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EuGH: Bei fehlender Belehrung über Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenem Dienstleistungsvertrag muss Kunde nach Widerruf schon erbrachte Dienstleistungen nicht bezahlen

EuGH
Urteil vom 17.05.2023
C-97/22
Widerruf nach Vertragserfüllung)


Der EuGH hat entschieden, dass bei fehlender Belehrung über das Widerrufsrecht bei einem außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrag, der Kunde nach Widerruf bereits erbrachte Dienstleistungen nicht bezahlen muss.

Tenor der Entscheidung:

Art. 14 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i und Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sind dahin auszulegen, dass sie einen Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreien, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags erbracht wurden, wenn ihm der betreffende Unternehmer die Informationen gemäß Art. 14 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i nicht übermittelt hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht: Widerruft ein Verbraucher einen bereits erfüllten, außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrag, so ist er von jeder Zahlungspflicht befreit

Der Unternehmer muss somit die Kosten tragen, die ihm für die Erfüllung des Vertrags während der Widerrufsfrist entstanden sind.

Ein Verbraucher schloss mit einem Unternehmen einen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation seines Hauses. Das Unternehmen versäumte es jedoch, ihn über das Widerrufsrecht zu unterrichten, das dem Verbraucher grundsätzlich während 14 Tagen zusteht, da der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmens abgeschlossen worden war.

Nach Erbringung seiner vertraglichen Leistungen legte das Unternehmen dem Verbraucher die entsprechende Rechnung vor. Dieser beglich die Rechnung nicht, sondern widerrief den Vertrag. Er macht geltend, dass das Unternehmen keinen Anspruch auf Vergütung habe, da es versäumt habe, ihn über sein Widerrufsrecht zu unterrichten und da die Arbeiten vor Ablauf der Widerrufsfrist (die sich bei einem solchen Versäumnis um ein Jahr verlängere) ausgeführt worden seien.

Das mit einem Rechtsstreit über diesen Anspruch befasste deutsche Gericht vertritt die Auffassung, dass ein Verbraucher nach den Bestimmungen des deutschen Rechts, die zur Umsetzung der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher erlassen worden seien, nicht für die vor Ablauf der Widerrufsfrist erbrachte Dienstleistung aufzukommen brauche, wenn der Unternehmer es versäumt habe, ihn über sein Widerrufsrecht zu unterrichten.

Das deutsche Gericht fragt sich jedoch, ob diese Richtlinie jeglichen Anspruch des Unternehmers auf „Wertersatz“ auch dann ausschließt, wenn dieser Verbraucher sein Widerrufsrecht erst nach Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags ausgeübt hat. Auf diese Weise könnte der Verbraucher nämlich einen Vermögenszuwachs erlangen, was dem Grundsatz des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung, einem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, zuwiderliefe. Das deutsche Gericht hat daher den Gerichtshof ersucht, die Richtlinie unter diesem Gesichtspunkt auszulegen.

Mit seinem Urteil vom heutigen Tag beantwortet der Gerichtshof dieses Ersuchen dahingehend, dass ein Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreit ist, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags erbracht wurden, wenn der betreffende Unternehmer ihn nicht über sein Widerrufsrecht informiert hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.

Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher in dem besonderen Kontext des Abschlusses eines Vertrags außerhalb von Geschäftsräumen schützen. In diesem Kontext steht der Verbraucher nämlich möglicherweise psychisch stärker unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt. Daher ist die Information über das Widerrufsrecht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung und erlaubt ihm, die Entscheidung, ob er den Vertrag abschließen soll oder nicht, in Kenntnis der Sachlage zu treffen.

Hinsichtlich der Frage des vom Verbraucher auf diese Weise erzielten Vermögenszuwachses und des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie den Zweck verfolgt, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen. Dieses Ziel geriete indessen in Gefahr, falls zugelassen würde, dass einem Verbraucher in der Folge seines Widerrufs eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags Kosten entstehen könnten, die in der Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen sind.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

AG Köln: Vorgaben der Buttonlösung gemäß § 312j BGB gelten analog auch für Vertragsbeendigungen durch Schaltflächen in standardisierten E-Mails

AG Köln
Urteil vom 13.02.2023
133 C 189/22


Das AG Köln hat entschieden, dass die Vorgaben der Buttonlösung gemäß § 312j BGB analog auch für Vertragsbeendigungen durch Schaltflächen in standardisierten E-Mails gelten.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 4.112,65 EUR aus §§ 631, 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 Alt. 1 BGB gegen die Beklagte vollumfänglich zu.

1. Der Kläger als Partei des mit der Beklagten bestehenden Luftbeförderungsvertrags ist hinsichtlich des in Rede stehenden Schadensersatzanspruchs aktivlegitimiert.

2. Die Beklagte hat ihre aus dem Vertrag resultierende Pflicht zur Beförderung des Klägers und der Mitreisenden verletzt, da sie trotz des Anklickens des Buttons „Ich möchte eine Erstattung anfordern“ durch den Kläger weiterhin zur Leistung verpflichtet war. Denn der Luftbeförderungsvertrag ist durch das Anklicken nicht beendet worden, da die Beklagte ihren analog § 312j Abs. 3 BGB bestehenden Pflichten nicht genügt hat.

a) Gemäß § 312j Abs. 3 BGB hat der Unternehmer die Bestellsituation bei einem Vertrag nach § 312j Abs. 2 BGB so zu gestalten, dass der Verbraucher mit seiner Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet. Erfolgt die Bestellung über eine Schaltfläche, ist die Pflicht des Unternehmers aus § 312j Abs. 3 S. 1 BGB nur erfüllt, wenn diese Schaltfläche gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet ist. Gemäß § 312j Abs. 4 BGB kommt ein Vertrag nach Absatz 2 nur zustande, wenn der Unternehmer seine Pflicht aus § 312j Abs. 3 BGB erfüllt.

Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem – dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden – Regelungsplan ergeben (stdg. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2022 – IV ZR 143/21BeckRS 2022, 36827 Rn. 13 m.w.N.).

b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. § 312j Abs. 3 BGB ist auf standardisierte E-Mails, in denen der Unternehmer dem Verbraucher die Vertragsbeendigung per Auswahl-Button ermöglicht, analog anwendbar.

(1) Eine Regelungslücke ist gegeben. Denn das deutsche Recht kennt keine Regelung, die Vorgaben zur Beschriftung von Schaltflächen bei der Vertragsbeendigung im elektronischen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern zum Zwecke der Warnung vor der etwaigen Nicht-Erstattung erfolgter Zahlungen enthält.

(a) Während der Gesetzgeber durch die Einführung des § 312j BGB (ursprünglich § 312g BGB) bestimmte Voraussetzungen für das Zustandekommen (Hervorhebung durch das Gericht) von Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr – vornehmlich die Pflicht des Unternehmers, die Schaltfläche für die Bestellung mit dem eindeutigen Hinweis für den Verbraucher auf die Zahlungspflicht zu versehen, sog. Buttonlösung (vgl. BT-Drs. 17/7745, S. 6 f.), – kodifiziert hat, fehlt es an solchen eindeutigen Bestimmungen für die Vertragsbeendigung.

(b) Entsprechende Voraussetzungen folgen insbesondere nicht aus § 312d Abs. 1 S. BGB i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 14, Abs. 2 EGBGB. Diese sind ungeeignet, den Verbraucher vor der Andienung der Vertragsbeendigung durch den Unternehmer zu schützen, weil sie nicht unmittelbar vor Vertragsbeendigung mitgeteilt werden müssen (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt BeckOK BGB/Martens, 64. Edition, Stand 01.11.2022, § 312d BGB Rn. 3).

(c) Eine Regelungslücke ist auch nicht deswegen zu verneinen, weil auf die Willenserklärungen bei der Vertragsbeendigung die allgemeinen Regeln über die Anfechtung im Irrtumsfall nach § 119 BGB bzw. § 123 BGB Anwendung finden. Denn die Regelungen der Anfechtung gewähren dem Verbraucher im elektronischen Geschäftsverkehr kein mit § 312j Abs. 3 BGB vergleichbares Schutzniveau. Der Gesetzgeber hat sich bei der Einführung des BGB dazu entschlossen, irrtumsbelastete Willenserklärungen nicht aus sich heraus als nichtig anzusehen, sondern die nachträgliche Anfechtung mit der Folge des § 142 Abs. 1 BGB zuzulassen (vgl. MüKo BGB/Armbrüster, 9. Auflage 2021, § 119 BGB Rn. 1). Es handelt sich also bei der Irrtumsfreiheit nicht um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Willenserklärung. Damit geht einher, dass derjenige, der eine Willenserklärung anfechten möchte, die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Tatsachen, die den Irrtum begründen, trägt (vgl. MüKo BGB/Armbrüster, a.a.O., § 119 BGB Rn. 153). Die analoge Anwendung des § 312j Abs. 3 BGB auf den Fall der Vertragsbeendigung führt hingegen dazu, dass die ordnungsgemäße Information des Verbrauchers über etwaige nicht erstattungsfähige Zahlungen eine Wirksamkeitsvoraussetzung der vertragsbeendenden Willenserklärung darstellt. Denn in direkter Anwendung stellt § 312j Abs. 3 BGB eine Wirksamkeitsvoraussetzung des Vertragsschlusses dar, vergleichbar mit der Wirkung einer Formvorschrift (vgl. BT Drs. 17/7745, S. 12; BeckOGK/Busch, Stand: 01.06.2021, § 312j BGB Rn. 47.1 m.w.N.). Dies muss dann spiegelbildlich auch für die Vertragsbeendigung gelten. Für die Erfüllung der Pflichten aus § 312j Abs. 3 BGB trägt hingegen der Unternehmer die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BT-Drs. 17/7745, S. 12). Darüber hinaus sehen die Anfechtungsregeln auch keine bestimmten Informationspflichten vor, die geeignet sind, den typischen Gefahren des elektronischen Geschäftsverkehrs zu begegnen. Informationspflichten im Rahmen des § 123 BGB können sich stets nur aus den Umständen des Einzelfalles ergeben (vgl. MüKo BGB/Armbrüster, a.a.O., § 123 BGB Rn. 32 ff.).

(d) Ferner wird die Regelungslücke auch nicht durch die Einführung des § 312k BGB geschlossen. § 312k BGB statuiert bestimmte Pflichten für den Unternehmer bei der Kündigung von Verbraucherverträgen im elektronischen Geschäftsverkehr. Unter anderem ist es gemäß § 312k Abs. 2 S. 2 BGB erforderlich, dass auf einer Webseite eine Kündigungsschaltfläche gut lesbar mit den Worten „Verträge hier kündigen“ oder mit einer entsprechend eindeutigen Erklärung beschriftet ist. Das Klicken auf die Schaltfläche muss den Verbraucher sodann gemäß § 312k Abs. 2 S. 3 BGB auf eine Bestätigungsseite führen, auf welcher er bestimmte Angaben zur Bezeichnung des Vertrags, zur Art der Kündigung etc. machen kann. Diese Pflichten verfolgen aber nicht denselben Zweck wie § 312j Abs. 3 BGB (in analoger Anwendung). Denn § 312k BGB zielt darauf ab, dem Verbraucher die Vertragsbeendigung besonders leicht zu machen, was insbesondere darin zum Ausdruck kommt, dass der Verbraucher als Rechtsfolge der Missachtung der aufgeführten Pflichten gemäß § 312k Abs. 6 S. 1 BGB eine weitere Kündigungsmöglichkeit erhält. Abgesehen davon ist die Regelung gemäß § 312k Abs. 1 S. 1 BGB lediglich auf Dauerschuldverhältnisse anwendbar.

(2) Die aufgezeigte Regelungslücke ist auch planwidrig. Denn der Gesetzgeber hat unbewusst die Informationspflichten bezüglich etwaiger nicht erstattungsfähiger Zahlungen bei der Vertragsbeendigung im elektronischen Geschäftsverkehr mit Verbrauchern nicht geregelt.

Dem steht nicht entgegen, dass ausweislich der Gesetzesbegründung § 312j Abs. 2 BGB auf einseitige Willenserklärungen des Verbrauchers keine Anwendung finden soll. Denn hierbei hat der Gesetzgeber andere Konstellationen vor Augen gehabt, bspw. Weisungen im Rahmen laufender Vertragsbeziehungen wie die Erteilung von Aufträgen im Online-Banking (vgl. BT-Drs. 17/7745, S. 10). Hintergrund dieser Ausnahme war ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien, dass solche Erklärungen keine Zahlungsverpflichtungen auslösen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/8805, S. 6). Diese Überlegung lässt sich auf den in Rede stehenden Fall nicht erstattungsfähiger Zahlungen – im vorliegenden Fall Ticketpreise – nach Vertragsbeendigung aber nicht übertragen. Zwar begründet die Vertragsbeendigung keine Zahlungspflicht, de facto belastet aber eine nicht erstattungsfähige Vorleistung den Verbraucher im gleichen Maße. Denn durch die Beendigung wird dem Verbraucher der Anspruch auf die Gegenleistung genommen, ohne dass er über einen entsprechenden Anspruch auf Rückgewähr der von ihm erbrachten (Vor-)Leistung verfügt.

Die Intention des § 312j BGB sowie die Zielsetzung des § 312k BGB sprechen dafür, dass der Gesetzgeber übersehen hat, eine Regelung zu Informationspflichten bezüglich nicht erstattungsfähiger Vorleistungen bei der Vertragsbeendigung zu schaffen. Denn der Gesetzgeber hat ersichtlich die Gefahren des Vertragsschlusses im elektronischen Geschäftsverkehr gesehen, die darin liegen, dass der Verbraucher vorschnell Kostenverpflichtungen eingeht. Mit § 312j Abs. 3 BGB verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, den Verbraucher vor Irreführung und Übereilung aufgrund der besonderen Situation im Internet bzw. bei der Nutzung sonstiger elektronischer Medien beim Vertragsschluss zu schützen (vgl. BT-Drs. 17/7745, S. 7). Indes befürchtet der Gesetzgeber bei der Vertragsbeendigung, dass diese seitens des Unternehmers über Gebühr erschwert wird. § 312k BGB, der als Gegenstück des Bestellbuttons nach § 312j Abs. 3 BGB verstanden wird (vgl. MüKo BGB/Wendehorst, 9. Auflage 2022, § 312k BGB Rn. 1), basiert auf dem Befund, dass die Kündigung eines im elektronischen Geschäftsverkehr abgeschlossenen Vertrages direkt über eine Website für den Verbraucher oftmals nicht möglich oder durch die Website-Gestaltung erschwert wird. Entsprechend sollen Kündigungen im elektronischen Geschäftsverkehr für Verbraucher erleichtert werden (vgl. BT-Drs. 19/30840, S. 15). Zwar hat der Gesetzgeber offenbar gesehen, dass die Kündigung anderer Schuldverhältnisse als Dauerschuldverhältnisse in bestimmten Fällen für den Verbraucher mit unerwarteten Rechtsfolgen verbunden sein kann, bspw. mit der – im Ausgangspunkt – fortbestehenden Vergütungspflicht des Bestellers im Fall des werkvertraglichen Kündigungsrechts nach § 648 BGB (vgl. BT-Drs. 19/30840, S. 16). Aber zum einen spricht schon die dort gewählte Formulierung dafür, dass der Gesetzgeber ein – positives – Bedürfnis zum Schutz der Verbraucher vor Kostenfallen durch Dauerschuldverhältnisse hatte, nicht aber gleichzeitig ein – negatives – Bedürfnis zur Nicht-Regelung von Kostenfallen bei Nicht-Dauerschuldverhältnissen. Zum anderen handelt es sich in dem in BT-Drs. 19/30840, S. 16 genannten Beispiel um eine etwaig unerwartete Rechtsfolge, die sich aus dem Gesetz ergibt, nicht aber um eine unerwartete Rechtsfolge, die sich aus intransparenter Gestaltung durch den Unternehmer ergibt.

Schließlich ist eine analoge Anwendung von § 312j Abs. 3 BGB auch nicht wegen § 312 Abs. 5 S. 1 BGB ausgeschlossen. Hiernach sind die Absätze 2 bis 4 nicht anzuwenden, wenn der Vertrag ausschließlich durch individuelle Kommunikation geschlossen wird. Zwar führt die Gesetzesbegründung aus, dies beziehe sich insbesondere auf E-Mails (vgl. BT-Drs. 17/7745, S. 7, S. 12). Kommunikation mittels – wie im vorliegenden Fall – standardisierter E-Mails ist hiervon jedoch nicht betroffen (vgl. zur überholten Vorstellung des Richtliniengebers der E-Commerce-Richtlinie im Jahr 2000 bzgl. des Gegenstands von E-Mails BeckOGK/Busch, a.a.O., § 312i BGB Rn. 50.1). E-Mail-Verkehr setzt gerade nicht notwendig eine individuelle Kommunikation im Sinne eines auf die konkrete Person des Verbrauchers abgestimmten Inhalts voraus, sondern ermöglicht auch die Versendung von standardisierten Inhalten. Der Gesetzgeber hatte hinsichtlich des § 312j Abs. 3 BGB gerade die Gefahr durch flexible Gestaltungsmöglichkeiten auf Online-Plattformen und die dadurch unklare Bestellsituation gesehen (vgl. BT-Drs. 17/7745, S. 7). Entscheidend für das Erfordernis einer Regelung der jeweiligen Kommunikationsform ist aber, ob die typische Gefährdungslage besteht, ob also der Kunde ähnlich frei ist wie bei der Beantwortung eines Angebots durch einen Brief (zu § 312i BGB BeckOGK/Busch, a.a.O., § 312i BGB Rn. 51). Mit Blick auf die Gesetzgebungsmaterialien kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Gesetzgeber bewusst gewesen ist, dass diese Gefährdungslage auch bei standardisierten E-Mails gegeben sein kann. Bei solchen E-Mails – wie im vorliegenden Fall – bestehen für den Verbraucher jedoch identische Gefahren wie bei der Nutzung einer Bestell-Website, denn der Unternehmer kann sich der gleichen Gestaltungsmöglichkeiten, etwa hinsichtlich in der E-Mail platzierter Schaltflächen, bedienen.

(3) Die analoge Anwendung des § 312j Abs. 3 BGB auf den Fall, in dem die Möglichkeit der Vertragsbeendigung durch standardisierte E-Mails an den Verbraucher herangetragen wird, ist auch geboten, da eine vergleichbare Interessenlage besteht. Hätte der Gesetzgeber das bestehende Schutzbedürfnis erkannt, hätte er die Regelung des § 312j Abs. 3 BGB auf die Vertragsbeendigung ausgeweitet.

Schon systematisch liegt eine Gleichbehandlung des Vertragsschlusses und der Vertragsbeendigung nahe. Denn die Vertragsbeendigung steht dem Vertragsabschluss vom rechtlichen Gewicht her gleich, stellt doch die Kündigung den einseitigen actus contrarius zur konsensualen Begründung der Vertragsbeziehung dar.

Die Gefahren des Vertragsabschlusses über eine Online-Schaltfläche sind ferner vergleichbar mit denen, die für den Verbraucher bei der Vertragsbeendigung über eine in einer standardisierten E-Mail enthaltenen Schaltfläche bestehen. Sowohl für den Vertragsabschluss als auch für die Vertragsbeendigung ist es zum Schutz des Verbrauchers unerlässlich, bestimmte Informationspflichten sowie einfach verständliche, auf finanzielle Folgen hinweisende Schaltflächen vorzugeben. Denn der Gedanke des § 312j Abs. 3 BGB, die Kostentransparenz im Internet zu verbessern und es zu erschweren, Kunden durch die Verschleierung der Entgeltpflichtigkeit eines Angebots sowie durch unklare Preisangaben in Kostenfallen zu locken (vgl. BT-Drs. 17/7745, S. 7), lässt sich auf die Konstellation der Vertragsbeendigung, die mit nicht erstattungsfähigen Vorleistungen des Verbrauchers verbunden ist, übertragen. Denn in beiden Fällen kann es das Ziel des Unternehmers sein, durch intransparente Gestaltung bestimmte Kosten auf den Verbraucher abzuwälzen.

Findet diese Intention des Unternehmers ihren Niederschlag in einer unübersichtlichen elektronischen Darstellung der Vertragsbeendigungsmöglichkeit, ist der Verbraucher, um seine Entscheidung freiverantwortlich treffen zu können, darauf angewiesen, dass die Konsequenzen des Anklickens bestimmter Schaltflächen, insbesondere die mit dem Klick verbundenen finanziellen Konsequenzen, aufgeführt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Verbraucher – wie im vorliegenden Fall – durch das Setzen von Fristen einseitig unter zeitlichen Druck gesetzt wird. Erfolgt dies nicht, besteht ein Täuschungs- und Überrumpelungsrisiko, dem § 312j Abs. 3 BGB gerade entgegenwirken möchte (vgl. BT-Drs. 17/7745, S. 7).

Zudem spricht auch die Zielsetzung des Unionsrechts für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 312j Abs. 3 BGB. Hierfür spricht schon der Umstand, dass der dritte Erwägungsgrund der Verbraucherrechte-Richtlinie (RL 2011/83/EU vom 25.10.2011), welche seinerzeit während des nationalen Gesetzgebungsverfahrens noch im Entstehen befindlich war, aber bereits in Bezug genommen wurde (vgl. BT-Drs. 17/7745, S. 9), auf das Ziel der Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutz-Niveaus hinweist. Speziell im Hinblick auf – vorliegend streitgegenständliche – Luftbeförderungsverträge gilt zudem, dass das nach Erwägungsgrund 1 der VO (EG) Nr. 261/2004 angestrebte hohe Schutzniveau sowie das Ziel, den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung zu tragen, nur dann gewährleistet sind, wenn eine Stornierung nur infolge einer wirksamen, nicht von Willensmängel behafteten Erklärung erfolgt (so auch AG Erding, Urt. v. 27.10.2022 – 104 C 682/22, S. 6).

Die Vergleichbarkeit ist auch nicht aus dem Grund ausgeschlossen, dass der Verbraucher, der einen Vertrag beendet – anders als jener, der einen Vertrag abzuschließen beabsichtigt –, bei Vertragsabschluss unter Umständen bereits Vertragsinformationen erhalten hat, die ihm eine Prüfung ermöglichen, ob er kostenfrei stornieren kann oder nicht. Vielmehr kann dem Verbraucher erst recht dann, wenn sein Vertragspartner ihm einseitig eine Änderung des bereits geschlossenen Vertrags aufdrängt, und ihn hierbei ggf. noch unter zeitlichen Druck setzt, nicht zugemutet werden, selbst eine unter Umständen aufwändige Prüfung vorzunehmen, welche finanziellen Folgen potenziell auf ihn zukommen. Dem Unternehmer, der einseitig den bereits geschlossenen Vertrag ändern will, ist hingegen jedenfalls die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Transparenz zuzumuten. Dies zeigt der vorliegende Fall, in dem in der streitgegenständlichen E-Mail von einem „Recht auf eine Erstattung des Ticketpreises“ die Rede ist und erst durch eine Prüfung der Reiseunterlagen auffallen konnte, dass hiermit keine vollständige, sondern lediglich eine sehr geringe Erstattung gemeint gewesen ist, in besonders eindrücklicher Weise. Selbst wenn der Verbraucher aber seine Reiseunterlagen prüft, kann gleichwohl durch den Text der E-Mail der – unter Umständen fatale – Eindruck entstehen, dieser modifiziere die Vertragsbedingungen zu Gunsten des Verbrauchers.

Schließlich ist auch der bereits genannte Schutzgedanke des § 312j Abs. 3 BGB, der Schutz des Verbrauchers vor Übereilung durch die Möglichkeit, sich die finanziellen Konsequenzen des Anklickens bewusst zu machen (vgl. BT Drs. 17/7745, S. 7), übertragbar. Denn der Verbraucher, der durch eine E-Mail seines Vertragspartners zu einer Reaktion innerhalb einer bestimmten Frist aufgefordert wird, befindet sich unter einem größeren zeitlichen Druck als derjenige, der im Internet freiwillig eine Webseite besucht und sich in Ruhe überlegen kann, ob er dort etwas bestellt oder nicht.

c) Auch die weiteren Voraussetzungen des § 312j Abs. 3 BGB sind gegeben.

Der erforderliche Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB (vgl. BeckOGK/Busch, a.a.O., § 312j BGB Rn. 15) zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher liegt vor. Denn der Kläger nahm die Buchung als Verbraucher nach § 13 BGB vor, es handelte sich unstreitig um eine Familienreise. Die beklagte Aktiengesellschaft ist Unternehmerin nach § 14 BGB, sie bietet gewerblich Flugreisen an. Auch handelt es sich bei dem Beförderungsvertrag um einen Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr nach § 312i Abs. 1, 1 Hs. BGB, wonach sich ein Unternehmer zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen der Telemedien bedient. Hierunter fällt auch der Werkvertrag (BeckOK BGB/Maume, a.a.O., § 312i BGB Rn. 9). Der E-Mail-Verkehr fällt unter die insoweit maßgebliche Bestimmung (vgl. BT-Drs. 17/7745, S. 10) des § 1 TMG (vgl. zur Altfassung BT-Drs. 16/3078, S. 13).

Die in der E-Mail enthaltene Schaltfläche, die der Kläger ausgewählt hat, entsprach nicht den Anforderungen des § 312j Abs. 3 BGB. § 312j Abs. 3 S. 2 BGB verlangt für die Wirksamkeit des Vertragsschlusses, dass der Unternehmer die Schaltfläche, über die eine Bestellung abgegeben werden kann, mit den gut lesbaren Worten „zahlungspflichtig bestellen“ oder einer ähnlichen Formulierung versieht. Übertragen auf die Vertragsbeendigung hätte die Schaltfläche jedenfalls eine deutliche Information darüber enthalten müssen, dass mit dem Klick die Erstattung des Flugpreises – abgesehen von Steuern und Gebühren – entfällt bzw. dass ausschließlich Steuern und Gebühren erstattet werden. Insbesondere ist spiegelbildlich zur Formulierung „zahlungspflichtig bestellen“ zu verlangen, dass der Verbraucher die Rechtsverbindlichkeit des Anklickens erkennen kann. Diesen Anforderungen entsprach der Button in der streitgegenständlichen E-Mail nicht im Ansatz. Vielmehr stellt sich die Formulierung „Ich möchte eine Erstattung anfordern“, auch in Kombination mit dem Begleittext, in dem von einem „Recht auf eine Erstattung des Ticketpreises“ die Rede ist, als geradezu irreführend dar. Denn dem Verbraucher wird suggeriert, er erhalte den vollständigen Ticketpreis zurück. Dass er lediglich Steuern und Gebühren erhält – im vorliegenden Fall nur etwa 10 Prozent des Gesamtpreises –, kann den gegebenen Informationen nicht im Ansatz entnommen werden. Hinzu kommt, dass die zugrundeliegende Vertragsänderung – nämlich die Änderung der Flugzeiten – aus der Sphäre der Beklagten und gerade nicht aus derjenigen des Klägers stammt. Ferner lässt der auf dem Button enthaltene Text keinen Schluss darauf zu, dass durch den Klick unmittelbar der Vertrag beendet wird. Vielmehr suggeriert die Formulierung, wonach der Verbraucher eine Erstattung anfordern (Hervorhebung durch das Gericht) möchte, dass zunächst weitere Informationen abgefragt werden. Jedenfalls aber konnte damit gerechnet werden, dass noch eine Sicherheitsabfrage erfolgt, ob tatsächlich eine Stornierung erfolgen soll oder nicht. Dass der Klick hingegen zur Abgabe einer rechtsverbindlichen Entscheidung führt, lässt sich der streitgegenständlichen E-Mail gerade nicht entnehmen, erst recht nicht ohne eine damit verbundene vollständige Erstattung des Flugpreises. Vielmehr spricht der enthaltene Begriff „möchte“ für ein Begehr, einen Prozess in Ganz zu setzen, der letztendlich zu einer Flugpreis-Erstattung führen kann, nicht aber für die unmittelbare Abgabe einer rechtsverbindlichen Erklärung.

Hierbei kann offen bleiben, ob Mängel in der Beschriftung des Buttons durch eine ordnungsgemäße Information an anderer Stelle ausgeglichen werden können. Denn Informationen, die spiegelbildlich den Pflichten des § 312j Abs. 2 BGB entsprechen, sind gerade nicht erteilt worden. Vielmehr stellt sich der Begleittext, in dem vom „Recht auf eine Erstattung des Ticketpreises“ die Rede ist, wie dargestellt als irreführend dar. Denn eine Information darüber, dass ein Anteil des Ticketpreises nicht erstattet wird und wie groß dieser Anteil ist, fehlt vollständig.

Die Pflicht aus dem Beförderungsvertrag ist ungeachtet dessen verletzt, dass die Beförderungsleistung noch nicht fällig war. Denn dieser bedarf es nicht, wenn der Schuldner die Leistung vor Fälligkeit ernsthaft und endgültig verweigert (vgl. Schulze BGB/Schulze, 11. Auflage 2021, § 281 Rn. 5; AG Köln, Urt. v. 15.03.2022 – 120 C 71/21 – juris, Rn. 15). Die Löschung der Buchung stellt eine antizipierte Beförderungsverweigerung dar (vgl. AG Frankfurt, Urt. v. 05.10.2022 – 30 C 635/22, S. 4). Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte die stornierte Buchung zudem gerade nicht wiederhergestellt.

3. Die Beklagte hat die Pflichtverletzung zu vertreten, was bereits daraus folgt, dass sie keine die gesetzliche Regelvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB widerlegenden Umstände vorgetragen hat. Auch das Fristsetzungserfordernis nach § 281 Abs. 1 S. 1 BGB ist erfüllt. Denn der Kläger hat der Beklagten mit Schreiben vom 18.03.2022 eine Frist zur Wiederherstellung der Buchung bis zum 25.03.2022 gesetzt, auf die die Beklagte nicht reagiert hat. Der sodann erklärte Rücktritt steht dem Anspruch gemäß § 325 BGB nicht entgegen.

4. Infolge der Pflichtverletzung ist dem Kläger ein ersatzfähiger Schaden in tenorierter Höhe entstanden. Die bereits entrichtete Vergütung in Höhe von 4006,70 EUR abzüglich der erstatteten Steuern und Gebühren in Höhe von 432,00 EUR, d.h. 3.574,70 EUR, sind dem Kläger nach § 251 Abs. 1 BGB als Mindestschaden zu ersetzen (vgl. MüKo BGB/Emmerich, 9. Auflage 2022, vor § 281 BGB Rn. 22; AG Erding, Urt. v. 27. Oktober 2022 – 104 C 682/22, S. 11). Die zwischen den Parteien geltende Vereinbarung, wonach der vom Kläger gebuchte Tarif keine Erstattung vorsieht, greift nicht ein, da eine wirksame Stornierung durch den Fluggast nicht vorliegt (vgl. dazu AG Köln, Urt. v. 15. März 2022 – 120 C 71/21 – juris, Rn. 16). Die verbleibenden Mehrkosten für die Neubuchung in Höhe von 537,95 EUR sind ebenfalls nach § 251 Abs. 1 BGB zu ersetzen. Denn es handelt sich um die Differenz zwischen dem vertraglichen Preis und dem Preis, den der Kläger auf dem Markt nach der Nichtleistung für einen Deckungskauf zahlen musste, (MüKo BGB/Emmerich, a.a.O., vor § 281 BGB Rn. 45).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Frankfurt: Unwirksame Klausel in Mietwagenanbieter-AGB wenn Kunden Betriebsflüssigkeiten und Reifendruck prüfen sowie ggf. korrigieren müssen

LG Frankfurt
Urteil vom 06.04.2023
2-24 O 133/22


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass eine Klausel in des AGB eines Mietwagenanbieters unwirksam ist, wenn Kunden danach die Betriebsflüssigkeiten und den Reifendruck prüfen sowie ggf. korrigieren müssen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Soweit die Beklagte den Mietern ihrer Fahrzeuge auferlegt, die Betriebsflüssigkeiten und den Reifendruck zu prüfen und ggf. zu korrigieren, liegt eine Abweichung von einer gesetzlichen Regelung vor, die mit deren wesentlichen Grundgedanken dieser Regelung nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2017 - VII ZR 170/16 Rn. 17, BauR 2017, 1202). Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders wird nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vermutet, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und damit für die Bestimmung der für die Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung heranzuziehenden wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der Vertragsschluss (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2014 - VIII ZR 344/13 Rn. 31 m.w.N., BGHZ 201, 363). Entscheidend sind die durch die Klausel konkret verdrängten gesetzlichen Vorschriften, die im Streitfall auf das vertraglich begründete Rechtsverhältnis anwendbar wären (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1987 - VII ZR 185/86, BGHZ 102, 41, juris Rn. 20). Die "gesetzlichen Regelungen" im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfassen dabei nicht nur Gesetze im materiellen Sinn, sondern auch ungeschriebenes Recht, wozu auch das Richterrecht sowie die von der Rechtsprechung und Rechtslehre durch Auslegung, Analogie oder Rechtsfortbildung aus den allgemeinen Grundgedanken eines Rechtsgebiets oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung aus der Natur eines Schuldverhältnisses erarbeiteten und anerkannten Rechtssätze gehören (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2002 - XI ZR 245/01, BGHZ 150, 269, juris Rn. 23). Die Vermutung ist widerlegt, wenn die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild auf Grundlage einer umfassenden Interessensabwägung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt ist (BGH, Urteil vom 27. April 2021 - XI ZR 26/20 Rn. 24 m.w.N., BGHZ 229, 344; BGH, Urteil vom 19. Januar 2023 – VII ZR 34/20 –, Rn. 27, juris).

Nach diesen Grundsätzen ist die von der Beklagten verwendete Klausel in § 9 ihrer AGB, soweit sie den Mietern ihrer Fahrzeuge auferlegt, die Betriebsflüssigkeiten und den Reifendruck zu prüfen und ggf. zu korrigieren, unwirksam.

Gemäß § 535 Abs. 1 BGB obliegt es dem Vermieter, dem Mieter die Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen. Von dieser Pflicht entledigt sich die Beklagte, wenn sie dem Mieter eines Fahrzeuges auferlegt, den Reifendruck und die Betriebsflüssigkeiten zu prüfen und zu korrigieren. Nach dem Wortlaut der Klausel obliegt dem Mieter die Pflicht ab dem Zeitpunkt, in dem er das Fahrzeug anmietet und mit dem Fahrzeug losfährt. Dies bedeutet, dass der Mieter eines Fahrzeuges, um der Pflicht aus § 9 der AGB zu genügen, vor Fahrtantritt zu überprüfen hat, ob der Reifendruck in Ordnung ist und ob das Fahrzeug über genügend Motoröl, Getriebeöl und Bremsflüssigkeit verfügt und ob genügend Kraftstoff vorhanden ist. Ein Mieter wird sich dabei nicht auf Anzeigen im Cockpit verlassen dürfen, weil er nicht weiß, ob die Anzeigen ordnungsgemäß funktionieren. Die Beklagte beschränkt in ihrer Klausel die Pflicht zur Prüfung auch nicht auf die Kontrolle („Sichtprüfung“) der Anzeigen im Cockpit.

Die Pflicht zu Prüfung und Korrektur stellt eine unangemessene Benachteiligung des Mieters dar, weil sich ein Mieter eines Fahrzeuges darauf verlassen darf, dass der Vermieter die für den Gebrauch des Fahrzeuges notwendige Voraussetzungen geschaffen hat.

Der Einwand der Beklagten unter Hinweis auf § 23 StVO, dass die Pflicht dafür zu sorgen, dass das Fahrzeug vorschriftsgemäß ist, auch den Fahrer trifft, entledigt die Beklagte nicht von ihrer Pflicht, im Rahmen des Mietverhältnisses mit dem Mieter den gebrauchsgemäßen Zustand der Sache zu schaffen. Nach dem Wortlaut der Klausel tritt zudem die Pflicht zur Prüfung und Korrektur der Betriebsflüssigkeiten und des Reifendrucks nicht erst bei längerem Gebrauch des Fahrzeuges ein. Denn eine Beschränkung der Verpflichtung nach Zeit oder Entfernung sieht die Klausel nicht vor. Nach dem Grundsatz der sog. kundenfeindlichsten Auslegung können Klauseln nicht eingeschränkt zugunsten des Verwenders ausgelegt werden. Vielmehr ist die Auslegung zugrunde zu legen, die für den Verbraucher am ungünstigsten ist (BGH, Urteil vom 19. Januar 2023 – VII ZR 34/20 –, Rn. 30, juris). Hiernach ist maßgeblich, dass einem Mieter die Pflicht zur Prüfung und Korrektur bereits ab dem Mietbeginn obliegt.

Soweit die Beklagte den Mietern ihrer Fahrzeuge die Pflicht auferlegt, die Fahrzeuge gemäß den Anweisungen in den Handbüchern, den Fahrzeugunterlagen und den Herstellerangaben zu benutzen, liegt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor.

Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB auch daraus ergeben, dass eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht klar und verständlich ist. Der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen sowie wirtschaftliche Nachteile und Belastungen so weit erkennen zu lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, Urteil vom 26. Mai 2021 - VIII ZR 42/20, NJW-RR 2021, 1096 Rn. 22 mwN). Bei der Bewertung der Transparenz einer Vertragsklausel ist auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Dabei sind Allgemeine Geschäftsbedingungen nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, NJW-RR 2021, 1096 Rn. 23 mwN). Die Transparenzanforderungen dürfen aber nicht überspannt werden. Die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren, besteht nur im Rahmen des Möglichen. Weder bedarf es eines solchen Grads an Konkretisierung, dass alle Eventualitäten erfasst sind und im Einzelfall keinerlei Zweifelsfragen auftreten können, noch ist ein Verstoß gegen das Transparenzgebot schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (BGH, Urteil vom 11. März 2021 - III ZR 96/20, NJW-RR 2021, 839 Rn. 25; BGH, Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 212/20 –, Rn. 47, juris; BGH, Urteil vom 19. Oktober 2022 – IV ZR 185/20 –, Rn. 24, juris).

Nach diesen Grundsätzen ist auch die Regelung in § 9 der AGB, soweit der Mieter die Fahrzeuge gemäß den Handbüchern, den Fahrzeugunterlagen und den Herstellerangaben zu benutzen hat, unwirksam. Erkennbare Intention der Klausel, insbesondere im Rahmen der kundenfeindlichsten Auslegung (s.o.), ist die Auferlegung der Verantwortung des Mieters für eine Betriebsstörung, wenn diese durch eine Nutzung des Fahrzeuges entgegen einer Angabe in den genannten Unterlagen verursacht wurde. Die Beklagte wird einem Mieter eine in diesem Sinn sachwidrige Nutzung vorhalten und ihn für Schäden haftbar machen. Ein Mieter wird deshalb gehalten sein, „die Handbücher, Fahrzeugunterlagen und Herstellerangaben“ vor Antritt einer Fahrt zu studieren, um nicht in die Gefahr einer sachwidrigen Nutzung zu gelangen. Dabei bleibt es nach der Klausel offen, um welche konkreten Unterlagen es sich handelt. Die Verwendung des Plurals bei den Handbüchern lässt vermuten, dass es für Fahrzeuge mehrere Handbücher gibt, die es zu studieren gilt. Auch bei den Fahrzeugunterlagen verwendet die Beklagte den Plural, wobei offenbleibt, was die Beklagte zu den „Unterlagen“ im Einzelnen zählt. Gleiches gilt für die Herstellerangaben. Es bleibt auch offen, wie ein Mieter in den Besitz der genannten Bücher Unterlagen und Angaben gelangen kann. Denn nach der Klausel beschränkt sich die Lektüre nicht auf diejenigen Dokumente, die sich in dem Fahrzeug ggf. befinden, sondern auch auf solche Dokumente, die darüber hinaus zu diesem Fahrzeug existieren. Ein Mieter wird deshalb vor Fahrtantritt zu recherchieren haben, welche Bücher, Unterlagen und Herstellerangaben zu dem anzumietenden Fahrzeug vorhanden sind und wie er in den Besitz dieser Dokumente gelangen kann, um sie zur Vermeidung eines Haftungsrisikos zu studieren.

Auf der Grundlage der kundenfeindlichsten Auslegung benachteiligt eine solche Verpflichtung einen Mieter, der Verbraucher ist, unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB.


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OLG Schleswig-Holstein: Nach Abgabe einer Unterlassungserklärung wegen eines nicht klickbaren Links auf OS-Plattform genügt Kontrolle der Funktionsfähigkeit des Links einmal pro Monat

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 09.03.2023
6 U 36/22


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass es genügt, wenn der Unterlassungsschuldner nach Abgabe einer Unterlassungserklärung wegen eines nicht klickbaren Links auf die OS-Plattform die Funktionsfähigkeit des Links einmal pro Monat kontrolliert.

Aus den Entscheidungsgründen:
cc) Aus der Aussage der Zeugin K1 hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass die Beklagte alles Erforderliche unternommen hat, um ihrer Verpflichtung aus der Unterlassungsvereinbarung nachzukommen.

aaa) Die Beklagte ist zunächst nach der Abmahnung im erforderlichen Umfang tätig geworden. Wie die Zeugin bekundet hat, hat sie für die Beklagte am 19.08.2021 einen klickbaren Link auf der über E-Bay aufrufbaren Website der Beklagten eingerichtet und auf seine Funktionsfähigkeit überprüft. Sie habe, so hat sie ausgesagt, diese Prüfung danach noch einmal von einem Mobilgerät aus über ihr privates E-Bay-Konto vorgenommen.

Der Senat glaubt der Zeugin. Die Zeugin hat nachvollziehbar erklärt, weshalb sie nach über 1 1/2 Jahren noch mit Sicherheit bekunden konnte, dass und wann genau sie entsprechend tätig geworden ist. Sie hat erläutert, dass sie dergleichen gewohnheitsmäßig notiere. Nachvollziehbar war auch ihre Erklärung, dass die Beklagte zur Vermeidung von Vertragsstrafenzahlungen die Unterlassungserklärung erst abgegeben habe, nachdem die Beanstandungen abgearbeitet worden seien.

Die Beklagte hat es nicht bei der Einrichtung des Links bewenden lassen, sondern seine Funktionstüchtigkeit auch später noch einmal von der Zeugin überprüfen lassen. Auch dies hat die Zeugin bekundet. Ihrer Aussage zufolge werden die Angaben auf der Website etwa alle zwei bis sechs Wochen überprüft. Sie könne definitiv sagen, dass sie auch die Funktionsfähigkeit des Links in der Zeit zwischen 19.08.2021 und dem 23.09.2021 noch einmal überprüft habe. Wann dies gewesen sei, wisse sie nicht mehr. Sie sei sicher, dass sie dies auch hier jedenfalls vor Antritt ihres Urlaubs am 22.09.2021 getan habe.

Der Senat glaubt der Zeugin auch insoweit. Es spricht für ihre Glaubwürdigkeit, dass sie eingeräumt hat, das Datum der Überprüfung nicht mehr zu erinnern. Zugleich ist ihre Begründung dafür, weshalb sie gleichwohl mit Sicherheit eine Überprüfung bestätigen könne, nachvollziehbar und glaubhaft. Sie konnte hierfür nicht nur allgemein auf die routinemäßigen Kontrollabstände verwiesen. Sie konnte vielmehr eine Kontrolle vor dem 23.09.2021 auch damit plausibel machen, dass sie vor ihrem Urlaub noch habe sicherstellen wollen, dass währenddessen alles reibungslos funktioniere und sie nicht zwischendurch tätig werden müsse oder die Shops offline geschaltet werden müssten. Dass die Zeugin berechtigt diese Sorge haben konnte, zeigt der weitere Verlauf. Nach der neuerlichen Beanstandung erhielt sie tatsächlich im Urlaub einen Anruf des Geschäftsführers der Beklagten. Auch wurde die Website offline genommen.

bbb) Mehr als das Einrichten eines klickbaren Links, dessen anschließende Überprüfung und eine weitere Überprüfung im Rahmen routinemäßiger Kontrollen konnte von der Beklagten nicht verlangt werden. Auch die Kontrolldichte war ausreichend. Da die Zeugin nur von einer einmaligen Kontrolle im Zeitraum zwischen dem 19.08. und dem 23.09.2021 berichtet hat, ist allerdings nur ein einmonatiger Kontrollrhythmus erwiesen. Dies war hinsichtlich der betreffenden Angabe aber auch ausreichend.

Der Senat legt dieser Bewertung im Ausgangspunkt zugrunde, dass die Beklagte ernsthaft dafür Sorge tragen musste, einen klickbaren Link einzurichten und dessen Funktionstüchtigkeit zu überwachen. Dies folgt schlicht daraus, dass sie sich vertraglich dazu verpflichtet hatte, auf ihrer Website einen klickbaren Link zur Verfügung zu stellen. In welchem Umfang die Beklagte Maßnahmen zur Umsetzung und Kontrolle der Verpflichtung tätig zu treffen hatte, muss sich maßgeblich danach bemessen, welche Bedeutung die Verpflichtung für den lauteren Geschäftsverkehr, dessen Durchsetzung die Unterlassungsvereinbarung dient, und für den Schutz der Verbraucher hat, ferner welche Gefahr von einer pflichtwidrigen Unterlassung ausginge und nicht zuletzt, wie hoch die Gefahr eines nachträglichen Funktionsverlusts des Links einzuschätzen war.

Im Hinblick auf die Bedeutung der Linksetzung ist einerseits zu berücksichtigen, dass das Fehlen des klickbaren Links im Rahmen einer wettbewerblichen Unterlassungsklage als spürbarer Wettbewerbsverstoß i. S. d. § 3a UWG hätte gelten müssen, weil die Verpflichtung unionsrechtlich geregelt ist. Andererseits teilt die Beklagte anlässlich der Information zur Online-Streitbeilegung ausdrücklich mit, dass sie zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren nicht verpflichtet und nicht bereit sei (Anl. K 2 Bl. 3). Diese Mitteilung ist zulässig und wurde von dem Kläger dementsprechend auch nicht angegriffen. Die Bereitstellung des Link ist zwar verpflichtend (Art. 14 Abs. 1 VO (EU) Nr. 524/2013), die Teilnahme an der Online-Streitbeilegung aber nicht (vgl. Erwägungsgrund 26 ebd.). Angesichts der unmissverständlichen Positionierung der Beklagten erscheint es schon fraglich, dass Verbraucher in nennenswerter Zahl den Link überhaupt anklicken. Es käme jedenfalls auch dann aller Voraussicht nach nicht zu dem gewünschten Ziel der außergerichtlichen Streitbelegung. Insofern sind im vorliegenden Fall die Bedeutung des funktionstüchtigen Links nicht zu hoch. Entsprechend gering ist der Nachteil zu gewichten, der dem Verbraucher durch die Funktionsuntüchtigkeit des Links entsteht.

Entscheidend fällt vor Allem aber ins Gewicht, dass die Beklagte nicht mit Änderungen an den von ihr gemachten Angaben rechnen musste. Auch der Kläger trägt keine Anhaltspunkte dafür vor, weshalb sie mit einem nachträglichen Wegfall der Funktionalität hätte rechnen müssen. Die Zeugin K1 hat anschaulich beschrieben, dass sie die bei Einrichtung eines Online-Shops auf E-Bay notwendigen Händlerangaben gemacht habe, nachdem sie sich auf der Plattform für die Beklagte angemeldet habe. Es ist nicht erkennbar, wer außer der Beklagten Zugriff auf diese Angaben nehmen und sie verändern könnte. Dies unterscheidet den Fall grundlegend von demjenigen, den das Landgericht Berlin in dem von dem Kläger in Bezug genommenen Urteil zu entscheiden hatte (Schriftsatz vom 12.01.2022 S. 2 f mit Anl. K 11). Das Landgericht Berlin vertrat die Auffassung, dass bei E-Bay gemachte Angaben mehrmals täglich überprüft werden müssten. Streitgegenständlich dort war aber die Überprüfung der eingestellten Angebote im Hinblick auf inhaltliche Änderungen an Angaben, die von Dritten vorgenommen werden konnten. Konkret ging es um die Gestaltung von Grundpreisangaben. Insoweit hatte die dortige Beklagte eine Überprüfungspflicht nicht einmal bestritten und sich auf tägliche Kontrollen berufen. Hier aber steht nicht die inhaltliche Gestaltung der Angebote in Rede, sondern die Funktionstüchtigkeit eines nach Anmeldung namens der Beklagten gesetzten Links. Auch bei einer solchen Angabe besteht zwar eine Kontrollpflicht. Es kann nie ausgeschlossen werden, dass der Link durch nicht vorhersehbare nicht vorhersehbare äußere Einflüsse seine Funktionstüchtigkeit verliert. Da aber keine konkrete Gefährdungssituation bestand und zudem die Bedeutung der Angabe aus den dargestellten Gründen eher gering zu veranschlagen ist, erscheint eine routinemäßige monatliche Kontrolle als noch ausreichend.


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BGH: Unternehmer ist nicht verpflichtet Muster-Widerrufsbelehrung zu verwenden trägt aber das Risiko dass die gewählte Formulierung den gesetzlichen Vorgaben entspricht

BGH
Urteil vom 01.12.2022
I ZR 28/22
Richtlinie 2011/83/EU Art. 6 Abs. 1 Buchst. h, Abs. 4 Satz 2, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1; BGB § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 2, § 356 Abs. 3 Satz 2; EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2, § 4 Abs. 3 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass ein Unternehmer zur Erfüllung seiner gesetzlichen Informationspflichten nicht verpflichtet ist, die Muster-Widerrufsbelehrung zu verwenden. Er trägt aber dann das Risiko, dass die gewählte Formulierung den gesetzlichen Vorgaben entspricht.

Leitsätze des BGH:
a) Die Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB kommt nur dem Unternehmer zugute, der die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zu dieser Bestimmung unverändert verwendet und richtig ausfüllt.

b) Der Unternehmer kann seine Informationspflichten auch durch eine Belehrung erfüllen, die von der Musterbelehrung abweicht, aber inhaltlich den in § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB geregelten Anforderungen genügt. In einem solchen Fall trägt der Unternehmer allerdings das Risiko, dass seine Information den allgemeinen Anforderungen an eine umfassende, unmissverständliche und nach dem Verständnis eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbrauchers eindeutige Belehrung genügt.

BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - I ZR 28/22 - OLG München - LG München I

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BGH: Abmahnverein IDO war nach UWG aF § 8 Abs. 3 Nr. 2 zur Abmahnung befugt und handelte nicht rechtsmissbräuchlich

BGH
Urteil vom 26.01.2023
I ZR 111/22
Mitgliederstruktur
UWG aF § 8 Abs. 3 Nr. 2


Der BGH hat entschieden, dass der Abmahnverein IDO nach UWG aF § 8 Abs. 3 Nr. 2 zur Abmahnung befugt war und nicht rechtsmissbräuchlich handelte.

Leitsatz des BGH:
Für die Klagebefugnis eines Verbands kommt es grundsätzlich nicht darauf an, über welche mitgliedschaftlichen Rechte dessen - mittelbare oder unmittelbare - Mitglieder verfügen. Wie bei mittelbaren Mitgliedern kommt es auch bei unmittelbaren Mitgliedern auf deren Stimmberechtigung nur an, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihre Mitgliedschaft allein bezweckt, dem Verband die Klagebefugnis zu verschaffen (Fortführung von BGH, Urteil vom 16. November 2006 - I ZR 218/03, GRUR 2007, 610 [juris
Rn. 21] = WRP 2007, 778 - Sammelmitgliedschaft V).

BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - I ZR 111/22 - OLG Düsseldorf - LG Krefeld

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BGH: Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBG nur bei Verwendung der Muster-Widerrufsbelehrung und nicht bei Abweichung "Vertragsschluss" statt "Vertragsabschluss"

BGH
Urteil vom 01.12.2022
I ZR 28/22
Richtlinie 2011/83/EU Art. 6 Abs. 1 Buchst. h, Abs. 4 Satz 2, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1; BGB § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 2, § 356 Abs. 3 Satz 2; EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2, § 4 Abs. 3 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass die Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBG nur bei Verwendung der Muster-Widerrufsbelehrung und nicht bei Abweichungen gilt. Die Formulierung "Vertragsschluss" statt "Vertragsabschluss" für den Beginn der Widerrufsfrist, lässt die Gesetzlichkeitsfiktion bereits entfallen.

Leitsätze des BGH:
a) Die Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB kommt nur dem Unternehmer zugute, der die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zu dieser Bestimmung unverändert verwendet und richtig ausfüllt.

b) Der Unternehmer kann seine Informationspflichten auch durch eine Belehrung erfüllen, die von der Musterbelehrung abweicht, aber inhaltlich den in § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB geregelten Anforderungen genügt. In einem solchen Fall trägt der Unternehmer allerdings das Risiko, dass seine Information den allgemeinen Anforderungen an eine umfassende, unmissverständliche und nach dem Verständnis eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbrauchers eindeutige Belehrung genügt.

BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - I ZR 28/22 - OLG München - LG München I

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BMJ: Referentenentwurf des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes – VRUG

Das BMJ hat einen Referentenentwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG) vorgelegt.

Aus dem Entwurf:
A. Problem und Ziel Durch verbraucherrechtswidrige Geschäftspraktiken von Unternehmen wird regelmäßig eine große Anzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern geschädigt. Zu ihrem Schutz ist es nötig, unerlaubte Praktiken flächendeckend zu beenden und Abhilfe zu schaffen. Der kollektive Rechtsschutz bei Verstößen gegen verbraucherschützende Vorschriften ist in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union höchst unterschiedlich geregelt. Ziel der Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. L 409 vom 4.12.2020, S. 1) ist es, unionsweit den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken. Die Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten der EU bis zum 25. Dezember 2022 in nationales Recht umzusetzen. Die neuen Regelungen müssen ab dem 25. Juni 2023 angewendet werden. Mit dem Gesetzentwurf soll die Richtlinie umgesetzt werden. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU, zwei Arten von Verbandsklagen vorzusehen. Verbände müssen das Recht haben, im eigenen Namen Unterlassungsklagen, durch die Zuwiderhandlungen gegen Verbraucherrecht beendet werden können, und Abhilfeklagen, durch die Verbraucherrechte durchgesetzt werden können, zu erheben. Abhilfeklagen gibt es im deutschen Recht bislang nicht. B. Lösung Die Umsetzung der Richtlinie erfordert die Schaffung von Regelungen für Abhilfeklagen durch Verbände. Diese Regelungen sollen in einem eigenen Stammgesetz – dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz – gebündelt werden, in das auch die bestehenden Regelungen der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Musterfeststellungsklage integriert werden. Durch Änderungen im Unterlassungsklagengesetz und im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sowie in einigen weiteren Gesetzen werden die schon bestehenden Regelungen über Unterlassungsklagen durch Verbände an die Vorgaben der Richtlinie angepasst. Zusätzlich werden ergänzende Regelungen zu Unterlassungsklagen und Abhilfeklagen in anderen Gesetzen geschaffen.

Die Pressemitteilung des BMJ:
Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG)

Durch verbraucherrechtswidrige Geschäftspraktiken von Unternehmen wird regelmäßig eine große Anzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern geschädigt. Zu ihrem Schutz ist es nötig, unerlaubte Praktiken flächendeckend zu beenden und Abhilfe zu schaffen. Der kollektive Rechtsschutz bei Verstößen gegen verbraucherschützende Vorschriften ist in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union höchst unterschiedlich geregelt.

Ziel der Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. L 409 vom 4.12.2020, S. 1) ist es, unionsweit den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken. Die Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten der EU bis zum 25. Dezember 2022 in nationales Recht umzusetzen. Die neuen Regelungen müssen ab dem 25. Juni 2023 angewendet werden.

Mit dem Gesetzentwurf soll die Richtlinie umgesetzt werden. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU, zwei Arten von Verbandsklagen vorzusehen. Verbände müssen das Recht haben, im eigenen Namen Unterlassungsklagen, durch die Zuwiderhandlungen gegen Verbraucherrecht beendet werden können, und Abhilfeklagen, durch die Verbraucherrechte durchgesetzt werden können, zu erheben. Abhilfeklagen gibt es im deutschen Recht bislang nicht.


EU-Kommission: Überprüfung von Einzelhandelswebsites - Manipulative Praktiken / Dark Patterns bei 148 von 399 untersuchten Online-Shops

Die EU-Kommission hat bei der Überprüfung ("Sweep") von Online-Shops bei 148 von 399 untersuchten Online-Shops manipulative Praktiken / Dark Patterns festgestellt.

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:
Heute haben die Europäische Kommission und die nationalen Verbraucherschutzbehörden von 23 Mitgliedstaaten sowie Norwegen und Island (Netzwerk für die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz, kurz CPC-Netz) die Ergebnisse einer Überprüfung („Sweep“) von Einzelhandelswebsites veröffentlicht. Die Kontrolle erstreckte sich auf 399 Online-Shops von Einzelhändlern, die Waren von Textilien bis Elektrogeräten verkaufen. Schwerpunkt der Kontrolle waren drei bestimmte Arten manipulativer Praktiken, sogenannte Dark Patterns, die Verbraucherinnen und Verbraucher häufig dazu veranlassen, Entscheidungen zu treffen, die möglicherweise nicht in ihrem Interesse liegen. Dazu gehören falsche Countdown-Zähler, Websites, die so angelegt sind, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher zu Käufen, Abonnements oder anderen Entscheidungen gedrängt werden, und verborgene Informationen. Die Untersuchung ergab, dass 148 Websites mindestens eines dieser drei Dark Patterns enthielten.

EU-Justizkommissar Didier Reynders erklärte: „Die Kontrolle hat ergeben, dass sich fast 40 % der Online-Shopping-Sites manipulativer Praktiken bedienen, um Schwächen der Verbraucherinnen und Verbraucher auszunutzen oder sie zu täuschen. Dieses Verhalten ist eindeutig unrecht und verstößt gegen die Verbraucherschutzregeln. Bereits heute gibt es verbindliche Instrumente, um dagegen vorzugehen, und ich fordere die nationalen Behörden auf, ihre Möglichkeiten der Strafverfolgung auszuschöpfen, um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und diese Praktiken zu bekämpfen. Parallel dazu überprüft die Kommission alle Verbraucherschutzvorschriften, um sicherzustellen, dass diese an das digitale Zeitalter angepasst sind. Dabei prüft sie auch, ob Dark Patterns ausreichend berücksichtigt sind.“

42 Websites verwendeten falsche Countdown-Zähler mit Fristen für den Kauf bestimmter Produkte.
54 Websites drängten die Verbraucher zu bestimmten Entscheidungen – von Abonnements bis hin zu teureren Produkten oder Lieferoptionen – entweder durch ihre visuelle Gestaltung oder sprachliche Mittel.
Bei 70 Websites wurde festgestellt, dass sie wichtige Informationen verbergen oder so darstellen, dass sie für die Verbraucher schlechter erkennbar sind. Dazu gehörten beispielsweise Angaben zu Lieferkosten, zur Zusammensetzung der Produkte oder zu einer preisgünstigeren Alternative. 23 Websites verbargen Informationen mit dem Ziel, Verbraucher zum Abschluss eines Abonnements zu bewegen.

Der Sweep umfasste auch die Anwendungen (Apps) von 102 der geprüften Websites, von denen 27 ebenfalls mindestens eine der drei Arten von Dark Patterns aufwiesen.
Die nächsten Schritte

Die nationalen Behörden werden sich nun mit den betroffenen Händlern in Verbindung setzen, damit diese die Mängel auf ihren Websites beheben, und erforderlichenfalls gemäß ihren nationalen Verfahren weitere Maßnahmen ergreifen.

Ergänzend dazu wird sich die Kommission zusätzlich zu diesem Sweep und im Rahmen ihrer umfassenderen Bemühungen zum Vorgehen gegen Dark Patterns auch an jene Online-Händler wenden, die 2022 in einer Studie zu unlauteren Geschäftspraktiken im digitalen Umfeld ermittelt wurden, und sie auffordern, die hier festgestellten Mängel zu beheben.

Darüber hinaus sammelt die Kommission Rückmeldungen zu folgenden drei Richtlinien mit Bezug zum Verbraucherschutz, um festzustellen, ob diese für ein hohes Schutzniveau im digitalen Umfeld sorgen: Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, Verbraucherrechte-Richtlinie und Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln. Eine öffentliche Konsultation läuft bis zum 20. Februar 2023.

Hintergrund

Im Netz für die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (CPC-Netz) sind Behörden zusammengeschlossen, die für die Durchsetzung des EU-Verbraucherrechts zuständig sind. Damit die Behörden grenzüberschreitend operieren können, werden ihre Maßnahmen auf EU-Ebene koordiniert.

Die nationalen Behörden sind für die Durchsetzung der EU-Verbraucherschutzvorschriften zuständig. Dank der aktualisierten Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz verfügen sie nun über mehr Befugnisse, um Unregelmäßigkeiten aufzudecken und schnell gegen unseriöse Händler vorzugehen.

Mit dem neuen Gesetz über digitale Dienste werden Dark Patterns auf Online-Plattformen verboten. Es wird Vorschriften wie die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken oder die Datenschutz-Grundverordnung ergänzen und sicherstellen, dass keine Regelungslücke verbleibt, die es Plattformen erlaubt, Nutzerinnen und Nutzer zu manipulieren.

Darüber hinaus wurden mit der neuen Richtlinie zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union bestehende Instrumente des EU-Verbraucherrechts geändert, indem die Transparenz für die Verbraucherinnen und Verbraucher beim Kauf auf Online-Marktplätzen weiter erhöht wurde.

Die Sweeps werden vom CPC-Netz anhand gemeinsamer, von der Europäischen Kommission ausgearbeiteter Kriterien durchgeführt.


Volltext BGH liegt vor: Internethändler muss nur dann umfassend über Herstellergarantie informieren wenn diese zentrales Merkmal des Angebots ist

BGH
Urteil vom 10.11.2022
I ZR 241/19
Herstellergarantie IV
UWG § 3a, § 5a Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 aF, § 5a Abs. 1 nF, § 5b Abs. 4 nF; BGB § 312d Abs. 1 Satz 1, § 443, § 479 Abs. 1 aF, § 479 Abs. 1 nF; EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 aF, Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 nF

Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Internethändler muss nur dann umfassend über Herstellergarantie informieren wenn diese zentrales Merkmal des Angebots ist über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:

Den Unternehmer trifft eine vorvertragliche Pflicht zur Information über eine Herstellergarantie für ein im Internet angebotenes Produkt, wenn er die Garantie zu einem zentralen oder entscheidenden Merkmal seines Angebots macht. Erwähnt er in seinem Internetangebot die Herstellergarantie dagegen nur beiläufig, muss er dem Verbraucher keine Informationen hierzu zur Verfügung stellen.

BGH, Urteil vom 10. November 2022 - I ZR 241/19 - OLG Hamm - LG Bochum

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Internethändler muss nur dann umfassend über Herstellergarantie informieren wenn diese zentrales Merkmal des Angebots ist

BGH
Urteil vom 10.11.2022
I ZR 241/19

Der BGH hat in Umsetzung des Urteils des EuGH (siehe dazu EuGH: Händler bei Amazon muss umfassend über Herstellergarantie belehren wenn Garantie als zentrales oder entscheidendes Merkmal des Produkts dargestellt wird) entschieden, dass ein Internethändler nur dann umfassend über eine Herstellergarantie informieren muss, wenn diese ein zentrales Merkmal des Angebots ist. Vorliegend hat der BGH dies verneint, da die Garantie nicht im Angebotstext sondern nur an untergeordneter Stelle auf einem Produktinformationsblatt zu finden war.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof zur Pflicht von Internethändlern, über Herstellergarantien zu informieren

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass Internethändler Verbraucher nicht näher über die Herstellergarantie für ein angebotenes Produkt informieren müssen, wenn die Garantie kein zentrales Merkmal ihres Angebots ist.

Sachverhalt:

Die Parteien vertreiben Taschenmesser im Wege des Internethandels. Die Beklagte bot auf der Internetplattform Amazon ein Schweizer Offiziersmesser an. Die Angebotsseite enthielt unter der Zwischenüberschrift "Weitere technische Informationen" einen Link mit der Bezeichnung "Betriebsanleitung". Nach dem Anklicken dieses Links öffnete sich ein Produktinformationsblatt, das folgenden Hinweis auf eine Garantie des Herstellers enthielt: "Die Garantie erstreckt sich zeitlich unbeschränkt auf jeden Material- und Fabrikationsfehler (für Elektronik zwei Jahre). Schäden, die durch normalen Verschleiß oder durch unsachgemäßen Gebrauch entstehen, sind durch die Garantie nicht gedeckt." Weitere Informationen zu der Garantie enthielt das Produktinformationsblatt nicht.

Die Klägerin sieht darin einen Verstoß gegen die gesetzlichen Informationspflichten betreffend Garantien. Sie hat beantragt, der Beklagten zu verbieten, den Absatz von Taschenmessern an Verbraucher mit Hinweisen auf Garantien zu bewerben, ohne hierbei auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers sowie darauf hinzuweisen, dass sie durch die Garantie nicht eingeschränkt werden, und ohne den räumlichen Geltungsbereich des Garantieschutzes anzugeben.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 11. Februar 2021 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher zur Vorabentscheidung vorgelegt (dazu Pressemitteilung Nr. 31/2021 vom 11. Februar 2021).

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat über die Fragen durch Urteil vom 5. Mai 2022 (C-179/21) entschieden.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision der Beklagten das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt. Die Beklagte hat sich nicht unlauter verhalten, weil sie in ihrem Internetangebot keine näheren Angaben zu der im verlinkten Produktinformationsblatt erwähnten Herstellergarantie gemacht hat.

Die Beklagte hat sich nicht nach § 5a Abs. 2 und 4 UWG aF (nun § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG nF) unlauter verhalten, weil sie den Verbrauchern keine nach § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB aF (nun Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB nF) vor Vertragsschluss zu erteilende Information über die Herstellergarantie vorenthalten hat. Das ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung der vorgenannten Bestimmungen, die der Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/83/EU dienen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf Vorlage des Bundesgerichtshofs entschieden, dass ein Unternehmer die Verbraucher vor Abschluss eines Kaufvertrags über die Bedingungen der Herstellergarantie informieren muss, wenn er die Garantie zu einem zentralen oder entscheidenden Merkmal seines Angebots macht und so als Verkaufsargument einsetzt. Erwähnt er dagegen die Herstellergarantie nur beiläufig, so dass sie aus Sicht der Verbraucher kein Kaufargument darstellt, muss er keine Informationen über die Garantie zur Verfügung stellen.

Im Streitfall stellt die Herstellergarantie kein wesentliches Merkmal des Angebots der Beklagten dar. Sie wird auf der Angebotsseite selbst nicht erwähnt, sondern findet sich an untergeordneter Stelle in einem Produktinformationsblatt. Auf dieses Produktinformationsblatt gelangt der Verbraucher nur, wenn er einen Link anklickt, der unter der Zwischenüberschrift "Weitere technische Informationen" steht und mit der Bezeichnung "Betriebsanleitung" versehen ist und daher eher auf eine technisch-funktionale Erläuterung hindeutet.

Die Beklagte hat mangels eines Verstoßes gegen die Marktverhaltensregelung des § 479 Abs. 1 BGB auch keine nach § 3a UWG unlautere Handlung begangen. Die in § 479 Abs. 1 BGB normierte Pflicht zur Information über den Gegenstand und den Inhalt einer (Hersteller-)Garantie greift erst ein, wenn der Unternehmer dem Verbraucher ein verbindliches Angebot auf Abschluss eines Garantievertrags unterbreitet. Im Streitfall enthielt der auf der Angebotsseite befindliche Link auf das Produktinformationsblatt mit der Herstellergarantie noch kein verbindliches Garantieversprechen.

Vorinstanzen:

LG Bochum - Urteil vom 21. November 2018 - I-13 O 110/18

OLG Hamm - Urteil vom 26. November 2019 - I-4 U 22/19

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 3a UWG

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 5a UWG in der bis zum 27. Mai 2022 geltenden Fassung (aF)

(2) Unlauter handelt, wer im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthält,

1. die der Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und

2. deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

[…]

(4) Als wesentlich im Sinne des Absatzes 2 gelten auch Informationen, die dem Verbraucher auf Grund unionsrechtlicher Verordnungen oder nach Rechtsvorschriften zur Umsetzung unionsrechtlicher Richtlinien für kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing nicht vorenthalten werden dürfen.

§ 5a Abs. 1 UWG in der seit dem 28. Mai 2022 geltenden Fassung (nF)

Unlauter handelt auch, wer einen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer irreführt, indem er ihm eine wesentliche Information vorenthält,

1. die der Verbraucher oder der sonstige Marktteilnehmer nach den jeweiligen Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und

2. deren Vorenthalten dazu geeignet ist, den Verbraucher oder den sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

§ 5b Abs. 4 UWG in der seit dem 28. Mai 2022 geltenden Fassung (nF)

Als wesentlich im Sinne des § 5a Absatz 1 gelten auch solche Informationen, die dem Verbraucher auf Grund unionsrechtlicher Verordnungen oder nach Rechtsvorschriften zur Umsetzung unionsrechtlicher Richtlinien für kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing nicht vorenthalten werden dürfen.

§ 312d Abs. 1 Satz 1 BGB

Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Artikels 246a des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche zu informieren.

§ 479 Abs. 1 BGB in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung (aF)

Eine Garantieerklärung (§ 443) muss einfach und verständlich abgefasst sein. Sie muss enthalten:

1. den Hinweis auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers sowie darauf, dass sie durch die Garantie nicht eingeschränkt werden, und

2. den Inhalt der Garantie und alle wesentlichen Angaben, die für die Geltendmachung der Garantie erforderlich sind, insbesondere die Dauer und den räumlichen Geltungsbereich des Garantieschutzes […].

§ 479 Abs. 1 BGB in der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung (nF)

Eine Garantieerklärung (§ 443) muss einfach und verständlich abgefasst sein. Sie muss enthalten:

1. den Hinweis auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers bei Mängeln, darauf, dass die Inanspruchnahme dieser Rechte unentgeltlich ist sowie darauf, dass diese Rechte durch die Garantie nicht eingeschränkt werden,

[…]

5. die Bestimmungen der Garantie, insbesondere die Dauer und den räumlichen Geltungsbereich des Garantieschutzes.

Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB in der bis zum 27. Mai 2022 geltenden Fassung (aF)

Der Unternehmer ist nach § 312d Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verpflichtet, dem Verbraucher folgende Informationen zur Verfügung zu stellen:

[…]

9. gegebenenfalls das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienst, Kundendienstleistungen und Garantien, […]

Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 EGBGB in der seit dem 28. Mai 2022 geltenden Fassung (nF)

Der Unternehmer ist nach § 312d Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verpflichtet, dem Verbraucher folgende Informationen zur Verfügung zu stellen:

[…]

12. gegebenenfalls das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienst, Kundendienstleistungen und Garantien,

Art. 6 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/83/EU

Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag im Fernabsatz oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über Folgendes:

[…]

m) gegebenenfalls den Hinweis auf das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienst, Kundendienstleistungen und gewerblichen Garantien; […]

LG München: Wettbewerbswidrige Irrführung nach § 3 HWG durch Bewerbung eines Grippemittels mit Slogan "Symptome ihr könnt mich mal! Ich überspring das Schlimmste"

LG München
Urteil vom 27.09.2022
1 HK O 3681/22


Das LG München hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irrführung nach § 3 HWG durch Bewerbung eines Grippemittels mit dem Slogan "Symptome ihr könnt mich mal! Ich überspring das Schlimmste“ vorliegt. Ein Durchschnittsverbraucher versteht den Slogan so, dass durch die Einnahme der Arznei, die schlimmsten Symptome verhindert werden können. Tatsächlich tritt aber nur eine Linderung ein. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

LG Cottbus: Widerrufsrecht ist nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen wenn sich Personalisierung des Produkts ohne Substanzeinbuße entfernen lässt

LG Cottbus
Urteil vom 29.09.2022
2 O 223/21


Das LG Cottbus hat entschieden, dass das Widerrufsrecht nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen ist, wenn sich eine Personalisierung des Produkts ohne Substanzeinbuße entfernen lässt.
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Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Faksimiles aus §§ 357 Abs. 1, 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312b, 312 BGB.

a) Dem Kläger stand gemäß § 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu. Der Kläger hat mit der Beklagten einen Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB über die Lieferung eines Faksimiles „Liber Scivias – Die göttlichen Visionen der Hildegard von Bingen“ geschlossen und sich zur Zahlung eines Kaufpreises i.H.v. 7.920,00 € verpflichtet. Für eine Einschränkung des Anwendungsbereiches der Widerrufsvorschriften nach § 312 Abs. 2 bis 6 BGB bestehen keine Anhaltspunkte. Es handelt sich um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinne des § 312b BGB, denn jedenfalls hat der Kläger hat sein Kaufangebot bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit eines Vertreters der Beklagten in seiner Wohnung abgegeben, was gem. § 312b Abs. 1 Nr. 2 BGB ausreichend ist. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte das Angebot sogleich in der Wohnung des Klägers durch ihren Vertreter oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durch die Lieferung des Faksimiles angenommen hat.

b) Das Widerrufsrecht war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(1) Auf die handschriftliche Eintragung des Namens des Klägers in die eingeklebte „Notarielle Beurkundung“ kommt es nicht an, denn eine derartige Individualisierung des Faksimiles hat der Kläger nicht bestellt. Vielmehr ist in der Bestellurkunde eine Individualisierung durch ein Messingschild angekreuzt. Zwar hat die Beklagte behauptet, dass der Kläger eine Individualisierung durch eine notarielle Beurkundung gewünscht habe. Für diese – vom Inhalt der Bestellurkunde abweichende – Behauptung hat die Beklagte jedoch keinen Beweis angetreten. Durch eine ohne ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers vom Unternehmer vorgenommene und damit aufgedrängte Individualisierung wird das Widerrufsrecht nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(2) Das Widerrufsrecht war jedoch auch nicht durch die vom Kläger bestellte Individualisierung in Form der Anbringung eines Messingschildes mit seinem Namen gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(i) Das Widerrufsrecht war schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil die Beklagte ein Faksimile mit der bestellten Individualisierung durch ein Messingschild nicht geliefert hat.

Zwar ist es für das Eingreifen des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB – anders als der Kläger meint – grundsätzlich unerheblich, ob der Unternehmer die vereinbarte Individualisierung im Zeitpunkt des Widerrufs bereits vorgenommen hat. Insofern ist allein entscheidend, ob sich die Parteien über eine tatbestandsmäßige Individualisierung der Kaufsache geeinigt haben. Wann der Unternehmer diese Individualisierung vornimmt, spielt keine Rolle (EuGH, Urt. v. 21.10.2020 – C-529/19 – Juris, Rn. 15 ff.).

Vorliegend kann sich die Beklagte auf einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB vor der Lieferung eines entsprechend personalisierten Faksimiles jedoch nach Treu und Glauben aus § 242 BGB nicht berufen, denn sie hat den Kläger in der Bestellurkunde über einen Ausschluss des Widerrufsrechts irreführend belehrt, indem sie dort darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle der Personalisierung „nach Lieferung“ ausgeschlossen sei. Der durchschnittliche Adressat der Bestellurkunde ohne besondere Rechtskenntnisse konnte diesen Hinweis ohne Weiteres dahingehend verstehen, dass ein Widerrufsrecht vor der Lieferung des entsprechend personalisierten Faksimile noch nicht ausgeschlossen ist. An diesem von ihr unmittelbar durch die Gestaltung der Bestellurkunde vermittelten (rechtlich unzutreffenden) Eindruck muss sich die Beklagte unbeschadet des Umstandes festhalten lassen, dass sie in der Widerrufsbelehrung (rechtlich zutreffend aber abstrakt) darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle einer Individualisierung der Ware generell ausgeschlossen ist.

Die Beklagte hat das bestellte Faksimile mit einer Personalisierung durch ein Messingschild mit dem Namen des Klägers nicht geliefert. Sie kann sich somit auf einen etwaigen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB aus Treu und Glauben nicht berufen.

(ii) Unbeschadet dessen wäre das Widerrufsrecht jedoch auch ohne den rechtlich unzutreffenden Hinweis auf der Bestellurkunde nicht ausgeschlossen, weil sich das vom Kläger bestellte Messingschild nach seinem unbestrittenen Vortrag ohne Einbuße an der Substanz des Faksimiles wieder entfernen und durch ein anderes gleich großes Messingschild ersetzen ließe.

Nach dem Sinn und Zweck des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB soll ein Widerruf in Fällen ausgeschlossen sein, in denen die Angaben des Verbrauchers, nach denen die Ware angefertigt wird, die Sache so individualisieren, dass diese für den Unternehmer im Falle ihrer Rücknahme wirtschaftlich wertlos ist, weil er sie wegen ihrer vom Verbraucher veranlassten besonderen Gestalt anderweitig nicht mehr oder allenfalls noch unter erhöhten Schwierigkeiten und mit erheblichem Preisnachlass absetzen kann. Entscheidend ist, ob die Anfertigung der Ware bzw. deren Zuschnitt auf die Bedürfnisse des Verbrauchers nicht ohne Einbuße an Substanz und Funktionsfähigkeit ihrer Bestandteile bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand wieder rückgängig zu machen ist (BGH, Urt. v. 19.03.2003 – VIII ZR 295/01 – Juris, Rn 15). Rückbaukosten jedenfalls unter 5 % des Warenwerts sind dabei als noch verhältnismäßig anzusehen (BGH, a.a.O., Rn. 19). An dieser Rechtsauffassung ist auch nach Inkrafttreten der Verbraucherrechterichtlinie vom 25.10.2011 (Richtlinie 2011/83/EU) unverändert festzuhalten (vgl. Buchmann, Das neue Fernabsatzrecht 2014 (Teil 3), in: K&R 2014, S. 369 (372); Wendehorst, in: MüKo-BGB, 9. Auflage 2022, § 312g Rn. 17).

Auf dieser Grundlage sind die Voraussetzungen eines Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB durch die Vereinbarung der Anbringung eines Messingschildes mit dem Namen des Klägers nicht gegeben. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers ließe sich das Messingschild problemlos wieder entfernen und durch ein anderes, gleich großes Messingschild mit dem Namen eines anderen Käufers ersetzen. Der Wert des Messingschildes liegt unbestritten unter 20,00 € und damit weit unter 1 % des vereinbarten Kaufpreises. Die Beklagte könnte ein durch ein Messingschild für den Kläger personalisiertes Faksimile daher ohne Überschreiten der Opfergrenze wieder verkehrsfähig machen und erneut zum Kauf anbieten.

c) Der Kläger hat das Widerrufsrecht auch ordnungsgemäß, insbesondere fristgemäß ausgeübt.

(1) In seiner Erklärung vom 21.01.2021 hat der Kläger zwar nicht das Wort „Widerruf", sondern das Wort „Widerspruch" verwendet. Aus den Umständen konnte die Beklagte jedoch ohne Weiteres entnehmen, dass ein Widerruf gemeint war. Schließlich hat die Beklagte die Erklärung ausweislich ihres Antwortschreibens vom 04.02.2021 auch in diesem Sinne verstanden (falsa demonstratio non nocet).

(2) Die Widerrufsfrist war am 21.01.2021 noch nicht abgelaufen.

(i) Die allgemeine Widerrufsfrist von 14 Tagen (§§ 355 Abs. 2 Satz 1, 312g Abs. 1 BGB) hatte gem. § 356 Abs. 3 S. 1 BGB noch nicht zu laufen begonnen, weil die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht unterrichtet hatte.

Grundvoraussetzung für eine ordnungsgemäße Belehrung über die Bedingungen für die Ausübung des Widerrufsrechts gem. Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB ist die Belehrung darüber, dass ein Widerrufsrecht überhaupt besteht. Die Beklagte hat durch die Gestaltung des Bestellformulars, wonach bei Ankreuzung des Kästchens zur Personalisierung durch das Messingschild ein Widerrufsrecht nach Lieferung ausgeschlossen sei, jedoch den unzutreffenden Eindruck erweckt, dass ein Widerrufsrecht im konkreten Fall jedenfalls nach Lieferung nicht mehr bestehe. Dieser unmittelbar durch die Bestellurkunde erweckte unzutreffende Eindruck wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass die Voraussetzungen eines Ausschlusses des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB in der Widerrufsbelehrung in abstrakter Weise korrekt dargestellt worden sind.

Darüber hinaus ist die Widerrufsbelehrung jedoch auch deshalb fehlerhaft, weil entgegen Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EBGBG die Anschrift der Beklagten nicht angegeben ist. Insofern weicht die Widerrufsbelehrung auch von dem Muster nach Anlage 1 zu Artikel 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB ab, nach dessen Gestaltungshinweis Nr. 2 in die Widerrufsbelehrung den Namen, die Anschrift, die Telefonnummer und die E-Mail-Adresse des Unternehmers einzutragen sind.

(ii) Die Ausschlussfrist gem. §§ 356 Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 lit. a BGB von zwölf Monaten und 14 Tagen ab Lieferung war zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung im Januar 2021 noch nicht verstrichen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Essen: Irreführende Werbung für Alditalk-Prepaid-Tarif mit "kein Mindestumsatz" wenn für Funktionalität regelmäßig neues Guthaben eingezahlt werden muss

LG Essen
Urteil vom 30.05.2022
1 O 314/21


Das LG Essen hat entschieden, dass die Werbung für einen Alditalk-Prepaid-Tarif mit "kein Mindestumsatz" irreführend und damit wettbewerbswidrig ist, wenn für die volle Funktionalität regelmäßig neues Guthaben eingezahlt werden muss.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Die Überprüfung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen darf nicht durch nationale Verfahrensgrundsätze behindert werden

EuGH
Urteile vom 17.05.2022
C-600/19, C-693/19, C-831/19, C-725/19, und C-869/19


Der EuGH hat entschieden, dass die Überprüfung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen nicht durch nationale Verfahrensgrundsätze behindert werden darf.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen: Nationale Verfahrensgrundsätze dürfen unionsrechtliche Rechte Einzelner nicht behindern

Der Effektivitätsgrundsatz verlangt eine wirksame Überprüfung der potenziellen Missbräuchlichkeit der Klauseln.

Mit seinen heutigen Urteilen entscheidet die Große Kammer des Gerichtshofs über mehrere Vorabentscheidungsersuchen spanischer, italienischer und rumänischer Gerichte, die die Auslegung der Richtlinie 91/13/EWG1 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen betreffen.

Der Gerichtshof wird dazu befragt, ob nationale Verfahrensgrundsätze wie die Rechtskraft Befugnisse insbesondere der nationalen Vollstreckungsgerichte zur Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln einschränken können. Es geht um die Frage, ob Grundsätze des innerstaatlichen Verfahrensrechts mit der Richtlinie 93/13 vereinbar sind, die eine solche Prüfung, einschließlich einer Prüfung von Amts wegen durch das Vollstreckungsgericht, auf der Vollstreckungsebene in Anbetracht dessen nicht gestatten, dass bereits zuvor erlassene Entscheidungen nationaler Gerichte vorliegen.

Der Gerichtshof verweist insoweit auf die Bedeutung, die dem Grundsatz der Rechtskraft sowohl im Unionsrecht als auch in den nationalen Rechtsordnungen zukommt. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollten die nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordenen Gerichtsentscheidungen nämlich nicht mehr in Frage gestellt werden können.

Allerdings erinnert der Gerichtshof auch daran, dass das mit der Richtlinie 93/13 geschaffene Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt. In Anbetracht dieser schwächeren Position sieht die Richtlinie 93/13 vor, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind. Es handelt sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf abzielt, die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen.

Anschließend verweist der Gerichtshof darauf, dass das nationale Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt, prüfen muss und dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende gesetzt wird.
Die Verfahren zur Prüfung, ob eine Vertragsklausel missbräuchlich ist, sind im Prinzip nicht unionsrechtlich harmonisiert und damit Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten. Nationale Verfahrensbestimmungen müssen dem Effektivitätsgrundsatz genügen und mithin das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes erfüllen. Insoweit kann nach der Auffassung des Gerichtshofs ohne eine wirksame Überprüfung der potenziellen Missbräuchlichkeit der in dem betreffenden Vertrag enthaltenen Klauseln die Einhaltung der durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte nicht garantiert werden.

Auf der Grundlage dieser Erwägungen erlässt der Gerichtshof die heutigen vier Urteile.

Rechtssache C-869/19 Unicaja Banco
Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau L und der Banco de Caja España de Inversiones, Salamanca y Soria SAU, in deren Rechte die Unicaja Banco SA eingetreten ist. Dieser Rechtsstreit betrifft eine unterbliebene amtswegige Prüfung seitens des Berufungsgerichts im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Unionsrecht. Die Bank hat Frau L ein Hypothekendarlehen gewährt. Der Vertrag enthielt eine Mindestzinsklausel, wonach der variable Zinssatz niemals unter 3 % fallen durfte. Frau L erhob Klage gegen die Bank mit dem Ziel der Nichtigerklärung der Klausel und der Erstattung der unrechtmäßig erhobenen Beträge. Sie machte geltend, die Klausel müsse wegen fehlender Transparenz für missbräuchlich erklärt werden. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage statt, setzte der Restitutionswirkung in Anwendung einer nationalen Rechtsprechung jedoch zeitliche Grenzen. Das von der Bank angerufene Berufungsgericht erkannte auch nicht auf die vollständige Erstattung der gemäß der Mindestzinssatzklausel gezahlten Beträge, da Frau L das erstinstanzliche Urteil nicht mit der Berufung angefochten habe. Nach spanischem Recht könne das Berufungsgericht, wenn ein Teil eines Urteilstenors von keiner der Parteien in Frage gestellt werde, ihm nicht seine Wirkung absprechen oder ihn abändern. Diese Regel weise Ähnlichkeit mit der Regelung der Rechtskraft auf. Der spanische Oberste Gerichtshof möchte daher vom Gerichtshof wissen, ob das nationale Recht mit dem Unionsrecht insbesondere insoweit vereinbar ist, als ein nationales Gericht, das mit einer Berufung gegen ein Urteil befasst ist, mit dem der Erstattung der vom Verbraucher aufgrund einer für missbräuchlich erklärten Klausel rechtsgrundlos gezahlten Beträge zeitliche Grenzen gesetzt werden, einen Verstoß gegen die Richtlinie 93/13 nicht von Amts wegen aufgreifen und keine vollständige Erstattung dieser Beträge anordnen darf.

Unter Verweis auf seine Rechtsprechung bestätigt der Gerichtshof, dass das Unionsrecht einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, die Restitutionswirkungen in zeitlicher Hinsicht auf diejenigen Beträge beschränkt, die auf Grundlage einer missbräuchlichen Klausel rechtsgrundlos gezahlt wurden, nachdem die Gerichtsentscheidung verkündet worden war, mit der die Missbräuchlichkeit festgestellt wurde. Ferner vertritt der Gerichtshof die Auffassung, dass die Anwendung der betreffenden nationalen gerichtlichen Verfahrensgrundsätze den Schutz dieser Rechte unmöglich machen oder übermäßig erschweren kann und folglich den Effektivitätsgrundsatz beeinträchtigt. Das Unionsrecht steht nämlich der Anwendung von Grundsätzen des nationalen Gerichtsverfahrens entgegen, nach denen das nationale Gericht, das mit einer Berufung gegen ein Urteil befasst ist, mit dem die Erstattung der vom Verbraucher aufgrund einer für missbräuchlich erklärten Klausel rechtsgrundlos gezahlten Beträge einer zeitlichen Begrenzung unterworfen wird, nicht von Amts wegen diesen Verstoß aufgreifen und keine vollständige Erstattung dieser Beträge anordnen darf, sofern das Nichtvorgehen des betreffenden Verbrauchers gegen diese zeitliche Begrenzung nicht auf eine völlige Untätigkeit des Verbrauchers zurückgeführt werden kann.

Rechtssache C-600/19 Ibercaja Banco

Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen MA und der Ibercaja Banco SA über einen Antrag auf Zinszahlungen an das Kreditinstitut, nachdem MA und PO den zwischen diesen Parteien geschlossenen Hypothekendarlehensvertrag nicht erfüllt haben. Das zuständige Gericht ordnete die Vollstreckung aus dem Hypothekentitel der Ibercaja Banco an und gestattete die Pfändung zu Lasten der Verbraucher. Erst im Vollstreckungsverfahren, genauer gesagt nach der Versteigerung der mit der Hypothek belasteten Immobilie, machte MA die Missbräuchlichkeit der Verzugszinsklausel und der Mindestzinssatzklausel geltend, also zu einem Zeitpunkt, als die Rechtskrafts- und die Ausschlusswirkung es weder dem Gericht erlaubten, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit von Klauseln zu prüfen, noch es dem Verbraucher erlaubten,
die Missbräuchlichkeit der Klauseln geltend zu machen. Der Vertrag war bei der Einleitung des Hypothekenvollstreckungsverfahrens von Amts wegen geprüft worden, doch wurde die Prüfung der streitigen Klauseln weder ausdrücklich erwähnt noch begründet.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die in Anbetracht von Rechtskraft und Ausschlusswirkung weder dem Gericht erlauben, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln im Rahmen eines Hypothekenvollstreckungsverfahrens zu prüfen, noch dem Verbraucher erlauben, nach dem Ablauf der Einspruchsfrist die Missbräuchlichkeit dieser Klauseln in diesem Verfahren oder einem späteren Erkenntnisverfahren geltend zu machen, wenn diese Klauseln bereits bei der Einleitung des Hypothekenvollstreckungsverfahrens von Amts wegen von dem Gericht auf ihre etwaige Missbräuchlichkeit hin geprüft wurden, die gerichtliche Entscheidung, mit der die Zwangsvollstreckung aus der Hypothek gestattet wird, aber keine – selbst summarische – Begründung enthält, die diese Prüfung belegt, und in dieser Entscheidung nicht darauf hingewiesen wird, dass die Beurteilung, zu der das Gericht am Ende dieser Prüfung gelangt ist, nicht mehr in Frage gestellt werden kann, wenn nicht fristgemäß Einspruch eingelegt wird.

Wenn das Hypothekenvollstreckungsverfahren beendet ist und die Eigentumsrechte an der Immobilie an einen Dritten übertragen worden sind, kann allerdings das Gericht nicht mehr eine Prüfung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln vornehmen, die zur Aufhebung der Eigentumsübertragungsakte führen würde, und es kann die Rechtssicherheit der bereits an einen Dritten erfolgten Eigentumsübertragung nicht mehr in Frage stellen. Der Verbraucher muss jedoch in einer solchen Situation, um seine Rechte aus der Richtlinie wirksam und vollständig ausüben zu können, in der Lage sein, in einem nachfolgenden gesonderten Verfahren die Missbräuchlichkeit der Klauseln des Hypothekendarlehensvertrags geltend zu machen, um Ersatz des finanziellen Schadens zu erlangen, der durch die Anwendung dieser Klauseln verursacht wurde.

Verbundene Rechtssachen C-693/19 SPV Project 1503 und C-831/19 Banco di Desio e della Brianza u. a.

Diese Ersuchen ergingen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, in denen sich SPV Project 1503 Srl und Dobank SpA als Bevollmächtigte der Unicredit SpA auf der einen sowie YB auf der anderen Seite bzw. die Banco di Desio e della Brianza SpA und weitere Kreditinstituten auf der einen sowie YX und ZW auf der anderen Seite gegenüberstehen. Die Rechtsstreitigkeiten betreffen Zwangsvollstreckungsverfahren auf der Grundlage rechtskräftig gewordener Vollstreckungstitel. Die italienischen Vollstreckungsgerichte werfen die Frage nach der Missbräulichkeit der Vertragsstrafeklausel und der Verzugszinsklausel der Darlehensverträge sowie bestimmter Klauseln der Bürgschaftsverträge auf. Auf der Grundlage dieser Verträge haben die Gläubiger den Erlass von Mahnbescheiden erwirkt, die unanfechtbar geworden sind. Die Gerichte weisen allerdings darauf hin, dass sich nach den Grundsätzen des innerstaatlichen Verfahrensrechts in dem Fall, dass der Verbraucher keinen Widerspruch einlege, die Rechtskraft eines Mahnbescheids darauf erstrecke, dass die Klauseln des Bürgschaftsvertrags nicht missbräuchlich seien, und zwar selbst dann, wenn der Richter, der den Mahnbescheid erlassen habe, die Missbräuchlichkeit dieser Klauseln in keiner Weise ausdrücklich geprüft habe.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass eine solche nationale Regelung die dem nationalen Gericht obliegende Pflicht aushöhlen kann, von Amts wegen die etwaige Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln zu prüfen. Die an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu stellende Anforderung verlangt, dass das Vollstreckungsgericht – auch erstmals – beurteilen darf, ob Vertragsklauseln womöglich missbräuchlich sind, die als Grundlage für einen von einem Gericht auf Antrag eines Gläubigers erlassenen Mahnbescheid gedient haben, gegen den der Schuldner keinen Widerspruch eingelegt hat.

Rechtssache C-725/19 Impuls Leasing România

Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen IO und der Impuls Leasing România IFN SA über eine Beschwerde gegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Bezug auf einen Leasingvertrag. Das rumänische Gericht weist darauf hin, dass der Leasingvertrag, auf dessen Grundlage das Vollstreckungsverfahren eingeleitet worden sei, bestimmte Klauseln
enthalte, die als missbräuchlich angesehen werden könnten.

Die rumänische Regelung gestattet es indessen dem Gericht, das mit einer Beschwerde gegen die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung befasst ist, nicht, von Amts wegen oder auf Antrag des Verbrauchers zu prüfen, ob die Vertragsklauseln eines Leasingvertrags missbräulich sind, der zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden geschlossen wurde und der einen vollstreckbaren Titel darstellt, weil es einen ordentlichen Rechtsbehelf gibt, mit dem die Missbräuchlichkeit der Klauseln eines solchen Vertrags von dem Gericht, das mit diesem Rechtsbehelf befasst wird, überprüft werden kann. Zwar steht dem Gericht des Erkenntnisverfahrens, das mit einem Rechtsbehelf befasst ist, der sich vom demjenigen unterscheidet, der das Vollstreckungsverfahren betrifft, die Möglichkeit zu Gebote, das Vollstreckungsverfahren auszusetzen. Der Verbraucher, der die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens beantragt, ist jedoch verpflichtet, eine Sicherheitsleistung zu stellen, die auf der Grundlage des Gegenstandswerts des Rechtsbehelfs berechnet wird.

Der Gerichtshof hält es allerdings für wahrscheinlich, dass ein in Zahlungsverzug geratener Schuldner nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, um die erforderliche Sicherheitsleistung zu stellen. Zudem dürfen derartige Kosten den Verbraucher nicht davon abhalten, das Gericht anzurufen, um die etwaige Missbräuchlichkeit der Klauseln prüfen zu lassen.
Dies scheint indessen umso mehr dann der Fall zu sein, wenn der Gegenstandswert der eingelegten Rechtsbehelfe den Gesamtwert des Vertrags bei weitem übersteigt. Der Gerichtshof ist daher der Auffassung, dass das Unionsrecht einer solchen nationalen Regelung entgegensteht.