbaren Weise regeln (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 2016 - C-476/14, Citroën Commerce GmbH/Zentralvereinigung des Kraftfahrzeuggewerbes zur Aufrechterhaltung lauteren Wettbewerbs e. V. [Rn. 42 ff.]; Urteil vom 13. September 2018 - C-54/17 und 55/17, Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato/Wind Tre SpA und Autorità Garante... ./.Vodafone Italia SpA [Rn. 60 f.]), etwa indem sie besondere Informationsanforderungen aufstellen oder bestimmen, wie bestimmte Informationen dem Verbraucher zu vermitteln sind (vgl. Erwägungsgrund 10 der UGPRL sowie EuGH, Urteil vom 16. Juli 2015 - C-544/13 und 545/13, Abcur AB/Apoteket Farmaci AB und Abcur AB/Apoteket AB u.a [Rn. 79]). Soweit das der Fall ist, könnte eine durch spezielle unionsrechtliche Regelungen vorgeschriebene Informationspraxis selbst dann nicht als irreführend angesehen werden, wenn sie für sich gesehen geeignet sein sollte, bei Verbrauchern Fehlvorstellungen auszulösen, und es könnte ebenfalls nicht verlangt werden, die durch spezielle unionsrechtliche Regelungen vorgeschriebene Informationspraxis durch aufklärende Zusätze zu erläutern (vgl. EuGH, Urteil vom 4. September 2019 - C-686/17, Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e.V./Prime Champ Deutschland Pilzkulturen GmbH [Rn. 66 ff. und 76 ff.]; Urteil vom 25. Juli 2018 - C-632/16, Dyson Ltd und Dyson BV/BSH Home Appliances NV [Rn. 32 ff.; 42 ff.]; BGH, Urteil vom 16. Januar 2020 - I ZR 74/16 - Kulturchampignons II [unter II 2 c bb und unter II 2 d] sowie Köhler, WRP 2022, 127 [130 Rn. 30]).

Von diesen Grundsätzen ist der Gerichtshof in Rn. 28 seines Urteils vom 26. September 2024 (C-330/23, Verbraucherzentrale Baden-Württemberg eV ./. Aldi Süd Dienstleistungs SE & Co. OHG), das auf die Vorlagefrage der Kammer in dem Parallelrechtsstreit der Parteien 38 O 182/22 ergangen ist, nicht abgerückt. Die dort angestellten Erwägungen stellen nicht die eben beschriebene, über den in Art. 7 Abs. 5 UGPRL enthaltenen Verweis auf im Unionsrecht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation festgelegte Informationsanforderungen bewerkstelligte Einbeziehung dieser Bestimmungen in den Anwendungsbereich der UGPRL im Sinne einer gegenseitigen Ergänzung in Frage, sondern sie sollen in Erinnerung rufen, dass sich die inhaltlichen Anforderungen, die an die Geschäftspraxis eines Unternehmers bei seiner kommerziellen Kommunikation zu stellen sind, nach spezielle Aspekte dieser Praxis regelnden unionsrechtlichen Bestimmungen richten, und insoweit ein Rückgriff auf die inhaltlichen Vorgaben der UGPRL ausscheidet. Eine abweichende Interpretation der Ausführungen des Gerichtshofs würde die in Art. 7 Abs. 5 UGPRL enthaltene Verweisung ihres Anwendungsbereichs berauben (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2021 - I ZR 135/20 - Flaschenpfand III [unter B II 3 b dd (1)]).

bb) Die Voraussetzungen einer ergänzenden Anwendung von Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 5 UGPRL (und damit einhergehend der sie umsetzenden §§ 5a Abs. 1 und Abs. 2, 5b Abs. 4 UWG) sind erfüllt. Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO sind keine Vorgaben zu entnehmen, die jedem Rückgriff auf Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 UGPRL/§ 5a Abs. 1 bis Abs. 3 UWG von vorneherein entgegenstehen.

b) Nach § 5a Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer einen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer irreführt, indem er ihm eine wesentliche Information vorenthält, die dieser nach den jeweiligen Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen (Nr. 1), und deren Vorenthalten geeignet ist, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (Nr. 2).

c) Diejenigen Informationen, deren Angabe durch Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO vorgeschrieben wird, gelten gemäß § 5b Abs. 4 UWG als wesentlich im Sinne von § 5a Abs. 1 UWG.

aa) Als wesentlich im Sinne von § 5a Abs. 1 UWG gelten gemäß § 5b Abs. 4 UWG solche Informationen, die dem Verbraucher aufgrund unionsrechtlicher Verordnungen oder nach Rechtsvorschriften zur Umsetzung unionsrechtlicher Richtlinien für kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing nicht vorenthalten werden dürfen. Dass trifft auf die durch Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO vorgeschriebenen Informationen zu.

bb) § 5b Abs. 4 UWG dient der Umsetzung von Art. 7 Abs. 5 UGPRL und ist daher richtlinienkonform auszulegen (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 29. Juli 2021 - I ZR 135/20 - Flaschenpfand III [unter B II 3 b bb]). Infolgedessen sind Informationsanforderungen im Sinne von Art. 7 Abs. 5 UGPRL solche im Sinne von § 5b Abs. 4 UWG.

Erfasst werden von Art. 7 Abs. 5 UGPRL (und damit zugleich von § 5b Abs. 4 UWG) Informationen, die im Unionsrecht vorgesehen sind und die sich auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung oder Marketing beziehen, und von denen eine nicht erschöpfende Liste in Anhangs II der UGPRL enthalten ist. Dabei sind unter kommerzieller Kommunikation im Sinne von Art. 7 Abs. 5 UGPRL - und damit zugleich im Sinne von § 5b Abs. 4 UWG -in Anlehnung an Art. 2 lit. f der Richtlinie 2000/31/EG ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr") alle Formen der Kommunikation zu verstehen, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2023 - I ZR 14/23 - Bequemer Kauf auf Rechnung [unter B II 3 b]; Urteil vom 26. Oktober 2023 - I ZR 176/19 - Zigarettenausgabeautomat III [unter B I 1 c aa, bb und cc (2)]; Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 143/19 - Knuspermüsli II [unter B II 1 e dd (1)]; Beschluss vom 10. Februar 2022 - I ZR 38/21 - Zufriedenheitsgarantie [unter B II 6 b bb (1)]). Nicht dazu zählen mangels Förderung des Produktabsatzes oder des unternehmerischen Erscheinungsbilds grundsätzlich Informationspflichten, die anderen Zwecken dienen oder die (erst) im Zuge des Vertragsschlusses oder bei der Vertragsabwicklung zu erfüllen sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2023 - I ZR 176/19 - Zigarettenausgabeautomat III [unter B I 1 c aa und bb]; Beschluss vom 10. Februar 2022 - I ZR 38/21 - Zufriedenheitsgarantie [unter B II 6 b bb (1)]).

Ob die betreffenden, Informationspflichten vorsehenden unionsrechtlichen Vorschriften in der Liste nach Anhang II der UGPRL enthalten sind, ist nicht maßgeblich, da diese Liste ausdrücklich nicht erschöpfend ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 143/19 - Knuspermüsli II [unter B II 1 e cc]; Urteil vom 7. März 2019 - I ZR 184/17 - Energieeffizienzklasse III [unter II 3 c bb (3)]). Diese Sichtweise steht in Einklang mit den Zielen der UGPRL, nach deren Erwägungsgrund 15 S. 1 in ihrem Rahmen Informationsanforderungen, die das Gemeinschaftsrecht in Bezug auf Werbung, kommerzielle Kommunikation oder Marketing festlegt, als wesentlich angesehen werden.

cc) Aus diesen Vorgaben leitet sich ab, dass die in Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO geregelten Informationspflichten die kommerzielle Kommunikation im Sinne von Art. 7 Abs. 5 UGPRL und damit zugleich im Sinne von § 5b Abs. 4 UWG betreffen.

Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO schreiben vor, dass bestimmte Informationen in der Werbung angegeben werden müssen. Damit sind diese Informationen dem Verbraucher vor Abgabe seiner Vertragserklärung zugänglich zu machen. Mithin handelt es sich um Informationen, die in der auf die Förderung des Produktabsatzes gerichteten Phase bereitzustellen sind.

Die Informationsanforderungen sind im Unionsrecht festgelegt.

Auf den Umstand, dass Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO in der Liste nach Anhang II der UGPRL nicht enthalten sind, kommt es - wie eben bereits ausgeführt - nicht an.

dd) Der Einwand der Beklagten, die in Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO aufgestellten Informationspflichten dienten nicht dem Verbraucherschutz, trifft nicht zu. Die derzeit geltenden Regelungen dienen dazu, zu gewährleisten, dass Verbraucher zuverlässige Informationen zum geografischen Ursprung oder dem geografischen Umfeld landwirtschaftlicher Erzeugnisse erhält, die leicht erkennbar sind (vgl. Art. 4 lit. c Qualitätsregelungen-VO), den berechtigen Erwartungen der Verbraucher gerecht zu werden (vgl. Erwägungsgrund 9 der Qualitätsregelungen-VO), das Verständnis der Verbraucher zu verbessern (vgl. Erwägungsgrund 20 der Qualitätsregelungen-VO) und soll die Verbraucher in die Lage versetzen, sachkundigere Kaufentscheidungen zu treffen und ihnen durch die Kennzeichnung und Werbung die korrekte Identifikation ihrer Erzeugnisse erleichtern (vgl. Erwägungsgrund 19 S. 9 der Qualitätsregelungen-VO). Ebenso diente das frühere Recht (auch) dazu, dem Verbraucher zuverlässige Informationen über die geschützten Erzeugnisse zur Verfügung zu stellen (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. b Qualitätsregelungen-VO a.F.), Verwirrung und Irreführung der Verbraucher zu verhindern (vgl. Erwägungsgrund 8 der Qualitätsregelungen-VO a.F.) und klare Informationen über geschützte Erzeugnisse bereitzustellen, damit der Verbraucher seine Kaufentscheidungen gut informiert treffen kann (vgl. Erwägungsgrund 18 der Qualitätsregelungen-VO a.F.).

d) Mit dem öffentlichen Zugänglichmachen der Werbung, in der eine den Vorgaben von Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO nicht genügende Kennzeichnung enthalten ist, hat die Beklagte dem Verbraucher wesentliche Informationen im Sinne von § 5a Abs. 1 UWG vorenthalten.

aa) Vorenthalten wird dem Verbraucher eine Information, wenn sie zum Geschäfts- und Verantwortungsbereich des Unternehmers gehört oder dieser sie sich mit zumutbarem Aufwand beschaffen kann und der Verbraucher sie nicht oder nicht so erhält, dass er sie bei seiner geschäftlichen Entscheidung berücksichtigen kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 - I ZR 26/15 - LGA tested [unter B III 1 d bb]).

bb) In der von dem Kläger beanstandeten Darstellung werden dem Verbraucher Informationen zu der Kennzeichnung des beworbenen Lebensmittels vorenthalten.

Wie oben unter II 2 festgestellt, werden in der Werbung Informationen zu der Kennzeichnung des Käses nicht so bereitgestellt, wie das durch Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO geregelt ist. Das verwendete Siegel zählt nicht zu den vorgeschriebenen Kennzeichen. Es enthält zwar die für das Erzeugnis "richtigen" Farben, ist aber fehlerhaft beschriftet. Mithin fehlt in der Werbung das vorgeschriebene Siegel, wodurch dem Verbraucher eine unionsrechtlich vorgeschriebene Information vorenthalten wird.

Soweit man im Hinblick auf die Farbgebung des Siegels davon ausgehen wollte, dass der Verbraucher einen Teil der vorgeschriebenen Information erhält, wäre die geforderte Information in einer in § 5a Abs. 2 Nr. 2 UWG beschriebenen Weise bereitgestellt. Eine Bereitstellung von Informationen unter solchen Gegebenheiten aber gilt gemäß § 5a Abs. 2 UWG als ein "Vorenthalten" im Sinne von § 5a Abs. 1 UWG.

cc) Die in Rede stehenden Informationen fallen in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Als Herausgeber der Werbung ist (auch) sie Normadressat von Art. 12 Abs. 3 Qualitätsregelungen-VO a.F. und Art. 37 Abs. 3 Unterabs. 1 Qualitätsregelungen-VO.

e) Nach den Umständen benötigt der Verbraucher die ihm vorenthaltenen Informationen, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und ihr Vorenthalten ist geeignet, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte.

aa) Diese weiteren in § 5a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 UWG umschriebenen Tatbestandsmerkmale sind im Regelfall erfüllt, wenn dem Verbraucher wesentliche Informationen vorenthalten werden, und es obliegt dem Unternehmer aufzuzeigen, dass der Informationserfolg bereits auf anderem Wege erreicht worden ist oder sonst ein Ausnahmefall vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - I ZR 111/22 - Mitgliederstruktur [unter B III 6]; Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 143/19 - Knuspermüsli II [unter B II 3 a]; Urteil vom 2. März 2017 - I ZR 41/16 - Komplettküchen [unter II 4 e bb und cc]; s.a. Urteil vom 21. Januar 2021 - I ZR 17/18 - Berechtigte Gegenabmahnung [unter II 7 e bb]; Urteil vom 7. März 2019 - I ZR 184/17 - Energieeffizienzklasse III [unter II 3 c bb (2) und (5)]).

bb) Die Beklagte hat keine in diese Richtung weisenden Umstände aufgezeigt.

(1) Wie bereits ausgeführt, dient das System der Kennzeichnung mit festgelegten Zeichen unter anderem dazu, den Verbraucher in die Lage zu versetzen, sachkundigere Kaufentscheidungen zu treffen, und ihm die korrekte Identifikation geschützter Erzeugnisse zu erleichtern. Aus diesem Regelungszweck ergibt sich, dass der Verbraucher nach den Vorstellungen des Unionsrechtsnormgebers die vorgeschriebenen Kennzeichen für eine informationsgeleitete Entscheidung benötigt und seine Fähigkeit, eine solche Entscheidung zu treffen, durch die Verwendung anderer Kennzeichen beeinträchtigt wird. Das gilt auch für den hier gegebenen Fall einer Fehlkennzeichnung eines in die höchste Qualitätsstufe fallenden Erzeugnisses.

(2) Der von der Beklagten erhobene Einwand, der Fehlkennzeichnung fehle die wettbewerbliche Relevanz, greift nicht durch.

Zwar wird unter bestimmten Umständen die Relevanz einer Irreführung verneint, wenn sie dem Unternehmer keinen wettbewerblichen Vorteil verschafft, weil sie sich nicht zu seinen Gunsten, sondern zu seinen Lasten auswirkt (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2015- I ZR 250/12 - Piadina-Rückruf [unter B I 2 b bb (2)]; Urteil vom 27. Juni 2002 - I ZR 19/00 - Telefonische Vorratsanfrage [unter II 2 c bb]; s.a. Urteil vom 4. Oktober 2007 - I ZR 182/05 - Fehlerhafte Preisauszeichnung [unter II 2] zu der Frage, ob in solchen Fällen die Spürbarkeit im Sinne von § 3a UWG fehlt).

Das betrifft allerdings "klassische" Irreführungen im Sinne von § 5 Abs. 1 und Abs. 2 UWG. Dazu angestellte Überlegungen können auf den hier gegebenen Fall einer Informationspflichtverletzung nicht übertragen werden. Die Feststellung einer Unlauterkeit nach § 5a Abs. 1 UWG hängt nicht davon ab, ob die angegriffene geschäftliche Handlung dem Wortsinn nach "irreführend" ist, also bei dem Verkehr eine Fehlvorstellung hervorruft oder hervorrufen kann (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 - I ZR 96/19 - LTE-Geschwindigkeit [unter II 3 d cc]; Urteil vom 9. Februar 2012 - I ZR 178/10 - Callby-Call [unter II 1 a und b]). Daran hat die Änderung des Wortlautes bei der zum 28. Mai 2022 in Kraft getretenen Überführung von § 5a Abs. 2 S. 1 UWG a.F. ("Unlauter handelt, wer im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthält [...]") in § 5a Abs. 1 UWG n.F. ("Unlauter handelt auch, wer einen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer irreführt, indem er ihm eine wesentliche Information vorenthält [...]") nichts geändert. Nach Art. 7 Abs. 1 UGPRL - und damit bei Anwendung der diese Regelung in nationales Recht umsetzenden Vorschrift des § 5a Abs. 1 UWG - ist (ungeachtet der in den amtlichen Überschriften zu Art. 7 UGPRL und § 5a UWG verwandten, ihrerseits irreführenden Formulierungen "Irreführende Unterlassungen" und "Irreführung durch Unterlassen") eine bestimmte Fehlvorstellung des Verbrauchers kein Tatbestandsmerkmal ("Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie [...] wesentliche Informationen vorenthält [...]"). Kommt es für die Feststellung einer Informationspflichtverletzung nach § 5a Abs. 1 bis Abs. 3 UWG aber bereits nicht darauf an, ob diese zu einer Fehlvorstellung führt, stellt sich nicht mehr die sich daran erst anschließende Frage, ob sich eine solche Fehlvorstellung zu Gunsten oder zu Lasten des Unternehmers auswirkt.

Darüber hinaus ist Aufgabe der die UGPRL in nationales Recht umsetzenden Vorschriften des UWG in erster Linie, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten (vgl. Art. 1 UGPRL sowie insbesondere Erwägungsgründe 1, 6 und 8 der UGPRL, § 1 Abs. 1 UWG). Soweit neben der durch eine Informationspflichtverletzung bewirkten Beeinträchtigung der Interessen der Verbraucher, eine informierte geschäftliche Entscheidung - die auch darin liegen kann, ein Tätigwerden zu unterlassen - treffen zu können, eine weitere geschäftliche Relevanz erforderlich sein sollte, ist diese darin zu sehen, dass Unternehmer, die sich den mit der Erfüllung von Informationspflichten einhergehenden Aufwand teilweise ersparen indem sie verminderte Anstrengungen unternehmen und Mitarbeiter und Beauftragte unzureichend kontrollieren, dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Unternehmern verschaffen, die den zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Informationspflichten notwendigen Aufwand betreiben.

4. Ein Anspruch auf Ersatz der begehrten Abmahnkosten steht dem Kläger weder gemäß § 13 Abs. 3 UWG noch unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag aus §§ 670, 683 S. 1, 677 BGB zu.

a) Die dem Kläger tatsächlich entstandenen Anwaltskosten sind nicht ersatzfähig. Sie waren zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich. Ebenso wie Wettbewerbs- und Fachverbände in personeller und sachlicher Hinsicht so ausgestattet sein müssen, dass sich für typische und durchschnittlich schwierige Abmahnungen die Einschaltung eines Rechtsanwalts erübrigt (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2021 - I ZR 214/18 - Gewinnspielwerbung II [unter B II 2]; Urteil vom 6. April 2017 - I ZR 33/16 - Anwaltsabmahnung II [unter II 2 a und b]), ist Verbraucherschutzverbänden abzuverlangen, typische und durchschnittlich schwer zu verfolgende verbraucherfeindliche Praktiken selbst erkennen und abmahnen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2017 - I ZR 184/15 - Klauselersetzung [unter B II 1 b]). Ein solcher Fall (zu Ausnahmen vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2017, a.a.O. [unter B II 1 c]) ist hier gegeben. Die aufgeworfenen rechtlichen und tatsächlichen Fragen sind für einen mit der wettbewerbsrechtlichen Durchsetzung von Verbraucherschutzrecht befassten Juristen nicht überdurchschnittlich schwierig und verlassen nicht den Rahmen der Kenntnisse, die bei den in der täglichen Beratungspraxis des Klägers eingesetzten Mitarbeitern erwartet werden können.

b) Abweichendes ergibt sich nicht unter dem Gesichtspunkt, dass der Kläger gemäß § 13 Abs. 3 UWG berechtigt gewesen wäre, für eine von ihm selbst ausgesprochene Abmahnung eine Abmahnkostenpauschale in der geltend gemachten Höhe zu beanspruchen. Tatsächlich sind ihm eigene, mit der Pauschale abzudeckende Kosten mangels von ihm selbst ausgesprochener Abmahnung nicht entstanden und fiktive Kosten sind nicht ersatzfähig (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 2017 - I ZR 33/16 - Anwaltsabmahnung II [unter II 2 d ee]).


Den Volltext der Entscheidung finden SIe hier:

LG Düsseldorf: Keine freie Bearbeitung nach § 23 UrhG durch plagiieren eines Gemäldes wenn der Gesamteindruck mit dem Original übereinstimmt

LG Düsseldorf
Urteil vom 14.08.2024
12 O 156/23


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass keine freie Bearbeitung nach § 23 UrhG durch plagiieren eines Gemäldes vorliegt, wenn der Gesamteindruck mit dem Original übereinstimmt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist zulässig und bis auf einen Teil der Nebenforderungen begründet. Die zulässige Widerklage ist ebenfalls teilweise begründet.

I.) Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 26.000 EUR aus § 97 Abs. 2 UrhG zu.

1.) Der Beklagte hat das Urheberrecht des Klägers an den drei streitgegenständlichen Bildern in schuldhafter Weise verletzt.

a) Der Kläger ist unstreitig Urheber (§ 7 UrhG) der drei Werke „C“, „M“ und „I“.

Die Gemälde sind als Werke der bildenden Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich schutzfähig. Es handelt sich um persönliche geistige Schöpfungen des Klägers, die ohne weiteres auch die erforderliche Schöpfungshöhe erreichen. Sie weisen ein hohes Maß an Originalität und Individualität auf.

b) Der Beklagte hat das Urheberrecht des Klägers verletzt, indem er ohne dessen Erlaubnis Vervielfältigungsstücke hiervon angefertigt (§ 16 Abs. 1 UrhG), diese verkauft und damit verbreitet (§ 17 Abs. 1 UrhG) und indem er Fotos dieser Werke auf seinem Instagram-Kanal öffentlich zugänglich gemacht hat (§ 19a UrhG).

aa) Bei den drei Bildern, von denen der Beklagte auf seinem Instagram-Kanal Fotos veröffentlicht hat, handelt es sich um Vervielfältigungsstücke der drei streitgegenständlichen Original-Gemälde des Klägers. Eine Vervielfältigung jede körperliche Festlegung eines Werkes, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise unmittelbar oder mittelbar wahrnehmbar zu machen (BGH GRUR 1991, 449, 453 - Betriebssystem).

Bei den von dem Beklagten geschaffenen Bildern handelt es sich auch nicht um freie Bearbeitungen der klägerischen Vorlage im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG. Dies setzt eine wesentliche Veränderung der verwendeten Vorlage dergestalt voraus, dass angesichts der Eigenart des neuen Werkes die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werkes verblassen (BGH GRUR 1994, 191 [193] – Asterix-Persiflagen). Das neue Werk muss aufgrund seiner Eigenart selbstständig urheberrechtlich schutzfähig sein und zwar unabhängig von den anregenden Elementen des Originals (vgl. BGH GRUR 1961, 631 [632] – Fernsprechbuch). Auch bei der Bearbeitung und Umgestaltung iSd § 23 UrhG handelt es sich um besondere Fälle der Vervielfältigung eines Werkes (BGH GRUR 2014, 65 - Beuys-Aktion). Ein Eingriff in das Vervielfältigungsrecht des Urhebers liegt dann vor, wenn die Werkumgestaltung ohne eigene schöpferische Ausdruckskraft geblieben ist und sich daher – trotz der vorgenommenen Umgestaltung – noch im Schutzbereich des Originals hält, bei dessen Eigenart auch in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht (BGH GRUR 1988, 533 [535] – Vorentwurf II; GRUR 1965, 45 [47] - Stadtpläne).

Letzteres ist hier der Fall. Der Gesamteindruck der Bearbeitungen des Beklagten stimmt mit den Originalen des Klägers überein. Die Bearbeitungen bleiben trotz der vorhandenen Unterschiede gegenüber den Originalen des Klägers ohne eigene schöpferische Ausdruckskraft und lassen die Züge des Originals gerade nicht verblassen. Der Beklagte verwendete jeweils ein zur Vorlage des Klägers identisches Motiv, welches er in der gleichen Art und Weise, insbesondere unter überwiegender Beibehaltung der Linienführung und der Farbgebung, umsetzte.

Hiervon ausgehend, werden die Werke im Einzelnen nachfolgend erörtert, wobei jeweils das Original des Klägers links und die Bearbeitung des Beklagten rechts dargestellt sind.

Hinsichtlich des Bildes „C“ ist ersichtlich, dass der Beklagte in seiner Bearbeitung nur leicht andere Rottöne und insgesamt im Hintergrund eine geringere Anzahl von Farben verwendet. Zudem sind das dargestellte Gesicht und die Gesamtkomposition der abgebildeten Figur leicht anders. Der Gesamteindruck des Werkes, der Darstellung eines überwiegend in Gelb gehaltenen menschlichen Kopfes bzw. Oberkörpers, der in Linien vor einem überwiegend Burgunderrot gestalteten Hintergrund abgebildet ist, ist jedoch in der Bearbeitung des Beklagten erhalten geblieben, ohne dass ein eigener, schöpferischer Ausdruck hinzugetreten wäre.

Im Falle von „I“ ist erkennbar, dass der Beklagte für den Hintergrund in der unteren Bildhälfte im Vergleich zur klägerischen Vorlage einen leicht unterschiedlichen, kräftigeren Rotton verwendete. Ferner erscheinen die neben den beiden abgebildeten Figuren dargestellten „Blasen“ oder „Punkte“ in der Arbeit des Beklagten dunkler als beim Original zu sein. Auch insoweit überwiegt aber der übereinstimmende Gesamteindruck. Die beiden, überwiegend in grün, gelb sowie einem dunkleren Farbton gestalteten Figuren in der Mitte des Bildes sowie die sich daneben befindlichen „Punkte“ weisen in beiden Fällen eine nahezu exakt gleiche Anordnung auf. Ferner ist die Komposition und Linienführung der Figuren überwiegend identisch. Hinzu kommt der das Werk prägende, über die Mitte des Bildes hinausgehende, rote Hintergrund.

Bei „M“ können nach dem Gesamteindruck als wesentliche Unterschiede zum einen festgestellt werden, dass für die im oberen Bilddrittel dargestellten Köpfe bzw. Gesichter in der Bearbeitung des Beklagten ein hellerer, kräftigerer Rotton im Vergleich zur Vorlage des Klägers verwendet wurde. Ferner scheint das das vom Betrachter aus gesehen linke der beiden Gesichter in der Bearbeitung des Beklagten den Betrachter direkt anzusehen, wohingegen es im Original an dem Betrachter rechts vorbeischaut. Diese Unterschiede verleihen der Bearbeitung des Beklagten jedoch keinen eigenschöpferischen Ausdruck. Es überwiegt jedoch erneut der das klägerische Original prägende Gesamteindruck, der durch die Wahl des Motivs (zwei Köpfe über einem Ozean, in dem Fische schwimmen, um das ein Rahmen mit überwiegend roter, beigegebener und grüner Farbgebung gesetzt ist) der Linienführung und Farbauswahl geprägt ist.

bb) Entgegen der Auffassung des Beklagten handelt es sich nicht um Privatkopien im Sinne des § 53 Abs. 1 UrhG. Denn dies würde voraussetzen, dass die Kopien weder mittelbar noch unmittelbar Erwerbszwecken dienten. Dem steht jedoch entgegen, dass der Beklagte die Gemälde nach seinem eigenen Vortrag zum Preis von 1.600,00 EUR, 2.000,00 EUR und 1.000,00 EUR an einen Bekannten veräußerte. Damit hat der Beklagte durch Veräußerungen ohne weiteres einen Gewinn erzielt, selbst wenn man seinem Vortrag, die Materialkosten hätten 650 EUR betragen, zugrundelegt. Die erzielten Preise stellen sich damit als mehr als bloße Aufwandsentschädigungen dar.

b) In der Veräußerung der Werke liegt zugleich eine Verletzung des Urheberrechts des Klägers unter dem Gesichtspunkt des Verbreitens im Sinne des § 17 UrhG.

c) Schließlich hat der Beklagte das Urheberrecht des Klägers dadurch verletzt, dass er Fotos der plagiierten Werke bei Instagram veröffentlichte und sich damit das Recht des Klägers als Urheber zur öffentlichen Zugänglichmachung gemäß § 19a UrhG angemaßt hat.

d) Diese Urheberrechtsverletzungen erfolgten schuldhaft im Sinne des § 97 Abs. 2 UrhG. Angesichts der oben dargestellten Vielzahl an Übereinstimmungen zwischen den Bearbeitungen des Beklagten und den Originalen des Klägers ist vorsätzlichen Verletzungshandlungen des Beklagten auszugehen. Dieser hat selbst eingeräumt, sich die klägerischen Werke zum Vorbild genommen zu haben. Hinsichtlich der Verletzungshandlung des öffentlich Zugänglichmachens (§ 19a UrhG) durch die Veröffentlichung auf Instagram überzeugt die Argumentation des Beklagten, diese sei aus reiner „Unachtsamkeit“ geschehen, unabhängig davon nicht, dass auch eine solche Unachtsamkeit zumindest ein Fahrlässigkeitsvorwurf (§ 276 Abs. 2 BGB) begründen würde. Auf den bei Instagram veröffentlichten Lichtbildern sind die plagiierten Werke jeweils eindeutig und im Bildmittelpunkt zuerkennen. Damit liegt es fern, dass die Gemälde nur zufällig und aus Unachtsamkeit vom Bild erfasst wurden. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass es gerade das Ziel des Beklagten war, diese zu fotografieren und zu veröffentlichen. Hierfür spricht auch die Bildunterschrift der Instagram-Veröffentlichung „Q.“ (Deutsch: „Q“). Dies deutet darauf hin, dass die Präsentation der Bilder auf den Fotos gerade Ziel des Instagram-Posts war.

e) Der Beklagte ist dem Kläger demnach zum Schadenersatz verpflichtet. Der Kläger berechnet den Schadenersatz vorliegend im Wege der Lizenzanalogie, § 97 Abs. 2 S. 3 UrhG. Insoweit ist danach zu fragen, welche Lizenzzahlung der Rechtsinhaber zu erwarten gehabt hätte, wenn die Verwertung seines Schutzrechts mit seiner Zustimmung erfolgt wäre (BGH GRUR 1993, 899 - Dia-Duplikate). Dies zugrundegelegt, ist weder maßgeblich, welchen Marktwert die Originale der streitgegenständlichen Gemälde des Klägers erzielen, noch, zu welchem Preis der Beklagte die Plagiate weiterveräußerte.

Da feststeht, dass ein Schadenersatz dem Grunde nach geschuldet ist, ist die Kammer gemäß § 287 ZPO berechtigt, die Höhe desselben zu schätzen. Hier liegen auch ausreichende Anknüpfungstatsachen für eine solche Schätzung vor. Denn der Beklagte trägt selbst vor, dass der Kläger sogenannte „Editionen“ bzw. „Multiples“ seiner Werke anfertigt und verkauft, welche Preise von 9.600 bzw. 9.900 EUR erzielen. Diese „Editionen“, bei welchen ein Druck des Originals auf Papier erfolgt, der dann vom Kläger nochmals von Hand übermalt wird, erscheinen durchaus mit einer Lizenzierung für eine Kopie des Originals vergleichbar. Demnach erscheint der vom Kläger pro Bild angesetzte Preis für eine Lizenz von 10.000 EUR angemessen, weshalb der Schadensersatz mit 30.000 EUR zu bemessen ist.

Abzüglich der vom Beklagten vorgerichtlich bereits gezahlten 4.000 EUR verbleibt eine Summe von 26.000 EUR.

f) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1 S. 2, 291 BGB. Der Kläger kann indes keine Zinsen in Höhe von neun, sondern lediglich in Höhe von fünf Prozentpunkten über Basiszinssatz beanspruchen. Der von dem Kläger begehrte Verzugszins ist gemäß § 288 Abs. 2 BGB nur dann anzusetzen, wenn es sich um eine Entgeltforderung handelt. Gemeint hiermit ist das Entgelt für die Lieferung von Gütern oder die Erbringung von Dienstleistungen aus einem gegenseitigen Vertrag (Lorenz in: BeckOK BGB, 70. Ed. 1.5.2024, BGB § 286 Rn. 40). Eine Schadensersatzforderung, wie der Kläger sie hier geltend macht, stellt hingegen keine Entgeltforderung dar.

2.) Allerdings hat der Kläger gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 97a Abs. 3 UrhG. Zwar lag eine Urheberrechtsverletzung des Beklagten, wie ausgeführt, vor, weshalb die Abmahnung durch das anwaltliche Schreiben vom 09.05.2023 dem Grunde nach berechtigt war. Diese erfüllte aber nicht die Voraussetzungen des § 97a Abs. 2 Nr. 1-4 UrhG. Voraussetzung einer formal wirksamen Abmahnung ist nach § 97 Abs. 2 Nr. 4 UrhG insbesondere, dass, sofern in die Abmahnung eine Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtung enthält, anzugeben ist, inwieweit die vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht. Dem wird die streitgegenständliche Abmahnung des Klägers nicht gerecht. Grundlage für die Abmahnung war die Kopie der klägerischen Werke „C“, „I“ und „M“. Die vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtungserklärung (Bl. 24 Anlagenband KV) bezieht sich jedoch unterschiedslos auf „Kunstwerke, welche von M hergestellt wurden und/oder an welchen M die ausschließlichen Nutzungsrechte zustehen“. Sie erfasst damit auf sämtliche Kunstwerke des Klägers und geht über die abgemahnte Rechtsverletzung an lediglich dreien hiervon hinaus. Auf diesen Umstand ist indes in der Abmahnung nicht hingewiesen.

Andere Anspruchsgrundlagen, aufgrund derer der Kläger Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten gegen den Beklagten hätte, sind nicht ersichtlich.

II.) Die Widerklage ist teilweise begründet.

Dem Beklagten steht gegen den Kläger ein Anspruch auf Zahlung von 367,23 EUR an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 97a Abs. 4 S. 1 UrhG zu. Ein weitergehender Anspruch besteht hingegen nicht.

Nach der soeben genannten Vorschrift kann der Abgemahnte die Kosten seiner Rechtsverteidigung ersetzt verlangen, soweit die Abmahnung unwirksam war. Letzteres war hier, wie soeben unter I.2.) ausgeführt, der Fall. Dem Beklagten sind für das anwaltliche Schreiben vom 17.05.2023, durch welches die klägerischen Ansprüche abgewehrt wurden, seinerseits Rechtsanwaltskosten entstanden.

Entgegen der Auffassung des Beklagten waren diese Rechtsanwaltskosten jedoch nicht aus dem Gegenstandswert der Abmahnung in Höhe von 80.000 EUR zu berechnen, sondern lediglich aus demjenigen Wert, der sich aufgrund der Unwirksamkeit der Abmahnung ergab. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 97a Abs. 4 S. 1 UrhG, wonach der Abgemahnte Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen verlangen kann soweit die Abmahnung unberechtigt oder unwirksam ist. Erforderlich sind damit nur diejenigen Rechtsanwaltskosten, die auf den unberechtigten Teil der Abmahnung entfallen (vgl. BGH GRUR 2019, 82, Rn. 38 – Jogginghosen; GRUR 2016, 516, Rn. 45 - Wir helfen im Trauerfall). Dies waren nach den vorstehenden Ausführungen allein die klägerseits geltend gemachten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.293,25 EUR. Denn die klägerische Forderung war lediglich insoweit unbegründet, da aufgrund der Formunwirksamkeit der Abmahnung ein Erstattungsanspruch gegen den Beklagten nicht bestand.

Aus dem für die Rechtsverteidigung zugrunde zu legenden Gegenstandswert von 2.293,25 EUR betragen die für die Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen des Beklagten an Rechtsanwaltskosten 367,23 EUR.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Düsseldorf: Facebook-Sperre ohne Anhörung und Begründung ist ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB - kartellrechtlicher Unterlassungsanspruch

LG Düsseldorf
Urteil vom 18.04.2024
14d O 1/23


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass die Sperrung eines Facbook-Accounts / einer Facebook-Seite ohne Anhörung und Begründung auch ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB durch Meta darstellt. Der Betroffene hat daher auch einen kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Das Landgericht Düsseldorf ist international zuständig.

a. Die Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 (nachfolgend: EuGVVO).

Der Kläger macht Ansprüche geltend, die er auf eine unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stützt. Er begehrt die Unterlassung eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Beklagte als Betreiberin des sozialen Netzwerks Facebook. Das Bestehen einer Vertragsbeziehung zwischen den Parteien schließt die Qualifikation des Klagebegehrens als deliktischen Anspruch nicht aus. In Abgrenzung zum vertraglichen Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ist für die Annahme des deliktischen Gerichtsstands nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vielmehr entscheidend, ob ein gesetzlicher Anspruch geltend gemacht wird, der unabhängig von einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Dies ist dann der Fall, wenn die Rechtsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Handlung des Anspruchsgegners nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, sondern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist (EuGH, Urteil vom 24.11.2020, C‑59/19, NJW 2021, 144, 146, Rn. 32 – Wikingerhof/Booking.com; BGH, Urteil vom 10.02.2021, Az. KZR 66/17, GRUR 2021, 991, 992, Rn. 11 – Wikingerhof).

Die Kartellrechtswidrigkeit der konkret beanstandeten Handlung hängt allein davon ab, ob die Beklagte Adressat des Missbrauchsverbots nach § 19 GWB ist und hiergegen verstoßen hat. Für die Beurteilung ist eine Auslegung des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages im Sinne der vom EuGH aufgestellten Abgrenzungsformel (EuGH, aaO., Rn. 37) auch nicht unerlässlich. Der Kläger begründet den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch vorrangig mit einem Verstoß gegen das Kartellrecht, namentlich mit dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Insoweit ist das Verhalten grundsätzlich allein an kartellrechtlichen Maßstäben zu messen. Denn der Kläger beruft sich im Kern auf ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Beklagten verbunden mit dem Vorwurf, die Sperrung seiner FacebookSeite sei ohne vorherige oder unverzüglich nach der Sperre erfolgte Begründung und Anhörung erfolgt. Hinsichtlich der Verfahrensgrundsätze für die Löschung bzw. Kontosperrung ist nicht allein der Inhalt der Nutzungsbedingungen maßgeblich. Vielmehr kann die Prüfung, ob die Beklagte zur Einhaltung der von der Klägerin begehrten Verfahrensgrundsätze verpflichtet ist, abstrakt allein anhand wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe erfolgen.

Dass die nach § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 GWB stets gebotene Interessenabwägung im Einzelfall bei einer Vertragsbeziehung der Parteien auch eine Betrachtung der vertragstypischen Rechte und Pflichten und der zwischen den Parteien getroffenen Regelungen erfordert, ist für die Qualifikation des Klageanspruchs als deliktischer Anspruch ohne Belang (BGH, aaO., Rn. 13).

Entgegen der Ansicht der Beklagten muss auch nicht zunächst der Umfang der Nutzungsberechtigung durch Auslegung des Nutzungsvertrages ermittelt werden. Im vorliegenden Streitfall wendet sich der Kläger gegen eine aus seiner Sicht willkürliche Löschung, ohne dass ein „abstraktes, unbegrenztes Recht auf Veröffentlichung auf Facebook“ geltend gemacht wird.

Auch soweit das Oberlandesgericht Düsseldorf in der von der Beklagten zitierten Entscheidung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.03.2023, Az. I-16 W 8/23, vorgelegt als Anlage B 1) für Fälle, in denen keine Verbrauchereigenschaft gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. c), Art. 18 Abs. 1 EuGVVO vorliegt, eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für deliktische Ansprüche auf Grundlage von Art. 7 Abs. 2 EuGVVO ablehnt, ist diese Rechtsprechung nach Auffassung der Kammer nicht auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar. Während sich die dortige Antragstellerin neben einem vertraglichen Unterlassungsanspruch auch auf kartellrechtliche Ansprüche (§§ 33 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB) berufen hat, ist die Klage im vorliegenden Verfahren vorrangig auf einen Kartellverstoß gestützt, der – wie vorstehend ausgeführt – unabhängig von Nutzungsvertrag – zu beurteilen ist. Anders als in dem Verfahren, dem die zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zugrunde lag, wird in kartellrechtlicher Hinsicht nicht der Vorwurf erhoben, „dass sich die missbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin darin zeige, wie sie eine Sperre des Business-Kontos auf der Grundlage des von den Parteien geschlossenen Nutzungsvertrags vornehme“ (OLG Düsseldorf, aaO., S. 11).

Auch wenn sich die Einstufung einer Klage als vertraglich im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVVO oder als deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht nach nationalem Recht richtet, sondern autonom unter Berücksichtigung der Systematik und der Ziele der EuGVVO zu entscheiden ist (EuGH, Urteil vom 13.03.2014, Az. C-548/12, NJW 2014, 1648, 1649, Rn. 18 – Brogsitter; Urteil vom 24.11.2020, Az. C-59/19, NJW 2021, 144, 146, Rn. 25 – Wikingerhof/Booking.com), erscheint es nach Auffassung der Kammer angezeigt, den vorliegenden Rechtsstreit angesichts des auf einen Marktmachtmissbrauch gerichteten Vorwurfs trotz der vertraglichen Verbindung der Parteien als deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu qualifizieren. Die daraus resultierende Annahme einer Zuständigkeit deutscher Gerichte als Gerichtsstand der unerlaubten Handlung steht im Einklang mit den Zielen der EuGVVO. Das nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zuständige Gericht – nämlich das des Marktes, der von dem geltend gemachten wettbewerbswidrigen Verhalten beeinträchtigt wird – ist am besten in der Lage, über die Hauptfrage der Begründetheit dieses Vorwurfs zu entscheiden (vgl. EuGH, Urteil vom 24.11.2020, Az. C‑59/19, NJW 2021, 144, 147, Rn. 37 – Wikingerhof/Booking.com).

b. Die nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO begründete internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist auch nicht aufgrund einer zwischen den Parteien getroffenen Gerichtsstandvereinbarung ausgeschlossen. Es kann dahinstehen, ob die Parteien einen irischen Gerichtsstand, wie in Ziffer 4.4. der Facebook-Nutzungsbedingungen vorgesehen, wirksam vereinbart haben. Sie führt als Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO jedenfalls für die hier geltend gemachten Ansprüche nicht zu einer Prorogation zu irischen Gerichten. Eine Anwendung dieser Gerichtsstandsklausel auf die geltend gemachten Ansprüche aus § 33 GWB ist zwar nach Art. 25 Abs. 1 EuGVVO nicht schlechthin ausgeschlossen. Ausgangspunkt ist hierbei das Erfordernis, dass die Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung zwar auf Rechtsstreitigkeiten beschränkt ist, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde, weil andernfalls eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (EuGH, Urteil vom 21.05.2015, Az. C-352/13, GRUR Int. 2015, 1176, 1182, Rn. 68 m.w.N. – CDC Hydrogen Peroxide). Insoweit nimmt der EuGH an, dass die Beteiligung eines Vertragspartners an einem rechtswidrigen Kartell für das geschädigte Unternehmen im Zeitpunkt der Zustimmung nicht hinreichend vorhersehbar war und die Klausel insoweit nicht zu einer wirksamen Derogation führt (EuGH aaO., Rn. 70). Im Unterschied dazu kann sich der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, in den von einem Unternehmen, das eine beherrschende Stellung innehat, geknüpften vertraglichen Beziehungen über die Vertragsbedingungen manifestieren, mit der Folge, dass eine solche Klausel auch dann nicht überraschend im Sinne von Art. 22 EuGVVO ist, wenn sie sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Wettbewerbsverstoß bezieht (EuGH, Urteil vom 24.10.2018, Az. C-595/17, NJW 2019, 349, 350, Rn. 28f. – Apple Sales; BGH, Urteil vom 10.02.2021, Az. KZR 66/17, GRUR 2021, 991, 992, Rn. 18 – Wikingerhof).

[…]

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Unterlassung gegen die Beklagte aus §§ 33 Abs.
1, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB.

[...]

In der von der Beklagten vorgenommenen Sperrung ohne vorherige oder unverzüglich nach der Sperrung erfolgte Begründung und Anhörung, liegt ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne einer Behinderung des Klägers gem. § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB

aa. Die Behinderung des Klägers hat auch kartellrechtliche Relevanz.

Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Vorfall nicht nur um eine Vertragsverletzung im Einzelfall. Als Behinderung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB ist jedes Verhalten zu verstehen, dass die wettbewerbliche Betätigungsfreiheit eines anderen Unternehmens nachteilig beeinflusst (Bunte, KartellR/Nothdurft, 14. Aufl., § 19 GWB, Rn. 319 m.w.N.). Erforderlich ist, dass die Position des beeinträchtigten Unternehmens im Wettbewerb berührt wird.

Demgegenüber begründen Verstöße gegen Rechtsnormen (wie z.B. des Vertragsrechts), welche nicht den Inhalt von Marktbeziehungen zum Gegenstand haben oder auf sie einwirken, keinen Verstoß gegen § 19 GWB (HansOLG, Beschluss vom 29. Juni 2022, Az. 15 W 32/22, S. 15 f., vorgelegt als Anlage B 2; Bechtold/Bosch, in: Bechtold/Bosch, 10. Aufl. 2021, § 19 GWB, Rn. 5).

Die Sperrung der Facebook-Seite des Klägers betrifft jedoch Marktbeziehungen und berührt die Position des Klägers im Wettbewerb. Auch wenn es sich beim Kläger um einen gemeinnützigen Verein handelt, steht dieser hinsichtlich seiner Angebote, insbesondere seinen Veranstaltungen, im Wettbewerb mit anderen Film- und Kultureinrichtungen. Die Facebook-Seite wird zur Bewerbung von Veranstaltungen genutzt, mit der Folge, dass dem Kläger infolge der Sperre ein Kommunikationskanal abgeschnitten worden ist, der u.a. zur Bewerbung seiner Veranstaltungen genutzt worden ist. Dass der Kläger, worauf die Beklagte hinweist, noch über weitere Kanäle, wie u.a. seine Homepage und sein Instagram-Profil verfügt, steht einer marktbezogenen Behinderung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB nicht entgegen.

Ferner ist auch ein Nachweis konkreter nachteiliger Marktfolgen für die Bejahung eines Behinderungsmissbrauchs nicht erforderlich (Bunte aaO., Rn. 322). Ausreichend ist vielmehr ein Nachweis konkreter Gefahrenlagen, die sich vorliegend bereits aus der Sperre und damit aus den Einschränkungen bei der Veröffentlichung und Bewerbung der Angebote des Klägers ergeben. Feststellungen zum konkreten Rückgang der Teilnehmerzahlen sind hingegen nicht erforderlich.

bb. Das Vorgehen der Beklagten ist auch sachlich nicht gerechtfertigt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und den insoweit aufgestellten Mindestanforderungen an das Verfahren zur Sperrung von Nutzerkonten, ist der Nutzer umgehend über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos zu informieren, ihm ist der Grund dafür mitzuteilen und ihm ist eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt (vgl. BGH, Urteil v. 29.07.2021, Az. III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, 3189, Rn 85). Zwar kann es nach Auffassung der Kammer in Ausnahmefällen auch gerechtfertigt sein, eine Löschung der Inhalte und gegebenenfalls eine Sperrung des Accounts unmittelbar und ohne vorherige Anhörung vorzunehmen, um etwa das bedeutsame Verbot der Nacktdarstellung von Minderjährigen effektiv durchzusetzen, sobald z.B. ein Algorithmus verbotene Inhalte erkennt. Eine solche Maßnahme entsprach auch den Anforderungen von § 3 Abs. 2 NetzDG in der bis 14.05.2024 geltenden Fassung. Allerdings muss eine effektive Möglichkeit bestehen, diese automatisierte Entscheidung zu überprüfen. Dies ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht erfolgt. Nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 5 UAbs. 1 Verordnung (EU) 2019/1150 (nachfolgend: P2BVO) hat ein Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten, will er die Geschäftsbeziehung einseitig beenden, die konkreten Tatsachen oder Umstände, einschließlich des Inhalts der Mitteilungen Dritter, die ihn zu seiner Entscheidung bewogen haben, und die für diese Entscheidung maßgeblichen Gründe anzugeben. Dabei können die Wertungen der P2B-VO mittelbar in der Kartellrechtsanwendung Berücksichtigung finden, da es sich dabei um marktbezogene Vorschriften handelt (LG München I, Urteil v. 12.05.2021, 37 O 32/21, MMR 2021, 995, 998, Rn. 75 m.w.N.). Dies wird nicht zuletzt in Erwägungsgrund 7 der P2B-VO deutlich, wonach der Zweck der Verordnung in der Sicherstellung eines fairen, vorhersehbaren, tragfähigen und vertrauenswürdigen Online-Geschäftsumfelds im Binnenmarkt liegt. Entsprechendes gilt auch für die Vorgaben nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) und d), Abs. 3, Abs. 4 der Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG (nachfolgend: „Digital Services Act“). Auch hiernach erfordert die Sperrung von Nutzerkonten eine klare, spezifische und umfassende Begründung, die den Nutzer in die Lage versetzt, die gegen die Sperrung zur Verfügung stehenden internen wie externen Rechtsbehelfe zu ergreifen. Wenngleich die Vorgaben des Digital Services Act erst seit Februar 2024 vollumfänglich gelten, ist die Verordnung bereits im November 2022 in Kraft getreten und bringt damit jedenfalls den Willen des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, Seitensperrungen u.a. nicht ohne Anhörung des Betroffenen vorzunehmen.

Zugunsten des Klägers sind auch dessen Grundrechte im Wege der mittelbaren Drittwirkung von der Kammer bei der Anwendung von § 19 GWB und der insoweit vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen. Dabei hängt die Reichweite der mittelbaren Grundrechtswirkung von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Maßgeblich ist, dass die Freiheitssphären der Bürgerinnen und Bürger in einen Ausgleich gebracht werden müssen, der die in den Grundrechten liegenden Wertentscheidungen hinreichend zur Geltung bringt. Dabei können insbesondere auch die Unausweichlichkeit von Situationen, das Ungleichgewicht zwischen sich gegenüberstehenden Parteien, die gesellschaftliche Bedeutung von bestimmten Leistungen oder die soziale Mächtigkeit einer Seite eine maßgebliche Rolle spielen (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018, Az. 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667, Rn. 33 m.w.N.). Insoweit berücksichtigt die Kammer, dass die Nutzung von Facebook“ eine hohe soziale Relevanz hat, mit der Folge, dass sich der Kläger auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG), Filmfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG), (Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 9 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) sowie das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) berufen kann.

Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung vorträgt, dass sie aufgrund von Ziff. 4.2 der Nutzungsbedingungen, ebenso wie nach §§ 314, 626 BGB, ohne Anhörung bzw. Abmahnung zur dauerhaften Kontosperrung aus wichtigem Grund berechtigt sein kann, ist dies für die Beurteilung des konkreten Vorfalls anhand von § 19 GWB ohne Bedeutung. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das konkret in Rede stehende Bild keinen strafrechtlich relevanten Inhalt hat und die Beklagte auch darüber hinaus keine Gründe vorbringt, die sie im streitgegenständlichen Fall zur Sperrung ohne Anhörung des Klägers berechtigt hätten.



LG Düsseldorf: Kein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung wenn Schutzrechtsinhaber auf Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts vertrauen durfte

LG Düsseldorf
Urteil vom 20.02.2024
4c O 6/23


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass kein Schadensersatzanspruch wegen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung besteht, wenn der Schutzrechtsinhaber auf die Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts vertrauen durfte.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Mangels schuldhaftem Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb steht der Klägerin auch keine Schadensersatzforderung aus Deliktsrecht zu, § 823 Abs. 1 BGB.

1. Die Beklagte hat mit dem Schreiben vom 28. Juni 2017, nicht jedoch bereits mit dem Schreiben vom 31. Mai 2017, in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Beklagten eingegriffen.

Ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist im Falle einer Schutzrechtsverwarnung dann anzunehmen, wenn der vermeintlich Berechtigte auf Grundlage eines objektiv unberechtigten gewerblichen Schutzrechtes an den Inhaber des Gewerbebetriebs ein ernsthaftes und endgültiges Unterlassungsbegehren richtet (BGH NJW-RR 1997, 1404; OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 2161; BeckOK BGB/Förster, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 823 Rn. 203; BeckOGK/Spindler, 1.12.2023, BGB § 823 Rn. 223).

a. Gemessen an diesem Maßstab stellt das Schreiben vom 31. Mai 2017 keinen solchen Eingriff dar. Es mangelt bereits an der Geltendmachung eines ernsthaften und endgültigen Unterlassungsbegehrens.

Eine Aufforderung zur Unterlassung spricht das Schreiben nicht aus. Vielmehr fordert es den Empfänger zu weiteren Erklärungen auf. So heißt es auf S. 2 des Schreibens: „We should be grateful if you would you [sic!] explain the apparent contradiction in X’s position“. Weiter wird auf S. 3 unter der Überschrift „Way forward“ die Bereitstellung verschiedener, näher spezifizierter Informationen binnen 14 Tagen verlangt.

Die anderweitige Auffassung der Klägerin kann nicht überzeugen. Soweit das Schreiben auf eine Kenntnis des Antrags auf Marktzulassung abstellt, lässt sich den Ausführungen insoweit noch kein eindeutiges Unterlassungsbegehren entnehmen. Gleiches gilt für die von der Klägerin herangezogene Formulierung: „As you are no doubt aware, our clients do not hesitate to enforce their intellectual property rights when they consider it appropriate for them to do so.“ Diese stellt zwar eine allgemeine Klagebereitschaft in den Raum. Gleichwohl ist sie weder auf ein konkretes beanstandetes Produkt noch auf ein bestimmtes Schutzrecht bezogen und enthält zudem die Einschränkung, dass ein gerichtliches Vorgehen im Einzelfall für angemessen gehalten wird, ohne dass für den Empfänger des Schreibens ersichtlich wäre, aufgrund welcher Kriterien dies im vorliegenden Fall beurteilt werden kann. Weiterer Erörterung des Schreibens vom 31. Mai 2017 bedarf es deswegen nicht.

b. Das Schreiben vom 28. Juni 2017 ist dahingegen – wie zwischen den Parteien auch unstreitig – als ein solcher Eingriff einzustufen.

Dieses zweite Schreiben fordert die Beklagte auf, von der Markteinführung von „E“-Generika-Produkten sofort Abstand zu nehmen und stellt im Falle der Nichtabgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung unmittelbar ein gerichtliches Vorgehen gegen die Beklagte in Aussicht. Die Beklagte hat dieses Unterlassungsbegehren auch auf ihre Inhaberschaft der Europäischen Patente EP X, EPXund EP X gestützt und an die Klägerin als Inhaberin eines entsprechenden auf den Vertrieb von Medikamenten gerichteten Gewerbebetriebs gerichtet.

2. Die mit Schreiben vom 28. Juni 2017 erfolgte Abmahnung ist auch rechtswidrig.

Zwar ist die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht durch das Vorliegen des Eingriffs als solchem indiziert, sondern muss stets im Rahmen einer Interessen- und Güterabwägung festgestellt werden (BeckOGK/Spindler, 1.12.2023, BGB § 823 Rn. 214; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn. 370). Indes ist kein legitimes Interesse eines Schutzrechtsinhabers ersichtlich, einem Wettbewerber bei nicht bestehendem Schutzrecht ernsthaft und endgültig zur – nicht geschuldeten – Unterlassung aufzufordern. Damit fällt die Interessenabwägung vorliegend zugunsten der Klägerin als zu Unrecht abgemahnter Wettbewerberin aus und die mit Schreiben vom 28. Juni 2017 erfolgte Abmahnung ist rechtswidrig.

3. Die Beklagte hat mit Erteilung der Abmahnung, also dem Schreiben vom 28. Juni 2017, nicht schuldhaft gehandelt.

Verschulden im Rahmen der deliktischen Haftung setzt Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus, § 823 Abs. 1 BGB. Bezugspunkt des Vorsatzes sind diejenigen Aspekte, welche die Eigenschaft der Abmahnung als rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb begründen. Vorliegend muss sich der Vorsatz demnach auch auf das spätere rückwirkende Wegfallen desjenigen Schutzrechtes, auf das die Abmahnung gestützt ist, erstrecken. Ein Vorsatz der Beklagten insoweit ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin bereits nicht behauptet. Die Beklagte hat indes hinsichtlich des mangelnden Rechtsbestandes der geltend gemachten Schutzrechte auch nicht fahrlässig gehandelt.

a. Auch fahrlässiges Handeln lässt sich nicht feststellen.

Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB. Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt aber ein (vermeintlicher) Gläubiger nicht schon dann, wenn er nicht erkennt, dass seine Forderung in der Sache nicht berechtigt ist (BGHZ 179, 238, 246). Dies würde dem Gläubiger die Durchsetzung seiner Rechte unzumutbar erschweren, da seine Berechtigung nur in einem Rechtsstreit sicher zu klären ist (BGHZ 179, 238, 246; BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht der Gläubiger vielmehr regelmäßig schon dann, wenn er sorgfältig prüft, ob der eigene Rechtsstandpunkt plausibel ist (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; vgl. BGHZ 179, 238, 246; BGH NJW 2011, 1063, 1065; NJW 2008, 1147, 1148). Dies gilt nicht nur hinsichtlich tatsächlicher Voraussetzungen des geltend gemachten Rechts, sondern auch bei einer unklaren Rechtslage (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; NJW 2011, 1063, 1065; Staudinger/Caspers (2019) BGB § 276, Rn. 58). Ein Schutzrechtsinhaber setzt sich deshalb im Falle einer unberechtigten Verwarnung nicht dem Vorwurf schuldhaften Handelns aus, wenn er sich seine Überzeugung durch gewissenhafte Prüfung gebildet oder wenn er sich bei seinem Vorgehen von vernünftigen und billigen Überlegungen hat leiten lassen (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh).

Art und Umfang der Sorgfaltspflichten desjenigen, der eine Abmahnung ausspricht, werden maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit er auf den Bestand seines Schutzrechtes vertrauen darf. Bei einem geprüften Schutzrecht kann vom Rechtsinhaber keine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt werden, als sie der Erteilungsbehörde möglich war (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II). Konkret hat der Bundesgerichtshof ein Verschulden im Falle der Abmahnung aus einem wegen des Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG im Ergebnis nicht rechtsbeständigen Markenrechts verneint, weil das DPMA dieses absolute Eintragungshindernis im Erteilungsverfahren zu prüfen hatte und der Rechtsinhaber deswegen insoweit von der Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts ausgehen konnte (BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II). Besondere Umstände mögen dem Abmahner im Einzelfall besondere Sorgfaltspflichten auferlegen (BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II).

Damit im Einklang stehen die Erwägungen des Bundesgerichtshofes (BGH GRUR 2006, 219, 222 – Detektionseinrichtung II), dass jedenfalls ein auf den Bestand des Patentes gestütztes Verhalten nicht stets schuldlos ist, sondern jedenfalls derjenige Patentinhaber, der weitergehende Erkenntnisse über den Stand der Technik als die Erteilungsbehörde hat, aber diese Kenntnisse entgegen § 34 Abs. 7 PatG zurückhält, sowie der Patentinhaber, dem möglicherweise der Schutzfähigkeit entgegenstehendes Material nachträglich bekannt geworden ist und der wusste, dass dieses Material der Schutzfähigkeit des Patents entgegensteht oder der sich diese Erkenntnis in vorwerfbarer Weise verschlossen hat, schuldhaft handeln kann.

Diese Fälle haben gemein, dass der Rechtsinhaber im fraglichen Zeitpunkt gegenüber der Erteilungsbehörde im Erteilungszeitpunkt einen Wissensvorsprung hat. Gerade dieser Wissensvorsprung als besonderer Umstand rechtfertigt es, dem Schutzrechtsinhaber im Einzelfall besondere Sorgfaltspflichten aufzuerlegen (vgl. BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II).

Ein Festhalten an vorstehendem Verschuldensmaßstab ist auch vor dem Hintergrund der zwischen den Parteien diskutierten neueren Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.10.2023 – 2 U 124/22, GRUR-RS 2023, 29941 Rz. 86 ff. – Glatirameracetat) geboten. Das Oberlandesgericht hatte ein fahrlässiges Handeln bereits dann angenommen, wenn der Schutzrechtsinhaber bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass ein Widerruf des geltend gemachten Patents möglich ist. Im dortigen Fall war ein Rechtsbestandsverfahren anhängig. Das Oberlandesgericht hat diese Passage nicht zur Begründung einer Haftung herangezogen. Im dort zu entscheidenden Fall ging es vielmehr um eine verschuldensunabhängige Haftung aus § 945 ZPO. Das Oberlandesgericht hat ein entsprechendes Verschulden nur deshalb geprüft und schließlich bejaht, um die Frage einer Europarechtskonformität der verschuldensunabhängigen Haftung nach § 945 ZPO vor dem Hintergrund der Enforcement-Richtlinie dahinstehenlassen zu können. Um einen solchen Sonderfall geht es hier nicht. Die entsprechenden Erwägungen sind zudem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 11. Januar 2024, Rs. C-473/22 – Mylan AB/Gilead Sciences Finlan Oy u. a.) überholt.

Ein Fahrlässigkeitsmaßstab im deutschen Recht, der einen Vorwurf bereits daran knüpft, dass ein Widerruf des geltend gemachten Patents möglich erscheint, überspannt jedenfalls die an den (vermeintlichen) Rechtsinhaber gestellten Anforderungen und ist abzulehnen. Dieser Maßstab würde auch eine deutliche Verschärfung der bisher in der Rechtsprechung vertretenen Verschuldensmaßstäbe darstellen, die im Ergebnis nicht gerechtfertigt ist. Vielmehr besteht insbesondere im Patentrecht, etwa aufgrund nachträglich aufgefundenen Standes der Technik, stets die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in einem Rechtsbestandsverfahren. Damit liefe das Verschuldenserfordernis letztlich in diesen Fällen weitestgehend leer. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht der Gläubiger vielmehr entsprechend den zuvor geschilderten Grundsätzen schon dann, wenn er sorgfältig prüft, ob der eigene Rechtsstandpunkt plausibel, mithin vertretbar, ist. Ob ihm eine Entscheidung zu seinen Ungunsten möglich erscheint, ist – bei sorgfältig geprüftem und vertretbarem eigenem Rechtsstandpunkt – ohne Belang. Ebenfalls als solches ohne Bedeutung bleibt, ob ein Rechtsbestandsverfahren gegen das erteilte Schutzrecht anhängig ist. Vielmehr ist in der Sache zu differenzieren. Ein im Rahmen des Rechtsbestandsverfahrens gegenüber dem Schutzrechtsinhaber erfolgter Vortrag, etwa hinsichtlich neu aufgefundenem und potentiell schädlichem Stand der Technik, kann ohne weiteres nach den vorstehend geschilderten Grundsätzen neue Pflichten des Rechtsinhabers zur sorgfältigen Prüfung seines Rechtsstandpunktes auslösen, bei deren Verletzung er ab diesem Zeitpunkt fahrlässig hinsichtlich des Rechtsbestandes seines Schutzrechts handelt.

Es bedarf im vorliegenden Fall keiner grundsätzlichen Ausführungen dazu, ob sich ein Patentinhaber stets auf die rechtliche Einschätzung der Erteilungsbehörde bezüglich der von ihr zu prüfenden Erteilungsvoraussetzungen verlassen darf (in diese Richtung deutet indes BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II) und im Falle einer nachfolgenden abweichenden Einschätzung – bei nach wie vor gleichem Kenntnisstand des Patentinhabers wie der Erteilungsbehörde im Zeitpunkt der Erteilung – schuldlos hinsichtlich der Fehleinschätzung des Rechtsbestandes seines Schutzrechtes ist. Denn jedenfalls wenn die Erteilungsbehörde sich konkret mit bestimmten Erteilungsvoraussetzungen beschäftigt und diese bejaht hat oder bestimmte Erteilungsvoraussetzungen gerügt wurden und die Erteilung trotzdem erfolgte, darf sich der Rechtsinhaber unter Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auf diesen Rechtstandpunkt als vertretbar berufen. Insoweit kann von ihm keine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt werden, als sie der Erteilungsbehörde möglich war.

b. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorgetragenen Anhaltspunkte, dass die Beklagte auf die Rechtsbeständigkeit ihres Schutzrechtes vertrauen durfte.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass im Erteilungsverfahren des EP X Dritte Einwendungen hinsichtlich der Patentierbarkeit gestützt auf einen Verstoß gegen Art. 76 Abs. 1 EPÜ erhoben haben. Der Gegenstand des EP X sei nicht unmittelbar und eindeutig in der Stammanmeldung offenbart. Dies betraf – zwischen den Parteien unstreitig – auch Aspekte, die letztlich im Einspruchsverfahren zum Widerruf des erteilten EP X wegen Verstoßes gegen Art. 76 Abs. 1 EPÜ führten.

Nichtsdestotrotz hat in Ansehung dieser Umstände die Erteilungsbehörde das EP X erteilt. Soweit die Klägerin vorträgt, die Einwendungen seien, obgleich Aktenbestandteil, inhaltlich nicht geprüft worden, so gibt es hierfür keinerlei Anhaltspunkte. Hierauf kommt es auch nicht an. Vielmehr darf sich der Schutzrechtsinhaber jedenfalls hinsichtlich im Erteilungsverfahren erhobener Einwände, die eine Erteilung nicht hinderten, auf die Rechtseinschätzung der Erteilungsbehörde verlassen.

Im Erteilungsverfahren der EPX und EP X sind zwar keine vergleichbaren Einwände erhoben worden. Indes sind die EP X, EPX und EP X sämtlich aus derselben Stammanmeldung abgezweigt. Schon mit Blick auf die im Erteilungsverfahren des EP X geltend gemachten Einwendungen konnte und musste die Beklagte damit rechnen, dass sich die Prüfungsabteilung auch hinsichtlich der von Amts wegen zu prüfenden Voraussetzungen des Art. 76 Abs. 1 EPÜ bei den EPX und EP X, die derselben Patentfamilie angehören, mit dem Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung auseinandersetzt, zumal eine Erteilung durch dieselben Personen erfolgte. Die Einwendungen im Erteilungsverfahren des EP X wurden auch zeitlich vor der Erteilung des EPX vorgetragen. Die Entscheidung zur Veröffentlichung des EP X datiert auf den 20. Oktober 2016, die der EPX und EP X jeweils auf den 13. April 2017. Gleiches gilt hinsichtlich des EP X. Die Gründe für den Widerruf sind, wie zwischen den Parteien unstrittig, beim EPX und EP X identisch. Darf die Beklagte als Schutzrechtsinhaberin darauf vertrauen, dass ihre Rechtsauffassung hinsichtlich des EPX– in Übereinstimmung mit der Erteilungslage – durchgreift, so gilt gleiches für sich beim EP X in identischer Weise stellenden Rechtsfragen.

Damit durfte die Beklagte vorliegend in Übereinstimmung mit der von der Erteilungsbehörde zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung auf den Bestand ihrer Schutzrechte vertrauen. Ein Verschulden ist soweit nicht gegeben.

Bestätigt wurde das Vertrauen der Beklagten in ihre Rechtsauffassung im vorliegenden Fall überdies dadurch, dass sie im Zeitpunkt der Abmahnung auch bereits zwei einstweilige Verfügungen mit den streitgegenständlichen Patenten erwirkt hatte.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Düsseldorf: Art. 15 DSGVO ist eine Marktverhaltensregel nach § 3a UWG - Verstoß kann von Verbraucherschutzvereinen abgemahnt werden

LG Düsseldorf
15.03.2024
34 O 41/23

Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass Art. 15 DSGVO eine Marktverhaltensregel nach § 3a UWG ist. Ein Verstoß kann von Verbraucherschutzvereinen abgemahnt werden

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Unterlassungsanspruch zu 2) ist begründet gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 1, § 3, 3a UWG i.V.m. Art. 15 DSGVO.

1. Der Kläger ist als qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG klagebefugt (EuGH, Urteil vom 28.04.2022 – C-319/20 – Meta Platforms Ireland; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Auflage 2024, § 3a UWG, Rn. 1.40b ff.).

2. In der Auskunftserteilung liegt eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG, weil sie im Zusammenhang mit der Durchführung eines (vermeintlichen) Vertrags über Waren steht. Die Beklagte hat Herrn … erst knapp zwei Monate nach seinem Auskunftsbegehren (Anlage K 4) die geforderte datenschutzrechtliche Auskunft (Anlage K 5) erteilt und damit gegen Marktverhaltensregelungen verstoßen.

Nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf die in der Vorschrift nachfolgend aufgezählten Informationen. Gemäß Art. 12 Abs. 3 Satz 1 DSGVO hat der Unternehmer einer betroffenen Person die Auskunft nach Art. 15 DSGVO unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. Diese Frist hat die Beklagte unstreitig nicht eingehalten. Bei Art. 12 Abs. 3, Art. 15 DSGVO handelt es sich um Marktverhaltensvorschriften im Sinne des § 3a UWG. Marktverhalten ist jede Tätigkeit auf einem Markt, die objektiv der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dient und durch die ein Unternehmer auf Mitbewerber, Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer einwirkt. Eine Norm regelt das Marktverhalten, wenn sie einen Wettbewerbsbezug aufweist, indem sie die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt. Eine Vorschrift, die dem Schutz von Rechten, Rechtsgütern oder sonstigen Interessen von Marktteilnehmern dient, ist eine Marktverhaltensregelung, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Abschluss von Austauschverträgen und den nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleitung berührt wird. Dabei genügt, dass die Vorschrift zumindest auch den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezweckt. Datenschutzrechtliche Bestimmungen weisen einen wettbewerbsrechtlichen Bezug auf, soweit es um die Zulässigkeit der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von Daten geht, etwa zu Zwecken der Werbung, der Meinungsforschung, der Erstellung von Nutzerprofilen, des Adresshandels oder sonstiger kommerzieller Zwecke (vgl. statt aller: OLG Stuttgart, Urteil vom 27.02.2020 – 2 U 257/19 – Reifensofortverkauf, m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs handelt es sich bei Art. 12, Art. 15 DSGVO um Marktverhaltensregelungen. Die Auskunftspflicht und die diesbezügliche Frist dienen dem Verbraucherschutz. Sie flankieren die Informationspflichten des Unternehmers nach Art. 13 DSGVO, wonach der Verantwortliche im Sinne von Art. 4 DSGVO vor der Entgegennahme personenbezogener Daten des Interessenten über bestimmte Umstände zu informieren hat. Beide Informations- bzw. Auskunftspflichten dienen dem Interesse des Verbrauchers und sonstigen Marktteilnehmers, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen. Bei den Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO dienen sie dem Verbraucher zur Entscheidung, ob er mit dem Unternehmen überhaupt in Kontakt treten möchte (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.). Die Auskunftspflicht nach Art. 15 DSGVO und die Frist in Art. 12 DSGVO dienen im Nachgang zur Geschäftsanbahnung der Vertragsabwicklung. Sie ermöglichen damit dem Verbraucher eine geschäftliche Entscheidung über sein weiteres Handeln in diesem Geschäftskontakt zu treffen.

4. Der Verstoß ist auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Die Spürbarkeitsklausel hat den Zweck, solche Fälle des Verstoßes gegen eine Marktverhaltensregelung von der Verfolgung auszunehmen, die keine nennenswerte Auswirkung auf andere Marktteilnehmer haben. Denn daran besteht kein Interesse der Allgemeinheit. Ein Verbot ist vielmehr nur dann erforderlich, wenn dies der Schutz der Verbraucher, der Mitbewerber oder der sonstigen Marktteilnehmer erfordert. Das ist aber nur dann der Fall, wenn sich die unlautere geschäftliche Handlung tatsächlich auf die anderen Marktteilnehmer auswirkt oder doch auswirken kann (Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O., Rn. 1.96). Bei den Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern geht es in erster Linie darum, eine informierte und freie geschäftliche Entscheidung (§ 2 Abs.1 Nr. 1 UWG) treffen zu können (Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O., Rn. 1.98). Da die fristgerechte Auskunftserteilung dem Verbraucher ermöglicht, die weitere Durchführung eines Vertrags oder Geschäftskontakts zu gestalten, ist ein hiergegen gerichteter Verstoß als spürbar zu bewerten. Denn sie dient letztlich der informierten Entscheidung.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Düsseldorf: Fotograf hat keine Ansprüche wegen Urheberrechtsverletzung wenn Hotelbetreiber Fotos vom Hotelzimmer mit einer Fototapete im Internet veröffentlicht

OLG Düsseldorf
Urteil vom 08.02.2024
20 U 56/23


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass ein Fotograf, der Urheber des Fototapetenmotivs ist, keine Ansprüche wegen einer Urheberrechtsverletzung zustehen, wenn ein Hotelbetreiber Fotos vom Hotelzimmer mit einer entsprechenden Fototapete im Internet veröffentlicht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer entscheidungserheblichen Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO durch das Landgericht, noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine abweichende Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht vollumfänglich abgewiesen. Der Klägerin stehen - ihre Aktivlegitimation und die Urheberschaft ihres CEO, Herrn ..., an den streitgegenständlichen Fotografien mit den Titeln "Calm Table Dancer" und "Wavebreaker at Baltic Sea" unterstellt - die geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Die Beklagte hat zwar die zumindest als Lichtbild gemäß § 72 UrhG geschützten Fotografien ohne Urheberbenennung (§ 13 UrhG) vervielfältigt, §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 16 UrhG, und öffentlich zugänglich gemacht, §§ 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 19a UrhG. Sie hat aber durch dieses Verhalten weder die - insoweit unterstellten - Rechte der Klägerin noch das - unterstellt in Prozessstandschaft geltend gemachte - Urheberpersönlichkeitsrecht des Herrn ... widerrechtlich verletzt.

I. Durch die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Fotografien zur Bewerbung des von ihr betriebenen Hotels hat die Beklagte keine Urheberrechte der Klägerin verletzt.

1. Es kann offen bleiben, ob die Fototapeten als unwesentliches Beiwerk der auf den angegriffenen, von der Beklagten für die Bewerbung ihres Hotels verwendeten Aufnahmen eines Gastzimmers und eines Raums im Spa-Bereich im Sinne des § 57 UrhG anzusehen sind, weil sie weggelassen oder ausgetauscht werden könnte, ohne dass dies dem durchschnittlichen Betrachter auffiele und ohne dass die Gesamtwirkung des Hauptgegenstandes in irgendeiner Weise beeinflusst würde (siehe dazu BGH, Urteil vom 17. November 2014, Az.: I ZR 177/13, NJW 2015, 2119 Rn. 27 -Möbelkatalog; zur Frage der Auslegung des § 57 UrhG in diesem Zusammenhang: Wyphol, ZUM 2023, 688, 692).

Denn der Beklagten sind mit Erwerb der streitgegenständlichen Fototapeten konkludent urheberrechtliche Nutzungsrechte an den Tapeten eingeräumt worden. Zur Begründung kann zunächst vollumfänglich auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts Bezug genommen werden, auf die zwecks Vermeidung von Wiederholungen umfassend verwiesen wird und die sich der Senat nach eigener Prüfung zu eigen macht.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist ergänzend das Folgende auszuführen:

a. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die von der Beklagten erworbenen, zur Dekoration der Räumlichkeiten des Hotels ... verwendeten und auf den öffentlich zugänglich gemachten Fotografien der Räumlichkeiten sichtbaren Fototapeten mit der Zustimmung und auf Veranlassung von Herrn ... in den Verkehr gelangt sind.

Dem steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die Beklagte die streitgegenständlichen Fototapeten von einem Unternehmen erworben hat, an dem Herr ... nach dem Vortrag der Klägerin nicht beteiligt ist und bei dem es sich auch nicht um einen von Herrn ... autorisierten Vertriebspartner handelt. Denn es ist davon auszugehen, dass die Fa. "... group", von der die Beklagte ausweislich der vorgelegten Rechnung vom 11. Januar 2011 (Anlage Bl) die in Rede stehenden Fototapeten erworben hat, diese als Zwischenhändlerin von einem von Herrn ... betriebenen Unternehmen - z.B. der M... GmbH & Co. KG - erworben und dann über ihren Webshop "S....de" weiterverkauft hat. Diese Annahme ist zum einen aufgrund des Umstands gerechtfertigt, dass die beiden auf den Fototapeten abgebildeten Motive den Lichtbildern, für die die Klägerin Urheberrechte beansprucht, genau entsprechen, insbesondere keinen anderen Ausschnitt, eine andere Farbwahl oder eine sonstige Bearbeitung zeigen und Fototapeten mit genau diesen Motiven nach dem eigenen Vortrag der Klägerin mit Zustimmung von Herrn ... angefertigt und in großer Stückzahl verkauft worden sind. Die Klägerin hat auch nicht geltend gemacht und dargelegt, dass und ggf. wie sich die von der Beklagten erworbenen, streitgegenständlichen Fototapeten von denen unterscheiden, die von der M... GmbH & Co. KG mit denselben Motiven vertrieben wurden. Auch zu der Vertriebsstruktur der M... GmbH & Co. KG bzw. zur generellen Vertriebsstruktur für die von Herrn ... autorisierten Fototapeten im relevanten Zeitraum - Januar 2011 - hat die Klägerin nicht vorgetragen. Daher ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die streitgegenständlichen Fototapeten, welche die Beklagte in dem von ihr betriebenen Hotel verwendet hat, nicht mit Zustimmung und auf Veranlassung des Herrn ... auf den Markt gelangt sind.

Soweit die Klägerin mutmaßt, die Beklagte habe die "frei im Internet verfügbaren" Fotos von Herrn ... genutzt, um selbst Fototapeten mit diesen Motiven anfertigen zu lassen, ist dies aufgrund der schlechten Auflösung von im Internet frei verfügbaren Fotos zum einen unwahrscheinlich, zum anderen spricht die als Anlage B1 vorgelegte Rechnung der "... group", in der die einzelnen Fototapeten jeweils mit einem Titel näher bezeichnet werden, gegen eine solche Annahme. Denn die Rechnung weist hinsichtlich jedenfalls einer der beiden Fototapeten genau den von dem vermeintlichen Urheber, Herrn ..., verwendeten, individuellen Titel "Calm Temple Dancer" auf. Wieso die Beklagte genau denselben Bildtitel für von ihr gestaltete und in Auftrag gegebene Fototapeten gewählt haben sollte, ist dabei nicht erklärlich. Schließlich lässt auch der Umstand, dass die Beklagte zwei Fototapeten bei der Fa. "... group" erworben hat, die beide jeweils ein Lichtbild des Herrn ... wiedergeben, die Schlussfolgerung zu, dass die Fototapeten mit Einverständnis des Herrn ... in den Vertrieb gekommen und von einem von Herrn ... beauftragten Unternehmen - z.B. der M... GmbH & Co. KG - an die "... group" weitervertrieben worden sind. Andernfalls ließe sich nicht erklären, warum die Beklagte ausgerechnet zwei Lichtbilder des Herrn ... irgendwo im Internet gefunden und diese für die Anfertigung einer Fototapete benutzt haben sollte.

b. Die Annahme des Landgerichts, Herr ... habe - über eine seiner Vertriebsgesellschaften für auf der Grundlage seiner Fotografien angefertigten Fototapeten -, z.B. die M... GmbH & Co. KG - den Käufern der Fototapeten konkludent ein einfaches Nutzungsrecht mit dem Inhalt eingeräumt, dass diese zur Ablichtung des Raumes mit der an der Wand angebrachten Fototapete und zum öffentlichen Zugänglichmachung dieser Lichtbilder berechtigt seien, weist keine Rechtsfehler auf.

Die vertragsgemäße Nutzung einer Fototapete sieht ihre untrennbare Verbindung mit dem Raum vor. Nachdem sie mit der Wand verklebt wurde, dient sie zum einen der Dekoration des Raumes. Darüber hinaus gehört zu ihrer bestimmungsgemäßen Nutzung - sowohl in privaten, als auch in gewerblichen Räumen dass von dem mit der Fototapete ausgestatteten Raum Lichtbilder gefertigt sowie diese verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Denn bei lebensnaher Betrachtung kann von dem Erwerber einer Fototapete im Rahmen einer vertragsgemäßen Nutzung nicht erwartet werden sicherzustellen, dass keine Lichtbilder in dem mit der Fototapete ausgestattetem Raum gefertigt werden oder die Fototapete abgedeckt oder auf den gefertigten Lichtbildern nachträglich retuschiert wird. Hätte der Erwerber um diese gravierende Einschränkung der bestimmungsgemäßen Nutzung gewusst, so ist zu erwarten, dass er die Fototapete niemals erworben hätte; die Fototapeten wären schlicht unverkäuflich. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich der Fotograf einer stillschweigenden Einräumung einfacher Nutzungsrechte im dargestellten Umfang bewusst war. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist jedenfalls davon auszugehen und Gegenteiliges trägt auch die Klägerin nicht vor, dass der Fotograf ein wirtschaftliches Interesse an dem Verkauf der Rechte an den von ihm gefertigten Fotos und damit letztlich auch an dem Verkauf der Fototapeten hatte. Eine Vertragsauslegung, die faktisch zu einer Unverkäuflichkeit der Fototapeten führt, widerspricht den allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen gemäß §§ 133, 157 BGB, da sie schlicht nicht sach- und interessengerecht ist.

2. Zudem ist die Klägerin - wie ebenfalls bereits vom Landgericht mit zutreffender Begründung angenommen - infolge des Inverkehrbringens der Fototapeten nach Treu und Glauben gern. § 242 BGB daran gehindert, Ansprüche wegen der streitgegenständlichen Veröffentlichung von Innenaufnahmen des von der Beklagten betriebenen Hotels, auf denen die Fototapeten zu sehen sind, geltend zu machen, weil sie sich durch ihre Rechtsausübung in rechtsmissbräuchlicher Art und Weise in Widerspruch zu ihrem vorherigem Verhalten setzt.

Ein widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) ist rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. Urteil vom 16. März 2017, Az.: I ZR 39/15, GRUR 2017, 702). Eine Rechtsausübung ist unzulässig, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenseite deshalb vorrangig schutzwürdig erscheinen (vgl. BGH, Urteil vom Urteil vom 16. März 2017, Az.: I ZR 39/15, GRUR 2017, 702 Rn. 96 - PC mit Festplatte I mit Hinweis auf BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015, Az.: XII ZB 508/14, MDR 2015, 1101 Rn. 12; Urteil vom 12. Juli 2016, Az.: XI ZR 501/15, WM 2016, 138 Rn. 20).

Vorliegend lassen die Gesamtumstände die Rechtsausübung durch die Klägerin als treuwidrig erscheinen. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin wurden die auf den streitgegenständlichen Fototapeten abgebildeten Fotos mit Zustimmung ihres Geschäftsführers und CEOs Herrn ..., der nach dem Vortrag der Kläger auch Urheber der Fotos ist, für die Herstellung und den Vertrieb von Fototapeten benutzt, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Als Erwerber der streitgegenständlichen Fototapeten durfte die Beklagte jedoch davon ausgehen, dass sie die Fototapeten nicht nur bestimmungsgemäß in dem von ihr betriebenen Hotel fest mit der Wand verkleben durfte, sondern auch Lichtbilder der Hotel-Räumlichkeiten, auf denen (auch) die Fototapeten zu sehen waren, anfertigen und öffentlich zugänglich machen durfte, weil dieses Vorgehen im Digitalzeitalter üblich ist.

Durch das Inverkehrbringen der Fototapeten hat der vermeintliche Urheber der hierfür genutzten Fotos einen Vertrauenstatbestand geschaffen, weil die Beklagte vernünftigerweise davon ausgehen durfte, dass die nunmehr angegriffene Nutzung der Fototapete von der Einwilligung des Urhebers bzw. Rechteinhabers gedeckt sei und sich dieser auch nicht in seinen Interessen beeinträchtigt fühlen würde (vgl. Urteil des LG Stuttgart vom 25. Oktober 2022, Az. 17 O 39/22, GRUR-RS 2022, 48323). Dies gilt jedenfalls solange der Erwerber der Fototapete keinen gegenteiligen Hinweis auf eine nur eingeschränkte Nutzung oder eine Verpflichtung zur Zahlung von Lizenzgebühren erhält und solange die Nutzung der Fototapete über eine naheliegende und nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu erwartenden Nutzung nicht hinausgeht. Diese Ausnahmen liegen jedoch nicht vor. Die Klägerin behauptet selbst nicht, bei der Vermarktung ihrer Fototapeten die Erwerber darauf hingewiesen zu haben, dass keine Befugnis zur Vervielfältigung durch Erstellen von Lichtbildern der mit der Fototapete ausgestattete Räume und deren öffentliches Zugänglichmachen besteht, obwohl dies ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen wäre.

Überdies geht die angegriffene Nutzung der Fototapeten durch die Beklagte auch nicht über die übliche Nutzung hinaus, weil die Beklagte die Räumlichkeiten ihres Hotels, in denen die streitgegenständlichen Fototapeten verwendet wurden, zu naheliegenden Werbezwecken fotografiert und diese Fotos zum Vertrieb ihres Hotels verwendet hat.

Die Fototapeten standen - ihrem Wesen entsprechend - dabei nicht im Mittelpunkt der Lichtbilder, und sie sind überdies klar als solche zu erkennen. Hätte die Beklagte darum gewusst, dass die Klägerin in der Vervielfältigung durch Erstellen von Lichtbildern der mit der Fototapete ausgestatteten Räume und deren öffentliches Zugänglichmachen eine Urheberrechtsverletzung erblickt und sich zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in einer den Kaufpreis der Fototapete um ein Vielfaches übersteigenden Höhe berechtigt sieht, so ist anzunehmen, dass sie die Fototapete niemals erworben hätte.

Zu dem insoweit geschaffenen Vertrauenstatbestand setzt sich die Klägerin in Widerspruch, wenn sie sich nunmehr auf eine Verletzung von Urheberrechten wegen der Veröffentlichung von Fotos, auf denen die Fototapeten zu sehen sind, beruft und handelt somit treuwidrig gem. § 242 BGB.

II. Aus den vom Landgericht dargelegten Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird und denen sich der Senat anschließt, kann die Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auch nicht auf eine Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts in Gestalt des Urheberbenennungsrechts gemäß § 13 UrhG stützen.

1. Allerdings ergibt sich aus § 13 UrhG ein Recht des Urhebers auf Namensnennung, dessen widerrechtliche Verletzung Ansprüche auf Unterlassung und Schadenersatz, § 97 UrhG, sowie Ersatz von Abmahnkosten, § 97a Abs. 3 UrhG, begründen kann. Auch ist das Recht des Urhebers auf Anbringung der Urheberbezeichnung in seinem Kern unverzichtbar (BGH GRUR 2023, 1619 - Microstock-Portal; Schulze, in: Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 7. Auflage, § 13 Rn. 24). Außerhalb seines unverzichtbaren Kerns ist das Recht des Urhebers auf Anbringung der Urheberbezeichnung indes vertraglichen Einschränkungen zugänglich (BGH a.a.O.). Daraus, dass der Urheber nach § 13 Satz 2 UrhG bestimmen kann, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen und welche Bezeichnung zu verwenden ist, ergibt sich, dass es ihm grundsätzlich freisteht, auf die Ausübung dieses Rechts zu verzichten (Schulze, a.a.O.) oder in dieses Recht beeinträchtigende Nutzungen einzuwilligen (Peukert, in: Schricker/Loewenheim/, UrhG, 6. Auflage, vor §§ 12 ff. Rn. 17). Das Recht auf Anbringung der Urheberbezeichnung kann grundsätzlich durch ausdrücklich oder stillschweigend getroffene vertragliche Vereinbarung zwischen Urheber und Werkverwerter eingeschränkt werden.

2. Dies berücksichtigend ist im Streitfall jedenfalls von einem stillschweigenden Verzicht auszugehen. So ist zwar der konkrete Inhalt der vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Urheber Herrn ... und dem von ihm zur Fertigung von Fototapeten autorisierten Unternehmen - z.B. der M... GmbH & Co. KG - nicht bekannt. Unstreitig ist indes, dass die Fototapeten selbst keinerlei Urheberbezeichnung enthalten, was mangels gegenteiliger Anhaltspunkte den Schluss rechtfertigt, dass Herr ... auf sein Recht auf Anbringung der Urheberbezeichnung durch schlüssiges Verhalten verzichtet hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Düsseldorf: Außerordentliche Kündigung eines Galerievertrages mit 10jähriger Laufzeit möglich da Kunstfreiheit des Künstlers erheblich eingeschränkt wird

LG Düsseldorf
Urteil vom 19.01.2023
15 O 82/22


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass die außerordentliche Kündigung eines Galerievertrages mit 10jähriger Laufzeit durch einen Künstler möglich ist, da hierdurch die Kunstfreiheit des Künstlers erheblich eingeschränkt wird.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Urteil im Galerieprozess

Die 15. Zivilkammer des Landgerichts Düseldorf hat am Freitag, dem 19.01.2024, unter ihrem Vorsitzenden Dr. Jonas Küssner in dem Rechtsstreit 15 O 82/22 ein Teilurteil verkündet.

Der Kläger ist ein in Deutschland und international überaus bekannter Künstler. Die Beklagte zu 1) ist eine renommierte Kunstgalerie aus Düsseldorf, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist. Die Parteien sind seit Anfang 2017 ¸ber mehrere langfristige Galerie- und Kooperationsverträge miteinander verbunden. Sie streiten sich sowohl um Zahlungen im Rahmen der Durchführung der Verträge als auch um die Wirksamkeit und den Fortbestand einzelner Verträge. Der Kläger verlangt von der Beklagten zu 1) Zahlungen unter anderem aus Verkäufen seiner Bilder, die Herausgabe einzelner Original-Gemälde sowie die Feststellung der wirksamen Kündigung der Verträge. Die Beklagte zu 1) macht gegen den Kläger Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung der Verträge sowie Auskunftsansprüche bezüglich der Verkäufe von Kunstwerken geltend.

Mit Teilurteil vom 19.01.2024 hat die Kammer festgestellt, dass der Galerie- und Kooperationsvertag sowie weitere ergänzende Verträge zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung des Klägers beendet worden sind. Insoweit sah die Kammer im Rahmen einer Interessenabwägung den Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit vor dem Hintergrund der zehnjährigen Vertragslaufzeit sowie der vertraglichen Verpflichtungen des Klägers, pro Jahr eine bestimmte Anzahl an Kunstwerken auf Leinwand zu erschaffen, als unwirksam an. Die langjährige Bindung an eine Galerie stelle eine nicht unerhebliche Einschränkung insbesondere der Kunstfreiheit des Klägers dar. Insbesondere die langfristige Verpflichtung, Kunstwerke auf Leinwand zu erbringen, begrenze die Möglichkeiten des Klägers, sich als junger Künstler auch in anderer Form auszuprobieren und seiner Kunst Ausdruck zu verleihen.

Die Beklagte zu 1) wurde zudem zur Herausgabe von Kunstwerken, darunter die zu dem sog. „17 Global Goals“ gehörenden Originalkunstwerke, verurteilt. Die Beklagte zu 1) muss dem Kläger ferner Auskunft erteilen zu sämtlichen Veräußerungen von Seite 2 von 2 Originalkunstwerken. Der Kläger wurde dazu verurteilt, der Beklagten zu 1) Auskunft über die Verkäufe von Kunstwerken während der Vertragslaufzeit zu erteilen. Die Zahlungsansprüche der Parteien hatten teilweise Erfolg. Unter Abzug der Ansprüche der Beklagten zu 1) steht dem Kläger nach Ansicht der Kammer noch eine Restforderung in Höhe von ca. 285.000,00 € zu. Nach Erteilung der Auskünfte können die Parteien den Fortgang des Verfahrens beantragen und gegebenenfalls weitere Zahlungsansprüche geltend machen. Das Teilurteil ist nicht rechtskräftig. Die Parteien können gegen das Teilurteil Berufung einlegen, über welche das Oberlandesgericht Düsseldorf zu entscheiden hätte.



LG Düsseldorf: Keine Urheberrechtsverletzung wenn Hotelbetreiber Fotos vom Hotelzimmer im Internet veröffentlicht und eine Fototapete zu sehen ist

LG Düsseldorf
Urteil vom 19.04.2023
12 O 129/22

Das LG Düsseldorf hat zutreffend entschieden, dass keine Urheberrechtsverletzung vorliegt, wenn ein Hotelbetreiber Fotos vom Hotelzimmer im Internet veröffentlicht und auf den Fotos eine Fototapete zu sehen ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Klägerin stehen weder der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 97 Abs. 1, 15, 16, 19a UrhG noch der geltend gemachte Schadensersatzanspruch und der Feststellungsanspruch insoweit nach §§ 97 Abs. 2, 15, 16, 19a UrhG noch der gem. § 242 BGB zur Bezifferung des Schadensersatzanspruchs geltend gemachte Auskunftsanspruch noch ein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten gemäß § 97 a UrhG zu, weil eine urheberrechtswidrige Nutzung durch das Ablichten der Räume mit der an der Wand angebrachten Fototapete und das öffentliche Zugänglichmachen dieser Lichtbilder nicht festgestellt werden kann (I.), eine rechtswidrige Urheberrechtsverletzung nicht vorliegt (II.) und den geltend gemachten Ansprüchen jedenfalls der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegensteht (III.). Die geltend gemachten Ansprüche können auch nicht aus einer Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts in Form des Urheberbenennungsrechts hergeleitet werden (IV.). Die Aktivlegitimation der Klägerin wird insoweit zu ihren Gunsten unterstellt.

I. Durch das Erstellen von Lichtbildern der mit der Fototapete ausgestatteten Räumen und das Einstellen dieser Lichtbilder auf verschiedene Internetseiten sind zwar die Lichtbilder „D“ sowie „X2“ öffentlich zugänglich gemacht worden. Ein Eingriff in urheberrechtliche Nutzungsrechte scheidet jedoch aus, weil die Beklagte mit dem Erwerb des Sacheigentums an den Fototapeten von der Firma F ein einfaches Nutzungsrecht dahingehend erworben hat, dass sie Lichtbilder der Fototapete im Rahmen von Lichtbildern der Räume fertigen bzw. fertigen zu lassen durfte. Zugleich ermöglichte ihr das eingeräumte Nutzungsrecht, diese Lichtbilder zu vervielfältigen bzw. vervielfältigen zu lassen und öffentlich zugänglich zu machen bzw. öffentlich zugänglich zu lassen.

Die Darlegungs- und Beweislast für eine Einräumung bzw. den Umfang und die Reichweite eines Nutzungsrechts trägt der Beklagte als Verwerter (vgl. BGH GRUR 1996, 121, 123).

Eine ausdrückliche, schriftliche oder mündliche Einräumung von Nutzungsrechten ist weder im Verhältnis des Fotografen zu den von ihm autorisierten Herstellern noch zwischen der Firma F und der Beklagten vereinbart worden. Jedoch ist von einer Einräumung der Nutzungsrechte durch schlüssiges Verhalten auszugehen.

Der Kammer ist durch eine Vielzahl von Verfahren sowie aus dem seitens der Klägerin in Bezug genommenen Urteil des Landgerichts Köln (Anlage K18) bekannt, dass der Fotograf C seine Fotos durch die Firma N, deren Geschäftsführer er war, als Fototapeten vertrieb. Soweit die Klägerin bestreitet, dass die Beklagte die Fototapeten von „einem autorisierten Hersteller“ erwarb, ist dies unerheblich. Da die Klägerin vom Fotografen selbst vertreten wird, hat sie Kenntnis von den Vertriebswegen und kann sich im Rahmen ihrer Verpflichtung zum vollständigen und wahrheitsgemäßen Vortrag gem. § 138 ZPO nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken. Auch ihr Vorbringen, die Firma F nicht zu kennen, ist nicht ausreichend. Die Klägerin hat weder hinsichtlich einer urheberrechtswidrigen Herstellung von Fototapeten konkret vorgetragen noch hat sie einen Vertrieb von hergestellten Fototapeten näher erläutert, obwohl ihr dieser über ihren Geschäftsführer bekannt war. Ist deshalb davon auszugehen, dass die Beklagte die Tapete von einem Händler erwarb, der diese wiederum von einem autorisierten Hersteller erworben hatte, so muss von einem Erwerb von Nutzungsrechten ausgegangen werden.

Die Einräumung von Nutzungsrechten kann grundsätzlich formfrei und auch konkludent erfolgen. Bei der Auslegung im Lichte des Zwecks der Übertragung ist zu ermitteln, ob die Einräumung eines Rechts gewollt ist. Eine stillschweigende Einräumung kommt nur dann in Betracht, wenn angesichts der gesamten Umstände nach dem objektiven Inhalt der Erklärung unzweideutig zum Ausdruck kommt, dass der Erklärende über sein Urheberrecht in der Weise verfügen will, dass er einem Dritten daran ein bestimmtes Nutzungsrecht einräumen will. Auch wenn sich der Vertragszweck wegen seiner urheberschützenden Funktion aus Sicht des Urhebers be- stimmt (vgl. BGH GRUR 2002, 248, 251), ist der objektive Empfängerhorizont zu berücksichtigen. Nach dem Zweckübertragungsgedanken des § 31 Abs. 5 UrhG räumt der Urheber im Zweifel ein Nutzungsrecht nur in dem Umfang ein, den der Vertragszweck unbedingt erfordert. In dieser Auslegungsregel kommt zum Ausdruck, dass die urheberrechtlichen Befugnisse die Tendenz haben, soweit wie möglich beim Urheber zu verbleiben, damit dieser in angemessener Weise an den Erträgnissen seines Werks beteiligt wird. Im Allgemeinen werden deshalb nur die Nutzungsrechte stillschweigend eingeräumt, durch welche die Erreichung des Vertragszwecks ermöglicht wird, dagegen kann die Einräumung von über den Vertragszweck hinausgehenden Nutzungsrechte nur angenommen werden, wenn ein dahingehender Parteiwille – ggf. aufgrund der Begleitumstände und des schlüssigen Verhaltens der Parteien – unzweideutig zum Ausdruck kommt. Ob das der Fall ist, ist durch eine Auslegung des Vertrages zu ermitteln; dabei sind die gesamten Umstände nach Maßgabe von Treu und Glauben und sowie der Verkehrssitte zu berücksichtigen. Maßgeblicher Umstand kann eine Branchenüblichkeit – hier bei der Verwertung der Fototapete – sein, wenn diese Rückschlüsse auf einen objektivierten rechtsgeschäftlichen Willen der Vertragsparteien hinsichtlich der eingeräumten Nutzungsrechte erlaubt (vgl. BGH GRUR 2004, 938 m.w.Nw.; OLG Zweibrücken MMR 2015, 54).

Bei sachgerechter Würdigung der Gesamtumstände muss davon ausgegangen werden, dass C „autorisierten Herstellern“ die Rechte zur Herstellung der Tapete und die urheberrechtlichen Nutzungsrechte zum Zwecke der Weiterübertragung an die Endkunden, ggf. über Zwischenhändler, übertrug, die zur vertragsgemäßen Nutzung der Tapete erforderlich waren. Weil die vertragsgemäße Nutzung der Tapete eine feste Verbindung der Tapete mit den Räumen vorsieht und eine Beseitigung der Tapete im Rahmen der vertraglich vorausgesetzten Nutzung von vornherein ausscheidet, ist aus Sicht eines redlichen Urhebers anzunehmen, dass autorisierte Hersteller den Abnehmern die Rechte einräumen sollten, die auch urheberrechtlich zu einer vertragsgemäßen Nutzung der Tapete erforderlich waren. Hierzu war – unabhängig von einer Nutzung der Tapete in privaten oder gewerblichen Räumen – das Recht erforderlich, Vervielfältigungen der Tapete im Rahmen der Erstellung von Lichtbildern der Räume zu fertigen sowie diese Lichtbilder zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen bzw. diese Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen. Von dem Erwerber einer Fototapete kann üblicher Weise nicht erwartet werden, dass dieser sicherstellt, dass keine Fotos in den mit der Tapete ausgestatteten Räumen gefertigt werden oder die Tapete jeweils abgedeckt oder retuschiert wird.

Die Kammer teilt die Auffassung des Landgerichts Köln (Urteil vom 18.08.2022, AZ. 14 O 350/21) nicht, wenn es dort in den Entscheidungsgründen heißt, dass für den Verkauf der Fototapete keine Übertragung eines Nutzungsrechts erforderlich sei und sich der Verkauf einer Fototapete auf den Vertragszweck der dinglichen Übereignung der Tapete erstrecke. Es kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Verwendungszweck einer Tapete darin besteht, Räume dauerhaft zu dekorieren, in denen Fotos erstellt werden und unter verschiedensten Umständen hiervon Bilder ins Internet gelangen, die Fototapeten also vervielfältigt und öffentlich zugänglich gemacht werden. Es erscheint unabhängig davon, ob die Fototapete von einem Unternehmer oder einer Privatperson erworben wird, vollkommen fernliegend, dass eine entsprechende Nutzung ausgeschlossen oder von einer weiteren Lizensierung abhängig ist. Sowohl autorisierte Hersteller als auch der Fotograf verschließen ihre Augen unredlich vor dem Offensichtlichen, wenn sie bei dem Verkauf der Fototapete nicht berücksichtigen, dass diese als Teil ihrer ordentlichen Nutzung abfotografiert und ins Internet gestellt wird. Sowohl bei dem Einsatz der Tapete in gewerblich genutzten Räumen als auch bei der Verwendung in Privaträumen kommt es nahezu zwangsläufig dazu, dass Lichtbilder aus unterschiedlichsten Motiven gefertigt werden. So fertigen Hotelbesitzer oder Restaurantbetreiber Fotos von den Räumen, um ihre Räumlichkeiten in einer Online-Werbung, über einen Internetauftritt in Form der eigenen Webseite oder eines Auftritts in sozialen Netzwerken wie G oder J potentiellen Kunden zu präsentieren. Interessenten sollen sich so einen Gesamteindruck von dem Stil und der Atmosphäre der Räumlichkeiten verschaffen können. Eine Wandtapete prägt den Gesamteindruck eines Raumes maßgeblich. Eine Fotografie eines Raumes ohne Abbildung der Wandtapete führt zu einer verfremdeten und verzerrten Darstellung des jeweiligen Raumes. Würde der Eigentümer einer Räumlichkeit die Fototapete retuschieren, so würde er sich in der Öffentlichkeit zu Recht der Kritik aussetzen, seine Räumlichkeiten anders zu bewerben, als diese sich in der Realität darstellen. Kein Eigentümer eines Cafés oder Restaurants erwirbt eine Tapete und tapeziert damit seinen Gastraum, wenn dies dazu führt, dass er diesen nicht auf Internetauftritten abbilden kann. Auch bei Privatpersonen ist ohne Weiteres vorhersehbar, dass z.B. bei privaten Feiern oder auch bei der Weiterveräußerung des Objektes, in welchem die Fototapete angebracht ist, Lichtbilder erstellt und in sozialen Netzwerken geteilt werden. Niemand kann erwarten, dass im Rahmen von Familienfeiern oder einer Weiterveräußerung Lichtbilder gefertigt werden, auf denen die Fototapete beseitigt, verhängt oder retuschiert ist. Da eine Fototapete regelmäßig das Raumbild bestimmt, wird der dahingehende Konflikt nicht über § 57 UrhG aufgelöst.

Nach Auffassung der Kammer ist es als branchenüblich anzusehen, dass keine gesonderte Vergütung für Rechte an der öffentlichen Zugänglichmachung und Vervielfältigung von Lichtbildern der mit Fototapeten ausgestatteten Räumlichkeiten bezahlt wird. Die Inaugenscheinnahme der Webseiten von Baumärkten (z.B. I3) oder anderen Fototapeten-Vertreibern ergibt, dass keine Branchenübung besteht, die Rechte gegen zusätzliche Vergütung auf dem Markt anzubieten, was dafür spricht, dass Rechte mit der Grundvergütung abgegolten und auch übertragen wurden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts Köln im Urteil vom 18.08.2022 (AZ. 14 O 350/21) hat es deshalb nicht nahegelegen, einen entsprechenden Passus in die Rechnung aufzunehmen und dafür einen höheren Preis zu zahlen. Ein solches Angebot findet sich auf dem Markt nicht. Auch die Klägerin, die von C vertreten wird, behauptet nicht, dass sie eine entsprechende Lizensierung angeboten hat.

Neben der Üblichkeit muss sich der Urheber der weitreichenden stillschweigenden Einräumung bewusst gewesen sein (vgl. BGH GRUR 2004, 938, 939). Dies ist vorliegend zu bejahen. Die vorstehenden Begleitumstände sprechen dafür, dass, redliches Verhalten unterstellt, ein entsprechender Wille zur Einräumung von Nutzungsrechten im dargestellten Umfang bestand. Hinzu kommt, dass C geschäftsführender Gesellschafter der N war, es also in der Hand hatte, die Umstände des Vertriebs der Tapeten zu gestalten. Er nahm trotz der sich aufdrängenden urheberrechtlichen Konsequenzen im Rahmen der üblichen Nutzung der Fototapeten keine Hinweise auf ein „Fotografierverbot“ oder die Notwendigkeit einer weiteren Lizensierung auf. Auch trägt er nicht vor, von ihm autorisierte Hersteller zu entsprechenden Hinweisen veranlasst zu haben.

Der Annahme einer konkludenten Rechteeinräumung steht nicht entgegen, dass die Klägerin ausdrücklich vorträgt, dass der Nutzung für Fototapeten lediglich die Einräumung einfacher Nutzungsrechte zu Grunde lag. Die Klägerin, deren gesetzlicher Vertreter der Fotograf ist, stellt den Sachverhalt, der – lauteres Verhalten der Beteiligten unterstellt – aus den vorstehenden Erwägungen aus Sicht der Kammer die Annahme einer konkludenten Rechteübertragung gebietet, nicht in Abrede. Wie vorstehend dargestellt, geht die Kammer auch nicht von einer Übertragung ausschließlicher Nutzungsrechte aus.

II. In jedem Fall ist die Rechtswidrigkeit einer etwaigen Verletzungshandlung durch eine vorherige Einwilligung (§ 183 BGB) ausgeschlossen. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auch dann nicht zu, wenn der Urheber vermittelt über die autorisierten Hersteller zwar kein entsprechendes Nutzungsrecht eingeräumt und ihnen die Werknutzung auch nicht schuldrechtlich gestattet hat. Dem Verhalten des Urhebers ist jedenfalls die objektive Erklärung zu entnehmen, dass er mit der Nutzung der auf der Tapete bearbeiteten Lichtbilder in Form von Lichtbildern der mit der Fototapete ausgestatteten Räume und deren Veröffentlichung im Internet einverstanden ist.

Ein Berechtigter, der eine Fototapete ohne Einschränkungen vertreibt, muss mit den nach den Umständen üblichen Nutzungshandlungen rechnen (vgl. BGH GRUR 2008, 245 – Drucker und Plotter). Da es auf den objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht des Erklärungsempfängers ankommt, ist es ohne Bedeutung, ob der Urheber gewusst hat, welche Nutzungshandlungen im Einzelnen mit der Fototapete verbunden sind. Danach hat sich der Urheber mit dem Vertrieb seiner Werke als Fototapete ohne Angaben jeglicher einschränkender Zusätze hinsichtlich der erlaubten Verwertungshandlungen, mit der Wiedergabe der Fototapeten auf Internetseiten einverstanden erklärt (vgl. ähnlich BGH, Urteil vom 29.04.2010 – I ZR 69/08 - Vorschaubilder). Für diese Rechtsauffassung spricht im Übrigen auch der in § 17 Abs. 2 zum UrhG zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke, dass das Urheberrecht ebenso wie andere Schutzrechte gegenüber dem Interesse an der Verkehrsfähigkeit der mit Zustimmung des Berechtigten in Verkehr gesetzten Ware zurücktreten muss (vgl. BGH GRUR 2001, 51 – Parfumflakon). Zwar betrifft die vorliegende Konstellation nicht den Weitervertrieb der Fototapete selbst, sondern ihre bestimmungsgemäße Nutzbarkeit. Der Rechtsgedanke ist indessen auf die vorliegende Konstellation zu übertragen. Darf nach der angeführten Entscheidung des BGH derjenige, der ein urheberrechtlich geschütztes Produkt legal weiter verkauft, im Interesse der Verkehrsfähigkeit der Waren ein Abbild hiervon auch zu Werbezwecken nutzen und insoweit öffentlich zugänglich machen, ohne weitergehende Nutzungsrechte einholen zu müssen, kann im Hinblick auf die streitgegenständlich in Rede stehende Nutzbarkeit der Fototapete nichts anderes gelten. Ein Verbot, Räume, die mit einer Fototapete ausgestattet sind, zu fotografieren, würde die Verkehrsfähigkeit von Fototapeten maßgeblich einschränken.

Auch der Gedanke, wonach die Interessen des Urhebers im Rahmen der Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Bauwerks zurücktreten müssen, kann vorliegend ergänzend herangezogen werden. Im Hinblick auf die feste untrennbare Verbindung der Fototapete mit dem Bauwerk sind die Interessen des Eigentümers bzw. Besitzers zu berücksichtigen. Die Interessen des Eigentümers bzw. Besitzers, der die Tapete nicht vorübergehend entfernen kann, um Lichtbilder der Räumlichkeiten zu erstellen, überwiegen vorliegend das Recht des Urhebers, der es in der Hand hat, im Rahmen des Inverkehrbringens des urheberrechtlich geschützten Werkes dieses vorausschauend so zu gestalten, dass eine entsprechende Beeinträchtigung ausgeschlossen ist.

III. Den mit der Klage geltend gemachten Ansprüchen steht jedenfalls der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gem. § 242 BGB entgegen, soweit der Fotograf dem Beklagten keine Nutzungsrechte zur Fertigung der Lichtbilder der mit der Fototapete ausgestatteten Räume übertragen hat.

Die Ausübung eines Rechts ist in der Regel missbräuchlich, wenn der Berechtigte es durch ein gesetz-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten erworben hat (BGH NJW 1971, 2226; Grüneberg in: Grüneberg, 81. Auflage, § 242 BGB Rn. 43). Dieser Gedanke findet sich in der gesetzlichen Regelung des § 162 Abs. 2 BGB. Das unredliche Verhalten muss dem Gläubiger Vorteile und dem Schuldner Nachteile gebracht haben, die bei redlichem Verhalten nicht entstanden wären (Grüneberg aaO.)

Dies ist vorliegend der Fall. C. der der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche aus §§ 97, 97a UrhG abgetreten hat, hat diese Ansprüche durch sein eigenes vertragswidriges Verhalten erlangt. Soweit er über die von ihm autorisierten Hersteller Fototapeten vertrieben hat, ohne den Erwerbern entsprechende urheberrechtliche Nutzungsrechte einzuräumen für eine Nutzung (Vervielfältigung durch Erstellen von Lichtbildern der mit den Fototapeten ausgestatteten Räumen und deren öffentliches Zugänglichmachen), die jedenfalls den äußeren Umständen nach ohne weiteres vorhersehbar war, hat er sich vertragswidrig verhalten. Die Erwerber der Tapeten durften im Hinblick auf die notwendige untrennbare Verbindung der Tapeten mit den Wänden davon ausgehen, dass sie Lichtbilder der Räume fertigen und diese auch öffentlich zugänglich machen durften, soweit kein gegenteiliger Hinweis erfolgte. Da es C als Geschäftsführer der N oder im Rahmen der Autorisierung anderer Hersteller in der Hand hatte, einen entsprechenden Hinweis zu erteilen, hat er die urheberrechtlichen Verletzungshandlungen, aus denen die geltend gemachten Ansprüche hergeleitet werden sollen, selbst provoziert.

IV. Die Klägerin kann die geltend gemachten Ansprüche auch nicht aus einer Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts in Gestalt des Urheberbenennungsrechts gem. § 13 UrhG herleiten, weil davon auszugehen ist, dass C im Rahmen des Vertriebs der Fototapete auf das Urheberbenennungsrecht durch schlüssiges Verhalten verzichtet hat, weil er keinen Hinweis auf die Notwendigkeit der Urheberbenennung auf die von N vertriebenen Tapeten anbringen ließ und auch etwaige von ihm autorisierte Hersteller zu einem Hinweis nicht veranlasste.


Den Volltext der Entscheidung mit Wiedergabe der streitgegenständlichen Fotos finden Sie hier:


Volltext LG Düsseldorf liegt vor: 120.000 EURO Schmerzensgeld für Upload von Sexvideos durch Ex-Internetbekannschaft auf diversen Pornoplattformen bei namentlicher Nennung der Betroffenen

LG Düsseldorf
Urteil vom 14.06.2023
12 O 55/22


Das LG Düsseldorf hat der Klägerin 120.000 EURO Schmerzensgeld für den Upload von Sexvideos durch eine Ex-Internetbekannschaft auf diversen Pornoplattformen bei namentlicher Nennung der Betroffenen zugesprochen. Der Beklagte wurde zudem zur Unterlassung verurteilt.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Düsseldorf gemäß § 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 ZPO sachlich und gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO örtlich und damit auch international zuständig. Bei den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aufgrund eines rechtswidrigen Eingriffs in die absolut geschützte Intimsphäre (bzw. in das Recht am eigenen Bild gemäß §§ 22, 23 KustUrhG) handelt es sich um Ansprüchen aus unerlaubter Handlung. Der soziale Geltungsanspruch der klagenden Partei ist bereits dann erheblich tangiert, wenn auch nur eine Person aus ihrem Lebenskreis die inkriminierten Bilder und Videos zur Kenntnis genommen hat (vgl. BGH Urt. v. 02.03.2010, VI ZR 23/09 – New York Times). Die streitgegenständlichen Videos waren im hiesigen Gerichtsbezirk abrufbar und wurden u.a. von Freunden und Bekannten der Klägerin abgerufen und gesehen. Im Übrigen hat sich der in Z. ansässige Beklagte rügelos zur Sache eingelassen (Art. 26 EuGVVO).

Schließlich hat die Klägerin gemäß Art. 40 Abs. 1 Satz EGBGB bestimmt, dass deutsches Recht Anwendung finden soll. Nach dieser Vorschrift kann der Verletzte verlangen, dass anstelle des Rechts des Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat (Abs. 1 Satz 1), das Recht des Staates angewandt wird, in dem der Erfolg eingetreten ist.

II.
1.
Der Klägerin steht nach deutschem Recht gemäß §§ 1004, Abs. 1 Satz 2 analog, 823 Abs.1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs.1, 1 Abs.1 GG bzw. § 823 Abs.2 i.V.m. §§ 22, 23 KunstUrhG der geltend gemachte Unterlassungsanspruch wegen (schwerer) Persönlichkeitsrechtsverletzung zu.

Die ohne Erlaubnis der Klägerin durch den Beklagten veranlasste Veröffentlichung der im Tenor unter 1.a) und b) bis o) aufgelisteten 15 Videos im Internet stellt jeweils einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin dar. Darstellungen des nackten Körpers zählen ebenso wie der Bereich der Sexualität als Kernbereich höchstpersönlicher, privater Lebensgestaltung zur absolut geschützten Intimsphäre (vgl. BGH, Urt. v. 22.01.1985, Az. VI ZR 28/93; BVerfG, Beschl. v. 13.06.2007, Az. 1 BvR 1783/05, Rn. 88, zitiert nach juris).

Die 15 Videos zeigen die Klägerin in Bild und Ton nackt bei verschiedenen sexuellen Handlungen. Die Klägerin ist somit durch die Veröffentlichung intimster, sie im Bild und durch Namen identifizierender Videoaufzeichnungen sowohl in ihrem Recht am eigenen Bild als auch in ihrem Anspruch auf Achtung ihrer absolut geschützten Intimsphäre verletzt, indem der Beklagte ohne Einwilligung der Klägerin und gegen ihren Willen, private Nacktvideos, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, weltweit im Internet unter Angabe ihres Namens verbreitet hat.

Die Veröffentlichung der Videos auf den Pornovideoportalen www.de.F..com und www.I..com erfolgte unstreitig durch den Beklagten. Der Beklagte hat im Laufe des Verfahrens eingeräumt, dass er auch für das Hochladen des Videos auf www.F..com verantwortlich ist, wenngleich dies – was wenig glaubhaft ist – laut dem Beklagten bei der Erstellung von GIFs versehentlich geschehen sein soll. Da es im Rahmen des Unterlassungsanspruchs nicht auf ein Verschulden ankommt, besteht der mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachte Unterlassungsanspruch unabhängig davon, ob – wie der Beklagte behauptet – die Veröffentlichung lediglich versehentlich erfolgt ist.

Auch die erforderliche Wiederholungsgefahr besteht, da der Beklagte trotz wiederholter Aufforderung und Fristsetzung die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verweigert hat. Dabei begründen bereits die hier vorliegenden Verletzungshandlungen das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr, die grundsätzlich nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung entfällt. Die bloße Aufgabe des rechtsverletzenden Verhaltens oder die einfache schriftliche Ankündigung, dies zu tun, reichen dafür nicht aus (vgl. BGH Urt. v. 02.10.2012, Az. I ZR 82/11, Rn. 58).

Die Androhung von Ordnungsmittel folgt aus § 890 ZPO.

2. Die Klägerin hat ferner gemäß § 823 Abs.1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs.1, 1 Abs.1 GG bzw. § 823 Abs.2 i.V.m. §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB wegen der schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen Anspruch auf eine Geldentschädigung in Höhe von 120.000,00 €.

Die Schwere der Persönlichkeitsverletzungen im Streitfall rechtfertigt die Zahlung einer Geldentschädigung, die sich nach der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, nach Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie nach dem Grad seines Verschuldens richtet (BGH, Urt. v. 24.11.2009, Az. VI ZR 219/08, Rn. 11, zitiert nach juris; BGH, NJW 1995, 861 864). Der bloß in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch kann die bereits eingetretene massive Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin nicht kompensieren, da eine unüberschaubare Anzahl von Personen – nicht nur aus dem persönlichen Umfeld der Klägerin (Bekannte und Freunde), sondern auch diejenigen, denen die Klägerin aufgrund ihrer sportlichen Erfolge bekannt ist – unwiderrufliche Einblicke in ihr intimes Sexualleben erhalten hat, was allgemein als beschämend und kompromittierend empfunden wird und eines Ausgleichs bedarf.

Das erforderliche Verschulden liegt vor. Der Beklagte handelte – wie eine Gesamtwürdigung ergibt – zumindest bei der Veröffentlichung der Videos im Internet vorsätzlich. Alles spricht dafür, dass er die Videos bewusst und somit auch vorsätzlich veröffentlicht hat. Soweit er in der Klageerwiderung vorträgt, er habe die Videos lediglich versehentlich auf der Internetseite www.I..com veröffentlicht, als er diese in „seinem“ privaten Account („Only-me-Account“) habe speichern wollen, steht dies zu dem von der Klägerin geschilderten zeitlichen Ablauf erkennbar im Widerspruch. Denn das erste oben unter I.1.a) genannte Video wurde am 10.02.2021 auf dem Pornovideoportal www.F..com (u.a. unter https://de.F..com/N01/T./) veröffentlicht, während die Veröffentlichungen der 14 weiteren Videos auf dem Pornovideoportal www.I..com erst zwei Tage später, ab dem 12.02.2021, erfolgten, nämlich an dem Tag, an dem der Account eingerichtet worden war. Dies belegen neben dem auf www.F..com genannten Upload-Datum (10.02.2021) auch das dokumentierte Erstelldatum des I.-Account sowie die Screenshots der Suchergebnisse bei „N.“ aus dieser Zeit. Insofern kann der Ursprung der Veröffentlichung des ersten Videos im Internet nicht – wie der Beklagte schildert – in der angeblich versehentlich erfolgten Veröffentlichung auf www.I..com liegen. Ein weiteres gewichtiges Indiz für ein vorsätzliches Veröffentlichen liegt in der Art und Weise, wie der Beklagte die Videos bei den beiden Pornovideoportalen benannt hat und welche Angaben er bei der Erstellung des I.-Account gemacht hat. Die Benennung der einzelnen Videos in englischer und deutscher Sprache mit entsprechend anzüglichen Titeln zielt erkennbar auf ein breiteres Publikum. Auch ist es nicht nachzuvollziehen, weshalb der Beklagte bei der von ihm angeblichen beabsichtigten Geheimhaltung der „Affäre“ den vollständigen Klarnamen der Klägerin für die Benennung des Accounts verwendet, deren Alter und deren Herkunft („Deutschland“) angibt. Denn für den Geheimnisschutz ist es nicht erforderlich, sondern gerade abträglich, dass der Beklagte die von ihm eingegebenen personalisierte Angaben „P., 39 Jahre, weiblich, Deutschland“ macht und ein Nacktbild von ihr als Profilbild frei zugänglich und abrufbar hoch lädt. In der Tat hätte es dann – wie die Klägerin vorträgt – nähergelegen, dass der Beklagte die Videodateien auf einem kostenlosen Cloud-Dienst hochgeladen hätte. Soweit die Klägerin die Existenz der Only-Me-Funktion bestritten hat, hat der Beklagte die technische Möglichkeit und die genaue Arbeitsweise dieser Funktion auch nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Nach alldem handelt es sich bei der Behauptung, er habe die Only-Me-Funktion auf dem Pornovideoportal www.I..com aktiveren wollen bzw. aktiviert, um eine Schutzbehauptung. Die Angaben des Beklagten hierzu sind insgesamt nicht glaubhaft. Dies gilt auch für das angeblich versehentliche Hochladen des einen Videos auf dem Pornovideoportal www.F..com. Wie bei der Erstellung einer kurzen Videoanimation, eines GIFs, (mit welcher Software?) das in Rede stehende Video konkret verwendet wurde, legt der Beklagte bereits nicht dar. Auch ist nicht nachvollziehbar dargetan, dass das (behauptete) bloße Verwenden einer Videodatei dazu führt, dass diese im Internet veröffentlicht wird. Insofern passt es auch ins Bild, wenn die Klägerin vorgetragen hat, dass sie das zuletzt mit dem Beklagten geführte Telefonat irritiert habe, als dieser zu ihr gesagt habe, dass „der Pornokanal jetzt voll sei, bis auf ein gemeinsames Sextape“.

Erfolgt der Eingriff in die absolut geschützte Intimsphäre – wie hier – durch die Veröffentlichung von Nacktvideos und/oder Sexvideos, sprechen die Gerichte den Geschädigten üblicherweise eine Geldentschädigung von mehreren Tausenden von Euro je Veröffentlichungshandlung zu. Die Höhe der Entschädigung hängt dabei von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Abzustellen ist insoweit insbesondere darauf, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck die Bilder bzw. Videos gefertigt wurden, wie der Schädiger an die Bilder bzw. Videos gelangt ist, was auf diesen genau zu erkennen ist, ob die betreffende Person darauf zu erkennen ist bzw. ob Hinweise auf deren Identität gegeben sind, wer von den Bildern bzw. Videos Kenntnis erlangt hat, welche Folgen privater, beruflicher und/oder finanzieller Art die Bekanntgabe der Fotos hatten und aus welchen Motiven heraus (z.B. aus Rache nach einer beendeten Liebesbeziehung) die Veröffentlichung im Internet erfolgte (vgl. LG Düsseldorf Urt. v. 16.11.2011, 12 O 438/11: 5.000,00 EUR für ein Nacktfoto eines Nacktmodells bei einer Malaktion; LG Kiel, Urt. v. 27.04.2006, Az. 4 O 251/05, NJW 2007, 1002: 25.000,00 EUR für drei Nacktfotos im Internet, die die Geschädigte zum Teil vollständig nackt zeigten, wobei zudem deren vollständiger Name und ihre Anschrift genannt wurde; LG Berlin, Urt. v. 07.10.2014, Az. 27 O 166/14: 15.000,00 EUR für die Veröffentlichung eines Privatpornos im Internet; AG Neukölln, Urt. v. 25.03.2021, Az. 8 C 212/20: 3.000,00 EUR für die Versendung eines Fotos und eines kürzeren Sexvideos über einen Messenger-Dienst an eine Verwandte der betroffenen Person nach dem Ende der Liebesbeziehung; OLG Hamm, Urt. v. 20.02.2017, Az.: 3 U 138/15, NJW-RR 2017, 1124: 7.000,00 EUR für ein Foto einer 16-Jährigen, das diese beim Oralverkehr zeigt und OLG Hamm, Urt. v. 03.03.1997, Az. 3 U 132/96, NJW-RR 1997, 1044: 20.000 DM für ungenehmigte Veröffentlichung von Aktfotos auf dem Titelblatt einer Zeitschrift; vgl. hierzu auch die Übersicht bei Krumm, FamRB 2019, 124, 127).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze erachtet die Kammer angesichts des Ausmaßes und der Schwere der Persönlichkeitsverletzungen eine Entschädigung von insgesamt 120.000,00 € für angemessen. Von den 15 Videos enthalten 12 Videos nicht nur Nacktaufnahmen (überwiegend des gesamten Körpers), sondern mehrere Videos auch explizit sexuelle Inhalte und Darstellungen (wie z.B. Masturbationsszenen und (Nah-)Aufnahmen des Intimbereichs und von der Penetration mit einem Sexspielzeug und anderen Gegenständen). Die drei weiteren Videos weisen aufgrund der Handlung und der Bezeichnung („blowjob“) ebenfalls einen erkennbaren sexuellen Bezug auf. Die in Rede stehenden Videos waren bis zur erfolgten Löschung auf insgesamt drei einschlägigen, frei zugänglichen Pornoseiten im Internet weltweit abrufbar, und zwar auf www.I..com für mindestens vier Monate und auf www.Y..com knapp ein Jahr. Insgesamt hat der Beklagte 15 Videos selbst hochgeladen. Zudem waren 14 der Videos im Juni 2021 auch unter wwwB..cc abrufbar. In sämtlichen vorgenannten Videos ist die Klägerin zu erkennen, da ihr Gesicht meist für längere Zeit zu sehen ist. Darüber hinaus ist in mehreren Videos ihre Stimme zu hören, in einzelnen Videos spricht sie direkt in die Kamera und den Beklagten persönlich an. Die Videos sind überwiegend länger als eine Minute, teils aber auch deutlich länger, nämlich bis zu 6 ½ Minuten lang. Die Videos wurden in Einzelfällen bis zu 9.387 Mal angesehen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Beklagte die Videodateien unter Verwendung des Vor- und Nachnamens der Klägerin entsprechend bezeichnet und die Videos auf www.I..com unter einem eigens von ihm unter ihrem Namen eingerichteten Account veröffentlicht hat. Nicht zuletzt dadurch waren die Videos – wie die Klägerin durch die Ausdrucke von Suchanfragen belegt hat – auch mit Hilfe von Suchmaschinen (wie z.B. N.) ohne Kenntnis der Domains der genannten Internetadressen ohne weiteres auffindbar. Da der Beklagte die von ihm veröffentlichten Videos jeweils mit einem neuen Titel unter dem Namen der Klägerin veröffentlicht hat, handelte er bei jeder Veröffentlichung aufgrund eines neu und selbständig gefassten Tatentschlusses.

Bei der Höhe der Bemessung der Geldentschädigung hat die Kammer auch berücksichtigt, dass der in Z. lebende Beklagte als Immobilienmakler für exklusive und hochpreisige Immobilien tätig und Inhaber der Fa. A. ist. Denn bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB können nach höchstrichterlicher Rechtsprechung alle Umstände des Falles berücksichtigt werden, wobei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten dabei nicht von vornherein ausgeschlossen werden können (vgl. BGH, Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16.09.2016, Az. VGS 1/16,Rn. 29). Insoweit ist der Hinweis des Beklagten auf den Anfragebeschluss des BGH vom 08.10.2014 überholt.

Schließlich hat die Kammer auch berücksichtigt, dass die Klägerin die Videos selbst aufgenommen und dem Beklagten per Messenger Dienst-App (O.) übersandt hatte. Die Kammer verkennt somit nicht, dass es sich hier nicht um heimliche Videoaufnahmen von der Klägerin handelt, die ohne Einwilligung veröffentlicht wurden. Aber auch dann, wenn die Veröffentlichung des Videos trotz eindeutiger Bestimmung für den „privaten Gebrauch“ einer einzigen Person, hier dem Beklagten als Empfänger der elektronisch (per O.) versandten Nachricht bestimmt ist, und das Video dann gleichwohl von diesem im Internet für eine unbestimmte Anzahl an Personen auf einem Pornovideoportal öffentlich zugänglich gemacht wird, liegt ein besonders schwerer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor.

3. Der Klägerin steht ferner ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 6.009,14 € gemäß § 823 Abs.1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs.1, 1 Abs.1 GG bzw. § 823 Abs.2 i.V.m. §§ 22, 23 KunstUrhG zu. Bei den ihr entstanden Rechtsanwaltsgebühren handelt es sich um erstattungsfähige Rechtsverfolgungskosten. Die Ausgaben waren aus Sicht der Klägerin erforderlich, um eine weitere Rechtsverletzung möglichst schnell zu unterbinden. Angesichts des einheitlichen Auftrags, gegen die widerrechtliche Veröffentlichung der Videos im Internet vorzugehen, ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht nur gegenüber dem Beklagten tätig geworden (mit der Abmahnung vom 17.01.2022 und dem Aufforderungsschreiben vom 11.02.2022), sondern auch gegenüber den Betreibern der Pornovideoportale www.I..com und www.F..com sowie gegenüber „N.“. Da es sich um eine Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG handelt, ist insofern nach der Rechtsprechung des BGH ein Gesamtgegenstandswert für die vorgerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten insgesamt zu bilden, (vgl. BGH, Urt. v. 22.01.2019, Az. VI ZR 403/17). Dieser Gesamtgegenstandswert beläuft sich auf 570.000,00 €.

Im Einzelnen:

Gegenstandswert Abmahnung 150.000,00 €
Geldentschädigung 120.000,00 €
Vorgehen gegen Veröff. unter www.I..com 140.000,00 €
Vorgehen gegen „N.“ hierzu 140.000,00 €
Vorgehen gegen Veröff. unter www.F..com 10.000,00 €
Vorgehen gegen „N.“ hierzu 10.000,00 €
Summe 570,000,00 €

Dabei betrifft das Vorgehen gegen Veröffentlichung unter www.F..com entgegen der Annahme der Klägerin nicht zehn verschiedene Videos, sondern nur ein Video, das lediglich unter zehn unterschiedlichen URLs mit abweichenden Länderkennungen („de“, „es“, „fr“ etc.) auf der Internetseite www.F..com abrufbar war, weswegen der Gegenstandswert insoweit bezüglich der vorgerichtlichen Tätigkeit des Klägervertreters gegenüber dem Betreiber des Pornovideoportals „Y.“ und „N.“ lediglich jeweils mit 10.000,00 € zu berücksichtigen war.

Unter Berücksichtigung der geltend gemachten 1,3 Gebühr ergibt sich ein Betrag von 6.009,14 €.

1,3 Geschäftsgebühr Nr. 2300, 1008 VV RVG 5.029,70 €
Auslagen Nr. 7001 u. 7002 VV RVG 20,00 €
MwSt. 19% 959,44 €
Summe 6.009,14 €

4. Aus den vorstehenden Gründen ist schließlich auch der mit dem Klageantrag zu 4. geltend gemachte Feststellungsantrag begründet. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägerin durch das rechtswidrige und schuldhafte Handeln des Beklagten, wie im Tenor zu 1. beschrieben, künftig weitere Schäden entstehen. Denkbar ist insbesondere, dass es künftig zu weiteren Veröffentlichungen der hier streitgegenständlichen Videos kommt, die auf die ursprüngliche Veröffentlichung der Videos durch den Beklagten zurückzuführen sind. Für solche künftigen Schäden hat der Beklagte ebenfalls einzustehen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Düsseldorf: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung für EMS-Gerät mit "Traumkörper ganz ohne Sport" und ähnliche Werbeaussagen

LG Düsseldorf
Urteil vom 21.06.2023
12 O 115/22

Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass die Werbung für ein EMS-Gerät mit "Traumkörper ganz ohne Sport" und ähnliche Werbeaussagen eine wettbewerbswidrige Irreführung darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 8b UWG, § 2 UKlaG i.V.m. § 5 UWG bzw. §§ 3, 3a UWG i.V.m. § 3 HWG und Art. 7 lit. a) der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2017 über Medizinprodukte (Medizinprodukteverordnung, im Folgenden MDR (Medical Device Regulation)) zu.

a. Der Kläger ist gemäß nach §§ 8 Abs. 3 Nr. 2, 8b Abs. 1, 2 UWG und §§ 2, 3 Abs. 1 Nr. 2 UKIaG i.V.m. §§ 8 Abs. 3 Nr. 2, 8b Abs. 1, 2 UWG aktiv legitimiert. Es handelt sich bei ihm um einen rechtsfähigen Verband zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen. Der Verband ist seit dem 15.11.2021 auch in die beim Bundesamt für Justiz geführte Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände eingetragen. §§ 8 Abs. 3 Nr. 2 und 8b Abs. 1 und Abs. 2 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs (BGBl. I 2020 S. 2568; UWG n.F.) finden hier Anwendung. Nach diesen Vorschriften, die am 01.12.2021 in Kraft getreten sind, bedürfen Wirtschaftsverbände nunmehr der Eintragung in eine Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG n.F., um Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG geltend machen zu können (vgl. BGH, Urt. v. 26.01.2023, Az. I ZR 111/22, Rn. 11, juris). Ferner ist gerichtsbekannt, dass der Kläger nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande ist, seine satzungsmäßigen Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen. Dem entsprechenden Vorbringen des Klägers ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Schließlich gehört dem Kläger auch eine erhebliche Zahl von Unternehmern an, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben wie die Beklagte. Dabei ist auf die angegriffenen Wirkaussagen abzustellen, da es auf die Substituierbarkeit der von ihnen angebotenen Waren und Dienstleistungen ankommt. Das Gerät der Beklagten soll Muskeln im menschlichen Körper aufbauen („mühelos definierte Muskeln“) und zur Erlangung eines „Traumkörpers“, und zwar „ganz ohne Sport“, dienen. Ferner soll es Hautgewebe sowie Bereiche mit Cellulite glätten. Damit konkurrieren etwa Apotheken, die Mittel zur Gewichtsreduzierung vertreiben, mit der Beklagten, ebenso wie Ärzte (Allgemeinmediziner und Hautärzte) sowie Heilpraktiker, die ihren Patienten Diäten oder Medikamente gegen Cellulite verschreiben. Auch Hersteller und Großhändler von Arzneimitteln sowie Anbieter von Medizinprodukten stehen im Wettbewerb zur Beklagten. Der Kläger hat durch Vorlage seiner Mitgliederliste substantiiert dargelegt, dass ihm eine Vielzahl von Apotheken, Ärzten, Heilpraktikern und Arzneimittelherstellern und -großhändlern angehören. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist somit nicht nur auf die Anbieter im Markt für vergleichbare Therapie-Geräte (wie den „N.) die das EMS- und/oder HIFEM-Verfahren verwenden, abzustellen, wobei auch Unternehmen aus der Branche der Medizinprodukte zum Mitgliederkreis des Klägers zählen.

b. Bei den Werbeangaben handelt es sich auch um geschäftliche Handlungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG, da diese der Förderung des Absatzes von Waren (hier dem Gerät „N.“) dienen.

c. Es liegt ein Verstoß gegen die spezialgesetzlichen Irreführungsverbote gemäß §§ 3, 3a UWG i.V.m. § 3 HWG und Art. 7 lit. a) MDR sowie das allgemeine Irreführungsverbot gemäß § 5 UWG vor.

Nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist nach § 5 Abs. 1 S. 2 UWG u.a. dann irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die wesentlichen Merkmale einer Ware oder Dienstleistung enthält (Nr. 1).

Gemäß § 3 Nr. 1 HWG ist eine irreführende Werbung unzulässig, und zwar insbesondere dann, wenn Arzneimitteln, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben.

Gemäß Art. 7 lit. a) MDR ist es bei der Kennzeichnung, den Gebrauchsanweisungen, der Bereitstellung, der Inbetriebnahme und der Bewerbung von Produkten untersagt, Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen zu verwenden, die den Anwender oder Patienten hinsichtlich der Zweckbestimmung, Sicherheit und Leistung des Produkts irreführen können, indem sie dem Produkt Funktionen und Eigenschaften zuschreiben, die es nicht besitzt.

aa. Es liegt eine Irreführung gemäß § 5 UWG vor.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die angegriffenen sieben Werbeangaben, bei denen es sich um Wirkungs- bzw. Wirksamkeitsaussagen handelt, zutreffend sind.

Ob und inwieweit eine Werbung mit Wirkungs- bzw. Wirksamkeitsaussagen irreführend ist, bemisst sich nach dem Verständnis eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Angehörigen der Verkehrskreise, an welche sich die Werbung richtet (BGH, GRUR 2004, 793 - Sportlernahrung II; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, § 5 UWG, Rn. 1.64). Dies können sowohl Fachkreise als auch Verbraucher, aber auch nur bestimmte Gruppen von Verbraucher sein. Wendet sich eine Werbung nur an Fachleute, so entscheiden deren Auffassung und Sprachgebrauch auf dem betreffenden Fachgebiet (BGH GRUR 2013, 649 Rn. 50 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; BGH GRUR 2021, 513 Rn. 11 – Sinupret; (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, § 5 UWG, Rn. 1.64). Werbeangaben werden von fachkundigen Kreisen meist sorgfältiger betrachtet. Zudem erfassen die Fachkreise aufgrund ihrer Vorbildung und Erfahrung den Aussageinhalt einer (Werbe-)Angabe oft leichter und prüfen sie mitunter wegen ihrer beruflichen Verantwortung genauer (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, § 5 UWG, Rn. 1.69). Wendet sich eine Werbung hingegen sowohl an ein Fach- als auch an ein Laienpublikum (oder Teile davon), so reicht es aus, wenn eine Irreführungsgefahr bei einer der Adressatengruppen besteht (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 124, juris; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.64).

Dies berücksichtigend ist der Aussagegehalt der hier angegriffenen Werbeangaben aus der Sicht der Fachkreise zu beurteilen. Die Veröffentlichung der in Rede stehenden Werbeanzeige erfolgte vorliegend in dem Fachmagazin „X.“, zu dessen Lesern in erster Linie Mitglieder der Fachkreise aus dem Bereich Beauty, Wellness, Styling, Hand- und Fußpflege zählen. Ferner ist davon auszugehen, dass sich selbst von den „interessierten Verbrauchern“ nur wenige wegen des hohen Preises des Geräts „D.“ für dessen Erwerb interessieren würden. Bei Verbrauchern könnte allenfalls im Einzelfall ein Interesse für ein entsprechendes (Fitness-)Training bei einem Dienstleister mit diesem Gerät geweckt worden sein. Da Verbraucher nur im Einzelfall bzw. nur durch Zufall mit der streitgegenständlichen Werbeanzeige in Kontakt gekommen sein dürften, ist insofern auf die Sicht eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Mitglieds der Fachkreise abzustellen. Maßgebend für die Bestimmung des Inhalts ist, wie dieser die beanstandeten Angaben aufgrund ihres Gesamteindrucks versteht (BGH, Urt. v. 05.02.2015, Az. I ZR 136/13, Rn. 18 - TIP der Woche; BGH, Urt. v. 18.01.2012, Az. I ZR 104/10, Rn. 16 - Neurologisch/Vaskuläres Zentrum). Nach dem Gesamteindruck beurteilt sich auch, welche Angaben in einer Äußerung getrennt verstanden werden, welche zusammengehören, in welchem Zusammenhang sie stehen und wie sie im Zusammenhang verstanden werden (BGH, Urt. v. 16.12.2004, Az. I ZR 222/02, Rn. 24 bei juris - Epson Tinte). Unerheblich ist das nicht zum Ausdruck gelangte Verständnis des Werbenden selbst. Entscheidend für die Bildung der Verkehrsauffassung ist vielmehr der erfahrungsgemäß am Wortsinn anknüpfende objektive Eindruck auf den Empfängerkreis. Dabei ist es durchaus möglich, dass sich Auffassung und Sprachgebrauch der Fachleute nicht von denen des allgemeinen Verkehrs unterscheidet (BGH, GRUR 2021, 513 Rn. 14 – Sinupret).

So liegt der Fall hier. Die für (medizinische) Laien wie für die Fachkreise gleichermaßen verständlichen Angaben in der angegriffenen Werbeanzeige suggerieren nicht nur dem Laien, sondern auch dem Mitglied der Fachkreise hinsichtlich der Körperstatur („Traumkörper“, „Muskelaufbau“), dem Fettgehalt im Körper („Körperfett wird reduziert“) und der Beschaffenheit der Haut („das Gewebe wird sichtbar gestrafft“, „Problemzonen mit Cellulite werden deutlich geglättet“) eine therapeutische Wirksamkeit bzw. therapeutische Wirkungen der Behandlung mit dem Gerät „D.“. Eines speziellen Trainings (im Sinne von sportlicher Aktivität) während oder im Zusammenhang mit der Behandlung bedarf es unter Berücksichtigung des maßgeblichen Gesamteindrucks der Werbeangaben nicht, da laut der blickfangmäßigen Überschrift der „Traumkörper auch ganz ohne Sport“ (Nr. 1) erreicht werden kann bzw. der Aufbau von – dem Schönheitsideal entsprechenden – definierten Muskeln „mühelos“ (Nr. 2) erfolgt. Auch die den Fließtext der Werbeanzeige einleitende Frage „Keine Lust auf Sport, aber Sehnsucht nach dem Traumkörper?“ wird in diesem Sinne im folgenden Satz sogleich beantwortet: „Kein Problem! Das N. stimuliert die Muskeln wie bei einem Intensivtraining, ganz ohne Sport“ (Nr. 3). Die weiteren angegriffenen Werbeangabe beinhalten mit „Muskeln werden aufgebaut und das Gewebe wird sichtbar gestrafft“ (Nr. 4), „Körperfett wird reduziert“ (Nr. 5) und „Problemzonen mit Cellulite werden deutlich geglättet!“ (Nr. 6) ferner konkrete Wirkangaben. Hierauf wird in der abschließenden Formulierung nochmals erkennbar Bezug genommen, in der es zusammenfassend heißt: „Innerhalb kürzester Zeit können beeindruckende Ergebnisse an Oberschenkeln, Bauch, Hüften, Armen und Po erzielt werden“ (Nr. 7). Da die in der Werbeanzeige verwandten Begriffe auch dem Laien ein Begriff sind,

Die Frage, ob eine Wirkungs- bzw. Wirksamkeitsangabe den Adressaten der Werbung in die Irre führt, ist hierbei in Anwendung des für die gesundheitsbezogene Werbung allgemein geltenden strengen Maßstabs zu entscheiden. Da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut der Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung verbunden sein können, sind insoweit an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit gesundheitsbezogener Werbeaussagen besonders strenge Anforderungen zu stellen (BGH, GRUR 2002, 182, 185 - Das Beste jeden Morgen; GRUR 2012, 647 Rn. 33 - Injectio; GRUR 2013, 649 Rn. 15 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 124, juris). Dies rechtfertigt sich zudem daraus, dass die eigene Gesundheit in der Wertschätzung des Verbrauchers einen hohen Stellenwert hat und sich deshalb an die Gesundheit anknüpfende Werbemaßnahmen erfahrungsgemäß als besonders wirksam erweisen (BGH, GRUR 2002, 182, 185 - Das Beste jeden Morgen; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 125, juris). Irreführend sind solche Werbeaussagen, die geeignet sind, im konkreten Fall eine Divergenz zwischen der Vorstellung des Adressaten und der Wirklichkeit herbeizuführen. Dabei wird auch die Werbung mit unzureichend wissenschaftlich gesicherten Wirkungsaussagen erfasst (OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 125, juris). Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung nämlich generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht (BGH, GRUR 2012, 647 Rn. 33 - Injectio; GRUR 2013, 649 Rn. 16 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; GRUR 2015, 1244 Rn. 16 - Äquipotenzangabe in Fachinformation; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 125, juris).

Dabei obliegt der Nachweis, dass eine gesundheitsbezogene Angabe nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, grundsätzlich dem Kläger als Unterlassungsgläubiger (BGH, GRUR 2013, 649 Rn. 32 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 126, juris). Hat der Beklagte indes – wie hier die Beklagte – mit einer fachlich zumindest umstrittenen Meinung geworben, ohne auf die fehlende wissenschaftliche Absicherung hinzuweisen, kommt es jedoch zu einer Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast (OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 124, juris). Der Beklagte muss dann den Beweis für die Richtigkeit seiner Aussagen erbringen. Der Werbende übernimmt in einem derartigen Fall dadurch, dass er eine bestimmte Aussage trifft, die Verantwortung für die Richtigkeit, die er deshalb im Streitfall auch beweisen muss (vgl. BGH, GRUR 1991, 848, 849 - Rheumalind II; GRUR 2013, 649 Rn. 32 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 126, juris; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, § 5 UWG, Rn. 1.248). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, placebo-kontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch die Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist. Auch im Fall einer Metaanalyse ist Voraussetzung dafür, dass sie eine Werbeaussage tragen kann, in jedem Fall die Einhaltung der für diese Studien geltenden wissenschaftlichen Regeln (BGH, Urt. v. 06.02.2013, Az. I ZR 62/11, GRUR 2013, 649 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Die Erfüllung dieser Kriterien hat dabei nicht erst im Prozess zu geschehen, sondern bereits bevor die entsprechenden Werbebehauptungen aufgestellt werden. Dies erfordert das hohe Schutzgut der Gesundheit der angesprochenen Verkehrskreise.

Der Werbende muss, wenn er in einem solchen Fall in Anspruch genommen wird, daher zunächst darlegen, dass er über entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse verfügt. Nicht ausreichend ist es, dass er sich erst im Prozess auf ein Sachverständigengutachten beruft, aus dem sich die behauptete Wirkungsweise ergeben soll. Der Vorwurf, den Verkehr durch eine Angabe, für deren Richtigkeit der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte hat, in die Irre geführt zu haben, kann hierdurch nicht ausgeräumt werden (vgl. OLG Hamburg GRUR-RR 2004, 88; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.248).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist zunächst festzustellen, dass das EMS-Training und die von der Beklagten angeführte Therapie mit hochintensiven Magnetimpulsen (HIFEM) in der Wissenschaft umstritten sind und ihr Erfolg derzeit als (noch) wissenschaftlich ungesichert gilt. Der Kläger hat durch Vorlage der Anlagen K 9 bis K 11 (Gutachten des Prof. Dr. I. aus dem Jahr 1997 gemäß Anlage K 9, Sachverständigengutachten Dr. rer. nat. P. / Prof. Dr. med. J. vom 29.09.1997 gemäß Anlage K 10 und den Bericht vom Bericht aus dem vom W.-Netzwerk betriebenen Informationsportal „S.“ vom 24.04.2014 gemäß Anlage K 11) dargetan, dass die in Rede stehenden gesundheitsbezogenen Angaben zur EMS-Therapie bzw. zur Behandlung mit dem Gerät „N.“ nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen. Gleiches gilt unter Berücksichtigung der von dem Kläger vorgelegten Anlagen K 12 bis K 14 (u.a. dem Gutachten von Prof. Dr. O. zum Phänomen Cellulite vom 30.01.1992) mit Blick auf die Wirkangaben zur Behandlung von Zellulitis oder Zellulite (sog. Orangenhaut).

Insofern wäre es an der Beklagten gelegen gewesen, eine entsprechend aussagekräftige Studie zum EMS-Training bzw. zu der Therapie mit hochintensiven Magnetimpulsen (HIFEM) vorzulegen, aus denen sich Feststellungen zu den behaupteten Wirkungen ergeben. Dabei kommt den von der Beklagten vorgelegten Studien (Anlage B 1 bis B 4) nicht der „Goldstandard“ zu, weil es sich nicht um randomisierte, placebo-kontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung handelt. Unabhängig davon, ob im Streitfall überhaupt eine placebo-kontrollierte Studie möglich ist, weil die Probanden die Anwendung mit elektrischem Strom spüren, lässt sich den von der Beklagten vorgelegten Studien jedenfalls nicht entnehmen, inwiefern es sich bei den dort beschriebenen „Erfolgen“ um signifikante Veränderungen (im Vergleich zu nicht behandelten Probanden) handelt, die nicht etwa auf anderen Faktoren (wie z.B. äußeren Umwelteinflüssen) beruhen. Zudem ist den von der Beklagten vorgelegten Studien in den jeweiligen Zusammenfassungen der Ergebnisse teils eine relativierende Aussage zu entnehmen, die an der Verallgemeinerungsfähigkeit der Aussagen Zweifel nährt. Auch erscheint es zweifelhaft, ob angesichts der Größe der jeweiligen Probandengruppen (von teils nur 10 oder 41 Teilnehmern) überhaupt allgemeingültige aussagekräftige Feststellungen zu Wirkungen getroffen werden können.

Schließlich sind die angegriffenen Angaben in der Werbeanzeige auch geeignet, Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.

bb. Dies berücksichtigend liegt somit auch ein Verstoß gemäß §§ 3, 3a UWG i.V.m. Art. 7 lit. a) MDR und § 3 HWG vor, da die angegriffenen Werbeangaben, wie dargelegt, irreführend und daher unzulässig sind. Eine entsprechende Marktverhaltensregelung ist nicht nur in § 3 HWG zu sehen, sondern auch in Art. 7 lit. a) MDR, weil beide Bestimmungen den Schutz der menschlichen Gesundheit und damit den Verbraucherschutz bezwecken (vgl. BGH, GRUR 2015, 1244 Rn. 13 - Äquipotenzangabe in Fachinformation; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 119, juris zu § 3 HWG und OLG Hamm, Urt. v. 21.04.2022, Az. I-4 U 39/22, Rn. 28; OLG Frankfurt, OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 2.12.2021, Az. 6 U 121/20, Rn. 32 zu Art. 7 MDR). Von der europarechtlichen Regelung in Art. 7 lit. a) MDR und der dort geregelten Irreführungsvariante werden die bislang von § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG erfassten Angaben über die Wirkungen des Medizinproduktes erfasst. Insoweit kann unter Berücksichtigung von Art. 7 Richtlinie 2006/114/EG bei der Anwendung der Vorschrift auf die entsprechenden Kriterien der Rechtsprechung zu § 3 HWG zurückgegriffen werden. Nach Art. 7 Richtlinie 2006/114/EG sind die Zivilgerichte der Mitgliedstaaten ermächtigt, vom Werbenden Beweise bzw. Beweismittel für die Richtigkeit von in der Werbung enthaltenen Tatsachenbehauptungen zu verlangen, wenn ein solches Verlangen – wie hier – unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden und anderer Verfahrensbeteiligter im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls angemessen erscheint. Im Ergebnis gelten daher mutatis mutandis nach Art. 7 lit. a) MDR die gleichen Anforderungen für Wirkungsaussagen für Medizinprodukte wie gemäß § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 21.04.2022, Az. I-4 U 39/22, Rn. 29 - 31; OLG Frankfurt, OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 2.12.2021, Az. 6 U 121/20, Rn. 37 mwN., zitiert nach juris).

d. Bei den Irreführungstatbeständen § 5 UWG, § 3 HWG und Art. 7 lit. a) MDR handelt es sich ferner Verbraucherschutzgesetze im Sinne des § 2 UKlaG. Zu den sonstigen Verbraucherschutzgesetzen gehören alle sonstigen Vorschriften, die Verhaltenspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher begründen (BGH WRP 2020, 726 Rn. 15 – SEPA-Lastschrift) und deren Verletzung Kollektivinteressen der Verbraucher beeinträchtigt (BGH WRP 2020, 726 Rn. 36 – SEPA-Lastschrift). Es genügt, dass die Vorschrift zumindest auch dem Schutz der Verbraucher dient und dass dieser Schutz nicht nur untergeordnete Bedeutung hat oder eine nur zufällige Nebenwirkung ist (BGH WRP 2020, 726 Rn. 20 – SEPA-Lastschrift im Anschluss an EuGH WRP 2019, 1567 Rn. 27 – Verein für Konsumenteninformation). Hierzu zählen insbesondere die verbraucherschützenden Vorschriften des UWG, soweit sie – wie das Verbot irreführender Handlungen (Art. 6 UGP-Richtlinie) – auf der UGP-Richtlinie beruhen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UKlaG § 2 Rn. 30 ff.).

e. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ist nicht weggefallen. Die Beklagte hat trotz entsprechender Aufforderung durch die Klägerin bislang keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

f. Die Androhung von Ordnungsmitteln ergibt sich aus § 890 ZPO.

2. Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Abmahnkosten folgt aus § 13 Abs. 1 UWG. Die Abmahnung erweist sich aus den vorgenannten Gründen als berechtigt. Einwendungen gegen die Höhe der geltend gemachten Pauschale wurden nicht erhoben.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Düsseldorf: Verstoß gegen SEPA-Verordnung setzt keinen Vertragsabschluss voraus - Ablehnung eines Kontos aus EU-Ausland durch Plattform für Ankauf gebrauchter Unterhaltungselektronik

LG Düsseldorf
Urteil 02.06.2023
38 O 162/22


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die SEPA-Verordnung keinen Vertragsabschluss voraussetzt. Vorliegend ging es um die Ablehnung eines Kontos aus dem EU-Ausland durch eine Plattform für den Ankauf gebrauchter Unterhaltungselektronik. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.


OLG Düsseldorf: Stromanbieter und Gasanbieter mit Preisgarantie-Tarif dürfen Preise nicht wegen hoher Energiebeschaffungskosten einseitig erhöhen

OLG Düsseldorf
Urteil vom 23.03.2023
I-20 U 318/20


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass Stromanbieter und Gasanbieter mit Preisgarantie-Tarif die Preise nicht wegen hoher Energiebeschaffungskosten einseitig erhöhen dürfen. Allerdings hat das Gericht im vorliegenden Fall das Rechtsschutzbedürfnis der Verbraucherzentrale NRW verneint, da nach Ansicht des Gerichts nicht etwa Interessen von Kunden verfolgt wurden, sondern auf ein anderes behördliches Verfahren Einfluss genommen werden sollten.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Urteil im Prozess um Strom- und Gaspreiserhöhungen bei vertraglich zugesagten Preisgarantien

Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg mit einer Unterlassungsklage gegen eine einseitige Preisanpassung als solche wenden. Dass die von der Antragsgegnerin vertretene Auffassung, zur einseitigen Preisanpassung berechtigt zu sein, unrichtig ist, stellt keine Täuschung des Kunden dar. Dies hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Leitung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Düsseldorf Erfried Schüttpelz entschieden. Das Urteil vom 23.03.2023 (Aktenzeichen I-20 U 318/20) ist in Kürze in der Rechtsprechungsdatenbank www.nrwe.de abrufbar.

Der Antragsteller, ein Verein der sich unter anderem der Durchsetzung von Verbraucherinteressen und -rechten widmet, nimmt im Wege eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein deutschlandweit tätiges Energieversorgungsunternehmen wegen irreführender Angaben sowie wegen unwirksamer allgemeiner Geschäftsbedingungen auf Unterlassung in Anspruch (vgl. Pressemitteilung vom 09.03.2023). Das Landgericht Düsseldorf hat der Antragsgegnerin mit Urteil vom 09.11.2022 unter anderem untersagt, während des vereinbarten Zeitraums einer Preisfixierung einseitig eine Erhöhung des Strom- und/oder Gaspreises mitzuteilen (Az.: 12 O 247/22). Die hiergegen gerichtete Berufung der Antragsgegnerin hat insoweit Erfolg. Zwar stand ihr nach der Auffassung des Senats ein Recht zur einseitigen Preiserhöhung, gestützt auf § 313 BGB nicht zu, weil der Gesetzgeber auf die "Gaskrise" reagiert und in § 24 EnSiG ein spezialgesetzliches Preisänderungsrecht eingeführt hat, das die Anwendung des § 313 BGB verdrängt. Dass die Voraussetzungen des § 24 EnSiG nicht vorliegen, weil die Bundesnetzagentur nicht eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen festgestellt hat, ist unerheblich. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 24 EnSiG zu erkennen gegeben, dass ein einseitiges Preiserhöhungsrecht der Versorger nur unter ganz engen Voraussetzungen möglich ist.

Der Unterlassungsanspruch hat jedoch deswegen keinen Erfolg, weil es an einem Rechtsschutzbedürfnis für ein Unterlassungsbegehren gegen Äußerungen unter anderem dann fehlt, wenn damit unmittelbar auf die Rechtsverfolgung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren Einfluss genommen werden soll. Damit scheidet eine Verurteilung zur Unterlassung einer einseitigen Preisanpassung als solche gegenüber Kunden aus. Ohne eine derartige Gestaltungserklärung könnte die Antragsgegnerin das von ihr beanspruchte Recht nicht wahrnehmen und dessen Berechtigung im Verhältnis zu Kunden nicht klären. Im Übrigen handelt es sich bei der Preisanpassungserklärung auch nicht um eine täuschende Angabe.

Demgegenüber darf die Antragsgegnerin nicht in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel verwenden, in der in Verträgen mit unbestimmter Laufzeit und Preisfixierung ein beidseitiges Kündigungsrecht mit einer Frist von einem Monat eingeräumt wird. Eine solche Klausel führt zu einer vollständigen Aushöhlung der Preisgarantie und ist unwirksam. Insoweit hat der Senat die Berufung der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Das Urteil ist rechtskräftig. Eine Revision zum Bundesgerichtshof ist nicht möglich, weil es sich um ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung handelt.

§ 24 Abs. 1 und 2 EnSiG (Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung (Energiesicherungsgesetz)


(1) Nach der Ausrufung der Alarmstufe oder der Notfallstufe durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nach Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b und Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2017/1938 in Verbindung mit dem Notfallplan Gas des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom September 2019, der auf der Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz veröffentlicht ist, kann die Bundesnetzagentur die Feststellung treffen, dass eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland vorliegt. Die Feststellung kann zu einem späteren Zeitpunkt als dem der Ausrufung der Alarm- oder Notfallstufe erfolgen und unter der Voraussetzung, dass die Optionen in den §§ 29 und 26 geprüft wurden und das Ergebnis dokumentiert ist. Mit der Feststellung durch die Bundesnetzagentur nach Satz 1 erhalten alle von der Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland unmittelbar durch Lieferausfälle oder mittelbar durch Preissteigerung ihres Lieferanten infolge der Lieferausfälle betroffenen Energieversorgungsunternehmen im Sinne des § 3 Nummer 18 des Energiewirtschaftsgesetzes entlang der Lieferkette das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen. Eine Preisanpassung ist insbesondere dann nicht mehr angemessen, wenn sie die Mehrkosten einer Ersatzbeschaffung überschreitet, die dem jeweils betroffenen Energieversorgungsunternehmen aufgrund der Reduzierung der Gasimportmengen für das an den Kunden zu liefernde Gas entstehen.

(2) Die Preisanpassung nach Absatz 1 Satz 3 ist nur auf Verträge anzuwenden, die eine physische Lieferung von Erdgas innerhalb des deutschen Marktgebietes zum Gegenstand haben. Satz 1 ist unabhängig von dem auf den Vertrag im Übrigen anwendbaren Recht anzuwenden. Das Recht zur Preisanpassung nach Absatz 1 Satz 3 kann nicht durch vertragliche Regelungen ausgeschlossen werden.