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Volltext BGH-Vorlagebeschluss an EuGH: Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß - Voraussetzungen und Höhe des Schadensersatzanspruchs aus Art. 82 DSGVO

BGH
Beschluss vom 26.09.2023
VI ZR 97/22
Verordnung (EU) 2016/679 Art. 17, Art. 18, Art. 79, Art. 82 Abs. 1, Art. 84; GG Art. 2 Abs. 1; BGB §§ 253, 823, § 1004 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH legt EuGH vor: Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO - Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Vorlagefragen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 17, Art. 18, Art. 79, Art. 82 Abs. 1 und Art. 84 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO, ABl. EU L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1) zur Frage des Bestehens eines unionsrechtlichen Unterlassungsanspruchs der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, bzw. zu der insoweit bestehenden Möglichkeit eines Rückgriffs auf das nationale Recht und zum Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO.

BGH, Beschluss vom 26. September 2023 - VI ZR 97/22 - OLG Frankfurt in Darmstadt - LG Darmstadt

Die Vorlagefragen:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DatenschutzGrundverordnung, DSGVO, ABl. EU L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a) Ist Art. 17 DSGVO dahingehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt?

b) Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art. 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben?

2. Falls Fragen 1a) und/oder 1b) bejaht werden:

a) Besteht der unionsrechtliche Unterlassungsanspruch nur dann, wenn künftig weitere Beeinträchtigungen der sich aus der DSGVO ergebenden Rechte der betroffenen Person zu besorgen sind (Wiederholungsgefahr)?

b) Wird das Bestehen der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls aufgrund des bereits vorliegenden Verstoßes gegen die DSGVO vermutet?

3. Falls Fragen 1a) und 1b) verneint werden:

Sind Art. 84 i.V.m. Art. 79 DSGVO dahingehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, neben dem Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO und den sich aus Art. 17 und Art. 18 DSGVO ergebenden Ansprüchen einen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen?

4. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass für die Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung bloße negative Gefühle wie z.B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Angst, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens sind, genügen? Oder ist für die Annahme eines Schadens ein über diese Gefühle hinausgehender Nachteil für die betroffene natürliche Person erforderlich?

5. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters bzw. seiner Mitarbeiter ein relevantes Kriterium darstellt? 6. Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden: Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

6. Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden:

Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH legt EuGH vor: Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO - Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß

BGH
Beschluss vom 26. 09.2023
VI ZR 97/22

Der BGH hat dem EuGH diverse sehr praxisrelevante Fragen zur Auslegung der DSGVO zur Entscheidung vorgelegt. Zunächst geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO besteht und welche Kriterien bei der Bemessung der Höhe des Schadens zu berücksichtigen sind. Ferner soll die Streitfrage geklärt werden, ob der Betroffene bei einem DSGVO-Verstoß einen Unterlassungsanspruch hat und ob dieser aus der DSGVO oder anderen Vorschriften außerhalb der DSGVO hergeleitet werden kann.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof legt dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zum Bestehen eines
unionsrechtlichen Unterlassungsanspruchs und zum Begriff des immateriellen Schadens nach der
Datenschutz-Grundverordnung vor

Der unter anderem für Ansprüche nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung zur Auslegung von Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hinsichtlich des Bestehens eines unionsrechtlichen Unterlassungsanspruchs der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, bzw. zu der insoweit bestehenden Möglichkeit eines Rückgriffs auf das nationale Recht und zum Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO vorgelegt.

Sachverhalt:

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Weitergabe persönlicher Daten auf Unterlassung und Ersatz immateriellen Schadens in Anspruch. Er befand sich bei der beklagten Privatbank in einem Bewerbungsprozess, der über ein Online-Portal stattfand. Im Zuge dessen versandte eine Mitarbeiterin der Beklagten über den Messenger-Dienst des Portals eine nur für den Kläger bestimmte Nachricht auch an eine dritte, nicht am Bewerbungsprozess beteiligte Person, die mit dem Kläger vor einiger Zeit in derselben Holding gearbeitet hatte und ihn deshalb kannte. In der Nachricht wird unter anderem mitgeteilt, dass die Beklagte die Gehaltsvorstellungen des Klägers nicht erfüllen könne.

Der Kläger macht geltend, sein - immaterieller - Schaden liege nicht im abstrakten Kontrollverlust über die offenbarten Daten, sondern darin, dass nunmehr mindestens eine weitere Person, die den Kläger und potentielle wie ehemalige Arbeitgeber kenne, über Umstände Kenntnis habe, die der Diskretion unterlägen. Es sei zu befürchten, dass der in der gleichen Branche tätige Dritte die in der Nachricht enthaltenen Daten weitergegeben habe oder sich durch ihre Kenntnis als Konkurrent auf etwaige Stellen im Bewerbungsprozess einen Vorteil habe verschaffen können. Zudem empfinde er das "Unterliegen" in den Gehaltsverhandlungen als Schmach, die er nicht an Dritte - vor allem nicht an potentielle Konkurrenten - weitergegeben hätte.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben, die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt und dem Kläger, der immateriellen Schadensersatz von mindestens 2.500 € fordert, einen Betrag in Höhe von 1.000 € zuerkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, mit der er seine Ansprüche in vollem Umfang weiterverfolgt. Die Beklagte begehrt mit ihrer Revision die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a)Ist Art. 17 DSGVO dahingehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt?

b)Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art. 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben?

2. Falls Fragen 1a) und/oder 1b) bejaht werden:

a)Besteht der unionsrechtliche Unterlassungsanspruch nur dann, wenn künftig weitere Beeinträchtigungen der sich aus der DSGVO ergebenden Rechte der betroffenen Person zu besorgen sind (Wiederholungsgefahr)?

b)Wird das Bestehen der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls aufgrund des bereits vorliegenden Verstoßes gegen die DSGVO vermutet?

3.Falls Fragen 1a) und 1b) verneint werden:

Sind Art. 84 i.V.m. Art. 79 DSGVO dahingehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, neben dem Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO und den sich aus Art. 17 und Art. 18 DSGVO ergebenden Ansprüchen einen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen?

4.Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass für die Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung bloße negative Gefühle wie z.B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Angst, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens sind, genügen? Oder ist für die Annahme eines Schadens ein über diese Gefühle hinausgehender Nachteil für die betroffene natürliche Person erforderlich?

5.Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters bzw. seiner Mitarbeiter ein relevantes Kriterium darstellt?

6.Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden:

Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

Vorinstanzen:

LG Darmstadt - Urteil vom 26. Mai 2020 - 13 O 244/19

OLG Frankfurt am Main - Urteil vom 2. März 2022 - 13 U 206/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Art. 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Recht auf Löschung ("Recht auf Vergessenwerden")

(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft:

a)

Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig.

b)

Die betroffene Person widerruft ihre Einwilligung, auf die sich die Verarbeitung gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a stützte, und es fehlt an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung.

c)

Die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 1 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein und es liegen keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vor, oder die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 2 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein.

d)

Die personenbezogenen Daten wurden unrechtmäßig verarbeitet.

e)

Die Löschung der personenbezogenen Daten ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten erforderlich, dem der Verantwortliche unterliegt.

f)

Die personenbezogenen Daten wurden in Bezug auf angebotene Dienste der Informationsgesellschaft gemäß Artikel 8 Absatz 1 erhoben.

(2) Hat der Verantwortliche die personenbezogenen Daten öffentlich gemacht und ist er gemäß Absatz 1 zu deren Löschung verpflichtet, so trifft er unter Berücksichtigung der verfügbaren Technologie und der Implementierungskosten angemessene Maßnahmen, auch technischer Art, um für die Datenverarbeitung Verantwortliche, die die personenbezogenen Daten verarbeiten, darüber zu informieren, dass eine betroffene Person von ihnen die Löschung aller Links zu diesen personenbezogenen Daten oder von Kopien oder Replikationen dieser personenbezogenen Daten verlangt hat.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, soweit die Verarbeitung erforderlich ist

a)

zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information;

b)

zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, die die Verarbeitung nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, erfordert, oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde;

c)

aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit gemäß Artikel 9 Absatz 2 Buchstaben h und i sowie Artikel 9 Absatz 3;

d)

für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1, soweit das in Absatz 1 genannte Recht voraussichtlich die Verwirklichung der Ziele dieser Verarbeitung unmöglich macht oder ernsthaft beeinträchtigt, oder

e)

zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen.

Art. 18 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Recht auf Einschränkung der Verarbeitung

(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen die Einschränkung der Verarbeitung zu verlangen, wenn eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist:

a)

die Richtigkeit der personenbezogenen Daten von der betroffenen Person bestritten wird, und zwar für eine Dauer, die es dem Verantwortlichen ermöglicht, die Richtigkeit der personenbezogenen Daten zu überprüfen,

b)

die Verarbeitung unrechtmäßig ist und die betroffene Person die Löschung der personenbezogenen Daten ablehnt und stattdessen die Einschränkung der Nutzung der personenbezogenen Daten verlangt;

c)

der Verantwortliche die personenbezogenen Daten für die Zwecke der Verarbeitung nicht länger benötigt, die betroffene Person sie jedoch zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen benötigt, oder

d)

die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung gemäß Artikel 21 Absatz 1 eingelegt hat, solange noch nicht feststeht, ob die berechtigten Gründe des Verantwortlichen gegenüber denen der betroffenen Person überwiegen.

(2) Wurde die Verarbeitung gemäß Absatz 1 eingeschränkt, so dürfen diese personenbezogenen Daten - von ihrer Speicherung abgesehen - nur mit Einwilligung der betroffenen Person oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder zum Schutz der Rechte einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats verarbeitet werden.

(3) …

Art. 79 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Verantwortliche
oder Auftragsverarbeiter

(1) Jede betroffene Person hat unbeschadet eines verfügbaren verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs einschließlich des Rechts auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde gemäß Artikel 77 das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf, wenn sie der Ansicht ist, dass die ihr aufgrund dieser Verordnung zustehenden Rechte infolge einer nicht im Einklang mit dieser Verordnung stehenden Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten verletzt wurden.

(2) …

Art. 82 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Haftung und Recht auf Schadenersatz

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

(2) …

Art. 84 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Sanktionen

(1) Die Mitgliedstaaten legen die Vorschriften über andere Sanktionen für Verstöße gegen diese Verordnung - insbesondere für Verstöße, die keiner Geldbuße gemäß Artikel 83 unterliegen - fest und treffen alle zu deren Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

(2) …


BGH: Erneute Markenrechtsverletzung trotz strafbewehrter Unterlassungserklärung begründet Wiederholungsgefahr - erneutes Vertragsstrafeversprechen nach "Hamburger Brauch" genügt

BGH
Urteil vom 01.12.2022
I ZR 144/21
Wegfall der Wiederholungsgefahr III
Verordnung (EU) 2017/1001 Art. 9, 17 Abs. 1, Art. 130 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass eine erneute Markenrechtsverletzung trotz strafbewehrter Unterlassungserklärung erneut die Wiederholungsgefahr begründet, die durch eine weitere strafbewehrte Unterlassungserklärung ausgeräumt werden kann. Dabei genügt eon erneutes Vertragsstrafeversprechen nach "Hamburger Brauch".

Leitsätze des BGH:
a) Eine neue Markenrechtsverletzung trotz strafbewehrter Unterlassungserklärung begründet regelmäßig erneut die Wiederholungsgefahr, die grundsätzlich nur durch eine weitere Unterwerfungserklärung mit einer gegenüber der ersten erheblich höheren Strafbewehrung ausgeräumt werden kann. Einem Vertragsstrafeversprechen nach "Hamburger Brauch" wohnt eine solche höhere Strafbewehrung bereits inne. Es entfaltet mit der Möglichkeit, eine Vertragsstrafe auch in zuvor nicht absehbarer Höhe festzusetzen, im Wiederholungsfall dem Schuldner gegenüber die notwendige Abschreckungswirkung, zumal der Umstand der wiederholten Zuwiderhandlung bei einer gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit der Vertragsstrafe zu berücksichtigen ist.

b) Für den Wegfall der Wiederholungsgefahr genügt grundsätzlich der Zugang einer strafbewehrten Unterlassungserklärung des Schuldners, die sich als Ausdruck eines ernsthaften Unterlassungswillens darstellt. Dafür ist erforderlich, dass die strafbewehrte Unterlassungserklärung bis zu ihrer Annahme oder Ablehnung durch den Gläubiger bindend ist, damit dieser sie jederzeit annehmen und so die Vertragsstrafeverpflichtung begründen kann. Nur dann ist die erforderliche Abschreckungswirkung gegeben, die den Wegfall der Wiederholungsgefahr schon mit Zugang der strafbewehrten Unterlassungserklärung rechtfertigt.

c) Lehnt der Gläubiger die Annahme der strafbewehrten Unterlassungserklärung gegenüber dem Schuldner ab, scheitert der Abschluss des Unterlassungsvertrags und es fehlt ab diesem Zeitpunkt an der für den Wegfall der Wiederholungsgefahr erforderlichen Abschreckungswirkung durch eine (drohende) Vertragsstrafeverpflichtung (Aufgabe von BGH, Urteil vom 31. Mai 1990 - I ZR 285/88,
GRUR 1990, 1051 [juris Rn. 16] = WRP 1991, 27 - Vertragsstrafe ohne Obergrenze).

BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - I ZR 144/21 - OLG Braunschweig - LG Braunschweig

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Zur richterlichen Hinweispflicht im äußerungsrechtlichen Rechtsstreit

BGH
Urteil vom 21.06.2022
VI ZR 395/19
BGB §§ 823, 1004 (analog); StGB §§ 185 ff.; ZPO 139


Der BGH hat sich dieser Entscheidung zur richterlichen Hinweispflicht im äußerungsrechtlichen Rechtsstreit geäußert.

Leitsätze des BGH:
a) Begehrt der Kläger in einem äußerungsrechtlichen Rechtsstreit nicht die Unterlassung einer von ihm wörtlich wiedergegebenen Äußerung des Beklagten, sondern die Unterlassung einer Aussage, die er der Äußerung des Beklagten nach eigener Interpretation entnehmen zu können meint, so kommt ein auf eine Wiederholungsgefahr nach erfolgter Erstbegehung gestützter Unterlassungsanspruch (sogenannter "Verletzungsunterlassungsanspruch") nur in Betracht, wenn sich die vom Kläger bekämpfte Aussage aus der betreffenden Äußerung des Beklagten tatsächlich ergibt.

b) Ergibt sich in einem äußerungsrechtlichen Rechtsstreit, dass der Kläger die von ihm begehrte Unterlassung einer bestimmten Aussage nicht verlangen kann und die Klage deshalb unbegründet ist, so bedarf es vor Abweisung der Klage keines richterlichen Hinweises dahingehend, dass sich aus dem maßgeblichen Sachverhalt (möglicherweise) ein auf eine andere Aussage gerichteter Unterlassungsanspruch ergibt.

BGH, Urteil vom 21. Juni 2022 - VI ZR 395/19 - OLG Schleswig - LG Lübeck

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Flensburg: Werbeanrufe gegenüber Unternehmen ohne Einwilligung unzulässig - Aufnahme der Telefonnummer in Blacklist reicht nicht zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr

LG Flensburg
Urteil vom 08.04.2022
8 O 7/22


Das LG Flensburg hat in Einklang mit der BGH-Rechtsprechung entschieden, dass Werbeanrufe auch gegenüber Unternehmen ohne Einwilligung unzulässig sind. Die Aufnahme der Telefonnummer in eine Blacklist reicht nicht zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr aus. Vielmehr ist die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung notwenig.

Aus den Entscheidungsgründen:
a. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung von Telefonanrufen mit werblichem Inhalt im Umfang des vorstehenden Tenors gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu. Dabei begründet bereits der erste von der Beklagten im September 2020 unstreitig getätigte Telefonanruf mit werblichem Inhalt einen Unterlassungsanspruch der Klägerin. Ob die Beklagte im September 2020 mehrere und im September/Oktober 2021 weitere Werbeanrufe an die Klägerin tätigte, wie die Klägerin behauptet, kann somit dahinstehen.

aa. Anrufe bei einem Unternehmer zu Werbezwecken, stellen grundsätzlich einen Eingriff in den von § 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.

Gegenstand des Schutzes ist die Verhinderung des Eindringens des Werbenden in die geschäftliche Sphäre, insbesondere die Ungestörtheit der Betriebsabläufe des Empfängers; es soll verhindert werden, dass diesem Werbemaßnahmen gegen seinen erkennbaren und mutmaßlichen Willen aufgedrängt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2016 - I ZR 276/14 - Lebens-Kost , Rn. 16, juris). Verhindert werden soll darüber hinaus, dass die belästigende Werbung zu einer Bin- dung von Ressourcen des Angerufenen, wie zum Beispiel Zeitaufwand, führt (BGH, Urteil vom 01. Juni 2006 - I ZR 167/03 - Telefax-Werbung II , Rn. 9, juris).

Die Voraussetzungen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sind danach im vorliegenden Fall gegeben. Unstreitig kontaktierte die Beklagte die Klägerin im Septem- ber 2020 unaufgefordert unter ihrer Geschäftsnummer, um für ihre Vermittlungstätigkeit zu werben.

bb. Der Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin ist auch rechtswidrig.

Das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das durch Art. 12 GG verfassungsrechtlich gewährleistet ist (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2019 - VI ZR 506/17, Rn. 15, juris), ist mit dem berechtigten Interesse der Beklagten, mit ihren potentiellen Kunden zum Zwecke der Werbung in Kontakt zu treten, abzuwägen. Denn wegen der Eigenart des vorgenannten Rechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden Belange bestimmt werden (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2015 - VI ZR 134/15, Rn. 21, juris). Diese Abwägung bei der die Maßstäbe des § 7 UWG zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zur Anwendung kommen (BGH, Urteil vom 21.04.2016 - I ZR 276/14, Rn. 16, juris - Lebens-Kost), geht vorliegend zu Lasten der Beklagten.

Nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist eine unzumutbare Belästigung stets anzunehmen bei Werbung mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher ohne dessen vorherige ausdrückliche Einigung oder gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer ohne dessen zumindest mutmaßliche Einwilligung. Danach stellt bereits der erste Telefonanruf der Beklagten im September 2020 zu Werbezwecken eine unzumutbare Belästigung der Klägerin dar. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG liegen insoweit vor.

(1) Bei der Klägerin handelt es sich um einen sonstigen Marktteilnehmer im Sinne des UWG. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UWG sind Marktteilnehmer neben Mitbewerbern und Verbrauchern alle Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind. Dabei kann es sich sowohl um natürliche als auch um juristische Personen handeln (Keller, in:Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 2 Rn. 112). Die Klägerin ist eine juristische Person, die als Vermieterin von Ferienwohnungen als Anbieterin von Dienstleistungen tätig ist.

(2) Eine mutmaßliche Einwilligung der Beklagten in den erstmaligen Telefonanruf der Beklagten im September 2020 ist zu verneinen.

Das Vorliegen einer mutmaßlichen Einwilligung ist anhand der Umstände vor dem Anruf sowie anhand der Art und Inhalt der Werbung festzustellen. Erforderlich ist, dass aufgrund konkreter tatsächlicher Umstände ein sachliches Interesse des Anzurufenden an der Telefonwerbung vermutet werden kann. Maßgeblich ist, ob der Werbende bei verständigen Würdigung der Umstände annehmen durfte, der Anzurufende erwarte einen solchen Anruf oder werde ihm jedenfalls aufgeschlossen gegenüberstehen (KG Berlin, aaO, Rn. 30 mwN; vgl. BGH, Urteil vom 11.03.201 - I ZR 27/08, Rn. 20, 21, juris). Dabei lehnt der Bundesgerichtshof eine pauschalierende Betrachtungs- weise dahingehend, die Zulässigkeit der Telefonwerbung davon abhängig zu machen, ob sie den eigentlichen Geschäftsgegenstand des Anzurufenden betrifft, ab (BGH, WRP 2001, 1068, 1069 - Telefonwerbung für Blindenwaren ). Denn genauso wenig, wie sich sagen lässt, dass eine Telefonwerbung, die den Geschäftsgegenstand des Anzurufenden nicht betrifft, schlechthin unzulässig ist, weil in einem solchen Fall ein Einverständnis generell nicht vermutet werden kann, lässt sich umgekehrt nicht argumentieren, diese Vermutung bestehe immer dann, wenn der Geschäftsgegenstand des Anzurufenden betroffen ist (so OLG Frankfurt/M., Urteil vom 24.07.2003 - 6 U 36/03, MMR 2003, 791, 792, beck; bestätigt durch BGH, Urteil vom 16.11.2006 - I ZR 191/03, MMR 2007, 598, 600, beck; BGH, Urteil vom 11.03.2010 - I ZR 27/08 - Telefonwerbung nach Unternehmenswechsel , Rn. 25, juris). Erforderlich, aber ausreichend ist es, dass der Anrufer ex ante betrachtet unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vermuten darf, der Anzurufende werde der Telefonwerbung ein sachliches Interesse, aus welchen Gründen auch immer, entgegenbringen. Dabei kann ein objektiv günstiges Angebot ein Indiz für das mutmaßliche Einverständnis sein, ebenso wie ein objektiv ungünstiges Angebot gegen dieses Einverständnis sprechen kann.

Die Frage, welche Anforderungen im Einzelnen an ein mutmaßliches Einverständnis der Klägerin zu stellen sind, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, da die Beklagte vorliegend keinerlei Umstände vorgetragen hat, die ihre Annahme rechtfertigen könnte, die Klägerin hätte ein sachliches Interesse an ihrem Anruf gehabt. Ein entsprechender Hinweis der Kammer gemäß § 139 ZPO, dass es hierzu weiteren Vortrags bedürfte, war nicht erforderlich. Die Klägerseite hat bereits in ihrer Klageschrift auf Seite 6 (Bl. 5 d.A.) mitgeteilt, dass weder ein tatsächliches noch ein mutmaßliches Einverständnis der Klägerin vorliege. Die Beklagte hat zu einem etwaigen mutmaßlichen Einverständnis der Klägerin hiernach und auch sonst nicht vorgetragen. Allein der Umstand, dass die Klägerin Ferienwohnungen vermietet und somit durch potentielle Vermittlungstätigkeiten der Beklagten ihr Geschäftsgegenstand betroffen wäre, vermag nach dem oben gesagten für sich genommen keine mutmaßliche Einwilligung der Klägerin zu begründen. Ein allgemeiner Sachbezug zu den vom angerufenen Unternehmen angebotenen Dienstleistungen reicht im Allgemeinen für die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung nicht aus, weil Telefonwerbung ansonsten gegenüber Gewerbetreibenden andernfalls nahezu unbeschränkt zulässig wäre.

Schließlich vermag auch der Umstand, dass die Klägerin ihre Telefonnummer auf ihrer Webseite veröffentlicht hat, eine mutmaßliche Einwilligung in Telefonanrufe der Beklagten zu Werbezwecken nicht zu begründen. Die Veröffentlichung der Telefonnummer auf der Webseite der Klägerin erfolgt, damit es potentiellen Kunden ermöglicht wird, die Klägerin zu kontaktieren. Der Anruf der Beklagten ist hiermit jedoch nicht zu vergleichen, da die Beklagte gegenüber der Klägerin nicht als Kundin, sondern als Anbieterin einer eigenen Leistung, nämlich der Vermittlungstätigkeit, auftrat (vgl. hierzu auch OLG Frankfurt/M., aaO, 791, 793).

cc. Die für den Unterlassungsanspruch erforderlich Wiederholungsgefahr wird durch das festgestellte rechtsverletzende Verhalten der Beklagten widerlegbar vermutet (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2018 - VI ZR 225/17, Rn. 26, juris mwN). Die von der Beklagten behaupteten Aufnahme in eine sogenannte Blackliste ist nicht geeignet, die Vermutung einer Wiederholungsgefahr auszuräumen. Ob die Beklagte die Rufnummern der Klägerin auf eine Blackliste gesetzt hat und ob dies dazu führt, dass weitere Anrufe der Beklagten nicht erfolgen konnte, kann somit dahinstehen. Die durch das rechtsverletzende Verhalten der Beklagten vermutete Wiederholungsgefahr hätte nur dadurch ausgeräumt werden können, wenn die Beklagte eine strafbewehrte Unterlassungser klärung abgegeben hätte (BGH, aaO Rn. 29; Urteil vom 12.09.2013 - I ZR 208/12, Rn. 25 f., juris; KG Berlin, Urteil vom 15.09.2021 - 5 U 35/20, Rn. 35 mwN, juris; LG Bonn, Urteil vom 18.11.2009 - 1 O 379/08, BeckRS 2010, 19721, beck). Eine solche hat die Beklagte nicht abgegeben.

b. Der Anspruch der Klägerin auf außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 973,66 € folgt aus § 823 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB. Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen grundsätzlich auch die durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes war vorliegend erforderlich, weil die Beklagte auf die Aufforderung der Klägerin mit E-Mail vom 01.10.2021 keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgab. Der Anspruch auf Prozesszinsen folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Den Antrag der Klägerseite legt die Kammer gemäß §§ 133, 157 ZPO analog dahingehend aus, dass Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz und nicht 5 Prozent über dem Basiszinssatz beantragt werden.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Berlin: Löschen der ASIN bei Amazon lässt Wiederholungsgefahr für Unterlassungsanspruch nicht entfallen - strafbewehrte Unterlassungserklärung erforderlich

LG Berlin
Beschluss vom 12.11.2021
102 O 145/21


Das LG Berlin hat wenig überraschend entschieden, dass das Löschen der ASIN bei Amazon die Wiederholungsgefahr für einen Unterlassungsanspruch nicht entfallen lässt. Vielmehr ist eine strafbewehrte Unterlassungserklärung erforderlich.

Aus den Entscheidungsgründen:

"A. Die internationale und die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Berlin waren nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften gegeben.

1. Die internationale Zuständigkeit ergab sich aus der im Verhältnis der EU-Mitgliedsstaaten Deutschland und Luxemburg maßgeblichen Vorschrift des Art. 7 Ziff. 2 der VO (EU) 1215/2012.

Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat, vor einem Gericht in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichsteht, vor dem Gericht des Ortes, in dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, den Gegenstand des Verfahrens bildet. Die Vorschrift erstreckt sich nach ihrem weit gefassten Wortlaut auf vielfältige Arten von Deliktstypen und Schadensersatzansprüchen. In dem Gerichtsstand des Art. 7 Ziff. 2 VO (EU) 1215/2012 können alle Klagen angebracht werden, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag. Hierunter fallen auch Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb (vgl. BGH, NJW 1988, 1466, 1467; BGH, GRUR 2005, 431, 432).

Der Ort des schädigenden Ereignisses kann sowohl der Handlung- als auch der Erfolgsort sein, so dass dem Kläger nach seiner Wahl sowohl vor dem Gericht des Ortes, an dem der Schaden eingetreten ist als auch vor dem Gericht des Ortes des dem Schaden zu Grunde liegenden ursächlichen Geschehens verklagen. Erfolgsort ist dabei der Ort, an dem die Verletzung des geschützten Rechtsguts eintritt. Allerdings ist bei Wettbewerbsverletzungen die Einschränkung zu machen, dass er nur dort liegt, wo bestimmungsgemäß die wettbewerbliche Interessenkollision auftritt (vgl. HansOLG Bremen, CR 2000, 770).

Die Internetwerbung der Antragsgegnerin richtete sich vorliegend bestimmungsgemäß an inländische Kunden, da sie auf einer von dieser verwendeten Internetseite mit der Top Level Domain .de erfolgt ist. Die Antragsgegnerin wendet sich damit nach dem allgemeinen Verkehrsverständnis unmittelbar an deutsche Verbraucher, so dass sie mit im Inland ansässigen Anbietern vergleichbarer Produkte in Wettbewerb getreten ist.

2. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Berlin folgt aus § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG. Die beanstandete Werbung konnte im Bezirk des hiesigen Gerichts bestimmungsgemäß eingesehen werden. Damit war (auch) Berlin Begehungsort im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG.

Auf diese Norm kann sich vorliegend auch der Antragsteller berufen, obwohl er seine Klagebefugnis nicht unmittelbar als durch die Wettbewerbshandlung Verletzter, sondern vielmehr aus § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG herleitet. Die Antragsgegnerin unterhält nämlich „im Inland“, das heißt in der Bundesrepublik Deutschland, soweit ersichtlich, keine gewerbliche Niederlassung.

B. Auf den Rechtsfall fand auch das materielle Wettbewerbsrecht der Bundesrepublik Deutschland Anwendung.

Die Frage des anwendbaren Rechts beantwortet sich nach den europarechtlichen Vorgaben der Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts („ROM-II“). Nach Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind. Dies ist stets anzunehmen, wenn sich die Maßnahme an eine Vielzahl von Verbrauchern richtet, etwa bei einer Werbung im Internet. Letztlich gilt damit, wie auch im Rahmen des Art. 40 EGBGB, bei Wettbewerbsverstößen die allgemeine Tatortregel, wobei die obergerichtliche Rechtsprechung als Begehungsort durchgängig den Marktort angesehen hat, an dem die wettbewerblichen Interessen der Konkurrenten aufeinandertreffen (vgl. etwa BGH, NJW 1998, 1227 und 2531). Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zur bestimmungsgemäßen Auswirkung der von der Antragsgegnerin im Rahmen ihres Konzernverbunds verwendeten Internetseiten verwiesen werden.

C. Der Antragsteller war zur Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche berechtigt. Er ist als Wettbewerbsverband branchenübergreifend und überregional tätig und durch die – auch obergerichtliche - Rechtsprechung, gerade auch im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel, seit Jahren als klagebefugt im Sinne des § 8 Abs. 3 UWG angesehen worden. Aus diesem Grunde bestand für die Kammer keine Veranlassung, die Aktivlegitimation vorliegend in Zweifel zu ziehen.

D. Der materiell-rechtliche Unterlassungsanspruch des Antragstellers ergibt sich aus § 8 Abs. 1 UWG in Verbindung mit § 3a UWG sowie Art. 7 Abs. 1 b) LMIV sowie Art. 12 b) HCVO. Die Werbung der Antragsgegnerin erwies sich insgesamt als irreführend im Sinne dieser Normen, da nicht ersichtlich ist, dass die im Produkt „xxxxxx“ enthaltenen pflanzlichen Inhaltsstoffe ohne eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten oder körperlichen Betätigung geeignet sein könnten, durch deren bloße Einnahme zu einer (dauerhaften) Gewichtsreduktion zu führen.

Soweit die Antragsgegnerin vorprozessual auf die Abmahnung des Antragstellers vom 6. Oktober 2021 mitgeteilt hat, die ASIN, unter der das Produkt auf der Plattform xxxxxx.de angeboten wurde, gelöscht zu haben, war dies unerheblich. Insbesondere war diese Maßnahme nicht geeignet, die wettbewerbsrechtliche Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Insoweit ist unerheblich, ob die Werbetexte von der Herstellerin oder Lieferantin des Produkts stammen, da die Antragsgegnerin das Produkt in eigenem Namen angeboten und sich die wettbewerbswidrige Bewerbung damit zu eigen gemacht hat. Aus diesem Grunde wäre nur eine Unterlassungserklärung geeignet gewesen, die Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen.

E. Das besondere Eilbedürfnis folgt aus § 12 Abs. 1 UWG.

F. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sowie § 3 ZPO.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Dresden: Automatisierte Löschung eines Facebook-Beitrags durch Algorithmus allein begründet keine Wiederholungsgefahr

OLG Dresden
Beschluss vom 04.10.2021
4 W 625/21


Das OLG Dresden hat entschieden, dass die automatisierte Löschung eines Facebook-Beitrags durch einen Algorithmus allein keine Wiederholungsgefahr für einen Anspruch auf zukünftiges Unterlassen begründet. Erst wenn der Betreiber des sozialen Netzwerks die Löschung im weiteren Verlauf verteidigt, begründet dies die für einen Unterlassungsanspruch notwendige Wiederholungsgefahr.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der Antragsteller wendet sich gegen die am 27.7.2021 erfolgte Löschung eines Beitrags auf dem sozialen Netzwerk "XXX" der Antragsgegnerin und gegen seine zeitweise Versetzung in den sog. read-only Modus. Die Sperre des Antragsstellers hat die Antragsgegnerin zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgehoben, der Post wurde wieder eingestellt. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Es wird insofern auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen. Mit der sofortigen Beschwerde erstrebt der Antragsteller den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 569 ZPO eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

1. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist zulässig. Die internationale und örtliche Zuständigkeit hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, bejaht.

2. Ebenfalls zutreffend ist die Annahme des Landgerichts, das auf den streitgegenständlichen Vertrag deutsches Recht Anwendung findet (vgl. hierzu im Übrigen auch BGH, Urteil vom 29.7.2021 – III R 192/20, juris) und dass die von der Antragsgegnerin am 27.7.2021 vorgenommene Löschung des streitgegenständlichen Beitrags ebenso wie die Sperrung des Antragsgegners in Form der Versetzung seines Kontos in den sog. read-only Modus für einen Zeitraum von 30 Tagen rechtswidrig waren. Ob der Beitrag selbst gegen die Nutzungsbedingungen verstößt, kann im Anschluss an die o.a. aufgeführte Entscheidung des BGH dahingestellt bleiben, weil der in Ziff. 3.2 der Nutzungsbedingungen enthaltene Sperrungs- und Löschungsvorbehalt gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist, eine vertragliche Grundlage für die von der Antragsgegnerin ergriffenen Maßnahmen mithin nicht bestand (so ausdrücklich für den Parallelfall BGH, aaO. Rn 41ff.). Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin, der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens rechtliches Gehör gewährt wurde, auch nicht.

3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheitert vorliegend ein Verfügungsanspruch aber nicht am Fehlen der Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr. Wie der BGH in der o.a. Entscheidung ebenfalls ausgeführt hat, setzt ein vertraglicher Unterlassungsanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB - ebenso wie ein gesetzlicher Unterlassungsanspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB - eine Erstbegehungs- beziehungsweise Wiederholungsgefahr voraus (vgl. Bodewig, Jura 2005, 505, 512; Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 2000, S. 106; Köhler, AcP 1990, 496, 508; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 27. Aufl., Rn. 207; MüKo/Bachmann, BGB, 8. Aufl., § 241 Rn. 70). Dabei begründet ein einmal erfolgter Vertragsverstoß die tatsächliche Vermutung für seine Wiederholung. Die Verletzung einer Vertragspflicht begründet insofern die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für identische Verletzungsformen, sondern auch für andere Vertragspflichtverletzungen, soweit die Verletzungshandlungen im Kern gleichartig sind (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 192/20 –, Rn. 115 - 116, juris; Urteil vom 20. Juni 2013 - I ZR 55/12, NJW 2014, 775 Rn. 18; Beschluss vom 3. April 2014 - I ZB 42/11, NJW 2014, 2870 Rn. 12; jew. mwN). An die Entkräftung dieser Vermutung sind strenge Anforderungen zu stellen sind. Sie ist ausnahmsweise dann als widerlegt anzusehen, wenn der Eingriff durch eine einmalige Sondersituation veranlasst war (BGH, Urteil vom 27. April 2021 – VI ZR 166/19 –, Rn. 23, juris). Eine solche Sondersituation hat der BGH bezogen auf den vertraglichen Unterlassungsanspruch eines xxx-Nutzes gegen die Antragsgegnerin in der Entscheidung vom 29. Juli 2021 deshalb angenommen, weil von einer aus drei Sätzen bestehenden Äußerungen nur die beiden Sätze in die Rechtsmittelinstanz gelangt waren, die im Verhältnis zum dritten Satz wesentlich weniger scharf formuliert waren und daher für sich genommen keine Veranlassung geboten hätten, zu prüfen ob sie auch für sich genommen gegen die Nutzungsbedingungen der Antragsgegnerin verstoßen. Die vollständige Löschung des Beitrags sei nicht kerngleich zu einer denkbaren Teillöschung nur dieser Sätze und indiziere daher die Wiederholungsgefahr nicht. Dies gilt aber erst recht in den Fällen, in denen die Antragsgegnerin auf die Beanstandung eines Nutzes hin die gesamte, zunächst gelöschte Äußerung umgehend wiederherstellt und eine gegen den Nutzer verhängte Sperre aufhebt. Es ist zum einen gerichtsbekannt, dass die Löschung von Beiträgen regelmäßig zunächst durch eine algorithmusgesteuerte Künstliche Intelligenz (KI) erfolgt, die selbstständig in den sozialen Netzen der Antragsgegnerin Hassrede, sexuell provozierende Inhalte, Drogenangebote, Gewalt und Terrorpropaganda ausfiltert. Menschen greifen nur in Zweifelsfällen ein (vgl. etwa https://www.yyy.de/xxx, abgerufen am 30.8.2021). Diese Praxis ist, wie der BGH in der Entscheidung vom 29.7.2021 ebenfalls ausgeführt hat auch nicht zu beanstanden. Es ist gerade nicht zwingend geboten, den Nutzer bereits vor der Löschung eines posts anzuhören. Ausreichend ist vielmehr, wenn Netzwerkbetreiber in ihren Geschäftsbedingungen den Nutzern ein Recht auf unverzügliche nachträgliche Benachrichtigung, Begründung und Gegendarstellung mit anschließender Neubescheidung einräumen. Insoweit ist zum einen das Interesse der Netzwerkbetreiber zu berücksichtigen, einen vermeintlich rechtswidrigen Inhalt aus Haftungsgründen zügig nach Kenntniserlangung zu entfernen. Zum anderen steigt mit jedem Tag, an dem ein Beitrag auf der Kommunikationsplattform eingestellt bleibt, die Gefahr seiner Verbreitung und damit im Fall seiner Rechtswidrigkeit der Perpetuierung der Rechtsverletzung. Schließlich ist, wenn mit dem fraglichen Inhalt eine mögliche Rechtsverletzung Dritter einhergeht, auch deren Interesse an einer zügigen Entfernung zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 192/20 –, Rn. 99, juris).

Wird ein solches Verfahren eingesetzt, lässt eine automatisierte Löschung für sich genommen noch keinen Rückschluss auf ein zukünftiges Verhalten der Antragsgegnerin zu. Auch wenn subjektive Tatbestandsmerkmale wie ein Verschulden für die Wiederholungsgefahr grundsätzlich unerheblich sind, so knüpft diese Vermutung an ein Verhalten des Störers in der Vergangenheit an, das auf die objektive Besorgnis schließen lässt, dass es in der Zukunft zu weiteren gleichartigen Störungen kommen wird. Hiervon kann jedoch in einer Situation, in der die erstmalige Überprüfung der durch einen Algorithmus eingeleiteten Löschung unmittelbar zu einer Wiederherstellung eines Posts führt, nicht ausgegangen werden, weil die Antragsgegnerin hierdurch zu erkennen gibt, dass die Löschung auf einem technischen Versehen beruht und an die Wiederherstellung die tatsächliche Vermutung anknüpft, dass der Beitrag zukünftig von Löschalgorithmen nicht mehr erfasst wird. Sähe man dies anders, wäre die Antragsgegnerin gezwungen, eine – in der Regel kostenpflichtige – strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, obwohl sie ein von der Rechtsordnung gebilligtes Verfahren einsetzt und einen Fehler der von ihr eingesetzten KI unmittelbar bemerkt und ausgeräumt hat. Dies würde nicht zuletzt einer unerwünschten Abmahnindustrie Vorschub leisten.

Anders ist dies aber, wenn die Antragsgegnerin im Verlauf des Verfahrens die Löschung verteidigt oder durch ihr Verhalten zu erkennen gibt, sie inhaltlich nach wie vor für berechtigt zu halten. Da es auch für die Wiederholungsgefahr auf die Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung oder mündlichen Verhandlung ankommt, kann an ein solches nachgelagertes Verhalten eine eigenständige Vermutung anknüpfen, die sich mit der Löschung durch eine KI noch nicht verbindet. So liegen die Dinge hier. Wie der Antragsteller dargelegt und glaubhaft gemacht hat, hat er sich nämlich unmittelbar nach der Löschung an die Antragsgegnerin gewandt und von deren "Support" daraufhin die – in der Antragsschrift eingescannte - Nachricht erhalten, sein Beitrag sei "noch einmal geprüft" worden, entspreche jedoch nicht den Gemeinschaftsstandards. Erst zu einem späteren Zeitpunkt sei er ohne Angabe von Gründen wiedereingestellt worden. Aufgrund welcher hier zu beachtender besonderer Umstände des Einzelfalls dies erfolgt ist, lässt sich aus dieser kommentarlosen Wiedereinstellung nicht entnehmen. Die Annahme des Landgerichts, die Antragsgegnerin habe hiermit der Entscheidung des BGH vom 29.7.2021 Rechnung tragen wollen, ist spekulativ und lässt unberücksichtigt, dass die Entscheidungsgründe im dortigen Verfahren im Zeitpunkt der Wiedereinstellung des hiesigen Beitrags Anfang August 2021 noch gar nicht verkündet waren und die Antragsgegnerin daher den Umfang ihrer zukünftigen Verpflichtungen allenfalls grob absehen konnte. Überdies ist dem Senat aus zahlreichen vergleichbaren Verfahren bekannt, dass Betreiber weltweit verfügbarer sozialer Netzwerke mit mehreren Milliarden Nutzern Gerichtsentscheidungen mitunter nur zögerlich befolgen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 29. Juni 2021 – 4 W 396/21 –, juris). Zwar hat die Antragsgegnerin unter Vorlage der Anlage JS 2 im mit Schriftsatz vom 21.9.2021 behauptet, die Sperre sei noch am 30.7.2021 und damit vor dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wieder aufgehoben worden; diese Behauptung hat sie indes nicht durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht. Der weitgehend geschwärzten Anlage JS 2, bei der es sich um einen Screenshot aus dem internen System der Antragsgegnerin handeln soll, lässt sich überdies lediglich entnehmen, dass unter dem Datum "2021/07/30 2:31 pm" die "action:"lActionUnlimited Feature" und die "action: "lActionRestore" an einem Konto mit der owner_id: 100002031410019" vorgenommen worden sein soll, bei dem es sich um das Konto des Antragsstellers handeln soll. Weshalb gleichwohl der Antragsteller die Mitteilung erhalten hat, sein Antrag auf Aufhebung der Sperre sei nach "erneuter Prüfung" abgelehnt worden, bleibt offen. Eine Mitteilung, dass die Antragsgegnerin an ihrer Auffassung nicht mehr festhält, der Beitrag verstoße gegen ihre Nutzungsbedingungen, hat sie dem Antragsteller jedenfalls unstreitig zu keinem Zeitpunkt zukommen lassen. Im Schriftsatz vom 21.9.2021 hat sie überdies die Auffassung vertreten, der Beitrag habe aus der Sicht eines objektiven, unvoreingenommenen Lesers "jedenfalls zunächst" vertretbar als Angriff auf eine Gruppe von Menschen gedeutet werden können und könne ggf. in einem "anderen Kontext" als unzulässig angesehen werden. Ein eindeutiges Abrücken von der Sperr- und Löschungsentscheidung, das unter den hier gegebenen Bedingungen die Vermutung der Wiederholungsgefahr entfallen ließe, kann der Senat hierin nicht erkennen.

4. Entgegen der Auffassung des Landgerichts fehlt es hier auch nicht an einem Verfügungsgrund. Regelmäßig besteht dieser in der (objektiv begründeten) Besorgnis, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (vgl. Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 935 Rz. 10). Bei Unterlassungsansprüchen ergibt sich die „Dringlichkeit“ als Voraussetzung des Verfügungsgrundes zwar nicht schon aus der materiell-rechtlichen Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr (vgl. Zöller, a.a.O.), jedoch wird in Fällen des Presse- und Äußerungsrechts ein Verfügungsgrund, wenn - wie hier - keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, insbesondere durch Zuwarten, gegeben ist, regelmäßig bejaht (vgl. auch KG, Beschluss vom 22. März 2019, Az.: 10 B 172/18 - juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 23. Januar 2019, Az.: 4 U 214/18 - juris). Gleiches gilt bei Unterlassungsansprüchen gegen Betreiber sozialer Netzwerke wegen der Löschung eines Beitrags oder der Sperrung des Nutzers (Senat, Urteil vom 20. April 2021 – 4 W 118/21 –, Rn. 41, juris). Eine Leistungsverfügung, von der das Landgericht ausgegangen ist und die grundsätzlich nur bei Not- und Zwangslagen in Betracht kommt, wenn der Gläubiger darlegen und glaubhaft machen kann, auf die Erfüllung dringend angewiesen zu sein (vgl. nur Zöller-Vollkommer, ZPO, 33. Aufl. § 940 Rn 6; Senat, Beschluss vom 15. Februar 2021 – 4 U 2196/20 –, Rn. 5, juris), liegt hier schon deshalb nicht vor, weil es nicht darum geht, dem Antragsteller im Verfügungsverfahren eine zusätzliche Leistungsposition zu verschaffen, sondern die Antragsgegnerin lediglich vorläufig daran gehindert werden soll, ihn an der Ausübung seiner bereits durch den Nutzungsvertrag eingeräumten Rechte durch Sperrung und Löschung zu hindern. Unabhängig hiervon hat der Antragsteller auch glaubhaft gemacht, als Kandidat zum Deutschen Bundestag im Vorfeld der Bundestagswahl und darüber hinaus auf die von ihm betriebene Seite auf dem sozialen Netzwerk der Antragsgegnerin angewiesen zu sein.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Bei der Streitwertfestsetzung war zu berücksichtigen, dass ein Klageantrag, der sich gegen eine 30-tägige Sperre eines Facebook-Nutzerkontos richtet, mit 2500,- €, der Antrag auf Unterlassung einer künftigen Beitragslöschung und Kontensperrung neben einem andere Zeiträume betreffenden Antrag auf Unterlassung für zurückliegende Zeiträume lediglich mit 1500,- € zu bemessen ist (BGH, Beschluss vom 27.5.2021 – III ZR 351/20). Da hier allein Ansprüche auf Unterlassung einer künftigen Löschung und Sperrung verfolgt werden und bei dem Antragssteller zudem die Bedeutung des Rechtsstreits für seine Kandidatur zum Deutschen Bundestag zu berücksichtigen ist, da es andererseits aber allein um ein Verfügungsverfahren geht, hat der Senat in der Gesamtwürdigung den Streitwert mit 3000,- € angesetzt.


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OLG Frankfurt: Wiederholungsgefahr für Irreführung durch Hotline-Mitarbeiter entfällt nicht durch Hinweis auf angeblichen Ausreißer und Handeln gegen Anweisung durch Mitarbeiter

OLG Frankfurt
Urteil vom 16.09.2021
6 U 133/20


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Wiederholungsgefahr für eine wettbewerbswidrige Irreführung durch den Hotline-Mitarbeiter eines Mobilfunkanbieters nicht durch Hinweis auf einen angeblichen Ausreißer und Handeln gegen Anweisung durch den Mitarbeiter entfällt.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 3, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 UWG zu, da die Beklagte eine irreführende Handlung vorgenommen hat, indem sie einem Kunden eine kosten- und bedingungslose Leistung versprochen hat, die dieser tatsächlich nur bei Rücknahme der Kündigung erhalten sollte.

1. Soweit der Kläger mit der Berufung angreift, dass das Landgericht entgegen seiner Darlegung zunächst einen Anspruch aus § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. Nr. 21 des Anhangs behandelt und erst danach Ausführungen zu § 5 UWG gemacht habe, ist die dahinstehende Überlegung des Klägers, dem Gericht die Prüfungsreihenfolge vorgehen zu können, verfehlt.

Streitgegenstand ist folgendes Verhalten der Beklagten: Sie verspricht dem Kunden als „Datasnack“ 1 GB Datenvolumen, wenn dieser nach einer Kündigung beim Kundenservice anruft. Tatsächlich aber hat der Kunde im vorliegenden Fall den Datasnack nicht voraussetzungslos, sondern nur dann erhalten, wenn er seine Kündigung zurückgenommen hat.

Dieses Verhalten greift der Kläger unter zwei Gesichtspunkten an: Zum einen liege hierin eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2. bzw. § 5a UWG; zum anderen sei der Katalogtatbestand der Nr. 21 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG erfüllt. Letzteres hat der Kläger in der Klageschrift wie folgt eingeführt: „Strenggenommen wären die obigen Ausführungen zu § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und § 5a Abs. 2 UWG sogar als Hilfsvortrag zu betrachten. Gleichwohl dürften sie der juristischen Reflexion des Sachverhalts dienlich sein“. Hieraus wird nicht deutlich, ob der Kläger in erster Instanz das Verhalten tatsächlich unter beiden Gesichtspunkten angreifen wollte und wenn ja, in welchem Verhältnis die beiden Angriffe zu einander stehen sollten. Wenn sich - wie hier - die Klage gegen die sog. konkrete Verletzungsform richtet, also das konkret umschriebene (beanstandete) Verhalten, ist darin der Lebenssachverhalt zu sehen, der den Streitgegenstand bestimmt (BGHZ 194, 314 Rn 24 - Biomineralwasser). Dass der vorgetragene Lebenssachverhalt die Voraussetzungen nicht nur einer, sondern mehrerer Verbotsnormen erfüllt, ist unerheblich. Vielmehr umfasst der Streitgegenstand in diesem Fall alle Rechtsverletzungen, die durch die konkrete Verletzungsform verwirklicht wurden (BGH GRUR 2012, 184 Rn 15 - Branchenbuch Berg; BGHZ 194, 314 Rn 24 - Biomineralwasser; BGH GRUR 2018, 203 Rn 18 - Betriebspsychologe; OLG Köln GRUR-RR 2013, 24; OLG Düsseldorf WRP 2019, 899 Rn 19), hier also sowohl §§ 5, 5a UWG als auch § 3 Abs. 3 UWG.

Der „weite“ Streitgegenstandsbegriff ermöglicht es dem Gericht grundsätzlich, selbst zu bestimmen, ob und auf welcher Grundlage es ein Unterlassungsgebot ausspricht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger beide Angriffe zum Gegenstand jeweils eines eigenen Antrags macht (Köhler/Bornkamm/Feddersen, 39. Aufl. 2021, UWG § 12 Rn 1.23 j), was aber hier in erster Instanz nicht der Fall gewesen ist. In der Berufung hat der Kläger nunmehr ausgeführt, sein Vortrag habe sich auf § 3 Abs. 3 UWG nur „ergänzend und hilfsweise bezogen“. Dies ändert indes nichts, da er auch weiterhin die beiden Beanstandungen nicht zum Gegenstand verschiedener Anträge macht.

Auch aus dem Gesetz ergibt sich keine zwingende Reihenfolge. Zwar handelt sich in den Fällen des § 3 Abs. 3 UWG um Spezialregelungen; die allgemeinen Vorschriften der Unlauterkeit wegen irreführender und aggressiver Geschäftspraktiken werden durch die spezielleren Tatbestände im Anh. zu § 3 Abs. 3 UWG allerdings nicht verdrängt, sondern lediglich ergänzt (BGH, GRUR 2012, 82 Rn 16 - Auftragsbestätigung - m.w.N.). Der Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften ist damit nicht bereits deswegen ausgeschlossen, weil die Frage der Unlauterkeit der im Anhang geregelten besonderen Geschäftspraktiken dort abschließend geregelt ist (BGH GRUR 2019, 1202 - Identitätsdiebstahl).

2. Die Beklagte hat gegen § 5 Abs. 1 UWG verstoßen, indem sie damit geworben hat, dass der Kunde bei einem Anruf 1 GB Datenvolumen voraussetzungslos erhalte und dem Kunden bei dem Anruf, dagegen (zweimal) mitgeteilt hat, dass die zusätzliche Voraussetzung der Kündigungsrücknahme zu erfüllen sei.

Soweit die Beklagte dem entgegenhält, eine einzelne Mitarbeiterin habe irrtümlich, anordnungswidrig und fehlerhaft diese zusätzliche Voraussetzung verlangt, ist dies rechtlich unerheblich sein. Die Beklagte haftet für das Verhalten ihrer Mitarbeiter verschuldensunabhängig nach § 8 Abs. 2 UWG.

Die Tatsache, dass dem Kunden schließlich der Datasnack doch voraussetzungslos gutgeschrieben worden ist, führt zu keiner anderen Bewertung. Die Tat des § 5 Abs. 1 UWG ist in dem Moment vollendet, in dem die Gutschrift dem Kunden verweigert wurde.

3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die irreführende Handlung auch geeignet, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

Die irreführende Werbung mit dem Datenpaket ist geeignet im Sinne von § 5 Abs. 1 UWG, da sie den Verkehr dazu anreizt, mit der Beklagten Kontakt aufzunehmen. Auch wenn die Gefahren im Allgemeinen geringer sind als die einer Irreführung mit unmittelbarer Relevanz für die Marktentscheidung, erfasst das Verbot des § 5 auch die Irreführung, von der lediglich eine Anlockwirkung ausgeht. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Fälle der Irreführung über die angemessene Bevorratung ausdrücklich im Gesetz geregelt sind, und zwar in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 („Verfügbarkeit der Ware“) und vor allem in Nr. 5 des Anh. § 3 Abs. 3. Aber auch das europäische Recht lässt den Anlockeffekt für die irreführende Werbung ausreichen, wie sich aus Art. 3 lit. a der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung und vor allem der UGP-RL (Anh. I Nr. 5) entnehmen lässt. In der Rechtsprechung des EuGH wird demgemäß der Begriff der „geschäftlichen Entscheidung“ im Sinne des Art. 2 lit. k UGP-RL, zu deren Vornahme der Verbraucher durch die Irreführung im Sinne des Art. 6 I UGP-RL voraussichtlich veranlasst wird, weit definiert. Erfasst ist nicht nur die Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende, aber vorgelagerte Entscheidungen, wie insbesondere das Betreten des Geschäfts (EuGH GRUR 2014, 196 Rn 36 - Trento Sviluppo) oder das Aufsuchen eines Verkaufsportals im Internet (BGH GRUR 2017, 1269 Rn 19 - MeinPaket.de II).

Danach steht im vorliegenden Fall die geschäftliche Relevanz außer Frage. Die Beklagte hat den Kunden durch das Versprechen eines voraussetzungslosen Vorteils „an die Strippe“ gelockt, um ihn leichter von einer Rücknahme seiner Kündigung zu überzeugen. Die Entscheidung des Kunden, mit der Beklagten - mit der er nach der Kündigung geschäftlich nicht mehr verbunden sein wollte - in Kontakt zu treten, ist als geschäftliche Entscheidung im Sinne von § 5 Abs. 1 UWG anzusehen und kann mit dem Betreten des Ladengeschäftes oder dem Aufsuchen eines Verkaufsportals im Internet verglichen werden.

Dass es sich nur um einen Verstoß handelte (soweit bekannt), kann die Geeignetheit nicht in Frage stellen, da diese abstrakt zu betrachten ist.

4. Es fehlt auch nicht an der notwendigen Wiederholungsgefahr.

Das Argument der Beklagten, es handele sich nur um einen einzelnen „Ausreißer“, fruchtet im Ergebnis nicht. Nach ständiger Rechtsprechung besteht auf Grund einer vollendeten Zuwiderhandlung eine widerlegliche tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr für die konkrete Zuwiderhandlung und im Kern gleichartige Verstöße. Dennoch ist die Vermutung im Grundsatz widerleglich. Nach h.M. ist zur Widerlegung in aller Regel - wie bereits angesprochen - die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung erforderlich. Die Rechtsprechung hat in seltenen Ausnahmefällen die Vermutung der Wiederholungsgefahr für widerlegt (oder nicht eingreifend) gehalten, namentlich in ganz ungewöhnlichen Situationen, in denen eine Wiederholung eines im Kern ähnlichen Wettbewerbsverstoßes unwahrscheinlich erschien oder erst nach einem so langen Zeitraum zu erwarten war, dass die Vermutung kaum mehr haltbar gewesen wäre. Der Einwand, es habe sich bei dem Wettbewerbsverstoß um einen einmaligen oder zumindest seltenen Ausreißer oder eine sonstige Panne gehandelt, widerlegt die Vermutung indes grundsätzlich nicht (OLG Hamburg WRP 2007, 1246, 1248; OLG Hamm Urteil vom 29.10.2009 - 4 U 145/09 = BeckRS 2009, 89543; MüKoUWG/Fritzsche, 2. Aufl. 2014, UWG § 8). Der Hinweis auf „Ausreißer“ kann allenfalls im Rahmen eines - die Schuldhaftigkeit des Verstoßes erfordernden - Ordnungsmittelverfahrens Bedeutung erlangen (OLG Hamburg, PharmR 2015, 25)."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LAG Baden-Württemberg: Keine einstweilige Verfügung wegen Unterlassung der Nutzung von Geschäftsgeheimnissen wenn Verfügungsbeklagter nicht mehr in Besitz der Geschäftsgeheimnisse ist

LAG Baden-Württemberg
Urteil vom 18.8.2021
4 SaGa 1/21


Das LAG Baden-Württemberg hat entschieden, dass keine einstweilige Verfügung wegen Unterlassung der Nutzung von Geschäftsgeheimnissen ergehen kann, wenn der Verfügungsbeklagte nicht mehr in Besitz der Geschäftsgeheimnisse ist und dies etwa durch eine eidesstattlicher Versicherung glaubhaft gemacht wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Der Verfügungsklägerin steht weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund zur Seite.
I. Es fehlt bereits an einem Verfügungsanspruch. Die Verfügungsklägerin kann einen solchen Anspruch nicht auf § 6 GeschGehG stützen.

Gem. § 6 GeschGehG kann der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses den Rechtsverletzer auf Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr auch auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Der Anspruch auf Unterlassung besteht auch dann, wenn eine Rechtsverletzung erstmalig droht. Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Es fehlt jedenfalls an einer Begehungs-/Wiederholungsgefahr.

1. Der Verfügungsklägerin ist noch einzuräumen, dass es sich bei ihrer Preiskalkulation um ein Geschäftsgeheimnis iSd. § 2 Nr. 1 GeschGehG handelt.

a) Die Preiskalkulation der Verfügungsklägerin ist Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, weder allgemein bekannt noch ohne Weiteres zugänglich iSv. § 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG. Dies drängt sich bei einer internen Preiskalkulationsmatrix, wie der vorliegend streitigen, die sich auf spezifische Leistungen im Segment „F.“ bezieht, geradezu auf.

Entgegen dem Verteidigungsvorbringen des Verfügungsbeklagten wurde diese Kalkulation auch nicht dem Auftraggeber D. B. AG bekannt gemacht. Nach eidesstattlicher Versicherung des Herrn M. K. handelt es sich bei den Vergabeverfahren der D. B. AG um Verhandlungsverfahren mit verdeckter Ziellinie. Die D. B. AG legt einen Angebotspreis fest. Die Bieter geben ihr Angebot in Unkenntnis der Ziellinie ab. Bleibt ein Bieter unterhalb der Ziellinie, erhält er den Zuschlag. Bleiben mehrere Bieter unterhalb der Ziellinie, wird die Ziellinie nach unten verlegt und die Bieter angefragt, ob sie ein unterhalb der (neuen) Ziellinie liegendes Angebot unterbreiten wollen. Das Verfahren wird so oft wiederholt, bis nur noch ein Bieter übrigbleibt. Im Rahmen der Ausschreibungen der D. B. AG sei es zwar üblich, zu den Angeboten sogenannte „Urkalkulationen“ einzureichen. Der Sinn sei aber nur, dass der Auftraggeber im Nachtragsfall Kostensätze hat, mit denen der Ursprungsauftrag kalkuliert wurde, um auszuschließen, dass Nachträge unverhältnismäßig teuer werden. Diese sogenannten „Urkalkulationen“ sind aber nur stark komprimierte Kalkulationen und enthalten keineswegs so detaillierte Kalkulationsgrundlagen, wie sie sich der Verfügungsbeklagte an seine Emailadresse versandt hat. Dem ist der Verfügungsbeklagte nicht weiter entgegengetreten.

b) Die vom Verfügungsbeklagten an sein Emailpostfach übermittelte Preiskalkulationsmatrix hat auch einen wirtschaftlichen Wert iSv. § 2 Nr. lit. a GeschGehG.

aa) Eine Information weist auch dann einen wirtschaftlichen Wert auf, wenn dem Inhaber des Geheimnisses im Falle einer Rechtsverletzung wirtschaftliche Nachteile drohen. Das ist insbesondere anzunehmen, wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung der Information ohne Zustimmung des Inhabers dessen wissenschaftliches oder technisches Potenzial, geschäftliche oder finanzielle Interessen, strategische Positionen oder Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflussen (Begr. zum RegE, BT-Drs. 19/4724, 24; vgl. Erwägungsgrund 14 Richtlinie (EU) 2016/943). Hieraus folgt, dass ein Handelswert nicht nur dann zu bejahen ist, wenn es sich bei dem Geheimnis um kommerziell verwertbare Informationen handelt, sondern es genügt, wenn die geheime Information für das Unternehmen von einem wirtschaftlichen und/oder einem unternehmensstrategischen Interesse ist. Rein ideelle Nachteile (zB ein drohender Ansehensverlust) genügen allerdings nicht (Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG 39. Auflage § 2 GeschGehG Rn. 45).

bb) Vorliegend handelte es sich bei der übersandten Preiskalkulation um ein 21-seitiges Template (Schablone) mit einer Auflistung der exakten Berechnungsgrundlagen. Die Preiskalkulation beinhaltet u.a. die genaue Berechnung und Zusammensetzung von Personalkosten, Maschinen-/Gerätekosten und Materialkosten, die jeweils selbst hinsichtlich aller in Betracht kommenden Teilfaktoren aufgeschlüsselt sind. Dieses Template wird auch nach Darstellung des Verfügungsbeklagten selbst immer wieder für aktuelle Angebotserstellungen benutzt. Von Bedeutung sind somit hauptsächlich die Rechenschritte und weniger die aktuell einzutragenden Zahlen, weshalb es unerheblich ist, dass die vom Verfügungsbeklagten an sich weitergeleitete Tabelle die Zahlen aus der Kalkulation 2015/2016 enthielten. Der Verfügungsbeklagte räumte selbst ein, mit dieser Schablone am Montag nach der Übersendung an der Angebotserstellung für die Ausschreibung 2021/2022 gearbeitet zu haben.

c) Die Preiskalkulation war zudem Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen iSv. § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG.

aa) Der Maßstab, an dem die Angemessenheit der Geheimhaltungsmaßnahmen gemessen werden muss, ist ein objektiver. Nicht erforderlich ist ein optimaler Schutz. Die Angemessenheit ist indes nach den konkreten Umständen des Einzelfalls im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu würdigen. Bei der Bewertung der Angemessenheit können zum Beispiel folgende Aspekte berücksichtigt werden: Wert des Geschäftsgeheimnisses und dessen Entwicklungskosten, Natur der Information, Bedeutung für das Unternehmen, Größe des Unternehmens, die üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen in dem Unternehmen, die Art der Kennzeichnung der Informationen, vereinbarte vertragliche Regelungen mit Arbeitnehmern und Geschäftspartnern. Ein solches Prüfprogramm wird indiziell durch Art. 11 Abs. 2 der RL 2016/943 EU bestätigt, wonach die zuständigen Gerichte bei ihrer Prüfung der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit den dort genannten Aspekten Rechnung tragen müssen (LAG Düsseldorf 3. Juni 2020 - 12 SaGa 4/20 -).

bb) Diesen Anforderungen genügen die bei der Verfügungsbeklagten getroffenen Vorkehrungen.

(1) Bei der Verfügungsklägerin gilt eine allen Mitarbeitern bekannte IT-Richtlinie (Anlage AS 11), nach dessen § 6.1 das Emailsystem der Verfügungsklägerin nur im Rahmen des Arbeitsverhältnisses und nur zu geschäftlichen Zwecken benutzt und eingesetzt werden darf. Gem. § 8 dieser IT-Richtlinie dürfen ohne Zustimmung unternehmensinterne Datenbestände weder mittels Email oder Fax noch mittels anderer Datenträger oder in ausgedruckter Form außer Haus gebracht werden. Diese Ansage ist deutlich und unmissverständlich.

(2) Im Übrigen galt bei der Verfügungsklägerin bezogen auf Kalkulationen und Angebote ein sogenanntes „need to know“- Prinzip, welches als angemessene Geheimhaltungsmaßnahme geeignet sein kann (Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG 39. Auflage § 2 GeschGehG Rn. 59). Dieses Prinzip wurde insbesondere bei der Videokonferenz zur aktuellen Ausschreibung am 10. März 2020 auch angewandt, wie sich aus der eidesstattlichen Versicherung des Herrn M. T. (Anlage AS 02) ergibt. Das erstmalige allgemeine Bestreiten des Verfügungsbeklagten im Berufungstermin vermochte den Beweiswert nicht mehr zu erschüttern.

(3) Hinzu kommt, dass die Verfügungsklägerin ein Unternehmenscompliancesystem geschaffen hat, mit dem Verfügungsbeklagten als Compliance Officer. Es war gerade der Verfügungsbeklagte selbst, der die Einhaltung der Regelwerke überwachen und kontrollieren sollte. Eine solche organisatorische Maßnahme ist als Geheimhaltungsmaßnahme grundsätzlich geeignet (Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG 39. Auflage § 2 GeschGehG Rn. 58).

(4) Geheimhaltungspflichten können auch individualvertraglich oder formularmäßig begründet werden (Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG 39. Auflage § 2 GeschGehG Rn. 61). Dies ist vorliegend in § 6 des Arbeitsvertrages geschehen. Die Vertragsklausel, mit welcher der Verfügungsbeklagte zu Stillschweigen über Geschäftsgeheimnisse – auch nachvertraglich – verpflichtet wurde, ist entgegen der Auffassung des Verfügungsbeklagten auch nicht zu allgemein gefasst. Vielmehr sind „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die mit der Leitung [Benennung eines Bereichs] und mit vertraulichen Themen der Geschäftsführung und Geschäftsleitung zusammenhängen“ ausdrücklich benannt.

d) Ohne Zweifel hat die Verfügungsklägerin ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung ihrer Kalkulationsgrundlagen iSv. § 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG.

2. Die Verfügungsklägerin ist auch Inhaberin des Geschäftsgeheimnisses iSd. § 2 Nr. 2 GeschGehG. Nur deshalb, weil dieses Template ursprünglich von der S. R.-Gruppe stammt, fehlt es der Verfügungsklägerin nicht an der Inhaberschaft. Denn die Verfügungsklägerin hat die S. R.-Gruppe im Jahr 2010 übernommen und somit selbstverständlich auch deren Geheimisse.

3. Der Verfügungsbeklagte hat die Rechte der Verfügungsklägerin verletzt, indem er sich die Preiskalkulation ohne Zustimmung der Verfügungsklägerin an seine private E-Mail-Adresse übersandte, §§ 2 Nr. 3; 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG.

4. Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin besteht jedoch keine Begehungs- oder Wiederholungsgefahr in Bezug auf weitere Rechtsverletzungen (mehr).

a) Durch einen bereits begangenen Wettbewerbsverstoß wird in der Regel die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr begründet. Sie kann regelmäßig nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden. Sie entfällt nicht schon mit der Einstellung oder Änderung des beanstandeten Verhaltens (BGH 14. Januar 2016 - I ZR 65/14 -; BGH 30. April 2014 - I ZR 170/10 -). Etwas anderes gilt nur, wenn jede Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme ähnlicher Handlungen durch den Verletzer beseitigt ist (BGH 30. April 2014 - I ZR 170/10 -).

b) Eine solche aus der Erstbegehung abgeleitete Vermutungswirkung hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr greift aber nur bei typischen Geschehensabläufen. Die Tatsache des unbefugten Beschaffens eines Betriebsgeheimnisses besagt jedoch noch nichts regelhaft über eine Verwendung der Unterlagen (BAG 19. Mai 1998 - 9 AZR 394/97 -). Es wird deshalb als zweifelhaft erachtet, ob die Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr allein durch die Weiterleitung von Dokumenten des Arbeitgebers an den privaten Emailaccount des Arbeitnehmers begründet werden kann. Denn selbst aus der Verschaffung von Betriebsgeheimnissen durch den Arbeitnehmer kann nicht per se auf eine beabsichtigte Nutzung oder Offenlegung dieser Daten durch den Arbeitnehmer geschlossen werden (LAG Rheinland-Pfalz 25. Januar 2021 - 3 SaGa 8/20 -).

c) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann ohne weitere tatsächliche Anhaltspunkte aus der bloßen Übermittlung einer Email durch den Verfügungsbeklagten an seinen privaten Emailaccount nicht mit Vermutungswirkung rückgeschlossen werden, dass damit regelhaft eine unberechtigte (Weiter-)Nutzung beabsichtigt war. Es ist vielmehr der vom Verfügungsbeklagten vorgebrachte Grund, dass er die ihm selbst vom Kollegen auf sein Mobiltelefon übermittelte Email nur zum Zwecke der besseren Lesbarkeit und Bearbeitbarkeit auf seinem privaten Rechner übermittelt hat, in der praktischen Lebenserfahrung nicht ganz abwegig, wenn auch nach dem Regelwerk der Verfügungsklägerin nicht erlaubt.

d) Aber selbst wenn man aus der Übermittlung der Preiskalkulation an das private Email-Postfach rückschließen wollte, dass damit auch eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich weiterer Nutzungen zu vermuten wäre, hätten der Verfügungsbeklagte das Gegenteil dessen durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht.

aa) Macht im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens der Verfügungsbeklagte durch Versicherung an Eides statt glaubhaft, dass er nicht mehr im Besitz der streitgegenständlichen Dokumente ist, entfällt ein etwaiger Anspruch auf Unterlassung der Nutzung bzw. Offenlegung der erlangten Daten bereits deshalb, weil dem Verfügungsbeklagten die zu verbietenden Handlungen nicht mehr möglich sind. Der Verfügungsbeklagte kann sich gleichermaßen wie die Verfügungsklägerin hierbei einer eidesstattlichen Versicherung als Glaubhaftmachungsmittel bedienen (LAG Rheinland-Pfalz 25. Januar 2021 - 3 SaGa 8/29 -).

bb) Eine solche Unmöglichkeit des wiederholenden Rechtsverstoßes hat der Verfügungsbeklagte vorliegend durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht.

Der Verfügungsbeklagten hat bereits in der eidesstattlichen Versicherung vom 7. Dezember 2020 versichert, das an seine private Emailadresse weitergeleitete Dokument endgültig und unwiederbringlich gelöscht zu haben. Er habe dieses weder in irgendeiner Form an Dritte weitergeleitet, noch sei er im Besitz dieses Dokuments. Er sei auch nicht in der Lage, dieses Dokument in irgendeiner Form wiederherzustellen. Auf die Beanstandungen der Verfügungsklägerin hat der Verfügungsbeklagte seine eidesstattliche Versicherung im Berufungstermin ergänzt und präzisiert. Er versicherte an Eides statt, zu keinem Zeitpunkt Kopien oder Ausdrucke gemacht zu haben. Die Email sei gelöscht, und zwar auch im Papierkorb gelöscht. Der Verfügungsbeklagte vermochte für die Kammer nachvollziehbar darzulegen, die Email nur deshalb an sein Emailpostfach weitergeleitet zu haben, weil er die Email zu Hause auf seinem Handy empfangen habe. Der Kollege habe ihn gebeten zu prüfen, ob er mit dieser Schablone arbeiten könne. Zur besseren Sichtbarmachung und besseren Lesbarkeit habe er sich die Exceltabelle auf seinem privaten Rechner angeschaut. Am folgenden Montag habe er die Bearbeitung im Betrieb vorgenommen. Außer einer kurzen Einsichtnahme habe er mit der Email auf seinem privaten Rechner nichts gemacht.

Es bestehen für die Kammer keine Anhaltspunkte, die zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser eidesstattlichen Versicherung Anlass böten. Auch die Verfügungsklägerin konnte solche nicht benennen. Sie verblieb im Berufungstermin bei bloßen Mutmaßungen, dass der Verfügungsbeklagten doch noch in irgendeiner anderen (nicht benannten) Form im Besitz der Daten sein könnte. Das ist unzureichend.

Dass dem Verfügungsbeklagten im Verfahren über die Anlage AS 30 wieder eine Kenntnisnahmemöglichkeit der Preiskalkulation verschafft wurde, begründet eine Begehungs- und Wiederholungsgefahr nicht. Hier greift der Schutz der Einstufung als geheimnisbedürftig gem. § 16 Abs. 1 GeschGehG mit der Sanktionsmöglichkeit nach § 17 GeschGehG.

II. Auch einem aus § 1004 BGB abgeleiteten Unterlassungsanspruch würde es gleichermaßen am notwendigen Tatbestandsmerkmal einer Wiederholungsgefahr mangeln.

III. Besteht keine Begehungs- oder Wiederholungsgefahr, fehlt es auch am Verfügungsgrund.

IV. Die Einstufung diverser Anlagen als geheimhaltungsbedürftig gem. § 16 Abs. 1 GeschGehG hätte eigentlich gem. § 20 Abs. 5 GeschGehG durch Beschluss erfolgen müssen. Die Tenorierung durch das Arbeitsgericht im Urteil ist jedoch unschädlich. Dieser Urteilsteil wurde in der Berufung nicht angegriffen. Er ist somit in Rechtskraft erwachsen. Deshalb wurde diese Tenorierung zur Klarstellung nochmals wiederholend in den Tenor aufgenommen."


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OLG Schleswig-Holstein: Unterlassungserklärung ohne Vertragsstrafeversprechen genügt bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 13a Abs. 2 UWG n. F. zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 03.05.2021
6 W 5/21


Das OLG Schleswig-Holstein hat bestätigt, dass eine Unterlassungserklärung ohne Vertragsstrafeversprechen bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 13a Abs. 2 UWG n. F. zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr genügt.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, hat das Landgericht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Das Beschwerdevorbringen führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Es fehlt an der für einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 UWG erforderlichen Wiederholungsgefahr. Soweit diese durch die vom Antragsgegner unstreitig begangenen Wettbewerbsverstöße indiziert war, hat der Antragsgegner die Vermutung für die Wiederholung seines wettbewerbswidrigen Verhaltens beseitigt.

1. Die Wiederholungsgefahr als materiell-rechtliche Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs liegt vor, wenn eine Wiederholung des wettbewerbswidrigen Verhaltens ernsthaft und greifbar zu besorgen ist (Bornkamm in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 8 Rn. 1.42). Ist es bereits zu einem Wettbewerbsverstoß gekommen, so streitet eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung zu widerlegen obliegt dem Verletzer.

a) Dafür bedurfte es bisher nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur einer Erklärung des Schuldners, mit der er sich verpflichtete, das beanstandete Verhalten künftig zu unterlassen. Erforderlich war zur Bekräftigung dieser übernommenen Verpflichtung auch das Versprechen der Zahlung einer Vertragsstrafe für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung. Weil dem Verletzer bisher stets dieser einfache Weg offen stand, konnte kaum ein anderer Umstand die Wiederholungsgefahr ausräumen; vielmehr zeigte der Verletzer mit der Verweigerung der Unterwerfung, dass nach wie vor Wiederholungsgefahr bestand (Bornkamm a. a. O. Rn. 1.44 m. w. N.).

b) Unter den in § 13a Abs. 2 UWG n. F. genannten Voraussetzungen, die hier unzweifelhaft vorliegen, ist die Vereinbarung einer Vertragsstrafe zwischen Gläubiger und Verletzer jedoch ausgeschlossen. In diesen Fällen kann an dem Erfordernis der Strafbewehrung zur Widerlegung der vermuteten Wiederholungsgefahr nicht mehr festgehalten werden. Anderenfalls wäre es dem Verletzer unmöglich, die Vermutung der Wiederholungsgefahr im unmittelbaren Verhältnis zum Gläubiger zu widerlegen und so eine außergerichtliche Streitbeilegung zwischen ihm und dem Gläubiger herbeizuführen. Dass der Gesetzgeber aber mit den Änderungen des UWG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs (BT-Drs. 19/12084, 1) für diese Fälle eine außergerichtliche Streitbeilegung zwischen Mitbewerbern ausschließen wollte, lässt sich weder der Gesetzessystematik in §§ 13, 13a UWG n. F. noch der Gesetzesbegründung entnehmen.

aa) Durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs hat der Gesetzgeber an dem System der außergerichtlichen Streitbeilegung durch Abmahnung und strafbewehrter Unterlassungserklärung grundsätzlich festgehalten (§ 13 Abs. 1 UWG n. F.). Er hat dieses Recht der Abmahnung und Unterwerfung jedoch einer vorsichtigen Umgestaltung unterworfen. Insoweit wird die in § 13 Abs. 1 UWG n. F. genannte „angemessene Vertragsstrafe“ erstmals durch die Regelungen in § 13 a UWG n. F. konkretisiert. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 13a Abs. 1 UWG n. F., denn dort heißt es: „Bei der Festlegung einer angemessenen Vertragsstrafe nach § 13 Absatz 1 sind folgende Umstände zu berücksichtigen…“. Die Ausgestaltung einer angemessenen Vertragsstrafe i. S. d. § 13 Abs. 1 UWG n. F. richtet sich demnach nach § 13 a UWG n. F.. Soweit in § 13a Abs. 2 UWG n. F. die Vereinbarung einer Vertragsstrafe ausgeschlossen ist, ist dies über § 13a Abs. 1 UWG n. F. auch bei der Auslegung des § 13 Abs. 1 UWG n. F. zu berücksichtigen. Das Erfordernis einer angemessenen Vertragsstrafe entfällt in diesen Fällen, weil eine solche Vereinbarung ausgeschlossen ist. Die Regelung in § 13 Abs. 1 UWG ist somit in den Fällen des § 13a Abs. 2 UWG n. F. so zu verstehen, dass der Gläubiger den Schuldner vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abmahnen und ihm Gelegenheit geben soll, den Streit durch Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung beizulegen.

bb) Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nichts Anderes. Dort heißt es zu Absatz 2 des § 13a UWG-E: „Absatz 2 schließt die Vereinbarung einer Vertragsstrafe mit einem Mitbewerber aus, wenn der Mitbewerber erstmalig eine Verpflichtung zur Unterlassung in Fällen des § 13 Abs. 4 UWG-E fordert. {… }. Erfolgt die erstmalige Abmahnung des Verstoßes dagegen durch einen Wirtschaftsverband {… } besteht auch weiterhin die Möglichkeit, zur Streitbeilegung unmittelbar die Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung zu verlangen. Die unterschiedliche Behandlung ist dadurch gerechtfertigt, dass Fälle des Abmahnmissbrauchs überwiegend bei den Klageberechtigten nach § 8 Absatz 3 Nummer 1 UWG-E berichtet werden“ (BT-Drs. 19/12084 S. 33 f.). Hieraus ergibt sich nur, dass die in § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG genannten Gläubiger zur (außergerichtlichen) Streitbeilegung nach wie vor eine Unterwerfungserklärung verlangen können, während von Mitbewerbern zur (außergerichtlichen) Streitbeilegung beim erstmaligen Verstoß kein Strafversprechen verlangt werden kann. Dass demgegenüber eine außergerichtliche Streitbeilegung in diesem Fällen ausgeschlossen sein soll, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung nicht.

cc) Mit dem Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs wollte der Gesetzgeber die Generierung von Vertragsstrafen und Gebühren eindämmen und damit missbräuchlicher Anspruchsverfolgung im Lauterkeitsrecht entgegen wirken (BT-Drs. 19/12084 S. 1). Dieser Intention würde es zuwiderlaufen, wenn ein Unterlassungsschuldner die Wiederholungsgefahr bei einer Abmahnung durch einen Mitbewerber in den Fällen des § 13a Abs. 2 UWG n. F. nicht durch die Abgabe einer einfachen, nicht strafbewehrten Unterlassungserklärung ausräumen könnte. Anderenfalls könnte der Mitbewerber den Unterlassungsschuldner trotz abgegebener Unterlassungserklärung - wie im vorliegenden Fall - gerichtlich in Anspruch nehmen. Dies würde zum einen dazu führen, dass die Entlastung der Gerichte durch das System aus Abmahnung und (strafbewehrter) Unterlassungserklärung in einer Vielzahl von Fällen abgeschafft wäre. Zum anderen würde dies in letzter Konsequenz für den Abgemahnten dazu führen, dass seine Belastung mit einer Vertragsstrafe durch eine solche mit Gebühren ersetzt werden würde. Für eine solche Intention des Gesetzgebers geben Wortlaut und Begründung nichts her.

dd) Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass in den Fällen des § 13a Abs. 2 UWG n. F. eine außergerichtliche Streitbeilegung nicht mehr möglich sein soll, da die Wiederholungsgefahr ausschließlich durch das Versprechen einer Vertragsstrafe ausgeräumt werden könne (Bornkamm, a. a. O. § 8 Rn. 1.48a; Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, a. a. O. § 13 Rn. 105a, § 13a Rn. 18f.; Seichter/Spoenle, juris-PK-UWG, 5. Aufl., § 13 a UWG Rn. 15 f.,18, § 13 Rn. 66; Möller in NJW 2021, 1 (7); Ulrici in WRP 2019, 1117 (1120); Hofmann in WRP 2021, 1, (4); Buchmann/Panfili in K&R 2021, 21 25), vermag der Senat dem aus den oben genannten Gründen nicht zu folgen. Er verkennt nicht, dass das bisherige System von Abmahnung, Unterwerfung und Wegfall der Wiederholungsgefahr den Zweck verfolgt, dem Gläubiger und dem Schuldner ein Mittel an die Hand zu geben, um einen Streit ohne Inanspruchnahme der Gerichte beizulegen (vgl. BGHZ 149, 371 (374) - missbräuchliche Mehrfachabmahnung). Da der Unterlassungsanspruch immer nur in der Zukunft erfüllt werden kann, muss der bei anderen Ansprüchen durch die Erfüllung eintretende Rechtsfriede auf andere Weise erreicht werden. Dies wurde bisher in dem drohenden Nachteil einer Strafe für den Fall einer Zuwiderhandlung gesehen, der den Schuldner vernünftigerweise von Wiederholungen abhält (vgl. Bornkamm/Feddersen, a. a. O. § 13 Rn. 139). Dieser Dogmatik des Unterlassungsanspruchs scheint es zu widersprechen, wenn die Wiederholungsgefahr in bestimmten Fällen nunmehr auch ohne ein Strafversprechen entfallen kann. Jedoch führt auch eine Unterlassungserklärung ohne Strafbewehrung in den Fällen des § 13a Abs. 2 UWG n. F. im Falle des späteren Verstoßes durchaus zu nachteiligen Rechtsfolgen für den Schuldner. So steht dem Gläubiger (neben dem gesetzlichen) dann auch ein vertraglicher Unterlassungsanspruch zu, sodass das Gericht nicht mehr den Wettbewerbsverstoß selbst prüfen muss, sondern nur noch den Verstoß gegen die Unterlassungserklärung festzustellen hat. Darüber hinaus handelt es sich bei dem erneuten Verstoß dann nicht mehr um den erstmaligen, so dass nunmehr eine Vertragsstrafe zugunsten des Gläubigers vereinbart werden kann.

Zudem führt die in der Literatur vertretene Auffassung in den oben genannten Fällen zu der Konsequenz, dass sich der Schuldner in den Fällen, in denen er durch einen Mitbewerber abgemahnt wird, gegenüber einem der in § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG genannten Gläubiger strafbewehrt unterwerfen müsste, um auch gegenüber dem Mitbewerber die Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen (so Bornkamm a. a. O., § 8 Rn. 1.48a; Hofmann a. a. O. S.4). Insoweit wird nach Auffassung des Senats nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Schuldner lediglich ein Angebot zum Abschluss eines Unterwerfungsvertrages gegenüber einem Dritten abgeben kann. So entfällt die Wiederholungsgefahr bei einer Initiativunterwerfung, die der von einem Mitbewerber abgemahnte Verletzer gegenüber einem Wettbewerbsverband unaufgefordert abgibt, dann nicht, wenn der Wettbewerbsverband die Erklärung nicht annimmt (vgl. Seichter/Spoenle, a. a. O. § 13, Rn. 87). Es ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber dem Schuldner diesen erschwerten Weg der Initiativunterwerfung auferlegen wollte.

c) Einen Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 und Art. 13 der Richtlinie 2005/29 EG vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Klagebefugnis der Mitbewerber wird durch die neuen Regelungen in §§ 13, 13a UWG n. F. nicht eingeschränkt. Nach wie vor bleibt es einem Mitbewerber möglich, auch im Fall des § 13a UWG n. F. gegen Wettbewerbsverletzungen gerichtlich vorzugehen. Dies betrifft sowohl den Fall, in dem sich der Unterlassungsschuldner weigert, eine Unterlassungserklärung abzugeben als auch den Fall, in dem der Gläubiger ohne vorherige Abmahnung, dann allerdings mit dem Kostenrisiko des § 93 ZPO, gegen den Schuldner gerichtlich vorgehen will.

Die Neuregelung führt auch nicht dazu, dass es an geeigneten Maßnahmen der Sanktionierung wettbewerbswidrigen Verhaltens fehlt. Zwar kann der Gläubiger von dem Schuldner in den Fällen der §§ 13 Abs. 4, 13 a Abs. 2 UWG n. F. weder Aufwendungen für eine Abmahnung verlangen noch mit dem Schuldner eine Vertragsstrafe vereinbaren. Der Anspruch der in § 8 Abs. 3 Nummer 2 bis 4 UWG genannten Gläubiger bleibt jedoch unberührt und es bleibt dem Mitbewerber unbenommen, sich an einen qualifizierten Wirtschaftsverband zu wenden, der für ihn eine Abmahnung ausspricht und eine mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrte Unterlassungserklärung des Schuldners entgegen nimmt (vgl. BT-Drs. 19/12084 S. 32).

2. Kann somit in den Fällen des § 13a UWG n. F. die Wiederholungsgefahr grundsätzlich auch dann entfallen, wenn der Schuldner keine strafbewehrte, sondern nur eine „einfache“ Unterlassungserklärung abgegeben hat, so ergibt eine Gesamtwürdigung im vorliegenden Fall, dass die Unterlassungserklärung des Antragsgegners geeignet ist, ihn ernsthaft von Wiederholungen der Verletzungshandlungen abzuhalten. Dies ergibt sich aus dem Verhalten des Antragsgegners nach der begangenen Verletzungshandlung und insbesondere aus seiner Reaktion auf die Abmahnung des Antragstellers. Der Antragsgegner hat die Verletzungshandlungen sofort eingestellt. Er hat darüber hinaus eine sofortige Unterwerfungserklärung hinsichtlich des Verstoßes gegen das Verpackungsgesetz abgegeben und die damit verbundenen Abmahnkosten gezahlt. Er hat überdies in der Unterlassungserklärung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Unterlassungserklärung hinsichtlich der fehlenden Grundpreisangabe und der unvollständigen Widerrufsbelehrung wegen der Regelung in § 13a Abs. 1, 2 UWG nicht mit einer Vertragsstrafe versehen sei. Es besteht somit kein Grund, an der Ernsthaftigkeit des abgegebenen Unterlassungsversprechens zu zweifeln. Die Vermutung der Wiederholungsgefahr für einen erneuten Wettbewerbsverstoß des Antragsgegners ist damit widerlegt."


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OLG Rostock: Wiederholungsgefahr begründet nicht automatisch die Dringlichkeit bzw. den Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung

OLG Rostock
Beschluss vom 26.04.2021
2 W 12/21


Das OLG Rostock hat entscheiden, dass das Bestehen der Wiederholungsgefahr nicht automatisch die Dringlichkeit bzw. den Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung begründet.

Aus den Entscheidungsgründen:
"Jedenfalls nämlich fehlt aus den Gründen, die das Landgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss noch einmal pointiert von der hier nicht ausschlaggebenden Frage nach dem Zeitversatz zwischen Kenntnisnahme vom Verstoß und Antragstellung (so genannte Selbstwiderlegung; vgl. MüKoZPO/Drescher, 05. Aufl. 2016, § 935 Rn. 18 ff., m.w.N.) abgegrenzt hat, der Verfügungsgrund (§§ 920 Abs. 2, 936 ZPO). Den dahingehenden Überlegungen des Landgerichts tritt der Senat mit der ergänzenden Maßgabe bei, dass jedenfalls nicht bereits aus der - etwaigen - Bejahung der für den Verfügungsanspruch erforderlichen Wiederholungsgefahr zugleich auf den Verfügungsgrund geschlossen werden kann (OLG Dresden, Urteil vom 07.04.2005 - 9 U 263/05, NJW 2005, 1871 [Juris; Tz. 14]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 935 Rn. 10; BeckOK ZPO/Mayer, 40. Edition - Stand: 01.03.2021, § 935 Rn. 14). Daher ergibt sich ein Verfügungsgrund insbesondere nicht - schon - daraus, dass der (etwaige) Unterlassungsschuldner die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verweigert hat (OLG Dresden, a.a.O.). Vorliegend hat die Antragsgegnerin den streitbegriffenen Artikel mit den angegriffenen Äußerungen und Lichtbildern am 03.03.2021 „aus dem Netz“ genommen. Seither - nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen kommt es nicht auf die Zeitspanne zwischen dem 03.03.2021 und dem Zeitpunkt der Antragstellung (19.03.2021) an, sondern auf die (längere) Zeitspanne bis zum Verhandlungsschluss (§ 296a Satz 1 ZPO) bzw. (im Beschlussverfahren ohne mündliche Verhandlung) bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (durch den Senat, also „bis jetzt“) - hat die Antragsgegnerin keinerlei Anstalten unternommen, den Beitrag erneut „ins Netz“ zu stellen (oder in irgendeiner sonstigen Form zu wiederholen). Es liegt auch sonst keinerlei konkreter Anhaltspunkt für eine - zeitnahe und damit ein Hauptsacheverfahren ausschließende - Wiederholung vor."

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OLG Frankfurt: Zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach dem GeschGehG im einstweiligen Verfügungsverfahren

OLG Frankfurt
Beschluss vom 27.11.2020
6 W 113/20


Das OLG Frankfurt hat sich in dieser Entscheidung mit der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach dem GeschGehG im einstweiligen Verfügungsverfahren befasst.

Leitsätze des Gerichts:

1. Zur Frage der Dringlichkeit bei im Wege des Eilverfahrens geltend gemachten Ansprüchen nach dem GeschGehG.

2. Bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem GeschGehG ist es im Hinblick auf die hinreichende Bestimmtheit der Anträge erforderlich, dass die streitbefangenen Geschäftsgeheimnisse konkret bezeichnet werden.

3. Die Ausräumung einer im Sinne von § 6 GeschGehG konkreten Erstbegehungsgefahr setzt nicht die Abgabe einer strafbewerten Unterlassungserklärung voraus. Sie kann in der Regel durch einen sog. actus contrarius ausgeräumt werden, der auch darin gesehen werden kann, dass die Antragsgegnerin im Eilverfahren erklärt, etwaige Geschäftsgeheimnisse nicht zu nutzen oder offenzulegen.

4. Der Empfang einer E-Mail erfüllt nicht das Erfordernis eines „unbefugten Zugangs“ im Sinne von § 4 Abs. 1 GeschGehG.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin fehlt es dem Verfügungsantrag nicht an der notwendigen Dringlichkeit. Das GeschGehG selbst enthält - anders als etwa das UWG in § 12 Abs. 2 - keine speziellen Bestimmungen für die Geltendmachung der dort vorgesehenen Ansprüche im einstweiligen Rechtsschutz, so dass entsprechend der Begründung zum RegE vom 4.10.2018 (BT-Drs. 19/4724, 34) zu Abschnitt 3 die allgemeinen verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung kommen, also diejenigen aus GVG und ZPO (McGuire in Büscher, UWG, § 15 GeschGehG Rn 7). Ob angesichts des Umstands, dass durch das am 26.4.2019 in Kraft getretene GeschGehG die bis dahin geltenden §§ 17-19 UWG ersetzt wurden, für die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach § 6 GeschGehG im einstweiligen Rechtsschutz die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG analog anzuwenden ist, ist umstritten (verneinend: OLG München GRUR-RR 2019, 443 Rn 13; Löffel WRP 2019, 1378, 1379; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, 38. Auflage 2020, GeschGehG § 15 Rn 16; bejahend: BeckOK GeschGehG/Spieker, 5. Ed. 15.3.2020, GeschGehG § 6 Rn 42-56). Die Frage kann jedoch im Ergebnis dahinstehen, da auch ohne Dringlichkeitsvermutung die nötige Eilbedürftigkeit nicht verneint werden kann.

Der Senat sieht es dabei als glaubhaft gemacht an, dass die Antragstellerin erst im Juni 2020 Kenntnis von den streitgegenständlichen Handlungen ihres Mitarbeiters hatte. Soweit der Vortrag und die Glaubhaftmachungen bisher den Eindruck zuließen, Mitarbeitern der Antragstellerin sei durch die Software „Digital Guardian“ bereits im März 2020 Meldung über verdächtige Datenbewegungen gemacht worden, hat die Antragstellerin in der Beschwerde klargestellt und auch glaubhaft gemacht, dass dies nicht der Fall war, sondern erst durch die Untersuchung im Juni rückblickend festgestellt wurde, dass die Software verdächtige Datenbewegungen registriert hatte. Angesicht der missverständlichen Formulierung hält der Senat dies auch nicht für wechselnden - und damit problematischen -, sondern nur für missverständlichen Vortrag.

Nach Kenntnis der Informationen hat die Antragstellerin hinreichend zügig gehandelt. Die aufgrund der Gesamtumstände und der Gefahr der Verwendung von Geschäftsgeheimnissen offensichtlich bestehende Dringlichkeit ist daher nicht widerlegt.

Soweit die Antragsgegnerin der Auffassung ist, die Antragstellerin habe die Überwachungssoftware dergestalt einrichten müssen, dass bei verdächtigen Datenbewegungen sofort Meldungen erstellt würden, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Es nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin unter Dringlichkeitsgesichtspunkten anlasslos dazu verpflichtet sein sollte, ihre Mitarbeiter regelmäßig daraufhin zu überwachen, ob diese keine Geschäftsgeheimnisse unerlaubt weitergeben - soweit dies rechtlich überhaupt möglich wäre.

2. In der Sache ist der Verfügungsantrag mangels hinreichender Bestimmtheit der Anträge teilweise unzulässig.

a) Die Hauptanträge sind mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig, da sie abstrakt auf „Geschäftsgeheimnisse“ Bezug nehmen, ohne diese jedoch genau zu bezeichnen. Für die Zulässigkeit des Verfügungsantrags ist wesentlich, dass die eingetretene, noch fortdauernde oder zukünftig bevorstehende Beeinträchtigung des Geschäftsgeheimnisses hinsichtlich der konkreten Verletzungsform bezeichnet wird (BeckOK GeschGehG/Spieker, 5. Ed. 15.3.2020, GeschGehG § 6 Rn 42-56).

Hier sind die Geschäftsgeheimnisse nicht näher bezeichnet und im Übrigen auch zwischen den Parteien streitig, so dass die Frage, was Gegenstand der Verurteilung ist, unzulässiger Weise in das Vollstreckungsverfahren verlagert würde.

b) Auch der erste Hilfsantrag teilt dieses Schicksal. Zwar ist der Antrag durch den Verweis auf die „in Anlagen ASt 12, ASt 14 bis ASt 16 sowie ASt 20“ enthaltenen Geschäftsgeheimnisse“ konkretisiert; die Antragstellerin selbst sieht jedoch nicht den gesamten Inhalt der Anlage ASt 12 als Geschäftsgeheimnis an, ohne insoweit im Antrag zu differenzieren, auf welchen Teil der Inhalte sich das Verbot erstrecken solle. Für die Antragsgegnerin bliebe daher auch hier die Reichweite des Verbots unklar.

c) Der zweite Hilfsantrag hingegen weist die notwendige Bestimmtheit auf. Er umfasst konkret bezeichnete Dateien der Anlage ASt 12 sowie die kompletten Inhalte der Anlagen ASt 14 bis ASt 16 und Anlage ASt 20. Damit ist für die Antragsgegnerin hinreichend erkennbar, welches Verhalten ihr untersagt werden soll.

3. Der Hilfsantrag zu III. erweist sich jedoch als unbegründet. Der Antragstellerin stehen der geltend gemachte Unterlassungsansprüche aus § 6 GeschGehG nicht zu. Die Antragstellerin hat klargestellt, dass sich der Verfügungsantrag hinsichtlich der im Antrag 1 enthaltenen Begehungshandlungen des Nutzens und Offenlegens auf eine Erstbegehungsgefahr stützt; eine solche liegt jedoch nicht vor.

a) Im Hinblick auf beide im Antrag enthaltene Handlungen des Nutzens und Offenlegens von Geschäftsgeheimnissen wäre eine mögliche Begehungsgefahr durch die Erklärung der Antragsgegnerin, keine Geschäftsgeheimnisse nutzen oder offenlegen zu wollen, die von dem Hilfsantrag erfasst sind, in Wegfall geraten.

Aus den konkreten Einzelfallumständen kann sich zwar ergeben, dass die (erstmalige) Begehung der Beeinträchtigung des Geschäftsgeheimnisses ernstlich droht (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 78). Die Begehungsgefahr schafft einen sog. vorbeugenden Unterlassungsanspruch. Die Feststellung einer Erstbegehungsgefahr verlangt also, dass objektiv ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, der Anspruchsgegner werde sich in naher Zukunft in der näher bezeichneten Weise rechtswidrig verhalten (ständige Rspr., vgl. BGH GRUR 2015, 603, 605 - Keksstangen; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 84). Dabei muss sich die drohende Verletzungshandlung angesichts der konkreten Einzelfallumstände derart konkret abzeichnen, dass sich für alle Tatbestandsmerkmale zuverlässig beurteilen lässt, ob sie verwirklicht sind. Insoweit ist der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses darlegungs- und beweisbelastet. Es besteht keine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Erstbegehungsgefahr.

Der Senat hält das Bestehen einer Erstbegehungsgefahr für fraglich. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verbietet nicht die Lebenserfahrung die Annahme, die Antragsgegnerin werde die Betriebsgeheimnisse nicht nutzen. Eine solche Vermutung mag vielleicht zulässig sein, wenn der Mitarbeiter der Antragstellerin und der Geschäftsführer der Antragsgegnerin in kollusivem Zusammenwirken Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin entwendet hätte. Der Senat kann jedoch - wie oben dargelegt - bei der einzigen an den Geschäftsführer der Antragsgegnerin tatsächlich gelangen E-Mail nicht zugrunde legen, dass der Versand tatsächlich mit Kenntnis und Unterstützung der Antragsgegnerin erfolgt. Vielmehr ist ebenso vorstellbar, dass der Mitarbeiter der Antragstellerin dies aus eigenem Antrieb und ohne Kenntnis der Antragsgegnerin gemacht hat. Es verbleibt daher die Tatsache, dass der Geschäftsführer der Antragsgegnerin ohne sein vorheriges Wissen eine E-Mail erhalten hat, die (möglicherweise) ein Geschäftsgeheimnis der Antragstellerin enthält. Diese lässt nicht den zwingenden Schluss zu, das Geheimnis werde auch benutzt oder offengelegt.

Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen, da ein Erstbegehungsgefahr jedenfalls wieder entfallen wäre.

Die Ausräumung einer derartigen - konkreten - Erstbegehungsgefahr verlangt nicht die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung (Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher UWG § 8 Rn 108; Teplitzky/Kessen Kap. 10 Rn 21 f.; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 106), die vom Rechtsverletzten bei der bloßen Erstbegehungsgefahr auch gar nicht verlangt werden kann. Für die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr gelten daher weniger strenge Anforderungen als bei der Ausräumung der Wiederholungsgefahr (ständige Rspr. - vgl. BGH GRUR 2014, 382, 384 - Real Chips). Sie kann in der Regel durch einen sog. actus contrarius ausgeräumt werden, d.h. dass das die Begehungsgefahr ausräumende Verhalten spiegelbildlich das umkehren muss, was nach den konkreten Einzelfallumständen die Entstehung der Begehungsgefahr begründet hat (BGH a.a.O.). Das erforderliche entgegengesetzte Verhalten hängt davon ab, durch welches Verhalten die Erstbegehungsgefahr begründet wurde (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn 108 ff.).

An die Ausräumung der Wiederholungsgefahr sind hier nach Auffassung des Senats keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, wäre doch eine etwaige Begehungsgefahr allenfalls dadurch zu begründen, dass die Antragsgegnerin eine entsprechende E-Mail von Antragsteller zugesandt bekommen hat, ohne dass die Antragsgegnerin hierzu durch aktives Tun einen Beitrag geleistet hätte. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist daher keine strafbewehrte Unterlassungserklärung erforderlich.

Hier ist daher durch die ausdrückliche Erklärung der Antragsgegnerin in den Schriftsätzen vom 13.11.2020 und 20.11.2020, etwaige Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin, die von dem Hilfsantrag umfasst sind, nicht zu nutzen oder offenzulegen, eine mögliche Erstbegehungsgefahr als ausgeräumt anzusehen.

b) Ob eine Wiederholungsgefahr dadurch besteht, dass eine mögliche rechtswidrige Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses - analog zum Markenrecht - eine Wiederholungsgefahr auch für die Handlung des Nutzens und Offenlegens begründen würde, kann dahinstehen, da die Antragstellerin ihren Verfügungsantrag ausdrücklich (nur) Erstbegehungsgefahr gestützt hat. Die Wiederholungsgefahr stellt hierzu einen abweichenden Streitgegenstand dar.

4. Der im Hilfsantragskomplex III. mit dem Antrag 2. geltend gemachte Sequestrationsanspruch besteht ebenfalls nicht. Er setzt nach § 7 Nr. 1 GeschGehG voraus, dass die Antragsgegnerin elektronische Dateien im Besitz oder Eigentum hat, die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder verkörpern. An einer derartigen Verletzungshandlung fehlt es.

a) Vorausgesetzt wird nach § 7 Nr. 1 GeschGehG durch die Bezeichnung der Passivlegitimation des „Rechtsverletzers“ eine Rechtsverletzung, also, dass ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 entgegen § 4 rechtswidrig erlangt, genutzt oder offengelegt worden ist, ohne dass ein Fall von § 5 vorliegt (vgl. § 2 Nr. 3). Nicht erforderlich ist, dass die Voraussetzungen eines Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruchs vorliegen, was einschließt, dass kein Verschulden wie beim Schadensersatzanspruch und auch keine Wiederholungsgefahr erforderlich ist (BeckOK GeschGehG/Spieker, 5. Ed. 15.3.2020, GeschGehG, § 7 Rn 4).

b) Eine derartige Verletzungshandlung hat hier nicht vorgelegen. Die Antragsgegnerin hat die in Anlage ASt 12 markierten sowie die in Anlagen ASt 14 bis ASt 16 enthaltenen Dateien nicht im Sinne von § 4 Abs. 3 S. 1 GeschGehG „erlangt“.

(1) Während das Verbot des § 4 Abs. 1 GeschGehG hier nicht betroffene Verhaltensweisen erfasst, mit denen sich eine Person unbefugt den Zugriff auf das Geschäftsgeheimnis selbst oder einen (körperlichen oder unkörperlichen) Geheimnisträger verschafft, erfasst § 4 Abs. 3 GeschGehG auch mittelbare Verletzungshandlungen, bei denen die handelnde Person das Geschäftsgeheimnis entweder von einem Dritten bezieht bzw. ableitet oder mit rechtsverletzenden Produkten umgeht. In beiden Fällen ist in der Person des Handelnden indes ein subjektives Element erforderlich (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, 38. Auflage 2020, GeschGehG § 4 Rn 60).

(2) Hieran fehlt es jedoch. Es ist erforderlich, dass die handelnde Person das Geschäftsgeheimnis von diesem Dritten erlangt, wobei sie gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass der Dritte einen Rechtsverstoß begangen hat. Das Gesetz nennt drei Formen der unzulässigen Kenntniserlangung: Zugang, Aneignung, Kopieren. Die Aufzählung ist abschließend und stellt klar, dass nicht jede Kenntniserlangung als Handlungsverbot nach dem GeschGehG einzustufen ist (BeckOK GeschGehG/Hiéramente, 5. Ed. 15.9.2020, GeschGehG § 4 Rn 14-19). Keine dieser Handlungsformen liegt hier jedoch vor, insbesondere kann ein „Zugang“ nicht bejaht werden. Dieser liegt nämlich nicht schon dann vor, wenn eine E-Mail empfangen wird, da der Empfänger hierzu keinerlei Beitrag leistet. Vielmehr ist zu verlangen, dass in dem „Zugang“ ein aktives Element enthalten sein muss. D.h., der Empfänger muss auch eine Form von Aktivität entfaltet haben.


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OLG München: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung eines Versicherungsmaklers mit "unabhängig und neutral" wenn Mehrheit der Unternehmensanteile von Versicherer gehalten wird

OLG München
Urteil vom 16.01.2020
29 U 1834/18


Das OLG München hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung vorliegt, wenn ein Versicherungsmaklers mit "unabhängig und neutral" wirbt, dabei aber die Mehrheit der Unternehmensanteile von einem Versicherer gehalten wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte allerdings gegen das vom Landgericht ausgesprochene Verbot zu behaupten, sie sei unabhängig und neutral, solange die Mehrheit ihrer Unternehmensanteile von einem Versicherer gehalten wird. Der entsprechende Anspruch der Klägerin folgt aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3, § 3 UWG.

1. Die Klage ist zulässig, insbesondere kann der Klägerin das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis nicht versagt werden. Soweit die Beklagte insoweit geltend macht, ein solches bestehe nicht, weil die Beklagte bereits seit Januar 2017 die beanstandete Bewerbung nicht mehr verwende, ist dies für das Rechtsschutzbedürfnis ohne Relevanz, sondern kann grds. allenfalls Auswirkungen auf die den in die Zukunft gerichteten Anspruch auf Unterlassung in materiellrechtlicher Hinsicht haben. Die Zulässigkeit der Klage ist hiervon nicht berührt.

2. Dass die Klägerin als Mitbewerberin der Beklagten aktivlegitimiert ist, steht zwischen den Parteien außer Frage (vgl. auch S. 2 des landgerichtlichen Sitzungsprotokolls vom 22.03.2018, Bl. 65 d.A.).

3. Unstreitig - und durch Anlage K3 belegt - hat die Beklagte zumindest in der Vergangenheit damit geworben, sie sei unabhängig und neutral, obgleich die Mehrheit ihrer Anteile von einem Versicherer gehalten wird.

4. Eine derartige Bewerbung ist irreführend, denn sie ist dazu geeignet, die angesprochenen Verkehrskreise über die Beteiligungsverhältnisse zu täuschen.

a) Der angesprochene Verkehr versteht die hier angegriffene Aussage - anders als die „bloße“ Bezeichnung als Versicherungsmakler - nicht nur dahingehend, dass die so werbende Beklagte unabhängig von etwaigen Beteiligungsverhältnissen agiere, sondern es tatsächlich auch ist

b) Dies trifft indes nicht zu: die Beteiligung der XY Lebensversicherung an der Beklagten ist unstreitig eine Mehrheitsbeteiligung, Neutralität und Unabhängigkeit sind daher nicht gegeben.

c) Diese Irreführung ist für die angesprochenen Verkehrskreise auch von Relevanz. Denn bei einem Versicherungsmakler, dessen Anteile mehrheitlich von einem Versicherer gehalten werden, besteht zumindest die potentielle Gefahr, dass der Versicherungsmakler sich nicht nur von den Interessen seiner Kunden, sondern von denen seiner Anteilseigner leiten lässt. Eine Werbung, die wie die vorliegende über diese Abhängigkeit hinwegtäuscht, erhöht mithin die Attraktivität des so werbenden Versicherungsmaklers in den Augen der angesprochenen Verkehrskreise.

d) Dass Beteiligungen generell für die Entscheidung des Versicherungsnehmers von geschäftlicher Relevanz sind, ergibt sich nicht zuletzt aus § 15 Abs. 1 Nr. 11 VersVermV nF (bzw. § 11 Abs. 1 Nr. 6 VersVermV 2007).

e) Die durch die streitgegenständliche Behauptung hervorgerufene Irreführung wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass die Beklagte an anderer Stelle auf ihrer Homepage bzw. im Rahmen ihrer Erstinformation an Versicherungsnehmer Aufklärung über ihre Beteiligungsstruktur betreiben mag, da nicht zwingend davon ausgegangen werden kann, dass der von der isoliert aufgestellten Werbebehauptung angesprochene Verkehr vor seiner geschäftlichen Entscheidung, sich mit dem Angebot der Beklagten näher zu befassen, die an anderer Stelle gemachten Ausführungen zu den Beteiligungsverhältnissen überhaupt zur Kenntnis nimmt.

f) Anders als hinsichtlich des seitens der Klägerin erfolglos beanstandeten Auftritts als Versicherungsmakler kann sich die Beklagte in Bezug auf die hier zu beurteilende Werbebehauptung auch nicht auf eine sich zu ihren Gunsten auswirkende Interessenabwägung berufen. Nach den obigen Ausführungen erlaubt es der Beklagten das Gesetz zwar, als Versicherungsmakler ungeachtet ihrer Beteiligungsverhältnisse aufzutreten; eine Erlaubnis oder auch nur ein berechtigtes Interesse dafür, sich darüber hinaus werbend als neutral und unabhängig zu bezeichnen, ergibt sich daraus jedoch nicht.

5. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr besteht. Der Umstand, dass die Beklagte die angegriffene Bewerbung zwischenzeitlich eingestellt haben mag, ändert daran nichts.

a) Wiederholungsgefahr ist gegeben, wenn bereits eine Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 UWG begangen wurde und deshalb eine erneute Verletzung droht (Goldmann, in: HarteBavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., 2016 § 8 Rn. 36). In diesem Fall streitet eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr (st. Rspr., vgl. BGH, WRP 2018, 1476, Rn. 52 - YouTube-Werbekanal II).

b) Beseitigen lässt sich die einmal begründete Wiederholungsgefahr nur unter strengen Anforderungen, insbesondere genügt das bloße Abstandnehmen oder auch eine aktive Beseitigungshandlung allein nicht, um die Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen. Erforderlich ist regelmäßig die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung oder ein rechtskräftiger Unterlassungstitel - ein Grundsatz, der nicht nur im Wettbewerbsrecht, sondern generell im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht zur Anwendung gelangt (st. Rspr., vgl. z. B. [zum Kennzeichenrecht] BGH, WRP 2008, 1537, Rn. 23 - Haus & Grund III). Hingegen genügt eine Veränderung der tatsächlichen Umstände (sogar Aufgabe des Geschäftsbetriebs oder Insolvenz des Verletzers) nahezu nie, um die einmal begründete Wiederholungsgefahr zu beseitigen, sondern ausnahmsweise nur dann, wenn nunmehr jede Wahrscheinlichkeit für eine Aufnahme des unzulässigen Verhaltens durch den Verletzer beseitigt wäre (BGH, WRP 2008, 924, Rn. 23 - Fruchtextrakt).

c) Vor diesem Hintergrund besteht die durch die unstreitig erfolgte Bewerbung in der Vergangenheit begründete Wiederholungsgefahr fort."

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BGH: Auch gegenüber einem Dritten abgegebene Unterlassungserklärung kann Wiederholungsgefahr bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ausräumen - strenge Anforderungen und Frage des Einzelfalls

BGH
Urteil vom 4. Juni 2019 - VI ZR 440/18
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat entschieden, dass auch die gegenüber einem Dritten abgegebene Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ausräumen kann. Dabei gelten strenge Anforderungen und es ist stets eine Frage des Einzelfalls.

Leitsatz des BGH:

Zur Entkräftung der bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung bestehenden Vermutung der Wiederholungsgefahr durch die gegenüber einem Dritten abgegebene strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung und weitere besondere Umstände (hier: Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Presseberichterstattung auf Grund redaktionellen Versehens; Fortführung Senat, Urteil vom 4. Dezember 2018 - VI ZR 128/18, NJW 2019, 1142).

BGH, Urteil vom 4. Juni 2019 - VI ZR 440/18 - LG Berlin - AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Drittunterwerfung kann auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzung ausreichend sein um Wiederholungsgefahr auszuräumen wenn Anspruch inhaltlich voll abgedeckt ist

BGH
Urteil vom 04.12.2018
VI ZR 128/18
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat entschieden, dass eine Drittunterwerfung auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ausreichend sein kann, um die Wiederholungsgefahr auszuräumen. Der Unterlassungsanspurch muss dabei inhaltlich voll abgedeckt sein.

Leitsätze des BGH:

1. Für die Frage, ob die durch eine bereits erfolgte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründete Vermutung der Wiederholungsgefahr durch den Verweis auf eine gegenüber einem Dritten abgegebene strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung entkräftet werden kann, kommt es entscheidend darauf an, ob die Unterlassungsverpflichtung geeignet erscheint, den Verletzer wirklich und ernsthaft von Wiederholungen der Verletzung abzuhalten. Ob dies der Fall ist, ist in umfassender Würdigung aller hierfür in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls sorgfältig und unter Anlegung der gebotenen strengen Maßstäbe zu prüfen (vgl. für das Wettbewerbsrecht: BGH, Urteile vom 13. Mai 1987 - I ZR 79/85, GRUR 1987, 640, 641; vom 2. Dezember 1982 - I ZR 121/80, GRUR 1983, 186 f.). Von dieser Einzelfallprüfung kann nicht unter Verweis auf den höchstpersönlichen Charakter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abgesehen werden.

2. Grundvoraussetzung für die Entkräftung der Vermutung der Wiederholungsgefahr durch eine Unterlassungsverpflichtungserklärung gegenüber einem Dritten ist, dass diese den von dem Betroffenen geltend gemachten Unterlassungsanspruch inhaltlich voll abdeckt; bleibt sie dahinter zurück, vermag
sie die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht zu entkräften.

3. Bei rechtswidrigen Eingriffen in die Privatsphäre durch wahre Tatsachenbehauptungen kommt eine Anwendung der "Kerntheorie" dergestalt, dass sich ein gerichtliches Unterlassungsgebot auf Äußerungen mit anderem, geringeren Informationsgehalt und geringerer Intensität des Eingriffs erstreckte, nicht
in Betracht.

BGH, Urteil vom 4. Dezember 2018 - VI ZR 128/18 - Hanseatisches OLG Hamburg - LG Hamburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: