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EuGH: Offenlegung von Namen und Kontaktdaten der Vertreter juristischer Personen in amtlichen Dokumenten ist Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne der DSGVO

EuGH
Urteil vom 03.04.2025
C‑710/23


Der EuGH hat entschieden, dass die Offenlegung von Namen und Kontaktdaten der Vertreter juristischer Personen in amtlichen Dokumenten eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne der DSGVO ist.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 4 Nrn. 1 und 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)
ist dahin auszulegen, dass die Offenlegung des Vornamens, des Nachnamens, der Unterschrift und der Kontaktdaten einer natürlichen Person, die eine juristische Person vertritt, eine Verarbeitung personenbezogener Daten darstellt. Der Umstand, dass die Offenlegung allein zu dem Zweck erfolgt, die Identifizierung der natürlichen Person zu ermöglichen, die befugt ist, im Namen der juristischen Person zu handeln, ist insoweit ohne Belang.

2. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und e in Verbindung mit Art. 86 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung nicht entgegensteht, die einen Verantwortlichen, bei dem es sich um eine Behörde handelt, die das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu amtlichen Dokumenten und das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten in Einklang zu bringen hat, dazu verpflichtet, die betroffene natürliche Person vor der Offenlegung amtlicher Dokumente, die solche Daten enthalten, zu unterrichten und zu konsultieren, soweit eine solche Verpflichtung nicht unmöglich durchzuführen ist oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert und daher nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Rechts der Öffentlichkeit auf Zugang zu diesen Dokumenten führt.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Geldbuße nach Art. 83 Abs. 4 bis 6 d DSGVO kann auf Basis des weltweiten Jahresumsatz des gesamten Konzerns bestimmt werden

EuGH
Urteil vom 13.02.2025
C-383/23
ILVA A/S


Der EuGH hat entschieden, dass eine Geldbuße nach Art. 83 Abs. 4 bis 6 d DSGVO auf Basis des weltweiten Jahresumsatz des gesamten Konzerns bestimmt werden kann.

Tenor der Entscheidung:
Art. 83 Abs. 4 bis 6 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) in Verbindung mit dem 150. Erwägungsgrund dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass

der Begriff „Unternehmen“ im Sinne dieser Vorschriften dem Begriff „Unternehmen“ im Sinne der Art. 101 und 102 AEUV entspricht, so dass der Höchstbetrag einer Geldbuße, die gegen einen Verantwortlichen für personenbezogene Daten, der ein Unternehmen ist oder einem Unternehmen angehört, wegen eines Verstoßes gegen die Verordnung 2016/679 verhängt wird, auf der Grundlage eines Prozentsatzes des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs des Unternehmens bestimmt wird. Der Begriff „Unternehmen“ ist auch zu berücksichtigen, um die tatsächliche oder materielle Leistungsfähigkeit des Adressaten der Geldbuße zu beurteilen und so zu überprüfen, ob die Geldbuße sowohl wirksam und verhältnismäßig als auch abschreckend ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Zwischen Lebensmittelunternehmen und Behörden zur Überwachung der Lebensmittelsicherheit besteht Kooperationsverhältnis - Pflicht zur Zusammenarbeit

BGH
Urteil vom 19.11.2024
III ZR 24/23
BGB § 839 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3; LFGB § 39 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 9, § 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 (F: 26. Januar 2016); BayVwVfG Art. 24 Abs. 1, 2, Art. 26 Abs. 2


Der BGH hat entschieden, dass zwischen Zwischen Lebensmittelunternehmen und Behörden zur Überwachung der Lebensmittelsicherheit ein Kooperationsverhältnis besteht, welches zur Zusammenarbeit bei öffentlichen Produktwarnungen und einem Produktrückruf verpflichtet.

Leitsätze des BGH:
a) Die Amtsermittlungspflicht der Behörden kann durch fachgesetzliche Mitwirkungs- und Kooperationspflichten der Beteiligten begrenzt sein.

b) Im Lebensmittelrecht besteht zwischen dem Lebensmittelunternehmer und den für die Überwachung der Lebensmittelsicherheit zuständigen Behörden ein Kooperationsverhältnis. Der Lebensmittelunternehmer ist auf Grund dieses Kooperationsverhältnisses verpflichtet, bei einer öffentlichen Produktwarnung beziehungsweise bei einem Produktrückruf mit den zuständigen Behörden aktiv zusammenzuarbeiten.

c) Bleibt ein ordnungsgemäß eingelegtes Rechtsmittel wegen unzulänglichen Sachvortrags oder sonstiger Nachlässigkeiten des Geschädigten ohne Erfolg, begründet dies für sich genommen keinen Haftungsausschluss gemäß § 839 Abs. 3 BGB.

BGH, Urteil vom 19. Dezember 2024 - III ZR 24/23 - OLG München - LG München I

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Zweibrücken: Laufendes Schiedsverfahren schließt Entscheidung im Wege des Eilrechtsschutzschutzes durch staatliche Gerichte nicht aus

OLG Zweibrücken
Beschluss vom 01.10.2024
4 U 74/24


Das OLG Zweibrücken hat entschieden, dass ein laufendes Schiedsverfahren eine Entscheidung im Wege des Eilrechtsschutzschutzes durch staatliche Gerichte nicht ausschließt.

Die Pressmeitteilung des Gerichts:
Aus der Rechtsprechung: Schiedsvertrag hindert staatlichen Eilrechtsschutz nicht

Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken hat entschieden, dass trotz eines laufenden Schiedsverfahrens eine Entscheidung im Wege des Eilrechtsschutzschutzes durch die staatlichen Gerichte zulässig ist.

Ein indonesisches Unternehmen stritt mit der Vermieterin von Maschinen um vertragliche Ansprüche wegen Überlassung von Maschinen und Belieferung mit Produktionsmaterial. Konkret ging es um Maschinen, mit denen (Vor-)Komponenten für Schuhproduzenten hergestellt werden können. Das Unternehmen beanspruchte während des laufenden Mietverhältnisses für sich eine Kaufoption für die Maschinen, was zum Streit geführt hatte. Im Januar 2024 kündigte die Vermieterin das seit mehr als zehn Jahren bestehende Mietverhältnis zum 21. Juli 2024. Überdies forderte sie die Rückführung der Maschinen, die Herausgabe des Know-hows sowie die Unterlassung der weiteren Nutzung. Seit 18. September 2023 führen die beiden Vertragspartner aufgrund einer gesondert zwischen ihnen abgeschlossenen Vereinbarung ein außergerichtliches Schiedsverfahren. Verhandlungstermin im Schiedsverfahren war auf den 3. September 2024 bestimmt.

Das Unternehmen beantragte Mitte Juni 2024 beim Landgericht im Wege des Eilrechtsschutzes der Vermieterin aufzugeben, die überlassenen Maschinen nebst Produktionsmaterial bis auf Weiteres bei ihr, dem Unternehmen, zu belassen. Das Landgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen.

Der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts hat auf die Berufung des Unternehmens die Entscheidung des Landgerichts rechtskräftig bestätigt. Bereits nach dem eigenen Verhalten bzw. Vortrag des Unternehmens fehle es an der notwendigen Dringlichkeit für die Gewährung von Eilrechtsschutz. Das Unternehmen habe nach der Kündigung mit der Antragsstellung beim Landgericht fast fünf Monate gewartet. Zudem habe es sich selbst darauf berufen, dass vor dem Erlass einer Entscheidung im Wege des Eilrechtsschutzes das Ergebnis des Schiedsverfahrens abzuwarten sei. Das Schiedsverfahren binde das staatliche Gericht jedoch weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht. Dies könne zwar zum Ergebnis führen, dass ein staatliches Gericht angerufen werde und eine (vorläufige) Regelung treffe, die Einfluss auf das schiedsgerichtliche Verfahren haben könne. Staatliche Gerichte hätten aber neben den Schiedsgerichten für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine konkurrierende Zuständigkeit. So könnten Verfahren vor staatlichen Gerichten schneller zum Ziel führen als der Weg über das Schiedsgericht, zumal nur die von staatlichen Gerichten angeordneten einstweiligen Maßnahmen aus sich heraus vollziehbar seien.

Verfahrensgang:
Landgericht Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 11.07.2024, 7 O 204/24,
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 01.10.2024, 4 U 74/24


Bundeskabinett verabschiedet das NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz

Das Bundeskabinett hat das Gesetz zur Umsetzung der NIS-2-Richtlinie und zur Regelung wesentlicher Grundzüge des Informationssicherheitsmanagements in der Bundesverwaltung (NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz) verabschiedet.

Sie finden die verabschiedete Fassung hier:
NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz (Stand 22.07.2024)

BMJ: Referentenentwurf NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz - Stand 24.06.2024

Das BMJ hat erneut einen aktualisierten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der NIS-2-Richtlinie und zur Regelung wesentlicher Grundzüge des Informationssicherheitsmanagements in der Bundesverwaltung (NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz) - Stand 24.06.2024 vorgelegt.

BMJ: Referentenentwurf NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz - Stand 07.05.2024

Das BMJ hat den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der NIS-2-Richtlinie und zur Regelung wesentlicher Grundzüge des Informationssicherheitsmanagements in der Bundesverwaltung (NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz) vorgelegt.

Aus dem Entwurf:
A. Problem und Ziel

Die moderne Wirtschaft Deutschlands ist für ihr Funktionieren, die Generierung von Wohlstand und Wachstum und auch für ihre Adaptionsfähigkeit auf geänderte wirtschaftspolitische und geopolitische Rahmenbedingungen angewiesen auf funktionierende und resiliente Infrastrukturen, sowohl im physischen als auch im digitalen Bereich. Diese Faktoren haben in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Unternehmen sehen sich nicht nur in ihrem wirtschaftlichen Tun, sondern auch in dessen praktischer Absicherung vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Europaweit und global vernetzte Prozesse führen ebenso wie die zunehmende Digitalisierung aller Lebens- und somit auch Wirtschaftsbereiche zu einer höheren Anfälligkeit durch externe, vielfach nicht steuerbare Faktoren. Informationstechnik in kritischen Anlagen sowie in bestimmten Unternehmen spielt dabei eine zentrale Rolle. Ihre Sicherheit und Resilienz bilden auch die Grundlage für die Versorgungssicherheit, von der Versorgung mit Strom und Wasser bis hin zu Siedlungsabfällen. Gleiches gilt für das Funktionieren der Marktwirtschaft in Deutschland und dem Binnenmarkt der Europäischen Union. Die Vernetzung und enge Verzahnung der Wirtschaft innerhalb Deutschlands und der Europäischen Union resultieren in Interdependenzen bei der Cybersicherheit. Die vor diesem Hintergrund erforderlichen Cybersicherheitsanforderungen an juristische und natürliche Personen, die wesentliche Dienste erbringen oder Tätigkeiten ausüben, werden mit der Richtlinie (EU) 2022/2555 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 über Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der Union, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 und der Richtlinie (EU) 2018/1972 sowie zur Aufhebung der Richtlinie (EU) 2016/1148 (ABl. L 333 vom 27. Dezember 2022, S. 80, im Folgenden NIS-2-Richtlinie) in der gesamten Europäischen Union weiter angeglichen.

In Folge des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat sich nach Einschätzung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) im Bericht zur Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2022 die IT-Sicherheitslage insgesamt zugespitzt. Im Bereich der Wirtschaft zählen hierbei Ransomware-Angriffe, Ausnutzung von Schwachstellen, offene oder falsch konfigurierte Online-Server sowie Abhängigkeiten von der IT-Lieferkette und in diesem Zusammenhang auch insbesondere Cyberangriffe über die Lieferkette (sogenannte Supply-Chain-Angriffe) zu den größten Bedrohungen. Zusätzlich zu den bereits bekannten Bedrohungen entstanden in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der damit einhergehenden „Zeitenwende“ auch neue Bedrohungen oder die Einschätzungen zu bereits bekannten Bedrohungen mussten aufgrund veränderter Rahmenbedingungen geändert werden. Beispiele hierfür bestehen im Bereich Hacktivismus, insbesondere mittels Distributed-Denial-of-Service (DDoS)-Angriffen oder auch durch in Deutschland erfolgte Kollateralschäden in Folge von Cyber-Sabotage-Angriffen im Rahmen des Krieges. Zudem haben auch Störungen und Angriffe im Bereich der Lieferketten sowohl aus den Bereichen Cybercrime als auch im Rahmen des Krieges zuletzt zugenommen. Diese Phänomene treten nicht mehr nur vereinzelt auf, sondern sind insgesamt Teil des unternehmerischen Alltags. Eine Erhöhung der Resilienz der Wirtschaft gegenüber den Gefahren der digitalen Welt ist daher eine zentrale Aufgabe für die beteiligten Akteure in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, um den Wirtschaftsstandort Deutschland robust und leistungsfähig zu halten

Für das Informationssicherheitsmanagement in der Bundesverwaltung haben sich die bisherigen Steuerungsinstrumente auf überwiegend untergesetzlicher Basis als nicht ausreichend effektiv erwiesen, um eine flächendeckende wirksame Steigerung des Sicherheitsniveaus zu erreichen. Dies haben insbesondere Sachstandserhebungen zum Umsetzungsplan Bund sowie Prüfungen des Bundesrechnungshofs (BRH) bestätigt. Vor dem Hintergrund der durch aktuelle geopolitische Entwicklungen („Zeitenwende“) abermals verschärften Bedrohungslage hat sich das Risiko für staatliche Einrichtungen zudem weiter erhöht, durch Gefährdungen aus dem Cyberraum in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt zu werden.

Dieser Entwurf steht im Kontext der gefährdeten rechtzeitigen Erreichung der Ziele der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 25. September 2015 „Transformation unserer Welt: die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“. Der Entwurf soll insbesondere zur Erreichung des Nachhaltigkeitsziels 9 der UN-Agenda 2030 beitragen, eine hochwertige, verlässliche und widerstandsfähige Infrastruktur aufzubauen.

B. Lösung, Nutzen

Entsprechend der unionsrechtlichen Vorgaben wird der mit dem Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz) vom 17. Juli 2015 (BGBl. I 2015 S. 1324) und dem Zweiten Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz 2.0) vom 18. Mai 2021 (BGBl. I 2021, S. 1122) geschaffene Ordnungsrahmen durch das NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz für den Bereich bestimmter Unternehmen erweitert, zusätzlich werden entsprechende Vorgaben für die Bundesverwaltung eingeführt. Schwerpunktmäßig werden folgende Änderungen vorgenommen:

– Einführung der durch die NIS-2-Richtlinie vorgegebenen Einrichtungskategorien, die mit einer signifikanten Ausweitung des bisher auf Betreiber Kritischer Infrastrukturen, Anbieter digitaler Dienste und Unternehmen im besonderen öffentlichen Interesse beschränkten Anwendungsbereichs einhergeht.

– Der Katalog der Mindestsicherheitsanforderungen des Artikels 21 Absatz 2 NIS-2- Richtlinie wird in das BSI-Gesetz übernommen, wobei in der Intensität der jeweiligen Maßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zwischen den Kategorien ausdifferenziert wird.

– Die bislang einstufige Meldepflicht bei Vorfällen wird durch das dreistufige Melderegime der NIS-2-Richtlinie ersetzt. Dabei soll der bürokratische Aufwand für die Einrichtungen im Rahmen des bestehenden mitgliedstaatlichen Umsetzungsspielraums minimiert werden.

– Ausweitung des Instrumentariums des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) im Hinblick auf von der NIS-2-Richtlinie vorgegebene Aufsichtsmaßnahmen.

– Gesetzliche Verankerung wesentlicher nationaler Anforderungen an das Informationssicherheitsmanagement des Bundes und Abbildung der zugehörigen Rollen und Verantwortlichkeiten

– Harmonisierung der Anforderungen an Einrichtungen der Bundesverwaltung aus nationalen und unionsrechtlichen Vorgaben, um ein insgesamt kohärentes und handhabbares Regelungsregime zu gewährleisten.

– Etablierung eines CISO Bund als zentralem Koordinator für Maßnahmen zur Informationssicherheit in Einrichtungen der Bundesverwaltung und zur Unterstützung der Ressorts bei der Umsetzung der Vorgaben für das Informationssicherheitsmanagement.

Ziel der NIS-2-Richtlinie ist die Einführung verbindlicher Maßnahmen für Verwaltung und Wirtschaft, mit denen in der gesamten Europäischen Union ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau sichergestellt werden soll. Wichtige und besonders wichtige Einrichtungen sollen vor Schäden durch Cyberangriffe geschützt und das Funktionieren des europäischen Binnenmarktes verbessert werden. Die Konsequenzen eines Cyberangriffes sind sehr vielfältig und können nicht vollständig quantifiziert werden. So können durch Ransomware-Angriffe Server medizinischer Einrichtungen verschlüsselt werden, was die Aufnahme neuer Notfälle und die ambulante Patientenversorgung tagelang verhindert. Dies etwa sind Risiken und Gefahren für Leib und Leben der Bevölkerung, die nicht in monetären Größen ausgedrückt werden können. Bezogen auf die unmittelbar durch Cyberangriffe verursachten und bezifferbaren Schäden für Unternehmen in Deutschland schätzt der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsunternehmen (Bitkom e. V.) ein jährliches Gesamtschadensvolumen von rund 223,5 Milliarden Euro für das Jahr 2021. Im Jahr 2022 lag das Gesamtschadensvolumen bei 202,7 Milliarden Euro und im Jahr 2023 voraussichtlich bei 205,9 Milliarden Euro. Im Schnitt verursachen Cyberangriffe für Unternehmen in Deutschland einen jährlichen Gesamtschaden von rund 210,7 Milliarden Euro in den letzten drei Jahren. Dabei hat Bitkom deutsche Unternehmen mit mindestens 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mindestens einer Millionen Euro befragt. Im Unternehmensregister des Statistischen Bundesamts waren im Berichtsjahr 2021 insgesamt rund 3,4 Millionen rechtliche Einheiten registriert, davon beschäftigten 444 055 rechtliche Einheiten mindestens 10 Beschäftigten. Unter der Annahme einer Gleichverteilung des Gesamtschadensvolumens auf die Unternehmen mit mindestens 10 Beschäftigten ergibt sich ein Schadensvolumen pro Unternehmen von rund 500 000 Euro (=210,7 Milliarden Euro / 444 055 Unternehmen). Es ist anzunehmen, dass selbst bei einer vollständigen Umsetzung der von der NIS-2-Richtlinie vorgegebenen Sicherheitsstandards nicht alle Schäden durch Cyberangriffe abgewehrt werden können. Nimmt man jedoch an, dass durch die Umsetzung der vorliegenden Vorgaben die Hälfte des jährlich verursachten Schadens in den zur Umsetzung der NIS-2-Richtlinie verpflichteten Unternehmen abgewehrt werden kann, so ergibt sich pro Unternehmen ein abgewehrter Schaden von rund 250 000 Euro. Hochgerechnet auf die voraussichtlich geschätzte Anzahl betroffener Unternehmen bedeutet dies einen abgewehrten Gesamtschaden in Höhe von ca. 3,6 Milliarden Euro (= 250 000 Euro * 14 500 Unternehmen) für die deutsche Wirtschaft. Zusätzlich zu dem hier geschätzten abgewehrten Schaden in Höhe von ca. 3,6 Milliarden bei den Unternehmen muss ebenfalls ein mangels verfügbarer Daten nicht bezifferbarer abgewehrter Schaden in der öffentlichen Verwaltung sowie weitere Schäden mitberücksichtigt werden.

Den vollständigen Entwurf finden Sie hier:


KG Berlin: Auch gegen juristische Person kann unmittelbar DSGVO-Bußgeld verhängt werden - Deutsche Wohnen

KG Berlin
Beschluss vom 22.01.2024
3 Ws 250/21, 161 AR 84/21, 3 Ws 250/21 - 161 AR 84/21


Das KG Berlin hat entschieden, dass auch unittelbar gegen juristische Person ein DSGVO-Bußgeld verhängt werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Mit Bußgeldbescheid vom 30. Oktober 2019 hat die Berliner Beauftragte für den Datenschutz (im Folgenden: BlnBDI) gegen das betroffene Unternehmen (im Folgenden: Betroffene) Geldbußen festgesetzt. Mit dem Bußgeldbescheid ist der Betroffenen vorgeworfen worden, es zwischen dem 25. Mai 2018 und dem 5. März 2019 vorsätzlich unterlassen zu haben, die notwendigen Maßnahmen zur Ermöglichung der regelmäßigen Löschung nicht mehr benötigter oder in sonstiger Weise zu Unrecht gespeicherter Daten von Mietern zu treffen. Weiter hat der Bußgeldbescheid den Vorwurf enthalten, personenbezogene Daten von mindestens 15 näher bezeichneten Mietern fortgesetzt gespeichert zu haben, obwohl bekannt gewesen sei, dass dies nicht oder nicht mehr erforderlich war. Wegen des vorsätzlichen Verstoßes gegen Art. 25 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 a), c) und e) DS-GVO hat die Geldbuße 14.385.000 Euro betragen. Wegen Verstößen gegen Art. 6 Abs. 1 DS-GVO sind 15 weitere Geldbußen mit Beträge zwischen 3.000 und 17.000 Euro festgesetzt worden.

Auf den Einspruch der Betroffenen hat das Landgericht Berlin das Verfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 206a StPO durch den angefochtenen Beschluss eingestellt. Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, der Bußgeldbescheid habe unter so gravierenden Mängeln gelitten, dass er nicht Grundlage des Verfahrens sein könne. Namentlich ist das Landgericht der Auffassung gewesen, eine juristische Person könne nicht Betroffene eines Bußgeldverfahrens sein, auch nicht in einem solchen nach Art. 83 DS-GVO. Da einer juristischen Person lediglich ein Handeln ihrer Organmitglieder oder Repräsentanten zugerechnet werden könne, könne diese in einem Bußgeldverfahren nur als Nebenbeteiligte fungieren. Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person sei in § 30 OWiG abschließend geregelt, der über § 41 Abs. 1 BDSG auch für Verstöße nach Art. 83 Abs. 4 bis 6 DS-GVO Anwendung finde. Die in § 83 DS-GVO kodifizierte unmittelbare Unternehmenshaftung verstoße gegen das im deutschen Recht verankerte Schuldprinzip und könne daher nicht angewendet werden.

Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Berlin sofortige Beschwerde eingelegt. Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss vom 6. Dezember 2021 ausgesetzt und nach Art. 267 Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union u.a. zu der Frage eingeholt, ob Art. 83 Abs. 4-6 DS-GVO dahin auszulegen sei, „dass es den Art. 101 und 102 AEUV zugeordneten funktionalen Unternehmensbegriff und das Funktionsträgerprinzip in das innerstaatliche Recht mit der Folge inkorporiert, dass unter Erweiterung des § 30 OWiG zugrundeliegenden Rechtsträgerprinzips ein Bußgeldverfahren unmittelbar gegen ein Unternehmen geführt werden kann und die Bebußung nicht der Feststellung einer durch eine natürliche und identifizierte Person, gegebenenfalls volldeliktisch, begangenen Ordnungswidrigkeit bedarf“. Der EuGH hat durch Urteil vom 5. Dezember 2023 (C-807/21 – [juris]) wie folgt entschieden: „Art. 58 Abs. 2 Buchst. i und Art. 83 Abs. 1 bis 6 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach eine Geldbuße wegen eines in Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSG-VO genannten Verstoßes gegen eine juristische Person in ihrer Eigenschaft als Verantwortliche nur dann verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß zuvor einer identifizierten natürlichen Person zugerechnet wurde“. In einem weiteren Ausspruch desselben Urteils heißt es, dass „eine Geldbuße nur dann verhängt werden darf, wenn nachgewiesen ist, dass der Verantwortliche, der eine juristische Person und zugleich ein Unternehmen ist, einen in Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO genannten Verstoß vorsätzlich oder fahrlässig begangen hat“.

Mit Beschluss vom Folgetag hat der Senat angeordnet, dass das Verfahren fortgesetzt wird.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Nach Maßgabe des in dieser Sache ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs ist die Betroffene unbeschadet ihrer Eigenschaft als juristische Person taugliche Adressatin eines Bußgeldbescheids (1.). Das durch das Landgericht angenommene Verfahrenshindernis eines unwirksamen Bußgeldbescheids besteht nicht (2.).

1. Dass die Betroffene als juristische Person taugliche Adressatin eines Bußgeldbescheids sein kann und als solche zudem unmittelbar und nicht nur als Verfahrens- oder Nebenbeteiligte bebußt werden kann, ergibt sich aus dem in diesem Verfahren ergangenen Urteil des EuGH (Urteil vom 5. Dezember 2023 – C-807/21 – [juris]). Der Gerichtshof führt aus, es sei möglich, „die in Art. 83 DSG-VO für solche Verstöße vorgesehenen Geldbußen unmittelbar gegen juristische Personen zu verhängen, wenn diese als für die betreffende Verarbeitung Verantwortliche eingestuft werden können“ (Rn. 44). Dies folgt, so der EuGH weiter, daraus, dass Unternehmen „nicht nur für Verstöße haften, die von ihren Vertretern, Leitern oder Geschäftsführern begangen wurden, sondern auch für Verstöße, die von jeder anderen Person begangen wurden, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit und im Namen dieser juristischen Personen handelt“ (Rn. 44). Die hierdurch – und zwar unabhängig von einem individualisierbaren Organisationsdefizit oder einer Aufsichtspflichtverletzung – möglich gewordene unmittelbare Bebußung von juristischen Personen wird auch durch die Verteidigung, soweit aus ihrem Schriftsatz vom 15. Januar 2024 ersichtlich, nicht mehr in Frage gestellt.

2. Der Bußgeldbescheid der BlnBDI erfüllt die Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 OWiG und stellt eine ausreichende Verfahrensgrundlage dar. Ein Verfahrenshindernis besteht insoweit nicht.

a) Nach § 66 OWiG muss der Bußgeldbescheid „die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften“ enthalten. Der Bußgeldbescheid muss den Tatvorwurf nach gefestigtem Verständnis formal und sachlich umgrenzen (Umgrenzungsfunktion) und den Betroffenen ausreichend über den Tatvorwurf unterrichten (Informationsfunktion) (vgl. BGHSt 23, 336; Senat Verkehrsrecht aktuell 2019, 123 [Volltext bei juris]; OLG Celle ZfSch 2015, 649).

b) Hier ist rechtstechnisch zusätzlich zu beachten, dass die in § 66 OWiG niedergelegten verfahrensbezogenen Anforderungen an die Gestaltung des Bußgeldbescheids den durch den EuGH formulierten Grundsätzen des materiellen Rechts folgen. Die vom EuGH entwickelten sachlich-rechtlichen Grundzüge der Verbandsgeldbuße überformen, prägen und gestalten das diesbezügliche nationale Verfahrensrecht. Formuliert der EuGH etwa, die Bebußung erfordere nicht, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46), so folgt daraus zwingend, dass sich die Bezeichnung einer solchen natürlichen Person auch nicht aus dem nationalen Verfahrensrecht, hier § 66 OWiG, ergeben muss.

Der Auffassung der Verteidigung, die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids als Verfahrensvoraussetzung bemesse sich nach § 66 OWiG, trifft damit allgemein zu, denn eine Suspendierung der gesamten Vorschrift steht auch angesichts des nun anzuwendenden europarechtskonformen Verantwortungs- und Haftungsregimes nicht in Rede. Vielmehr sieht Art. 83 Abs. 8 DSG-VO vor, dass die „Ausübung der eigenen Befugnisse durch eine Aufsichtsbehörde“ unionsrechtskompatiblen Verfahrensgarantien „einschließlich wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelfe und ordnungsgemäßer Verfahren“ unterliegt. Daher verweist § 41 BDSG auf Verfahrensvorschriften des OWiG und der StPO, und auch § 66 OWiG ist als grundlegendes nationales Verfahrensrecht anwendbar. Seine Auslegung allerdings richtet sich hier nach den sachlich-rechtlichen Vorgaben des übergeordneten Europarechts in der durch den EuGH nun gegebenen Ausprägung.

c) Unter Zugrundelegung der Maßgaben aus der Vorabentscheidung des EuGH und ihrer Weiterungen auf das nationale Verfahrensrecht erfüllt der Bußgeldbescheid der BlnBDI die Voraussetzungen des § 66 OWiG. Ohne Weiteres grenzt der Bußgeldbescheid den Gegenstand des Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht ab, und die Betroffene kann mühelos erkennen, welcher konkrete Vorwurf gegen sie erhoben wird. Namentlich die durch § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG erforderten Essentialia, nämlich die „Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird“ sowie „Zeit und Ort ihrer Begehung“, sind bei der gebotenen funktional-normativen Betrachtung eingehalten.

Der Bußgeldbescheid wirft der Betroffenen vor, es zwischen dem 25. Mai 2018 und dem 5. März 2019 vorsätzlich unterlassen zu haben, die notwendigen Maßnahmen zur Ermöglichung der regelmäßigen Löschung nicht mehr benötigter oder in sonstiger Weise zu Unrecht gespeicherter Daten von Mietern zu treffen. Weiter wird ihr vorgeworfen, personenbezogene Daten von mindestens 15 näher bezeichneten Mietern fortgesetzt gespeichert zu haben, obgleich bekannt gewesen sei, dass dies nicht oder nicht mehr erforderlich war.

Diese – hier nur kursorisch zusammengefassten – Vorwürfe sind im Bußgeldbescheid ausgesprochen konkret und ausführlich dargestellt. Der Bußgeldbescheid bezeichnet die insgesamt 16 Tathandlungen auf mehr als 17 Seiten in einer ausdifferenzierten und nachgerade ziselierten Weise. Die Ausführungen vermitteln der Betroffenen präzise, was ihr vorgeworfen wird, und sie ermöglichen es ihr, sich hiergegen zu verteidigen. Dabei ist auch zu beachten, dass es sich bei den vorgeworfenen Handlungen (oder Unterlassungen) ersichtlich um keine Individualexzesse in einem Dunkelbereich des Unternehmens handelt. Gegenstand des Bußgeldverfahrens bildet die Speicherung bzw. Archivierung (oder Nichtlöschung) von Kundendaten. Es geht um einfach gelagerte und verständliche Sachverhalte und im Letzten um gewöhnliche Vorgänge in einem operativen Unternehmensbereich.

d) Nicht folgen kann der Senat der Überlegung der Betroffenen, der Bußgeldbescheid müsse konkretisieren, „welches Organ durch welche Handlung die Voraussetzungen des § 30 OWiG erfüllt hat“. Abgesehen davon, dass der Bußgeldbescheid die Rechtsverstöße auch in ihrer Entstehung („Handlung“) durchaus nachvollziehbar darstellt und umreißt, deduziert sich ein solches Erfordernis aus der überkommenen Vorstellung, eine Verbandshaftung erfordere das Verschulden eines Repräsentanten (§ 30 OWiG) oder eine Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG). Sie lässt die europarechtlichen Einflüsse auf das Verbandsanktionenrecht außen vor und missachtet die Rechtsprechung des EuGH im hiesigen Vorabentscheidungsverfahren. Wenn der EuGH ausdrücklich formuliert, die Bebußung erfordere nicht, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46), so stellt er klar, dass juristische Personen dafür verantwortlich sind, dass Daten im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit rechtmäßig verarbeitet werden (Rn. 44). Sanktioniert wird hiernach nicht (nur) eine fehlerhafte Organisation, sondern gerade die Pflichtverletzung des Verbands bzw. im Verband, als „genuine Verbandstat“ (vgl. als Kritik an der überkommenen nationalen Rechtslage: HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, 2. Aufl., § 30 Rn. 13). Nach der Vorabentscheidung des EuGH ist auch eine juristische Person schuldfähig, so dass es zu einem Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Haftbarkeit kommt (vgl. Grages/Strassemeyer, CR 2024, 10). Damit fallen alle Personen, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit handeln, in den abstrakten Verantwortungskreis der juristischen Person, und selbst eine normentsprechende Organisation führt – jedenfalls in aller Regel – nicht zur Exkulpation. Dies entspricht dem Effektivitätsgrundsatz des europäischen Rechts.

Dass der Verband (materiell-rechtlich) allein datenschutzrechtlich Verantwortlicher ist (vgl. Wünschelbaum, DSB 2024, 15), wirkt sich damit unmittelbar auf die verfahrensrechtlich gebotene Darstellungsdichte im Bußgeldbescheid aus. Insbesondere muss dieser gerade nicht bezeichnen, welchem Repräsentanten oder welchem „Organ“ welche konkrete Handlung oder welches konkrete Unterlassen zur Last fällt. Im Übrigen bleibt es aber auch insoweit dabei, dass der hier zu beurteilende Bußgeldbescheid die Tathandlungen bemerkenswert und – gemessen an den vom EuGH formulierten materiell-rechtlichen Haftungsvoraussetzungen ersichtlich – überobligatorisch konkret darstellt.

e) Auch kann sich der Senat der noch weitergehenden Überlegung der Verteidigung nicht anschließen, es sei sogar „unverzichtbar, dass ein Bußgeldbescheid die verfahrensmaßgeblichen Handlungen der natürlichen Person beschreibt“, um einen Vorwurf gegen den Verband „erkennen, abgrenzen, bewerten und sich gegen ihn verteidigen zu können“. Auch diese Auffassung verstößt eklatant gegen das im hiesigen Verfahren ergangene Urteil des EuGH. Das durch die Verteidigung erkannte Erfordernis geht darüber hinweg, dass eine Sanktionierung gerade nicht erfordert, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46). Dieses klare EuGH-Diktum ist mit der Forderung der Verteidigung, der Bußgeldbescheid müsse die „Handlung der natürlichen Person beschreiben“, ersichtlich unvereinbar. Allerdings gilt auch insoweit: Der Bußgeldbescheid beschreibt die vorgeworfenen Handlungen – zum großen Teil in der Form des Unterlassens der Löschung, teilweise als unterlassene Kennzeichnung von Daten – nachvollziehbar und deutlich. Der Betroffenen ist es möglich und unbenommen, im Bußgeldverfahren darzustellen, dass die Daten nicht gespeichert oder rechtmäßig gespeichert und ggf. rechtzeitig gelöscht wurden. Jedenfalls unter Zugrundelegung der vom EuGH umrissenen Grundzüge einer umfassenden Unternehmensverantwortung ist nicht ersichtlich, dass eine noch ausführlichere und noch „konkretere“ Darstellung der Tatvorwürfe im Bußgeldbescheid die Verteidigungsmöglichkeiten der Betroffenen substantiell erweitern könnte. Durch das EuGH-Judikat verringerte Exkulpationsmöglichkeiten sind nicht Folge eines unkonkret bleibenden Bußgeldbescheids, sondern einer dem Effektivitätsgrundsatz geschuldeten europarechtskonform erweiterten Verbandsverantwortung.

f) Folgerichtig ist der Verteidigung schließlich auch darin zu widersprechen, die Bezeichnung der dem Organ vorwerfbaren Tat sei unerlässliche Voraussetzung des Bußgeldbescheids. Dieses ehedem bestehende Erfordernis, das dem limitierten Haftungsregime des nationalen Rechts folgte, ist durch die im hiesigen Verfahren ergangene Vorabentscheidung des EuGH zu einer umfassenden Verbandsverantwortung nach kartellrechtlichem Vorbild obsolet. In dieser heißt es, „dass die Anwendung von Art. 83 DSG-VO keine Handlung und nicht einmal eine Kenntnis seitens des Leitungsorgans“ voraussetzt (Rn. 77).

3. Da kein Verfahrenshindernis besteht, war der angefochtene Beschluss aufzuheben, und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Funktional zuständig ist nicht die große Strafkammer (Wirtschaftskammer), sondern die Kammer für Bußgeldsachen (§ 47 Abs. 7 OWiG). Der Senat kann nachvollziehen, dass die Kammer entgegen einer analogen Anwendung des § 68 Abs. 1 Satz 2 OWiG nicht durch Einzelrichter entschieden hat, sondern – wohl entsprechend §§ 46 Abs. 1 OWiG, 76 Abs. 1 GVG – zuletzt eine Besetzung gewählt hat, die der einer großen Strafkammer entspricht (vgl. zur funktionalen Zuständigkeit und zur Besetzungsfrage Brodowski/Nowak in BeckOK Datenschutzrecht, 46. Edition, § 41 BDSG Rn. 16). Hierfür spricht, dass sich die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts (§ 41 Abs. 1 Satz 3 BDSG) aus dem Streben nach einer verbesserten Kontrolle ableiten dürfte, die sich jedenfalls im Leitbild aus der Beteiligung mehrerer (Berufs-) Richter ergibt.

4. Eine Kostenentscheidung ist in Bezug auf das Rechtsmittel nicht veranlasst (ex arg. BGH WuW 2020, 615). Über die Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens hat an sich das vorlegende Gericht zu entscheiden (Art. 102 EuGHVerfO). Das Vorabentscheidungsverfahren erweist sich aber lediglich als Zwischenverfahren des gleichfalls unselbständigen Beschwerdeverfahrens, durch dessen Entscheidung das Bußgeldverfahren nicht abgeschlossen wird. Da das Bußgeldverfahren beim Landgericht Berlin fortgesetzt und durch dieses entschieden wird, ist es angemessen, dass die Kammer für Bußgeldsachen in der abschließenden Kostengrundentscheidung über die Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens mitentscheidet (vgl. bei ähnlicher Konstellation BGH WM 1996, 1889 unter Bezug auf EuGH GRUR Int. 1996, 147).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: DSGVO-Geldbuße gegen Unternehmen durch Datenschutzbehörde setzt schuldhaften Verstoß voraus - Höhe richtet sich nach dem Jahresumsatz des Konzerns

EuGH
Urteil vom 05.12.2023, C-683/21 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


Der EuGH hat entschieden, dass eine Geldbuße gegen ein Unternehmen durch die Datenschutzbehörde wegen eines DSGVO-Verstoßes einen schuldhaften Verstoß voraussetzt. Die Höhe richtet sich bei Unternehmen, die einem Konzern angehören, nach dem Jahresumsatz des Konzerns.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Nur ein schuldhafter Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung kann zur Verhängung einer Geldbuße führen

Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, bemisst sich die Geldbuße nach dem Jahresumsatz des Konzerns

Der Gerichtshof präzisiert die Voraussetzungen, unter denen die nationalen Aufsichtsbehörden eine Geldbuße gegen einen oder mehrere für die Datenverarbeitung Verantwortliche wegen Verstoßes gegen die DatenschutzGrundverordnung (DSGVO) verhängen können. Insbesondere stellt er fest, dass die Verhängung einer solchen Geldbuße ein schuldhaftes Verhalten voraussetzt, der Verstoß also vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sein muss. Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, ist bei der Berechnung der Geldbuße auf den Umsatz des Konzerns abzustellen

Ein litauisches und ein deutsches Gericht haben den Gerichtshof ersucht, die Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO)1 auszulegen, und zwar im Hinblick auf die Möglichkeit nationaler Aufsichtsbehörden, Verstöße gegen diese Verordnung durch Verhängung einer Geldbuße gegen den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen zu ahnden.

Im litauischen Fall wendet sich das Nationale Zentrum für öffentliche Gesundheit beim Gesundheitsministerium gegen eine Geldbuße in Höhe von 12 000 Euro, die ihm im Zusammenhang mit der Entwicklung (mit Unterstützung durch ein privates Unternehmen) einer mobilen Anwendung auferlegt wurde, die der Erfassung und Überwachung der Daten der dem Covid-19-Virus ausgesetzten Personen dienen sollte.

Im deutschen Fall wendet sich das Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen, das mittelbar rund 163 000 Wohneinheiten und 3 000 Gewerbeeinheiten hält, u. a. gegen eine Geldbuße von über 14 Mio. Euro, die ihm auferlegt wurde, weil es personenbezogene Daten von Mietern länger als erforderlich speicherte.

Der Gerichtshof entscheidet, dass gegen einen für die Datenverarbeitung Verantwortlichen nur dann eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen die DSGVO verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß schuldhaft – also vorsätzlich oder fahrlässig – begangen wurde. Dies ist dann der Fall, wenn sich der Verantwortliche über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein konnte, gleichviel, ob ihm dabei bewusst war, dass es gegen die Bestimmungen der DSGVO verstößt.

Handelt es sich bei dem Verantwortlichen um eine juristische Person, ist es nicht erforderlich, dass der Verstoß von ihrem Leitungsorgan begangen wurde oder dieses Organ Kenntnis davon hatte. Vielmehr haftet eine juristische Person sowohl für Verstöße, die von ihren Vertretern, Leitungspersonen oder Geschäftsführern begangen werden, als auch für Verstöße, die von jeder sonstigen Person begangen werden, die im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit in ihrem Namen handelt. Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person als Verantwortliche darf nicht der Voraussetzung unterliegen, dass zuvor festgestellt wurde, dass der Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde.

Außerdem kann gegen einen Verantwortlichen eine Geldbuße auch für Verarbeitungsvorgänge verhängt werden, die von einem Auftragsverarbeiter durchgeführt wurden, sofern diese Vorgänge dem Verantwortlichen zugerechnet werden können.

Zur gemeinsamen Verantwortlichkeit von zwei oder mehr Einrichtungen führt der Gerichtshof aus, dass diese sich allein daraus ergibt, dass die Einrichtungen an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung mitgewirkt haben. Die Einstufung als „gemeinsam Verantwortliche“ setzt keine förmliche Vereinbarung zwischen den betreffenden Einrichtungen voraus. Eine gemeinsame Entscheidung oder übereinstimmende Entscheidungen reichen aus. Handelt es sich jedoch tatsächlich um gemeinsam Verantwortliche, müssen diese in einer Vereinbarung ihre jeweiligen Pflichten festlegen.

Schließlich muss sich die Aufsichtsbehörde bei der Bemessung der Geldbuße, wenn der Adressat ein Unternehmen ist oder zu einem Unternehmen gehört, auf den wettbewerbsrechtlichen Begriff „Unternehmen“ stützen. Der Höchstbetrag der Geldbuße ist daher auf der Grundlage eines Prozentsatzes des gesamten Jahresumsatzes zu berechnen, den das betreffende Unternehmen als Ganzes im vorangegangenen Geschäftsjahr weltweit erzielt hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-683/12 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


BlnBD: 215.000 EURO Bußgeld gegen Unternehmen u.a. wegen datenschutzwidriger Speicherung von Gesundheitsdaten von Beschäftigten in Probezeit

Die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BlnBDI) hat ein Bußgeld in Höhe von 215.000 EURO gegen ein Unternehmen u.a. wegen datenschutzwidriger Speicherung von Gesundheitsdaten und Interesse an Betriebsratsgründung von Beschäftigten in der Probezeit verhängt.

Die Pressemitteilung des der BlnBDI:
Eine Liste mit Informationen über Beschäftigte in der Probezeit

Die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BlnBDI) hat gegen ein Unternehmen Bußgelder in Höhe von insgesamt 215.000 Euro verhängt. Das Unternehmen hatte u. a. unzulässigerweise sensible Informationen über den Gesundheitszustand einzelner Beschäftigter oder deren Interesse an einer Betriebsratsgründung dokumentiert. Der Bußgeldbescheid ist noch nicht rechtskräftig.

Um mögliche Kündigungen zum Ende der Probezeit vorzubereiten, führte eine Vorgesetzte auf Weisung der Geschäftsführung des Unternehmens von März bis Juli 2021 eine tabellarische Übersicht aller Beschäftigten in der Probezeit. Die Berliner Datenschutzbeauftragte erfuhr durch Medienberichte und eine persönliche Beschwerde eines Betroffenen von dem Vorfall und leitete eine Prüfung ein.

In der Übersicht listete die Vorgesetzte alle Mitarbeitenden in der Probezeit auf und bewertete die weitere Beschäftigung von elf Personen als „kritisch“ oder „sehr kritisch“. Diese Einstufung wurde in einer Tabellenspalte mit der Überschrift „Begründung“ näher erläutert. Hier fanden sich Angaben zu persönlichen Äußerungen sowie gesundheitlichen und außerbetrieblichen Gründen, die einer flexiblen Schichteinteilung entgegenstehen würden. Auch ein mögliches Interesse an der Gründung eines Betriebsrates und die regelmäßige Teilnahme an einer Psychotherapie wurden hier genannt. In vielen Fällen hatten die Beschäftigten die aufgeführten Informationen selbst für die Dienstplanung mitgeteilt. Die Weiterverarbeitung in der Liste war ihnen nicht bekannt.

Die Berliner Datenschutzbeauftragte kam bei ihrer Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Verarbeitung der erhobenen Daten in den beanstandeten Fällen nicht rechtmäßig war. Zusätzlich zur Ahndung dieses strukturellen Verstoßes verhängte die BlnBDI gegen das Unternehmen drei weitere Bußgelder in Höhe von insgesamt rund 40.000 Euro wegen fehlender Beteiligung der betrieblichen Datenschutzbeauftragten bei der Erstellung der Liste, verspäteter Meldung einer Datenpanne und fehlender Erwähnung der Liste im Verarbeitungsverzeichnis.

Meike Kamp, Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: „Die Erhebung, Speicherung und Verwendung von Beschäftigtendaten müssen stets im zulässigen Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis erfolgen. Das war in diesem Fall nicht gegeben. Insbesondere Gesundheitsdaten sind besonders sensitive Informationen, die nur in engen Grenzen verarbeitet werden dürfen.“

Grundsätzlich dürfen Arbeitgeber:innen Überlegungen anstellen, inwiefern Beschäftigte weiterbeschäftigt werden sollen und insofern auch personenbezogene Daten verarbeiten. Die verarbeiteten Daten müssen jedoch für diesen Zweck geeignet und erforderlich sein. Sie dürfen nur Rückschlüsse auf Leistung oder Verhalten zulassen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis stehen. Arbeitgeber:innen dürfen auch von Beschäftigten selbst mitgeteilte Informationen nicht einfach weiterverarbeiten, sondern müssen prüfen, ob die Verarbeitung erforderlich und angemessen ist.

Bei der Bemessung der Bußgelder berücksichtigte die BlnBDI den Umsatz des Unternehmens und die Anzahl der betroffenen Beschäftigten. Außerdem wurde berücksichtigt, dass insbesondere die Verarbeitung von Gesundheitsdaten ohne Rechtsgrundlage einen besonders schwerwiegenden Verstoß darstellt. Bußgeldmindernd wurde u. a. berücksichtigt, dass das Unternehmen umfassend mit der BlnBDI kooperiert hat und den Verstoß nach öffentlichem Bekanntwerden bereits ohne Aufforderung von sich aus abgestellt hat.



BlnBDI: 300.000 EURO Bußgeld gegen Bank wegen mangelnder Transparenz bei automatisierter Ablehnung eines Kreditantrags

Die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BlnBDI) hat ein Bußgeld in Höhe von 300.000 EURO gegen eine Bank wegen mangelnder Transparenz bei der automatisierter Ablehnung eines Kreditantrags verhängt.

Die Pressemitteilung der BlnBDI:
300.000 Euro Bußgeld gegen Bank nach mangelnder Transparenz über automatisierte Ablehnung eines Kreditkartenantrags - Computer sagt Nein

Die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BlnBDI) hat gegen eine Bank ein Bußgeld in Höhe von 300.000 Euro wegen mangelnder Transparenz über eine automatisierte Einzelentscheidung verhängt. Die Bank hatte sich geweigert, einem Kunden nachvollziehbare Auskünfte über die Gründe der automatisierten Ablehnung eines Kreditkartenantrags zu erteilen. Das Unternehmen hat umfassend mit der BlnBDI kooperiert und den Bußgeldbescheid akzeptiert.

Eine automatisierte Entscheidung ist eine Entscheidung, die ein IT-System ausschließlich auf Grundlage von Algorithmen und ohne menschliches Eingreifen trifft. Für diesen Fall sieht die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) spezielle Transparenzpflichten vor. So müssen personenbezogenen Daten in einer für die betroffenen Personen nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden. Betroffene Personen haben einen Anspruch auf Erläuterung der nach einer entsprechenden Bewertung getroffenen Entscheidung. Beantragen betroffene Personen bei den Verantwortlichen eine Auskunft, müssen diese aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik hinter der automatisierten Entscheidung erteilen.

In diesem Fall beherzigte die Bank dies jedoch bei ihrem digitalen Antrag für eine Kreditkarte nicht. Über ein Online-Formular fragte die Bank verschiedene Daten über Einkommen, Beruf und Personalien des Antragstellers ab. Anhand der abgefragten Informationen und zusätzlicher Daten aus externen Quellen lehnte der Bank-Algorithmus den Antrag des Kunden ohne besondere Begründung ab. Der Algorithmus basiert auf zuvor von der Bank definierten Kriterien und Regeln.

Da der Kunde einen guten Schufa-Score und ein regelmäßiges hohes Einkommen hatte, bezweifelte er die automatisierte Ablehnung. Die Bank machte auch auf Nachfrage lediglich pauschale und vom Einzelfall gelöste Angaben zum Scoring-Verfahren. Sie weigerte sich jedoch, ihm mitzuteilen, warum sie in seinem Fall von einer schlechten Bonität ausging. Der Beschwerdeführer konnte somit nicht nachvollziehen, welche Datenbasis und Faktoren der Ablehnung zugrunde lagen und anhand welcher Kriterien sein Kreditkartenantrag dementsprechend abgelehnt worden ist. Ohne diese Einzelfallbegründung war es ihm aber auch nicht möglich, die automatisierte Einzelentscheidung sinnvoll anzufechten. Daraufhin beschwerte er sich bei der Datenschutzbeauftragten.

Meike Kamp, Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: „Wenn Unternehmen automatisiert Entscheidungen treffen, sind sie verpflichtet, diese stichhaltig und nachvollziehbar zu begründen. Die Betroffenen müssen in der Lage sein, die automatisierte Entscheidung nachzuvollziehen. Dass die Bank in diesem Fall auch auf Anfrage nicht transparent und nachvollziehbar über die automatisierte Ablehnung informiert hat, hat ein Bußgeld zur Folge. Eine Bank ist verpflichtet, die Kund:innen bei der automatisierten Entscheidung über einen Kreditkartenantrag über die tragenden Gründe einer Ablehnung zu unterrichten. Hierzu zählen konkrete Informationen zur Datenbasis und den Entscheidungsfaktoren sowie die Kriterien für die Ablehnung im Einzelfall.“

Die Datenschutzbeauftragte hat festgestellt, dass die Bank in dem konkreten Fall gegen Art. 22 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1 lit. a und Art. 15 Abs. 1 lit. h DSGVO verstoßen hat. Bei der Bußgeldzumessung berücksichtigte die BlnBDI insbesondere den hohen Umsatz der Bank sowie die vorsätzliche Ausgestaltung des Antragsprozesses und der Auskunft. Als bußgeldmindernd wurde u. a. eingestuft, dass das Unternehmen den Verstoß eingeräumt sowie Änderungen an den Prozessen bereits umgesetzt und weitere Verbesserungen angekündigt hat.



BMJ: Entwurf - Justizstandort-Stärkungsgesetz - Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit

Das BMJ hat den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit (Justizstandort-Stärkungsgesetz) vorgelegt.

Aus dem Entwurf:
A. Problem und Ziel
Deutschland ist ein bedeutender Wirtschaftsstandort in Europa und in der Welt. Die Geschäftsbeziehungen der in Deutschland tätigen Unternehmen sind vielfältig und international. Das führt zwangsläufig zu Wirtschaftsstreitigkeiten, die in Zeiten globaler Lieferketten und internationalen Warenverkehrs häufig auch Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen verschiedener Staaten betreffen. Für große Wirtschaftsstreitigkeiten bietet die ordentliche Gerichtsbarkeit in Deutschland insgesamt nur eingeschränkt zeitgemäße Verfahrensmöglichkeiten an. In der Folge werden solche Streitigkeiten vermehrt in anderen Rechtsordnungen oder innerhalb der privaten Schiedsgerichtsbarkeit geführt. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer Stärkung des Justiz- und Wirtschaftsstandorts Deutschland. Parteien von privatrechtlichen Wirtschaftsstreitigkeiten sollen Verfahren künftig vollständig in englischer Sprache führen können. Außerdem soll den Parteien von großen privatrechtlichen Wirtschaftsstreitigkeiten ein attraktives Gesamtpaket für das Verfahren angeboten werden, damit sich Deutschland dem Wettbewerb mit anerkannten ausländischen Handelsgerichten und Schiedsgerichten stellen kann. Insbesondere Unternehmen mit starker Exportorientierung werden davon profitieren. Insgesamt wird ein an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiertes, schnelles, effizientes und attraktives Gerichtsverfahren angeboten werden. Zugleich soll der Gerichtsstandort Deutschland dadurch auch international an Anerkennung und Sichtbarkeit gewinnen und die notwendige Rechtsfortbildung im Bereich des Wirtschaftszivilrechts soll gestärkt werden.

B. Lösung
Um bessere Rahmenbedingungen für einen attraktiven Justizstandort Deutschland zu gewährleisten, sind folgende Änderungen angezeigt:

Zunächst ist den Ländern die Möglichkeit zu eröffnen, die landgerichtlichen Zivilverfahren im Bereich der Wirtschaftszivilsachen für die Gerichtssprache Englisch zu öffnen.

Ferner wird den Ländern die Befugnis eingeräumt, einen Commercial Court an einem Oberlandesgericht (OLG) oder einem Obersten Landesgericht einzurichten. Dabei handelt es sich um einen oder mehrere Zivilsenate, vor dem bzw. denen Wirtschaftszivilsachen ab einem Streitwert von einer Million Euro erstinstanzlich geführt werden können, sofern sich die Parteien auf die erstinstanzliche Anrufung des Commercial Courts verständigt haben. Die Commercial Courts werden das Verfahren – je nach Vereinbarung der Parteien – entweder in deutscher oder in englischer Sprache führen. Für die genannten Verfahren wird zudem die bereits aus der Schiedsgerichtsbarkeit bekannte Möglichkeit der Erstellung eines Wortprotokolls eröffnet.

Gegen erstinstanzliche Entscheidungen der Commercial Courts wird die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) eröffnet sein. Eine umfassende Verfahrensführung in der englischen Sprache soll – im Einvernehmen mit dem zuständigen Senat des BGH – auch in der Revision möglich sein.

Überdies sollen von der Möglichkeit, bei der Verhandlung über Geschäftsgeheimnisse die Öffentlichkeit auszuschließen und den Verfahrensgegner verstärkt zur Diskretion über die erlangten Erkenntnisse zu verpflichten, künftig sämtliche Parteien in der Zivilgerichtsbarkeit profitieren.

Durch diese Maßnahmen wird der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung entsprochen, die insbesondere in Ziel 16 verlangt: „Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung (zu) fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz (zu) ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen auf(zu)bauen".



EuGH-Generalanwalt: Unmittelbare Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Person nach Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO möglich - § 30 OWiG gilt nicht

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom
C-807/21


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträge zu dem Ergebnis, dass die unmittelbare Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Person nach Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO möglich ist. § 30 OWiG greift insoweit nicht.

Das Ergebnis der Schlussanträge:
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Kammergericht Berlin (Deutschland) wie folgt zu antworten:

Art. 58 Abs. 2 Buchst. i der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) in Verbindung mit Art. 4 Nr. 7 und Art. 83 dieser Verordnung

ist dahin auszulegen, dass

die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person, die für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortlich ist, nicht von der vorherigen Feststellung eines Verstoßes durch eine oder mehrere individualisierte natürliche Person(en), die im Dienst dieser juristischen Person stehen, abhängt.

Die Verwaltungsgeldbußen, die gemäß der Verordnung 2016/679 verhängt werden können, setzen voraus, dass festgestellt wird, dass das den geahndeten Verstoß begründende Verhalten vorsätzlich oder fahrlässig war.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Werbung mit Logo "Klimaneutral" wettbewerbswidrig wenn Unternehmen nicht über die grundlegenden Umstände der behaupteten Klimaneutralität aufklärt

OLG Frankfurt
Urteil vom 10.11.2022
6 U 104/22


Das OLG Frankfurt hat im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens entschieden, dass die Werbung mit einem Logo "Klimaneutral" wettbewerbswidrig ist, wenn das Unternehmen nicht über die grundlegenden Umstände der behaupteten Klimaneutralität aufklärt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Werbung mit dem Logo „Klimaneutral“ ohne Aufklärung irreführend

Die Werbung mit dem Logo „Klimaneutral“ kann erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung der Verbraucher haben.

Die Werbung mit dem Logo „Klimaneutral“ kann erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung der Verbraucher haben. Über grundlegende Umstände der von dem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität ist deshalb aufzuklären. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat gestern der Antragsgegnerin untersagt, ihre Produkte mit dem Logo „Klimaneutral“ zu bewerben, da diese Aufklärung fehlt.

Beide Parteien stellen ökologische Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel her. Die Antragsgegnerin bewirbt ihre Produkte auf ihrer Internetseite u.a. mit dem Logo „Klimaneutral“. Die Antragstellerin wendet sich u.a. gegen die Werbung mit diesem Begriff. Sie hält den Begriff „klimaneutral“ für erläuterungsbedürftig und die Werbung deshalb für intransparent und irreführend.

Das Landgericht hatte den auf Unterlassen gerichteten Eilantrag abgewiesen. Auf die Berufung hin hat das OLG die Antragsgegnerin verurteilt, die Verwendung des Logos „Klimaneutral“ zu unterlassen. Die Werbung sei irreführend. Die Bewerbung eines Unternehmens oder seiner Produkte mit einer vermeintlichen Klimaneutralität könne erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben. Es bestehe daher eine Verpflichtung zur Aufklärung über grundlegende Umstände der von dem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität. Der Verbraucher gehe bei dem streitgegenständlichen „klimaneutral“-Logo davon aus, dass grundsätzlich alle wesentlichen Emissionen des Unternehmens vermieden oder kompensiert würden. Eine Ausklammerung bestimmter Emissionsarten - wie von der Antragsgegnerin vorgenommen - nehme er nicht ohne Weiteres an.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 10.11.2022, Az. 6 U 104/22
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.5.2022, Az. 3-12 O 15/22)


BGH: E-Mail ist im unternehmerischen Geschäftsverkehr zugegangen wenn sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung steht

BGH
Urteil vom 06.10.2022
VII ZR 895/21
BGB §§ 779, 147 Abs. 2, § 130; ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr zugegangen ist, wenn sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung steht. Auf eine tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an.

Leitsatz des BGH:
Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.

BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 - VII ZR 895/21 - KG Berlin - LG Berlin
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: