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BGH: Ansprüche aus Betriebsschließungsversicherung wegen Corona-Lockdowns hängen von konkreten Versicherungsbedingungen ab- hier: erster Lockdown nein - zweiter Lockdown ja

BGH
Urteil vom 18.01.2023
IV ZR 465/21

Der BGH hat abermals entschieden, dass etwaige Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen des Corona-Lockdowns von den konkreten Versicherungsbedingungen abhängen (hier: erster Lockdown nein - zweiter Lockdown ja).

Die Pressemitteilung des BGH:
Betriebsschließungsversicherung in der COVID-19-Pandemie

Der unter anderem für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass einer Versicherungsnehmerin auf der Grundlage der hier vereinbarten Versicherungsbedingungen Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen der teilweisen Einstellung ihres Hotelbetriebs in Niedersachsen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie während des sogenannten "zweiten Lockdowns" zustehen, hingegen der Versicherer nicht verpflichtet ist, eine Entschädigung aus Anlass der Betriebsschließung während des sogenannten "ersten Lockdowns" zu zahlen.

Sachverhalt und Prozessverlauf:

Die Klägerin hält bei dem beklagten Versicherer eine sogenannte Betriebsschließungsversicherung. Sie begehrt aufgrund der teilweisen Einstellung ihres Hotelbetriebs in der Zeit vom 18. März bis zum 25. Mai 2020 Entschädigungsleistungen sowie die Feststellung, dass der Versicherer verpflichtet ist, ihr den aus der erneuten Schließung ab dem 2. November 2020 entstandenen Schaden zu ersetzen. Dem Versicherungsvertrag liegen die "Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 19)" zugrunde. Nach Ziff. 8.1 BBSG 19 ersetzt der Versicherer dem Versicherungsnehmer im Falle einer bedingungsgemäßen Betriebsschließung den entgehenden Gewinn und fortlaufende Kosten bis zum Ablauf der vereinbarten Haftzeit. Die BBSG 19 lauten auszugsweise:

"3Versicherte Gefahren und Schäden

3.1Behördliche Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverboten

Der Versicherer leistet … Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4)

3.1.1den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt (Schließung); …

3.4Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG."

Mit Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 untersagte der zuständige Landkreis unter anderem Betreibern von Beherbergungsstätten, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen. Nach vorübergehender Lockerung der Maßnahmen war es Betreibern von Beherbergungsstätten durch die am 2. November 2020 in Kraft getretene Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 erneut untersagt, Übernachtungsangebote zu unterbreiten und Übernachtungen zu touristischen Zwecken zu gestatten. Die Klägerin bot daraufhin in der Zeit vom 18. März bis zum 25. Mai 2020 und ab dem 2. November 2020 keine Übernachtungen zu touristischen Zwecken an.

Das Landgericht hat ein Grund- und Teilurteil erlassen, demzufolge die Zahlungsklage dem Grunde nach gerechtfertigt und die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den aus der erneuten Schließung des versicherten Betriebes entstandenen Schaden zu ersetzen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Zahlungsklage insgesamt abgewiesen und das weitergehende Rechtsmittel zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die Revisionen beider Parteien.

Die Entscheidung des Senats:

Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsmittel beider Parteien zurückgewiesen.

1. Revision der Beklagten:

Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass in der Bezugnahme in Ziff. 3.4 BBSG 19 auf die im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger keine Beschränkung des Leistungsversprechens auf den Rechtszustand im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu sehen ist. Dies ergibt sich aus der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Die mehrfache Bezugnahme der Bedingungen auf das IfSG ohne Angabe einer konkreten Gesetzesfassung oder eines Zeitpunkts, auf den es für die Frage ankommt, welcher Rechtszustand zugrunde zu legen ist, kann den Versicherungsnehmer, der die Bedeutung der Verweisung zu erschließen versucht, auf der einen Seite zu dem Verständnis führen, dass der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles maßgeblich ist. Auf der anderen Seite ist auch eine Auslegung dahin möglich, dass eine Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung erfolgen soll. Der Klausel lässt sich nach ihrem Wortlaut unter Berücksichtigung ihres nach verständiger Würdigung zu ermittelnden Sinnes und Zwecks jedenfalls mangels einer ausdrücklichen Beschränkung nicht eindeutig entnehmen, dass die Beklagte mit ihr zur Festlegung des Inhalts des Leistungsversprechens auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich benannten Krankheiten und Krankheitserreger verweist. Vielmehr ist auch die vom Berufungsgericht erwogene Auslegung möglich, die Klausel erfasse mit ihrer Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG die zum Zeitpunkt der behördlichen Anordnung namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger. Diese Auslegungszweifel gehen zu Lasten des Verwenders. Ziff. 3.4 BBSG 19 enthält gerade - anders als die Versicherungsbedingungen, die dem Senatsurteil vom 26. Januar 2022 (IV ZR 144/21, vgl. PM Nr. 12/2022) zugrunde lagen - keine namentliche Aufzählung der versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger.

Das Berufungsgericht ist demnach zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin aus Anlass der teilweisen Einstellung ihres Betriebs ab dem 2. November 2020 die begehrte Feststellung verlangen kann, weil die Krankheit COVID-19 und der Krankheitserreger SARS-CoV-2 mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19. Mai 2020 am 23. Mai 2020 in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. t und § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 44a IfSG namentlich genannt wurden.

2. Revision der Klägerin

Zu Recht hat das Berufungsgericht weiter angenommen, dass es an der nach Ziff. 3.4 BBSG 19 vorausgesetzten namentlichen Nennung der Krankheit oder des Krankheitserregers in den §§ 6 und 7 IfSG im Zeitpunkt der ersten Betriebsschließung durch die Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 fehlte. Nicht maßgeblich ist hierbei, dass bereits mit dem Inkrafttreten einer auf der Grundlage von § 15 IfSG erlassenen Verordnung am 1. Februar 2020 die Meldepflichten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG auf den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie den Tod in Bezug auf eine Infektion mit COVID-19 und auf den direkten oder indirekten Nachweis einer Infektion mit SARS-CoV-2 ausgedehnt wurden. Mit der Begrenzung des Leistungsversprechens auf "die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger" erschließt sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dass nur die in diesen Vorschriften mit Namen bezeichneten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen. Zwar bedeutet es für den Versicherungsnehmer in der Sache keinen Unterschied, ob die auf einer Erweiterung der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger beruhende Schließung seines Betriebs ihre Grundlage in einem formellen Gesetz oder in einer Rechtsverordnung hat. Dessen ungeachtet bleibt es aber die eigenverantwortliche Entscheidung des Versicherers im Rahmen seines Leistungsangebots, ob auch solche Erweiterungen des Kreises der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger durch eine Rechtsverordnung vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen. Indem die Klausel unmissverständlich die namentliche Benennung der Krankheiten und Krankheitserreger in den §§ 6 und 7 IfSG verlangt, macht sie für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer das Anliegen der Beklagten erkennbar und nachvollziehbar, den Versicherungsschutz jedenfalls auf die im Gesetz selbst benannten Krankheiten und Krankheitserreger zu begrenzen.

Ziff. 3.4 BBSG 19 verstößt auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnimmt - wie dargestellt - dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Bedingungen, dass in Ziff. 3.4 BBSG 19 die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne der hier vereinbarten Bedingungen in der Weise abschließend definiert werden, als sie in den §§ 6 und 7 IfSG unter Nennung ihres Namens aufgeführt sein müssen, um Anlass für die Gewährung von Versicherungsschutz sein zu können. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist hinreichend erkennbar, dass der sich nach Ziff. 3.4 BBSG 19 aus dem Wortlaut der §§ 6 und 7 IfSG ergebende Katalog versicherter Krankheiten und Krankheitserreger nicht sämtliche nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger erfasst und daher Lücken im Versicherungsschutz bestehen können. Ihm wird durch die Bedingungen nicht der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des IfSG vom Versicherungsschutz erfasst wird.

Vorinstanzen:

Landgericht Hannover - Grund- und Teilurteil vom 19. April 2021 - 2 O 164/20

Oberlandesgericht Celle - Urteil vom 18. November 2021 - 8 U 123/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 305c Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

(1) …

(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.

§ 307 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.



EuGH: Pauschalreisender hat Anspruch auf Minderung des Reisepreises wenn Vertragswidrigkeit der Reiseleistungen durch Coronamaßnahmen am Reiseziel verursacht wird

EuGH
Urteil vom 12.01.2023
Rechtssache C-396/21
FTI Touristik (Pauschalreise auf die Kanarischen Inseln)


Der EuGH hat entschieden, dass ein Pauschalreisender einen Anspruch auf Minderung des Reisepreises hat, wenn die Vertragswidrigkeit der Reiseleistungen durch Coronamaßnahmen am Reiseziel verursacht wird.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Reisende, deren Pauschalreise durch Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie beeinträchtigt wurde, haben möglicherweise Anspruch auf eine Minderung des Reisepreises

Die Pauschalreiserichtlinie sieht eine verschuldensunabhängige Haftung des Reiseveranstalters vor Zwei Reisende hatten bei einem deutschen Reiseveranstalter eine zweiwöchige Pauschalreise nach Gran Canaria ab dem 13. März 2020 gebucht. Sie verlangen eine Preisminderung von 70 % aufgrund der am 15. März 2020 auf dieser Insel zur Bekämpfung der Verbreitung der Covid-19-Pandemie angeordneten Einschränkungen und ihrer vorzeitigen Rückkehr. Es wurden nämlich die Strände gesperrt und eine Ausgangssperre verhängt, so dass die Reisenden ihre Hotelzimmer nur zur Nahrungsaufnahme verlassen durften. Der Zugang zu Pools und Liegen wurde untersagt und das Animationsprogramm wurde eingestellt. Am 18. März 2020 wurde den beiden Reisenden mitgeteilt, dass sie sich bereithalten sollten, die Insel jederzeit zu verlassen, und am übernächsten Tag mussten sie nach Deutschland zurückkehren.

Der Reiseveranstalter verweigerte ihnen diese Preisminderung mit der Begründung, er habe nicht für ein solches „allgemeines Lebensrisiko“ einzustehen. Die beiden Reisenden verklagten ihn daraufhin vor den deutschen Gerichten.

Das Landgericht München I, bei dem der Rechtsstreit in zweiter Instanz anhängig ist, hat den Gerichtshof um Auslegung der Pauschalreiserichtlinie ersucht. Diese sieht vor, dass der Reisende Anspruch auf eine angemessene Preisminderung für jeden Zeitraum hat, in dem eine Vertragswidrigkeit vorlag, es sei denn, der Reiseveranstalter belegt, dass die Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen ist.

Mit seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof, dass ein Reisender Anspruch auf eine Minderung des Preises seiner Pauschalreise hat, wenn eine Vertragswidrigkeit der in seiner Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen durch Einschränkungen bedingt ist, die an seinem Reiseziel zur Bekämpfung der Verbreitung einer Infektionskrankheit wie Covid-19 angeordnet wurden.

Die Ursache der Vertragswidrigkeit und insbesondere ihre Zurechenbarkeit zum Reiseveranstalter ist nämlich unerheblich, da die Richtlinie in Bezug auf den Anspruch auf Preisminderung eine verschuldensunabhängige Haftung des Reiseveranstalters vorsieht. Von dieser ist er nur befreit, wenn die Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der Reiseleistungen dem Reisenden zuzurechnen ist, was hier nicht der Fall ist. Dagegen ist unerheblich, dass Einschränkungen wie die in Rede stehenden aufgrund der weltweiten Verbreitung von Covid-19 auch am Wohnort des Reisenden sowie in anderen Ländern angeordnet wurden. Damit die Preisminderung angemessen ist, muss sie anhand der in der betreffenden Pauschalreise zusammengefassten Leistungen beurteilt werden und dem Wert der Leistungen entsprechen, deren Vertragswidrigkeit festgestellt wurde.

Der Gerichtshof stellt klar, dass die sich aus dem Pauschalreisevertrag ergebenden Verpflichtungen des Veranstalters nicht nur diejenigen umfassen, die ausdrücklich im Vertrag vereinbart sind, sondern auch diejenigen, die damit zusammenhängen und sich aus dem Ziel dieses Vertrags ergeben.

Es wird Sache des Landgerichts München I sein, auf der Grundlage der Leistungen, die der Reiseveranstalter vertragsgemäß zu erbringen hatte, zu beurteilen, ob insbesondere die Sperrung der Pools des Hotels, das Fehlen eines Animationsprogramms in diesem Hotel oder auch die Unmöglichkeit des Zugangs zu den Stränden von Gran Canaria und der Besichtigung dieser Insel infolge des Erlasses der Maßnahmen der spanischen Behörden eine Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der vertraglichen Leistungen durch den Reiseveranstalter darstellen konnten.

Nach Vornahme dieser Beurteilung hat die Minderung des Preises der Pauschalreise dem Wert der vertragswidrigen Reiseleistungen zu entsprechen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


VG Köln: Rückforderung von im Frühjahr 2020 ausgezahlten Corona-Soforthilfen rechtswidrig - kein wirksamer Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung

VG Köln
Urteil vom 16.09.2022
16 K 125/22; 16 K 127/22; 16 K 406/22; 16 K 412/22; 16 K 499/22; 16 K 505/22


Das VG Köln hat entschieden, dass die Rückforderung von im Frühjahr 2020 ausgezahlten Corona-Soforthilfen in NRW rechtswidrig ist. Die Bescheide enthielten keinen wirksamen Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Verwaltungsgericht Köln: Rückforderung von Corona-Soforthilfen ist rechtswidrig

Die Rückforderung von im Frühjahr 2020 ausgezahlten Corona-Soforthilfen durch das Land Nordrhein-Westfalen ist rechtswidrig. Dies hat das Verwaltungsgericht Köln heute mit sechs Urteilen entschieden und damit den Klagen von Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmern stattgegeben.

Nachdem im Frühjahr 2020 aufgrund pandemiebedingter Einschränkungen zunehmend kleine Unternehmen und Solo-Selbstständige in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten, legte das Land das Förderprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ auf. Es bewilligte in großer Zahl pauschale Zuwendungen in Höhe von 9.000 Euro an in Not geratene Betriebe, darunter auch an die sechs Kläger. Später ermittelte das Land, ob die bei den Zuwendungsempfängern ohne Förderung vorhandenen Mittel seinerzeit tatsächlich nicht ausgereicht hätten, um Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens nachzukommen. Nur solche Liquiditätsengpässe erkannte das Land als förderfähig an. Die Soforthilfen setzte es dementsprechend durch Schlussbescheide niedriger als ursprünglich bewilligt fest und forderte entsprechende Teilbeträge zurück. Dabei stellte es sich auf den Standpunkt, die Auszahlungen aufgrund der Bewilligungen im Frühjahr 2020 seien lediglich vorläufig erfolgt. Für die Höhe der Förderung komme es zudem auf Umsatzausfälle nicht an. Die Kläger waren anderer Auffassung und erhoben im Januar dieses Jahres Klagen gegen die Schlussbescheide.

Die Klagen waren erfolgreich. Das Gericht ist dem beklagten Land in seinen beiden zentralen Argumenten nicht gefolgt. Es hat die angegriffenen Schlussbescheide aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Das Land ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Bewilligungen im Frühjahr 2020 unter dem Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung standen. Ein solcher Vorbehalt ist zwar rechtlich möglich, muss aber aus den Bewilligungsbescheiden klar erkennbar hervorgehen. Jedwede Unklarheit geht zu Lasten der Behörde. Diese hat es in der Hand, Auslegungsprobleme durch eindeutige Formulierungen zu vermeiden. Die an die Kläger gerichteten Bewilligungsbescheide enthielten weder ausdrücklich noch indirekt einen solchen Vorbehalt. Auch aus den sonstigen zum Bewilligungszeitpunkt verfügbaren Informationen, insbesondere den vom Land veröffentlichten Hinweisen zum Förderprogramm, mussten die Kläger nicht den Schluss ziehen, es habe sich um eine bloß vorläufige Bewilligung gehandelt. Ob die Förderrichtlinie des Landes vom 31.05.2020 etwas anderes regelt, ist irrelevant, weil diese bei Erlass der Bewilligungsbescheide noch nicht existierte.

Zudem sind die Schlussbescheide rechtswidrig, weil das Land darin für die Berechnung der Soforthilfen alleine auf einen Liquiditätsengpass abgestellt hat. Die Bewilligungsbescheide erlaubten aber auch eine Verwendung der Soforthilfen zur Kompensation von Umsatzausfällen. An diese Festlegung war das Land in der Folge gebunden.

Beim Verwaltungsgericht Köln sind noch etwa 400 Klagen betreffend die Rückforderung von Corona-Soforthilfen anhängig. Die heute entschiedenen Klagen sind repräsentativ für einen Großteil dieser Fälle. Das Gericht beabsichtigt, über das Vorgehen in den weiteren Verfahren zu entscheiden, sobald in den heute verhandelten Verfahren rechtskräftige Entscheidungen vorliegen.

Gegen die Urteile kann das Land Berufungen einlegen. Über diese würde das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden.

Aktenzeichen: 16 K 125/22; 16 K 127/22; 16 K 406/22; 16 K 412/22; 16 K 499/22; 16 K 505/22



OLG Frankfurt: Kein Schadensersatzanspruch gegen Messeveranstalter wegen coronabedingter Absage einer Messe

OLG Frankfurt
Urteil vom 07.09.2022
4 U 331/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass kein Schadensersatzanspruch gegen einen Messeveranstalter wegen coronabedingter Absage einer Messe besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kein Schadensersatz wegen Messeabsage während der Corona-Pandemie

Einer Ausstellerin stehen keine Schadensersatzansprüche wegen der am 24.2.2020 erfolgten Verschiebung einer für den 8.3. bis 13.3.2020 geplanten Messe auf den Herbst 2020 sowie der vollständigen Absage dieser Messe am 5.5.2020 zu. Beide Entscheidungen waren im Hinblick auf das sich rasant und nicht prognostizierbar entwickelnde Pandemiegeschehen, der Verantwortung für die Gesundheit der Messeteilnehmer und der erheblichen wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit gestern verkündeter Entscheidung.

Die Klägerin hatte mit der beklagten Messeveranstalterin einen Vertrag über die Teilnahme an der vom 8.3. bis 13.3.2020 geplanten Messe „Light + Building 2020“ geschlossen. Am 24.2.2020 hatte die Beklagte die Messe im Hinblick auf die Verbreitung des Corona-Virus zunächst auf September 2020 verschoben und letztlich am 5.5.2020 ganz abgesagt. Die bereits entrichteten Standgebühren zahlte sie der Klägerin zurück. Diese begehrt nunmehr u.a. Schadensersatz in Höhe von knapp 75.000 € und verweist auf bereits vorgenommene Hotelreservierungen, PR-Maßnahmen, Miete des Messestands und statische Berechnungen. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Klägerin stehe kein Schadensersatzanspruch zu, bestätigte das OLG.

Zu der zunächst vorgenommenen Verschiebung der Messe sei die Beklagte berechtigt gewesen. Ihr sei das Festhalten am ursprünglichen Vertrag nicht zumutbar gewesen. Bis zum 24.2.2020 hätten sich die Umstände, die Grundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags geworden waren, so schwerwiegend geändert, dass die Parteien bei Kenntnis dieser veränderten Umstände den Vertrag nicht mehr mit dem alten Inhalt geschlossen hätten. Die „dynamische Entwicklung des Infektionsgeschehens mit dem Corona-Virus vom Jahreswechsel 2019/2020 bis zu ihrer Entscheidung am 24.2.2022, die dadurch bedingten erheblichen Unsicherheiten für die Durchführbarkeit der Veranstaltung und die Verantwortung für Gesundheit und das Leben aller an der Messe teilnehmenden (...) Personen“ hätten die Beklagte zur Verschiebung um ca. 6 Monate berechtigt. Die Entwicklung des Infektionsgeschehens sei rasant und sich stetig verschärfend verlaufen. Unerheblich sei, dass am 24.2.2020 kein behördlich angeordnetes Verbot der Veranstaltung bestanden habe. Es habe vielmehr ausgereicht, dass ein behördliches Veranstaltungsverbot bei einer ex ante Prognose hinreichend wahrscheinlich gewesen sei. Dies sei hier der Fall gewesen. Angesichts der Erklärung des Infektionsgeschehens zu einer Pandemie durch die WHO am 11.3.2020, des am 12.3.2020 erfolgten Verbots von Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Personen (wie hier) und des am 14.3.2020 verhängten vollständigen Verbots von Veranstaltungen wäre es allein vom Zufall abhängig gewesen, ob die Messe gerade noch hätte stattfinden können oder nicht. Dabei habe die Beklagte auch in besonderer Weise die Gesundheit der Messeteilnehmer und die Verhinderung der Infektion einer unübersehbaren Zahl an Personen berücksichtigen dürfen.

Die endgültige Absage der Messe am 5.5.2020 sei ebenfalls rechtmäßig erfolgt. Nach der damals gültigen Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung hätte die Messe nur mit einer Ausnahmegenehmigung durchgeführt werden können. Diese wäre wohl nicht zu erlangen gewesen. Jedenfalls habe die Lage am 5.5.2020 wegen Störung der Geschäftsgrundlage die Beklagte zu der völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses berechtigt. Am 5.5.2020 sei die Durchführung von Messen bis zum 31.8.2020 verboten gewesen. „Die Prognose, ob die Durchführung der Messe zu dem geplanten Ausweichtermin möglich sein würde und wenn ja in welchem Umfang, (war) für die Beklagte angesichts der sich ständig überschlagenden und beinahe täglich erfolgenden Neueinschätzungen durch die verantwortlichen Politiker, das RKI und die Wissenschaft kaum zu treffen“, begründete das OLG weiter. Angesichts der wirtschaftlichen Interessen einer Vielzahl von Ausstellern und des Umstands, dass die drohenden Schäden mit der Kurzfristigkeit einer Absage immer größer würden, habe die Beklagte die alle zwei Jahre stattfindende Messe absagen dürfen.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Klägerin die Zulassung der Revision beim BGH begehren.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 7.9.2022, Az. 4 U 331/21
(vorausgehend LG Frankfurt am Main, Urteil vom 15.11.2021, Az. 2-30 O 41/21)


ArbG Köln: Entgegen der DSGVO oder anderweitig datenschutzwidrig erlangte Tatsachen können einem Verwertungsverbot im Prozess unterliegen

ArbG Köln
Urteil vom 23.03.2022
18 Ca 6830/21

Das ArbG Köln hat entschieden, dass entgegen der DSGVO oder anderweitig datenschutzwidrig erlangte Tatsachen einem Verwertungsverbot im Prozess unterliegen können.

Aus den Entscheidungsgründen:
(2)Der Zugrundelegung des entsprechenden Tatsachenvortrags der Beklagten als unstreitig steht – entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht entgegen, dass die Beklagte das maßgebliche Indiz für die Täuschung der Klägerin widerrechtlich – unter Verletzung des ihr gebührenden Datenschutzes – erlangt hätte.

(a) Allerdings können Verstöße gegen das Recht auf den durch Art. 8 Abs. 1 GRCh gebotenen Schutz der personenbezogenen Daten bzw. das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG abzuleitende Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. November 2010 – 1 BvF 2/05 –, BVerfGE 128, 1-90, Rn. 150 ff. mwN) zu prozessualen Verwertungsverboten führen:

Für die Rechtslage bis zum Inkrafttreten der unionsrechtlichen Datenschutz-Grundverordnung hat das Bundesarbeitsgericht die Frage prozessualer Verwertungsverbote rein an verfassungsrechtlichen Maßstäben bemessen und – verkürzt - wie folgt beantwortet:

In Fällen, in denen die dem Sachvortrag einer Partei zugrunde liegende Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Partei verletzt, ohne dass dies durch überwiegende Belange gerechtfertigt ist, kommt ein „verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“ in Betracht. Obwohl der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG es im Zivilprozess grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kann dann eine Verwertung durch das Gericht unzulässig sein, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist. Dies ist dann der Fall, wenn die prozessuale Verwertung der Erkenntnis oder des Beweismittels selbst einen Grundrechtsverstoß darstellen würde und das nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebundene Gericht ohne Rechtfertigung in eine verfassungsrechtlich geschützte Position einer Prozesspartei eingriffe, indem es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen Privaten perpetuierte oder vertiefte. Insofern kommt die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat zum Tragen. Auf eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch einen Privaten darf kein verfassungswidriger Grundrechtseingriff durch ein Staatsorgan „aufgesattelt“ werden (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urteil vom 28. März 2019 – 8 AZR 421/17 –, Rn. 28, juris mwN).

Ein verfassungsrechtlich gebotenes Verbot der Verwertung von Sachvortrag und Beweismitteln hat Auswirkungen auf die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO und damit auf die Einordung eines Sachvortrags als streitig oder unstreitig. Sieht eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer von einem - ggf. wahrheitswidrigen - Bestreiten des gegnerischen Sachvortrags ab, bewirkt ein Sachvortragsverwertungsverbot, dass das inkriminierte Vorbringen des Arbeitgebers gleichwohl als bestritten zu behandeln ist (BAG, Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –, BAGE 163, 239-256, Rn. 16).

Ob eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vorlag oder nicht, hat das Bundesarbeitsgericht danach beurteilt, ob die zu verwertenden Daten unter Verstoß gegen die einfachgesetzlichen Datenschutzvorschriften erlangt wurden oder nicht. Diese Bestimmungen (des BDSG aF) konkretisierten und aktualisierten für den Einzelnen den Schutz seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Sei die betreffende Maßnahme nach den Vorschriften des BDSG aF zulässig gewesen, läge keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor. Ein Verwertungsverbot scheide von vornherein aus. Nur dann, wenn die fragliche Maßnahme nach diesen Bestimmungen nicht erlaubt gewesen sei, müsse gesondert geprüft werden, ob die Verwertung gewonnener Erkenntnisse im Prozess einen Grundrechtsverstoß durch das Gericht darstellen würde (vgl. BAG, Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –, BAGE 163, 239-256, Rn. 15 mwN).

(b) An diesen Bewertungsmaßstäben hat sich durch das Inkrafttreten der unmittelbar geltenden Datenschutzgrundverordnung (Art. 288 Abs. 2 AEUV) am 25.05.2018 keine wesentliche Änderung ergeben. Die Frage der Verwertbarkeit datenschutzwidrig erlangter Informationen richtet sich nach den Bestimmungen der Verordnung. Dabei enthält die DS-GVO kein vorbehaltloses Verbot der gerichtlichen Verwertung unrechtmäßig erlangter Daten (Arg. e Art. 17 Abs. 3 lit. e DS-GVO). Die Datenverarbeitung hat dem einschlägigen Erlaubnistatbestand nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e, Abs. 3 S. 1 lit. b DS-GVO iVm. § 3 BDSG zu genügen. Danach ist die Verwertung des Sachvortrags durch das Gericht zulässig, wenn dies zur Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben erforderlich ist. Im Rahmen der danach vorzunehmenden umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Abwägung der aus Art. 7 und Art. 8 GRCh bzw. Art. 2 Abs. 1 iVm. 1 Abs. 1 GG folgenden Rechte besteht Raum und Relevanz für die auch nach der bisherigen Rechtsprechung vorgenommene datenschutzrechtliche Vorprüfung der außerprozessualen Erkenntnisgewinnung (vgl. BAG, Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –, BAGE 163, 239-256, Rn. 47; Schindler DRiZ 2021, 370, 373; Frank/Heine, BB 2021, 884, 885; Tiedemann, ZD 2019, 230, 231).

(c)Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze erweist sich der Vortrag der Beklagten als verwertbar. Die von der Beklagten vorgenommene Verarbeitung der Gesundheitsdaten der Klägerin war durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. c DS-GVO iVm. § 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG in der vom 24.11. bis 11.12.2021 geltenden Fassung (aF) gedeckt und damit rechtmäßig.

Unabhängig vom Vorliegen einer Einwilligung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. a DS-GVO war die Beklagte am 03.12.2021 berechtigt, den Impfstatus der Klägerin zu dokumentieren. Denn nach § 28b Abs. 3 Satz 1 IfSG aF war sie ab dem 24.11.2021 - das Datum der Mitarbeiterinformation hierzu (22.11.2021) ist insoweit ebenso irrelevant wie die von der Klägerin beklagte Uneindeutigkeit des entsprechenden Rund-Schreibens -gesetzlich verpflichtet, die Einhaltung der nach § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG aF geltenden 3-G-Zutrittsbeschränkung zum Betrieb zu überwachen und zu dokumentieren. Nach § 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG aF war ihr zu diesem Zweck die Verarbeitung der personenbezogene Daten der Mitarbeiter einschließlich der Daten zum Impfstatus erlaubt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin den Impfausweis nicht zum Nachweis der Zutrittsvoraussetzungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG aF vorgelegt hätte. Jedenfalls konnte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass sie trotz ihres positiven Impfstatus die Einhaltung der 3-G-Regel durch eine Testung (über-) erfüllen wollte. Dass die Nachweis-Vorlage auch der Kontrolle der Einhaltung der 2-G-Vorgabe für die von der Klägerin weiterhin durchgeführten Kunden-Präsenztermine dienen konnte, würde zusätzlich eine Rechtfertigung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG bedeuten.

In Erfüllung der aus § 28b Abs. 3 Satz 1 IfSG aF folgenden Kontroll-Verpflichtung war die Beklagte nach Abs. 3 Satz 3 auch zur Verarbeitung durch Abgleich mit den öffentlich erhältlichen Daten der Chargenabfrage – welche selbst keine personenbezogenen Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO bzw. des BDSG § 46 Nr. 1 BDSG enthielt - berechtigt. Nur so konnte die Beklagte mangels Vorlage des QR-Codes sicherstellen, dass tatsächlich der behauptete Impfstatus gegeben war.

Es kann dahinstehen, ob aufgrund des frühen Erst-Impftermins der Klägerin eine Rechtfertigung der Datenverarbeitung auch nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG bestand.

(d) Selbst wenn man den Abgleich der Daten aus dem Impfausweis der Klägerin mit den Daten aus der Chargenabfrage als nicht von den datenschutzrechtlichen Bestimmungen gedeckt ansehen wollte, wäre die Verwertung des darauf basierenden Sachvortrags im vorliegenden Kündigungsschutzverfahren nach Auffassung der Kammer zulässig:

Die Beeinträchtigung des Rechts der Klägerin auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten tritt angesichts der hohen Bedeutung der Verpflichtung ihrer Arbeitgeberin auf Kontrolle der gesetzlichen Infektionsschutzvorgaben zurück: Ein Arbeitnehmer, der seinem Arbeitgeber zum Nachweis der Einhaltung gesetzlicher oder auch vertraglich verbindlich gesetzter Infektionsschutzregeln eine unrichtige Urkunde vorlegt, ist bezogen auf die darin enthaltenen - unzutreffenden – personenbezogenen Daten nicht derart schutzwürdig, dass die staatlichen Gerichte an der Verwertung der durch die Datenverarbeitung gewonnenen Erkenntnisse gehindert wären. Das folgt aus der Wertung des Gesetzgebers, der im Zeitpunkt der Datenverarbeitung bereits die Vorlage unrichtiger Gesundheitszeugnisse in § 279 StGB unter Strafe gestellt und diesen Straftatbestand als Offizialdelikt ausgestaltet hatte. Mit Blick auf die durch den Gebrauch des unrichtigen Impfpasses folgende Gefährdung der Allgemeinheit und die geringe Eingriffsintensität in Bezug auf unrichtige Gesundheitsdaten wäre ein prozessuales Verwertungsverbot nicht gerechtfertigt.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Coronabedingte Beschränkungen der Gastronomie durch Bundesnotbremse verfassungsgemäß

BVerfG
Beschluss vom 23.03.2022
1 BvR 1295/21


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die coronabedingten Beschränkungen der Gastronomie durch die Bundesnotbremse verfassungsgemäß waren.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Verfassungsbeschwerde gegen die Gastronomiebeschränkungen durch die „Bundesnotbremse“ erfolglos

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG in der Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (§ 28b IfSG a. F.) geregelte Untersagung der Öffnung von Gaststätten zur Eindämmung der Corona-Pandemie richtete.

In Anknüpfung an die Entscheidung des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - zur sogenannten „Bundesnotbremse“ hat die Kammer entschieden, dass auch die vorübergehende Beschränkung des Betriebs der Gaststätten auf die Auslieferung und den Außer-Haus-Verkauf von Speisen und Getränken als Maßnahme zur Pandemiebekämpfung verfassungsrechtlich gerechtfertigt war. Der Gesetzgeber hat den ihm zustehenden Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum auch insoweit nicht überschritten.

Sachverhalt:

Am 23. April 2021 trat das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Kraft. Zentraler Gegenstand des Gesetzes war der in das Infektionsschutzgesetz eingefügte § 28b IfSG a. F., der bei Überschreiten eines Werts von 100 Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100.000 Einwohner an drei aufeinanderfolgenden Tagen in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt zu gesetzesunmittelbaren Beschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens führte. Die Beschränkungen waren an die Feststellung einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ durch den Bundestag gebunden und liefen mit dem 30. Juni 2021 aus. § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG a. F. untersagte die Öffnung von Gaststätten, Speiselokalen und ähnlichen Betrieben bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen der „Bundesnotbremse“; erlaubt blieben nur die Auslieferung und der Außer-Haus-Verkauf von Speisen und Getränken (letzterer mit Ausnahme der Zeit von 22 bis 5 Uhr).

Die Beschwerdeführerin betreibt in Berlin, wo die Regelungen zwischen dem 24. April und dem 18. Mai 2021 Wirkung entfalteten, ein Restaurant. Sie rügt insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

§ 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG a. F. griff zwar in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 GG ein, war jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig.

I. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat bereits mit Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - im Hinblick auf die allgemeinen Kontaktbeschränkungen des § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG a. F. die Legitimität der Zwecke sowie die Eignung und Erforderlichkeit der Maßnahme festgestellt. Diese Einschätzung gilt auch für die hier angegriffene Beschränkung der Berufsfreiheit durch die Untersagung der Öffnung von Gaststätten. Der Schutz von Gesundheit und Leben ist ein legitimer Zweck, dessen Verfolgung selbst schwere Eingriffe in die Berufsfreiheit zu rechtfertigen vermag.

II. Die angegriffene Regelung war trotz ihres erheblichen Eingriffsgewichts auch angemessen.

1. Dem Eingriff in die Berufsfreiheit kommt zwar erhebliches Gewicht zu. Eine berufliche Betätigung in der von der Beschwerdeführerin gewählten Form war während der Geltung der Vorschrift nicht möglich. Verstärkt wurde die Eingriffswirkung dadurch, dass die Beschwerdeführerin ihren Betrieb bereits seit November 2020 unter ähnlichen Bedingungen geschlossen halten musste. Gemindert wurde das Eingriffsgewicht jedoch durch den tatbestandlich vorgesehenen regional differenzierenden Ansatz und die Befristung der Maßnahme. Eine gewisse Minderung des Eingriffsgewichts wurde zudem dadurch bewirkt, dass der Außer-Haus-Verkauf außerhalb der Nachtstunden und die Auslieferung von Speisen und Getränken von der Schließungsanordnung nicht erfasst waren. Schließlich wurde das Eingriffsgewicht auch durch die für die betroffenen Betriebe vorgesehenen staatlichen Hilfsprogramme gemindert.

2. Dem gewichtigen Eingriff in die Berufsfreiheit ist jedoch gegenüberzustellen, dass angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens im April 2021 eine besondere Dringlichkeit bestand, zum Schutz der überragend bedeutsamen Rechtsgüter Leben und Gesundheit sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems tätig zu werden. Dabei ist der grundsätzliche Ansatz, den Schutz dieser Gemeinwohlbelange primär durch Maßnahmen der Kontaktbeschränkung an Kontaktorten zu erreichen – wozu auch die Schließung von Gaststätten zu zählen ist – verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

3. In der geforderten Abwägung zwischen dem Eingriff in Grundrechte und entgegenstehenden Belangen hat der Gesetzgeber einen verfassungsgemäßen Ausgleich gefunden.

Hier ist der Wirtschaftszweig der Gastronomie insgesamt stark belastet worden. Doch sorgten die Vorschrift und die sie begleitenden staatlichen Hilfsprogramme für einen hinreichenden Ausgleich zwischen den verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen. Durch die Befristung und die am jeweiligen örtlichen Pandemiegeschehen ausgerichtete Differenzierung wurde die Belastung durch die angegriffene Regelung begrenzt und bewirkt, dass die Regelung faktisch in keinem Gebiet Deutschlands die Höchstdauer von zwei Monaten erreichte. Ein teilweiser Ausgleich der Belastungen wurde zudem durch die in der Regelung verankerte weiterhin bestehende Möglichkeit zum Außer-Haus-Verkauf und der Lieferung von Speisen und Getränken geschaffen. Darüber hinaus wurden die wirtschaftlichen Auswirkungen der angegriffenen Regelung durch die von der Bundesregierung aufgelegten Hilfsprogramme gedämpft.


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BGH: Keine Zahlungspflicht bei coronabedingter Schließung eines Fitnessstudios - Rückzahlungsanspruch des Mitglieds für gezahlte Beiträge

BGH
Urteil vom 04.05.2022
XII ZR 64/21


Der BGH hat entschieden, dass keine Zahlungspflicht bei coronabedingter Schließung eines Fitnessstudios besteht und sich auch die Mitgliedschaft nicht um die geschlossenen Monate verlängert. Für gezahlte Mitgliedbeiträge während der Schließung besteht ein Rückzahlungsanspruch.

Die Pressemitteilung des BGH:
Zahlungspflicht bei coronabedingter Schließung eines Fitnessstudios

Der u.a. für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte die Frage zu entscheiden, ob die Betreiberin eines Fitness-Studios zur Rückzahlung von Mitgliedsbeiträgen verpflichtet ist, welche sie in der Zeit, in der sie ihr Fitnessstudio aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie schließen musste, von einem Kunden per Lastschrift eingezogen hat.

Die Parteien schlossen am 13. Mai 2019 einen Vertrag über die Mitgliedschaft im Fitnessstudio der Beklagten mit einer Laufzeit von 24 Monaten, beginnend ab dem 8. Dezember 2019. Der monatliche Mitgliedsbeitrag, der im Lastschriftverfahren eingezogen wurde, betrug 29,90 € nebst einer halbjährigen Servicepauschale. Aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie musste die Beklagte das Fitnessstudio in der Zeit vom 16. März 2020 bis 4. Juni 2020 schließen. Die Monatsbeiträge für diesen Zeitraum zog sie weiterhin vom Konto des Klägers ein. Eine vom Kläger mit Schreiben vom 7. Mai 2020 erklärte Kündigung seiner Mitgliedschaft zum 8. Dezember 2021 wurde von der Beklagten akzeptiert. Mit Schreiben vom 15. Juni 2020 verlangte der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung der per Lastschrift eingezogenen Mitgliedsbeiträge für den Zeitraum vom 16. März 2020 bis 4. Juni 2020. Nachdem eine Rückzahlung nicht erfolgte, forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm für den Schließungszeitraum einen Wertgutschein über den eingezogenen Betrag auszustellen. Die Beklagte händigte dem Kläger keinen Wertgutschein aus, sondern bot ihm eine "Gutschrift über Trainingszeit" für den Zeitraum der Schließung an. Dieses Angebot nahm der Kläger nicht an.

Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Rückzahlung der Monatsbeiträge für den Schließungszeitraum in Höhe von 86,75 € nebst Zinsen und außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Ihre hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Revision, mit der die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen wollte, hatte keinen Erfolg.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Kläger gemäß §§ 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 346 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der für den Zeitraum der Schließung entrichteten Monatsbeiträge hat. Diesem Rückzahlungsanspruch des Klägers kann die Beklagte nicht entgegenhalten, der Vertrag sei wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen, dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio geschlossen werden musste, verlängert wird.

Gemäß § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Rechtliche Unmöglichkeit ist gegeben, wenn ein geschuldeter Erfolg aus Rechtsgründen nicht herbeigeführt werden kann oder nicht herbeigeführt werden darf. So liegt der Fall hier.

Während des Zeitraums, in dem die Beklagte aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ihr Fitnessstudio schließen musste, war es ihr rechtlich unmöglich, dem Kläger die Möglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu gewähren und damit ihre vertraglich geschuldete Hauptleistungspflicht zu erfüllen.

Obwohl die Beklagte das Fitnessstudio im Hinblick auf die zeitliche Befristung der Corona-Schutzmaßnahmen lediglich vorübergehend schließen musste, liegt kein Fall einer nur vorübergehenden Unmöglichkeit vor, die von § 275 Abs. 1 BGB nicht erfasst würde. Ein nur zeitweiliges Erfüllungshindernis ist dann einem dauernden gleichzustellen, wenn durch das Hindernis die Erreichung des Vertragszwecks in Frage gestellt ist und der einen oder anderen Partei bei billiger Abwägung der beiderseitigen Belange nicht mehr zugemutet werden könnte, die Leistung dann noch zu fordern oder zu erbringen. Wird - wie im vorliegenden Fall - für einen Fitnessstudiovertrag eine mehrmonatige feste Vertragslaufzeit gegen Zahlung eines monatlich fällig werdenden Entgelts vereinbart, schuldet der Betreiber des Fitnessstudios seinem Vertragspartner die Möglichkeit, fortlaufend das Studio zu betreten und die Trainingsgeräte zu nutzen. Der Zweck eines Fitnessstudiovertrags liegt in der regelmäßigen sportlichen Betätigung und damit entweder in der Erreichung bestimmter Fitnessziele oder zumindest der Erhaltung von Fitness und körperlicher Gesundheit. Aufgrund dessen sind für den Vertragspartner gerade die regelmäßige und ganzjährige Öffnung und Nutzbarkeit des Studios von entscheidender Bedeutung. Kann der Betreiber des Fitnessstudios während der vereinbarten Vertragslaufzeit dem Vertragspartner die Nutzungsmöglichkeit des Studios zeitweise nicht gewähren, etwa weil er - wie hier - das Fitnessstudio aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie schließen muss, kann dieser Vertragszweck für den Zeitraum der Schließung nicht erreicht werden. Die von dem Betreiber geschuldete Leistung ist deshalb wegen Zeitablaufs nicht mehr nachholbar.

Zu Recht hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass die Beklagte dem Rückzahlungsanspruch des Klägers nicht entgegenhalten kann, der Vertrag sei wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen, dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio geschlossen werden musste, verlängert wird. Eine solche Vertragsanpassung wird zwar in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung teilweise vertreten. Diese Auffassung verkennt jedoch das Konkurrenzverhältnis zwischen § 275 Abs. 1 BGB und § 313 BGB. Eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen an die tatsächlichen Umstände kommt grundsätzlich dann nicht in Betracht, wenn das Gesetz in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimmt. Daher scheidet eine Anwendung des § 313 BGB aus, soweit - wie im vorliegenden Fall - der Tatbestand des § 275 Abs. 1 BGB erfüllt ist.

Ein Anspruch der Beklagten auf die begehrte Vertragsanpassung scheidet auch deshalb aus, weil mit Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB eine speziellere Vorschrift besteht, die im vorliegenden Fall einem Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze zur Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage entgegensteht.

Grundsätzlich ist eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB nicht möglich, wenn der Gesetzgeber das Risiko einer Geschäftsgrundlagenstörung erkannt und zur Lösung der Problematik eine spezielle gesetzliche Vorschrift geschaffen hat. Bei der durch Art. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsrecht und im Recht der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE) vom 15. Mai 2020 mit Wirkung vom 20. Mai 2020 (BGBl. I S. 948) eingeführten Vorschrift des Art. 240 § 5 EGBGB handelt es sich um eine solche spezialgesetzliche Regelung, die in ihrem Anwendungsbereich dem § 313 BGB vorgeht.

Zur Zeit der Schaffung dieser Vorschrift mussten aufgrund der umfangreichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen Veranstaltungsverbote und Kontaktbeschränkungen eine Vielzahl von Veranstaltungen abgesagt und Freizeiteinrichtungen vorübergehend geschlossen werden. Daher konnten vielfach bereits erworbene Eintrittskarten nicht eingelöst werden. Ebenso konnten Inhaber einer zeitlichen Nutzungsberechtigung für eine Freizeiteinrichtung diese für eine gewisse Zeit nicht nutzen. Der Gesetzgeber befürchtete, dass die rechtliche Verpflichtung der Veranstalter oder Betreiber, bereits erhaltene Eintrittspreise oder Nutzungsentgelte zurückerstatten zu müssen, bei diesen zu einem erheblichen Liquiditätsabfluss führen würde, der für viele Unternehmen im Veranstaltungsbereich eine existenzbedrohende Situation zur Folge haben könnte. Zudem sah der Gesetzgeber die Gefahr, dass Insolvenzen von Veranstaltungsbetrieben auch nachteilige Folgen für die Gesamtwirtschaft und das kulturelle Angebot in Deutschland haben könnten.

Um diese unerwünschten Folgen nach Möglichkeit zu verhindern, wollte der Gesetzgeber mit Art. 240 § 5 EGBGB für Veranstaltungsverträge, die vor dem 8. März 2020 abgeschlossen wurden, eine Regelung schaffen, die die Veranstalter von Freizeitveranstaltungen vorübergehend dazu berechtigt, den Inhabern von Eintrittskarten statt der Erstattung des Eintrittspreises einen Gutschein in Höhe des Eintrittspreises auszustellen (Art. 240 § 5 Abs. 1 EGBGB), sofern die Veranstaltung aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte. Durch Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB wurde dem Betreiber einer Freizeiteinrichtung ebenfalls das Recht eingeräumt, dem Nutzungsberechtigten einen Gutschein zu übergeben, der dem Wert des nicht nutzbaren Teils der Berechtigung entspricht.

Durch diese "Gutscheinlösung" hat der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Interessen sowohl der Unternehmer im Veranstaltungs- und Freizeitbereich als auch der Interessen der Kunden eine abschließende Regelung getroffen, um die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungs- und Freizeitbereich abzufangen. Eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage findet daneben nicht statt.

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

§ 275 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.

(4) Die Rechte des Gläubigers bestimmen sich nach den §§ 280, 283 bis 285, 311a und 326.

§ 313 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. […]

§ 326 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung; bei einer Teilleistung findet § 441 Abs. 3 entsprechende Anwendung. Satz 1 gilt nicht, wenn der Schuldner im Falle der nicht vertragsgemäßen Leistung die Nacherfüllung nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu erbringen braucht. [...]

(4) Soweit die nach dieser Vorschrift nicht geschuldete Gegenleistung bewirkt ist, kann das Geleistete nach den §§ 346 bis 348 zurückgefordert werden.

Art 240 § 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch

(1) Wenn eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeitveranstaltung aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte oder kann, ist der Veranstalter berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März 2020 erworbenen Eintrittskarte oder sonstigen Teilnahmeberechtigung anstelle einer Erstattung des Eintrittspreises oder sonstigen Entgelts einen Gutschein zu übergeben. [...]

(2) Soweit eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeiteinrichtung aufgrund der COVID-19-Pandemie zu schließen war oder ist, ist der Betreiber berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März 2020 erworbenen Nutzungsberechtigung anstelle einer Erstattung des Entgelts einen Gutschein zu übergeben.

(5) Der Inhaber eines nach den Absätzen 1 oder 2 ausgestellten Gutscheins kann von dem Veranstalter oder Betreiber die Auszahlung des Wertes des Gutscheins verlangen, wenn

1. der Verweis auf einen Gutschein für ihn angesichts seiner persönlichen Lebensumstände unzumutbar ist oder

2. er den Gutschein bis zum 31. Dezember 2021 nicht eingelöst hat.

Vorinstanzen:

LG Essen – 15 S 164/20 - Urteil vom 16. März 2021

AG Gelsenkirchen – 409 C 215/20 - Urteil vom 9. November 2020



Volltext BGH liegt vor: Keine Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche gegen Bundesland wegen coronabedingter flächendeckender Betriebsschließungen

BGH
Urteil vom 17.03.2022
III ZR 79/21
IfSG § 28 Abs. 1, § 56 Abs. 1, § 65 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Keine Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche gegen Bundesland Brandenburg wegen coronabedingter flächendeckender Betriebsschließungen im Frühjahr 2020 über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) § 56 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gewähren Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder
Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung noch im Wege verfassungskonformer Auslegung einen Anspruch auf Entschädigung.

b) Mit den Verdienstausfallentschädigungen nach § 56 Abs. 1 und § 56 Abs. 1a IfSG, dem Anspruch auf Impfschadenversorgung nach § 60 IfSG und der Entschädigung für Nichtstörer nach § 65 IfSG enthält der Zwölfte Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes punktuelle Anspruchsgrundlagen, denen das planmäßige Bestreben des Gesetzgebers zugrunde liegt, die Entschädigungstatbestände auf wenige Fälle zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen.

c) Entschädigungsansprüchen aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht beziehungsweise aus enteignendem Eingriff steht entgegen, dass die im Zwölften Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes enthaltenen Entschädigungsbestimmungen - jedenfalls für rechtmäßige infektionsschutzrechtliche Maßnahmen - eine abschließende spezialgesetzliche Regelung mit Sperrwirkung darstellen.

BGH, Urteil vom 17. März 2022 - III ZR 79/21 - OLG Brandenbu

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Oldenburg: Keine Anpassung der Gewerbemiete während des Corona-Lockdowns für von einem Möbelhaus angemietete Lagerhalle

OLG Oldenburg
Urteil vom 29.03.2022
2 U 234/21

Das OLG Oldenburg hat in diesem Fall entschieden, dass keine Anpassung der Gewerbemiete während des Corona-Lockdowns für eine von einem Möbelhaus angemietete Lagerhalle erfolgt.

Die Pressemitteilung des Gericht:

Gewerbemiete trotz Corona-Schließung?
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG ZUR FRAGE DES „WEGFALLS DER GESCHÄFTSGRUNDLAGE“

Während des sogenannten „Lockdowns“ Ende 2020 mussten viele Geschäfte schließen. Die Mietverträge liefen trotzdem weiter, obwohl häufig kein Gewinn mehr erwirtschaftet werden konnte. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert: Es gibt ein neues Gesetz, nach dem ein „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ vermutet wird, wenn die gemieteten Räumlichkeiten wegen des Lockdowns nicht oder nur noch mit erheblichen Einschränkungen verwendet werden können (Art. 240 § 7 EGBGB).

Hierauf berief sich auch ein Möbelhaus in Osnabrück. Das Landgericht Osnabrück gab der Betreiberfirma recht: Die Miete für die angemietete Lagerhalle könne reduziert werden.

Der 2. Senat des Oberlandesgerichts sah dies nun anders: Es bestehe kein Anspruch auf eine Anpassung der Miete. Denn die Lagerhalle sei in der Lockdown-Zeit durchaus nutzbar gewesen. Die Firma habe die Möbel nämlich online vertrieben und auch stationäre Verkäufe über „click & collect“ getätigt. Die Lagerhalle sei in ihrer Funktion durch den Lockdown daher gerade nicht betroffen gewesen. Etwas anderes könne gegebenenfalls für das Ladengeschäft selbst gelten.

Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, weil die Sache grundsätzlich Bedeutung hat und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob die neue Gesetzesregelung (Art. 240 § 7 EGBGB) auch auf Lagerhallen anzuwenden ist.

Oberlandesgericht Oldenburg, Az. 2 U 234/21, Urteil vom 29.03.2022.



OLG Frankfurt: Mittelbare Auswirkungen coronabedingter staatlicher Beschränkungen können Vertragsanpassung aufgrund Wegfalls der Geschäftsgrundlage zur Folge haben

OLG Frankfurt
Beschluss vom 18.02.2022
2 U 138/21

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass auch mittelbare Auswirkungen coronabedingter staatlicher Beschränkungen eine Vertragsanpassung aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zur Folge haben können. Es kommt dabei auf alle Gesamtumstände des Einzelfalls an.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Auch mittelbare Auswirkungen Corona-bedingter staatlicher Kontaktbeschränkungen - hier auf einen Reinigungsbetrieb - können Anspruch auf Anpassung der Miete auslösen

Mittelbare Wirkungen der Corona-Pandemie und der auf ihr beruhenden staatlichen Maßnahmen können einen Anspruch auf Anpassung des Mietzinses wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage begründen. Die Unzumutbarkeit des Festhaltens am ursprünglichen Vertrag kann allerdings nur anhand der konkreten Umstände geprüft werden. Dies setzt allerdings Vortrag zur Kostenstruktur des Geschäftsbetriebs und ihrer Entwicklung in der Pandemie, der allgemeinen finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betriebs, der Inanspruchnahme staatlicher Hilfsleistungen bzw. eines Anspruchs hierauf voraus. Da dieser Vortrag fehlte, hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute veröffentlichter Entscheidung einen Anspruch auf Anpassung der Miete abgelehnt.

Die Beklagte mietete vom Kläger Gewerbeflächen für einen Reinigungsbetrieb in Frankfurt am Main. Weil im Zusammenhang mit den behördlichen Anordnungen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus viele beruflichen und privaten Veranstaltungen entfielen, ließen viele Menschen weniger Kleidung bei der Beklagten reinigen. Dies führte ab März 2020 zu einem deutlichen Umsatzeinbruch. In der Zeit von April bis Juli 2020 zahlte die Beklagte deshalb keine Miete. Der Kläger begehrt nunmehr die ausstehenden Mieten.

Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe Anspruch auf die vertraglich vereinbarten Mietzahlungen, begründete das OLG seine Entscheidung. Die vertraglichen Vereinbarungen seien hier nicht durch die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden staatlichen Beschränkungsmaßnahmen herabgesetzt gewesen.

Zwar sei die Geschäftsgrundlage des Mietvertrages durch die Folgen der Pandemie schwerwiegend gestört worden. Es sei davon auszugehen, dass sich die behördlichen Anordnungen auch auf den nicht unmittelbar von staatlichen Schließungsmaßnahmen betroffenen Geschäftsbetrieb der Beklagten auswirkten. „Es ist gerichtsbekannt, dass aufgrund der erheblichen staatlichen Beschränkungen für nahezu jegliche privaten und geschäftlichen Veranstaltungen mit der Folge des Ausfalls auch zahlreicher Aktivitäten insbesondere festlichen Charakters sowie umfangreicher Anordnung von Heimarbeit der Bedarf an Reinigungsleistungen ... deutlich gesunken war“, führt das OLG aus. Hätten die Parteien eine solche Pandemie vorausgesehen, hätten sie voraussichtlich eine zeitweise Herabsetzung der Miete oder jedenfalls ihre zeitweise Stundung vereinbart. Die Beklagte könne dennoch keine Anpassung des Vertrages verlangen, da sie nicht dargelegt habe, dass ihr das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden könne. Dabei komme es nicht darauf an, dass die hier streitgegenständlichen Folgen nur mittelbar auf die staatlichen Maßnahmen zurückzuführen seien. Die Beklagte habe aber nicht dargelegt, dass ihr das Festhalten an dem Mietvertrag unzumutbar gewesen sei. Es fehle Vortrag zu relevanten Umständen wie insbesondere der Kostenstruktur des Geschäftsbetriebs und ihrer Entwicklung, der allgemeinen finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten sowie der Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe staatliche Hilfeleistungen erhalten wurden oder ein Anspruch auf sie bestand.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Beklagte die Zulassung der Revision beim BGH begehren.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 18.02.2022, Az. 2 U 138/21

(vorausgehend LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.07.2021, Az. 2-10 O 220/20)


BGH: Keine Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche gegen Bundesland Brandenburg wegen coronabedingter flächendeckender Betriebsschließungen im Frühjahr 2020

BGH
Urteil vom 17.03.2022
III ZR 79/21


Der BGH hat entschieden, dass keine Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche gegen das Bundesland Brandenburg wegen coronabedingter flächendeckende Betriebsschließungen im Frühjahr 2020 bestehen.

Die Pressemitteilung des BGH:
Weder Entschädigungs- noch Schadensersatzansprüche für coronabedingte flächendeckende
Betriebsschließungen im Frühjahr 2020

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage entschieden, ob der Staat für Einnahmeausfälle haftet, die durch flächendeckende vorübergehende Betriebsschließungen oder Betriebsbeschränkungen auf Grund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19-Krankheit entstanden sind.

Sachverhalt:

Der Kläger ist Inhaber eines Hotel- und Gastronomiebetriebs. Am 22. März 2020 erließ das beklagte Land Brandenburg eine Corona-Eindämmungsverordnung, wonach Gaststätten für den Publikumsverkehr zu schließen waren und den Betreibern von Beherbergungsstätten untersagt wurde, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen.

Der Betrieb des Klägers war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 7. April 2020 für den Publikumsverkehr geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Der Kläger erkrankte auch nicht. Während der Zeit der Schließung seiner Gaststätte bot er Speisen und Getränke im Außerhausverkauf an. Im Rahmen eines staatlichen Soforthilfeprogramms zahlte die Investitionsbank Brandenburg 60.000 € als Corona-Soforthilfe an ihn aus.

Der Kläger hat geltend gemacht, es sei verfassungsrechtlich geboten, ihn und andere Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu entschädigen.

Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die auf Zahlung von 27.017,28 € (Verdienstausfall, nicht gedeckte Betriebskosten, Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung) nebst Prozesszinsen sowie auf Feststellung der Ersatzplicht des Beklagten für alle weiteren entstandenen Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vor dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der III. Zivilsenat hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Entschädigungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gewähren Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung einen Anspruch auf Entschädigung. § 56 Abs. 1 IfSG ist von vornherein nicht einschlägig, weil die hier im Verordnungswege nach § 32 IfSG angeordneten Verbote gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Personen ergangen sind und der Kläger nicht gezielt personenbezogen als infektionsschutzrechtlicher Störer in Anspruch genommen wurde. Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung ergibt sich auch nicht aus § 65 Abs. 1 IfSG. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut ist die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten einschlägig. Im vorliegenden Fall dienten die Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 sowie die Folgeverordnungen vom 17. April 2020 und 24. April 2020 jedoch der Bekämpfung der COVID-19-Krankheit. Diese hatte sich bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung vom 22. März 2020 deutschlandweit ausgebreitet. § 65 Abs. 1 IfSG kann auch nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass der Anwendungsbereich der Norm auf Bekämpfungsmaßnahmen, die zugleich eine die Ausbreitung der Krankheit verhütende Wirkung haben, erstreckt wird.

Eine verfassungskonforme Auslegung der beiden Regeln dahingehend, dass auch in der vorliegenden Fallgestaltung eine Entschädigung zu gewähren ist, wie es in einem gestern veröffentlichten Beschluss einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 BvR 1073/21) kursorisch in Erwägung gezogen wurde, scheidet aus. Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm setzt voraus, dass mehrere Deutungen möglich sind. Sie findet ihre Grenze an dem klaren Wortlaut der Bestimmung und darf nicht im Widerspruch zu dem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzes stehen. Der Wortlaut von § 56 und § 65 IfSchG ist klar und lässt eine ausdehnende Auslegung nicht zu. Zudem würde der eindeutige Wille des Gesetzgebers konterkariert, nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit eine Entschädigung für Störer im infektionsschutzrechtlichen Sinn vorzusehen.

Der Kläger kann den geltend gemachten Entschädigungsanspruch auch nicht auf eine analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 oder § 65 Abs. 1 IfSG stützen. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Den infektionsschutzrechtlichen Entschädigungstatbeständen liegt, was sich insbesondere aus ihrer Entstehungsgeschichte und der Gesetzgebungstätigkeit während der Corona-Pandemie ergibt, die abschließende gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen ("Konzept einer punktuellen Entschädigungsgewährung"). Darüber hinaus fehlt es auch an der Vergleichbarkeit der Interessenlage zwischen den Entschädigungsregelungen nach §§ 56, 65 IfSG und flächendeckenden Betriebsschließungen, die auf gegenüber der Allgemeinheit getroffenen Schutzmaßnahmen beruhen.

Das Berufungsgericht hat einen Entschädigungsanspruch aus § 38 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. § 18 des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Brandenburg zu Recht abgelehnt. Als spezialgesetzliche Vorschriften der Gefahrenabwehr haben die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes Anwendungsvorrang und entfalten eine Sperrwirkung gegenüber den Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts.

Ansprüche aus dem richterrechtlich entwickelten Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs scheitern daran, dass das den §§ 56, 65 IfSG zugrundeliegende und gesetzgeberisch als abschließend gedachte Konzept einer punktuellen Entschädigung im Bereich der Eigentumseingriffe nicht durch die Gewährung richterrechtlicher Ansprüche unterlaufen werden darf. Unabhängig davon ist der Anwendungsbereich des Rechtinstituts des enteignenden Eingriffs nicht eröffnet, wenn es darum geht, im Rahmen einer Pandemie durch flächendeckende infektionsschutzrechtliche Maßnahmen, die als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen sind, verursachte Schäden auszugleichen. Es stünde – wie der Senat wertungsmäßig vergleichbar bereits in dem Waldschädenurteil vom 10. Dezember 1987 (III ZR 220/86, BGHZ 102, 350, 361 ff) ausgesprochen hat – in einem offenen Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung, wenn die Gerichte – gestützt auf das richterrechtliche Institut des enteignenden Eingriffs – im Zusammenhang mit einer Pandemiebekämpfung im Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG massenhafte und großvolumige Entschädigungen zuerkennen würden.

Ebenso wenig kann dem Kläger unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der sogenannten ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Entschädigung zuerkannt werden. Es erscheint dem Senat bereits sehr zweifelhaft, ob dieses Rechtsinstitut, das bislang vor allem auf Härtefälle bei unzumutbaren Belastungen einzelner Eigentümer angewandt worden ist, geeignet ist, auf Pandemielagen sachgerecht im Sinne einer gerechten Lastenverteilung zu reagieren. Jedenfalls wäre es im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung nicht zulässig, dem Kläger vorliegend einen Ausgleichsanspruch kraft Richterrechts unter dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung zu gewähren.

Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche sind keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen. Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen. Dieser sozialstaatlichen Verpflichtung kann der Staat zum Beispiel dadurch nachkommen, dass er – wie im Fall der COVID-19-Pandemie geschehen – haushaltsrechtlich durch die Parlamente abgesicherte Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt ("Corona-Hilfen"), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene Reaktion zum Beispiel durch kurzfristige existenzsichernde Unterstützungszahlungen an betroffene Unternehmen erlauben.

Ansprüche aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) und enteignungsgleichem Eingriff sowie nach § 1 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes des Landes Bandenburg hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt. Die Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 und die Folgeverordnungen vom 17. und 24. April 2020 waren als solche rechtmäßig. Die getroffenen Schutzmaßnahmen, insbesondere die angeordneten Betriebsschließungen, waren erforderlich, um die weitere Ausbreitung der COVID-19-Krankheit zu verhindern. Dies wurde von der Revision auch nicht in Frage gestellt.

Vorinstanzen:

Landgericht Potsdam - Urteil vom 24. Februar 2021 – 4 O 146/20

Brandenburgisches Oberlandesgericht - Urteil vom 1. Juni 2021 – 2 U 13/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Art. 14 GG – Eigentum, Erbrecht und Enteignung

1Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. 2Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

§ 28 IfSG - Schutzmaßnahmen

(1) 1Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a und in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. 2Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen.

§ 32 IfSG – Erlass von Rechtsverordnungen

1Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28, 28a und 29 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. 2Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen.

§ 56 IfSG – Entschädigung

(1) 1Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld.

§ 65 IfSG – Entschädigung bei behördlichen Maßnahmen

(1) 1Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten; eine Entschädigung erhält jedoch nicht derjenige, dessen Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit Gesundheitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher Krankheitserreger behaftet oder dessen verdächtig sind. 2§ 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden.

§ 18 Ordnungsbehördengesetz des Landes Brandenburg – Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen

(1) Die Ordnungsbehörde kann Maßnahmen gegen andere Personen als die nach den §§ 16 oder 17 Verantwortlichen richten, wenn

1. eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist,

2. Maßnahmen gegen die nach den §§ 16 oder 17 Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen,

3. die Ordnungsbehörde die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann und

4. die Personen ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden können.

§ 38 Ordnungsbehördengesetz des Landes Brandenburg – Zur Entschädigung verpflichtende Maßnahmen

(1) Ein Schaden, den jemand durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden erleidet, ist zu ersetzen, wenn er

a) infolge einer Inanspruchnahme nach § 18 oder

b) durch rechtswidrige Maßnahmen, gleichgültig, ob die Ordnungsbehörden ein Verschulden trifft oder nicht,

entstanden ist.




OLG Frankfurt: Schiedsspruch über Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Fernsehverwertungsvertrags wegen coronoabedingter Unterbrechung des Bundesligaspielbetriebs nicht aufzuheben

OLG Frankfurt
Urteil vom 03.03.2022
26 Sch 2/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass der Schiedsspruch über die Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Fernsehverwertungsvertrags wegen coronoabedingter Unterbrechung des Spielbetriebs der Bundesliga nicht aufzuheben ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Keine Aufhebung eines Schiedsspruchs über Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Fernsehverwertungsvertrags wegen Corona-bedingter Unterbrechung des Spielbetriebs der Bundesliga

Nach den Feststellungen des Schiedsgerichts begründet die Unterbrechung des Spielbetriebs der Bundesliga und der 2. Bundesliga infolge der Corona-Pandemie kein außerordentliches Kündigungsrecht für einen medialen Verwertungsvertrag über die Übertragung dieser Spiele. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute verkündeter Entscheidung den Antrag auf Aufhebung dieses Schiedsspruchs, mit dem die Unwirksamkeit der Kündigung und die Schadensersatzpflicht festgestellt worden waren, zurückgewiesen.

Die Antragstellerin zu 1 ist ein französisches auf Sportberichterstattung spezialisiertes Unternehmen; die mit ihr verbundene Antragstellerin zu 2 ist u.a. für den Erwerb von Verwertungsrechten zuständig. Der Antragsgegner ist ein in Frankfurt am Main ansässiger Verein, in dem die Vereine und Kapitalgesellschaften der Fußballbundesliga und der 2. Fußballbundesliga zusammengeschlossen sind. Neben der Organisation des Spielbetriebs vermarktet er die Medienrechte an den Bundesligaspielen.

Die Antragstellerin zu 1 schloss mit dem Antragsgegner einen Vertrag über näher umrissene mediale Verwertungsrechte der Spielzeiten 2017/2018 bis 2020/2021 für das

Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gegen Zahlung einer jährlichen Servicepauschale sowie pro Spielzeit fälliger Vergütung. Die Antragstellerin zu 2 übernahm diesen Vertrag nachfolgend und übertrug später Rechte an die Antragstellerin zu 1 zurück.

Infolge der Corona-Epidemie stellte der Antragsgegner den gesamten Spielbetrieb ab dem 13.3.2020 ohne Bestimmung von Ersatzterminen ein. Nach gescheiterten Gesprächen kündigten die Antragstellerinnen den Vertrag Ende April 2020. Der Spielbetrieb wurde Mitte Mai 2020 wiederaufgenommen.

Der Antragsgegner widersprach der Kündigung und erhob am 11.5.2020 Schiedsklage. Das Schiedsgericht stellte mit Schiedsspruch vom 12.11.2020 u.a. die Unwirksamkeit der Kündigungen und eine daran anknüpfende Schadensersatzverpflichtung der Antragstellerin zu 1 fest. Es habe kein Leistungshindernis, sondern nur eine Leistungserschwernis für den Antragsgegner vorgelegen. Die Wiederaufnahme der Spiele sei zum Kündigungszeitpunkt bereits vorhersehbar gewesen. Der Antragsgegner habe unter Nutzung der ihm eingeräumten Freiheiten bei der Spielplanfestlegung seine vertraglichen Pflichten erfüllen können.

Ohne Erfolg haben die Antragstellerinnen vor dem OLG die Aufhebung dieses Schiedsspruches begehrt. Das OLG stellte fest, dass kein Aufhebungsgrund (§ 1059 Abs. 2 ZPO) vorliegt.

Das Schiedsgericht habe insbesondere nicht den Anspruch der Antragstellerinnen auf rechtliches Gehör verletzt. Die zahlreichen von den Antragstellerinnen erhobenen Einwände begründeten im Ergebnis in keinem Fall eine Gehörsverletzung. Das Schiedsgericht habe vielmehr den aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Vortrag in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hinreichend gewürdigt.

Das Ergebnis des Schiedsspruchs halte auch einer kartellrechtlichen Kontrolle stand, wobei zur Wahrung der Anerkennung der Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Streitigkeiten nur eine auf das Ergebnis des Schiedsspruchs bezogene eingeschränkte Kontrolle erfolge. Angesichts der baldigen Wiederaufnahme des Spielbetriebs und der im Hinblick auf die Dauer des Vertrags nur geringen Dauer der Unterbrechung sei die weitere Bindung an den Vertrag zumutbar.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
[...]
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 03.03.2022, Az. 26 Sch 2/21

Erläuterungen:

§ 1059 ZPO Aufhebungsantrag

(1) Gegen einen Schiedsspruch kann nur der Antrag auf gerichtliche Aufhebung nach den Absätzen 2 und 3 gestellt werden.

(2) Ein Schiedsspruch kann nur aufgehoben werden,

wenn der Antragsteller begründet geltend macht, dass
a) eine der Parteien, die eine Schiedsvereinbarung nach den §§ ZPO § 1029, ZPO § 1031 geschlossen haben, nach dem Recht, das für sie persönlich maßgebend ist, hierzu nicht fähig war, oder dass die Schiedsvereinbarung nach dem Recht, dem die Parteien sie unterstellt haben oder, falls die Parteien hierüber nichts bestimmt haben, nach deutschem Recht ungültig ist oder
b) er von der Bestellung eines Schiedsrichters oder von dem schiedsrichterlichen Verfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt worden ist oder dass er aus einem anderen Grund seine Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht hat geltend machen können oder
c) der Schiedsspruch eine Streitigkeit betrifft, die in der Schiedsabrede nicht erwähnt ist oder nicht unter die Bestimmungen der Schiedsklausel fällt, oder dass er Entscheidungen enthält, welche die Grenzen der Schiedsvereinbarung überschreiten; kann jedoch der Teil des Schiedsspruchs, der sich auf Streitpunkte bezieht, die dem schiedsrichterlichen Verfahren unterworfen waren, von dem Teil, der Streitpunkte betrifft, die ihm nicht unterworfen waren, getrennt werden, so kann nur der letztgenannte Teil des Schiedsspruchs aufgehoben werden; oder
d) die Bildung des Schiedsgerichts oder das schiedsrichterliche Verfahren einer Bestimmung dieses Buches oder einer zulässigen Vereinbarung der Parteien nicht entsprochen hat und anzunehmen ist, dass sich dies auf den Schiedsspruch ausgewirkt hat; oder
wenn das Gericht feststellt, dass
a) der Gegenstand des Streites nach deutschem Recht nicht schiedsfähig ist oder
b) die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht.




Volltext BGH liegt vor: Kein Anspruch aus Betriebsschließungsversicherung wegen Corona-Lockdowns wenn Versicherungsbedingungen auf Krankheitenkatalog ohne COVID-19 Bezug nimmt

BGH
Urteil vom 26.01.2022
IV ZR 144/21
IfSG §§ 6, 7; BGB § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2; Zusatzbedingungen des Versicherers für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - 2008 (ZBSV 2008) § 2 Nr. 1 und Nr. 2


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Kein Anspruch aus Betriebsschließungsversicherung wegen Corona-Lockdowns wenn Versicherungsbedingungen auf Krankheitenkatalog verweist der COVID-19 nicht enthält über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH_

1. Nach § 2 Nr. 1 Buchst. a Halbsatz 1 ZBSV 08 besteht Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem Katalog in § 2 Nr. 2 ZBSV 08, der abschließend ist und weder die Krankheit COVID19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt.

2. Die Regelung in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 ist weder intransparent (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) noch benachteiligt sie den Versicherungsnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB).

BGH, Urteil vom 26. Januar 2022 - IV ZR 144/21 - OLG Schleswig - LG Lübeck

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Kein Anspruch aus Betriebsschließungsversicherung wegen Corona-Lockdowns wenn Versicherungsbedingungen auf Krankheitenkatalog verweist der COVID-19 nicht enthält

BGH
Urteil vom 26.01.2022
IV ZR 144/21


Der BGH hat entschieden, dass kein Anspruch aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen eines Corona-Lockdowns besteht, wenn die Versicherungsbedingungen auf einen Krankheitenkatalog verweist, der COVID-19 nicht enthält.

Die Pressemitteilung des BGH:

Betriebsschließungsversicherung in der COVID-19-Pandemie

Der unter anderem für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass einem Versicherungsnehmer auf der Grundlage der hier vereinbarten Versicherungsbedingungen keine Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen einer im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgten Schließung der von ihm betriebenen Gaststätte in Schleswig-Holstein zustehen.

Sachverhalt:

Der Kläger hält bei dem beklagten Versicherer eine sogenannte Betriebsschließungsversicherung. Er begehrt die Feststellung, dass der beklagte Versicherer verpflichtet ist, ihm aufgrund der Schließung seines Restaurants eine Entschädigung aus dieser Versicherung zu zahlen. Dem Versicherungsvertrag liegen die "Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - 2008 (ZBSV 08)" zugrunde. Nach § 3 Nr. 1 Buchst. a ZBSV 08 ersetzt der Versicherer dem Versicherungsnehmer im Falle einer bedingungsgemäßen Betriebsschließung den Ertragsausfallschaden bis zu einer Haftzeit von 30 Tagen. Die ZBSV 08 lauten auszugsweise:

"§ 2 Versicherte Gefahren

Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;



Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

Krankheiten: …

Krankheitserreger: …

…"

In § 2 Nr. 2 Buchst. a und b ZBSV 08 werden weder die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) noch das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus (SARS-CoV) oder das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) aufgeführt. Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung ordnete mit der am 18. März 2020 in Kraft getretenen Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung - SARS-CoV-2-BekämpfV) vom 17. März 2020 unter anderem die Schließung von sämtlichen Gaststätten an, wobei Leistungen im Rahmen eines Außerhausverkaufs unter bestimmten Voraussetzungen zulässig waren. Der Kläger schloss daraufhin seine Gaststätte und bot einen Lieferdienst an.

Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

Die Entscheidung des Senats:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzt der Eintritt des Versicherungsfalls zwar nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sogenannten intrinsischen, Infektionsgefahr voraus. Zu Recht hat das Berufungsgericht aber angenommen, dass dem Kläger gegen die Beklagte keine Ansprüche zustehen, weil eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst ist. Nach § 2 Nr. 1 Buchst. a Halbsatz 1 ZBSV 08 besteht Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem Katalog in § 2 Nr. 2 ZBSV 08, der nach dem für die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers abschließend ist und weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird sich zunächst am Wortlaut orientieren und in § 2 Nr. 1 ZBSV 08 dem Klammerzusatz "(siehe Nr. 2)" hinter den Worten "meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger" entnehmen, dass die vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 näher bestimmt werden. Sodann wird er diese Klausel in den Blick nehmen und an der Überschrift "2. Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger" und der anschließenden Formulierung "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind …" erkennen, dass insoweit eine eigenständige Definition in den Bedingungen erfolgt. Die anschließende umfangreiche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern wird er als abschließend erachten.

Die ergänzende Bezugnahme in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 auf die "im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten" Krankheiten und Krankheitserreger wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer lediglich als Klarstellung verstehen, dass sich die Beklagte bei der Abfassung des Katalogs inhaltlich an §§ 6 und 7 IfSG orientiert hat. Ein anderes Verständnis folgt auch nicht aus dem Begriff "namentlich".

Der erkennbare Zweck und Sinnzusammenhang der Klausel spricht ebenfalls für die Abgeschlossenheit des Katalogs. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird zwar einerseits ein Interesse an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz haben, andererseits aber nicht davon ausgehen können, dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen will, die - wie hier COVID-19/SARS-CoV-2 gerade zeigt - u.U. erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten und bei denen für den Versicherer wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich ist.

Die Klausel hält auch der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB stand. § 2 Nr. 2 ZBSV 08 verstößt insbesondere nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnimmt - wie dargestellt - dem klaren Wortlaut der Bedingungen, dass in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger abschließend definiert werden. Ihm wird durch die Bedingungen nicht der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst sei. Offenbleiben konnte, ob die hier in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 genannten Krankheiten und Krankheitserreger identisch mit den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserregern sind. Auch im Falle fehlender Deckungsgleichheit ergibt sich hieraus keine Intransparenz. Schließlich benachteiligt die Klausel den Versicherungsnehmer auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unangemessen.

Vorinstanzen:

Landgericht Lübeck - Urteil vom 8. Januar 2021 – 4 O 164/20

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht - Urteil vom 10. Mai 2021 – 16 U 25/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 307 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen

wird, nicht zu vereinbaren ist oder

2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben,

so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. …


BGH: Abwägung aller Umstände des Einzelfalls bei Frage ob gewerblicher Mieter bei coronabedingt angeordneter Schließung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage Miete mindern kann

BGH
Urteil vom 12.01.2022
XII ZR 8/21


Der BGH hat entschieden, dass es für die Frage, ob ein gewerblicher Mieter bei coronabedingt angeordneter Schließung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Miete mindern kann, auf die Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ankommt. Grundsätzlich ist eine Mietanpassung nach § 313 BGB aber möglich. Der BGH hat diesen Fall an das OLG zurückverwiesen und Abwägungskriterien an die Hand gegeben.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung

Der u.a. für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte die Frage zu entscheiden, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der COVID-19-Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet ist.

Sachverhalt:

Die Beklagte hat von der Klägerin Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs gemietet. Aufgrund des sich im März 2020 in Deutschland verbreitenden SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) erließ das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt am 18. und am 20. März 2020 Allgemeinverfügungen, aufgrund derer die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft im Mietobjekt vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen musste. Infolge der behördlich angeordneten Betriebsschließung entrichtete die Beklagte für den Monat April 2020 keine Miete.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung der Miete für den Monat April 2020 in Höhe von 7.854,00 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Beklagte - unter Abweisung der Klage im Übrigen - zur Zahlung von nur 3.720,09 € verurteilt. Infolge des Auftretens der COVID-19-Pandemie und der staatlichen Schließungsanordnung auf Grundlage der Allgemeinverfügungen sei eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten, die eine Anpassung des Vertrags dahin gebiete, dass die Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung auf die Hälfte reduziert werde.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Auf die Revisionen der Klägerin, die nach wie vor die volle Miete verlangt, und der Beklagten, die ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt, hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.

Die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und der Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts, insbesondere des § 313 BGB zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, ist nicht durch die für die Zeit vom 1. April 2020 bis zum 30. September 2022 geltende Vorschrift des Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass diese Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut und ihrem Gesetzeszweck allein eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters zum Ziel hat und nichts zur Höhe der geschuldeten Miete aussagt.

Die auf den Allgemeinverfügungen des Sächsischen Staatsministeriums beruhende Betriebsschließung hat jedoch nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB geführt, weshalb das Oberlandesgericht zu Recht eine Minderung der Miete nach § 536 Abs. 1 BGB abgelehnt hat. Ergeben sich aufgrund von gesetzgeberischen Maßnahmen während eines laufenden Mietverhältnisses Beeinträchtigungen des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts, kann dies zwar einen Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht. Die mit der Schließungsanordnung verbundene Gebrauchsbeschränkung der Beklagten erfüllt diese Voraussetzung nicht. Die behördlich angeordnete Geschäftsschließung knüpft allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Durch die Allgemeinverfügung wird jedoch weder der Beklagten die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch der Klägerin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt stand daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung. Das Vorliegen eines Mangels i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich auch nicht aus dem im vorliegenden Fall vereinbarten Mietzweck der Räumlichkeiten zur "Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs". Die Beklagte konnte nicht davon ausgehen, dass die Klägerin mit der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks eine unbedingte Einstandspflicht auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle einer Pandemie übernehmen wollte.

Dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen kann jedoch im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen. Dies hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt; seine Erwägungen zu einer möglichen Vertragsanpassung sind jedoch nicht frei von Rechtsfehlern.

Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ist im vorliegenden Fall die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung der Parteien wurde dadurch schwerwiegend gestört, dass die Beklagte aufgrund der zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlassenen Allgemeinverfügungen ihr Geschäftslokal in der Zeit vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen musste. Dafür, dass bei einer zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie behördlich angeordneten Betriebsschließung die tatsächliche Voraussetzung des § 313 Abs. 1 Satz 1 BGB einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage erfüllt ist, spricht auch die neu geschaffene Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB. Danach wird vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.

Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters wie im vorliegenden Fall auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten hat, beruhen nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie sind vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Durch die COVID-19-Pandemie hat sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst wird. Das damit verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.

Dies bedeutet aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Eine pauschale Betrachtungsweise wird den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht. Deshalb kommt die vom Oberlandesgericht vorgenommene Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht. Es bedarf vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.

Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Dabei können auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich. Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.

Das Oberlandesgericht hat nach der Zurückverweisung nunmehr zu prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.

Vorinstanzen:

LG Chemnitz – 4 O 639/20 - Urteil vom 26. August 2020

OLG Dresden – 5 U 1782/20 - Urteil vom 24. Februar 2021

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

§ 313 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. […]

Art. 240 § 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB, in Kraft seit dem 31.12.2020)

(1) Der Vermieter kann ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist glaubhaft zu machen. Sonstige Kündigungsrechte bleiben unberührt.

(2) Von Absatz 1 kann nicht zum Nachteil des Mieters abgewichen werden.

(3) Die Absätze 1 und 2 sind auf Pachtverhältnisse entsprechend anzuwenden.

(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nur bis zum 30. Juni 2022 anzuwenden.

§ 536 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Hat die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, oder entsteht während der Mietzeit ein solcher Mangel, so ist der Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit aufgehoben ist, von der Entrichtung der Miete befreit. Für die Zeit, während der die Tauglichkeit gemindert ist, hat er nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Eine unerhebliche Minderung der Tauglichkeit bleibt außer Betracht. […]

Art. 240 § 7 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB, in Kraft seit dem 31.12.2020)

(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat. […]