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BGH: Einordnung von "sale and rent back"-Verträgen des Anbieters Pfando als nichtiges wucherähnliches Rechtsgeschäft im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB

BGH
Urteile vom 16.11.2022
VIII ZR 221/21, VIII ZR 288/21, VIII ZR 290/21 und VIII ZR 436/21


Der BGH hat entschieden, dass die "sale and rent back"-Verträge des Anbieters Pfando ein wucherähnliches Rechtsgeschäft im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB darstellen und nichtig sind.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Zur Frage des Vorliegens eines verbotenen beziehungsweise wucherähnlichen Rechtsgeschäfts bei einem kombinierten Kauf- und Mietvertrag im Rahmen eines sogenannten "sale and rent back"

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage entschieden, ob ein nach § 34 Abs. 4 GewO i.V.m. § 134 BGB verbotenes Rückkaufsgeschäft beziehungsweise ein wucherähnliches Geschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) vorliegt, wenn ein staatlich zugelassener Pfandleiher gewerblich Kraftfahrzeuge ankauft, diese an den Verkäufer zurückvermietet und nach dem Ende der vertraglich festgelegten Mietzeit durch öffentliche Versteigerung, an der der Verkäufer teilnehmen kann, verwertet.

Sachverhalt:

Die Beklage betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit kauft sie Kraftfahrzeuge an und vermietet diese unmittelbar an die Verkäufer zurück ("sale and rent back"). Am Ende des Mietverhältnisses gibt sie die Kraftfahrzeuge zur öffentlichen Versteigerung.

In allen vier Verfahren veräußerten die Kläger (Kunden) der Beklagten ihr Kraftfahrzeug. Nach den vertraglichen Vereinbarungen soll das betroffene Kraftfahrzeug nach dem Ende der jeweils für 6 Monate vereinbarten Mietzeit im Wege der öffentlichen Versteigerung, an der die jeweiligen Kläger und auch die Beklagte teilnehmen dürfen, durch die Beklagte verwertet werden. Der vertraglich vereinbarte Aufrufpreis setzt sich jeweils aus dem Ankaufspreis zuzüglich verschiedener weiterer Positionen, wie ausstehender Mieten, nicht ersetzter Schäden und den Kosten der Versteigerung zusammen. Ein in der Versteigerung erzielter Mehrerlös soll den Klägern nach dem Mietvertrag dann nicht zufließen, wenn sie das Kraftfahrzeug selbst erfolgreich im Wege der Versteigerung erwerben.

Bisheriger Prozessverlauf:

In allen vier Verfahren haben die Berufungsgerichte angenommen, dass nach einer Gesamtbetrachtung von Kauf- und Mietvertrag ein gemäß § 34 Abs. 4 GewO verbotenes Rückkaufsgeschäft gegeben sei. Der Verstoß gegen § 34 Abs. 4 GewO führe gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der geschlossenen (Kauf- und Miet-)Verträge. In drei der Verfahren (VIII ZR 221/21, VIII ZR 290/21, VIII ZR 436/21) sind die Berufungsgerichte ferner davon ausgegangen, dass sich die Nichtigkeit auch auf die jeweilige Übertragung des Eigentums an dem Kraftfahrzeug erstrecke. In einem Verfahren (VIII ZR 436/21) hat das Berufungsgericht zusätzlich eine Nichtigkeit des Kauf- und Mietvertrags sowie der Übereignung des Kraftfahrzeugs wegen Vorliegens eines wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB) angenommen.

Im Verfahren VIII ZR 221/21 verkaufte die Klägerin ihr Kraftfahrzeug vom Typ Smart Fortwo MHD am 13. August 2018 für 1.500 € an die Beklagte. Das Kraftfahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen Marktwert von 4.500 €. Nach Unterzeichnung der Verträge erhielt die Beklagte von der Klägerin den Zweitschlüssel und die Zulassungsbescheinigung Teil II. Der Klägerin wurde von der Beklagten ein Barscheck über 1.500 € ausgehändigt. Diesen löste sie jedoch nicht ein und zahlte an die Beklagte auch keine Miete.

Das Landgericht hat festgestellt, dass die Klägerin Eigentümerin des Kraftfahrzeugs geblieben sei, und hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Zulassungsbescheinigung Teil II und den Zweitschlüssel herauszugeben. Ferner hat es festgestellt, dass der Beklagten aus dem Mietvertrag keine Ansprüche gegen die Klägerin zustünden. Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, 2 U 116/20) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.

Im Verfahren VIII ZR 288/21 verkaufte der Kläger sein Kraftfahrzeug vom Typ Land Rover Defender am 9. Mai 2019 zum Preis von 15.000 € an die Beklagte. Das Kraftfahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen Händlereinkaufswert von wenigstens 19.500 €. Während der bis zum 9. November 2019 vereinbarten Mietzeit verpflichtete sich der Kläger zur Zahlung einer monatlichen Miete in Höhe von 1.275 €. Er zahlte an die Beklagte für die gesamte Vertragslaufzeit Miete in Höhe von 7.650 € sowie eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 €, insgesamt also 7.749 €.

Die zuletzt auf Verurteilung der Beklagten zur Rückübereignung des Kraftfahrzeugs an den Kläger, Zug um Zug gegen Zahlung von 15.000 €, sowie zur Rückzahlung von 7.749 € nebst Zinsen gerichtete Klage hat in beiden Instanzen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, 2 U 125/20) zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Im Verfahren VIII ZR 290/21 verkaufte die Klägerin ihr Kraftfahrzeug vom Typ Ford Focus am 7. Januar 2020 zum Preis von 3.000 € an die Beklagte. Das Kraftfahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen Verkehrswert von wenigstens 4.500 €. Während der bis zum 7. Juli 2020 vereinbarten Mietzeit verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung einer monatlichen Miete in Höhe von 297 €. Nach Unterzeichnung der Verträge überwies die Beklagte an die Klägerin 2.758,77 € und zahlte 241,23 € an deren Haftpflichtversicherer auf einen bereits fälligen Beitrag. Die Beklagte erhielt von der Klägerin den Zweitschlüssel und die Zulassungsbescheinigung Teil II. Die Klägerin zahlte an die Beklagte außerdem für zwei Monate Miete sowie eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 €, insgesamt also 693 €. Mit Schreiben vom
19. April 2020 kündigte die Beklagte den Mietvertrag aufgrund ausstehender Zahlungen.

Das Landgericht hat - unter Abweisung der Klage im Übrigen - festgestellt, dass die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge unwirksam seien und die Beklagte zur Zahlung von 693 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt. Außerdem hat es festgestellt, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Kraftfahrzeug nicht an die Beklagte verloren habe. Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, 2 U 115/20) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil im Wesentlichen zurückgewiesen und die Klägerin auf eine erst in der Berufungsinstanz erhobene und auf Rückzahlung des Kaufpreises gerichtete Hilfswiderklage der Beklagten verurteilt, an diese den Kaufpreis in Höhe von 3.000 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe der Zweitschlüssel und der Zulassungsbescheinigung Teil II, zu zahlen.

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf vollständige Klageabweisung weiter. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Anschlussrevision gegen die Verurteilung zur Rückzahlung des Kaufpreises.

Im Verfahren VIII ZR 436/21 verkaufte der Kläger sein Kraftfahrzeug vom Typ BMW M5 am 2. Januar 2018 für 5.000 € an die Beklagte. Das Fahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen Händlereinkaufswert von 13.700 €. Während der zunächst bis zum 2. Juli 2018 vereinbarten und anschließend bis zum 1. April 2019 verlängerten Mietzeit verpflichtete er sich zur Zahlung einer monatlichen Miete in Höhe von 495 €. Bis September 2018 zahlte er an die Beklagte insgesamt 4.455 € Miete zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 €. Nachdem er die Miete für Oktober 2018 nicht gezahlt hatte, kündigte die Beklagte den Mietvertrag und ließ das Kraftfahrzeug öffentlich versteigern. An der Versteigerung nahm sie selbst teil, erwarb das Kraftfahrzeug, das zu diesem Zeitpunkt einen Wiederbeschaffungswert von 16.000 € hatte, und veräußerte es anschließend weiter.

Das Berufungsgericht (OLG Hamm, I-18 U 105/20) hat der zuletzt noch auf Zahlung von insgesamt 16.445 € Schadensersatz nebst Zinsen gerichteten Klage unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils in Höhe von 15.545 € nebst Zinsen stattgegeben. Es hat angenommen, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger die geleisteten Zahlungen zu erstatten und Schadensersatz für das veräußerte Kraftfahrzeug zu leisten. Der Kläger müsse sich allerdings den von der Beklagten erhaltenen Kaufpreis auf seine Forderungen anrechnen lassen.

Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen verfolgen der Kläger sein Zahlungsbegehren, soweit dieses erfolglos geblieben ist, und die Beklagte ihr Begehren auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs:

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass zwar kein Verstoß gegen das in § 34 Abs. 4 GewO normierte Verbot des Rückkaufshandels vorliegt und die geschlossenen (Kauf- und Miet-)Verträge daher nicht gemäß § 134 BGB nichtig sind. Jedoch kann ein wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) – mit der Folge der Nichtigkeit der Verträge - vorliegen. Hierauf wurde die Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz sowie zur Rückzahlung vom Kläger geleisteter Miete in einem Fall (auch) gestützt (VIII ZR 436/21); diese Verurteilung der Beklagten hat Bestand.

In den weiteren Fällen wurde das allein auf das Vorliegen eines verbotenen Rückkaufshandels nach § 34 Abs. 4 GewO gestützte Urteil des Berufungsgerichts jeweils aufgehoben, damit dieses die – auch dort – seitens der Kläger aufgeworfene Frage des Vorliegens eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts sowie einer wirksamen Anfechtung der Verträge wegen arglistiger Täuschung der Kunden im weiteren Prozessverlauf klären kann.

1. Das von der Beklagten vorgegebene Vertragsmodell des (gewerblichen) Ankaufs von Kraftfahrzeugen unter anschließender Vermietung an die Kläger (Verkäufer) und späterer Verwertung durch öffentliche Versteigerung unterfällt nicht dem in § 34 Abs. 4 GewO normierten Verbot des Rückkaufshandels. Denn den Klägern wird, anders als es die Vorschrift verlangt, ein Rückkaufsrecht nicht eingeräumt. Um ein solches anzunehmen, genügt nicht allein die Wahl einer Vertragsgestaltung, mit der Pfandleihvorschriften umgangen werden. Es bedarf vielmehr der Vereinbarung eines Rechts des Verkäufers (Kunden) zum Rückerwerb der Sache. Dies kann auch in Form eines Rücktrittsrechts des Kunden geschehen, da dieser es dann, vergleichbar einem Rückkaufsrecht, in der Hand hat, durch eine eigene Willenserklärung den Rückerwerb der Sache zumindest mittelbar zu vorab festgelegten Voraussetzungen – insbesondere zur Höhe des (zurück) zu zahlenden Kaufpreises – herbeizuführen.

Ein solches Recht wurde den Klägern vorliegend nicht eingeräumt. Sie haben lediglich faktisch die Möglichkeit, das zuvor an die Beklagte veräußerte Fahrzeug im Wege der Teilnahme an der öffentlichen Versteigerung durch Zuschlag wieder zurück zu erwerben. Bei einer am Wortsinn der Vorschrift orientierten Auslegung, welche auch die sich aus der historischen Entwicklung der Norm ergebende Zielsetzung des Gesetzgebers zu berücksichtigen hat, liegt in einem solchen Fall ein verbotener Rückkaufshandel nicht vor.

Einer über diesen Wortsinn hinausgehenden Auslegung der Vorschrift des § 34 Abs. 4 GewO oder (gar) deren analoger Anwendung steht vorliegend das sich aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG folgende Bestimmtheits- und Analogieverbot entgegen. Denn ein Verstoß gegen die Verbotsnorm des § 34 Abs. 4 GewO ist nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 GewO bußgeldbewehrt. Solche Normen dürfen, in gleicher Weise wie Straftatbestände, nicht über ihren Wortsinn hinausgehend ausgelegt und auch nicht analog angewandt werden. Dem Verbot einer analogen Anwendung steht vorliegend nicht entgegen, dass es nicht um die Verhängung eines Bußgelds, sondern um die Beurteilung der Nichtigkeit (§ 134 BGB) zivilrechtlicher Verträge geht. Denn der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung gebietet es, dass ein objektiv gleiches Verhalten nicht einerseits zivilrechtliche Folgen nach sich zieht, andererseits aber eine – grundsätzlich vorgesehene – Verhängung eines Bußgelds aufgrund des Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) ausscheiden muss.

2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts im Fall VIII ZR 436/21, dass ein wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) vorliegt, so dass der Kauf- und Mietvertrag sowie die sich anschließende Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte nichtig sind, hatte dagegen Bestand. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz – in Höhe des Wiederbeschaffungswerts des von ihr versteigerten Fahrzeugs (16.000 €) – und zur Rückzahlung der erhaltenen Mieten sowie der Bearbeitungsgebühr (insgesamt 4.554 €), gekürzt um den vom Kläger selbst in Abzug gebrachten Kaufpreis (5.000 €).

Aufgrund des besonders groben Missverhältnisses zwischen dem an den Kläger gezahlten Kaufpreis (5.000 €) und dem zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags bestehenden Händlereinkaufswerts (13.700 €) wird eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten vermutet.

Die angesichts dieser Umstände gegen die Beklagte sprechende tatsächliche Vermutung, dass sie bewusst oder grob fahrlässig einen den Kläger in dessen Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstand zu ihren Gunsten ausgenutzt hat, ist nicht widerlegt. Im Gegenteil sprechen weitere vertragliche Vereinbarung für eine Übervorteilung des Klägers. Denn dieser zahlte für die Nutzung seines ehemaligen Fahrzeugs eine monatliche Miete in Höhe von 495 € und musste zusätzlich sämtliche Unterhaltungskosten (Versicherung, Steuern, Wartung, Reparatur) tragen. Die Miete stellt nicht allein die Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung des Fahrzeugs, sondern der Sache nach auch eine "Vergütung" für die Überlassung des dem Kläger durch die Kaufpreiszahlung zur Verfügung gestellten Kapitals dar. Denn in der vereinbarten Mietzeit von sechs Monaten hatte der Kläger bereits etwa 59 % des von ihm zuvor erhaltenen Kaufpreises als Miete aufzuwenden.

Einen Mehrerlös nach der – nach Ablauf der Mietzeit erfolgten – Versteigerung erhält der Kläger nur, wenn das Fahrzeug durch einen Dritten ersteigert wird. Demgegenüber stellt die Beklagte durch die Festlegung der Höhe des Aufrufpreises sicher, dass ihr sowohl der an den Kläger gezahlte Kaufpreis als auch sämtliche Unkosten wieder erstattet werden. Da der Kläger, wenn er das Fahrzeug nach Ablauf der Mietzeit wieder (zurück-)erwerben möchte, zumindest den erhaltenen Kaufpreis an die Beklagte (zurück-)zahlen müsste, trägt er auch den während der Mietzeit eingetretenen Wertverlust des Fahrzeugs.

Vorinstanzen:

VIII ZR 221/21

LG Frankfurt am Main - 2-14 O 414/18 - Urteil vom 18. September 2020

OLG Frankfurt am Main - 2 U 116/20 - Urteil vom 25. Juni 2021

VIII ZR 288/21

LG Frankfurt am Main - 2-23 O 228/19 - Urteil vom 8. Oktober 2020

OLG Frankfurt am Main - 2 U 125/20 - Urteil vom 11. August 2021

VIII ZR 290/21

LG Frankfurt am Main - 2-26 O 44/20 - Urteil vom 24. September 2020

OLG Frankfurt am Main - 2 U 115/20 - Urteil vom 11. August 2021

VIII ZR 436/21

LG Dortmund - 12 O 15/19 - Urteil vom 17. Juni 2020

OLG Hamm - I-18 U 105/20 - Urteil vom 2. August 2021

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Grundgesetz

Art. 103 [Grundrechte vor Gericht]

[…]

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

Bürgerliches Gesetzbuch

§ 134 Gesetzliches Verbot

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

§ 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Gewerbeordnung

§ 34 Pfandleihgewerbe

[…]

(4) Der gewerbsmäßige Ankauf beweglicher Sachen mit Gewährung des Rückkaufsrechts ist verboten.




OLG Braunschweig: Zur Abgrenzung von zulässiger Schnäppchenjagd und rechtsmissbräuchlicher Abbruchjagd bei eBay - Umstände des Einzelfalls entscheidend

OLG Braunschweig
Urteil vom 13.10.2022
7 U 593/20


Das OLG Braunschweig, hat sich in dieser Entscheidung mit der Abgrenzung von zulässiger Schnäppchenjagd und rechtsmissbräuchlicher Abbruchjagd bei eBay befasst. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erfüllung noch auf Schadensersatz. Hierbei kann es letztlich offenbleiben, ob zwischen den Parteien ein Kaufvertrag zustande gekommen ist und – falls ja – dem Beklagten die Erfüllung unmöglich geworden ist. Einem etwaigen Anspruch der Klägerin steht nämlich der Einwand des Rechtsmissbrauches entgegen, § 242 BGB.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, kann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Bieters bei Internetauktionen in Betracht kommen, wenn seine Absicht von vornherein nicht auf den Erfolg des Vertrages, sondern auf dessen Scheitern gerichtet ist, er also den angebotenen Gegenstand gar nicht erwerben will, sondern auf den Abbruch der Auktion abzielt, um daraufhin Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Ob ein solches als „Abbruchjagd“ bezeichnetes Verhalten vorliegt, lässt sich nicht nach abstrakten, verallgemeinerungsfähigen Kriterien bestimmen, sondern hängt vielmehr von der dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung der konkreten Einzelfallumstände ab (vgl. BGH NJW 2019, 2475 Rdn. 24 u. 25).

Die Abgrenzung zwischen einer zulässigen „Schnäppchenjagd“ und einer rechtsmissbräuchlichen „Abbruchjagd“ ist danach sehr schwierig, so dass der Vollständigkeit des Parteivortrages (vgl. § 138 Abs. 1 ZPO) eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Dieser darf sich daher nicht auf die schlichte Abgabe des Gebotes beschränken, sondern muss sich ggf. auch auf weitere Aspekte der Nutzung von Internet-Auktionen erstrecken, wozu u. a. die Auswahl von Angeboten, aber auch die Beobachtung von Anbietern gehört. Steht die Behauptung im Raum, ein Nutzer trete nur als „Strohmann“ für einen gesperrten „Abbruchjäger“ auf, ist auch insoweit Vortrag zum Nutzungsverhalten der beteiligten Personen erforderlich. Hierbei hat der Käufer, dem eine „Abbruchjagd“ vorgeworfen wird, eine sekundäre Darlegungslast. Eine solche sekundäre Darlegungslast trifft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat auch insoweit anschließt, den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Die sekundäre Darlegungslast führt zwar weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des in Anspruch Genommenen, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Genügt der Gegner aber seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des primär Darlegungsbelasteten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. BGH NJW 2020, 1962 Rdn. 37).

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte vorgetragen, dass die Klägerin lediglich eine „Strohfrau“ ihres bei Ebay gesperrten Bruders … sei, der als sogenannter „Ebay-Abbruchjäger“ handele. Dieser Vortrag war auch beachtlich, denn im Hinblick auf die vom Beklagten in der Klagerwiderung bereits angeführten Indizien kann seine Behauptung nicht als willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ (vgl. dazu BGH BeckRS 2022, 1468 Rdn. 18) aufgestellt angesehen werden. Folglich hatte sich die Klägerin zu diesem Vortrag zu äußern. Da es dem Beklagten naturgemäß nicht möglich ist, Angaben dazu zu machen, nach welchen Kriterien die Klägerin bzw. ihr Bruder … Angebote abgibt, in welchem Umfang und mit welcher Zielsetzung Anbieter beobachtet werden (insbesondere im Hinblick auf Indizien für unberechtigte Abbrüche) und inwieweit das eigene Bieterverhalten davon abhängig gemacht wird, trifft die Klägerin insoweit eine sekundäre Darlegungslast. Dies gilt auch zu den Umständen des konkreten Kaufes und zur Nutzung des Accounts der Klägerin durch Dritte, die selbst bei Ebay gesperrt sind, da dies Aspekte zu einem etwaigen „Strohmannverhältnis“ betreffen und vom Beklagten nicht recherchiert werden können. Das Oberlandesgericht Schleswig hat sich in seinem Urteil vom 23.8.2021 (Az. 16 U 119/20) umfassend mit den Fragen der „Ebay-Abbruchjagd“ und der Umgehung des eigenen Ausschlusses von Ebay durch Nutzung eines fremden Accounts auseinandergesetzt. Diese Entscheidung betrifft, wie der Klägervertreter bestätigt hat, die hiesige Klägerin und ihren Bruder. Letzterer hatte vor dem Oberlandesgericht Schleswig eingeräumt, monatlich auf 300 bis 350 Artikel, in der Regel in den Segmenten hochpreisiger Uhren und Autos, geboten zu haben und dies durchaus in der Hoffnung getan zu haben, dass der Anbieter die Auktion ungerechtfertigt abbreche oder in sie eingreife, was die Möglichkeit biete, entweder Schadensersatz oder Erfüllung zu einem weit unter dem Markpreis liegenden Preis zu verlangen. Auch hatte der Bruder der Klägerin vor dem OLG Schleswig beiläufig erklärt, zur Steigerung der Wahrscheinlichkeit eines derartigen unerlaubten Verkäuferverhaltens die Bieterhistorien auf derartige Vorgänge oder andere Auffälligkeiten zu beobachten (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 23. August 2021 – 16 U 119/20 –, Rdn. 54, juris).

Da dem Beklagten zu derartigen Handlungen kein eigener Vortrag möglich ist und somit von einer sekundären Darlegungslast der Klägerin auszugehen war, war ihr persönliches Erscheinen zur mündlichen Verhandlung am 6.9.2022 angeordnet worden. In diesem Termin ist die Klägerin jedoch absichtlich nicht erschienen. Der Klägervertreter hat dazu auf Frage des Senats angegeben, dass die Klägerin davon ausgehe, dass ihr Vortrag ausreichend sei. Eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin ist von ihm verneint worden.

Da der Senat aber nach dem vorstehend Ausgeführten gerade von einer solchen sekundären Darlegungslast ausgeht und der erforderliche Vortrag der Klägerin ausgeblieben ist, ist die Behauptung des Beklagten, die Klägerin handele als „Strohfrau“ ihres als „Abbruchjäger“ tätigen Bruders, als zugestanden anzusehen. Dann aber ist das Verhalten der Klägerin als rechtsmissbräuchlich anzusehen (vgl. auch OLG Schleswig, Urteil vom 23. August 2021 – 16 U 119/20 –, Rdn. 43, juris), so dass die Klägerin keine Erfüllung verlangen kann.

Folglich bestehen auch keine Schadensersatzansprüche und Ansprüche auf Erstattung von außergerichtlichen Anwaltskosten.

Der Schriftsatz der Klägerin vom 23.9.2022 gibt keinen Anlass, wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten. Soweit es dort heißt, dass sich aus den Ausführungen des Senats in der mündlichen Verhandlung nicht habe entnehmen lassen, ob zu irgendwelchen weiteren Gesichtspunkten noch weiterer Sachvortrag erforderlich sein könnte, und dass der Senat [nur] recht allgemein die sekundäre Darlegungslast der Klägerin sowie die Entscheidung des OLG Schleswig angesprochen habe, trifft dies nicht zu. Die Problematik ist vom Senat eingehend dargestellt worden, jedoch war der Klägervertreter nicht in der Lage, nähere Angaben zu machen. Dies ergibt sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6.9.2022, wonach der Klägervertreter erklärt hat, zum konkreten Fall und insbesondere auch dazu, von welchem Computer die Gebote abgegeben worden seien, nichts sagen zu können. Er hat dann lediglich wiederholt, dass es sich bei der Klägerin um eine leidenschaftliche Schnäppchenjägerin handele. Musste der Klägervertreter aber in der mündlichen Verhandlung feststellen, Fragen des Senats zum Sachverhalt nicht beantworten zu können, so konnte er noch im Termin erkennen, dass der Senat noch weiteren Vortrag für erforderlich hielt. Auch hat er im Termin nicht etwa um Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag gebeten, sondern ist bei seiner Rechtsauffassung geblieben.

Wie sich ferner aus dem Protokoll ergibt, hat der Klägervertreter sogar eingeräumt, dass der Klägerin möglicherweise auch bewusst gewesen sei, dass sie zur Aufklärung des Sachverhaltes beitragen sollte. Sie sei aber nicht erschienen, weil sie davon ausgegangen sei, dass schon ausreichend vorgetragen sei (vgl. Seite 4 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 6.9.2022, Bl. 297 d. A.). Folglich ist von Klägerseite bewusst das Risiko eingegangen worden, dass der eigene Vortrag nicht ausreichen könnte. Der neue Tatsachenvortrag der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 23.9.2022 war daher nicht mehr zu berücksichtigen, § 296a ZPO.

Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 23.9.2022 die Auffassung vertritt, dass eine „Strohfraueigenschaft“ nicht ausreiche, um einen Rechtsmissbrauch anzunehmen, und dazu auf Entscheidungen des Kammergerichts und des OLG Hamm verweist, geht auch der Senat nicht etwa davon aus, dass jedes Bieten eines „Strohmannes“ für eine andere Person als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Ein Rechtsmissbrauch ist jedoch dann gegeben, wenn ein „Abbruchjäger“ formal nicht selbst auf „Abbruchjagd“ geht, sondern dafür einen Dritten vorschiebt. Genau dies war aber der Beklagtenvortrag, zu dem die Klägerin eine (von ihr nicht erfüllte) sekundäre Darlegungslast traf.

Dass der Einwand unzulässiger Rechtsausübung eingreifen kann, wenn sich feststellen lässt, dass es dem Teilnehmer an der Auktion nicht um den erfolgreichen Abschluss eines Kaufgeschäftes, sondern um die „Generierung“ von Schadensersatzansprüchen geht, wird vom Kammergericht und vom OLG Hamm in den von der Klägerin genannten Entscheidungen nicht etwa in Abrede gestellt, sondern ebenfalls bejaht (vgl. KG Beschl. v. 14.4.2020 – 18 U 19/19, BeckRS 2020, 9312 Rdn. 20; OLG Hamm Urt. v. 30.7.2020 – I-34 U 125/19, BeckRS 2020, 18650 Rdn. 68) und entspricht auch der o.g. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.

Auch die Tatsache, dass die Klägerin zunächst Erfüllung des Vertrages verlangt hat, die Klage also nicht von vornherein auf Schadensersatz gerichtet war, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wie bereits ausgeführt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Frage, ob eine „Abbruchjagd“ vorliegt, nicht nach abstrakten, verallgemeinerungsfähigen Kriterien zu beantworten. Es ist vielmehr eine dem Tatrichter obliegende Gesamtwürdigung der konkreten Einzelfallumstände vorzunehmen. Daher kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass hinter einer auf Erfüllung gerichteten Klage keine „Abbruchjagd“ steht. Abgesehen davon, dass ein „erfahrener Abbruchjäger“ dann bereits aus taktischen Gründen regelmäßig zunächst Erfüllung verlangen und erst später im Wege einer zulässigen Klageänderung auf Schadensersatz übergehen würde, ist zu berücksichtigen, dass eine „Abbruchjagd“ auch dann wirtschaftlich attraktiv sein kann, wenn der vom Verkäufer zu leistende Gegenstand für den Käufer/„Abbruchjäger“ einfach zu verwerten ist. Kann eine „Abbruchjagd“ aber gerade nicht schematisch an fixen Kriterien festgestellt werden, sind die einzelnen Umstände, Hintergründe und Details wichtig, da nur dann eine wirkliche Gesamtwürdigung möglich ist. Dies setzt aber voraus, dass der Sachverhalt umfassend vorgetragen wird, weshalb der sekundären Darlegungslast eine besondere Bedeutung zukommt. Diese ihr obliegende sekundäre Darlegungslast hat die Klägerin jedoch – wie bereits ausgeführt – nicht erfüllt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Cottbus: Widerrufsrecht ist nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen wenn sich Personalisierung des Produkts ohne Substanzeinbuße entfernen lässt

LG Cottbus
Urteil vom 29.09.2022
2 O 223/21


Das LG Cottbus hat entschieden, dass das Widerrufsrecht nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen ist, wenn sich eine Personalisierung des Produkts ohne Substanzeinbuße entfernen lässt.
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Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Faksimiles aus §§ 357 Abs. 1, 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312b, 312 BGB.

a) Dem Kläger stand gemäß § 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu. Der Kläger hat mit der Beklagten einen Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB über die Lieferung eines Faksimiles „Liber Scivias – Die göttlichen Visionen der Hildegard von Bingen“ geschlossen und sich zur Zahlung eines Kaufpreises i.H.v. 7.920,00 € verpflichtet. Für eine Einschränkung des Anwendungsbereiches der Widerrufsvorschriften nach § 312 Abs. 2 bis 6 BGB bestehen keine Anhaltspunkte. Es handelt sich um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinne des § 312b BGB, denn jedenfalls hat der Kläger hat sein Kaufangebot bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit eines Vertreters der Beklagten in seiner Wohnung abgegeben, was gem. § 312b Abs. 1 Nr. 2 BGB ausreichend ist. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte das Angebot sogleich in der Wohnung des Klägers durch ihren Vertreter oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durch die Lieferung des Faksimiles angenommen hat.

b) Das Widerrufsrecht war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(1) Auf die handschriftliche Eintragung des Namens des Klägers in die eingeklebte „Notarielle Beurkundung“ kommt es nicht an, denn eine derartige Individualisierung des Faksimiles hat der Kläger nicht bestellt. Vielmehr ist in der Bestellurkunde eine Individualisierung durch ein Messingschild angekreuzt. Zwar hat die Beklagte behauptet, dass der Kläger eine Individualisierung durch eine notarielle Beurkundung gewünscht habe. Für diese – vom Inhalt der Bestellurkunde abweichende – Behauptung hat die Beklagte jedoch keinen Beweis angetreten. Durch eine ohne ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers vom Unternehmer vorgenommene und damit aufgedrängte Individualisierung wird das Widerrufsrecht nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(2) Das Widerrufsrecht war jedoch auch nicht durch die vom Kläger bestellte Individualisierung in Form der Anbringung eines Messingschildes mit seinem Namen gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(i) Das Widerrufsrecht war schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil die Beklagte ein Faksimile mit der bestellten Individualisierung durch ein Messingschild nicht geliefert hat.

Zwar ist es für das Eingreifen des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB – anders als der Kläger meint – grundsätzlich unerheblich, ob der Unternehmer die vereinbarte Individualisierung im Zeitpunkt des Widerrufs bereits vorgenommen hat. Insofern ist allein entscheidend, ob sich die Parteien über eine tatbestandsmäßige Individualisierung der Kaufsache geeinigt haben. Wann der Unternehmer diese Individualisierung vornimmt, spielt keine Rolle (EuGH, Urt. v. 21.10.2020 – C-529/19 – Juris, Rn. 15 ff.).

Vorliegend kann sich die Beklagte auf einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB vor der Lieferung eines entsprechend personalisierten Faksimiles jedoch nach Treu und Glauben aus § 242 BGB nicht berufen, denn sie hat den Kläger in der Bestellurkunde über einen Ausschluss des Widerrufsrechts irreführend belehrt, indem sie dort darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle der Personalisierung „nach Lieferung“ ausgeschlossen sei. Der durchschnittliche Adressat der Bestellurkunde ohne besondere Rechtskenntnisse konnte diesen Hinweis ohne Weiteres dahingehend verstehen, dass ein Widerrufsrecht vor der Lieferung des entsprechend personalisierten Faksimile noch nicht ausgeschlossen ist. An diesem von ihr unmittelbar durch die Gestaltung der Bestellurkunde vermittelten (rechtlich unzutreffenden) Eindruck muss sich die Beklagte unbeschadet des Umstandes festhalten lassen, dass sie in der Widerrufsbelehrung (rechtlich zutreffend aber abstrakt) darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle einer Individualisierung der Ware generell ausgeschlossen ist.

Die Beklagte hat das bestellte Faksimile mit einer Personalisierung durch ein Messingschild mit dem Namen des Klägers nicht geliefert. Sie kann sich somit auf einen etwaigen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB aus Treu und Glauben nicht berufen.

(ii) Unbeschadet dessen wäre das Widerrufsrecht jedoch auch ohne den rechtlich unzutreffenden Hinweis auf der Bestellurkunde nicht ausgeschlossen, weil sich das vom Kläger bestellte Messingschild nach seinem unbestrittenen Vortrag ohne Einbuße an der Substanz des Faksimiles wieder entfernen und durch ein anderes gleich großes Messingschild ersetzen ließe.

Nach dem Sinn und Zweck des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB soll ein Widerruf in Fällen ausgeschlossen sein, in denen die Angaben des Verbrauchers, nach denen die Ware angefertigt wird, die Sache so individualisieren, dass diese für den Unternehmer im Falle ihrer Rücknahme wirtschaftlich wertlos ist, weil er sie wegen ihrer vom Verbraucher veranlassten besonderen Gestalt anderweitig nicht mehr oder allenfalls noch unter erhöhten Schwierigkeiten und mit erheblichem Preisnachlass absetzen kann. Entscheidend ist, ob die Anfertigung der Ware bzw. deren Zuschnitt auf die Bedürfnisse des Verbrauchers nicht ohne Einbuße an Substanz und Funktionsfähigkeit ihrer Bestandteile bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand wieder rückgängig zu machen ist (BGH, Urt. v. 19.03.2003 – VIII ZR 295/01 – Juris, Rn 15). Rückbaukosten jedenfalls unter 5 % des Warenwerts sind dabei als noch verhältnismäßig anzusehen (BGH, a.a.O., Rn. 19). An dieser Rechtsauffassung ist auch nach Inkrafttreten der Verbraucherrechterichtlinie vom 25.10.2011 (Richtlinie 2011/83/EU) unverändert festzuhalten (vgl. Buchmann, Das neue Fernabsatzrecht 2014 (Teil 3), in: K&R 2014, S. 369 (372); Wendehorst, in: MüKo-BGB, 9. Auflage 2022, § 312g Rn. 17).

Auf dieser Grundlage sind die Voraussetzungen eines Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB durch die Vereinbarung der Anbringung eines Messingschildes mit dem Namen des Klägers nicht gegeben. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers ließe sich das Messingschild problemlos wieder entfernen und durch ein anderes, gleich großes Messingschild mit dem Namen eines anderen Käufers ersetzen. Der Wert des Messingschildes liegt unbestritten unter 20,00 € und damit weit unter 1 % des vereinbarten Kaufpreises. Die Beklagte könnte ein durch ein Messingschild für den Kläger personalisiertes Faksimile daher ohne Überschreiten der Opfergrenze wieder verkehrsfähig machen und erneut zum Kauf anbieten.

c) Der Kläger hat das Widerrufsrecht auch ordnungsgemäß, insbesondere fristgemäß ausgeübt.

(1) In seiner Erklärung vom 21.01.2021 hat der Kläger zwar nicht das Wort „Widerruf", sondern das Wort „Widerspruch" verwendet. Aus den Umständen konnte die Beklagte jedoch ohne Weiteres entnehmen, dass ein Widerruf gemeint war. Schließlich hat die Beklagte die Erklärung ausweislich ihres Antwortschreibens vom 04.02.2021 auch in diesem Sinne verstanden (falsa demonstratio non nocet).

(2) Die Widerrufsfrist war am 21.01.2021 noch nicht abgelaufen.

(i) Die allgemeine Widerrufsfrist von 14 Tagen (§§ 355 Abs. 2 Satz 1, 312g Abs. 1 BGB) hatte gem. § 356 Abs. 3 S. 1 BGB noch nicht zu laufen begonnen, weil die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht unterrichtet hatte.

Grundvoraussetzung für eine ordnungsgemäße Belehrung über die Bedingungen für die Ausübung des Widerrufsrechts gem. Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB ist die Belehrung darüber, dass ein Widerrufsrecht überhaupt besteht. Die Beklagte hat durch die Gestaltung des Bestellformulars, wonach bei Ankreuzung des Kästchens zur Personalisierung durch das Messingschild ein Widerrufsrecht nach Lieferung ausgeschlossen sei, jedoch den unzutreffenden Eindruck erweckt, dass ein Widerrufsrecht im konkreten Fall jedenfalls nach Lieferung nicht mehr bestehe. Dieser unmittelbar durch die Bestellurkunde erweckte unzutreffende Eindruck wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass die Voraussetzungen eines Ausschlusses des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB in der Widerrufsbelehrung in abstrakter Weise korrekt dargestellt worden sind.

Darüber hinaus ist die Widerrufsbelehrung jedoch auch deshalb fehlerhaft, weil entgegen Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EBGBG die Anschrift der Beklagten nicht angegeben ist. Insofern weicht die Widerrufsbelehrung auch von dem Muster nach Anlage 1 zu Artikel 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB ab, nach dessen Gestaltungshinweis Nr. 2 in die Widerrufsbelehrung den Namen, die Anschrift, die Telefonnummer und die E-Mail-Adresse des Unternehmers einzutragen sind.

(ii) Die Ausschlussfrist gem. §§ 356 Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 lit. a BGB von zwölf Monaten und 14 Tagen ab Lieferung war zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung im Januar 2021 noch nicht verstrichen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

AG Frankenthal: Kein Anscheinsbeweis dass eBay-Auktion durch Accountinhaber erstellt wurde wenn Umstände auf rechtswidrige Nutzung durch Dritten hindeuten

AG Frankenthal
Urteil vom 28.09.2022
3c C 113/22

Das AG Frankenthal hat entschieden, dass kein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass eine eBay-Auktion durch den Accountinhaber erstellt wurde, wenn Umstände auf eine rechtswidrige Nutzung durch einen Dritten hindeuten.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Entscheidung des Monats Oktober

Leitsatz:
Ein Anscheinsbeweis dahingehend, dass eine Ebay-Versteigerung durch den Accountinhaber initiiert wurde, greift jedenfalls dann nicht, wenn sich dem Käufer aufgrund anderer Umstände der Verdacht aufdrängen musste, der Account könnte von Dritten rechtswidrig genutzt worden sein. (Hier: Email mit ungewöhnlichem, zweifelhaften Abwicklungsvorschlag)

Sachverhalt:
Der Beklagte unterhielt einen eBay Account unter dem Namen „m.“. Unter diesem Account und unter der Auktionsnummer # 294163479699 wurde ein Rennrad „Cervelo s5 2019 — RH 56 cm — Gr. L / 1,75-1,85 zum Preise von 2.765,00 € zum Kauf angeboten. Der Kläger macht geltend, er sei zum Zeitpunkt des Auktionsende Höchstbietender gewesen, sodass zwischen den Parteien ein Kaufvertrag zustande gekommen sei. Gleichwohl habe der Beklagte das Fahrrad trotz mehrfacher Aufforderungen nicht ausgeliefert, sondern es vielmehr ab dem 11.5.2021 erneut anderweitig angeboten. Mit der weiteren Behauptung, das Fahrrad habe angesichts der sehr geringen Laufleistung einen Zeitwert von mindestens 4.500 € gehabt, macht der Kläger einen Nichterfüllungsschaden in Höhe von 1.735 € geltend.

Der Beklagte bringt vor, er habe keine entsprechende Auktion gestartet, sodass zwischen den Parteien auch kein Kaufvertrag zustande gekommen sein könne. Sein Account sei von einem unbekannten Dritten gehackt worden. Die eBay GmbH habe ihm mitgeteilt, sein Konto sei bereits am 19.5.2021 (Anmerkung: also nach der oben genannten Versteigerungsaktion) geschlossen worden. Aus dem aufgrund seiner Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft E. unter Aktenzeichen (…) geführten Ermittlungsverfahren ergebe sich, dass der wahre Vertragspartner des Klägers ein Herr J. sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klage ist unbegründet. Das Gericht kann nicht zu seiner Überzeugung feststellen, dass zwischen den Parteien ein Kaufvertrag gem. § 433 BGB zustande gekommen wäre, dessen Erfüllung der Kläger verlangen könnte. Der Kläger blieb hierfür beweisfällig. Andere zugunsten des Klägers streitende Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Die Beweislast für das Zustandekommen eines Vertrages, aus dem Ansprüche hergeleitet werden sollen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Kläger. Beweis dafür, dass der Beklagte selbst das Verkaufsangebot bei eBay eingestellt hatte oder dieses mit dessen Kenntnis und Willen dort von einem Dritten eingestellt wurde, bietet der Kläger nicht an. Zu seinen Gunsten streitet auch nicht deshalb ein Anscheinsbeweis, weil ein eBay-Account des Beklagten verwendet wurde. Es fehlt insoweit bereits an einem typischen Geschehensablauf, weil der Sicherheitsstandard im Internet derzeit nicht ausreichend ist. Für eine Zurechnung reicht es nicht bereits aus, dass der Kontoinhaber evtl. die Zugangsdaten nicht hinreichend vor dem unberechtigten Zugriff des Handelnden geschützt hat. Auch eine von eBay gestellte und von jedem registrierten Nutzer akzeptierte Formularklausel, wonach Mitglieder grundsätzlich für sämtliche Aktivitäten haften, die unter Verwendung ihres Mitgliedskontos vorgenommen werden, begründet keine Haftung des Kontoinhabers gegenüber Auktionsteilnehmern (BGH, Urteil vom 11.05.2011, VIII ZR 289/09, juris; OLG Hamm, Urteil vom 16.11.2006, Az. 28 U 84/06, NJW 2007,611; Neubauer/Steinmetz, Handbuch des Multimediarechts, 2022, Teil 14, Internetauktionen, Rn. 58 f.). Selbst wenn zu Vorstehendem eine andere Auffassung vertreten würde, wäre ein zugunsten des Kläger in Betracht kommender Anscheinsbeweis jedenfalls erschüttert. Der Kläger selbst legt nämlich mit der Anlage zur Anspruchsbegründung auch eine Nachricht vor, die zwar die Absenderkennung des Beklagten trägt, jedoch den Empfänger mit dem fadenscheinigen Zusatz, der Absender der Nachricht habe „auf die letzte Auszahlung über drei Wochen (…) warten müssen“ darum bittet, „nicht direkt an eBay zu zahlen“, sondern eine Telefonnummer „[...]“ anzurufen. Bereits hier drängt sich der Verdacht eines Betrugsversuchs auf. Der Beklagte hat darüber hinaus unter Hinweis auf das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens dargelegt, nicht Inhaber der genannten Telefonnummer zu sein.


BGH: Käufer muss für Vermutungswirkung nach § 477 BGB darlegen und beweisen dass sich an der Kaufsache 6 Monate nach Gefahrübergang ein Mangel gezeigt hat

BGH
Urteil vom 10.11.2021
VIII ZR 187/20
BGB §§ 13, 14 Abs. 1, § 434 Abs. 1 Satz 1, § 437 Nr. 3, § 476 (nunmehr - wortgleich - § 477 BGB); HGB § 344 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass der Käufer für die Vermutungswirkung nach § 477 BGB darlegen und beweisen muss, dass sich an der Kaufsache 6 Monate nach Gefahrübergang ein Mangel gezeigt hat.

Leitsätze des BGH:

a) Die Vermutung des § 344 Abs. 1 HGB, wonach die von einem Kaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäfte im Zweifel als zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig gelten, findet im Rahmen der Einordnung des rechtsgeschäftlichen Handelns eines Kaufmanns als Verbraucher- oder Unternehmerhandeln nach §§ 13, 14 Abs. 1 BGB jedenfalls dann keine Anwendung, wenn es sich bei dem Kaufmann um eine natürliche Person (Einzelkaufmann) handelt (Fortentwicklung des Senatsurteils vom 18. Oktober 2017 - VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 37; Abgrenzung zu BGH, Urteile vom 13. Juli 2011 - VIII ZR 215/10, NJW 2011, 3435 Rn. 19; vom 9. Dezember 2008 - XI ZR 513/07, BGHZ 179, 126 Rn. 22).

b) Die Vermutung des § 476 BGB aF greift nur dann ein, wenn der Käufer darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass sich an der Kaufsache innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (Mangelerscheinung) gezeigt hat, der - unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand - dessen Haftung wegen einer Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründete (im Anschluss an Senatsurteile vom 12. Oktober 2016 - VIII ZR 103/15, BGHZ 212, 224 Rn. 36; vom 9. September 2020 - VIII ZR 150/18, NJW 2021, 151 Rn. 27 ff.). Kommt als Ursache für eine festgestellte Mangelerscheinung (auch) ein Umstand
in Betracht, der eine Haftung des Verkäufers nicht zu begründen vermag - wie das bei gewöhnlichem Verschleiß an nicht sicherheitsrelevanten Teilen eines Gebrauchtwagens regelmäßig der Fall ist (vgl. Senatsurteil vom 9. September 2020 - VIII ZR 150/18, aaO Rn. 22 f. mwN) -, ist dieser Beweis erst erbracht, wenn feststeht, dass die Ursache ebenfalls in einem Umstand liegen kann, der - sofern er dem Verkäufer zuzurechnen wäre - dessen Haftung auslöste.

c) Der Regelung des § 476 BGB aF ist (jedenfalls) in den Fällen, in denen der Käufer innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 476 BGB aF alle Voraussetzungen für die Entstehung des betreffenden Mangelrechts geschaffen und dieses gegenüber dem Verkäufer geltend gemacht hat, eine "Ausstrahlungswirkung" dergestalt beizumessen, dass bezogen auf diejenigen - für die Durchsetzung des Mangelrechts neben dem Zeitpunkt des Gefahrübergangs jeweils zusätzlich maßgeblichen - späteren Zeitpunkte, die innerhalb des Sechsmonatszeitraums liegen (etwa der Zeitpunkt des Zugangs des Gewährleistungsbegehrens), ebenfalls die Darlegung und der Nachweis des Vorhandenseins einer Mangelerscheinung ausreicht. Darüber hinaus wirkt die Bestimmung des § 476 BGB aF in den genannten Fällen dahingehend fort, dass der Käufer - soweit er auch das Vorliegen eines Mangels zu Zeitpunkten, die außerhalb der Sechsmonatsfrist des § 476 BGB aF liegen (etwa im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung), zu beweisen hat - ebenfalls lediglich das Fortbestehen der jeweiligen nachweislich innerhalb der Frist des § 476 BGB aF aufgetretenen Mangelerscheinung bis zu diesen Zeitpunkten, nicht aber deren Verursachung durch den Verkäufer nachzuweisen hat.

d) Der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gemäß § 437 Nr. 3, §§ 280, 281 Abs. 1 BGB kann nach wie vor anhand der sogenannten fiktiven Mangelbeseitigungskosten bemessen werden (im Anschluss an BGH, Urteil vom 12. März 2021 - V ZR 33/19, NJW 2021, 1532 Rn. 11, zur Veröffentlichung in BGHZ 229, 115 bestimmt; Beschluss vom 13. März 2020 - V ZR 33/19, ZIP 2020, 1073 Rn. 41 ff. mwN; Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 31 ff.).

BGH, Urteil vom 10. November 2021 - VIII ZR 187/20 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Schleswig-Holstein: Rechtsmissbrauch durch von eBay ausgeschlossenen gewerblich handelnden Abbruchjäger auch wenn er dann über eBay-Account eines Dritten tätig wird

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 23.08.2021
16 U 119/20


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass Rechtsmissbrauch durch einen von eBay ausgeschlossenen gewerblich handelnden Abbruchjäger auch dann vorliegt, wenn er dann über den eBay-Account eines Dritten tätig wird. Der Abbruchjäger hat daher kein Anspruch auf Erfüllung des Kaufvertrages.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 433 Abs. 1 BGB auf Erfüllung des Kaufvertrages. Es kann dahingestellt bleiben, ob zwischen den Parteien ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist oder nicht, §§ 145ff. BGB. Die auf „Käuferseite“ abgegebenen Erklärungen sind im eigenen Geschäftsinteresse von Herrn Y. unter fremdem Namen (dem der Klägerin) abgegeben worden (a). Herr Y. ist selbst nicht dazu berechtigt gewesen, an eBay-Auktionen teilzunehmen, weil er in Person als Nutzer der eBay-Dienste ausgeschlossen war (b). Die Zulässigkeit der Bevollmächtigung von Herrn Y. bzw. der Genehmigung seines Handelns durch die Klägerin dahingestellt, zielte die Benutzung des Accounts der Klägerin durch Herrn Y. in deren Einverständnis auf eine bewusste und gewollte Umgehung seines Ausschlusses und stellte dergestalt einen Missbrauch dar mit der Folge, dass die Berufung auf ein wirksames Handeln unter fremdem Namen jedenfalls rechtsmissbräuchlich und deshalb nach Treu und Glauben, § 242 BGB, unwirksam ist (c.).

a) Die vertragswesentlichen Erklärungen sind von dem Bruder der Klägerin, Herrn Y., in seinem eigenen Geschäftsinteresse, aber unter fremdem Namen abgegeben worden.

Dieser hat mit der Teilnahme an der Auktion ersichtlich allein seine eigenen Interessen verfolgt. Das ist nach den unstreitigen Umständen offensichtlich. Herr Y. hat, wie sich aus der unstreitigen Verwendung einer IP-Adresse aus S. (seinem Wohnort) erschließt (und er im Verlauf des Berufungsverfahrens auch eingeräumt hat), das Gebot abgegeben. Der Geschäftsgegenstand – eine teure Luxusuhr – fällt in eines der (wenigen) Segmente, in dem er typischerweise bietet; diese Segmente sind nach seinen eigenen Angaben aus dem Jahr 2016 (etwa vor dem Landgericht Darmstadt, 25 S 18/16, beigezogene Akte des Amtsgerichts Rüsselsheim 3 C 5759/14, Protokoll S. 2, Bl. 352, oder vor dem Amtsgericht Landsberg am Lech, beigezogene Akte 4 C 1078/17, Protokoll vom 6. September 2016, S. 2f., Bl. 72f.) Uhren, Autos und auch Autoteile, auf die er etwa 300 bis 350 Gebote im Monat abgab. Weiter ist unstreitig über den auf den Namen der Klägerin angemeldeten Account d… im August 2018 (also 2 ½ bis 3 ½ Monate nach dem hier streitgegenständlichen Gebot und noch bevor die Klägerin [im September 2018] ihre vermeintlichen Ansprüche gegen den Beklagten hat geltend machen lassen) auf mindestens 22 verschiedene höchstpreisige Luxusuhren und 11 verschiedene hochpreisige Pkw geboten worden (Anlage B 5), was für eine Fortsetzung der Bietpraxis von Herrn Y. spricht. Herr Y. ist zudem derjenige gewesen, der sich bemüht hat, den Account n… als den Zweitaccount des Beklagten zu identifizieren. Herr Y. selbst hat nach seinen eigenen Angaben unmittelbar danach einen Rechtsanwalt beauftragt. Herr Y. ist – wie bei Prozessen seiner Schwester unstreitig stets – bei dem Termin vor dem Landgericht anstelle der geladenen Klägerin als deren instruierter Vertreter aufgetreten und so auch vor dem Senat. Hinzu kommt es schließlich, dass nach ihrem eigenen Vorbringen auch die Klägerin unterdessen bereits eine Vielzahl von Prozessen um Ansprüche aus „Abbruchjagden“ geführt hat.

Auf einen Großteil dieser Umstände hatte, was die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung bei dem Vorwurf eines bloßen Abstellens auf ungenügende Angaben des Herrn Y. übersieht, zutreffend schon das Landgericht (U 8 und 9) abgestellt. Sie lassen nach Menge und Qualität vernünftigerweise nur den Schluss zu, dass Herr Y. unter dem Account der Klägerin lediglich seine eigenen eBay-Aktivitäten fortgesetzt hat.

Die Angaben der Klägerseite stehen dem nicht entgegen. Die schriftsätzliche Einlassung, die Klägerin habe nicht nur für sich selbst, sondern auch für Freunde und Verwandte Gegenstände ersteigert, unter anderem auch für Herrn Y. (Bl. 39), gibt für ein Eigeninteresse an dem konkret in Rede stehenden Kauf nichts her. Auch der an ihrer Stelle im Termin vor dem Landgericht aufgetretene Herr Y. hat für ein Interesse der Klägerin an dem Erwerb der Herren(!)-Uhr nichts von Belang angeben können bzw. wollen. Er hat vielmehr lediglich erklärt, die Klägerin wolle zu ihrer Motivation (und auch dazu, was sie mit der streitgegenständlichen Uhr habe tun wollen) nichts sagen. Die weitere Erklärung, es habe offensichtlich die Motivation bestanden, die Uhr zum gebotenen Preis zu erwerben, ist inhaltsleer und lässt einen nachvollziehbaren Bezug zur Klägerin nicht erkennen. Die Klägerin lässt sich auch in der Berufung und – ungeachtet des insoweit unmissverständlichen Hinweisbeschlusses des Senates, der u.a. darauf maßgeblich abgestellt – auch in der Einspruchsschrift nicht dazu herbei, zu ihrer angeblichen eigenen Erwerbsmotivation und zu ihrer Beteiligung an dem Kauf vorzutragen. Soweit sie verschiedentlich (zuletzt mit dem Einspruch [S. 2/3, Bl. 304/05] und dort eher optional [„wenn“, „selbst wenn“]) vorgetragen hat, sie habe (womöglich) „eigenhändig“ das streitgegenständliche Gebot abgegeben, um „auf Zuruf“ die Uhr für den Zeugen Y. zu ersteigern, so ist das zum einen mit dem unstreitigen Umstand nicht vereinbar, dass das Gebot von einer IP-Adresse aus S., dem Wohnort des Herrn Y., abgegeben worden ist, und zum anderen durch die spätere Erklärung (Bl. 335), die Gebotsabgabe durch Herrn Y. werde unstreitig gestellt, überholt. Ganz entsprechend ist ungeachtet der persönlichen Ladung der Klägerin auch im Einspruchstermin vor dem Senat allein Herr Y. erschienen und hat zu diesen Fragen nichts weiter vorzutragen gewusst, sondern vielmehr Nachfragen nach einem Eigeninteresse der Klägerin in anderen Fällen nicht beantwortet und überhaupt zu Bietaktivitäten in ihrem Interesse keine Angaben machen wollen; in der nahezu zweistündigen Verhandlung, in der praktisch alle Redeanteile, die nicht auf den Senat entfielen, Herrn Y. zukamen, ist er auf keinen Umstand zu sprechen gekommen, aus dem sich auch nur ansatzweise eine eigene Beteiligung der Klägerin an den unter ihrem Account geführten Geschäften hätte ersehen lassen. Dieses (Aussage-)Verhalten hat der Senat nach § 286 Abs. 1 ZPO zu würdigen (vgl. zu den Folgen des unentschuldigten Ausbleibens der Partei nur Zöller/Greger, ZPO, Kommentar, 33. Auflage, § 141 Rn. 11).

Insgesamt spricht danach nichts für ein eigenes Interesse der Klägerin, auch nicht für eine irgendgeartete Beteiligung der Klägerin an dem – nach all den aufgezeigten Umständen allein von Herrn Y. auf der Linie seiner bisherigen Aktivitäten aus- und durchgeführten – Geschäft.

b)vHerr Y. selbst ist zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Gebots im Jahre 2018 nicht mehr dazu berechtigt gewesen, an eBay-Auktionen teilzunehmen. Das ist unstreitig.

aa) eBay hat verschiedene von ihm eingerichtete Accounts geschlossen. Er ist in Person als Nutzer der eBay-Dienste ausgeschlossen gewesen. So hat es der Beklagte (Bl. 25) vorgetragen. Und so hat es auch Herr Y. selbst im Mai 2016 vor dem Landgericht Darmstadt (25 S 18/16, Protokoll S. 2, Bl. 352 der beigezogenen Akte des Amtsgerichts Rüsselsheim 3 C 5759/14) angegeben, nämlich erklärt, dass er in der Folge eines Urteils des Amtsgerichtes Groß-Gerau vom 16. Juli 2014 (62 C 26/14, hier Anlage B 3) „bei eBay ausgeschlossen“ worden sei. Unstreitig ist darüber hinaus, dass Herr Y. danach u.a. den seinem Schwager zugeschriebenen Account a. nutzte; anzunehmen ist (s.o. a.) darüber hinaus, dass er später den auf seine Schwester angemeldeten Account zu eigenen Zwecken nutzte, bis dieser – erneut unstreitig – am 11. September 2018 gesperrt wurde.

bb) Nach den aus der Akte (und den vom Beklagten in Bezug genommenen Protokollen in den beiden Beiakten) ersichtlichen Umständen sind die Sperrungen durch eBay offensichtlich auch nicht lediglich als bloße Malheurs, die (so die Klägerin, Bl. 38) auf ungerechtfertigten „Denunziationen“ der Plattform a. beruhten, gegen die sich „effektiv zu wehren, kaum möglich“ sei. Vielmehr müssen sie als ohne weiteres in der Sache gerechtfertigt erscheinen.

Nach § 4 Nr. 2 eBay-AGB (Anlage K 1) kann eBay einen Nutzer endgültig von der Nutzung der eBay-Dienste u.a. dann ausschließen, wenn er falsche Kontaktdaten angegeben hat, er sein eBay-Konto überträgt oder Dritten hierzu Zugang gewährt, er wiederholt gegen die eBay-AGB oder die eBay-Grundsätze verstößt oder ein anderer wichtiger Grund vorliegt.

(1) Ein solch wichtiger Grund liegt – augenscheinlich auch aus der Sicht von eBay – darin, dass Herr Y. es zur Geschäftsidee und zu seiner fortgesetzten Praxis erhoben hat, auf hochwertige Artikel zu bieten, die zur Vermeidung einer Angebotsgebühr mit minimalen Anfangsgeboten eingestellt werden, um dann im Falle eines unerlaubten Abbruchs oder eines sog. shill biddings gegen die Verkäufer Schadensersatz- oder Erfüllungsansprüche zu verfolgen. Eben das hat das Landgericht (U 12) mit dem „Ausnutzen der bereitgestellten Mechanismen zum Zwecke einer dem Grundgedanken eines online-Marktplatzes fremden Anspruchsgenerierung“ angesprochen. Und eben davon ist hier auszugehen:

Wie ausgeführt, hat Herr Y. monatlich auf 300 bis 350 Artikel geboten, in der Regel in den Segmenten hochpreisiger Uhren und Autos. Das hat er eingeräumtermaßen durchaus in der Hoffnung getan, dass der Anbieter die Auktion ungerechtfertigt abbricht oder in sie eingreift, was – nach entsprechenden Ermittlungen – die Möglichkeit bietet, entweder Schadensersatz oder aber Erfüllung zu einem weit unter dem Marktpreis liegenden Preis zu verlangen, welch letzteren Falls er (wie er vor dem Landgericht Darmstadt [a. a. O.] erklärt hat) „gekauft und verkauft“ hat. Zur Steigerung der Wahrscheinlichkeit eines derartigen unerlaubten Verkäuferverhaltens beobachtet Herr Y., wie er im Senatstermin beiläufig erklärt hat, die Bieterhistorien auf derartige Vorgänge oder andere Auffälligkeiten (im Falle des Beklagten war es der Umstand, dass dieser von einem Mitglied als „Lieblingsverkäufer“ mit derselben Bewertungszahl wie der des Bieters geratet worden war, ohne dass dieses Mitglied erkennbar bei dem Beklagten gekauft hätte). Dass es sich bei der ständigen Praxis des Herrn Y. nicht um ein bloßes gelegentliches Hobby handelt (wie er aber vor dem Amtsgericht Landsberg am Lech [a.a.O.] angegeben hat), erschließt sich schon aus dem Umfang der monatlichen Gebote, ferner auch daraus, dass er selbst erklärt hat, dass er das „mittlerweile stringenter durchziehe“ (ebd.) und entsprechend bereits bis zum Jahr 2016 mit ca. 100 Personen Prozesse wegen eBay-Käufen geführt hatte, ebenso wie nunmehr – unbestritten und von Herrn Y. im Senatstermin eingeräumt – seine Schwester, die Klägerin, eine ganze Reihe von rechtlichen Auseinandersetzungen wegen solcher Käufe führt und geführt hat, die sie, wie sie ebenso wie Herr Y. selbst anführt, regelmäßig zu gewinnen pflegt.

Aus diesen Umständen erschließt sich zwanglos, dass das Bieten auf derartige Angebote bei auffälligen Bietern und die Verfolgung der Verkäufer im Falle eines Abbruchs Herrn Y. im Ergebnis Einnahmen in nicht unerheblichem Umfang verschafft hat. Dazu passt, dass er sich, wie er dem Amtsgericht Landsberg erklärt hat, rechtliche Bücher gekauft hat, um wie dort Klagen vor den Amtsgerichten auch selbst führen zu können. Für den geschäftlichen Charakter sprechen weiter die gezielte Ausrichtung der Gebote auf potentielle Abbrecher, der von ihm geschilderte Aufwand, die Planmäßigkeit und die Hartnäckigkeit, mit denen er im Falle eines Auktionsabbruchs den sich fehlverhaltenden Verkäufer zu ermitteln sucht. Es passt nur ins Bild, dass Herr Y., nach seinen Angaben vor dem Landgericht Darmstadt (a.a.O.) ein studierter Psychologe ohne Diplom, der sich als psychologischer Berater für Menschen betätigt, die seine Hilfe benötigen, ebenso wenig dort Angaben zu den daraus erzielten Einnahmen hat machen wollen wie er vor dem Amtsgericht Landsberg am Lech hat angeben wollen, was er mit den Klagen verdiene.

Dass es sich bei der Tätigkeit nicht ausschließlich um Abbruchjagden in dem vom BGH (in dem einen Fall des Herrn Y. betreffenden Urteil vom 22. Mai 2019, VIII ZR 182/17 – eBay-Abbruchjäger, Rn. 23, vorgehend LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 19. Juli 2017, 16 S 168/16, BeckRS 2017, 151905) im Anschluss an das LG Görlitz (Urteil vom 8. Juli 2015, 2 S 13/14, Rn. 45) angesprochenen, außerordentlich engen Sinn handelt, dass die Absicht des Bieters von vornherein nicht auf den Erfolg des Vertrages (i.e. Erfüllung), sondern (nur) auf dessen Scheitern (i.e. Schadensersatz) gerichtet ist, ändert nichts daran, dass die Unternehmungen von Herrn Y. als auf die Erzielung nennenswerter regelmäßiger Einkünfte gerichtet sind. Dass es ihm vornehmlich um Umsatz und nicht um Ware geht, erschließt sich etwa auch aus den von der Klägerin angeführten, nach dem jeweiligen Tatbestand zweifelsohne Herrn Y. und dabei jeweils Automobil(teil-)e betreffenden Entscheidungen des LG Ellwangen (Urteil vom 7. April 2017, 1 S 131/16, BeckRS 2017, 156252 [Radsatz]), des KG, Beschluss vom 11. Juni 2019, 21 U 93/18, BeckRS 2019, 12730 [BMW M 6] oder des LG Leipzig (Urteil vom 28. März 2019, 08S 462/17, BeckRS 2019,10742 [Pkw]), in welchen jeweils nach Erfüllungsverweigerung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt worden ist. Und auch dann, wenn im Falle eines „Uhren-Schnäppchens“ wie hier Erfüllung begehrt wird, lässt sich, wie nicht zuletzt die Berufung (BB S. 19, Bl. 215) selbst anführt, durch einen Weiterverkauf der Differenzbetrag „in bar vereinnahmen“, was sich – mit der Möglichkeit entsprechender Selektion – vor allem dann lohnt, wenn wie hier die Differenz beträchtlich ist und eine erhebliche Wertsteigerung in kürzester Zeit - wie Herr Y. vor dem Senat zu erklären wusste - bei Uhrenkäufen wie dem Vorliegenden sicher zu erwarten sind. Dass, wie allerdings Herr Y. vor dem Amtsgericht Landsberg (a. a. O.) erklärt hat, das Verkaufen „lange her (sei), 8, 9 oder 10 Jahre“, ist nicht glaubhaft; denn es ist mit seiner seit Jahren unter verschiedenen Accounts fortgesetzten Tätigkeit und der daran anschließenden Prozesstätigkeit unvereinbar, ebenso mit dem eben erwähnten Verweis auf die selbst angeführte Option des Weiterverkaufs. Tatsächlich ist auch die Annahme, dass jemand für sich oder seine Verwandtschaft – Herr Y. wusste im Senatstermin nur sich selbst, seine Schwester und seinen Schwager zu nennen – in derartigem Umfang mit solcher Regelmäßigkeit und zudem – er verfährt, seine Angaben vor dem Amtsgericht Landsberg hochgerechnet, seit 13, 14 oder 15 Jahren so – über einen derart langen Zeitraum hinweg Herren-Luxusuhren, Autos oder Autoteile benötigen könnte, vollständig abwegig. Dementsprechend hat Herr Y. auf entsprechende Nachfrage des Senats, ob er alle Uhren noch besitze, mit „nee“ geantwortet und auf die Frage, ob er denn noch hunderte der ersteigerten Artikel habe, mit „nee, aber diverse“, so dass das Beweisangebot der Klägerin, alle erworbenen Uhren dem Gericht zur Inaugenscheinnahme vorlegen zu können (Bl. 308), als überholt unbeachtlich war. Nach all dem erschließt sich nicht, wie die Klägerin bzw. Herr Y. ohne Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht, § 138 Abs. 1 ZPO, sollten behaupten können, weder sie noch Herr Y. handelten gewerbsmäßig oder in sonstiger Form „geschäftlich“ (Bl. 307), und erneut unternimmt die Klägerin nicht einmal den Versuch, sich, wie es ihr gemäß § 138 Abs. 2 ZPO obliegt, zu den vom Beklagten aufgezeigten Umständen substantiiert zu erklären, namentlich darzutun, wie sich sonst die umfangreichen Aktivitäten der Geschwister erklären sollten.

(2) Ein regelmäßiges, auf Einkommenserzielung ausgerichtetes Geschäft aus dem unerlaubten Abbruch von Auktionen zu machen, verstößt indes gegen den Grundgedanken von eBay.

(a) Nach § 1 Nr. 1 der eBay-AGB bietet das Auktionsformat von eBay einen Marktplatz an, auf dem von Nutzern Artikel (Waren und Dienstleistungen aller Art) angeboten und erworben werden können. Das Forum ist mithin auf einen Verkauf einzelner Waren gerichtet, der historisch typischerweise von Endverbrauchern an Endverbraucher (c2c) und – zunehmend – von Unternehmen an Endverbraucher (b2c) erfolgt, wobei gewerbliche Nutzer sich als solche zu kennzeichnen haben (§ 1 Nr. 6) und ein gewerbliches Konto unter Einschluss der solchenfalls gesetzlich erforderlichen Informationen zu eröffnen haben (§ 2 Nr. 3) mit der Maßgabe, dass ein eBay-Konto nicht übertragbar ist (§ 2 Nr. 8).

Die historische Entwicklung von eBay kann die Klägerin nicht, wie aber mit dem Einspruch, bestreiten. Sie ist eine allgemein bekannte und damit im Sinne von § 291 ZPO offenkundige Tatsache, über die sich jeder, der das etwa nicht wissen sollte, aus allgemein zugänglichen Quellen informieren kann (vgl. nur etwa den wikipedia-Eintrag zu eBay, in dem es schon einleitend heißt „Im Laufe der Jahre erweiterte sich das Angebot von einem Consumer-to-Consumer-Marktplatz mit flohmarktähnlichem Charakter zu einer Business-to-Consumer-Plattform“). Die Klägerseite lässt sich auch nicht dazu herbei, auch nur ansatzweise darzustellen, dass die Historie eine andere gewesen wäre, und das, obwohl Herr Y. erklärtermaßen langjährig auf der Plattform tätig ist und dazu Kenntnisse haben muss. Unabhängig davon liegt es ohnehin so, dass die Klägerin bzw. Herr Y. allein auf dem genannten c2c-Markt „unterwegs“ sind.

(b) Mit diesem Marktplatzmodell und den dazu geltenden Wahrhaftigkeitsanforderungen ist es nicht zu vereinbaren, unter fremdem Namen und unter der bloßen Suggestion eines singulären privaten Erwerbswunsches ein Geschäft zu betreiben, das auf die Generierung von Gewinn durch die planmäßige und organisierte Ausnutzung des Fehlverhaltens von Anbietern (Abbrechern oder shill bidders) ausgerichtet ist. Ein solcher Markt „zweiter Ordnung“ – gleichsam c2b – stellt einen Missbrauch des Marktplatzes zu ihm fremden Zwecken dar. Es drängt sich die Parallele zu früheren sog. Abmahnvereinen auf, deren Tätigkeit darauf ausgerichtet war, ohne ein genuines wettbewerbliches Interesse aus dem „Abstrafen“ systematisch ermittelter regelwidriger Marktauftritte Vorteile (in Gestalt von Abmahngebühren) zu erzielen. Es liegt daher auf der Hand, dass eBay es bevorzugt, eher derartige „Nutzer“ von seiner Plattform auszuschließen denn solche wie den Beklagten, die (weniger smart als gedacht und tendenziell auch sich selbst schädigend) den Plattformbetreiber durch Angebote mit niedrigem Anfangsgebot um die Angebotsgebühren zu prellen suchen.

(c) Die von der Klägerseite gegen diese (bereits im Hinweisbeschluss des Senates vom 21. Dezember 2020 enthaltenen) Erwägungen vorgebrachten Einwände greifen sämtlich nicht durch.

Dass es, was erneut nur blande bestritten wird, auf dem eBay-Marktplatz eigentlich um die Befriedigung singulärer privater Erwerbswünsche geht, folgt zwingend aus dem schon abgehandelten Umstand, dass dieses Feld der c2c-Markt ist. Auf diesem Markt werden von Letztverbrauchern nicht mehr benötigte Einzelstücke angeboten, und darauf bieten Letztverbraucher, die an solchen Einzelstücken ein konkretes Erwerbsinteresse haben.

Eine geschäftsmäßig betriebene Abbruchjägerei ist mit diesem Grundgedanken eines Handels zwischen Letztverbrauchern offensichtlich nicht zu vereinbaren. Freilich trifft zu, dass eBay (so die Klägerin Bl. 110) es grundsätzlich nicht beanstandet, wenn Mitglieder das Ziel haben, Artikel unter dem Marktwert zu ersteigern, und ebenfalls nicht, dass Mitglieder „durch den Erwerb einer größeren Anzahl von Artikeln einen Gewinn erzielen“. Das Handeln der Klägerin bzw. des Herrn Y. hat indes, wie bereits ausgeführt, eine vollständig andere Qualität als eine solche normale „Schnäppchenjagd“; es geht, wie sich schon aus der Vielzahl der allmonatlichen Gebote und der Konzentration auf bestimmte Produkte ergibt, über eine vereinzelte Bedürfnisbefriedigung und, wie sich aus der planmäßigen Konzentration ausschließlich auf Abbrecher und shill bidders ergibt, auch über einen mehrfachen „Ankauf-Verkauf“ – weit hinaus und ist, da es ohne erkennbares Interesse an der Sache praktisch ausschließlich auf die Erzielung von Umsätzen gerichtet ist, ersichtlich von anderer Art. Nach dem Verständnis des Senats hat Herr Y. das praktisch eingeräumt, als er, befragt, warum er trotz seiner Klage über „allesamt manipulierte Auktionen“ von „Betrügern“ (die zur Sperrung des Accounts seiner Schwester geführt hätten) auf eBay verbleiben wolle, lediglich erklärt hat, das mache „halt mehr Spaß“.

Für verfehlt erachtet der Senat auch den Hinweis der Klägerseite darauf, dass ein Abbruchjäger als „Sachwalter des UWG-Vertragsrechts“ seine gute Berechtigung habe, und ihn vermögen auch die Überlegungen in dem dazu von ihr angeführten Aufsatz dieses Titels von Oechsler/Dörrhöfer, NJW 2019, 3105, nicht zu überzeugen. Es ist schon nicht zu erkennen, dass es im Bereich des c2c-Handels auf eBay einer privat organisierten Lauterkeitskontrolle im Hinblick auf unerlaubte Abbrüche privater Auktionen bedürfte. Diese ist schon für gewerbliche Auftritte im UWG dahin eingeschränkt, dass, wie schon angedeutet, Abmahnungen ohne eigenes wettbewerbliches Interesse unterbunden werden. Auch erscheint es als eine unangemessene Verniedlichung, die erheblichen Einnahmen, die – wie vorliegend Herr Y. – professionelle Abbruchjäger aus ihren Aktivitäten erzielen, als bloßen „finanziellen Anreiz“ zu attributieren. Und hinzu kommt schließlich, dass wie sogleich auszuführen ist, eBay als Betreiber des Marktes auf die Installation eines derartigen „Selbstregulierungsmechanismus´“ augenscheinlich keinen Wert legt.

(d) Es liegt nämlich auf der Hand, dass eBay bestrebt ist, eine Abbruchjägerei, wie sie Herr Y. (zuletzt unter dem Account der Klägerin) betrieben hat und betreibt, zu unterbinden, und es lässt sich demgegenüber ausschließen, dass die Sperrung der von Herrn Y. genutzten Accounts grundlos oder aufgrund unberechtigter Vorwürfe erfolgt wäre.

Unstreitig ist nicht nur ein Account von Herrn Y. geschlossen worden, sondern mehrere, derer er sich bedient hat. Was die erste Sperrung angeht, hat Herr Y. selbst (wiederholt auch im Senatstermin) angegeben, dass dazu das bei eBay vorgelegte Urteil des Amtsgerichts Groß-Gerau (Anlage B 3, das ein „unterlegener Rechtsanwalt“ eingereicht habe) geführt hat. Aus diesem Urteil geht nicht nur seine geschäftsmäßige Abbruchjägerei, sondern ebenso klar hervor, dass der Beklagte des dortigen Prozesses gegen die eBay Regeln verstoßen hatte. Gleichwohl hat sich eBay offenbar dazu entschieden, Herrn Y. zu sperren und nicht den dortigen Beklagten. Gleichermaßen handgreiflich ist, dass auch die weiter erfolgten Sperren auf entsprechenden Mitteilungen über die Abbruchjägerei von Herrn Y. bzw. der Klägerin beruht haben müssen. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, dass diese Sperrungen auf Informationen des Internetforums a., zurückgingen, von denen „auch sie und Herr Y. betroffen“ worden seien, und auch insoweit gilt (wie für das Urteil des Amtsgerichts Groß-Gerau), dass die entsprechenden Mitteilungen nicht vermeiden können, das Regelwidrige des eigenen Tuns des Verkäufers zu offenbaren.Dementsprechend ist auch nicht ansatzweise dargetan (geschweige denn belegt), welche „Behauptungen, die häufig sehr wenig mit der Wahrheit zu tun hätten“ oder sonst „harmlosen“ Umstände zu den jeweiligen Sperrungen der von Herrn Y. genutzten Accounts geführt haben sollten. Nach alldem ist damit ein Zusammenhang der Kontoschließungen mit der Abbruchjägerei (in dem hier beschriebenen weiteren Sinne, planmäßig gegenüber wahrscheinlich regelwidrig agierenden Käufern zu bieten, um beträchtliche Gewinne aus Schadensersatz oder Erfüllung/Weiterveräußerung zu erzielen) evident.

Dass eBay als den Missbrauch und eigentliche Gefahr für seinen Marktplatz die professionelle Abbruchjägerei und nicht den Abbrecher von Auftritten auf dem Markt ausschließen will, erschließt sich – über die Menge der Sperrungen und ihre Erstreckung auch auf den Account der Klägerin hinaus – auch zwanglos aus wirtschaftlichen Erwägungen. eBay kann es leicht verschmerzen, wenn gelegentlich Angebote unter Umgehung des bei hochpreisigen Artikeln an sich gebotenen – kostenpflichtigen – Mindestgebots eingestellt werden. Das folgt schon daraus, dass – wie allgemein bekannt ist – nicht selten an Wochenenden die entsprechende Gebühr zur Ankurbelung des Marktgeschehens auf geringfügige Beträge beschränkt oder ganz erlassen wird. Darüber hinaus wird oftmals nach einem unerlaubten Abbruch bei einer Auktion ohne Mindestgebot derselbe Artikel wenig später – und nunmehr kostenpflichtig – erneut eingestellt, sodass eBay auf „seine Kosten kommt“ und entsprechend an einer von seinen Mitgliedern auf eigene Rechnung selbsttätig unternommenen „Selbstregulierung“ kein Interesse hat. Das ist im vorliegenden Fall so gewesen und ebenfalls in dem von der Klägerseite zitierten Fall des OLG Hamm (Urteil vom 30. Juli 2020, I-23 U 125/19, Beck RS 2020, 18650) sowie in den vom Beklagten angeführten Entscheidungen des LG Görlitz (Urteil vom 8. Juli 2015 – 2 S 213/14 –, juris) und des Amtsgerichts Groß-Gerau. Bei einer solchen – nunmehr völlig regulären – zweiten Auktion wird es regelmäßig zu einer (jedenfalls eher) marktgerechten Transaktion kommen. Das wird man auch bei weiteren klägerseits angeführten Fällen – KG, Beschluss vom 27. Juli 2018, 4 U 31/16, BeckRS 2018, 23586; LG Berlin, Urteil vom 9. Juli 2019, 55 S 259/16, BeckRS 2019,16120; LG Ravensburg, Urteil vom 28. September 2017,1 S 142/19, BeckRS 2017,151906; LG Aurich, Urteil vom 5. April 2019, 4 S 96/17, BeckRS 2019,8163 – annehmen können, in denen zeitnah eine anderweitige Veräußerung erfolgt ist, ebenso in dem vom Beklagten angeführten Fall des Amtsgerichts Landsberg am Lech (4 C 1078/14, nachgehend LG Augsburg, 43 S 3572/16).

(3) Erst recht ist im Übrigen die Sperrung des Accounts der Klägerin als gerechtfertigt anzusehen, dies schon deshalb, weil nach den erörterten Umständen davon auszugehen ist, dass sie ihr eBay-Konto übertragen bzw. einem Dritten hierzu Zugang gewährt hat.

Auch dies ist im vorliegenden Fall nicht, wie es aber die Klägerseite darzustellen sucht, eine bloße Lässlichkeit, die alltäglich vorkommt, indem ein Dritter, etwa ein Familienangehöriger, einmal einen ordentlich angemeldeten Account ohne Rücksprache mit dem Inhaber benutzt. Vorliegend handelt es sich nicht um einen Einzelfall, sondern – wie schon die Vielzahl der Prozesse zeigt, die unterdes ohne ihre Beteiligung im Namen der Klägerin geführt werden – um einen stetigen Vorgang, und die Gewährung des Zugangs beruht auch nicht etwa auf einer mangelnden Überwachung desselben, sondern – wie nicht zuletzt aus dem Umstand hervorgeht, dass das streitgegenständliche Angebot aus S. abgegeben worden ist – auf der systematischen Überlassung an eine Person, die, wie die Inhaberin genau weiß, einen eigenen Account bei eBay nicht (mehr) führen darf.

Unter diesen Umständen erscheint das Verhalten von Herrn Y. und der Klägerin auch nicht als eine Alltäglichkeit, die eBay, wie die Klägerseite will, nach den herkömmlichen Grundsätzen des Handelns unter fremdem Namen (vgl. dazu nur Palandt/Ellenberger, BGB, Kommentar, 80. Auflage, § 164 Rn. 10f.) oder denen der Anscheins- oder Duldungsvollmacht oder als ein unbedenklich wirksames „Strohfrauhandeln“ behandele. Beim Handeln unter fremdem Namen geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen im Interesse des erfüllungswilligen Geschäftsgegners ein Vertrag mit Wirkung gegen den vertretenen Namensträger zustande kommt; im Falle von eBay-Auktionen geht es dabei typischerweise um die Nutzung eines ordnungsgemäß errichteten Accounts hinter dem Rücken des Inhabers in einem Einzelfall (vgl. paradigmatisch BGH, Urteil vom 11. Mai 2011 – VIII ZR 289/09, BGHZ 189, 346 = NJW 2011, 2421, Rn. 11ff.). Auch bei der Beurteilung des Strohmannhandelns (das [vgl. nur Palandt/Ellenberger, vor § 164 Rn. 8] wirksam ist, sofern es nicht wegen Gesetzesumgehung, § 134 BGB, nichtig ist) geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen der nur vorgeschobene Strohmann dem an einer Erfüllung interessierten Geschäftsgegner verpflichtet ist und unter welchen diesem nachrangig sogar noch der Hintermann haftet. Vorliegend ist die Konstellation indes eine gänzlich andere. Hier sollen die Erklärungen einer auf dem rechtlichen Betätigungsfeld ausgeschlossenen Person, die diese zum Zwecke der Umgehung ihres Ausschlusses mit Wissen des Namensträgers unter falschem Namen abgibt, gegenüber einem Geschäftsgegner wirksam sein, der – wie sowohl der Hinter- wie der Strohmann sicher vorhersehen können – im Falle seiner selektiven Inanspruchnahme unter keinen Umständen freiwillig zur Erfüllung, geschweige denn zur Bedienung vertraglicher Sekundäransprüche bereit sein wird. Mit Rücksicht auf die vorstehenden Erwägungen erscheint es dem Senat handgreiflich, dass eBay bestrebt ist, derartige Personen von seiner Plattform auszuschließen, und eben das spiegelt sich auch in den Angaben von Herrn Y. zu den Gründen der Sperrung, die nach einigem Hin und Her, ob nun (unklar, im Fall welcher der verschiedenen Sperrungen) nicht bezahlte Artikel oder die „Verbindung zu mir“ den eigentlichen Grund abgeben, darein mündete, dass er „wohl nervt“.

cc) Nachdem gemäß § 4 Nr. 5 der eBay-AGB in der im Streitfall geltenden Fassung (Anlage K 1) eine von eBay verhängte Sperrung oder Kündigung zur Folge hat, dass dieser Nutzer die eBay-Dienste auch mit anderen eBay-Konten nicht mehr nutzen und sich nicht erneut anmelden darf, hat die unstreitige Sperrung des Herrn Y. ebenso wie - wozu sich Herr Y. im Termin nur ausreichend erklärt hat - eine etwaige Kündigung von eBay zur Folge, dass er nicht berechtigt war, auf eBay auf die hier streitgegenständliche Uhr zu bieten.

c) Die Zulässigkeit der Bevollmächtigung von Herrn Y. bzw. der Genehmigung seines Handelns durch die Klägerin dahingestellt, zielte nach den festgestellten Umständen die Benutzung des Accounts der Klägerin durch Herrn Y. in deren Einverständnis auf eine bewusste und gewollte Umgehung seines Ausschlusses und stellte dergestalt einen Missbrauch dar mit der Folge, dass die Berufung auf ein wirksames Handeln unter fremdem Namen jedenfalls rechtsmissbräuchlich und deshalb nach Treu und Glauben, § 242 BGB, unwirksam ist.

Die Rechtsmissbräuchlichkeit eines Verhaltens ist einer allgemeinen Klärung regelmäßig nicht zugänglich, da es hierfür stets auf eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ankommt, wobei die Annahme eines Rechtsmissbrauchs auf besondere Fälle beschränkt bleiben muss. Dementsprechend lassen sich abstrakte, verallgemeinerungsfähige Kriterien, die den zwingenden Schluss auf ein Vorgehen als „Abbruchjäger“ im Sinne einer rechtlich zu missbilligenden Verhaltensweise erlaubten, nicht aufstellen. In Abgrenzung zu einem bloßen Schnäppchenjäger, der lediglich gezielt die Chance wahrnimmt, Waren zu einem deutlich unter ihrem Marktwert liegenden Preis zu erwerben, kommt die Annahme eines Rechtsmissbrauches und eines zu missbilligenden Verhaltens als Abbruchjäger etwa dann in Betracht, wenn die Absicht eines Bieters von vornherein auf das Scheitern des Vertrages (durch Abbruch der Auktion) gerichtet ist, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2021, VIII ZR 91/19, Rn. 6 [überreicht von der Klägerseite im Senatstermin, Hervorhebung vom Senat]; vgl. auch BGH, Urteil vom 22. Mai 2019, VIII ZR 182/17, Rn. 25). Daraus folgt, dass ein Rechtsmissbrauch auch, aber eben nicht nur in solchen Fällen der zielgerichteten Generierung allein von Schadensersatzansprüchen in Betracht kommt, und als eine weitere – hier einschlägige – Fallgruppe erachtet der Senat die hier gegebenen Fälle institutionellen Missbrauchs bzw. der Ausnutzung eines unredlichen Erwerbs der eigenen Rechtsstellung.

Der Gedanke des institutionellen Missbrauchs besagt, dass die aus einem Rechtsinstitut oder einer Rechtsnorm (scheinbar) ergebenden Rechtsfolgen unter Umständen zurücktreten müssen, wenn sie zu einem mit Treu und Glauben unvereinbaren, schlechthin untragbaren Ergebnis führen (vgl. etwa Palandt/Grüneberg, § 242, Rn. 40). Zu den anerkannten Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs gehört unter anderem der unredliche Erwerb der eigenen Rechtsstellung; denn die Ausübung eines Rechts ist in der Regel rechtsmissbräuchlich, wenn der Berechtigte es gerade durch ein gesetz-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten erworben hat (std. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. Oktober 1971, VIII ZR 165/69, BGHZ 57, 108, Rn. 9; BGH, Beschluss vom 20. März 2013, XII ZB 81/11, NJW 2013, 1676, Rn. 18). Das ist insbesondere der Fall, wenn das zielgerichtet geschehen ist (vgl. ebd. und BGH, Urteil vom 20. Juli 2012, V ZR 217/11, Rn. 17).

So liegt es hier. Nach § 2 Nr. 2 eBay-AGB ist die Anmeldung nur juristischen Personen, Personengesellschaften und unbeschränkt geschäftsfähigen natürlichen Personen erlaubt. Nach § 2 Nr. 3 eBay-AGB sind die von eBay bei der Anmeldung abgefragten Daten vollständig und korrekt anzugeben. Nach § 2 Nr. 8 eBay-AGB ist ein eBay Konto nicht übertragbar. Aus diesen Regelungen folgt, dass (juristische und natürliche) Personen einen Nutzer-Account nur auf und für sich selbst etablieren können, nicht aber für Dritte. Das Gebot, auf das sich die Klägerin im Interesse des Herrn Y. berufen will, ist schon im Ansatz allein deshalb möglich gewesen, weil die Klägerin und Herr Y. wissentlich und willentlich die Zugangsbedingungen von eBay missachtet und gegen den klar ersichtlichen Willen von eBay zu umgehen gesucht haben, um einem ausgeschlossenen Nutzer Zugang zu dem Marktplatz zu verschaffen, auf dass dieser dort seine bekanntermaßen von eBay missbilligten Zwecke weiterverfolgen kann. In genau dem von der Klägerin (BB S. 24, Bl. 220) angeführten Sinn schließt der Gedanke von Treu und Glauben es aus, dass sich derjenige, der sich selbst nicht rechtstreu verhält, auf die mangelnde Rechtstreue seines Vertragspartners berufen kann, und hier liegt das Fehlverhalten von Herrn Y. bzw. der Klägerin noch vor den Fehlhandlungen des Beklagten. Den Vorwurf eines regelwidrigen Verhaltens, den Herr Y. zu seinem finanziellen Vorteil den Abbrechern macht, kann er nur deshalb erheben, weil er die Regeln, auf deren Einhaltung er gegenüber den Abbrechern pocht, selbst zuvor gebrochen hat.

Hiergegen kann die Klägerin auch nicht einwenden, diese Beurteilung begünstige den Betrüger und benachteilige das wehrhafte Opfer, wohingegen ihre rechtliche Lösung zu einem für alle Beteiligten ausschließlich vorteilhaften Ergebnis führe. Zunächst liegt weder in einem unzulässigen Auktionsabbruch noch in einem shill bidding rechtstechnisch ein Betrug; es fehlt an einer Täuschung, an einem Irrtum und auch – offensichtlich – an einer Vermögensverfügung. Es wird lediglich einem unbekannten Mitglied die Chance genommen, einen Gegenstand weit unter dessen tatsächlichem Wert erwerben zu können, eine Chance, mit dessen Realisierung es angesichts seines dürftigen Höchstgebots vernünftigerweise ohnehin kaum rechnen konnte. Faktisch erfolgt, wie schon ausgeführt, nach einem – freilich regelwidrigen – Abbruch oftmals eine nunmehr regelgerechte zweite Auktion, die eine marktgerechte oder jedenfalls eher marktgerechte Transaktion zur Folge hat. Das ist nicht nur aus der Sicht des Marktplatzbetreibers, der dabei auf seine Kosten kommt, sondern auch aus der Sicht des Wettbewerbes ein gänzlich unkritisches Ergebnis. Ebenso liegt es, wenn, wie ebenfalls nicht selten, die zunächst auf eBay angebotene Ware anderweitig veräußert wird (was, wie ausgeführt, eBay, das shill bidder nicht ausschließt, hinnimmt). Weder der eBay-Marktplatz noch gar der gesamtgesellschaftliche Warentausch auf Konsumentenebene bedürfen daher des Schutzes, den die Klägerin und Herr Y. ihm zu bieten vorgeben. Nur in der Welt eines eBay-Abbruchjägers, der das dortige Geschehen planmäßig beobachtet und Verstößen mit aufwändigen Folgeroutinen nachgeht, kommt ein Vertrag mit dem nächsthöchsten Gebot zustande und nur unter solchen Vorzeichen käme auch der von ihm verfolgte Verkäufer günstiger davon, und auch das nur rein theoretisch, weil der nächstniedrige Bieter ja bereits überboten worden ist. Es erscheint dem Senat daher auch als unangemessen, wenn die Klägerin und Herr Y., die die bezeichneten Verstöße systematisch im Gewinninteresse ausnutzen, sich als „Opfer“ stilisieren wollen, dies zumal, da sie in diese Rolle nur nach dem bewusst regelwidrigen Zugang zu einer ihnen an sich verschlossenen Bühne haben schlüpfen können. Wollte man der Auffassung der Klägerin folgen, könnte Herr Y., obwohl sein Auftreten auf der Plattform offensichtlich unerwünscht ist, seine Tätigkeit entgegen dem erklärten Willen des Plattformbetreibers ad ultimo fortsetzen, solange es ihm nur gelingt, eine „unbescholtene“ Person zu finden, die bereit ist, ihm ihr Konto zur Verfügung zu stellen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Auch beim Dieselskandal gilt - regelmäßig kein Rücktritt vom Kaufvertrag ohne vorherige Fristsetzung

BGH
Urteil vom 29.11.2021
VIII ZR 111/20

Der BGH hat entschieden, dass auch beim Dieselskandal gilt, dass regelmäßig kein Rücktritt vom Kaufvertrag ohne vorherige Fristsetzung möglich ist.

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof zum sog. Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne vorherige Fristsetzung nicht ohne weiteres möglich

Der Bundesgerichtshof hat sich in einer nunmehr veröffentlichten Entscheidung damit beschäftigt, ob der Käufer eines aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung mangelhaften Neufahrzeugs (siehe hierzu bereits Senatsurteile vom 21. Juli 2021 – VIII ZR 254/20 et al. – Pressemitteilung Nr. 140/2021) vom Kaufvertrag zurücktreten kann, ohne dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung (hier: durch ein Software-Update) zu geben.

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb im Jahr 2015 bei der beklagten Fahrzeughändlerin ein mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug Škoda Yeti, dessen Motorsteuerungssoftware den Prüfstandlauf erkannte und in diesem Fall den Ausstoß von Stickoxiden verringerte. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, erklärte der Kläger im Herbst 2017 den Rücktritt vom Vertrag. Die Beklagte verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Kläger auf das von der Volkswagen AG entwickelte und von der zuständigen Behörde freigegebene Software-Update, das hinsichtlich des Stickoxidausstoßes einen vorschriftsmäßigen Zustand herstellen sollte. Der Kläger ließ das Software-Update nicht aufspielen, weil er negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Vorinstanzen haben der auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten Klage weitgehend stattgegeben. Nach Ansicht des Berufungsgerichts scheitere der vom Kläger erklärte Rücktritt auch nicht an der unterbliebenen Fristsetzung zur Nacherfüllung, da diese vorliegend nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB und § 440 BGB entbehrlich gewesen sei. Dem Kläger sei eine Nachbesserung unzumutbar, weil er nicht gehalten sei, mit der Durchführung des Software-Updates die Beseitigung des Mangels letztlich der Herstellerin zu überlassen, auf deren arglistiges Verhalten das Bestehen des Mangels zurückzuführen sei. Außerdem könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Update keine negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug oder den Fahrbetrieb entfalte, denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung hätte die Herstellerin nicht ohne Not zu "illegalen Mitteln" gegriffen, wenn der mit der Prüfstanderkennung bezweckte Effekt so einfach und ohne anderweitige Nachteile zu erreichen gewesen wäre.

Den Wert des bei Rückabwicklung des Kaufvertrags vom Kläger für die Nutzung des Fahrzeugs gemäß § 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB zu leistenden Ersatzes haben beide Instanzen im Wege der Schätzung ausgehend von einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 250.000 Kilometern bestimmt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Kläger zu seinen Gunsten demgegenüber den Ansatz eine Gesamtfahrleistung von 400.000 Kilometern erreichen, während die Beklagte mit ihrer ebenfalls zugelassenen Revision die Abweisung der Klage insgesamt begehrt.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine dem Verkäufer vor Ausübung eines mangelbedingten Rücktrittsrechts vom Käufer einzuräumende Frist zur Nacherfüllung nicht allein deshalb entbehrlich ist, weil das betreffende Fahrzeug vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht worden ist oder der (bloße) Verdacht besteht, dass ein zur Mangelbeseitigung angebotenes Software-Update zu anderen Nachteilen am Fahrzeug führen könnte. In einer solchen Fallgestaltung bedarf es vielmehr zunächst weitergehender Prüfung und (sachverständiger) Feststellungen durch das Tatgericht.

Ein Rücktritt nach § 437 Nr. 2, § 323 Abs. 1 BGB setzt neben dem Vorliegen eines Sachmangels im Sinne des § 434 BGB grundsätzlich weiter voraus, dass der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachlieferung) gesetzt hat. Diese Fristsetzung ist jedoch entbehrlich, wenn dem Käufer - wofür dieser allerdings darlegungs- und beweisbelastet ist - eine Nacherfüllung unzumutbar wäre (§ 440 Satz 1 Alt. 3 BGB) oder besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen (§ 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Dies bejaht die höchstrichterliche Rechtsprechung unter anderem dann, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat, weil hierdurch regelmäßig die auf Seiten des Käufers zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage entfällt.

Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch - was das Berufungsgericht vorliegend nicht hinreichend beachtet hat - nicht ohne weiteres auf Fallgestaltungen wie die vorliegende übertragen, in denen zwar der Hersteller das Fahrzeug mit einem ihm bekannten und verschwiegenen Mangel - der unzulässigen Abschalteinrichtung - in den Verkehr gebracht hat, dem Verkäufer selbst dieser Mangel bei Vertragsabschluss aber nicht bekannt war. Zwar kann die Vertrauensgrundlage zwischen einem Käufer und einem Verkäufer unter Umständen auch dann gestört sein, wenn der Verkäufer sich bei Vertragsabschluss ordnungsgemäß verhalten hat, aber eine Nachbesserung allein in Form eines von eben diesem Hersteller entwickelten Software-Updates anbietet. Ob eine solche Störung vorliegt, hängt jedoch stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter nicht allein schematisch, sondern in sorgfältiger Abwägung zu würdigen hat. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass sich der Verkäufer, dem vom Gesetz grundsätzlich ein Recht zur zweiten Andienung eingeräumt wird, nach der Rechtsprechung des Senats ein arglistiges Vorgehen des Herstellers gerade nicht zurechnen lassen muss. Weiterhin wird in Betracht zu ziehen sein, ob vor dem Hintergrund der erforderlichen Prüfung und Freigabe des Updates durch die zuständige Behörde und der Beobachtung der weiteren Entwicklung durch die (Fach-)Öffentlichkeit ein erneutes arglistiges Verhalten des Herstellers nicht fraglich sein könnte (vgl. hierzu bereits BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 7/20, Pressemitteilung Nr. 101/2020). Denn wäre - was die Tatgerichte im Einzelnen zu prüfen haben - ein weiteres arglistiges Verhalten des Herstellers aus objektiver Sicht auszuschließen, ließe sich auch eine auf dessen früheres arglistiges Vorgehen gestützte Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nicht begründen.

Ebenso wenig ist vorliegend ein sofortiger Rücktritt bereits deshalb gerechtfertigt, weil - wie das Berufungsgericht gemeint hat - nach der allgemeinen Lebenserfahrung das vom Verkäufer angebotene Software-Update mit dem Verdacht oder gar einer tatsächlichen Vermutung negativer Folgen für das Fahrzeug und dessen Betrieb (höherer Verbrauch, kürzere Lebensdauer des Fahrzeugs, erhöhter Verschleiß, verminderte Leistung, schlechtere Emissionen) behaftet wäre. Vielmehr ist zunächst durch entsprechende Feststellungen und vorliegend durch das vom Kläger diesbezüglich angebotene Sachverständigengutachten zu klären, ob und in welchem Umfang das vom Verkäufer angebotene Software-Update tatsächlich zu den vom Käufer behaupteten Folgeschäden führt.

Nach alledem hat der Senat das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben, soweit darin zu deren Nachteil erkannt worden ist, und es an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit die erforderlichen Feststellungen nunmehr nachgeholt werden können.

Die Revision des Klägers, mit welcher dieser die Bemessung des bei einer Rückabwicklung des Kaufvertrages in Abzug zu bringenden Nutzungsersatzes als überhöht angreift, hat der Senat hingegen zurückgewiesen. Die Instanzgerichte haben ihrer Schätzung (§ 287 Abs. 1 ZPO analog) insoweit im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung die zeitanteilige lineare Wertminderung zugrunde gelegt, die bei Neufahrzeugen ausgehend vom Bruttokaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung) zu bestimmen ist. Für die zu erwartende Gesamtlaufleistung ist dabei die Lebensdauer des gesamten Fahrzeugs maßgebend, die unter Berücksichtigung von der Motorisierung, der Qualität und der Preisklasse des Fahrzeugs zu beurteilen ist. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass sich die Vorinstanzen an den in der Gerichtspraxis anzutreffenden Schätzwerten bei Mittelklassewagen neueren Datums orientiert und für das Fahrzeug eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von 250.000 Kilometern angesetzt haben. Die demgegenüber unter Sachverständigenbeweis gestellte Behauptung des Klägers, das erworbene Fahrzeug habe eine voraussichtliche Laufleistung von 400.000 Kilometern, ist unbeachtlich. Denn der Kläger hat vorliegend nicht aufgezeigt, dass ein Sachverständigengutachten eine tragfähigere Schätzgrundlage als die seit vielen Jahren veröffentlichten Schätzwerte der Tatgerichte böte.

Vorinstanzen:

LG Köln – 19 O 191/17 – Urteil vom 8. Januar 2019

OLG Köln – 6 U 16/19 – Urteil vom 27. März 2020

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 323 BGB Rücktritt wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung

(1) Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten.

(2) Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn

[…]

3. im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. […]

§ 346 BGB Wirkungen des Rücktritts

(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.

(2) 1Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu leisten, soweit

1. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist, […]

§ 434 BGB Sachmangel

(1) 1Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. 2Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln,

1. wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, sonst

2. wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. […]

§ 437 BGB Rechte des Käufers bei Mängeln

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,

1. […]

2. nach §§ 440, 323 […] von dem Vertrag zurücktreten oder […]

§ 440 BGB Besondere Bestimmungen für Rücktritt und Schadensersatz

1Außer in den Fällen des […] § 323 Absatz 2 bedarf es der Fristsetzung auch dann nicht, wenn […] die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen oder ihm unzumutbar ist. […]

§ 287 ZPO Schadensermittlung; Höhe der Forderung

(1) 1Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. 2Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. […]


OLG Frankfurt: Liegt trotz Zusicherung einer CE-Zertifizierung nur gefälschtes CE-Zertifikat vor kann Käufer von 80.000 Corona-Einwegmasken Rückabwicklung des Kaufvertrages verlangen

OLG Frankfurt
Beschluss vom 15.09.2021
i.V.m. Hinweisbeschluss vom 25.6.2021
4 U 66/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass der Käufer von 80.000 Corona-Einwegmasken die Rückabwicklung des Kaufvertrages verlangen kann, wenn trotz Zusicherung einer CE-Zertifizierung nur ein gefälschtes CE-Zertifikat vorgelegt werden kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Gefälschte CE-Zertifizierung berechtigt zu Rückabwicklung des Kaufvertrags für Corona-Einwegmasken

Sichert der Käufer von Einwegmasken deren CE-Zertifizierung zu und kann tatsächlich nur ein gefälschtes Zertifikat vorlegen, kann der Käufer den Kaufpreis gegen Rückgabe der Masken zurückverlangen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) wies die Berufung der Verkäuferin mit heute veröffentlichter Entscheidung zurück.

Die Klägerin bestellte bei der Beklagten 80.000 Einwegmasken. Sie trägt vor, die Beklagte habe die CE-Zertifizierung der Masken zugesichert. Die Beklagte hat das erstinstanzlich nicht bestritten. Die Verkäuferin machte die Auslieferung der Masken von der vorherigen Barzahlung des Kaufpreises abhängig. Auf den gelieferten Verpackungen befand sich ein Hinweis auf eine CE-Zertifizierung. Die nach Übergabe der Masken nachträglich übersandte Rechnung enthielt keinen Zertifizierungshinweis. Deshalb bat die Klägerin, ihr einen Nachweis der CE-Zertifizierung zuzusenden. Sie erhielt daraufhin ein gefälschtes Zertifikat eines polnischen Unternehmens. Für die verkauften Masken existiert keine CE-Zertifizierung.

Das Landgericht hatte die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe der Masken verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die gelieferten Masken seien mangelhaft, da ihnen die zugesicherte Zertifizierung fehle. Die Beklagte habe Masken mit einer Zertifizierung angeboten, ohne dass ihr tatsächlich ein entsprechendes CE-Zertifikat vorgelegen habe.

Die Klägerin habe der Beklagten auch keine Frist zur Nacherfüllung setzen müssen, da dies unzumutbar gewesen wäre. Die Unzumutbarkeit ergebe sich daraus, dass die Beklagte ihr nach Kaufvertragsschluss ein gefälschtes Dokument vorgelegt hatte. Dadurch sei das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Verkäuferin zerstört worden. Dem Vertrauen in die Seriosität des Vertragspartners komme hier besondere Bedeutung zu. Das Vorliegen einer Zertifizierung für ein bestimmtes Produkt könne nicht durch eigene Untersuchung der Ware überprüft werden, insbesondere, wenn diese - wie hier - unberechtigt mit einem CE-Zeichen versehen sei.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision begehrt werden.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.9.2021 i.V.m. Hinweisbeschluss vom 25.6.2021, Az. 4 U 66/21

(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 19.2.2021, Az. 2/1 O 68/20)



BGH: Pauschalierungsklausel in Höhe eines 15 Prozent der Abrechnungssumme nicht übersteigenden Betrags für Schäden durch Kartellabsprachen in Kaufvertrag zulässig

BGH
Urteil vom 10.02.2021
KZR 63/18


Der BGH hat entschieden, dass Pauschalierungsklausel in Höhe eines 15 Prozent der Abrechnungssumme nicht übersteigenden Betrags für Schäden durch Kartellabsprachen in Kaufvertrag zulässig

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof billigt Pauschalierungsklausel für Schäden durch Kartellabsprachen

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 10. Februar 2021, dessen schriftliche Begründung nunmehr vorliegt, entschieden, dass ein an einem Kartell beteiligter Auftragnehmer durch eine insbesondere von öffentlichen Auftraggebern vielfach verwendete Schadenspauschalierungsklausel nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt wird. Der Schadensersatzanspruch eines Kartellgeschädigten, der ein Produkt zu einem kartellbedingt überhöhten Preis erworben hat, kann vielmehr durch eine entsprechende Klausel im Kaufvertrag grundsätzlich wirksam in Höhe eines 15 Prozent der Abrechnungssumme nicht übersteigenden Betrags pauschaliert werden.

Sachverhalt

Kläger sind die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die Beklagte befasst sich mit der Herstellung von Gleisoberbaumaterialien.

Die BVG erwarb in den Jahren 2002 und 2003 von der Beklagten in sieben Fällen Weichen und Weichenteile. Den Verträgen lagen "Zusätzliche Vertragsbedingungen (ZVB)" der BVG zugrunde, die in Nr. 14 folgende Klausel enthielten:

"Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung […] darstellt, hat er 5 v. H. der Abrechnungssumme als pauschalierten Schadensersatz an den Auftraggeber zu zahlen, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird."

Die BVG verlangt nunmehr Schadensersatz in dieser Höhe, weil Hersteller und Händler von Schienen, Weichen und Schwellen spätestens seit 2001 bis zur Aufdeckung des Kartells im Mai 2011 Preis-, Quoten- und Kundenschutzabsprachen praktizierten, an denen auch die Beklagte beteiligt war. Die Absprachen beruhten maßgeblich darauf, dass den einzelnen Unternehmen bestimmte "Altkunden" oder "Stammkunden" zugeordnet waren und diese Zuordnung von den Kartellteilnehmern grundsätzlich respektiert wurde. Hierzu verzichteten die anderen Kartellteilnehmer auf die Abgabe von Angeboten oder reichten diese erst nach Ablauf der Angebotsfrist oder zu überhöhten Preisen ein, so dass der Auftrag dem vorbestimmten Unternehmen zufallen konnte.

Bisheriger Prozessverlauf

Die Klage war in den Vorinstanzen im Wesentlichen erfolgreich. Mit der vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision hat die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt.

Entscheidung des Kartellsenats

Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Nach der Entscheidung des Kartellsenats ist das Berufungsgericht zwar zutreffend von der Wirksamkeit der vertraglich vereinbarten Schadenspauschalierungsklausel ausgegangen. Rechtsfehlerhaft hat es aber angenommen, der Beklagten sei der Nachweis nicht gelungen, dass der BVG ein geringerer Schaden als der Pauschalbetrag oder überhaupt kein Schaden entstanden ist.

Eine Schadenspauschalierungsklausel ist außerhalb des unternehmerischen Geschäftsverkehrs an den Maßgaben der Vorschrift des § 309 Nr. 5 BGB zu messen. Danach ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz unwirksam, wenn die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden übersteigt (Buchstabe a) oder dem anderen Vertragsteil nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, ein Schaden sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale (Buchstabe b). Dabei darf die Pauschale der Höhe nach den normalerweise eintretenden branchentypischen Durchschnittsschaden nicht übersteigen.

Im - hier maßgeblichen - unternehmerischen Geschäftsverkehr ist diese Vorschrift nicht anwendbar. Jedoch sind ihre Wertungen bei der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB grundsätzlich zu berücksichtigen. Im Rahmen der gebotenen umfassenden Interessenabwägung muss darüber hinaus den Besonderheiten kartellzivilrechtlicher Schadensersatzansprüche Rechnung getragen werden.

Die Bezifferung eines Schadens, der aus einem Verstoß gegen das Kartellverbot resultiert, ist regelmäßig mit erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten und großem sachlichen und finanziellen Aufwand verbunden. In besonderem Maße gilt dies für den praktisch bedeutsamsten Fall des durch Kartellabsprachen verursachten Preishöhenschadens, weil dieser Schaden aus einem Vergleich des vertraglich vereinbarten Preises mit dem hypothetischen Preis zu ermitteln ist, der sich ohne Kartellabsprache ergeben hätte. Dieser hypothetische Wettbewerbspreis lässt sich typischerweise nur aufgrund von Indizien ermitteln und kann nur näherungsweise bestimmt werden. Insofern kommt dem mit der Verwendung von Pauschalierungsklauseln verfolgten und in § 309 Nr. 5 BGB grundsätzlich anerkannten Zweck besondere Bedeutung zu, die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen durch Verringerung von Zeitaufwand und Kosten zu rationalisieren. Das Informationsdefizit des redlichen Klauselverwenders, der für den Fall einer Kartellabsprache mit Hilfe der Pauschalierungsklausel eine effiziente Kompensation des aus dem vom unredlichen Vertragspartner verursachten Vermögensschadens anstrebt, unterscheidet Kartellschadensersatzfälle von solchen, in denen mit der Pauschalierungsklausel ein Schaden abgegolten werden soll, der aus der Verletzung einer vertragstypischen Pflicht resultiert und bei dem sich der Geschädigte zur Bemessung eines branchentypischen Durchschnittsschadens auf entsprechende Erfahrungswerte stützen kann.

Der Auftraggeber darf sich daher auf verfügbare ökonomisch fundierte allgemeine Analysen kartellbedingter Preisaufschläge wie eine von der BVG in den Rechtsstreit eingeführte, von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie stützen, nach denen sich durch eine Kartellabsprache verursachte Preiserhöhungen im arithmetischen und geometrischen Mittel jedenfalls auf 15 Prozent, bezogen auf den tatsächlich gezahlten Kaufpreis, belaufen. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um einen bloßen Durchschnitts- oder Mittelwert handelt, der im Einzelfall beträchtlich über- wie unterschritten werden kann, und alle empirischen Untersuchungen aufgrund der Komplexität des Preisbildungsmechanismus, der Vielfalt der Kartellabsprachen, der erheblichen Streubreite der zu beobachtenden Preisaufschläge und der begrenzten Verfügbarkeit hinreichend vergleichbarer Datensätze allenfalls Näherungswerte abbilden und im Detail methodischen Zweifeln ausgesetzt sein können.

Eine pauschalierte Abschätzung der Differenz zwischen Angebotspreis und hypothetischem Marktpreis ist dadurch zwar zwangsläufig sowohl mit der Gefahr einer Über- wie mit der Gefahr einer Unterkompensation des tatsächlich eingetretenen Schadens verbunden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Auftraggeber eine mögliche Überkompensation schon bei der Pauschalierung schlechthin oder zumindest weitgehend ausschließen muss. Dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot wird vielmehr hinreichend Rechnung getragen, wenn eine Pauschalierungsklausel dem an einer Kartellabsprache beteiligten Schädiger den Nachweis vorbehält, dass dem Auftraggeber ein geringerer Schaden entstanden ist. Andernfalls würden die Schwierigkeiten und Unsicherheiten bei der Ermittlung des hypothetischen Marktpreises einseitig zu Lasten des Auftraggebers berücksichtigt. Dies wäre unangemessen, weil der Schädiger als Kartellbeteiligter an einer vorsätzlichen Verfälschung des wettbewerblichen Preisbildungsmechanismus' mitgewirkt hat und damit auch für die Schwierigkeit der Ermittlung des hypothetischen Marktpreises verantwortlich ist.

Eine Klausel, die das Risiko der Aufklärung des tatsächlich entstandenen Schadens dem Vertragspartner überbürdet, steht jedenfalls dann mit den sich aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebenden Anforderungen in Einklang, wenn die pauschalierte Schadenshöhe nach den bei Vertragsschluss zur Verfügung stehenden Erkenntnissen gleichermaßen mit der Gefahr einer Über- wie einer Unterkompensation des Schadens verbunden ist und es beiden Vertragsparteien überlassen bleibt, jeweils einen ihr günstigeren hypothetischen Marktpreis und damit einen fehlenden oder geringeren oder auch einen höheren Schaden nachzuweisen.

Danach hätte das Berufungsgericht aber dem Vorbringen der Beklagten nachgehen müssen, der BVG sei kein oder nur ein geringerer Schaden entstanden. Nur wenn sich ein solches Vorbringen nicht beweisen lässt, darf dem Geschädigten der vereinbarte Pauschalbetrag als Schadensersatz zuerkannt werden.

Vorinstanzen

Kammergericht Berlin, Urteil vom 28. Juni 2018 – 2 U 13/14 (Kart)

Landgericht Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2014 – 16 O 384/13 Kart

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 1 GWB (in der Fassung vom 26. August 1998)

Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.

§ 33 GWB (in der Fassung vom 26. August 1998)

1Wer gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder eine Verfügung der Kartellbehörde verstößt, ist, sofern die Vorschrift oder die Verfügung den Schutz eines anderen bezweckt, diesem zur Unterlassung verpflichtet; fällt ihm Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last, ist er auch zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet. […]

§ 307 BGB

(1) 1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. 2Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1.mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder

2.wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.



BGH: Im Kaufrecht bleibt es dabei dass der Käufer fiktive Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz verlangen kann

BGH
Urteil vom 12.03.2021
V ZR 33/19


Der BGH hat entschieden, dass es im Kaufrecht dabei bleibt, dass der Käufer fiktive Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz verlangen kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden

Der unter anderem für den Immobilienkauf zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass ein kaufvertraglicher Anspruch auf Schadensersatz wegen Mängeln der erworbenen Immobilie weiterhin anhand der voraussichtlich entstehenden, aber bislang nicht aufgewendeten ("fiktiven") Mängelbeseitigungskosten berechnet werden kann.

Sachverhalt:

Die Kläger erwarben von dem Beklagten im Jahr 2014 eine Eigentumswohnung zum Preis von 79.800 € unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. In dem Kaufvertrag heißt es: "Dem Verkäufer ist bekannt, dass es in der Vergangenheit an der Schlafzimmerwand Feuchtigkeit gab. Sollte es bis zum 31. Dezember 2015 erneut zu einer Feuchtigkeit im Schlafzimmer kommen, verpflichtet sich der Verkäufer, diese auf seine eigenen Kosten zu beheben." Nach Übergabe der Wohnung trat Ende 2014 Feuchtigkeit in dem Schlafzimmer der Kläger auf, zu deren Beseitigung die Kläger den Beklagten erfolglos unter Fristsetzung aufforderten. Die Wohnungseigentümer ermächtigten die Kläger durch Beschluss auch insoweit zur Behebung der Schäden, als das Gemeinschaftseigentum betroffen ist. Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten - soweit im Revisionsverfahren von Interesse - die Zahlung der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer in Höhe von 7.972,68 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten; ferner soll festgestellt werden, dass der Beklagte weitere Schäden ersetzen muss.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Die von dem Berufungsgericht vorgenommene Bemessung des kaufvertraglichen Schadensersatzes statt der Leistung gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB entspricht der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Danach kann der Käufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes entweder Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen, wobei es unerheblich ist, ob der Mangel tatsächlich beseitigt wird. Allerdings hat der VII. Zivilsenat für den werkvertraglichen Anspruch auf kleinen Schadensersatz gemäß § 634 Nr. 4, § 280, § 281 Abs. 1 BGB seine langjährige Rechtsprechung, nach der die Schadensbemessung anhand der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten zulässig war, inzwischen aufgegeben (Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17, veröffentlicht auf der Homepage unter "Entscheidungen"). Dies lässt sich auf die kaufrechtliche Sachmängelhaftung jedoch nicht übertragen. Insbesondere steht dem Käufer - anders als dem Besteller im Werkvertragsrecht - kein Vorschussanspruch zu. Es wäre aber nicht vertretbar, wenn der Käufer einer Sache die beabsichtigte Mängelbeseitigung vorfinanzieren müsste. Eine Ausnahme gilt nur im Hinblick auf die Umsatzsteuer, die – wie im Delikts- und Werkvertragsrecht - nur ersetzt werden muss, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.

Eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 GVG) ist nicht mehr erforderlich, nachdem der VII. Zivilsenat auf Anfrage des V. Zivilsenats vom 13. März 2020 (V ZR 33/19, veröffentlicht auf der Homepage unter "Entscheidungen") die Begründung seiner Rechtsprechungsänderung mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 (VII ARZ 1/20, veröffentlicht auf der Homepage unter "Entscheidungen") im Hinblick auf die Verankerung im Werk- und Architektenvertragsrecht vertieft und ergänzt hat. Insbesondere ist klargestellt worden, dass ein zweckgebundener und abzurechnender Vorfinanzierungsanspruch nicht aus dem allgemeinen Schadensersatzrecht hergeleitet werden kann.

Ebenso wenig bedarf es einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG). Denn die von dem VII. Zivilsenat vorgenommene Bemessung des kleinen Schadensersatzes statt der Leistung ist angesichts der präzisierten und klarer konturierten werkvertraglichen Verankerung nicht auf andere Vertragstypen des besonderen Schuldrechts übertragbar. Bei dem Erwerb gebrauchter Immobilien sind die praktischen Unterschiede zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht im Regelfall gering. Denn bei Mängeln, mit denen der Immobilienkäufer nicht oder jedenfalls deutlich schlechter "leben" kann als mit der mangelfreien Immobilie, hält der VII. Zivilsenat, wie er ausdrücklich klargestellt hat, die Schätzung des mangelbedingten Minderwerts anhand der Mängelbeseitigungskosten weiterhin für zulässig. Infolgedessen müssen in solchen Fällen - jedenfalls im Ergebnis - die noch nicht angefallenen Mängelbeseitigungskosten unabhängig von der Rechtsnatur des Vertrags ersetzt werden. Die Einordnung des Vertrags in das Kauf- oder in das Werkvertragsrecht wirkt sich künftig vornehmlich in denjenigen Fallgestaltungen aus, in denen die Mängelbeseitigungskosten den mangelbedingten Minderwert erheblich überschreiten. Gerade in solchen Fallkonstellationen gibt es für eine unterschiedliche Behandlung von Kauf- und Werkverträgen jedoch triftige Gründe, die bereits der VII. Zivilsenat in seinem Beschluss vom 8. Oktober 2020 (VII ARZ 1/20) eingehend und zutreffend aufgezeigt hat. Der Käufer müsste die Mängelbeseitigung vorfinanzieren, weil er - anders als der Besteller - keinen Vorschuss verlangen kann; das wäre unzumutbar. Zudem wirkt das Kaufrecht einer unangemessenen Überkompensation des Käufers durch die Begrenzung des Nacherfüllungsanspruchs entgegen. Ist nämlich die Nacherfüllung nach den Vorgaben des § 439 Abs. 4 Satz 2 BGB als unverhältnismäßig anzusehen, kann der Käufer als Schadensersatz nur den mangelbedingten Minderwert verlangen. Im Werkvertragsrecht gibt es für eine solche Begrenzung des Schadensersatzanspruchs keine Entsprechung.

Vorinstanzen:

LG Krefeld – Urteil vom 29. November 2017 – 2 O 143/17

OLG Düsseldorf – Urteil vom 15. Januar 2019 – I-24 U 202/17

Die maßgeblichen Normen lauten:

§ 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (…)

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

§ 281 Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistung

(1) Soweit der Schuldner die fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbringt, kann der Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat (…)

(4) Der Anspruch auf die Leistung ist ausgeschlossen, sobald der Gläubiger statt der Leistung Schadensersatz verlangt hat.

§ 437 Rechte des Käufers bei Mängeln

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,

1.nach § 439 Nacherfüllung verlangen,

2.nach den §§ 440, 323 und 326 Abs. 5 von dem Vertrag zurücktreten oder nach § 441 den Kaufpreis mindern und

3.nach den §§ 440, 280, 281, 283 und 311a Schadensersatz oder nach § 284 Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.

§ 634 Rechte des Bestellers bei Mängeln

Ist das Werk mangelhaft, kann der Besteller, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,

1.nach § 635 Nacherfüllung verlangen,

2.nach § 637 den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen,

3.nach den §§ 636, 323 und 326 Abs. 5 von dem Vertrag zurücktreten oder nach § 638 die Vergütung mindern und

4.nach den §§ 636, 280, 281, 283 und 311a Schadensersatz oder nach § 284 Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.



BGH: Leasingnehmer hat bei Kilometerleasingverträgen kein Widerrufsrecht

BGH
Urteil vom 24. Februar 2021
VIII ZR 36/20


Der BGH hat entschieden, dass ein Leasingnehmer bei Kilometerleasingverträgen kein Widerrufsrecht hat.

Die Pressemitteilung des BGH:

Kein Widerrufsrecht des Leasingnehmers bei Kilometerleasingverträgen

Der unter anderem für das Leasingrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass einem Leasingnehmer, der als Verbraucher mit einem Unternehmer einen Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung abgeschlossen hat, ein Recht zum Widerruf des Vertrags nicht zusteht.

Sachverhalt:

Der klagende Leasingnehmer hat als Verbraucher mit der beklagten Leasinggeberin im Jahr 2015 einen Leasingvertrag über ein Neufahrzeug mit Kilometerabrechnung (so genannter Kilometerleasingvertrag) abgeschlossen. Aufgrund eines vom ihm im März 2018 erklärten Widerrufs verlangt er Rückerstattung sämtlicher erbrachter Leasingzahlungen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die gegen das Berufungsurteil gerichtete Revision des Klägers zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat zu Recht ein Widerrufsrecht des Klägers unter jedem rechtlich denkbaren Gesichtspunkt verneint.

Ein Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung erfüllt nicht die Voraussetzungen der Vorschrift des § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BGB (in der bei Vertragsschluss und auch heute noch geltenden Fassung), weil er weder eine Erwerbspflicht des Leasingnehmers oder ein Andienungsrecht des Leasinggebers noch eine Restwertgarantie des Leasingnehmers vorsieht. Ein Widerrufsrecht des Leasingnehmers ergibt sich bei einem Kilometerleasingvertrag auch nicht aus § 506 Abs. 1 BGB in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen Fassung. Ein Rückgriff auf diese Bestimmung als Auffangtatbestand kommt nicht in Betracht. Die Vorschrift des § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BGB regelt im Wege einer abschließenden Aufzählung, dass bei entgeltlichen Nutzungsverträgen nur in den genannten Fällen eine sonstige entgeltliche Finanzierungshilfe vorliegt, bei der gemäß § 506 Abs. 1 BGB (in der genannten Fassung) ein Recht des Leasingnehmers zum Widerruf des Leasingvertrags nach den Vorschriften des Verbraucherkreditrechts besteht.

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen für eine Analogie scheidet auch ein Widerrufsrecht des Leasingnehmers in entsprechender Anwendung des - die Fälle einer Restwertgarantie regelnden - Vorschrift des § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB aus. Dem gesetzgeberischen Konzept haftet weder eine planwidrige Regelungslücke an noch trifft die vom Gesetzgeber bei der Schaffung der genannten Bestimmung vorgenommene Interessenbewertung auf Kilometerleasingverträge zu.

Der Gesetzgeber hat sich bei der Einführung des § 506 BGB nicht an der bisherigen Rechtslage orientiert, bei der die höchstrichterliche Rechtsprechung Leasingverträge mit Kilometerabrechnung als Finanzierungsleasingverträge eingestuft und sie als Finanzierungshilfen im Sinne des Verbraucherkreditgesetzes angesehen hat. Vielmehr hat er nunmehr die Interessenbewertung der europäischen Verbrauchgüterkaufrichtlinie übernommen, die Leasingverträge lediglich im Falle einer – auch einseitig vom Leasinggeber auslösbaren – Erwerbspflicht des Leasingnehmers dem Verbraucherkreditrecht unterstellte. Die nach der Verbraucherkreditrichtlinie vorgesehene Beschränkung des Verbraucherkreditschutzes auf bestimmte Fälle entgeltlicher Gebrauchsüberlassungsverträge hat der Gesetzgeber nicht nur den - der Umsetzung der Richtlinie dienenden - Bestimmungen des § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BGB zugrunde gelegt, sondern auch bei dem zusätzlich geschaffenen Tatbestand des § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB nachgezeichnet. Mit dieser Regelung hat er lediglich das Widerrufsrecht punktuell erweitern, nicht aber sämtliche Finanzierungsleasingverträge dem Verbraucherkreditrecht unterwerfen wollen.

Der Abschluss eines Kilometerleasingvertrags stellt auch nicht ein Umgehungsgeschäft nach § 511 Satz 2 BGB in der bei Vertragsschluss geltenden Fassung (heute § 512 BGB) dar, das zur Anwendung des § 506 Abs. 1 BGB und damit zu einem Widerrufsrecht des Verbrauchers gemäß §§ 495, 355 BGB führte. Denn der Umstand, dass ein bestimmter – und zudem seit langem etablierter – Vertragstyp gewählt wird, der nach dem gesetzgeberischen Regelungskonzept gerade nicht von der Verbraucherschutznorm des § 506 BGB erfasst ist, begründet keine Umgehung dieser Regelung.

Schließlich hat die Beklagte durch den Umstand, dass sie dem Kläger eine "Widerrufsinformation" erteilt hat, diesem nicht ein Angebot auf Einräumung eines (von den gesetzlichen Voraussetzungen unabhängigen) vertraglichen Widerrufsrechts unterbreitet.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 506 Zahlungsaufschub, sonstige Finanzierungshilfe (Absatz 1 in der Fassung vom 20. September 2013; Abs. 2 in der Fassung vom 29. Juli 2009)

(1) Die Vorschriften der §§ 358 bis 360 und 491a bis 502 sind mit Ausnahme des § 492 Abs. 4 und vorbehaltlich der Absätze 3 und 4 auf Verträge entsprechend anzuwenden, durch die ein Unternehmer einem Verbraucher einen entgeltlichen Zahlungsaufschub oder eine sonstige entgeltliche Finanzierungshilfe gewährt.

(2) Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher über die entgeltliche Nutzung eines Gegenstandes gelten als entgeltliche Finanzierungshilfe, wenn vereinbart ist, dass

1. der Verbraucher zum Erwerb des Gegenstandes verpflichtet ist,

2. der Unternehmer vom Verbraucher den Erwerb des Gegenstandes verlangen kann oder

3. der Verbraucher bei Beendigung des Vertrags für einen bestimmten Wert des Gegenstandes einzustehen hat.

Auf Verträge gemäß Satz 1 Nr. 3 sind § 500 Abs. 2 und § 502 nicht anzuwenden.

[…]

§ 495 Widerrufsrecht (in der Fassung vom 20. September 2013)

(1) Dem Darlehensnehmer steht bei einem Verbraucherdarlehensvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu.

[…]

§ 511 Abweichende Vereinbarungen (in der Fassung vom 29. Juli 2009)

Von den Vorschriften der §§ 491 bis 510 darf, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden. Diese Vorschriften finden auch Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.

§ 355 Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen (in der Fassung vom 20. September 2013)

(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.

(2) Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Sie beginnt mit Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(3) Im Falle des Widerrufs sind die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. Bestimmt das Gesetz eine Höchstfrist für die Rückgewähr, so beginnt diese für den Unternehmer mit dem Zugang und für den Verbraucher mit der Abgabe der Widerrufserklärung. Ein Verbraucher wahrt diese Frist durch die rechtzeitige Absendung der Waren. Der Unternehmer trägt bei Widerruf die Gefahr der Rücksendung der Waren.

Vorinstanzen:

Oberlandesgericht Stuttgart – Urteil vom 29. Oktober 2019 – 6 U 338/18

Landgericht Stuttgart – Urteil vom 20. November 2018 – 8 O 275/18

AG Essen: Sachmangel wenn sich bei eBay angebotener Pullover als Plagiat entpuppt - Hinweis Artikel originalverpackt mit Etikett und Bezugnahme auf Marke lässt auf Originalmarkenware schließen

AG Essen
Urteil vom 15.07.2020
22 C 97/20


Das AG Essen hat entschieden, dass ein Sachmangel vorliegt, wenn sich ein bei eBay angebotener Pullover als Plagiat entpuppt. Der Hinweis "Artikel originalverpackt mit Etikett" und Bezugnahme auf Marke lässt auf Originalmarkenware schließen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Einstellen des Artikels ist ein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages unter Berücksichtigung der Ebay-Bedingungen, welche zwar nicht unmittelbar zwischen den Vertragsparteien, sondern nur im Verhältnis der jeweiligen Nutzer zu Ebay wirken. Da diese jedoch von jedem Nutzer akzeptiert werden, sind sie als Auslegungshilfe heranzuziehen. Danach ist im Lichte des § 6 Ziff. 2 S. 1 der Ebay-AGB das Einstellen eines Artikels als verbindliches Angebot auszulegen. Der Beklagte hat den streitgegenständlichen Artikel in einer Auktion angeboten.

Der Kläger hat dieses Angebot im Lichte des § 6 Ziff. 5 S. 1 der Ebay-AGB durch Abgabe seines Gebotes in Höhe von 30,40 € zzgl. Versandkosten in Höhe von 4,99 €, unter der aufschiebenden Bedingung zum Zeitpunktes des Ablaufs der Auktion noch Höchstbietender zu sein, angenommen.

Die vom Beklagten gelieferte Ware ist mangelhaft.

Gemäß § 434 BGB ist eine Sache mangelhaft, wenn ihre Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit abweicht. Dies ist der Fall, wenn (1) die Sache nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat, § 434 Abs. 1 S. 1 BGB, (2) sie sich nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB oder (3) sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht die Beschaffenheit hat, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten darf, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB. Der Pullover ist mangelhaft im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB, denn die Parteien haben eine vertragliche Beschaffenheitsvereinbarung getroffen, von deren Inhalt die Beschaffenheit des Pullovers abweicht.

Denn laut dieser Vereinbarung sollte es sich bei dem Pullover um Markenware handeln. Diese Markenqualität weist er in Wirklichkeit jedoch nicht auf.

Ob und mit welchem Inhalt bei einer Internetauktion durch die Angebotsbeschreibung des Anbieters eine Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Meistbietenden zustande kommt, ist, unter umfassender Würdigung der abgegebenen Willenserklärungen und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Als Indizien können herangezogen werden, dass der Verkäufer bei der Beschreibung des Artikels Bezug zum Markennamen herstellt, Angaben von Typenbezeichnung abgibt oder Serien- und Identifikationsmerkmale nennt. Diese Indizien sind im Rahmen des Vertrauensschutzes zu würdigen. Immerhin verbieten die Ebay-AGB ausdrücklich den Vertrieb von Plagiaten und Fälschungen. Ebenso ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass in Fällen, in denen der Verkäufer bei Vertragsschluss die Eigenschaften der verkauften Sache in einer bestimmten Weise beschreibt und der Käufer vor diesem Hintergrund seine Kaufentscheidung trifft, die Erklärungen des Verkäufers ohne Weiteres zum Inhalt des Vertrages und damit zum Inhalt einer Beschaffenheitsvereinbarung werden.

Die Anzeige des Beklagten umfasst die Angaben der Artikel sei originalverpackt mit Etikett, es handele sich um Neuware und es wird Bezug genommen auf den Markennahmen „Givenchy“. Dazu wird eine Artikelnummer genannt. All dies sind für den objektiven Betrachter Merkmale, die auf Originalmarkenware hindeuten. Diese Merkmale sind dann auch Bestandteil der vertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung geworden. Die Formulierung des Beklagten „PREIS SAGT ALLES, also bitte nur bieten, wenn man damit einverstanden ist.“, ist nicht in der Lage, das Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben zu erschüttern und eine vertragliche Beschaffenheitsvereinbarung zu verhindern. Zudem wurde der Artikel bei einer online Auktion eingestellt. Dabei werden grundsätzlich niedrige Preise angesetzt, um möglichst viele Käufer auf das Angebot aufmerksam zu machen, um letztendlich hohe Kaufangebote zu erzielen. Die Formulierung der Preis sage alles, ist im Zusammenhang mit einer Internetauktion daher nicht besonders vielsagend und daher kein Indiz für Annahme eines gefälschten Artikels oder der Nichteinbeziehung der Merkmale in den Vertrag.

Der Mangel lag bereits bei Gefahrübergang gemäß § 446 BGB vor. Dem Kläger ist nach Erhalt der Ware die fehlende Markenqualität aufgefallen. Mit Schreiben vom 14.02.2020 forderte der Kläger den Beklagten auch erfolglos zur Nachbesserung nach § 281 BGB auf, in Form der Neulieferung unter angemessener Fristsetzung bis zum 02.03.2020.

Es besteht kein vertraglicher Ausschluss des Gewährleistungsanspruches. Zwar hat der Beklagte in seiner Anzeige sämtliche Gewährleistungsrechte ausgeschlossen. Allerdings gilt die Möglichkeit des Ausschlusses des Gewährleistungsrechtes nur insoweit, als die Angaben der Anzeige der Wahrheit entsprechen. Der Kläger machte gerade aus dem Grund seine Gewährleistungsrechte geltend, da der Beklagte unwahre Tatsachen in seiner Anzeige veröffentlicht hat und der Zustand der Ware von dem der Beschreibung abweicht. Zudem umfasst der Gewährleistungsausschluss nicht zugesicherte Merkmale, wie vorliegend die Beschaffenheit des Pullovers als Pullover der Marke Givenchy.

Es besteht auch kein gesetzlicher Ausschluss des Anspruchs im Sinne des § 442 BGB. Der Käufer hatte weder positive Kenntnis von der Tatsache, dass es sich bei dem Artikel um ein Plagiat handelt, noch lag diesbezüglich grobfahrlässige Unkenntnis vor. Insofern trägt der Beklagte die Beweislast.

Für eine positive Kenntnis des Klägers genügt insbesondere nicht die Anmerkung in der Anzeige „Preis sagt alles, also bitte nur bieten wenn man damit einverstanden ist“. Denn es befindet sich im Übrigen kein eindeutiger Hinweis darauf, dass es sich nicht um Originalware handelt.

Zudem handelt der Kläger als Käufer nicht grob fahrlässig, wenn er sich wie im vorliegenden Fall auf die Angaben des Verkäufers verlässt, ohne weitere Informationen einzuholen (vgl. Palandt, BGB-Weidenkaff, § 442, Rn. 11).

Ferner ist es unerheblich, wenn der Kläger auch andere Verkäufer, die entgegen der Vereinbarung keine Originalware verkauft haben, in Anspruch nimmt. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass der Kläger selbst in seiner Mahnung vom 14.02.2020 alternativ statt der Überweisung des Originalpreises als Schadenersatz auch die Möglichkeit der Zusendung eines Original Pullovers einer entsprechenden Marke verlangt hat. Ihm ging es also nicht nur darum, Schadenersatz wegen fehlerhafter Ebayanzeigen zu erlangen. Zudem ist es das Risiko des Verkäufers, welcher keine Originalware verkauft, dass die Käufer dies herausfinden und dann ihre Rechte geltend machen.

Der Beklagte konnte nicht beweisen, dass der Kläger positive Kenntnis vom Mangel oder aber grob fahrlässige Unkenntnis gehabt hat.

Der Beklagte hat die Pflichtverletzung auch gemäß § 276 BGB zu vertreten. Sein Verschulden wird gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. Eine Exkulpation seinerseits erfolgte nicht.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz des gesamten Schadens gemäß § 249 BGB und damit auf Schadensersatz statt der Leistung, allerdings nur in Höhe von 814,61 €.

Denn der Anspruch besteht in Höhe der Differenz zwischen dem Wert der Sache im Original (850,00 €) sowie dem bereits gezahlten Kaufpreis (35,39 €).

Gemäß § 281 Abs. 5 BGB finden die Vorschriften der §§ 346-348 BGB Anwendung, was zu der Zug-um-Zug-Verurteilung führt.

Der Kläger hat zudem einen Freistellungsanspruch von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 311 Abs. 1, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 iVm § 257 BGB in Höhe von 147,56 €. Denn der Beklagte hat eine vorvertragliche Pflicht im Sinne von § 311 Abs. 1, 42 Abs. 2 BGB verletzt, indem er den Kläger vorsätzlich über die Beschaffenheit des Pullovers täuschte. Denn dem Beklagten war bewusst, dass es sich nicht um Originalware handelt. Die Einschaltung eines Rechtsanwaltes war vorliegend aufgrund der Schwierigkeit des Sachverhaltes und der rechtlichen Würdigung auch erforderlich. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich im Übrigen auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG Köln: Rückabwicklung des Kaufvertrages über Kauf von 36 Flaschen seltener Weine für 300.000 EURO wenn es sich um Fälschungen handelt

OLG Köln
Urteil vom 25.06.2020
28 U 53/19


Das OLG Köln hat wenig überraschend entschieden, dass ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages über Kauf von 36 Flaschen seltener Weine für 300.000 EURO besteht, wenn es sich dabei um Fälschungen handelt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Neuer Wein in alten Schläuchen? Händler muss gefälschte hochwertige Weine zurücknehmen

Hochwertige Weine erzielen Spitzenpreise und werden weltweit gehandelt. Nicht immer ist die Ware aber echt, wie sich in einem vom Oberlandesgericht Köln entschiedenen Fall herausgestellt hat.

Die Klägerin ist eine in Bayern ansässige Firma, die mit hochwertigen und seltenen Weinen handelt. Im März 2012 hatte sie von einer Kölner Weinhändlerin 36 Flaschen Rotwein der Weinlage Romanée-Conti - Jahrgänge 2004 - 2007 - zum Preis von fast 300.000 Euro gekauft. Unmittelbar danach verkaufte sie den Wein an einen Händler in Singapur weiter.

Im April 2013 kamen in der Weinbranche Gerüchte auf, dass Teile der auf den Markt gelangten Weine dieser Weinlage gefälscht seien. Mit der Begründung, dass ihre Kundin in Singapur davon ausgehe, dass es sich bei den verkauften Weinen um Fälschungen handele und 34 der 36 Flaschen zurückgeschickt habe, forderte die Klägerin daraufhin die Beklagte zur Rückzahlung des anteiligen Kaufpreises auf. Nachdem die Beklagte zur Zahlung nicht bereit war, machte die Klägerin den Anspruch gerichtlich geltend. Mit Urteil vom 11.07.2019 hatte das Landgericht Köln der Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe der betroffenen Flaschen Wein im Wesentlichen stattgegeben. Die gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Berufung hat der 28. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln nun mit Urteil vom 25.06.2020 zurückgewiesen.

Die Beklagte hatte bestritten, dass es sich bei den von ihr gelieferten Weinen um Fälschungen handele. Mit Hilfe einer speziellen Lupe ließ sich jedoch feststellen, dass nur 2 der 34 Flaschen echt waren. Bei der Erstellung der Etiketten wurde ein besonderes Verfahren angewandt, welches zu einem unverkennbaren Druckergebnis führte. Die Beweisführung überzeugte Landgericht und Oberlandesgericht.

Auch ein weiterer Einwand der Beklagten blieb erfolglos. Sie hatte geltend gemacht, das Landgericht hätte genauer aufklären müssen, ob es sich bei den dem Gericht vorliegenden Flaschen tatsächlich um jene gehandelt habe, die die Beklagte der Klägerin im Jahr 2012 verkauft hatte. Das überzeugte das Oberlandesgericht jedoch nicht. Ein aufmerksamer Mitarbeiter der Klägerin hatte nämlich bei Anlieferung des Weins auf der Rückseite der Rechnung der Beklagten die Flaschennummern notiert. 34 der seinerzeit notierten Nummern fanden sich auf der bei Rückkehr der Weine aus Singapur erstellten Packliste. Sie stimmten außerdem mit den durch das Landgericht in Augenschein genommenen Flaschen überein. Anlass zur weiteren Aufklärung sah der 28. Zivilsenat daher nicht.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen.

Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 25.06.2020 - 28 U 53/19.



BGH: A-z-Garantie von Amazon für Marketplace-Händler gegenüber Käufer nicht bindend - Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises lebt wieder auf

BGH
Urteil vom 01.02.2020
VIII ZR 18/19
BGB § 133, § 157, § 433 Abs. 2


Der BGH hat entschieden, dass die A-z-Garantie von Amazon für Marketplace-Händler gegenüber dem Käufer nicht bindend ist und der Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises nach Rückbuchung des Kaufpreises wieder auflebt.

Leitsätze des BGH:

a) Der Erklärungsgehalt der bei Abschluss eines Kaufvertrags über die Plattform Amazon Marketplace abgegebenen Willenserklärungen richtet sich auch nach den den Kauf von Marketplace-Artikel betreffenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Amazon, soweit beide Vertragsparteien deren Geltung bei Vertragsschluss zugestimmt haben (Fortführung des Senatsurteils vom 22. November 2017 - VIII ZR 83/16, BGHZ 217, 33 Rn. 31 mwN).

b) Die geschuldete Kaufpreiszahlung ist mit der von Amazon veranlassten Gutschrift des Kaufpreises auf dem Amazon-Konto des Verkäufers bewirkt, so dass die Kaufpreisforderung erlischt. Mit der einverständlichen Vertragsabwicklung über Amazon Marketplace vereinbaren die Kaufvertragsparteien jedoch zugleich stillschweigend, dass die Kaufpreisforderung wiederbegründet wird, wenn das Amazon-Konto des Verkäufers aufgrund eines erfolgreichen A-bis-Z-Garantieantrags rückbelastet wird (Fortführung des Senatsurteils vom 22. November 2017 - VIII ZR 83/16, BGHZ 217, 33 Rn. 32 ff.).

BGH, Urteil vom 1. April 2020 - VIII ZR 18/19 - LG Leipzig - AG Leipzig

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




OLG Köln: Verkäufer eines Schummeldiesels kann im Rahmen der Gewährleistung zur Lieferung eines Neuwagens der Folgegeneration verpflichtet sein

OLG Köln
Urteil vom 02.04.2020
18 U 60/19


Das OLG Köln hat entschieden, dass der Verkäufer eines Schummeldiesels im Rahmen der Gewährleistung zur Lieferung eines Neuwagens der Folgegeneration verpflichtet sein kann.

Die Pressemitteilung des OLG Köln:

Nacherfüllung durch Lieferung des Nachfolgemodells - Zum Umfang der Nacherfüllungspflichten im Dieselskandal

Der Verkäufer eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs kann für die Erfüllung seiner Gewährleistungspflichten zur Lieferung eines Neuwagens der Folgegeneration verpflichtet sein. Das hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln mit Urteil vom 02.04.2020 entschieden.

Die Klägerin, ein Unternehmen aus dem Kölner Umland, hatte mit Vertrag vom 29.01.2014 von dem beklagten örtlichen Autohaus einen neuen PKW VW Touran der ersten Generation gekauft. Seit 2015 wird nur noch die Folgegeneration des Fahrzeugs hergestellt. Das von der Klägerin erworbene Fahrzeug war mit der von VW als „Umschaltlogik“ bezeichneten Software ausgestattet, welche dazu führt, dass das Fahrzeug lediglich im Testmodus die gesetzlichen Vorgaben für Abgase erfüllt, nicht aber im Betriebsmodus. Die Klägerin hatte das Fahrzeug als mangelhaft beanstandet und Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs verlangt. Die Beklagte hatte dagegen geltend gemacht, dass eine Nachlieferung wegen des Produktionsendes der ersten Generation unmöglich sei und jedenfalls einen unverhältnismäßigen Aufwand gegenüber dem Aufspielen eines Software-Updates darstelle.

Der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln ist der Argumentation der Klägerin gefolgt und hat die Beklagte zur Lieferung eines konkret spezifizierten Neufahrzeugs der Nachfolgegeneration verpflichtet. Die Klägerin muss aber das alte Fahrzeug zurückgeben und Wertersatz für die Nutzung leisten.

Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, dass der Anspruch auf Nachlieferung möglich sei, obwohl es kein Neufahrzeug der ersten Generation mehr gebe. Der Nachlieferungsanspruch könne durch Lieferung eines Nachfolgemodells erfüllt werden. Da Nachfolgemodelle in der Regel technisch fortschrittlicher seien, sei kein Anhaltspunkt ersichtlich, warum die Klägerin nicht auch ein solches Nachfolgemodell als nacherfüllungstauglich ansehen sollte. Für die Beklagte als Verkäuferin
sei darauf abzustellen, wie hoch der Ersatzbeschaffungsaufwand sei. Zu diesem Aufwand habe die Beklagte trotz Hinweises des Senats nicht vorgetragen. Daher habe der Senat nicht feststellen können, dass dieser so hoch sei, dass eine Nacherfüllung mit dem Nachfolgemodell ersichtlich nicht mehr den Interessen der Beklagten entspreche. Auch wenn Ausstattungsmerkmale des ursprünglich erworbenen Fahrzeugs nicht zur Serienausstattung des Nachfolgemodells gehörten, bedeute dies nicht, dass
die Beschaffung eines so ausgestatteten Fahrzeugs grundsätzlich nicht möglich sei.

Dass die Nachlieferung gegenüber der Nachbesserung durch Aufspielen eines Software-Updates unverhältnismäßig sei, konnte der Senat ebenfalls nicht feststellen. Unverhältnismäßigkeit komme nur dann in Betracht, wenn das Software-Update grundsätzlich zur Mangelbeseitigung geeignet sei. Zwar könne angenommen werden, dass der „Primärmangel“ durch das Software-Update beseitigt werde. Nach der Installation des Updates bestehe nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht mehr die Gefahr der Versagung der Betriebserlaubnis. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass mit dem Software-Update Folgeprobleme verbunden seien, die derzeit jedenfalls in der Fachöffentlichkeit diskutiert würden.

Allerdings muss die Klägerin das alte Fahrzeug zurückgeben und Wertersatz für dessen Nutzungen zahlen, weil bei Nacherfüllung des Verkäufers die Befreiung von der Wertersatzpflicht für Nutzungen nach § 475 Abs. 3 S. 1 BGB nur für Verbraucher gilt. Den Nutzungsersatz hat der Senat unter der Berücksichtigung des ursprünglichen Kaufpreises, der bisher erbrachten Fahrleistung und der regelmäßig von einem Dieselfahrzeug zu erwartenden Gesamtnutzung berechnet.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil zugelassen.

Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 02.04.2020 – Az. 18 U 60/19.