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ArbG Hamburg: Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Gestattung der Nutzung von ChatGPT und anderer KI-Lösungen

ArbG Hamburg
Beschluss vom 16.01.2024
24 BVGa 1/24


Das ArbG Hamburg hat entschieden, dass kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Gestattung der Nutzung von ChatGPT und anderer KI-Lösungen besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
b) Der Antrag ist unbegründet, denn es fehlt bereits an einem Verfügungsanspruch des Beteiligten zu 1. (§§ 935, 940 ZPO, § 85 Abs. 2 ArbGG).

aa) Es kann dabei dahinstehen, ob ein Anspruch aus § 23 Abs. 3 BetrVG im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht werden kann (bejahend: LAG Rheinland-Pfalz vom 24.01.2019 – 2 TaBVGa 6/18; Fitting, § 23 BetrVG, Rn.76, Oetker, in: GK-BetrVG, § 23 BetrVG, Rn. 262; ablehnend: Besgen, in: Beck-OK Arbeitsrecht, § 23 BetrVG, Rn. 35; Koch, in: ErfK, § 23 BetrVG, Rn. 23; Thüsing, in: Richardi, § 23 BetrVG, Rn. 105), denn die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG liegen nicht vor. Die Beteiligte zu 2. hat mit dem Einstellen von Guidelines, Handbuch und KI-Richtlinien ohne zuvor den Konzernbetriebsrat beteiligt zu haben, keine groben Verstöße gegen ihre Pflichten aus dem BetrVG begangen.

(1) Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers hat die Beteiligte zu 2. mit den vorgenannten Maßnahmen, die zur Gestattung der Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Konkurrenzprogramme durch die Mitarbeiter geführt haben, § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht verletzt.

Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Beschäftigten. Es beruht darauf, dass die Beschäftigten ihre vertraglich geschuldete Leistung innerhalb einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsorganisation erbringen und deshalb dessen Weisungsrecht unterliegen. Das berechtigt den Arbeitgeber dazu, Regelungen vorzugeben, die das Verhalten der Beschäftigten im Betrieb beeinflussen und koordinieren sollen. Solche Maßnahmen bedürfen der Zustimmung des Betriebsrats. Dies soll gewährleisten, dass die Beschäftigten gleichberechtigt an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens teilhaben können (BAG vom

Gemäß der ständigen Rechtsprechung des BAG hat der Betriebsrat entgegen dem überschießenden Wortlaut nur mitzubestimmen bei Maßnahmen, die das so genannte Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffen. Dieses ist berührt, wenn die Maßnahme auf die Gestaltung des kollektiven Miteinander oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt (BAG vom 27.09.2005 - 1 ABR 32/04). Mitbestimmungsfrei sind dagegen Maßnahmen, die das so genannte Arbeitsverhalten der Beschäftigten regeln. Darum handelt es sich, wenn der Arbeitgeber kraft seines arbeitsver-raglichen Weisungsrechts näher bestimmt, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Weise das geschehen soll. Mitbestimmungsfrei sind deshalb Anordnungen, mit denen lediglich die Arbeitspflicht konkretisiert wird (BAG vom 23.08.2018 – 2 AZR 235/18). Die Entscheidung, ob, wann und wie die vertraglich zugesagte Arbeit zu erledigen ist und wie deren Erbringung kontrolliert und gesichert wird, fällt nicht unter den Mitbestimmungstatbestand (BAG vom 15.04.2014 – 1 ABR 85/12).

Wendet man diese Grundsätze der ständigen BAG-Rechtsprechung an, so fallen die Vorgaben zur Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Tools unter das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten (so auch: Holthausen, RdA 2023, S. 261 ff.; Kalbfus/Schöberle, NZA 2023, S. 251 ff.; Witteler, ZD 2023, S. 377 ff.). Die Beteiligte zu 2. stellt ihren Arbeitnehmern ein neues Arbeitsmittel unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung. Richtlinien, Handbuch usw. sind somit Anordnungen, welche die Art und Weise der Arbeitserbringung betreffen, weshalb kein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht.

Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung den Einwurf erhoben, dass durch die Erlaubnis der Beteiligten zu 2., die Arbeitnehmer können entscheiden, ob sie ChatGPT einsetzen, letztlich zwei Gruppen von Arbeitnehmern geschaffen wer/den, nämlich die Gruppe der Arbeitnehmer, die Künstlicher Intelligenz aufgeschlossen und die Gruppe, die dieser Entwicklung skeptisch gegenüberstehen, weshalb das Zusammenleben der Belegschaft und damit das Ordnungsverhalten betroffen seien. Eine solche Ansicht hätte zur Konsequenz, dass die nicht flächendeckende Einführung neuer Arbeitsmittel für vergleichbare Arbeitnehmer stets zu einer Zweiteilung führt, nämlich der Gruppe, welche das neue Arbeitsmittel einsetzt und der Gruppe, die noch mit den alten Arbeitsmitteln ihre Arbeitspflicht erfüllt, so dass in diesen Fällen der Betriebsrat zu beteiligen wäre, obwohl der Arbeitgeber nur Anordnungen getroffen hat, wie die Arbeit zu leisten ist. Dies ist mit dem gesetzgeberischen Willen, warum § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein Beteiligungsrecht begründen soll, nicht vereinbar.

(2) Auch das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat die Beteiligte zu 2. nicht verletzt. Nach § § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat u.a. mitzubestimmen bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das Mitbestimmungsrecht ist darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schutzwerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind (BAG vom 03.12.2016 – 1 ABR 7/15). „Überwachung“ im Sinne des Mitbestimmungsrechts ist ein Vorgang, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern seitens des Arbeitgebers erhoben und – jedenfalls in der Regel – aufgezeichnet werden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Die Informationen müssen auf technische Weise ermittelt und dokumentiert werden, so dass sie zumindest für eine gewisse Dauer verfügbar bleiben und vom Arbeitgeber herangezogen werden können. Die Überwachung muss durch die technische Einrichtung selbst bewirkt werden. Dazu muss diese aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar die Überwachung vornehmen. Das setzt voraus, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge erhebt, speichert und/oder verarbeitet. Ausreichend ist, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt. Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, dass der Arbeitgeber Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer erheben und aufzuzeichnen kann. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an ((BAG vom 03.12.2016 – 1 ABR 7/15).

Vorliegend ist unstreitig, dass ChatGPT und die vergleichbaren Konkurrenzprodukte nicht auf den Computersystemen der Beteiligten zu 2. installiert wurden. Will ein Arbeitnehmer diese Tools nutzen, muss er diese wie jede andere Homepage auch, mittels eines Browsers aufrufen. Zwar wird der Browser die Einwahl regelmäßig aufzeichnen. Dies stellt aber keine Besonderheit von ChatGPT dar, sondern ergibt sich aus den Funktionsmöglichkeiten des Browsers, der den Surfverlauf des Nutzers abspeichert. Der Browser selbst ist somit eine technische Einrichtung, die geeignet ist, Leistungs- und Verhaltensinformationen der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Zur Nutzung von Browsern haben die Beteiligten eine Konzernbetriebsvereinbarung abgeschlossen, weshalb der Antragsteller sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG bereits ausgeübt hat.

Unstreitig ist, dass der Arbeitnehmer selbst einen Account bei ChatGPT anlegen und eventuell entstehende Kosten auch selbst tragen muss, weshalb die Beteiligte zu 2. keinerlei Meldung erhält, wann welcher Arbeitnehmer wie lange und mit welchem Anliegen ChatGPT genutzt hat. Dass der Hersteller etwa von ChatGPT die vorgenannten Daten aufzeichnet, ist zu unterstellen. Dies führt aber nicht zur Mitbestimmung, denn der dadurch entstehende Überwachungsdruck wird nicht vom Arbeitgeber ausgeübt. Die Beteiligte zu 2. kann auf die vom Hersteller gewonnenen Informationen nicht zugreifen. Mit der Nutzung von ChatGPT vergleichbar ist etwa „beck-online“ (Datenbank des Beck-Verlags), wenn der Nutzer seinen eigenen Account angelegt und die Kosten selber zu tragen hat.

Auch die Vorgabe der Beteiligten zu 2., dass Arbeitnehmer Arbeitsergebnisse, die mittels Unterstützung von Künstlicher Intelligenz entstanden sind, kennzeichnen müssen, führt nicht zu einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Wie ausgeführt muss die technische Einrichtung die Überwachung selbst bewirken, um eine Mitbestimmung auszulösen. Die Kennzeichnung und die damit verbundene Kontrollmöglichkeit der Beteiligten zu 2., wer Chatbots einsetzt, erfolgt aber hier durch den Arbeitnehmer selbst und nicht durch das Tool.

(3) Ebenfalls ist ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht ersichtlich. Voraussetzung für das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3a Abs. 1 S. 1 ArbStättV; § 3 Abs. 1 S. 1 ArbStättV ist eine vorliegende oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG festgestellte konkrete Gefährdung der Mitarbeiter (LAG Düsseldorf vom 09.01.2018 – 3 TaBVGa 6/17). Zu einer konkreten Gefährdung hat der Antragsteller nichts vorgetragen, sie sind auch sonst nicht erkennbar.

(4) Dahinstehen kann, ob die Beteiligte zu 2. die Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG hinreichend erfüllt hat, denn ein einmaliger Verstoß gegen § 90 BetrVG stellt noch keine grobe Pflichtverletzung i.S.d. § 23 Abs. 3 BetrVG dar.

bb) Ein Verfügungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 87 Abs. 1 BetrVG. Zwar steht dem Betriebsrat zum Schutz seiner in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgeführten Mitbestimmungsrechte ein negatorischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch zu (BAG vom 23.03.2021 – 1 ABR 31/19; Richardi/Maschmann, in: Richardi, § 87 BetrVG, Rn. 134 ff.). Wie dargelegt ist aber im vorliegenden Fall kein Mitbestimmungsrecht des Antragsstellers berührt, weshalb auch kein Beseitigungsanspruch besteht.

cc) Aus § 90 BetrVG kann sich ein Verfügungsanspruch nicht ergeben, denn § 90 BertVG gewährt lediglich Unterrichtungs- und Beratungsrechte, aber kein Mitbestimmungsrecht, das den Arbeitgeber an einer einseitigen Durchführung der Maßnahme hindert. Daher würde eine einstweilige Verfügung gerichtet auf Beseitigung oder Unterlassen einer Maßnahme über den Hauptanspruch hinausgehen (vgl. nur: Fitting, § 90 BetrVG, Rn. 48).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LAG Mecklenburg-Vorpommern: Keine Altersdiskriminierung im Sinne von § 1 AGG, § 7 AGG durch Formulierung "Junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut" in Stellenanzeige

LAG Mecklenburg-Vorpommern
Urteil vom 17.10.2023
2 Sa 61/23


Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat entschieden, dass keine unzulässige Altersdiskriminierung im Sinne von § 1 AGG, § 7 AGG, vorliegt, wenn in einer Stellenanzeige die Formulierung "Junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut" verwendet wird. Es handelt sich vielmehr - so das Gericht .- um eine überspitzte und ironische Beschreibung des Arbeitsumfelds.

LAG Thüringen: Kein Anspruch auf Löschung einer Abmahnung aus der Personalakte nach Art. 17 DSGVO wenn die Abmahnung Gegenstand einer Schadensersatzklage ist

LAG Thüringen
Urteil vom 24.10.2023
5 Sa 424/22, 1 Ca 212/22


Das LAG Thüringen hat entschieden, dass kein Anspruch auf Löschung einer Abmahnung aus der Personalakte nach Art. 17 DSGVO besteht, wenn die Abmahnung Gegenstand einer Schadensersatzklage ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat ein Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch mehr auf Entfernung aus der Personalakte, selbst einer zu Unrecht erteilten Abmahnung. Ein solcher Anspruch kann nur ausnahmsweise gegeben sein, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, eine Abmahnung könne dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 51). Der Kläger hat vorliegend keine entsprechenden Gründe dargelegt.

Vielmehr verfolgt der Kläger mit demselben Verfahren Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Dabei spielt die streitgegenständliche Abmahnung die zentrale Rolle. Hieraus ergibt sich ein Dokumentationserfordernis der Beklagten, hier die Aufbewahrung der Abmahnung, zumindest bis zur endgültigen Klärung der Schadensersatzklage (vgl. auch Sächsisches LAG 31.03.2023 - 4 Sa 117/21 - Rn. 45).

Auch der Hinweis des Klägers auf die Vorschrift des § 17 DSGVO führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach Art. 17 Abs. 1 a DSGVO besteht ein Anspruch auf Löschung der betreffenden personenbezogenen Daten, sofern die personenbezogenen Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind. Da die vorliegende streitige Abmahnung Gegenstand der Schadensersatzklage ist, besteht zumindest bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens nach Art. 17 Abs. 3 a DSGVO kein Löschungsanspruch, da dieser zur Ausübung und Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich ist.

2. Mit dem Berufungsvorbringen vermochte der Kläger auch das Bestehen eines Anspruchs auf Widerruf mittels öffentlichen Aushangs nicht begründen. Ein Widerrufsanspruch als quasinegatorischer Beseitigungsanspruch mittels öffentlichen Aushangs setzt voraus, dass der zu widerrufende Vorwurf auf gleiche Weise bekannt gegeben wurde. Nur in einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer den Widerruf etwa durch öffentlichen Aushang verlangen (vgl. BAG 21. Februar 1979 - 5 AZR 568/77 - Leitsatz 1 und Rn. 16 – 20). Eine Bekanntgabe oder Veröffentlichung der gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe ist nicht vorgetragen worden. Vielmehr ist unstreitig, dass die Beklagte dem Kläger die Abmahnung im verschlossenen Umschlag übergeben hat. Die erste Instanz hat insoweit zu Recht sogar darauf hingewiesen, dass die Abmahnung weder betriebsintern bekannt geworden noch der Arbeitgeber ein etwaiges betriebsinternes Bekanntwerden zu verantworten habe.

3. Auch das Bestehen eines Schmerzensgeldanspruchs konnte der Kläger mit seinem Berufungsvorbringen nicht dartun. Zwar verweist er auf die maßgebliche höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach bei schweren Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ein Schmerzensgeldanspruch in Betracht kommt. Der Vorwurf des Verbreitens von Unwahrheiten stellt jedoch ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine Straftat dar. Wie bereits unter Ziffer 1 erläutert, ist der eigentliche Vorwurf in der Abmahnung, der Kläger habe nicht vor Dienstbeginn am 18.10.2021 seine Arbeitsverhinderung unverzüglich mitgeteilt, unbestritten. Mit dem Erstgericht ist die Kammer auch der Auffassung, dass eine fortwirkende Herabsetzung des Rufs des Klägers ohne die Beeinträchtigung in seinem beruflichen Fortkommen nicht erkennbar ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BAG: Arbeitnehmer kann verpflichtet sein eine Weisung des Arbeitgebers per SMS auch in seiner Freizeit zur Kenntnis zu nehmen

BAG
Urteil vom 23.08.2023
5 AZR 349/22


Das BAG hat entschieden, dass ein Arbeitnehmer verpflichtet sein kann, eine Weisung des Arbeitgebers per SMS auch in seiner Freizeit zur Kenntnis zu nehmen

Leitsatz des BAG:
Ist dem Arbeitnehmer auf der Grundlage der betrieblichen Regelungen bekannt, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung für den darauffolgenden Tag in Bezug auf Uhrzeit und Ort konkretisieren wird, ist er verpflichtet, eine solche, per SMS mitgeteilte Weisung auch in seiner Freizeit zur Kenntnis zu nehmen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

PDF des Vortrags "Rechtliche Aspekte von Homeoffice, Hybrid Work und Mitarbeiterüberwachung" auf der Human X Work Conference in Hamburg am 19.10.2023

Zunächst möchten uns ganz herzlich bei allen Teilnehmern und Organisatoren der Human X Work Conference 2023 in Hamburg bedanken.

Sie finden Vortrag von Rechtsanwalt Marcus Beckmann

hier als PDF: Rechtliche Aspekte von Homeoffice, Hybrid Work und Mitarbeiterüberwachung

oder bei Slideshare: Rechtliche Aspekte von Homeoffice, Hybrid Work und Mitarbeiterüberwachung

ArbG Duisburg: Arbeitsgerichte sind für Ansprüche eines Bewerbers auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO und Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO sachlich zuständig

ArbG Duisburg
Beschluss vom 18.08.2023
5 Ca 877/23

Das ArbG Duisburg hat entschieden, dass für Ansprüche eines ehemaligen Bewerbers auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO und Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO die Arbeitsgerichte sachlich zuständig sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 17 a III S. 2 GVG war nach der Rüge des Rechtsweges vorab über die sachliche Zuständigkeit zu entscheiden.

Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit ergibt sich aus § 2 I Nr. 3 c ArbGG.

Danach sind die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger begehrt die Zahlung eines Schadensersatzes nach der DSGVO. Das nach Behauptung des Klägers verletzte Auskunftsbegehren liegt dabei inhaltlich in einer Bewerbung des Klägers aus dem Jahre 2017 begründet.

Die Bewerbung des Klägers stellt eine „Verhandlung über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses“ im Sinne des § 2 I Nr. 3 c ArbGG dar.

Zwar ist das Recht aus Art 15 DSGVO nicht an das Vorliegen einer arbeitsrechtlichen Beziehung geknüpft. Liegt eine solche jedoch vor, ist ein arbeitsrechtlicher Bezug gegeben, welcher die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründet. Der ordentliche Rechtsweg kommt bezüglich Ansprüchen aus der DSGVO hingehen in Betracht, wenn der geltend gemachte Anspruch nach dem anspruchsbegründenden Sachverhalt auf einem anderen, nicht mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehenden Rechtsverhältnis beruht (BAG, Beschl. v. 03.02.2014, 10 AZB 77/13, beck-online). Dies ist hier nicht der Fall.

Dem arbeitsrechtlichem Bezug steht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entgegen, dass die Bewerbung des Klägers sieben Jahre zurückliegt. Dies ändert nichts am inhaltlichen Sachzusammenhang.

Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist mithin gegeben.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Rechtliche Aspekte von Homeoffice, Hybrid Work und Mitarbeiterüberwachung - Rechtsanwalt Marcus Beckmann auf der Human X Work Conference am 19.10.2023 in Hamburg

Rechtsanwalt Marcus Beckmann referiert am Donnerstag, den 19.10.2023 von 14.30 Uhr - 15.00 Uhr auf der Human X Work Conference in Hamburg über das Thema "Rechtliche Aspekte von Homeoffice, Hybrid Work und Mitarbeiterüberwachung"

LAG Baden-Württemberg: 10.000 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen unautorisierter Verwendung von Video- und Fotoaufnahmen durch ehemaligen Arbeitgeber

LAG Baden-Württemberg
Urteil vom 27.7.2023
3 Sa 33/22

Das LAG Baden-Württemberg hat entschieden, dass ein ehemaliger Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber in Höhe von 10.000 EURO aus Art. 82 DSGVO wegen der unautorisierten Verwendung von Video- und Fotoaufnahmen hat..

Aus den Entscheidungsgründen:
Auf die Berufung des Klägers waren diesem wegen der unautorisierten Verwendung ihn betreffenden Bildmaterials in Video- und Fotoaufnahmen nicht nur 3.000,00 EUR, sondern 10.000,00 EUR als Schadensersatz zuzusprechen.

1. Wegen der Verpflichtung der Beklagten dem Grunde nach zur Zahlung von Schadensersatz wegen Verstoßes gegen Art. 17 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 82 Abs. 1 DSGVO bzw. zur Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers durch die Nutzung von Film- und Fotoaufnahmen, die den Kläger erkennbar über längeren Zeitraum zeigen, kann zunächst auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II. 2. lit. b der Entscheidungsgründe seines Urteils (Bl. 214 bis 217 d. ArbG-Akte) verwiesen werden. Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung liegen neben der Sache.

Wenn die Beklagte ausführt, dass „zwischen den Parteien abgestimmt gewesen“ sei, dass die Beklagte das Schulungsvideo auch nach Ausscheiden des Klägers vollumfänglich mit dem Bild des Klägers weiter nutzen könne, so ist nicht ansatzweise ersichtlich, wer - bei der Beklagten handelt es sich um eine juristische Person - mit wem wann welche konkrete Regelung vereinbart haben soll. Der Kläger hat eine entsprechende Abrede bestritten.

Auch wenn der Kläger im Zeitpunkt des Anfertigens des Bildmaterials hiermit und mit der Verwertung des Bildmaterials zu Werbezwecken für die Beklagte einverstanden war, so bedeutet dies nicht, dass dieses Einverständnis über den Zeitpunkt seines Ausscheidens bei der Beklagten hinaus fortbestand, zumal der Kläger in unmittelbarem zeitlichen Anschluss in vergleichbarer Position bei einem Wettbewerber tätig wurde. Vielmehr hätte die Beklagte sämtliche Bildnisse des Klägers von sich aus spätestens im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus ihren Werbemedien entfernen müssen (vgl. ArbG Neuruppin 14. Dezember 2021 - 2 Ca 554/21 - ZD 2022, 396). Dies hat die Beklagte jedoch nicht getan, sondern in der Folgezeit ein das Persönlichkeitsrecht des Klägers in erheblichem Maße beeinträchtigendes Verhalten an den Tag gelegt.

a) Im Ansatz zu Recht gibt die Beklagte an, dass nicht jedwede Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, also auch nicht jede Verletzung des Rechts am eigenen Bild, einen Anspruch des Betroffenen auf eine Geldentschädigung gegen den Urheber auslöst (BGH 12. Dezember 1995 - VI ZR 223/94 - NJW 1996, 984). Erforderlich ist vielmehr eine Bewertung aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also das Ausmaß der Verbreitung der Veröffentlichung, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen. Bei Verletzungen des Rechts am eigenen Bild sind im Regelfall geringere Anforderungen an die Zusprechung einer Geldentschädigung zu stellen, da die Rechtsverletzung, anders als bei das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigenden Äußerungen, regelmäßig nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (BGH 17. Dezember 2013 - VI ZR 211/12 - BGHZ 199, 237). Bei dieser Entschädigung steht regelmäßig der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Prävention dienen.

Im vorliegenden Fall liegt eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers vor. Auch wenn dieser zunächst mit der Anfertigung von Bildnissen einverstanden war und diese möglicherweise aktiv befördert hat, war für die Beklagte ohne Weiteres ersichtlich, dass dies jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers und seines Wechsels zu einem Konkurrenzunternehmen nicht mehr der Fall war. Die Beklagte hat dennoch weder von sich aus und zunächst auch nicht auf mehrmaliges Drängen des Klägers die Foto- und Videoaufnahmen mit dem Kläger aus ihren Werbemedien entfernt, sondern dies erst im Februar 2020 und somit über 9 Monate nach seinem Ausscheiden vollständig getan.

b) Nicht ausreichend berücksichtigt hat das Arbeitsgericht bei der Festsetzung der Höhe der Geldentschädigung, dass die Beklagte den Kläger über den Bestand des Arbeitsverhältnisses hinaus zur Verfolgung eigener kommerzieller Interessen eingesetzt hat. Dies bedeutet zwar nicht, dass eine „Gewinnabschöpfung“ vorzunehmen ist, wohl aber, dass die Erzielung von Gewinnen aus der Rechtsverletzung als Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung mit einzubeziehen ist. In solchen Fällen muss von der Höhe der Geldentschädigung ein echter Hemmungseffekt ausgehen; als weiterer Bemessungsfaktor kann die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung berücksichtigt werden (BGH 5. Dezember 1995 - VI ZR 332/94 - NJW 1996, 984).

Die Beklagte hat die Angaben des Klägers nicht substanziiert bestritten, wonach sie im Zeitraum vom 1. Mai 2019 bis 21. Februar 2020 viertägige Lehrgänge zum Erlernen von Foliertechniken angeboten habe, die zum Preis von 1.999,00 EUR von ca. 6 Personen je Lehrgang besucht worden seien. Dabei habe die Beklagte etwa 7.000,00 EUR Gewinn je Lehrgang vereinnahmt. Wie die Erörterungen in den mündlichen Verhandlungen vor der Berufungskammer ergeben haben, kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass die Teilnehmer des Lehrgangs aufgrund des den Kläger zeigenden Werbematerials speziell wegen der Person des Klägers bei der Beklagten gebucht haben. Die Beklagte hat nicht mit dem Namen des Klägers geworben, der auch selbst nicht behauptet hat, in der Branche bekannt gewesen zu sein, weshalb Teilnehmer gezielt Schulungen mit ihm besucht haben könnten. Andererseits hat die Beklagte selbst vorgetragen, dass der Kläger seine jetzige Position bei Mitbewerbern auch deshalb bekleide, weil er durch die entsprechenden Schulungen und Veröffentlichungen bekannt geworden sei. Somit hat die Beklagte einen gewissen Werbeeffekt ausgenutzt, was bei der Bemessung des Entschädigungsbetrags zu berücksichtigen ist ebenso wie der Umstand, dass sie vermeiden wollte, das mit viel Aufwand und Kosten angefertigte Schulungsvideo nicht mehr unverändert verwerten zu können.

c) Unter Abwägung dieser Umstände hält die Kammer einen Entschädigungsbetrag von 10.000,00 EUR für angemessen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Prävention nicht anspruchserhöhend wirkt sich die anwaltliche Vertretung der Beklagten spätestens seit Anfang Februar 2020 aus (vgl. BAG 5. Mai 2022 - 2 AZR 263/21 - NZA 2022, 1191).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


ArbG Berlin: Anstellungsvertrag des Verwaltungsdirektors des RBB wegen übermäßig hoher Ruhegeldansprüche nach § 138 BGB sittenwidrig und somit nichtig

ArbG Berlin
Urteil vom 01.09.2023
21 Ca 1751/23


Das ArbG Berlin hat entschieden, dass der Anstellungsvertrag des Verwaltungsdirektors des RBB wegen übermäßig hoher Ruhegeldansprüche nach § 138 BGB sittenwidrig und somit nichtig

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kündigung des Verwaltungsdirektors des RBB

Das Arbeitsgericht Berlin hat heute die Klage des Verwaltungsdirektors des RBB in wesentlichen Teilen abgewiesen. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, der zuletzt zwischen den Parteien im Jahr 2018 geschlossene Dienstvertrag sei aufgrund der Regelungen zum nachvertraglichen Ruhegeld sittenwidrig im Sinne des § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und daher nichtig. Daher habe die Beklagte sich mit Schreiben vom 3. Februar 2023 einseitig von dem Vertrag mit dem Kläger lossagen können. Auf die Wirksamkeit der erklärten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses kam es daher streitentscheidend nicht mehr an.

Auf Basis der vertraglichen Regelung sollte dem Kläger nach Ablauf des Vertrages – bereits vor Erreichen des Rentenalters – ein Ruhegeld gezahlt werden, ohne dass der Kläger hierfür eine Leistung hätte erbringen müssen. Das Ruhegeld errechnet sich auf der Grundlage des Vergütungsanspruchs des Klägers in Höhe von zuletzt ca. 20.900 EUR brutto monatlich. Daneben sollte der Kläger weitgehend auch aus anderen Quellen Einkünfte oder Versorgungen beziehen können, ohne dass diese auf das Ruhegeld anzurechnen gewesen wären.

Das Arbeitsgericht sah hierin in der Gesamtbetrachtung ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des Ruhegelds gehe weit über eine Kompensation für das Arbeitsplatzrisiko aufgrund der Befristung des Dienstvertrages für die Amtsdauer des Klägers als Verwaltungsdirektor hinaus. Die Vereinbarung des Ruhegelds widerspreche außerdem den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, an die die Beklagte gebunden sei. Schließlich gefährde der Vorwurf der Verschwendung von Rundfunkgebühren den Ruf und die Existenz des öffentlichen Rundfunks. Aufgrund der Nichtigkeit des Dienstvertrages habe der Kläger keinen Anspruch auf Ruhegeldzahlungen und Hinterbliebenenversorgung.

Die Widerklage der Beklagten hat das Gericht überwiegend abgewiesen. Ein Anspruch auf Rückzahlung der ARD-Prämie für den ARD-Vorsitz bestehe nur im Umfang von einem Drittel. Im Übrigen treffe die Beklagte ein Mitverschulden für das Zustandekommen der

Vereinbarung. Auch könne die Beklagte die Entgeltfortzahlung, die sie während der Arbeitsunfähigkeit des Klägers in der Zeit des nichtigen Arbeitsvertrages geleistet hat, nicht zurückfordern.

Gegen diese Entscheidung ist für beide Parteien das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gegeben.

Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 01.09.2023, Az. 21 Ca 1751/23



BAG: Stark beleidigende Äußerungen über Vorgesetzte und Kollegen in privater WhatsApp-Chatgruppe können außerordentliche Kündigung rechtfertigen

BAG
Urteil vom 24.08.2023
2 AZR 17/23


Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass stark beleidigende Äußerungen über Vorgesetzte und Kollegen in einer privaten WhatsApp-Chatgruppe eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können.

Die Pressemitteilung des BAG:
Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe

Sitzungsergebnis
Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine dies zum Anlass nehmende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen.

Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – in beleidigender und menschenverachtender Weise ua. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.

Beide Vorinstanzen haben der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint. Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 19. Dezember 2022 – 15 Sa 284/22



BAG: Geschäftsführer einer GmbH muss Arbeitnehmern keinen Schadensersatz wegen unterbliebener Zahlung des Mindestlohns leisten

BAG
Urteil vom 30.03.2023
8 AZR 120/22


Das BAG hat entschieden, dass der Geschäftsführer einer GmbH Arbeitnehmern keinen Schadensersatz wegen unterbliebener Zahlung des Mindestlohns leisten muss.

Leitsatz des BAG:
Geschäftsführer einer GmbH haften gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH nicht deshalb auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, weil sie im Einzelfall nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG für Verstöße der GmbH gegen ihre Verpflichtung aus § 20 MiLoG, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zu zahlen, bußgeldrechtlich verantwortlich sind. Der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG stellt – ungeachtet des § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG – kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der GmbH in ihrem Verhältnis zu dem/den Geschäftsführer/n der Gesellschaft dar.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Beklagten haften nämlich als Geschäftsführer der Schuldnerin dem Kläger nicht persönlich für die unterbliebene Zahlung des Mindestlohns.

1. Nach der gesetzlichen Wertung ist die Haftung von Geschäftsführern einer GmbH grundsätzlich auf das Verhältnis zur Gesellschaft begrenzt (§ 43 Abs. 2 GmbHG). Außenstehenden Dritten haften Geschäftsführer grundsätzlich nicht persönlich. Vielmehr ist die Außenhaftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach § 13 Abs. 2 GmbHG auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Zwar umfasst die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die nach § 43 Abs. 1 GmbHG den Geschäftsführern einer GmbH aufgrund ihrer Organstellung obliegt, auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (sog. Legalitätspflicht). Diese Pflicht besteht aber grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber und nicht auch im Verhältnis zu außenstehenden Dritten. § 43 Abs. 1 GmbHG regelt allein die Pflichten des Geschäftsführers aus seinem durch die Bestellung begründeten Rechtsverhältnis zur Gesellschaft. Diese Pflichten dienen nicht dem Zweck, Gläubiger der Gesellschaft vor den Folgen einer sorgfaltswidrigen Geschäftsführung zu schützen. Aus der Regelung in § 43 Abs. 2 GmbHG wird deutlich, dass eine Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nur Schadensersatzansprüche der Gesellschaft, nicht hingegen der Gläubiger der Gesellschaft entstehen lässt (st. Rspr., vgl. BAG 23. Februar 2016 – 9 AZR 293/15 – Rn. 19, BAGE 154, 162; BGH 10. Juli 2012 – VI ZR 341/10 – Rn. 22 f. mwN, BGHZ 194, 26).

2. Ein Geschäftsführer einer GmbH haftet deshalb nur dann persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, wenn ein besonderer Haftungsgrund gegeben ist (st. Rspr., zB BAG 23. Februar 2016 – 9 AZR 293/15 – Rn. 14, BAGE 154, 162; 23. Februar 2010 – 9 AZR 44/09 – Rn. 22, BAGE 133, 213; 24. November 2005 – 8 AZR 1/05 – Rn. 20).

3. Ein besonderer Haftungsgrund liegt indes nicht vor. Die Beklagten sind dem Kläger nicht nach den – hier als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden – Bestimmungen in § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zum Schadensersatz verpflichtet. Der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG stellt – ungeachtet der sich aus § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG im Einzelfall ergebenden bußgeldrechtlichen Verantwortung der Geschäftsführer einer GmbH für Verstöße gegen die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns – kein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Gesellschaft, hier des Klägers, in ihrem Verhältnis zu den Geschäftsführern der Gesellschaft, hier den Beklagten, iSv. § 823 Abs. 2 BGB dar.

a) Die Beklagten in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer der Schuldnerin sind allerdings taugliche Täter einer Ordnungswidrigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG, auch wenn sich die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns aus § 20 MiLoG nicht an sie richtet.

aa) Nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 20 MiLoG das dort genannte Arbeitsentgelt nicht oder nicht rechtzeitig zahlt. Nach § 20 MiLoG sind Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 MiLoG spätestens zu dem in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG genannten Zeitpunkt zu zahlen. Danach konnte der Bußgeldtatbestand nur durch die Schuldnerin als Arbeitgeberin, nicht aber durch die Beklagten verwirklicht werden.

bb) Handelt jedoch jemand – wie hier die Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin – als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, so ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale) die Möglichkeit der Ahndung begründen, auch auf den Vertreter anzuwenden, wenn diese Merkmale nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen. Da es sich bei der Arbeitgeberstellung iSd. § 20 MiLoG um ein besonderes persönliches Merkmal iSv. § 9 Abs. 1 OWiG handelt (vgl. Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 21 Rn. 30; HK-MiLoG/Ramming 2. Aufl. § 21 Rn. 30; HK-ArbR/Fechner 5. Aufl. MiLoG § 21 Rn. 4), wird im Anwendungsbereich von § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG die Bußgeldbewehrung der unterlassenen oder verspäteten Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns auf die handelnden Geschäftsführer einer GmbH erstreckt.

b) Es kann offenbleiben, ob Voraussetzung für die Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers, hier der Schuldnerin, im Zeitpunkt der Fälligkeit des Mindestlohnanspruchs ist und – sofern dies bejaht würde, wofür viel spricht (vgl. BGH 25. September 2006 – II ZR 108/05 – Rn. 8; HK-MiLoG/Ramming 2. Aufl. § 21 Rn. 18, 37; Kudlich in Thüsing MiLoG und AEntG 2. Aufl. § 21 MiLoG Rn. 15 unter Verweis auf § 23 AEntG Rn. 28; HK-ArbR/Fechner 5. Aufl. § 21 MiLoG Rn. 3) – ob die Schuldnerin zum maßgeblichen Zeitpunkt zahlungsfähig war. Ebenso kann dahinstehen, ob der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG auch die Nichtzahlung der Vergütung in Höhe des Mindestlohns für Zeiten ohne Arbeitsleistung erfasst (zum Meinungsstand vgl.: HK-MiLoG/Schubert 2. Aufl. § 20 Rn. 11 ff.; Vogelsang/Wensing NZA 2016, 141, 142 ff.). Die Beklagten sind dem Kläger bereits deshalb nicht nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zum Schadensersatz verpflichtet, weil § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG kein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Schuldnerin im Verhältnis zu den Beklagten ist.

aa) Als Schutzgesetze iSd. § 823 Abs. 2 BGB kommen solche gesetzlichen Gebote oder Verbote in Betracht, durch die das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und bestimmt sind. Eine Rechtsnorm kann nur dann ein Schutzgesetz sein, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise vor einer Verletzung eines bestimmten Rechtsguts oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Insoweit reicht es aus, dass die Gewährung von Individualschutz wenigstens eines der vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Anliegen ist, selbst wenn auf die Allgemeinheit gerichtete Schutzzwecke ganz im Vordergrund stehen (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 206/06 – Rn. 40; 18. August 2005 – 8 AZR 542/04 – zu II 2 c aa der Gründe; 6. November 2002 – 5 AZR 487/01 – zu II 4 a der Gründe; 25. April 2001 – 5 AZR 368/99 – zu B II 1 b aa der Gründe mwN, BAGE 97, 350; ebenso BGH 14. Juni 2022 – VI ZR 110/21 – Rn. 9; 23. Juli 2019 – VI ZR 307/18 – Rn. 12; 13. März 2018 – VI ZR 143/17 – Rn. 27 mwN, BGHZ 218, 96).

Voraussetzung für die Annahme eines Schutzgesetzes ist zudem, dass die Schaffung eines individuellen deliktischen Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint, um auszuschließen, dass die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine allgemeine Haftung für Vermögensschäden unterlaufen wird. Dabei muss in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (vgl. BAG 18. August 2005 – 8 AZR 542/04 – zu II 2 c aa der Gründe; 6. November 2002 – 5 AZR 487/01 – zu II 4 a der Gründe; 25. April 2001 – 5 AZR 368/99 – zu B II 1 b aa der Gründe, BAGE 97, 350; BGH 14. Juni 2022 – VI ZR 110/21 – Rn. 10; 23. Juli 2019 – VI ZR 307/18 – Rn. 13; 22. Juni 2010 – VI ZR 212/09 – Rn. 26 mwN, BGHZ 186, 58).

bb) In Anwendung dieser Grundsätze stellen § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG kein Schutzgesetz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Schuldnerin im Verhältnis zu den Beklagten dar.

(1) Zwar sind aus § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG das geschützte Interesse, die Art der Verletzung und der Kreis der geschützten Personen klar und deutlich ersichtlich. Denn es werden erkennbar die im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davor geschützt, dass ihnen entgegen § 20 MiLoG das dort genannte Arbeitsentgelt, dh. ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 MiLoG, nicht spätestens zu dem in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG bestimmten Zeitpunkt gezahlt wird.

(2) § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG bezweckt überdies zumindest auch den Schutz individueller Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.

(a) Mit dem Mindestlohngesetz verfolgt der Gesetzgeber sowohl Individual- als auch Gemeinwohlinteressen. Durch die Normierung eines angemessenen Verhältnisses von Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt sollen die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) für alle im Inland tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleistet und damit zugleich die sozialen Sicherungssysteme entlastet werden (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 28; BAG 25. Mai 2022 – 6 AZR 497/21 – Rn. 43; 24. Juni 2021 – 5 AZR 505/20 – Rn. 24, BAGE 175, 192; 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 – Rn. 29 f., BAGE 155, 202; ausführlich Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. Einführung Rn. 67 ff., Rn. 73 ff.).

(b) Vor diesem Hintergrund soll die Bußgeldandrohung in § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG den Arbeitgeber dazu anhalten, seiner Verpflichtung zur rechtzeitigen Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns tatsächlich nachzukommen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs hat der Gesetzgeber es ausdrücklich nicht für ausreichend erachtet, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allein auf die zivilrechtliche Durchsetzung ihrer Mindestlohnansprüche zu verweisen. Andernfalls würde, da insbesondere im Bereich der einfachen und gering bezahlten Tätigkeiten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre individualrechtlichen Ansprüche oftmals praktisch nicht durchsetzen, das Ziel des Gesetzes, Mindestarbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer effektiv zu gewährleisten und durchzusetzen, nicht erreicht (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 2).

(3) Es bedarf keiner Entscheidung, ob § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG überhaupt ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB ist. Jedenfalls handelt es sich bei § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG – ungeachtet der durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG bewirkten Erweiterung der bußgeldrechtlichen Verantwortung auf die Geschäftsführer einer GmbH – nicht um ein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der GmbH in ihrem Verhältnis zu deren Geschäftsführern.

(a) Wie unter Rn. 12 ausgeführt, haftet eine GmbH als Arbeitgeberin aufgrund der gesetzlichen Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 GmbHG für durch Verstöße gegen gesetzliche Ver- und Gebote entstehende Schäden ausschließlich mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Eine Haftung der Geschäftsführer sieht das Gesetz nicht vor. Dieses gesellschaftsrechtlich normierte Haftungssystem kann zwar durch den Gesetzgeber erweitert werden. Eine solche Erweiterung ist bezüglich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Geschäftsführer einer GmbH für Verstöße gegen Straftatbestände durch § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB und für die Begehung von Ordnungswidrigkeiten durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG erfolgt. Auch kann in einer solchen Erweiterung durch eine bußgeldrechtliche Haftung zugleich die Begründung einer Ausnahme von der gesellschaftsrechtlichen Haftungssystematik des GmbHG durch den Gesetzgeber liegen (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 206/06 – Rn. 41). Voraussetzung für eine solche Ausnahme ist allerdings, dass die eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB begründende Schutznorm hinreichend deutlich erkennen lässt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Geschäftsführer der Gesellschaft – über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehend – persönlich haften sollen.

(b) Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf die in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG getroffenen Bestimmungen nicht erfüllt.

Die Annahme, den Regelungen in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 OWiG komme der Charakter eines Schutzgesetzes iSd. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer GmbH im Verhältnis zu den Geschäftsführern der GmbH zu, würde dazu führen, dass dieser Personenkreis von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Gesellschaft selbst bei nur (leicht) fahrlässiger Verwirklichung des Bußgeldtatbestands nach § 823 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch genommen werden könnte. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer Vielzahl von Fällen im Hinblick auf die Zahlung des Mindestlohns über die GmbH als ihren Vertragsarbeitgeber hinaus mit dem Geschäftsführer bzw. den Geschäftsführern einen weiteren bzw. weitere Schuldner hätten. Hierdurch würde das Haftungssystem des GmbHG, in dem es eine allgemeine Durchgriffshaftung auf die Geschäftsführer der Gesellschaft nicht gibt, für den Bereich der Vergütungspflicht des Arbeitgebers – jedenfalls in Höhe des Mindestlohns – vielfach konterkariert. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei der Vergütungspflicht um die Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers handelt, bedarf es für die Annahme, die Bestimmungen in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 OWiG seien Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer GmbH im Verhältnis zu den Geschäftsführern der GmbH, konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber – letztlich abweichend von der Haftungssystematik des GmbHG – eine über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehende Schadensersatzverpflichtung der für die GmbH handelnden Organe bzw. Vertreter schaffen wollte (vgl. BGH 13. April 1994 – II ZR 16/93 – zu II 2 b der Gründe, BGHZ 125, 366).

Für einen solchen Willen des Gesetzgebers ist indes nichts ersichtlich. Dieser hat die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns durch einen unmittelbaren – nach § 3 MiLoG unabdingbaren – Leistungsanspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber nach § 1 Abs. 1 iVm. § 20 MiLoG abgesichert. Zudem soll – wie unter Rn. 25 ausgeführt – ausweislich der Gesetzesbegründung mit der Bußgeldandrohung in § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG verhindert werden, dass die rechtzeitige Zahlung des Mindestlohns, die sowohl der Existenzsicherung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen als auch der Entlastung der sozialen Sicherungssysteme dient, daran scheitert, dass die Beschäftigten diesen Leistungsanspruch nicht selbst gegen den Arbeitgeber durchsetzen. Demgegenüber lassen sich den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber zur effektiven Durchsetzung des Mindestlohnanspruchs (auch) eine – über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehende – zivilrechtliche Haftung der für den Arbeitgeber handelnden Organe bzw. Vertreter auch nur erwogen hätte.

(4) Eine andere Bewertung ist – entgegen der Rechtsansicht des Klägers – auch nicht deshalb geboten, weil es sich bei § 266a Abs. 2 und Abs. 3 StGB anerkanntermaßen um Schutzgesetze zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (vgl. BAG 18. August 2005 – 8 AZR 542/04 – zu II 2 c aa der Gründe) handelt, wobei diese Bestimmungen ihrerseits iVm. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Haftung der Geschäftsführer einer GmbH nach § 823 Abs. 2 BGB gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH begründen können (zur Haftung gegenüber dem Sozialversicherungsträger nach § 266a Abs. 1 StGB: vgl. zB BGH 11. Juni 2013 – II ZR 389/12 – Rn. 13; 2. Dezember 2010 – IX ZR 247/09 – Rn. 19, BGHZ 187, 337; 15. Oktober 1996 – VI ZR 319/95 – zu II der Gründe, BGHZ 133, 370). § 266a Abs. 2 und Abs. 3 StGB sind deshalb als Schutzgesetze iSv. § 823 Abs. 2 BGB anerkannt, weil sie dem Schutzinteresse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der treuhänderischen Verwaltung von Teilen ihres Arbeitseinkommens dienen (vgl. BAG 18. August 2005 – 8 AZR 542/04 – aaO). Demgegenüber fehlt es im Hinblick auf die Zahlung der Vergütung – auch in Höhe des Mindestlohns – an einer vergleichbaren treuhänderischen Bindung des Arbeitgebers. Insoweit ist vielmehr anerkannt, dass dem Arbeitgeber grundsätzlich keine allgemeine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich der Lohnzahlungen und sonstiger Leistungen im Austauschverhältnis zukommt (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 206/06 – Rn. 37).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BAG: Kein Verwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess bei offener Videoüberwachung auch wenn nicht alle datenschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten werden

BAG
Urteil vom 29.06.2023
2 AZR 296/22


Das BAG hat entschieden, dass kein Verwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess bei offener Videoüberwachung besteht, auch wenn nicht alle datenschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten werden

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Offene Videoüberwachung - Verwertungsverbot
In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht.

Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt als Teamsprecher in der Gießerei beschäftigt. Die Beklagte wirft ihm ua. vor, am 2. Juni 2018 eine sog. Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet zu haben, sie gleichwohl vergütet zu bekommen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Kläger zwar an diesem Tag zunächst das Werksgelände betreten. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab nach dem Vortrag der Beklagten aber, dass der Kläger dieses noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger ua. geltend gemacht, er habe am 2. Juni 2018 gearbeitet. Die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts bis auf einen Antrag betreffend ein Zwischenzeugnis Erfolg. Sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dieses musste nicht nur das Vorbringen der Beklagten zum Verlassen des Werksgeländes durch den Kläger vor Beginn der Mehrarbeitsschicht zu Grunde legen, sondern ggf. auch die betreffende Bildsequenz aus der Videoüberwachung am Tor zum Werksgelände in Augenschein nehmen. Dies folgt aus den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall ist es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat. Der Senat konnte offenlassen, ob ausnahmsweise aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverstöße in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Das war vorliegend nicht der Fall.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 6. Juli 2022 – 8 Sa 1149/20



BAG: Betriebsratsvorsitzender kann nicht zugleich betrieblicher Datenschutzbeauftragter sein da Interessenkonflikte bestehen können

BAG
Urteil vom 06.06.2023
9 AZR 383/19


Das BAG hat entschieden, dass ein Betriebsratsvorsitzender nicht zugleich betrieblicher Datenschutzbeauftragter sein kann, da Interessenkonflikte bestehen können.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Betriebsratsvorsitzender als Datenschutzbeauftragter ?
Der Vorsitz im Betriebsrat steht einer Wahrnehmung der Aufgaben des Beauftragten für den Datenschutz typischerweise entgegen und berechtigt den Arbeitgeber in aller Regel, die Bestellung zum Datenschutzbeauftragten nach Maßgabe des BDSG in der bis zum 24. Mai 2018 gültigen Fassung (aF) zu widerrufen.

Der bei der Beklagten angestellte Kläger ist Vorsitzender des Betriebsrats und in dieser Funktion teilweise von der Arbeit freigestellt. Mit Wirkung zum 1. Juni 2015 wurde er von der Beklagten und weiteren in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaften zum Datenschutzbeauftragten bestellt. Auf Veranlassung des Thüringer Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit widerriefen die Beklagte und die weiteren Konzernunternehmen die Bestellung des Klägers am 1. Dezember 2017 wegen einer Inkompatibilität der Ämter mit sofortiger Wirkung. Nach Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2016/679 vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie (RL) 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung; im Folgenden DSGVO) beriefen sie den Kläger vorsorglich mit Schreiben vom 25. Mai 2018 gemäß Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO als Datenschutzbeauftragten ab.

Der Kläger hat geltend gemacht, seine Rechtsstellung als betrieblicher Datenschutzbeauftragter der Beklagten bestehe unverändert fort. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, Interessenkonflikte bei der Wahrnehmung der Aufgaben als Datenschutzbeauftragter und Betriebsratsvorsitzender ließen sich nicht ausschließen. Die Unvereinbarkeit beider Ämter stellten einen wichtigen Grund zur Abberufung des Klägers dar.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die dagegen erhobene Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Widerruf der Bestellung vom 1. Dezember 2017 war aus wichtigem Grund iSv. § 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG aF iVm. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Ein solcher liegt vor, wenn der zum Beauftragten für den Datenschutz bestellte Arbeitnehmer die für die Aufgabenerfüllung erforderliche Fachkunde oder Zuverlässigkeit iSv. § 4f Abs. 2 Satz 1 BDSG aF nicht (mehr) besitzt. Die Zuverlässigkeit kann in Frage stehen, wenn Interessenkonflikte drohen. Ein abberufungsrelevanter Interessenkonflikt ist anzunehmen, wenn der Datenschutzbeauftragte innerhalb einer Einrichtung eine Position bekleidet, die die Festlegung von Zwecken und Mitteln der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Gegenstand hat. Dabei sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Diese vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH 9. Februar 2023 – C-453/21 – [X-FAB Dresden]) zu einem Interessenkonflikt iSv. Art. 38 Abs. 6 Satz 2 DSGVO vorgenommene Wertung gilt nicht erst seit Novellierung des Datenschutzrechts aufgrund der DSGVO, sondern entsprach bereits der Rechtslage im Geltungsbereich des BDSG aF.

Die Aufgaben eines Betriebsratsvorsitzenden und eines Datenschutzbeauftragten können danach typischerweise nicht durch dieselbe Person ohne Interessenkonflikt ausgeübt werden. Personenbezogene Daten dürfen dem Betriebsrat nur zu Zwecken zur Verfügung gestellt werden, die das Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich vorsieht. Der Betriebsrat entscheidet durch Gremiumsbeschluss darüber, unter welchen konkreten Umständen er in Ausübung seiner gesetzlichen Aufgaben welche personenbezogenen Daten vom Arbeitgeber fordert und auf welche Weise er diese anschließend verarbeitet. In diesem Rahmen legt er die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten fest. Inwieweit jedes an der Entscheidung mitwirkende Mitglied des Gremiums als Datenschutzbeauftragter die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten des Datenschutzes hinreichend unabhängig überwachen kann, bedurfte keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls die hervorgehobene Funktion des Betriebsratsvorsitzenden, der den Betriebsrat im Rahmen der gefassten Beschlüsse vertritt, hebt die zur Erfüllung der Aufgaben eines Datenschutzbeauftragten erforderliche Zuverlässigkeit iSv. § 4f Abs. 2 Satz 1 BDSG aF auf.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Juni 2023 – 9 AZR 383/19
Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 19. August 2019 – 9 Sa 268/18



BAG: Keine Vertragsverlängerung mit Profifußballer bei einsatzabhängiger Verlängerungsklausel und Nichterreichen der Mindesteinsatzzahl bei coronabedingtem vorzeitigen Saisonabbruch

BAG
Urteil vom 24.05.2023
7 AZR 169/22


Das BAG hat entschieden, dass keine Vertragsverlängerung mit einem Profifußballer bei einsatzabhängiger Verlängerungsklausel und Nichterreichen der Mindesteinsatzzahl bei coronabedingtem vorzeitigen Saisonabbruch erfolgt.

Die Pressemitteilung des BAG:
Profifußballer - pandemiebedingter Saisonabbruch - keine Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrags aufgrund einer einsatzabhängigen Verlängerungsklausel

Sitzungsergebnis
In Arbeitsverträgen mit Profifußballern sind Vertragsklauseln geläufig, nach denen sich der für eine Spielzeit befristete Arbeitsvertrag um eine weitere Spielzeit verlängert, wenn der Vertragsspieler auf eine bestimmte (Mindest-)Anzahl von Spieleinsätzen kommt. Eine solche einsatzabhängige Verlängerungsklausel ist nicht dahin ergänzend auszulegen oder anzupassen, dass im Hinblick auf das pandemiebedingte vorzeitige Ende der Spielzeit 2019/2020 in der Fußball-Regionalliga Südwest der Vertrag sich bei weniger als den festgelegten Einsätzen verlängert.

Der Kläger schloss im August 2019 einen für die Zeit vom 1. September 2019 bis 30. Juni 2020 befristeten Arbeitsvertrag als Profifußballer und Vertragsspieler mit der Beklagten für deren in der Regionalliga Südwest spielende 1. Mannschaft. Nach einer Regelung im Vertrag verlängert sich dieser um eine weitere Spielzeit, wenn der Kläger auf mindestens 15 Einsätze (von mindestens 45 Minuten) in Meisterschaftsspielen kommt. Bis zum 15. Februar 2020 absolvierte der Kläger zwölf Einsätze. Danach wurde er aufgrund einer aus sportlichen Gründen getroffenen Entscheidung des neu berufenen Trainerteams nicht mehr eingesetzt. Ab Mitte März 2020 fand pandemiebedingt kein Spielbetrieb mehr statt. Am 26. Mai 2020 wurde die ursprünglich mit 34 Spieltagen geplante Saison vorzeitig beendet.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, sein Vertrag habe sich um eine Spielzeit – also bis zum 30. Juni 2021 – verlängert. Die vereinbarte Bedingung hierfür sei angesichts des ungeplanten Saisonabbruchs bereits aufgrund seiner zwölf Spieleinsätze eingetreten. Hätten die Parteien das pandemiebedingte vorzeitige Ende der Spielzeit vorhergesehen, hätten sie eine an die tatsächliche Zahl von Spieltagen angepasste – also verringerte – Mindesteinsatzzahl oder auch nur eine Mindesteinsatzquote vereinbart.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Parteien haben die Vertragsverlängerung an eine – vom Kläger nicht erreichte – absolute Mindesteinsatzzahl gebunden. Diese ist im Hinblick auf den unvorhersehbaren pandemiebedingten Saisonabbruch weder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) zu korrigieren noch hat der Kläger einen Anspruch auf entsprechende Anpassung der Verlängerungsvereinbarung aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB). Für die Entscheidung des Senats kam es nicht darauf an, ob die einsatzgebundene Verlängerungsklausel wirksam ist.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Mai 2023 – 7 AZR 169/22
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 14. März 2022 – 18 Sa 141/21



BMAS: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften

Das BMAS hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften vorgelegt, mit dem die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nun auch gesetzlich geregelt werden soll (siehe auch zum Thema Volltext BAG: Arbeitgeber ist bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet ein Zeiterfassungssystem zur Erfassung der Arbeitszeiten vorzuhalten)

Aus dem Entwurf:
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 13. September 2022 entschieden, dass die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist (BAG - 1 ABR 22/21). Dabei bezieht sich das BAG auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019, welches die Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) sowie der Richtlinie 89/391/EWG (Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie) betrifft (EuGH Rs. 55/18 CCOO). Der Arbeitgeber ist bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Absatz 2 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen und zu nutzen, mit dem die geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.

Die Arbeitszeiten sind im Zuge der Globalisierung und der Digitalisierung in den vergangenen Jahren immer flexibler geworden. Gerade in einer flexiblen Arbeitswelt kommt der Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten eine besondere Bedeutung zu. Die Erfassung der Arbeitszeiten erleichtert dem Arbeitgeber die Kontrolle der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten. Sie leistet damit auch einen Beitrag, um die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer flexiblen Arbeitswelt zu gewährleisten.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sowie im Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) Regelungen für die Aufzeichnung der gesamten Arbeitszeit geschaffen werden.

B. Lösung
Im Arbeitszeitgesetz sowie im Jugendarbeitsschutzgesetz werden in Folge der Entscheidungen des EuGH und des BAG Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung geregelt. Der Arbeitgeber wird verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der beschäftigten Jugendlichen jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichne