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LG Hamburg: Gemeinnützer Verein LAION darf Fotos für die Erstellung von KI-Traingsdaten nach § 60d UrhG herunterladen und verwenden

LG Hamburg
Urteil vom 27.09.2024
310 O 227/23


Das LG Hamburg hat entschieden, dass der gemeinnütze Verein LAION Fotos für die Erstellung von KI-Traingsdaten nach § 60d UrhG herunterladen und verwenden darf.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Beklagte hat durch die Vervielfältigung der streitgegenständlichen Fotografie zwar in die Verwertungsrechte des Klägers eingegriffen. Dieser Eingriff ist aber durch die Schrankenregelung des § 60d UrhG gedeckt. Ob sich der Beklagte ergänzend auf die Schrankenregelung des § 44b UrhG berufen kann, bedarf vor diesem Hintergrund keiner abschließenden Beurteilung.

Die streitgegenständliche Fotografie ist jedenfalls als Lichtbild nach § 72 Abs. 1 UrhG geschützt. Das Gericht hat nach Inaugenscheinnahme der auf dem Laptop des Klägers befindlichen Rohdaten auch keinen Zweifel an der Lichtbildnereigenschaft des Klägers, § 72 Abs. 2 UrhG. Der Kläger ist auch zur Geltendmachung von Verletzungsansprüchen nach § 97 UrhG aktiv legitimiert, so auch für den Unterlassungsanspruch nach Abs. 1 der Vorschrift; dass der Kläger der Bildagentur ... weitergehende als (unterlizenzierbare) einfache Nutzungsrechte eingeräumt hat, hat der Beklagte nicht dargelegt. Die Bildagentur ... hat das Foto mit einem Wasserzeichen versehen; das war eine unfreie Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG, so dass auch zu deren Verwertung grundsätzlich die Zustimmung des Klägers als des Urhebers erforderlich war. Im Rahmen des durchgeführten Downloads hat der Beklagte diese Fassung vervielfältigt i.S.d. § 16 Abs. 1 UrhG, ohne dafür eine Zustimmung des Klägers eingeholt zu haben.

Allerdings war der Beklagte hierzu aufgrund gesetzlicher Erlaubnis berechtigt. Die Vervielfältigung war zwar nicht durch die Schrankenregelung des § 44a UrhG gedeckt (im Folgenden 1.), und ob sich der Beklagte auf die Schrankenregelung des § 44b UrhG berufen kann, erscheint als zweifelhaft (im Folgenden 2.). Letzteres bedarf aber vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, da die Vervielfältigungshandlung jedenfalls durch die Schrankenregelung des § 60d UrhG gedeckt war (im Folgenden 3.).

1. Die erfolgte Vervielfältigung ist nicht durch die Schrankenregelung des § 44a UrhG gedeckt.

Danach sind vorübergehende Vervielfältigungshandlungen zulässig, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist, eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder eine rechtmäßige Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.

Die vorliegend erfolgte Vervielfältigung war bereits weder flüchtig noch begleitend.

a) Flüchtig i.S.d. § 44a UrhG ist eine Vervielfältigung dann, wenn ihre Lebensdauer auf das für das ordnungsgemäße Funktionieren des betreffenden technischen Verfahrens Erforderliche beschränkt ist, wobei dieses Verfahren derart automatisiert sein muss, dass es diese Handlung automatisch, d.h. ohne Beteiligung einer natürlichen Person löscht, sobald ihre Funktion, die Durchführung eines solchen Verfahrens zu ermöglichen, erfüllt ist (EuGH, Urt. v. 16.07.2009, Az. C-5/08 – Infopaq/Danske Dagblades Forening, Rn. 64 (juris) zu Art. 5 Abs. 1 DSM-RL).

Soweit sich der Beklagte insoweit darauf beruft, dass im Rahmen des von ihm durchgeführten Analyseverfahrens die Dateien "automatisch" gelöscht worden seien, vermag dies eine Flüchtigkeit der Vervielfältigung im vorgenannten Sinne nicht zu begründen. Abgesehen davon, dass der Beklagte nichts zu der konkreten Dauer der Speicherung vorgetragen hat, erfolgte die Löschung gerade nicht "nutzerunabhängig", sondern aufgrund einer entsprechenden bewussten Programmierung des Analyseprozesses durch den Beklagten.

b) Begleitend i.S.d. § 44a UrhG ist eine Vervielfältigung dann, wenn sie gegenüber dem technischen Verfahren, dessen Teil sie ist, weder eigenständig ist noch einem eigenständigen Zweck dient (EuGH, Urt. v. 05.06.2014, Az. C-360/13, Rn. 43 (juris)).

Im vorliegenden Fall erfolgte ein gezieltes Herunterladen der Bilddateien, um sie mittels einer spezifischen Software zu analysieren. Damit ist das Herunterladen kein bloß begleitender Prozess zu der durchgeführten Analyse, sondern ein der Analyse vorgelagerter bewusster und aktiv gesteuerter Beschaffungsprozess.

2. Ob sich der Beklagte auf die Schrankenregelung des § 44b UrhG berufen kann, erscheint im vorliegenden Fall durchaus als zweifelhaft. Zwar unterfällt der von dem Beklagten vorgenommene Download grundsätzlich der Schrankenregelung des § 44b Abs. 2 UrhG, insbesondere erfolgte er zum Zwecke des Text und Data Mining im Sinne des § 44b Abs. 1 UrhG (im Folgenden lit. a). Allerdings spricht ‒ ohne dass dies vorliegend einer abschließenden Entscheidung bedürfte ‒ Einiges dafür, dass aufgrund eines wirksam erklärten Nutzungsvorbehalts im Sinne des § 44b Abs. 3 die Vervielfältigungshandlung nicht bereits nach § 44b Abs. 2 UrhG zulässig war (im Folgenden lit. b).

a) Die streitgegenständliche Vervielfältigungshandlung unterfällt grundsätzlich der Schrankenregelung des § 44b Abs. 2 UrhG.

(1) Der streitgegenständliche Download erfolgte zum Zwecke des Text und Data Mining im Sinne des § 44b Abs. 1 UrhG. Danach ist Text und Data Mining die automatisierte Analyse von einzelnen oder mehreren digitalen oder digitalisierten Werken, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen. Jedenfalls für die vorliegend streitgegenständliche Vervielfältigungshandlung ist dies zu bejahen (nachfolgend (a)); eine teleologische Reduktion des Schrankentatbestands kommt insofern nicht in Betracht (unten (b)).

Vorliegend keiner Entscheidung bedarf daher die weitere, im Schrifttum eingehend diskutierte Frage, ob das Training von Künstlicher Intelligenz in seiner Gesamtheit der Schrankenregelung des § 44b UrhG unterfällt oder nicht (eingehend zum Meinungsstand BeckOK UrhR/Bomhard, 42. Ed. 15.2.2024, UrhG § 44b Rn. 11a-11b m.w.N.; dazu auch eingehend die als Anlage K11 vorgelegte, im Auftrag der Initiative Urheberrecht erstellte Studie "Urheberrecht & Training generativer KI-technologische und rechtliche Grundlagen").

(a) Der Beklagte hat die Vervielfältigungshandlung zum Zwecke der Gewinnung von Informationen über "Korrelationen" im Wortsinn des § 44b Abs. 1 UrhG vorgenommen. Der Beklagte hat das streitgegenständliche Lichtbild von seinem ursprünglichen Speicherort heruntergeladen, um mittels einer bereits verfügbaren Software ‒ offenbar der Anwendung ... von ... ‒ den Bildinhalt mit der zu dem Text bereits hinterlegten Bildbeschreibung abzugleichen. Diese Analyse der Bilddatei zum Abgleich mit einer vorbestehenden Bildbeschreibung stellt ohne Weiteres eine Analyse zum Zwecke der Gewinnung von Informationen über "Korrelationen" (nämlich der Frage der Nicht-/Übereinstimmung von Bildern und Bildbeschreibungen) dar. Dass der Beklagte die in den Datensatz ... aufgenommenen Bilder auf diese Art und Weise analysiert hat, wurde klägerseits als solches nicht bestritten.

Die Anwendbarkeit von § 44b Abs. 1 UrhG ist ‒ entgegen der Auffassung des Klägers (Replik S. 13 f., Bl. 47 f. d.A.) ‒ auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte den von ihm erstellten Datensatz ... ausweislich eines zu diesem Datensatz ausgesprochenen "Disclaimers" nicht "kuratiert" habe. Der klägerseits wiedergegebene Disclaimer bezieht sich allein auf eine Warnung, dass der Datensatz nicht nach "verstörenden Inhalten" o.Ä. durchsucht worden sei. Eine solche ‒ zusätzliche ‒ Filterung des zu erstellenden Datensatzes ist aber nicht Anwendungsvoraussetzung für § 44b Abs. 1 UrhG und steht nicht der Annahme entgegen, dass die heruntergeladenen Bilder ‒ wie ausgeführt ‒ auf ihre Korrelation zwischen Bildinhalt und Bildbeschreibung hin analysiert wurden.

(b) Die streitgegenständliche Vervielfältigungshandlung ist auch nicht im Wege der teleologischen Reduktion der Schrankenregelung des § 44b UrhG aus dieser auszuschließen.

Soweit eine Herausnahme der Vervielfältigung von Daten zum Zwecke des KI-Trainings im Wege der teleologischen Reduktion im Schrifttum vereinzelt mit der Begründung befürwortet wird, dass § 44b UrhG nur die Erschließung "in den Daten verborgener Informationen", nicht aber die Nutzung "des Inhalts der geistigen Schöpfung" erfasse (Schack, NJW 2024, 113; in diese Richtung auch Dormis/Stober, Urheberrecht und Training generativer KI-Modelle, Anlage K11, S. 67 ff. mit einer Differenzierung zwischen Semantik und Syntax), bestehen Zweifel, ob dies zu überzeugen vermag; denn dabei wird nicht ausreichend deutlich, worin bei digitalisierten Werken der Unterschied zwischen "in den Daten verborgenen Informationen" und "dem Inhalt der geistigen Schöpfung" liegen soll.

Soweit ergänzend angeführt wird, dass es beim "KI-Webscraping" um den geistigen Inhalt der zu Trainingszwecken genutzten Werke und "letztlich" um die Schaffung inhaltsgleicher oder ähnlicher Konkurrenzerzeugnisse gehe (Schack, a.a.O.), unterscheidet diese Argumentation nach Auffassung der Kammer nicht streng genug zwischen

- zum einen der (hier allein streitgegenständlichen) Erstellung eines ‒ auch ‒ für KI-Training nutzbaren Datensatzes,

- zum anderem dem nachfolgenden Training des künstlichen neuronalen Netzes mit diesem Datensatz und

- zum dritten der nachfolgenden Nutzung der trainierten KI zum Zwecke der Erstellung neuer Bildinhalte.

Diese letztere Funktionalität mag zwar bereits bei der Erstellung des Trainingsdatensatzes angestrebt sein. Jedoch ist im Zeitpunkt der Zusammenstellung des Trainingsdatensatzes weder absehbar, in welcher Weise der zweite Schritt (das Training) erfolgreich sein wird, noch, welche konkreten Inhalte im dritten Schritt (bei der KI-Anwendung) durch die trainierte KI werden generiert werden können. Die konkreten Anwendungsmöglichkeiten bei einer sich rasant entwickelnden Technologie wie der KI sind zum Zeitpunkt der Erstellung des Trainingsdatensatzes daher nicht abschließend absehbar und mithin nicht rechtssicher feststellbar. Wegen dieser Rechtsunsicherheit ist die bei der Erstellung des Trainingsdatensatzes zunächst allein bestehende nur allgemeine Absicht, zukünftige KI-generierte Inhalte erlangen zu wollen, kein taugliches Kriterium für die Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit der Erstellung des Trainingsdatensatzes als solchen.

Soweit für eine teleologische Reduktion der Schrankenregelung des § 44b UrhG schließlich angeführt wird, dass der europäische Gesetzgeber 2019 bei Schaffung der zugrundeliegenden Richtlinienbestimmung (Art. 4 DSM-RL) "das KI-Problem" "schlicht noch nicht auf dem Schirm" gehabt habe (Schack, a.a.O.; ebenso für das Training von KI-Modellen Dormis/Stober, a.a.O., S. 71 ff., 87 ff.), genügt allein dieser Befund für eine teleologische Reduktion ersichtlich nicht. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die technische Fortentwicklung im Bereich der sog. Künstlichen Intelligenz seit 2019 weniger Art und Umfang des (streitgegenständlichen) Data Mining zur Beschaffung von Trainingsdaten betrifft, sondern die Leistungsfähigkeit der mit den Daten trainierten künstlichen neuronalen Netze (dementsprechend gehen Dormis/Stober, a.a.O., S. 95 gleichfalls davon aus, dass die reine Erstellung von Trainingsdatensätzen "im Vorfeld des eigentlichen Trainings" durchaus der TDM-Schranke unterfallen dürfte). Zu beachten wäre außerdem, dass die beklagtenseits abgerufene Datenbank der Common Crawl Foundation bereits seit dem Jahr 2008 (!) erstellt wird, vgl. https://commoncrawl.org/overview.

Davon abgesehen hat jedenfalls der aktuelle europäische Gesetzgeber der KI-Verordnung (Verordnung (EU) 2024/1689 vom 13.06.2024, ABl. L v. 12.07.2024 S. 1) unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass auch die Erstellung von zum Training von künstlichen neuronalen Netzen bestimmten Datensätzen der Schrankenregelung des Art. 4 DSM-RL unterfällt. Denn nach Art. 53 Abs. 1 lit. c KI-Verordnung sind Anbieter von KI-Modellen mit allgemeinem Verwendungszweck verpflichtet, eine Strategie insbesondere zur Ermittlung und Einhaltung eines gemäß Art. 4 Abs. 3 DSM-RL geltend gemachten Rechtsvorbehalts vorzusehen.

Dass auch die Erstellung von zum Training von künstlichen neuronalen Netzen bestimmten Datensätzen der Schrankenregelung des Art. 4 DSM-RL unterfalle, entspricht im Übrigen auch der Einschätzung des deutschen Gesetzgebers im Rahmen der Umsetzung der vorgenannten Schrankenbestimmung im Jahr 2021 (Begr. RegE BT-Drs. 19/27426, S. 60).

(c) Auch der in Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL (i.V.m. Art. 7 Abs. 2 S. 1 DSM-RL) verankerte sog. 3-Stufen-Test rechtfertigt letztlich keine andere Beurteilung. Danach dürfen die normierten Ausnahmen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden. Diese Anforderungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Die vorliegend urheberrechtlich relevante Vervielfältigung ist auf den Zweck der Analyse der Bilddateien auf ihre Übereinstimmung mit einer vorbestehenden Bildbeschreibung nebst anschließender Einstellung in einen Datensatz beschränkt. Dass durch diese Nutzung die Verwertungsmöglichkeiten der jeweils betroffenen Werke beeinträchtigt werden würden, ist nicht ersichtlich und wird auch klägerseits nicht behauptet.

Zwar mag der auf diese Weise erstellte Datensatz nachfolgend zum Trainieren künstlicher neuronaler Netze genutzt werden können und die dabei entstehenden KI-generierten Inhalte mögen in Konkurrenz zu den Werken (menschlicher) Urheber treten können. Das allein rechtfertigt es jedoch noch nicht, bereits in der Erstellung der Trainingsdatensätze eine Beeinträchtigung auch der Verwertungsrechte an Werken i.S.v. Art. 5 Abs.5 InfoSoc-RL zu erblicken. Dies hat schon allein deshalb zu gelten, weil die Berücksichtigung bloß zukünftiger, derzeit noch gar nicht im Einzelnen absehbarer technischer Entwicklungen keine rechtssichere Abgrenzung zulässiger von unzulässigen Nutzungen erlaubt (vgl. ähnlich oben (b)).

Da eine Verwendung von im Wege des Text und Data Mining gewonnenen Erkenntnissen zum Trainieren künstlicher neuronaler Netze, die dann in Konkurrenz zu Urhebern treten können, auf Grundlage der aktuellen technologischen Entwicklung im Zweifel nie ausgeschlossen werden kann, würde die Gegenauffassung in letzter Konsequenz sogar dazu nötigen, das Text und Data Mining i.S.d. § 44b UrhG letztlich in seiner Gänze zu untersagen; eine solche vollständige Außerkraftsetzung der Schrankenregelung liefe aber der gesetzgeberischen Intention offenkundig zuwider und kann daher kein tragbares Auslegungsergebnis darstellen.

(2) Die von dem Beklagten heruntergeladene Bilddatei war auch ‒ was der Kläger im Übrigen auch nicht in Abrede stellt ‒ rechtmäßig zugänglich i.S.d. § 44b Abs. 2 S. 1 UrhG.

"Rechtmäßig zugänglich" in diesem Sinne ist ein Werk insbesondere dann, wenn es frei im Internet zugänglich ist (Begr. RegE BT-Drucks. 19/27426, S. 88).

Hiervon ist für das von dem Beklagten heruntergeladene Bild auszugehen. Anders als klägerseits zunächst vorgetragen, hat der Beklagte nicht das in dem in der Klageschrift zunächst formulierten Unterlassungsantrag wiedergegebene "Originalbild" ‒ das von der Bildagentur ... nur bei Erwerb einer Lizenz zur Verfügung gestellt worden wäre ‒, sondern eine mit einem Wasserzeichen der Bildagentur versehene Fassung des Bildes heruntergeladen. Hierbei handelte es sich ersichtlich um das auf der Agenturseite quasi zu Werbezwecken eingestellte Vorschaubild. Dieses mit dem Wasserzeichen versehene Vorschaubild wurde von der Agentur aber gerade frei zugänglich ins Internet gestellt.

b) Allerdings spricht einiges dafür, dass vorliegend die Schrankenregelung des § 44b Abs. 2 UrhG ‒ ohne dass dies einer abschließenden Entscheidung bedürfte ‒ nicht eingreift, da ein wirksam erklärter Nutzungsvorbehalts im Sinne von Abs. 3 der Vorschrift vorlag; insbesondere dürfte der auf der Webseite ...com unstreitig erklärte Nutzungsvorbehalt wohl den Anforderungen an eine Maschinenlesbarkeit i.S.d. § 44b Abs. 3 S. 2 UrhG genügen.

(1) Es spricht manches dafür, dass der auf der Webseite der Agentur ausgesprochene Nutzungsvorbehalt durch eine hierzu berechtigte Person ausgesprochen wurde und der Kläger sich hierauf auch zum Schutz seiner eigenen Rechte berufen kann.

Nach dem Wortlaut des § 44b Abs. 3 UrhG kann "der Rechtsinhaber" den Nutzungsvorbehalt aussprechen. Zu beachten sind also nicht allein Vorbehaltserklärungen des Urhebers selbst, sondern auch nachfolgender Rechteinhaber, seien sie Rechtsnachfolger oder Inhaber von vom Urheber abgeleiteten Rechten. Nach dem ohne Weiteres schlüssigen Vortrag des Klägers (Protokoll v. 11.07.2024 S. 3, Bl. 122 d.A.) hatte er der Bildagentur ... weiterlizenzierbare einfache Nutzungsrechte an dem Originalbild eingeräumt. Die Bildagentur war danach selbst Rechteinhaberin an den auf ihrer Seite eingestellten Bildern und konnte daher ohne Weiteres einen Nutzungsvorbehalt nach § 44b Abs. 3 UrhG aussprechen; dass insofern dinglich wirkende Vereinbarungen im Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Bildagentur entgegengestanden hätten, ist weder ersichtlich noch geltend gemacht worden.

Der Kläger ist wohl auch berechtigt, sich auf diese Vorbehaltserklärung seiner Lizenznehmerin zu berufen. Wirtschaftlich betrachtet fand hier die Auswertung des streitgegenständlichen Originalfotos über die Agentur statt. Damit lag in der Praxis die konkrete Entscheidung, welcher Dritte die Berechtigung zu welcher Nutzung erhalten sollte, bei der Agentur; Abschlusszwang bestand für diese nicht. In einer solchen Situation spricht aus Sicht der Kammer vieles dafür, dass sich der Urheber bei der Geltendmachung bei ihm verbliebener Verbietungsrechte auf einen von seinem Lizenznehmer erklärten Vorbehalt nach § 44b Abs. 3 UrhG berufen darf.

(2) Auch der Einwand des Beklagten, dass das in den AGB der Agentur gegenüber deren Kunden ausgesprochene Nutzungsverbot für Webcrawler schon in zeitlicher Hinsicht nicht "in Bezug auf § 44b Abs. 3 UrhG" formuliert sein könne, ist unerheblich. Für die Rechtswirkungen der Erklärung ist es keine Voraussetzung, dass sie bewusst mit Blick auf eine bestimmte Gesetzesfassung erklärt wird.

(3) Der Vorbehalt ist auch hinreichend klar formuliert. Art. 4 Abs. 3 DSM-RL verlangt eine ausdrückliche Erklärung des Nutzungsvorbehalts. Dieses Ausdrücklichkeitserfordernis ist mithin bei richtlinienkonformer Auslegung des § 44b Abs. 3 UrhG mitzuberücksichtigen (so auch Begr. RegE BT-Drs. 19/27426, 89). Der erklärte Vorbehalt muss damit sowohl expressis verbis (nicht konkludent) als auch so zielgenau (konkret-individuell) erklärt werden, dass er zweifelsfrei einen bestimmten Inhalt und eine bestimmte Nutzung erfasst (Hamann, ZGE 16 (2024), S. 134). Diesen Anforderungen genügt der auf der Webseite der Bildagentur ... formulierte Nutzungsvorbehalt ohne Weiteres.

Soweit darüber hinaus argumentiert wird, dass ein für sämtliche auf einer Webseite eingestellte Werke erklärter Nutzungsvorbehalt dem Ausdrücklichkeitserfordernis des § 44b Abs. 3 UrhG widerspreche (so in Erweiterung der eigenen abstrakten Herleitung Hamann, a.a.O., S. 148), vermag dies nicht zu überzeugen. Denn auch der explizit für sämtliche auf einer Webseite eingestellte Werke erklärte Vorbehalt ist in seiner Reichweite und seinem Inhalt nach zweifelsfrei bestimmbar und damit ausdrücklich erklärt.

(4) Schließlich dürfte auch Einiges dafür sprechen, dass der Nutzungsvorbehalt den Anforderungen an eine Maschinenlesbarkeit i.S.d. § 40b Abs. 3 S. 2 UrhG genügt.

Dabei wird man zwar den Begriff der Maschinenlesbarkeit im Hinblick auf den ihm zugrunde liegenden gesetzgeberischen Willen, eine automatisierte Abfrage durch Webcrawler zu ermöglichen (vgl. Begr. RegE BT-Drucks. 19/27426, S. 89), durchaus im Sinne einer "Maschinenverständlichkeit" auszulegen haben (eingehend zum Meinungsstand Hamann, a.a.O., S. 113, 128 ff.).

Die Kammer neigt allerdings dazu, als "maschinenverständlich" auch einen allein in "natürlicher Sprache" verfassten Nutzungsvorbehalt anzusehen (anders als die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum, s. Hamann, a.a.O., S. 131 ff., 146 ff. m.w.N. zum Meinungsstand, wobei dort auf einen Beitrag der hiesigen Beklagtenvertreter, nämlich auf Akinci/Heidrich, IPRB 2023, 270, 272 verwiesen wird, die offenbar ebenfalls die Auffassung der Kammer vertreten; der Beitrag war der Kammer allerdings bis zur Urteilsabfassung nicht unmittelbar zugänglich). Allerdings wird man die Frage, ob und unter welchen konkreten Voraussetzungen ein in "natürlicher Sprache" erklärter Vorbehalt auch als "maschinenverständlich" angesehen werden kann, stets in Abhängigkeit von der zum jeweils relevanten Werknutzungszeitpunkt bestehenden technischen Entwicklung beantworten müssen.

Dementsprechend hat auch der europäische Gesetzgeber im Rahmen der KI-Verordnung festgelegt, dass Anbieter von KI-Modellen eine Strategie insbesondere zur Ermittlung und Einhaltung eines gemäß Art. 4 Abs. 3 DSM-RL geltend gemachten Rechtsvorbehalts "auch durch modernste Technologien" vorzuhalten haben (Art. 53 Abs. 1 lit. c KI-Verordnung). Zu diesen "modernsten Technologien" gehören aber unzweideutig gerade auch KI-Anwendungen, die in der Lage sind, in natürlicher Sprache geschriebenen Text inhaltlich zu erfassen (so offenbar insbesondere auch die hiesigen Beklagtenvertreter Akinci/Heidrich in dem der Kammer nicht unmittelbar zugänglichen Beitrag IPRB 2023, 270, 272, hier zit. nach Hamann, a.a.O. S. 148, dieser im Übrigen diese Möglichkeit in technischer Hinsicht grds. bejahend, a.a.O.). Es spricht insoweit alles dafür, dass der Gesetzgeber der KI-Verordnung mit seinem Hinweis auf "modernsten Technologien" gerade solche KI-Anwendungen im Blick hatte.

Gegen eine solche Sichtweise wird teilweise eingewandt, sie führe zu einem Zirkelschluss: Wenn gefordert werde, der Betreiber des Text und Data Mining müsse mittels KI-Anwendungen überprüfen, ob ein Nutzungsvorbehalt erklärt worden sei, dann erfordere doch diese KI-gestützte Suche ihrerseits eine Musteranalyse, die bereits den Tatbestand des Text und Data Mining i.S.d. § 44b Abs. 1 UrhG erfülle; mit anderen Worten: Erst die Anwendung der Schranke entscheide über die Zulässigkeit ihrer Anwendung (so Hamann, a.a.O., S. 148). Die Kammer teilt diese Bewertung nicht: Die urheberrechtlich relevante, rechtfertigungsbedürftige Nutzungshandlung ist entgegen vorgenannter Ansicht nicht die Durchführung einer "Musteranalyse" als solche, sondern die Vervielfältigung des urheberrechtlich geschützten Werks i.S.d. § 16 UrhG. Dass das vorausgehende Auffinden solcher Werke im Netz und deren Überprüfung, ob Vorbehalte i.S.d. § 44b Abs. 3 S. 2 UrhG erklärt sind, zwingend ein quasi vorgeschaltetes weiteres Text und Data Mining i.S.v. § 44b Abs. 1 UrhG erfordere, erscheint nicht als zwingend, denn zu denken ist insbesondere an Prozessierungen des Webseiteninhalts durch den Einsatz von Webcrawlern, bei denen lediglich flüchtige und beiläufige Vervielfältigungen entstehen, die ihrerseits bereits unter § 44a UrhG gerechtfertigt sind.

Ferner wird gegen das von der Kammer erwogene, weitere Verständnis des Begriffes der "Maschinenlesbarkeit" auch eingewandt, dieser Begriff werde vom europäischen Gesetzgeber in anderem Zusammenhang enger verstanden. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf den Erwägungsgrund 35 der PSI-Richtlinie (RL (EU) 2019/1024), der für eine "Maschinenlesbarkeit" im Sinne dieser Richtlinie u.a. eine "einfache" Erkennbarkeit verlange (so BeckOK UrhR/Bomhard, 42. Ed. 15.2.2024, UrhG § 44b Rn. 31 m.w.N.); dies könne für einen nur in natürlicher Sprache formulierten Vorbehalt nicht angenommen werden. Eine solche Argumentation setzt allerdings voraus, dass die Begrifflichkeiten beider Richtlinien in gleicher Weise verstanden werden müssen. Die Kammer hat Zweifel, ob eine solche Gleichsetzung der Begrifflichkeiten überzeugen kann, denn die Richtlinien haben unterschiedliche Zielrichtungen: Während die PSI-Richtlinie den rein einseitigen Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen bzw. die rein einseitige Verpflichtung der öffentlichen Hand zur Veröffentlichung bestimmter Informationen zum Gegenstand hat, geht es im Rahmen von Art. 4 Abs. 3 DSM-RL um einen Ausgleich zwischen den Interessen der Nutzer des Text und Data Mining (dieses möglichst einfach und möglichst rechtssicher betreiben zu können) und den Interessen der Rechteinhaber (ihre Rechte möglichst einfach und möglichst effektiv zu sichern). Dieser Interessenausgleich kann nach Auffassung der Kammer nicht einseitig zugunsten der Nutzer des Text und Data Mining gelöst werden, indem allein die für diese denkbar einfachste technische Lösung als ausreichend für die Wirksamkeit eines ausgesprochenen Nutzungsvorbehalts erachtet wird. Gegen ein solches Verständnis spräche auch die Wertung des Gesetzgebers der DSM-RL, der im Erwägungsgrund 18 gerade nicht die Erklärung eines Vorbehalts "in möglichst einfach auszulesender Weise" fordert, sondern lediglich "in angemessener Weise". Und auch der deutsche Umsetzungsgesetzgeber verlangt lediglich eine Erklärung in einer Weise, die "den automatisierten Abläufen beim Text und Data Mining angemessen" ist (Begr. RegE BT-Drucks. 19/27426, S. 89).

Es wäre zudem aus Sicht der Kammer ein gewisser Wertungswiderspruch, den Anbietern von KI-Modellen einerseits über die Schranke in § 44b Abs. 2 UrhG die Entwicklung immer leistungsfähigerer textverstehender und -kreierender KI-Modelle zu ermöglichen, ihnen aber andererseits im Rahmen der Schranken-Schranke von § 44b Abs. 3 S. 2 UrhG die Anwendung bereits bestehender KI-Modelle nicht abzuverlangen.

Ob und in welchem Maße zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Vervielfältigungshandlung im Jahr 2021 eine ausreichende Technologie zur automatisierten inhaltlichen Erfassung des streitgegenständlichen Nutzungsvorbehalts bereits zur Verfügung stand, ist zwar klägerseits bislang nicht dargetan; der Kläger hat insoweit nur auf im Jahr 2023 verfügbare Dienste verwiesen (Replik S. 14 ff., Bl. 48 ff. d.A.). Allerdings bestehen Anzeichen dafür, dass der Beklagte bereits über geeignete Technologie verfügte. Denn nach eigenem Vortrag des Beklagten erforderte die im Rahmen der Erstellung des Datensatzes ... durchgeführte Analyse in Form eines Abgleichs von Bildinhalten mit vorbestehenden Bildbeschreibungen ersichtlich auch und gerade eine inhaltliche Erfassung dieser Bildbeschreibungen durch die eingesetzte Software. Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, dass – insbesondere auch dem Beklagten – bereits im Jahr 2021 Systeme zur Verfügung standen, die in der Lage waren, einen in natürlicher Sprache formulierten Nutzungsvorbehalt in automatisierter Weise zu erfassen.

3. Der Beklagte kann sich hinsichtlich der streitgegenständlichen Vervielfältigung jedoch auf die Schrankenregelung des § 60d UrhG berufen.

Danach sind Vervielfältigungen für Text und Data Mining für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung durch Forschungsorganisationen zulässig.

a) Die Vervielfältigung erfolgte – wie dargelegt – für den Zweck des Text und Data Mining i.S.d. § 44b Abs. 1 UrhG. Sie erfolgte darüber hinaus auch zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung i.S.d. § 60d Abs. 1 UrhG.

Wissenschaftliche Forschung bezeichnet allgemein das methodisch-systematische Streben nach neuen Erkenntnissen (Spindler/Schuster/Anton, 4. Aufl. 2019, UrhG § 60c Rn. 3; BeckOK UrhR/Grübler, 42. Ed. 1.5.2024, UrhG § 60c Rn. 5; Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 60c Rn. 1). Der Begriff der wissenschaftlichen Forschung ist, indem er bereits das methodisch-systematische "Streben" nach neuen Erkenntnissen ausreichen lässt, nicht so eng zu verstehen, dass er nur die unmittelbar mit der Gewinnung von Erkenntnisgewinn verbundenen Arbeitsschritte erfassen würde; vielmehr genügt es, dass der in Rede stehende Arbeitsschritt auf einen (späteren) Erkenntnisgewinn gerichtet ist, wie es z.B. bei zahlreichen Datensammlungen der Fall ist, die zunächst durchgeführt werden müssen, um anschließend empirische Schlussfolgerungen zu ziehen. Insbesondere setzt der Begriff der wissenschaftlichen Forschung auch keinen späteren Forschungserfolg voraus.

Danach kann – entgegen der Auffassung des Klägers – auch bereits die Erstellung eines Datensatzes der streitgegenständlichen Art, der Grundlage für das Trainieren von KI-Systemen sein kann, durchaus als wissenschaftliche Forschung im vorstehenden Sinne anzusehen sein. Zwar mag die Erstellung des Datensatzes als solche noch nicht mit einem Erkenntnisgewinn verbunden sein; sie ist aber grundlegender Arbeitsschritt mit dem Ziel, den Datensatz zum Zwecke späteren Erkenntnisgewinns einzusetzen. Dass eine solche Zielsetzung auch im vorliegenden Fall bestand, kann bejaht werden. Dafür genügt es, dass der Datensatz – unstreitig – kostenfrei veröffentlicht und damit gerade (auch) auf dem Gebiet künstlicher neuronaler Netze Forschenden zur Verfügung gestellt wurde. Ob der Datensatz – wie es der Kläger hinsichtlich der Dienste ... und ... behauptet – daneben auch von kommerziellen Unternehmen zum Training bzw. zur Weiterentwicklung ihrer KI-Systeme genutzt wird, ist schon deshalb unerheblich, weil auch die Forschung kommerzieller Unternehmen noch Forschung – wenn auch nicht als solche nach §§ 60c f. UrhG privilegiert – ist.

Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Beklagte über die Erstellung entsprechender Datensätze hinaus auch wissenschaftliche Forschung in Gestalt der Entwicklung eigener KI-Modelle tätigt, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.

b) Der Beklagte verfolgt auch nicht kommerzielle Zwecke i.S.d. § 60d Abs. 2 Nr. 1 UrhG.

Für die Frage, ob Forschung nicht kommerziell ist, kommt es allein auf die konkrete Art der wissenschaftlichen Tätigkeit an, während Organisation und Finanzierung der Einrichtung, in der die Forschung erfolgt, unbeachtlich sind (ErwGr 42 InfoSoc-Rl).

Die nicht-kommerzielle Zweckverfolgung des Beklagten in Bezug auf die streitgegenständliche Erstellung des Datensatzes ... ergibt sich dabei bereits daraus, dass der Beklagte diesen unstreitig kostenfrei öffentlich zur Verfügung stellt. Dass die Entwicklung des streitgegenständlichen Datensatzes darüber hinaus zumindest auch der Entwicklung eines eigenen kommerziellen Angebots des Beklagten dienen würde (vgl. zu diesem Kriterium BeckOK IT-Recht/Paul, 14. Ed. 1.4.2024, UrhG § 60d Rn. 10), ist weder klägerseits vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass der streitgegenständliche Datensatz auch von kommerziell tätigen Unternehmen zum Training bzw. zur Weiterentwicklung ihrer KI-Systeme genutzt werden mag, ist für die Einordnung der Tätigkeit des Beklagten hingegen ohne Relevanz. Allein der Umstand, dass einzelne Mitglieder des Beklagten neben ihrer Tätigkeit für den Verein auch bezahlten Tätigkeiten bei solchen Unternehmen nachgehen, genügt nicht, die Tätigkeit dieser Unternehmen dem Beklagten als eigene zuzurechnen.

c) Dem Beklagten ist eine Berufung auf die Schrankenregelung des § 60d UrhG auch nicht nach Abs. 2 S. 3 der Vorschrift verwehrt.

Danach können sich Forschungsorganisationen, die mit einem privaten Unternehmen zusammenarbeiten, das einen bestimmenden Einfluss auf die Forschungsorganisation und einen bevorzugten Zugang zu den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung hat, nicht auf die Schrankenregelung des § 60d UrhG berufen. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des Gegenausschlusses nach § 60d Abs. 2 S. 3 UrhG obliegt dabei nach dem Wortlaut der Norm dem Kläger.

(1) Soweit der Kläger mit der Replik zunächst darauf verwiesen hat, dass das Unternehmen ... über die Finanzierung des gegenständlichen Datasets und die Besetzung "relevanter Posten" beim Beklagten durch eigene Mitarbeiter unmittelbaren Einfluss auf den Beklagten habe (Replik S. 18, Bl. 52 d.A.), so entbehrt dieser Vortrag der Substanz.

Der Kläger verweist insoweit lediglich darauf, dass einer der Mitbegründer des Beklagten, Herr ..., bei ... als "Head of Machine Learning Operations" angestellt sei, ferner ein Mitglied des Beklagten, Herr ..., ebendort als "Research Scientist" (Replik S. 4 f., Bl. 38 f. d.A.). Allein diese Tätigkeit von zwei Vereinsmitgliedern für das Unternehmen ... belegt aber keinen bestimmenden Einfluss dieses Unternehmens auf die Forschungsarbeit des Beklagten.

Davon abgesehen hat der Kläger noch nicht einmal behauptet, dass der Beklagte dem Unternehmen ... auch bevorzugten Zugang zu den Ergebnissen seiner wissenschaftlichen Forschung, namentlich dem streitgegenständlichen Datensatz, gewährt habe. Vielmehr wird insoweit nur vorgetragen, dass ... seinen Dienst ... mithilfe des streitgegenständlichen Datensatzes trainiert habe (Replik S. 8 f., Bl. 42 f. d.A.).

(2) Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 03.07.2024 auf einen im Jahr 2021 erfolgten Chat auf der Plattform ... verweist, wonach sich der Mitbegründer des Beklagten, Herr ..., dazu bereit erklärt haben soll, dem Unternehmen ... aufgrund eines von diesem geleisteten Finanzierungsbeitrags von 5.000,- $ einen vorzeitigen Zugang zu dem (damaligen kleineren) Datensatz zu gewähren, erfüllt auch dieser Vortrag nicht den Ausnahmetatbestand in § 60d Abs. 2 S. 3 UrhG.

Dabei kann dahinstehen, ob dieser – von dem Beklagten als solcher nicht bestrittene (vgl. Schriftsatz vom 09.07.2024 S. 3, Bl. 112 d.A.) – Chatverlauf die vom Kläger gezogene Interpretation überhaupt trägt. Gleichfalls kann dahinstehen, ob die Erklärung einer solchen Bereitschaft zur Gewährung eines vorzeitigen Zugangs – ob dieser tatsächlich gewährt wurde, hat der Kläger nicht vorgetragen – für das Innehaben eines bevorzugten Zugangs zu den Forschungsergebnissen i.S.d. § 60d Abs. 2 S. 2 UrhG ausreichen kann.

Denn es ist jedenfalls weder klägerseits dargetan noch sonst ersichtlich, dass das Unternehmen ... einen bestimmenden Einfluss auf den Beklagten hätte. Soweit überhaupt personelle Verflechtungen zwischen dem Beklagten und Unternehmen der KI-Branche dargetan sind, handelt es sich um die Unternehmen ... und ... (Replik S. 4 ff., Bl. 38 ff. d.A.).


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LG Düsseldorf: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung für EMS-Gerät mit "Traumkörper ganz ohne Sport" und ähnliche Werbeaussagen

LG Düsseldorf
Urteil vom 21.06.2023
12 O 115/22

Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass die Werbung für ein EMS-Gerät mit "Traumkörper ganz ohne Sport" und ähnliche Werbeaussagen eine wettbewerbswidrige Irreführung darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 8b UWG, § 2 UKlaG i.V.m. § 5 UWG bzw. §§ 3, 3a UWG i.V.m. § 3 HWG und Art. 7 lit. a) der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2017 über Medizinprodukte (Medizinprodukteverordnung, im Folgenden MDR (Medical Device Regulation)) zu.

a. Der Kläger ist gemäß nach §§ 8 Abs. 3 Nr. 2, 8b Abs. 1, 2 UWG und §§ 2, 3 Abs. 1 Nr. 2 UKIaG i.V.m. §§ 8 Abs. 3 Nr. 2, 8b Abs. 1, 2 UWG aktiv legitimiert. Es handelt sich bei ihm um einen rechtsfähigen Verband zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen. Der Verband ist seit dem 15.11.2021 auch in die beim Bundesamt für Justiz geführte Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände eingetragen. §§ 8 Abs. 3 Nr. 2 und 8b Abs. 1 und Abs. 2 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs (BGBl. I 2020 S. 2568; UWG n.F.) finden hier Anwendung. Nach diesen Vorschriften, die am 01.12.2021 in Kraft getreten sind, bedürfen Wirtschaftsverbände nunmehr der Eintragung in eine Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG n.F., um Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG geltend machen zu können (vgl. BGH, Urt. v. 26.01.2023, Az. I ZR 111/22, Rn. 11, juris). Ferner ist gerichtsbekannt, dass der Kläger nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande ist, seine satzungsmäßigen Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen. Dem entsprechenden Vorbringen des Klägers ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Schließlich gehört dem Kläger auch eine erhebliche Zahl von Unternehmern an, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben wie die Beklagte. Dabei ist auf die angegriffenen Wirkaussagen abzustellen, da es auf die Substituierbarkeit der von ihnen angebotenen Waren und Dienstleistungen ankommt. Das Gerät der Beklagten soll Muskeln im menschlichen Körper aufbauen („mühelos definierte Muskeln“) und zur Erlangung eines „Traumkörpers“, und zwar „ganz ohne Sport“, dienen. Ferner soll es Hautgewebe sowie Bereiche mit Cellulite glätten. Damit konkurrieren etwa Apotheken, die Mittel zur Gewichtsreduzierung vertreiben, mit der Beklagten, ebenso wie Ärzte (Allgemeinmediziner und Hautärzte) sowie Heilpraktiker, die ihren Patienten Diäten oder Medikamente gegen Cellulite verschreiben. Auch Hersteller und Großhändler von Arzneimitteln sowie Anbieter von Medizinprodukten stehen im Wettbewerb zur Beklagten. Der Kläger hat durch Vorlage seiner Mitgliederliste substantiiert dargelegt, dass ihm eine Vielzahl von Apotheken, Ärzten, Heilpraktikern und Arzneimittelherstellern und -großhändlern angehören. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist somit nicht nur auf die Anbieter im Markt für vergleichbare Therapie-Geräte (wie den „N.) die das EMS- und/oder HIFEM-Verfahren verwenden, abzustellen, wobei auch Unternehmen aus der Branche der Medizinprodukte zum Mitgliederkreis des Klägers zählen.

b. Bei den Werbeangaben handelt es sich auch um geschäftliche Handlungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG, da diese der Förderung des Absatzes von Waren (hier dem Gerät „N.“) dienen.

c. Es liegt ein Verstoß gegen die spezialgesetzlichen Irreführungsverbote gemäß §§ 3, 3a UWG i.V.m. § 3 HWG und Art. 7 lit. a) MDR sowie das allgemeine Irreführungsverbot gemäß § 5 UWG vor.

Nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist nach § 5 Abs. 1 S. 2 UWG u.a. dann irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die wesentlichen Merkmale einer Ware oder Dienstleistung enthält (Nr. 1).

Gemäß § 3 Nr. 1 HWG ist eine irreführende Werbung unzulässig, und zwar insbesondere dann, wenn Arzneimitteln, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben.

Gemäß Art. 7 lit. a) MDR ist es bei der Kennzeichnung, den Gebrauchsanweisungen, der Bereitstellung, der Inbetriebnahme und der Bewerbung von Produkten untersagt, Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen zu verwenden, die den Anwender oder Patienten hinsichtlich der Zweckbestimmung, Sicherheit und Leistung des Produkts irreführen können, indem sie dem Produkt Funktionen und Eigenschaften zuschreiben, die es nicht besitzt.

aa. Es liegt eine Irreführung gemäß § 5 UWG vor.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die angegriffenen sieben Werbeangaben, bei denen es sich um Wirkungs- bzw. Wirksamkeitsaussagen handelt, zutreffend sind.

Ob und inwieweit eine Werbung mit Wirkungs- bzw. Wirksamkeitsaussagen irreführend ist, bemisst sich nach dem Verständnis eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Angehörigen der Verkehrskreise, an welche sich die Werbung richtet (BGH, GRUR 2004, 793 - Sportlernahrung II; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, § 5 UWG, Rn. 1.64). Dies können sowohl Fachkreise als auch Verbraucher, aber auch nur bestimmte Gruppen von Verbraucher sein. Wendet sich eine Werbung nur an Fachleute, so entscheiden deren Auffassung und Sprachgebrauch auf dem betreffenden Fachgebiet (BGH GRUR 2013, 649 Rn. 50 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; BGH GRUR 2021, 513 Rn. 11 – Sinupret; (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, § 5 UWG, Rn. 1.64). Werbeangaben werden von fachkundigen Kreisen meist sorgfältiger betrachtet. Zudem erfassen die Fachkreise aufgrund ihrer Vorbildung und Erfahrung den Aussageinhalt einer (Werbe-)Angabe oft leichter und prüfen sie mitunter wegen ihrer beruflichen Verantwortung genauer (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, § 5 UWG, Rn. 1.69). Wendet sich eine Werbung hingegen sowohl an ein Fach- als auch an ein Laienpublikum (oder Teile davon), so reicht es aus, wenn eine Irreführungsgefahr bei einer der Adressatengruppen besteht (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 124, juris; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.64).

Dies berücksichtigend ist der Aussagegehalt der hier angegriffenen Werbeangaben aus der Sicht der Fachkreise zu beurteilen. Die Veröffentlichung der in Rede stehenden Werbeanzeige erfolgte vorliegend in dem Fachmagazin „X.“, zu dessen Lesern in erster Linie Mitglieder der Fachkreise aus dem Bereich Beauty, Wellness, Styling, Hand- und Fußpflege zählen. Ferner ist davon auszugehen, dass sich selbst von den „interessierten Verbrauchern“ nur wenige wegen des hohen Preises des Geräts „D.“ für dessen Erwerb interessieren würden. Bei Verbrauchern könnte allenfalls im Einzelfall ein Interesse für ein entsprechendes (Fitness-)Training bei einem Dienstleister mit diesem Gerät geweckt worden sein. Da Verbraucher nur im Einzelfall bzw. nur durch Zufall mit der streitgegenständlichen Werbeanzeige in Kontakt gekommen sein dürften, ist insofern auf die Sicht eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Mitglieds der Fachkreise abzustellen. Maßgebend für die Bestimmung des Inhalts ist, wie dieser die beanstandeten Angaben aufgrund ihres Gesamteindrucks versteht (BGH, Urt. v. 05.02.2015, Az. I ZR 136/13, Rn. 18 - TIP der Woche; BGH, Urt. v. 18.01.2012, Az. I ZR 104/10, Rn. 16 - Neurologisch/Vaskuläres Zentrum). Nach dem Gesamteindruck beurteilt sich auch, welche Angaben in einer Äußerung getrennt verstanden werden, welche zusammengehören, in welchem Zusammenhang sie stehen und wie sie im Zusammenhang verstanden werden (BGH, Urt. v. 16.12.2004, Az. I ZR 222/02, Rn. 24 bei juris - Epson Tinte). Unerheblich ist das nicht zum Ausdruck gelangte Verständnis des Werbenden selbst. Entscheidend für die Bildung der Verkehrsauffassung ist vielmehr der erfahrungsgemäß am Wortsinn anknüpfende objektive Eindruck auf den Empfängerkreis. Dabei ist es durchaus möglich, dass sich Auffassung und Sprachgebrauch der Fachleute nicht von denen des allgemeinen Verkehrs unterscheidet (BGH, GRUR 2021, 513 Rn. 14 – Sinupret).

So liegt der Fall hier. Die für (medizinische) Laien wie für die Fachkreise gleichermaßen verständlichen Angaben in der angegriffenen Werbeanzeige suggerieren nicht nur dem Laien, sondern auch dem Mitglied der Fachkreise hinsichtlich der Körperstatur („Traumkörper“, „Muskelaufbau“), dem Fettgehalt im Körper („Körperfett wird reduziert“) und der Beschaffenheit der Haut („das Gewebe wird sichtbar gestrafft“, „Problemzonen mit Cellulite werden deutlich geglättet“) eine therapeutische Wirksamkeit bzw. therapeutische Wirkungen der Behandlung mit dem Gerät „D.“. Eines speziellen Trainings (im Sinne von sportlicher Aktivität) während oder im Zusammenhang mit der Behandlung bedarf es unter Berücksichtigung des maßgeblichen Gesamteindrucks der Werbeangaben nicht, da laut der blickfangmäßigen Überschrift der „Traumkörper auch ganz ohne Sport“ (Nr. 1) erreicht werden kann bzw. der Aufbau von – dem Schönheitsideal entsprechenden – definierten Muskeln „mühelos“ (Nr. 2) erfolgt. Auch die den Fließtext der Werbeanzeige einleitende Frage „Keine Lust auf Sport, aber Sehnsucht nach dem Traumkörper?“ wird in diesem Sinne im folgenden Satz sogleich beantwortet: „Kein Problem! Das N. stimuliert die Muskeln wie bei einem Intensivtraining, ganz ohne Sport“ (Nr. 3). Die weiteren angegriffenen Werbeangabe beinhalten mit „Muskeln werden aufgebaut und das Gewebe wird sichtbar gestrafft“ (Nr. 4), „Körperfett wird reduziert“ (Nr. 5) und „Problemzonen mit Cellulite werden deutlich geglättet!“ (Nr. 6) ferner konkrete Wirkangaben. Hierauf wird in der abschließenden Formulierung nochmals erkennbar Bezug genommen, in der es zusammenfassend heißt: „Innerhalb kürzester Zeit können beeindruckende Ergebnisse an Oberschenkeln, Bauch, Hüften, Armen und Po erzielt werden“ (Nr. 7). Da die in der Werbeanzeige verwandten Begriffe auch dem Laien ein Begriff sind,

Die Frage, ob eine Wirkungs- bzw. Wirksamkeitsangabe den Adressaten der Werbung in die Irre führt, ist hierbei in Anwendung des für die gesundheitsbezogene Werbung allgemein geltenden strengen Maßstabs zu entscheiden. Da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut der Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung verbunden sein können, sind insoweit an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit gesundheitsbezogener Werbeaussagen besonders strenge Anforderungen zu stellen (BGH, GRUR 2002, 182, 185 - Das Beste jeden Morgen; GRUR 2012, 647 Rn. 33 - Injectio; GRUR 2013, 649 Rn. 15 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 124, juris). Dies rechtfertigt sich zudem daraus, dass die eigene Gesundheit in der Wertschätzung des Verbrauchers einen hohen Stellenwert hat und sich deshalb an die Gesundheit anknüpfende Werbemaßnahmen erfahrungsgemäß als besonders wirksam erweisen (BGH, GRUR 2002, 182, 185 - Das Beste jeden Morgen; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 125, juris). Irreführend sind solche Werbeaussagen, die geeignet sind, im konkreten Fall eine Divergenz zwischen der Vorstellung des Adressaten und der Wirklichkeit herbeizuführen. Dabei wird auch die Werbung mit unzureichend wissenschaftlich gesicherten Wirkungsaussagen erfasst (OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 125, juris). Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung nämlich generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht (BGH, GRUR 2012, 647 Rn. 33 - Injectio; GRUR 2013, 649 Rn. 16 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; GRUR 2015, 1244 Rn. 16 - Äquipotenzangabe in Fachinformation; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 125, juris).

Dabei obliegt der Nachweis, dass eine gesundheitsbezogene Angabe nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, grundsätzlich dem Kläger als Unterlassungsgläubiger (BGH, GRUR 2013, 649 Rn. 32 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 126, juris). Hat der Beklagte indes – wie hier die Beklagte – mit einer fachlich zumindest umstrittenen Meinung geworben, ohne auf die fehlende wissenschaftliche Absicherung hinzuweisen, kommt es jedoch zu einer Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast (OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 124, juris). Der Beklagte muss dann den Beweis für die Richtigkeit seiner Aussagen erbringen. Der Werbende übernimmt in einem derartigen Fall dadurch, dass er eine bestimmte Aussage trifft, die Verantwortung für die Richtigkeit, die er deshalb im Streitfall auch beweisen muss (vgl. BGH, GRUR 1991, 848, 849 - Rheumalind II; GRUR 2013, 649 Rn. 32 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 126, juris; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, § 5 UWG, Rn. 1.248). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, placebo-kontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch die Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist. Auch im Fall einer Metaanalyse ist Voraussetzung dafür, dass sie eine Werbeaussage tragen kann, in jedem Fall die Einhaltung der für diese Studien geltenden wissenschaftlichen Regeln (BGH, Urt. v. 06.02.2013, Az. I ZR 62/11, GRUR 2013, 649 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Die Erfüllung dieser Kriterien hat dabei nicht erst im Prozess zu geschehen, sondern bereits bevor die entsprechenden Werbebehauptungen aufgestellt werden. Dies erfordert das hohe Schutzgut der Gesundheit der angesprochenen Verkehrskreise.

Der Werbende muss, wenn er in einem solchen Fall in Anspruch genommen wird, daher zunächst darlegen, dass er über entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse verfügt. Nicht ausreichend ist es, dass er sich erst im Prozess auf ein Sachverständigengutachten beruft, aus dem sich die behauptete Wirkungsweise ergeben soll. Der Vorwurf, den Verkehr durch eine Angabe, für deren Richtigkeit der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte hat, in die Irre geführt zu haben, kann hierdurch nicht ausgeräumt werden (vgl. OLG Hamburg GRUR-RR 2004, 88; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.248).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist zunächst festzustellen, dass das EMS-Training und die von der Beklagten angeführte Therapie mit hochintensiven Magnetimpulsen (HIFEM) in der Wissenschaft umstritten sind und ihr Erfolg derzeit als (noch) wissenschaftlich ungesichert gilt. Der Kläger hat durch Vorlage der Anlagen K 9 bis K 11 (Gutachten des Prof. Dr. I. aus dem Jahr 1997 gemäß Anlage K 9, Sachverständigengutachten Dr. rer. nat. P. / Prof. Dr. med. J. vom 29.09.1997 gemäß Anlage K 10 und den Bericht vom Bericht aus dem vom W.-Netzwerk betriebenen Informationsportal „S.“ vom 24.04.2014 gemäß Anlage K 11) dargetan, dass die in Rede stehenden gesundheitsbezogenen Angaben zur EMS-Therapie bzw. zur Behandlung mit dem Gerät „N.“ nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen. Gleiches gilt unter Berücksichtigung der von dem Kläger vorgelegten Anlagen K 12 bis K 14 (u.a. dem Gutachten von Prof. Dr. O. zum Phänomen Cellulite vom 30.01.1992) mit Blick auf die Wirkangaben zur Behandlung von Zellulitis oder Zellulite (sog. Orangenhaut).

Insofern wäre es an der Beklagten gelegen gewesen, eine entsprechend aussagekräftige Studie zum EMS-Training bzw. zu der Therapie mit hochintensiven Magnetimpulsen (HIFEM) vorzulegen, aus denen sich Feststellungen zu den behaupteten Wirkungen ergeben. Dabei kommt den von der Beklagten vorgelegten Studien (Anlage B 1 bis B 4) nicht der „Goldstandard“ zu, weil es sich nicht um randomisierte, placebo-kontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung handelt. Unabhängig davon, ob im Streitfall überhaupt eine placebo-kontrollierte Studie möglich ist, weil die Probanden die Anwendung mit elektrischem Strom spüren, lässt sich den von der Beklagten vorgelegten Studien jedenfalls nicht entnehmen, inwiefern es sich bei den dort beschriebenen „Erfolgen“ um signifikante Veränderungen (im Vergleich zu nicht behandelten Probanden) handelt, die nicht etwa auf anderen Faktoren (wie z.B. äußeren Umwelteinflüssen) beruhen. Zudem ist den von der Beklagten vorgelegten Studien in den jeweiligen Zusammenfassungen der Ergebnisse teils eine relativierende Aussage zu entnehmen, die an der Verallgemeinerungsfähigkeit der Aussagen Zweifel nährt. Auch erscheint es zweifelhaft, ob angesichts der Größe der jeweiligen Probandengruppen (von teils nur 10 oder 41 Teilnehmern) überhaupt allgemeingültige aussagekräftige Feststellungen zu Wirkungen getroffen werden können.

Schließlich sind die angegriffenen Angaben in der Werbeanzeige auch geeignet, Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.

bb. Dies berücksichtigend liegt somit auch ein Verstoß gemäß §§ 3, 3a UWG i.V.m. Art. 7 lit. a) MDR und § 3 HWG vor, da die angegriffenen Werbeangaben, wie dargelegt, irreführend und daher unzulässig sind. Eine entsprechende Marktverhaltensregelung ist nicht nur in § 3 HWG zu sehen, sondern auch in Art. 7 lit. a) MDR, weil beide Bestimmungen den Schutz der menschlichen Gesundheit und damit den Verbraucherschutz bezwecken (vgl. BGH, GRUR 2015, 1244 Rn. 13 - Äquipotenzangabe in Fachinformation; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.2019, Az. I-2 U 38/18, Rn. 119, juris zu § 3 HWG und OLG Hamm, Urt. v. 21.04.2022, Az. I-4 U 39/22, Rn. 28; OLG Frankfurt, OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 2.12.2021, Az. 6 U 121/20, Rn. 32 zu Art. 7 MDR). Von der europarechtlichen Regelung in Art. 7 lit. a) MDR und der dort geregelten Irreführungsvariante werden die bislang von § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG erfassten Angaben über die Wirkungen des Medizinproduktes erfasst. Insoweit kann unter Berücksichtigung von Art. 7 Richtlinie 2006/114/EG bei der Anwendung der Vorschrift auf die entsprechenden Kriterien der Rechtsprechung zu § 3 HWG zurückgegriffen werden. Nach Art. 7 Richtlinie 2006/114/EG sind die Zivilgerichte der Mitgliedstaaten ermächtigt, vom Werbenden Beweise bzw. Beweismittel für die Richtigkeit von in der Werbung enthaltenen Tatsachenbehauptungen zu verlangen, wenn ein solches Verlangen – wie hier – unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden und anderer Verfahrensbeteiligter im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls angemessen erscheint. Im Ergebnis gelten daher mutatis mutandis nach Art. 7 lit. a) MDR die gleichen Anforderungen für Wirkungsaussagen für Medizinprodukte wie gemäß § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 21.04.2022, Az. I-4 U 39/22, Rn. 29 - 31; OLG Frankfurt, OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 2.12.2021, Az. 6 U 121/20, Rn. 37 mwN., zitiert nach juris).

d. Bei den Irreführungstatbeständen § 5 UWG, § 3 HWG und Art. 7 lit. a) MDR handelt es sich ferner Verbraucherschutzgesetze im Sinne des § 2 UKlaG. Zu den sonstigen Verbraucherschutzgesetzen gehören alle sonstigen Vorschriften, die Verhaltenspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher begründen (BGH WRP 2020, 726 Rn. 15 – SEPA-Lastschrift) und deren Verletzung Kollektivinteressen der Verbraucher beeinträchtigt (BGH WRP 2020, 726 Rn. 36 – SEPA-Lastschrift). Es genügt, dass die Vorschrift zumindest auch dem Schutz der Verbraucher dient und dass dieser Schutz nicht nur untergeordnete Bedeutung hat oder eine nur zufällige Nebenwirkung ist (BGH WRP 2020, 726 Rn. 20 – SEPA-Lastschrift im Anschluss an EuGH WRP 2019, 1567 Rn. 27 – Verein für Konsumenteninformation). Hierzu zählen insbesondere die verbraucherschützenden Vorschriften des UWG, soweit sie – wie das Verbot irreführender Handlungen (Art. 6 UGP-Richtlinie) – auf der UGP-Richtlinie beruhen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UKlaG § 2 Rn. 30 ff.).

e. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ist nicht weggefallen. Die Beklagte hat trotz entsprechender Aufforderung durch die Klägerin bislang keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

f. Die Androhung von Ordnungsmitteln ergibt sich aus § 890 ZPO.

2. Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Abmahnkosten folgt aus § 13 Abs. 1 UWG. Die Abmahnung erweist sich aus den vorgenannten Gründen als berechtigt. Einwendungen gegen die Höhe der geltend gemachten Pauschale wurden nicht erhoben.


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VG Ansbach: Verstoß gegen DSGVO durch Videoüberwachung der gesamten Trainingsfläche eines Fitnessstudios

VG Ansbach
Urteil vom 23.02.2022
AN 14 K 20.00083


Das VG Ansbach hat entschieden, dass ein Verstoß gegen die Vorgaben der DSGVO durch Videoüberwachung der gesamten Trainingsfläche eines Fitnessstudios vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die Klage ist jedoch nur begründet, soweit sie sich gegen Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheides wendet. Im Übrigen war sie als unbegründet abzuweisen.

Das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht ist richtiger Beklagter gemäß § 20 Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BDSG.

a) Die Unterlassungsanordnung in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids ist formell wie materiell rechtmäßig. Es sind keine Verfahrensfehler ersichtlich, insbesondere wurde die Klägerin ordnungsgemäß angehört i.S.d. Art. 28 BayVwVfG (vgl. auch DS-GVO-Erwägungsgrund 129).

Die Untersagungsanordnung beruht als Abhilfemaßnahme auf Art. 58 Abs. 2 DS-GVO. Da es sich um ein Verbot handelt, ist Buchst. f) einschlägig, nicht wie vom Beklagten vorgebracht Buchst. d). Tatbestandsvoraussetzung für die Abhilfemaßnahmen des Art. 58 Abs. 2 DS-GVO ist das Vorliegen eines Verstoßes gegen die DS-GVO (vgl. Nguyen in: Gola, DS-GVO, Art. 58, Rn. 4). Ein solcher Verstoß liegt insbesondere dann vor, wenn Daten ohne entsprechende Rechtsgrundlage verarbeitet werden. Dies war vorliegend der Fall.

(1) Die Videoüberwachung konnte nicht auf eine Einwilligung der Trainierenden gestützt werden. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. a) DS-GVO dürfen personenbezogene Daten verarbeitet werden, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung dazu gegeben hat. Eine solche Einwilligung erfordert gemäß Art. 4 Nr. 11 DS-GVO eine freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist. Eine solche eindeutige bestätigende Handlung der Trainierenden kann allerdings nicht in der bloßen Kenntnisnahme der Hinweise auf die Videoüberwachung in den Datenschutzhinweisen und der Hinweisschilder an der Eingangstür gesehen werden, denn gemäß Satz 3 des DS-GVO-Erwägungsgrundes 32 sollen Stillschweigen oder Untätigkeit gerade keine Einwilligung darstellen. Dass die Klägerin anderweitig ein Einverständnis der Trainierenden mit der Videoüberwachung durch eine eindeutig bestätigende Handlung eingefordert hätte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, sodass die Videoüberwachung nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. a) DS-GVO erlaubt war.

(2) Die Videoüberwachung konnte auch nicht auf vertragliche (Neben-)Pflichten der Klägerin, ihre Kundschaft im vorgetragenen Umfang vor Diebstählen und Übergriffen zu schützen, gestützt werden. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b) Alt. 1 DS-GVO ist eine Datenverarbeitung rechtmäßig, wenn sie für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, erforderlich ist. Vertragliche Nebenpflichten wie Rücksichtnahme- und Schutzpflichten sind zwar auch von dieser Vorschrift erfasst (Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, Art. 6, Rn. 33), jedoch ging die streitgegenständliche lückenlose Videoüberwachung über diese Pflichten hinaus. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist derjenige, der eine Gefahrenlage - wie hier durch den Betrieb eines Fitnessstudios - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern; umfasst werden hiervon diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Betreiber für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. BGH NJW 2018, 2956, Rn. 17 m.w.N.). Es muss dabei aber nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts vorgesorgt, sondern nur ein Sicherheitsgrad erreicht werden, den die herrschende Verkehrsauffassung im jeweiligen Bereich für erforderlich hält (vgl. BGH NJW 2018, 2956, Rn. 18 m.w.N.).

Inwiefern die Klägerin eine Schutzpflicht treffen soll, die über das Instandhalten der Fitnessgeräte und die Bereitstellung hilfsbereiten Personals und von Spinden o.Ä. hinausgeht, ist nicht nachvollziehbar. Es ist nicht davon auszugehen, dass es der herrschenden Verkehrsanschauung im Fitnessstudiobetrieb entspricht, die Trainierenden durch lückenlose Videoüberwachung vor Übergriffen und Diebstählen zu schützen oder ihnen eine erleichterte Verfolgung solcher Vorkommnisse durch die Videoüberwachung zu ermöglichen.

(3) Schließlich konnten auch nicht die berechtigten Interessen der Klägerin oder der Trainierenden selbst die Videoüberwachung rechtfertigen. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. f) DS-GVO ist eine Datenverarbeitung rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen […]. Die Klägerin kann zwar berechtigte Interessen im Sinne der Vorschrift geltend machen (hierzu (a)), zu deren Wahrung die Videoüberwachung erforderlich ist (hierzu (b)), jedoch überwiegen die Interessen der Trainierenden, namentlich deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, diese Interessen (hierzu (c)).

(a) Die Klägerin machte als berechtigte Interessen zum einen eigene Interessen (Prävention und Verfolgung von Diebstahl und Sachbeschädigung) und zum anderen Interessen der Trainierenden (Schutz vor Diebstahl und Übergriffen) geltend. Erforderlich, aber auch ausreichend für den Begriff des berechtigten Interesses ist ein „guter Grund“, sprich ein schutzwürdiges und objektiv begründbares Interesse (BVerwG, U. v. 27. März 2019 - 6 C 2/18 - Rn. 25 bei juris (noch zu § 6b Abs. 1 BDSG a.F.)). Die Geltendmachung, Ausübung und Durchsetzung von Rechtsansprüchen (wie Schadensersatzansprüche nach Diebstahl oder Sachbeschädigung) sind berechtigte Interessen (Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, Art. 6 DS-GVO, Rn. 147). Ebenso kann das Interesse der Trainierenden, von einem Fitnessstudiobetreiber vor Diebstählen und Übergriffen geschützt zu werden, als „berechtigt“ i.S.d. Art. 6 Abs. 1 f) DS-GVO eingeordnet werden, da der Begriff des berechtigten Interesses weit auszulegen ist; eine normative Einschränkung erfolgt erst später im Rahmen der Interessenabwägung (Albers/Veit in: BeckOK Datenschutzrecht, Art. 6, Rn. 50).

(b) Auch die Erforderlichkeit der Videoüberwachung kann noch bejaht werden, da jedenfalls für die Aufklärung von Diebstählen, Sachbeschädigungen und Übergriffen kein anderes, gleich effektives Mittel (vgl. Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, Art. 6 DS-GVO, Rn. 147a) ersichtlich ist.

(c) Die Interessen der Trainierenden überwiegen jedoch die von der Klägerin vorgebrachten berechtigten Interessen an der Videoüberwachung. Die Trainierenden sind in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG berührt und zwar in ganz erheblicher Weise. Bei der durchgehenden Videoüberwachung im Fitnessstudio der Klägerin während der gesamten Öffnungszeiten auf allen Trainingsflächen handelt es sich um einen gravierenden Eingriff in dieses Grundrecht aller Trainierenden, mithin einer erheblichen Anzahl von Personen, ohne räumliche oder zeitliche Ausweichmöglichkeit. Schon aufgrund dieser Alternativlosigkeit der Trainierenden überwiegen deren Interessen die der Klägerin. Ihr stehen nämlich durchaus andere, zwar möglicherweise nicht genauso effektive, aber jedenfalls ausreichend effektive Maßnahmen zur Wahrung ihrer Interessen zur Verfügung wie beispielsweise eine Aufstockung des Personals. Die Klägerin kann sich nicht allein darauf berufen, die Videoüberwachung sei gegenüber der Personalaufstockung die wirtschaftlich sinnvollere Alternative (vgl. Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, Art. 6 DS-GVO, Rn. 147a).

Erschwerend kommt hinzu, dass die Trainierenden nicht mit einer Videoüberwachung im Fitnessstudio rechnen mussten. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen ist zu berücksichtigen, dass gemäß Satz 4 des DS-GVO-Erwägungsgrundes 47 insbesondere dann, wenn personenbezogene Daten in Situationen verarbeitet werden, in denen eine betroffene Person vernünftigerweise nicht mit einer weiteren Verarbeitung rechnen muss, die Interessen und Grundrechte der betroffenen Person das Interesse des Verantwortlichen überwiegen könnten. Laut den gemäß Art. 70 Abs. 1 Buchst. e) DS-GVO zur Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung der DS-GVO erlassenen Leitlinien des Europäischen Datenschutzausschusses (EDSA) ist entscheidendes Kriterium für die Auslegung des Begriffs der vernünftigen Erwartung, ob ein objektiver Dritter vernünftigerweise in der konkreten Situation erwarten kann, dass er überwacht wird (EDSA, Leitlinien 3/2019 zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videogeräte, Version 2.0, Rn. 36, abgerufen unter edpb_guidelines_201903_video_devices_de.pdf (europa.eu)). Hinweisschilder, die über die Videoüberwachung informieren, sind zur Bestimmung, was eine betroffene Person objektiv in einer bestimmten Situation erwarten kann, unerheblich (EDSA, a.a.O, Rn. 40). In öffentlich zugänglichen Bereichen können betroffene Personen davon ausgehen, dass sie nicht überwacht werden, vor allem, wenn diese Bereiche typischerweise für Freizeitaktivitäten genutzt werden, wie es bei Fitnesseinrichtungen der Fall ist (EDSA, a.a.O., Rn. 38). Da vorliegend nichts dafür spricht, von diesem Grundsatz abzuweichen, führt auch dies zu einem Überwiegen der Interessen der Trainierenden.

Auch bei Betrachtung des Umfangs der der Klägerin entstandenen Schäden ist keine andere Gewichtung der Interessen geboten. Nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung belaufen sich die Diebstähle auf circa zehn Fälle jährlich und die Sachbeschädigungen auf circa 10.000 EUR bis 15.000 EUR jährlich, während die Einnahmen beispielhaft im Jahr 2019 200.000 EUR betrugen. Die finanziellen Einbußen der Klägerin halten sich daher in einem Rahmen, der in keinem Verhältnis zu einer lückenlosen Videoüberwachung der Trainierenden steht. Wenn die Klägerin darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung ausführt, dass hinsichtlich der Kleingeräte keinerlei Diebstahlsicherungen sinnvoll umsetzbar sind, muss letztlich aus unternehmerischer Sicht hingenommen werden, dass nicht jegliche finanziellen Risiken abgewendet werden können, ganz besonders nicht auf Kosten der informationellen Selbstbestimmung der gesamten Kundschaft.

Auch die berechtigten Interessen der Trainierenden selbst, die die Klägerin ebenfalls geltend macht, begründen kein anderes Abwägungsergebnis. Zwar mag die Videoüberwachung für manche eher ein willkommenes Gefühl der Sicherheit als einen unangenehmen Anpassungsdruck auslösen. Die Risiken der Aufklärbarkeit eines Diebstahls oder Übergriffs liegen aber primär im Verantwortungsbereich der Trainierenden selbst, nicht dem der Klägerin. Wer das Smartphone nicht in den Spind sperrt, ist sich regelmäßig der so erleichterten Möglichkeit eines Diebstahls im Trainingsraum im Fitnessstudio bewusst. Auch dass die Aufklärung von Straftaten in einem verhältnismäßig engen Raum unter vielen sich fremden Menschen erschwert ist, dürfte den Trainierenden als Teil des allgemeinen Lebensrisikos bewusst sein. Es liegt in der Hand der Trainierenden selbst, dieses Risiko bei Bedarf zu minimieren, indem beispielsweise Trainingsgeräte in der Nähe der Empfangstheke gewählt werden oder zu zweit oder zu einer „risikoärmeren“ Uhrzeit trainiert wird. Das Interesse der Trainierenden, vor diesem allgemeinen Lebensrisiko durch die Klägerin mittels Videoüberwachung geschützt zu werden, wiegt nicht so schwer, wie das Interesse daran, im Fitnessstudio überwachungsfrei trainieren zu können.

Das Gericht sieht hier auch keine Vergleichbarkeit mit dem Einzelhandel, da dort zum einen ein deutlich geringerer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegt (regelmäßig kürzerer Aufenthalt und auch weniger private Tätigkeit als im Fitnessstudio), zum anderen aber das Diebstahlrisiko und die Aufklärungsschwierigkeiten noch höher sein dürften durch den schnelleren Kundenwechsel, die höhere Zahl an kleinen Gegenständen und die leichteren Verstauungsmöglichkeiten beispielsweise in Jacken- und Hosentaschen.

Da somit mangels Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung mittels Videoüberwachung ein datenschutzrechtlicher Verstoß gegeben war, durfte die Beklagte eine Abhilfemaßnahme nach Art. 58 Abs. 2 DS-GVO ergreifen. Der Aufsichtsbehörde steht bezüglich der Wahl der konkreten Abhilfemaßnahme ein Ermessen zu (vgl. dazu DS-GVO-EG 129), welches gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist, § 20 Abs. 2 BDSG i.V.m. § 114 VwGO. Vorliegend sind Ermessensfehler hinsichtlich der Untersagungsanordnung weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Untersagungsanordnung war auch verhältnismäßig (vgl. DS-GVO-Erwägungsgrund 129), insbesondere ist kein milderes, gleich effektives Mittel zur Herstellung des Einklangs mit der DS-GVO ersichtlich. Da die gesamte Trainingsfläche lückenlos überwacht wurde, könnte eine (nachträgliche) Einwilligung i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. a) DS-GVO mangels Freiwilligkeit und Widerruflichkeit i.S.d. Art. 7 DS-GVO nicht wirksam eingeholt werden. Eine mögliche Anordnung des Beklagten nach Art. 58 Abs. 2 Buchst. d) DS-GVO, die Videoüberwachung wirksam zum Bestandteil des Vertrags mit den Trainierenden zu machen (statt des bloßen Hinweises in den Datenschutzhinweisen), erscheint zum einen schon mit Blick auf die zivilrechtlichen Vorschriften zur AGB-Kontrolle problematisch (vgl. dazu LG Koblenz BeckRS 2014, 1243) und hätte zum anderen einen erheblichen Eingriff in die Privatautonomie der Klägerin und somit auch kein milderes Mittel dargestellt. Das Verbot der Videoüberwachung war daher als ultima ratio erforderlich. Das Verbot war auch angemessen, denn das öffentliche Interesse an der Herstellung eines datenschutzkonformen Zustands im Fitnessstudio der Klägerin überwiegt das Interesse der Klägerin an der Videoüberwachung, da ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Trainierenden vorlag (siehe hierzu auch die Ausführungen oben zu Art. 6 Abs. 1 Buchst. f) DS-GVO).

b) Die Mitteilungsanordnung in Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids ist demgegenüber materiell rechtswidrig und daher aufzuheben, denn der streitgegenständliche Bescheid enthält bezüglich seiner Ziffer II keinerlei Begründung i.S.d. Art. 39 BayVwVfG (vgl. auch DS-GVO-Erwägungsgrund 129) oder Ermessenserwägungen. An diesem Ermessensausfall konnte auch der Schriftsatz des Beklagten vom 31. Januar 2022 nichts ändern.

Die fehlende Begründung der Ziffer II stellte zunächst einen Formfehler dar, der aber durch die Ausführungen des Beklagten im Schriftsatz vom 31. Januar 2022 gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG geheilt werden konnte, sodass Ziffer II formell rechtmäßig war.

Als Rechtsgrundlage für Ziffer II wurde in diesem Schreiben vom 31. Januar 2022 Art. 58 Abs. 1 Buchst. a) DS-GVO genannt. Hinsichtlich der Wahl der im Einzelfall anzuwendenden Untersuchungsbefugnis des Abs. 1 des Art. 58 DS-GVO steht der Aufsichtsbehörde ein Auswahlermessen zu (vgl. DS-GVO-Erwägungsgrund 129), welches gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist gemäß § 20 Abs. 2 BDSG i.V.m. § 114 Satz 1 VwGO. Der streitgegenständliche Bescheid enthält jedoch keine Ausführungen, aus denen ersichtlich wäre, dass der Beklagte dieses Ermessen bezüglich Ziffer II des Bescheids erkannt und ausgeübt hat. Dies allein stellt schon ein starkes Indiz für einen materiellen Ermessensausfall dar (BayVGH NVwZ-RR 2008, 787 (787 f.); Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39, Rn. 28 m.w.N.).

Es können auch nicht die zur Untersagungsanordnung in Ziffer I des Bescheids angestellten Ermessenserwägungen auf Ziffer II übertragen werden, da sich diese in keiner Weise mit der Art und Weise, wie die Umsetzung der Untersagung überprüft werden könnte, auseinandersetzen (vgl. zur Übertragung von Ermessenserwägungen BVerwG NVwZ 2007, 470 (471)). Insgesamt ist schlicht nicht erkennbar, dass bei der Wahl der passenden Untersuchungsbefugnis zur Kontrolle der Umsetzung der Untersagungsanordnung die notwendige Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen und den privaten Interessen der Klägerin stattgefunden hat. Auch das nachträgliche Vorbringen des Beklagten im Schriftsatz vom 31. Januar 2022 konnte diesbezüglich nicht berücksichtigt werden, denn § 114 Satz 2 VwGO ermöglicht lediglich die Ergänzung defizitärer Ermessenserwägungen, nicht aber die nachträgliche erstmalige Ausübung (BVerwG NVwZ 2007, 470 (471)). Nach alldem lag ein Ermessensausfall vor.

Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids war daher wegen des Ermessensausfalls rechtswidrig. Insoweit war die Klägerin als Adressatin des belastenden Verwaltungsakts auch in ihrem Recht auf wirtschaftliche Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt, sodass Ziffer II gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben war.

c) Die formell rechtmäßige Zwangsgeldandrohung in Ziffer III des streitgegenständlichen Bescheids ist auch materiell rechtmäßig, insbesondere wurde wirksam eine Frist i.S.d. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG gesetzt. Zwar setzt Ziffer III nach ihrem Wortlaut selbst keine entsprechende Frist, jedoch enthält die Begründung zur Ziffer III auf Seite 4 des streitgegenständlichen Bescheids eindeutig die vom Beklagten beabsichtigte Frist, nämlich zwei Wochen nach Bestandskraft des Bescheids. Da die Begründung zur Bestimmung des Regelungsinhalts eines Verwaltungsakts zu Hilfe zu nehmen ist (Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Art. 35, Rn. 76), ist vorliegend eine Frist i.S.d. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ordnungsgemäß gesetzt worden. Auch die Bestimmtheit gemäß Art. 37 BayVwVfG ist dabei gewahrt (vgl. hierzu Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Art. 39, Rn. 26).


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