Skip to content

BVerfG: Verfassungsbeschwerde eines Presseunternehmens gegen eine im zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht unzulässig

BVerfG
Beschluss vom 10.11.2023
1 BvR 2036/23


Das BVerfG hat entschieden, dass die Verfassungsbeschwerde eines Presseunternehmens gegen eine in einem zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht unzulässig ist.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Unzulässige Verfassungsbeschwerde eines Presseunternehmens gegen eine in einem zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde eines überregional tätigen Presseunternehmens, seines Rechtsnachfolgers und zweier Mitarbeiter nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen eine in einem laufenden zivilrechtlichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungspflicht richtet. Damit wird der daneben gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

Die Beschwerdeführerin zu 1) - ein überregional tätiges Presseunternehmen - wird in dem Ausgangsverfahren von einem dem Erzbistum Köln angehörenden Geistlichen auf Unterlassung einer im Jahr 2021 veröffentlichten Berichterstattung in Anspruch genommen. Diese betraf den Vorwurf der dienstlichen Beförderung des Geistlichen trotz Kenntnis der Entscheidungsträger von gegen ihn erhobenen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs. Das Oberlandesgericht Köln bestimmte im Berufungsverfahren Termin zur Beweisaufnahme durch Vernehmung eines Zeugen, schloss die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung des Zeugen aus und legte unter anderem den im Termin anwesenden Mitarbeitern der Beschwerdeführerin zu 2), die den entsprechenden Geschäftsbereich der Beschwerdeführerin zu 1) zwischenzeitlich übernommen hatte, gemäß § 174 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) die Verpflichtung auf, über den Inhalt der Aussage des Zeugen und die Inhalte der Erörterung der Beweisaufnahme Stillschweigen zu bewahren. Die Beschwerdeführer sehen sich durch die auferlegte Geheimhaltungsverpflichtung in ihrer Pressefreiheit verletzt und rügen eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Verfassungsrechtlich relevante Fehler bei der Auslegung oder Anwendung der gesetzlichen Grundlage der angeordneten Geheimhaltungspflicht sind weder dargetan noch ersichtlich.

Sachverhalt:

Kläger des Ausgangsverfahren (im Folgenden: Kläger) ist ein dem Erzbistum Köln angehörender katholischer Geistlicher, der sich mit einer Unterlassungsklage gegen eine von der Beschwerdeführerin zu 1) im Jahr 2021 veröffentlichte Berichterstattung wendet. Die Berichterstattung betraf den Vorwurf einer dienstlichen Beförderung des Klägers trotz Kenntnis der Entscheidungsträger von gegen ihn erhobenen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs, die unter anderem auf einen internen Bericht des Erzbistums gestützt wurden. Der Kläger wurde im Nachgang zu dieser Berichterstattung beurlaubt; in einem kirchenrechtlichen Verfahren wurde er zwischenzeitlich freigesprochen.

Im Berufungsverfahren bestimmte das Oberlandesgericht Köln die Vernehmung eines Zeugen, auf dessen Schilderungen der interne Bericht des Erzbistums Bezug nimmt. Das Beweisthema umfasste die Frage, ob es „während der Zeit der Tätigkeit des Klägers (…) Saunabesuche, Alkohol, Masturbation und das Vorspielen von Pornofilmen im Zusammenhang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ gegeben habe. Der Berufungssenat schloss für die Dauer der Vernehmung des Zeugen die Öffentlichkeit aus und legte den im Termin anwesenden Mitarbeitern und dem Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zu 2) die Verpflichtung auf, über den Inhalt der Aussage des Zeugen und die Inhalte der Erörterung der Beweisaufnahme Stillschweigen zu bewahren. Die auf § 174 Abs. 3 GVG gestützte Auferlegung von Geheimhaltungspflichten begründete er damit, dass innerhalb der ihm eingeräumten Ermessensausübung das Schutzinteresse des Zeugen an der Wahrung seiner Anonymität und seines persönlichen Lebensbereichs das von der Beschwerdeführerin zu 2) geltend gemachte Recht aus Art. 5 Grundgesetz (GG) und das von ihr wiederholt bekundete Interesse an einer weiteren Berichterstattung überwiege.

Mit ihrer erhobenen Verfassungsbeschwerde und ihrem gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügen die Beschwerdeführer, die ihnen auferlegte Geheimhaltungsverpflichtung verletze sowohl ihre Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als auch das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da ihre Begründung eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen lässt.

Zwar beinhaltet die ausgesprochene Geheimhaltungsverpflichtung einen intensiven Eingriff in die Pressefreiheit der Beschwerdeführer. Verfassungsrechtlich relevante Fehler bei der Auslegung oder Anwendung von § 174 Abs. 3 GVG sind indes weder dargetan noch ersichtlich. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde legen die Beschwerdeführer ungeachtet einer gesteigerten Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Kommunikationsgrundrechte eine die Pressefreiheit verkennende Fehlgewichtung der schutzwürdigen Interessen des Zeugen bei einer Aussage in öffentlicher Sitzung nicht dar.

1. Die Aufarbeitung sexueller Übergriffe auf Kinder und Jugendliche durch Geistliche und sonstige Mitarbeiter der katholischen Kirche bildet allerdings ein gesellschaftliches Thema, das von einem herausragenden öffentlichen Informationsinteresse begleitet wird. Dem steht jedoch gegenüber, dass Prozesse zwar in der, aber nicht für die Öffentlichkeit stattfinden. Einer unbegrenzten Öffentlichkeit der Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht stehen gewichtige Interessen gegenüber. Für § 171b Abs. 1 GVG war es eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Entscheidung des Gesetzgebers, den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht davon abhängig zu machen, dass das Schutzinter­esse des Betroffenen überwiegt, sondern ihn bereits zu ermöglichen, wenn bei einer Verletzung schutzwürdiger Interessen des Betroffenen das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände nicht überwiegt. § 174 Abs. 3 GVG verstärkt diesen Schutz des Betroffenen. Er zielt damit zugleich - mittelbar - auf die Vermeidung von Einschüchterungseffekten ab, die bei Fehlen einer effektiv geschützten Aussagesituation auf Seiten der Betroffenen zu besorgen wären, und die zugleich die im öffentlichen Interesse stehende Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege beeinträchtigen würden.

2. Nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen ist es, mit den Beschwerdeführern das Beweisthema lediglich der Privat- oder gar nur der Sozialsphäre des Zeugen zuzuordnen. Indem es Hintergrund, Hergang und Folgen sexueller Handlungen umfasst, die dem Zeugen widerfahren sein sollen, berührt es vielmehr insgesamt dessen Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und Wahrung seiner Intimsphäre. Diesem Recht auch unter den Bedingungen der Rechtspflege in einer seinem Stellenwert gerecht werdenden Weise Rechnung zu tragen, sind die Gerichte durch Anwendung der ihnen in den Vorschriften der §§ 169 bis 174 GVG eingeräumten Befugnisse in besonderer Weise berufen. Das öffentliche Informationsinteresse ist daher nicht in gleicher Weise schützenswert wie die übrigen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Zeugen gegenübertretenden Interessen, insbesondere das öffentliche Interesse an einer ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung. Diesem Umstand wird die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.

3. Ebensowenig gelingt es den Beschwerdeführern, die ihnen auferlegte Geheimhaltungspflicht unter dem Aspekt der Erforderlichkeit nachvollziehbar anzugreifen.

Bereits nicht nachvollziehbar begründet haben die Beschwerdeführer, weshalb sich die ihnen auferlegte Geheimhaltungspflicht auch auf sämtliche etwaig identischen Tatsachen erstrecke, die bereits vor Vernehmung des Zeugen bekannt geworden seien. Weder dargelegt noch ersichtlich ist deshalb auch, weshalb die ausgesprochene Geheimhaltungsverpflichtung mit Blick auf § 353d Nr. 2 StGB nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen sollte.

Nicht nachvollziehbar darzulegen vermögen die Beschwerdeführer eine Verletzung der Pressefreiheit aber auch insoweit, als sie rügen, dass die Geheimhaltungsverpflichtung nicht auf identifizierende Tatsachen beschränkt worden sei. Abgesehen von der Vermeidung einer erneuten Aktivierung der bereits entstandenen Identifizierbarkeit durfte sich das Oberlandesgericht auch davon leiten lassen, nicht auch die unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgte Aussage des Zeugen zum Ursprung einer erneuten Konfrontation des Zeugen mit dem von ihm geschilderten Geschehnissen durch eine Berichterstattung der Beschwerdeführer werden zu lassen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LAG Niedersachsen: Beweisverwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess für datenschutzwidrige Aufzeichnungen einer Videoüberwachungsanlage

LAG Niedersachsen
Urteil vom 06.07.2022
8 Sa 1150/20


Das LAG Niedersachsen hat entschieden, dass ein Beweisverwertungsverbot in einem Kündigungsschutzprozess für datenschutzwidrige Aufzeichnungen einer Videoüberwachungsanlage besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Zu Gunsten des Klägers greift zudem ein Beweisverwertungsverbot ein. Hierauf stützt die Kammer ihre Erwägungen im Verhältnis zu den Ausführungen unter aaa) selbstständig und tragend.

Auf die hier streitgegenständliche behauptete Pflichtwidrigkeit vom 02.06.2018 – bezüglich der anderen beiden Pflichtwidrigkeiten stützt sich die Beklagte nicht auf Videoaufzeichnungen - ist das Bundesdatenschutzgesetz in der ab dem 25.05.2018 geltenden Fassung (im Folgenden nur: BDSG) sowie die Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union (EU-Verordnung 2016/679) anzuwenden.

Die Datenschutz-Grundverordnung (im Folgenden nur: DSGVO) ist am 24. Mai 2016 in Kraft getreten. Sie beansprucht seit dem 25.05.2018 in der gesamten Europäischen Union (EU) Geltung und hat die bisherige allgemeine Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG ersetzt.

Die hier streitgegenständlichen Vorgänge bezieht sich auf einen Tattag, der zeitlich nach dem 25.05.2018 gelegen ist. Die Beklagte hatte bei dem Einsatz der Videoüberwachungsanlage an den betreffenden Tagen die Bestimmungen der DSGVO und des BDSG in der ab dem 25.05.2018 geltenden Fassung zu beachten.

ccc) Für ein Beweisverwertungsverbot kommt es auf die Frage an, ob ein Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt und ob dieser Eingriff zulässig ist. Sofern die Datenerhebung und -verwertung nach den Bestimmungen des BDSG erfolgen durfte, kommt ein Beweisverwertungsverbot nicht in Betracht. Ist dies nicht der Fall, muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Verwertung der so gewonnenen Beweismittel durch das Gericht im Einzelfall einen Grundrechtsverstoß darstellt. Dies entspricht der Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - BAGE 163, 239), der das erkennende Gericht sich anschließt.

(1) Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Bestimmungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat. Ein Verwertungsverbot kann sich allerdings aus einer verfassungskonformen Auslegung des Verfahrensrechts ergeben. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG aber grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein „verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“ dann in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 14 mwN, BAGE 163, 239). Dies setzt in aller Regel voraus, dass die betroffenen Schutzzwecke des verletzten Grundrechts der Verwertung der Erkenntnis oder des Beweismittels im Rechtsstreit entgegenstehen. Die prozessuale Verwertung muss selbst einen Grundrechtsverstoß darstellen. Das ist der Fall, wenn das nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebundene Gericht ohne Rechtfertigung in eine verfassungsrechtlich geschützte Position einer Prozesspartei eingriffe, indem es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen Privaten perpetuierte oder vertiefte. Insofern kommt die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat zum Tragen. Auf eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch einen Privaten darf kein verfassungswidriger Grundrechtseingriff durch ein Staatsorgan „aufgesattelt“ werden.

(2) Obgleich die Vorschriften des BDSG nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und seine Verwertung im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen begrenzen, und obwohl es für das Eingreifen eines Verwertungsverbots darauf ankommt, ob bei der Erkenntnis- oder Beweisgewinnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist, sind die einfachrechtlichen Vorgaben insofern nicht ohne Bedeutung. Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung konkretisieren und aktualisieren für den Einzelnen den Schutz seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (vgl. vor allem die in §§ 32 ff. BDSG n.F. geregelten Rechte der betroffenen Person). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nicht-öffentliche Stellen in diese Rechtspositionen erlaubt sind (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 15 mwN, BAGE 163, 239 zum BDSG a.F.).

(3) § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG stellt für die Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten eines Beschäftigten, die der Arbeitgeber durch eine Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume erlangt hat, eine eigenständige, von den Voraussetzungen des § 4 BDSG unabhängige Erlaubnisnorm dar. Ist danach eine bestimmte Datenverarbeitung oder -nutzung rechtmäßig, kommt es im Verhältnis zu den betroffenen Arbeitnehmern nicht darauf an, ob die Anforderungen gemäß § 4 BDSG erfüllt sind. Die für die Überwachung im öffentlichen Raum geltende Bestimmung schließt eine eigenständige Rechtfertigung der Datenverarbeitung nach § 26 BDSG nicht aus. Diese Vorschrift dient speziell dem Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Bezug auf den Beschäftigtendatenschutz (BT-Drs. 16/13657 S. 20 f.). Dagegen soll § 4 BDSG - unabhängig von den aufgrund der engeren schuldrechtlichen Bindungen im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses bestehenden Interessen - den Schutz der Allgemeinheit vor einem Ausufern der Videoüberwachung im öffentlichen Raum gewährleisten. Für die Eigenständigkeit der Erlaubnistatbestände des § 26 BDSG spricht auch, dass die Videoüberwachung nicht öffentlich zugänglicher (Arbeits-)Räume im BDSG nicht gesondert geregelt ist. Ihre Zulässigkeit richtet sich daher, soweit Arbeitnehmer betroffen sind, allein nach § 26 BDSG. Es erschiene aber wenig plausibel, wenn bezogen auf den Beschäftigtendatenschutz von Arbeitnehmern, die in öffentlich zugänglichen Räumen arbeiten, andere Maßstäbe gelten sollten als für Arbeitnehmer, die dies nicht tun (vgl. zu alledem - noch zum BDSG a.F. - BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –, BAGE 163, 239; BAG 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 43, BAGE 156, 370).

(4) Die Verarbeitung und Nutzung von rechtmäßig erhobenen personenbezogenen Daten nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG muss „erforderlich“ sein. Es hat eine „volle“ Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen (vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 30). Die Verarbeitung und die Nutzung der personenbezogenen Daten müssen geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Die Datenverarbeitung und -nutzung darf keine übermäßige Belastung für die Betroffenen darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen (BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 30, BAGE 159, 380). Dies beurteilt sich ggf. für jedes personenbezogene Datum gesondert.

(5) War die betreffende Maßnahme nach den Vorschriften des BDSG zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild vor. Ein Verwertungsverbot scheidet von vornherein aus. So liegt es namentlich, wenn die umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen und Grundrechtspositionen im Rahmen der Generalklauseln des § 32 Abs. 1 BDSG aF (jetzt: § 26 Abs. 1 BDSG) zugunsten des Arbeitgebers ausfällt (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 15, BAGE 163, 239).

(6) War die fragliche Maßnahme nach den Bestimmungen des BDSG nicht erlaubt, muss gesondert geprüft werden, ob die Verwertung von im Zuge dieser Maßnahme gewonnenen Erkenntnissen oder Beweismitteln durch das Gericht einen Grundrechtsverstoß darstellen würde. Daran kann es zum einen fehlen, wenn die Unzulässigkeit der vom Arbeitgeber durchgeführten Maßnahme allein aus der (Grund-)Rechtswidrigkeit der Datenerhebung(en) gegenüber anderen Beschäftigten resultiert oder die verletzte einfachrechtliche Norm keinen eigenen „Grundrechtsgehalt“ hat. Zum anderen kann es sein, dass die gerichtliche Verwertung weder einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellt noch aufgrund einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht zu unterlassen ist, weil durch sie die ungerechtfertigte „vorprozessuale“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Prozesspartei nicht perpetuiert oder vertieft würde und der Verwertung auch Gründe der Generalprävention nicht entgegenstehen (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 15 mwN, BAGE 163, 239).

(7) Sofern danach ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht besteht, erfasst dieses nicht allein das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst, sondern steht auch einer mittelbaren Verwertung, wie der Vernehmung von Zeugen über den Inhalt des Beweismittels, entgegen (vgl. BVerfG 31. Juli 2001 - 1 BvR 304/01 - zu II 1 b bb der Gründe; BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 19, BAGE 157, 69). In solchen Fällen darf folgerichtig weder eine Inaugenscheinnahme der Videoaufnahmen erfolgen, noch darf das Gericht dem weiteren Beweisangebot der Beklagten auf Vernehmung der mit der Auswertung der Aufnahmen betrauten Personen als Zeugen nachgehen.

ddd) Die Heranziehung, Betrachtung und Auswertung der Videoaufzeichnungen der an den Toreingängen zum Betriebsgelände der Beklagten installierten Kameras zum Zwecke der Prüfung, ob der Kläger am 02.06.2018 das Betriebsgelände betreten und verlassen hat, stellt eine Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten iSd. § 26 Abs. 1 BDSG dar. Sie ist vorliegend weder für die Durchführung noch für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses (Satz 1) noch für die Aufdeckung einer Straftat (Satz 2) erforderlich.

(1) Es fehlt bereits an der grundsätzlichen – abstrakten - Geeignetheit des eingesetzten Mittels der Videoüberwachung, um den hier von der Beklagten erstrebten Zweck der Überprüfung eines vertragsgemäßen Verhaltens sowie des Nachweises eines Arbeitszeitbetruges zu führen. Die Aufzeichnungen der Videokameras dokumentieren lediglich den Zutritt der Arbeitnehmer auf das Werksgelände sowie das Verlassen desselben. Die Arbeitszeit beginnt nach der bei der Beklagten geltenden Arbeitsordnung nicht mit dem Betreten des Werksgeländes und endet nicht mit dessen Verlassen. Sie beginnt erst und endet schon mit dem Erreichen bzw. Verlassen des auf dem weitläufigen Betriebsgelände befindlichen Arbeitsplatzes. Aus der Videoaufzeichnung kann nur auf eine Anwesenheit des Arbeitnehmers auf dem Betriebsgelände, nicht aber auf seine Anwesenheit am Arbeitsplatz geschlossen werden. Zudem ist fraglich, ob Arbeitnehmer, die das Werksgelände mit Schutzkleidung oder – beispielsweise im Winter – mit Kopfbedeckung betreten, stets hinreichend klar identifiziert werden können. Angesichts des Umstandes, dass der Zugang zum Werksgelände durch zahlreiche Eingänge möglich ist, wären Schlüsse auf die An- oder Abwesenheit von Arbeitnehmern auf dem Werksgelände zudem grundsätzlich nur dann mit hinreichender Sicherheit zu ziehen, wenn die Aufzeichnungen sämtlicher Videokameras für den betreffenden Zeitraum lückenlos, also ohne zeitliche Unterbrechungen, gefertigt und auch ausgewertet würden, da ansonsten nicht sicher davon ausgegangen werden kann, dass sämtliche Zutritte, auch z.B. solche, die im Anschluss an das Verlassen des Werksgeländes (z.B. nach einer Pause) erneut erfolgen, auch erkannt werden.

(2) Das Mittel der Videoüberwachung und -aufzeichnung ist darüber hinaus zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten und zur Aufdeckung einer damit im Zusammenhang stehenden Straftat auch nicht erforderlich, da hierzu andere Mittel zur Verfügung stehen, die die Ableistung von Arbeitszeiten verlässlicher dokumentieren. So kann an dem Ort, an dem die Arbeitsleistung nach der Arbeitsordnung der Beklagten beginnt und endet – d.h., der Betriebsabteilung auf dem Gelände, in der sich der Arbeitsplatz befindet – eine Anwesenheitserfassung der Beschäftigten durch Vorgesetzte oder auch durch technische Einrichtungen wie eine Stempelkarte erfolgen. Soll die Dokumentation der An- und Abwesenheit bereits beim Zu- und Abgang auf bzw. vom Werksgelände erfolgen, kann auch im Zusammenhang damit eine elektronische Anwesenheitserfassung in Form von Karten und Kartenlesegeräten an den Werkstoren Verwendung finden, wobei dann die Befugnisse der Beklagten zur Auswertung dieser Daten nicht – wie vorliegend geschehen – durch Betriebsvereinbarung dahingehend eingeschränkt werden dürften, dass eine personenbezogene Auswertung nicht stattfinde. Weiß der Arbeitnehmer, dass er sich mit der Verwendung einer Karte nicht nur den Zugang freischaltet, sondern seine Anwesenheitszeiten zum Zwecke des Nachweises der Erbringung von Arbeitsleistung erfasst, und ist die Befugnis der Auswertung der gewonnenen Daten zu diesem Zweck auch klar geregelt, stünde deren Verwertung – auch im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses – nichts entgegen.

(3) Das Mittel der Videoüberwachung ist schließlich vorliegend zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten und zur Aufdeckung einer damit im Zusammenhang stehenden Straftat auch nicht angemessen. Sowohl die sachliche als auch die zeitliche Intensität des Eingriffs sind erheblich und stehen vorliegend außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe. Die Videokameras erfassen sämtliche Zu- und Abgänge von Arbeitnehmern an sämtlichen Eingängen zum Betriebsgelände durch Bildaufzeichnungen. Aus ihnen lassen sich auch Schlüsse darauf ziehen, mit welchem zeitlichen Vorlauf zum Beginn der Arbeitszeit der Arbeitnehmer das Gelände betritt, wie er gekleidet ist, ob und von wem er ggf. begleitet wird u.a.m. Vor allem aber hat die Beklagte bei ihren Untersuchungen von Unregelmäßigkeiten auf Videoaufzeichnungen zurückgegriffen, die erhebliche Zeit zurücklagen. Der Untersuchungsbericht der Konzern Sicherheit Forensik führt als Datum den „07.06.2019“ auf. Da der Bericht zeitlich nachgelagerte Ereignisse enthält, so etwa die sämtlich am 26.08.2019 durchgeführten Befragungen des Klägers und seiner Kollegen, kann der Bericht nicht am 07.06.2019 abgeschlossen worden sein. Ob es sich um den Beginn der Ermittlungen handelt, ist nicht vollständig klar. Jedenfalls liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beginn der Ermittlungen eine maßgebliche Zeit vor dem 07.06.2019 lag. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Beklagte sich zur Aufklärung der anonym erhobenen Vorwürfe der Sichtung von Videoaufzeichnungen bedient hat, die seinerzeit bereits (teilweise) ein Jahr lang zurücklagen. Diese Vorgehensweise widerspricht eklatant den Grundsätzen der Datenminimierung und Speicherbegrenzung, die in Art. 5 DSGVO als dem maßgeblichen und nicht durch Art. 88 DSGVO verdrängten europäischen Recht ihren Niederschlag gefunden haben, wobei angesichts des zeitlichen Ausmaßes des Rückgriffs unentschieden bleiben kann, ob die – auch aus Sicht der Kammer recht weitgehende - Ansicht der Datenschutzaufsichtsbehörden (DSK, Kurzpapier Nr. 15) zutrifft, dass Videoaufzeichnungen regelmäßig binnen 48 Stunden zu löschen sind.

(4) Die Sachlage ändert sich auch nicht dadurch, dass die Beklagte mit der Einrichtung der Videoüberwachung primär die Verhinderung des Zutritts Unbefugter auf das Betriebsgelände sowie die Unterbindung bzw. den Nachweis von Eigentumsdelikten verfolgt bzw. verfolgen mag. Auch wenn man davon ausgeht, dass diese Zwecke eine präventive, offene Videoaufzeichnung und ggf. auch die Speicherung der Aufzeichnungen für längere Zeiträume rechtfertigen könnten, ist es der Beklagten verwehrt, diese Aufzeichnungen zum Zweck der Aufklärung des Verdachts eines Arbeitszeitbetruges heranzuziehen. Das gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem die Beklagte die bei ihr vorgehaltenen Aufzeichnungen gezielt im Hinblick auf den Verdacht eines Arbeitszeitbetruges gesichtet hat. Es handelt sich damit nicht um einen ggf. verwertbaren „Zufallsfund“, der aus Anlass einer zulässigen, anders gearteten Verwertung der Videoaufzeichnungen entstanden ist.

eee) Die Verwertung der im Zuge der Videoüberwachung gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel der Beklagten durch das Gericht würde vorliegend auch einen Grundrechtsverstoß darstellen. Die seitens der Beklagten durchgeführte Maßnahme ist nicht allein deshalb unzulässig, weil ihre Datenerhebung gegenüber anderen Beschäftigten rechtswidrig wäre, sie ist vielmehr gerade deshalb unzulässig, weil sie sachlich und zeitlich in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht (Art. 1 GG) des Klägers eingreift. Würde eine gerichtliche Verwertung erfolgen, stellte dies einen erneuten ungerechtfertigten Grundrechtseingriff dar und wäre aufgrund der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Gerichts zu unterlassen, weil hierdurch die ungerechtfertigte „vorprozessuale“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers in erheblichem Maße perpetuiert und vertieft würde. Schließlich gebieten auch Gründe der Generalprävention, die Videoaufzeichnungen der Beklagten nicht zum Zweck des Nachweises eines behaupteten, lange Zeit zurückliegenden Arbeitszeitbetruges zu verwerten.

cc) Das Gericht hatte auch keinen Zeugenbeweis zu erheben.

Aus dem oben Ausgeführten folgt, dass das Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Videoaufzeichnungen sich auf die Vernehmung der Zeugen erstreckt, die nach dem Beweisangebot der Beklagten über die bei Sichtung des Videos gemachten Beobachtungen berichten sollen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


ArbG Köln: Entgegen der DSGVO oder anderweitig datenschutzwidrig erlangte Tatsachen können einem Verwertungsverbot im Prozess unterliegen

ArbG Köln
Urteil vom 23.03.2022
18 Ca 6830/21

Das ArbG Köln hat entschieden, dass entgegen der DSGVO oder anderweitig datenschutzwidrig erlangte Tatsachen einem Verwertungsverbot im Prozess unterliegen können.

Aus den Entscheidungsgründen:
(2)Der Zugrundelegung des entsprechenden Tatsachenvortrags der Beklagten als unstreitig steht – entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht entgegen, dass die Beklagte das maßgebliche Indiz für die Täuschung der Klägerin widerrechtlich – unter Verletzung des ihr gebührenden Datenschutzes – erlangt hätte.

(a) Allerdings können Verstöße gegen das Recht auf den durch Art. 8 Abs. 1 GRCh gebotenen Schutz der personenbezogenen Daten bzw. das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG abzuleitende Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. November 2010 – 1 BvF 2/05 –, BVerfGE 128, 1-90, Rn. 150 ff. mwN) zu prozessualen Verwertungsverboten führen:

Für die Rechtslage bis zum Inkrafttreten der unionsrechtlichen Datenschutz-Grundverordnung hat das Bundesarbeitsgericht die Frage prozessualer Verwertungsverbote rein an verfassungsrechtlichen Maßstäben bemessen und – verkürzt - wie folgt beantwortet:

In Fällen, in denen die dem Sachvortrag einer Partei zugrunde liegende Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Partei verletzt, ohne dass dies durch überwiegende Belange gerechtfertigt ist, kommt ein „verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“ in Betracht. Obwohl der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG es im Zivilprozess grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kann dann eine Verwertung durch das Gericht unzulässig sein, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist. Dies ist dann der Fall, wenn die prozessuale Verwertung der Erkenntnis oder des Beweismittels selbst einen Grundrechtsverstoß darstellen würde und das nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebundene Gericht ohne Rechtfertigung in eine verfassungsrechtlich geschützte Position einer Prozesspartei eingriffe, indem es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen Privaten perpetuierte oder vertiefte. Insofern kommt die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat zum Tragen. Auf eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch einen Privaten darf kein verfassungswidriger Grundrechtseingriff durch ein Staatsorgan „aufgesattelt“ werden (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urteil vom 28. März 2019 – 8 AZR 421/17 –, Rn. 28, juris mwN).

Ein verfassungsrechtlich gebotenes Verbot der Verwertung von Sachvortrag und Beweismitteln hat Auswirkungen auf die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO und damit auf die Einordung eines Sachvortrags als streitig oder unstreitig. Sieht eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer von einem - ggf. wahrheitswidrigen - Bestreiten des gegnerischen Sachvortrags ab, bewirkt ein Sachvortragsverwertungsverbot, dass das inkriminierte Vorbringen des Arbeitgebers gleichwohl als bestritten zu behandeln ist (BAG, Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –, BAGE 163, 239-256, Rn. 16).

Ob eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vorlag oder nicht, hat das Bundesarbeitsgericht danach beurteilt, ob die zu verwertenden Daten unter Verstoß gegen die einfachgesetzlichen Datenschutzvorschriften erlangt wurden oder nicht. Diese Bestimmungen (des BDSG aF) konkretisierten und aktualisierten für den Einzelnen den Schutz seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Sei die betreffende Maßnahme nach den Vorschriften des BDSG aF zulässig gewesen, läge keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor. Ein Verwertungsverbot scheide von vornherein aus. Nur dann, wenn die fragliche Maßnahme nach diesen Bestimmungen nicht erlaubt gewesen sei, müsse gesondert geprüft werden, ob die Verwertung gewonnener Erkenntnisse im Prozess einen Grundrechtsverstoß durch das Gericht darstellen würde (vgl. BAG, Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –, BAGE 163, 239-256, Rn. 15 mwN).

(b) An diesen Bewertungsmaßstäben hat sich durch das Inkrafttreten der unmittelbar geltenden Datenschutzgrundverordnung (Art. 288 Abs. 2 AEUV) am 25.05.2018 keine wesentliche Änderung ergeben. Die Frage der Verwertbarkeit datenschutzwidrig erlangter Informationen richtet sich nach den Bestimmungen der Verordnung. Dabei enthält die DS-GVO kein vorbehaltloses Verbot der gerichtlichen Verwertung unrechtmäßig erlangter Daten (Arg. e Art. 17 Abs. 3 lit. e DS-GVO). Die Datenverarbeitung hat dem einschlägigen Erlaubnistatbestand nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e, Abs. 3 S. 1 lit. b DS-GVO iVm. § 3 BDSG zu genügen. Danach ist die Verwertung des Sachvortrags durch das Gericht zulässig, wenn dies zur Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben erforderlich ist. Im Rahmen der danach vorzunehmenden umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Abwägung der aus Art. 7 und Art. 8 GRCh bzw. Art. 2 Abs. 1 iVm. 1 Abs. 1 GG folgenden Rechte besteht Raum und Relevanz für die auch nach der bisherigen Rechtsprechung vorgenommene datenschutzrechtliche Vorprüfung der außerprozessualen Erkenntnisgewinnung (vgl. BAG, Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –, BAGE 163, 239-256, Rn. 47; Schindler DRiZ 2021, 370, 373; Frank/Heine, BB 2021, 884, 885; Tiedemann, ZD 2019, 230, 231).

(c)Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze erweist sich der Vortrag der Beklagten als verwertbar. Die von der Beklagten vorgenommene Verarbeitung der Gesundheitsdaten der Klägerin war durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. c DS-GVO iVm. § 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG in der vom 24.11. bis 11.12.2021 geltenden Fassung (aF) gedeckt und damit rechtmäßig.

Unabhängig vom Vorliegen einer Einwilligung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. a DS-GVO war die Beklagte am 03.12.2021 berechtigt, den Impfstatus der Klägerin zu dokumentieren. Denn nach § 28b Abs. 3 Satz 1 IfSG aF war sie ab dem 24.11.2021 - das Datum der Mitarbeiterinformation hierzu (22.11.2021) ist insoweit ebenso irrelevant wie die von der Klägerin beklagte Uneindeutigkeit des entsprechenden Rund-Schreibens -gesetzlich verpflichtet, die Einhaltung der nach § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG aF geltenden 3-G-Zutrittsbeschränkung zum Betrieb zu überwachen und zu dokumentieren. Nach § 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG aF war ihr zu diesem Zweck die Verarbeitung der personenbezogene Daten der Mitarbeiter einschließlich der Daten zum Impfstatus erlaubt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin den Impfausweis nicht zum Nachweis der Zutrittsvoraussetzungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG aF vorgelegt hätte. Jedenfalls konnte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass sie trotz ihres positiven Impfstatus die Einhaltung der 3-G-Regel durch eine Testung (über-) erfüllen wollte. Dass die Nachweis-Vorlage auch der Kontrolle der Einhaltung der 2-G-Vorgabe für die von der Klägerin weiterhin durchgeführten Kunden-Präsenztermine dienen konnte, würde zusätzlich eine Rechtfertigung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG bedeuten.

In Erfüllung der aus § 28b Abs. 3 Satz 1 IfSG aF folgenden Kontroll-Verpflichtung war die Beklagte nach Abs. 3 Satz 3 auch zur Verarbeitung durch Abgleich mit den öffentlich erhältlichen Daten der Chargenabfrage – welche selbst keine personenbezogenen Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO bzw. des BDSG § 46 Nr. 1 BDSG enthielt - berechtigt. Nur so konnte die Beklagte mangels Vorlage des QR-Codes sicherstellen, dass tatsächlich der behauptete Impfstatus gegeben war.

Es kann dahinstehen, ob aufgrund des frühen Erst-Impftermins der Klägerin eine Rechtfertigung der Datenverarbeitung auch nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG bestand.

(d) Selbst wenn man den Abgleich der Daten aus dem Impfausweis der Klägerin mit den Daten aus der Chargenabfrage als nicht von den datenschutzrechtlichen Bestimmungen gedeckt ansehen wollte, wäre die Verwertung des darauf basierenden Sachvortrags im vorliegenden Kündigungsschutzverfahren nach Auffassung der Kammer zulässig:

Die Beeinträchtigung des Rechts der Klägerin auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten tritt angesichts der hohen Bedeutung der Verpflichtung ihrer Arbeitgeberin auf Kontrolle der gesetzlichen Infektionsschutzvorgaben zurück: Ein Arbeitnehmer, der seinem Arbeitgeber zum Nachweis der Einhaltung gesetzlicher oder auch vertraglich verbindlich gesetzter Infektionsschutzregeln eine unrichtige Urkunde vorlegt, ist bezogen auf die darin enthaltenen - unzutreffenden – personenbezogenen Daten nicht derart schutzwürdig, dass die staatlichen Gerichte an der Verwertung der durch die Datenverarbeitung gewonnenen Erkenntnisse gehindert wären. Das folgt aus der Wertung des Gesetzgebers, der im Zeitpunkt der Datenverarbeitung bereits die Vorlage unrichtiger Gesundheitszeugnisse in § 279 StGB unter Strafe gestellt und diesen Straftatbestand als Offizialdelikt ausgestaltet hatte. Mit Blick auf die durch den Gebrauch des unrichtigen Impfpasses folgende Gefährdung der Allgemeinheit und die geringe Eingriffsintensität in Bezug auf unrichtige Gesundheitsdaten wäre ein prozessuales Verwertungsverbot nicht gerechtfertigt.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Berlin: Verwertungsverbot im Zivilprozess für Informationen die aufgrund unzulässiger Videoüberwachung erlangt wurden

LG Berlin
Urteil vom 13.02.2020
67 S 369/18


Das LG Berlin hat entschieden, dass im Zivilprozess ein Verwertungsverbot für Informationen besteht, die aufgrund unzulässiger Videoüberwachung erlangt wurden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Es kann hier dahinstehen, ob den Beklagten substantiierterer Gegenvortrag überhaupt möglich gewesen wäre. Er war ihnen jedenfalls nicht zumutbar. Denn das Prozessrecht legt keiner Partei die Pflicht auf, von der Gegenseite behauptete Tatsachen zu bestreiten, wenn der Vortrag auf Informationen beruht, die die Gegenseite grundrechtswidrig erlangt hat (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urt. v. 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443, beckonline Tz. 25 m.w.N.). So aber liegt der Fall hier. Die Klägerin hat die für ihren Prozessvortrag zum Kündigungssachverhalt erforderlichen Informationen im Wesentlichen grundrechtswidrig erlangt, da die von ihr heimlich veranlassten Videoaufzeichnungen des Wohnungseingangsbereichs der von den Beklagten innegehaltenen Wohnungen einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beklagten darstellen, der nicht durch das in Art. 14 GG verbriefte Recht der Klägerin, geeignete und erforderliche Maßnahmen zum Schutz des Eigentums zu ergreifen, gerechtfertigt war.

Zwar kann die von einem Vertragspartner veranlasste Videoüberwachung eines anderen Vertragspartners nicht nur zur Aufdeckung von Straftaten, sondern ebenso zur Aufdeckung eines auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung zulässig sein (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urt. v. 29. Juni 2017 - 2 AZR 597/16, NJW 2017, 2853, juris Tz. 30 ff.; Kammer, Urt. v. 3. Juli 2018 - 67 S 20/18, WuM 2018, 562, beckonline Tz. 20). Eine Videoüberwachung mit Aufzeichnungsfunktion greift indes in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 15. Mai 2018 -VI ZR 233/17, NJW 2018, 2883, beckonline Tz. 41).

[...]

Damit fällt der Klägerin, die sich als landeseigenes Wohnungsunternehmen gegenüber ihren Wohnraummietern überwachungsstaatlicher Ausforschungsmethoden bedient hat, eine schwerwiegende vorprozessuale Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beklagten zur Last. Diese Verletzung würde perpetuiert und vertieft, wenn dem Sachvortrag der Klägerin inso weit prozessuale Berücksichtigung zu Teil würde (vgl. BAG, Urt. v. 23. August 2018-2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329, beckonline Tz. 15 m.w.N.). Das Vorbringen der Klägerin unterfällt deshalb nicht nur einem Beweis-, sondern auch einem bereits auf der Darlegungsebene verorteten Sachvortragsverwertungsverbot. Damit hätte das der Begründung der Kündigungen dienende Prozessvorbringen der Klägerin bei der Urteilsfindung selbst dann keine Berücksichtigung gefunden, wenn sich die Beklagten zu dem Vorbringen der Klägerin überhaupt nicht erklärt, sondern lediglich auf die Grundrechtswidrigkeit der Informationserlangung berufen hätten (vgl. BAG, Urt. v. 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443, beckonline Tz. 25).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: