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LG Erfurt legt EuGH Fragen zum Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei Kontrollverlust im Zusammenhang mit Facebook-Scraping vor

LG Erfurt
Beschluss vom 03.04.2025
8 O 895/23


Das LG Erfurt hat dem EuGH Fragen zum Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei Kontrollverlust im Zusammenhang mit Facebook-Scraping zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Tenor:
Das Ausgangsverfahren wird ausgesetzt. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV die folgenden Fragen zur Auslegung von Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vorgelegt:

Frage 1
Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht bei einem Verstoß gegen die DSGVO einer betroffenen Person Schadensersatz zusprechen muss, die lediglich nachgewiesen hat, dass ein Dritter (und nicht der beklagte datenschutzrechtlich Verantwortliche) ihre personenbezogenen Daten im Internet veröffentlicht hat? Mit anderen Worten: Stellt der bloße und ggf. nur kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene Daten einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO dar?

Frage 2
Falls Frage 1 bejaht wird: Inwieweit unterscheidet sich die Antwort oder macht es einen Unterschied, wenn die veröffentlichten Daten nur aus bestimmten personenbezogenen Daten bestehen (einschließlich allenfalls numerische Nutzer-ID, Name und Geschlecht), welche die betroffene Person bereits selbst im Internet veröffentlicht hatte, in Verbindung mit der Telefonnummer der betroffenen Person, die ein Dritter (bei dem es sich nicht um den beklagten datenschutzrechtlich Verantwortlichen handelt) mit diesen personenbezogenen Daten verknüpft hat?

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Gegenstand des Ausgangsverfahrens und zugrundeliegender Sachverhalt

Mit ihrer beim Landgericht Erfurt eingereichten Klage - einem Scraping-Fall - macht die Klägerin immateriellen Schadensersatz und eine Reihe weiterer Ansprüche aufgrund von Verstößen der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung („DSGVO“) geltend. Die Beklagte, deren Sitz in Irland ist, betreibt die Social-Media-Plattform Facebook in Europa („Plattform der Beklagten”).

Die Klägerin unterhält ein Nutzerkonto auf der Plattform der Beklagten. Im Rahmen der Registrierung auf der Plattform der Beklagten müssen Nutzer bestimmte Informationen wie Name und Geschlecht angeben. Diese Informationen (zusammen mit der von der Beklagten generierten Nutzer-ID) sind im Rahmen des Nutzerprofils stets öffentlich einsehbar, worüber Nutzer in Kenntnis gesetzt werden. Diese öffentlichen Nutzerinformationen erleichtern die Kontaktaufnahme mit anderen Menschen. Dies entspricht dem Unternehmenszweck der Plattform der Beklagten, nämlich Menschen die Möglichkeit zu geben, Gemeinschaften zu bilden und die Welt näher zusammenzubringen.

Neben den immer öffentlichen Nutzerinformationen können Nutzer in ihrem Profil nach ihrer individuellen Präferenz weitere Informationen angeben. In diesem Zusammenhang können sie festlegen, welche anderen Gruppen von Nutzern diese Informationen sehen können („Freunde“, [auch] „Freunde von Freunden“, „Öffentlich“). Die Beklagte stellt hierfür Privatsphäre-Einstellungen zur Verfügung, durch die Nutzer bestimmen können, inwieweit von ihnen bereitgestellte Informationen öffentlich einsehbar sein sollen (sog. „Zielgruppenauswahl“). Über die Funktion und Bedeutung dieser Privatsphäre-Einstellungen informierte die Beklagte ihre Nutzer in ihrem Hilfebereich.

Entschied sich ein Nutzer - wie die Klägerin - dafür, seine Telefonnummer anzugeben, war die Standard-Zielgruppenauswahl während des relevanten Zeitraums „Freunde“. Die Telefonnummer war demnach nicht öffentlich einsehbar. Im Hinblick auf die Sichtbarkeit ihrer Handynummer hatte die Klägerin es bei der Standardeinstellung der Beklagten belassen, sodass diese nicht öffentlich sichtbar war.

Die Privatsphäre-Einstellungen auf der Plattform der Beklagten ermöglichten es den Nutzern auch, festzulegen, wer ihre Profile anhand ihrer Telefonnummern suchen kann (sog. „Suchbarkeits-Einstellungen“). Entschied sich ein Nutzer dafür, seine Telefonnummer anzugeben, war die Standard-Suchbarkeitseinstellung während des relevanten Zeitraums „Alle“. Nutzer konnten jedoch ihre Suchbarkeitseinstellungen jederzeit auf „Freunde“, „Freunde von Freunden“ oder (ab Mai 2019) auf „Nur ich“ festlegen. Die letztgenannte Einstellung verhinderte, dass andere Nutzer das betreffende Profil über die Telefonnummer finden konnten.

Die Möglichkeit, das Profil eines Nutzers anhand einer Telefonnummer zu finden, sollte ebenfalls dem Ziel dienen, Menschen miteinander zu verbinden. Die Plattform der Beklagten hat weltweit Milliarden von Nutzern. Die Suche nach einem Nutzerprofil allein anhand des Namens mag daher nicht ausreichen, um einen anderen Nutzer sicher zu identifizieren.

Die Klägerin entschloss sich dazu, ihre Telefonnummer auf der Plattform der Beklagten anzugeben, wobei sie die Standard-Suchbarkeitseinstellung „Alle“ nicht änderte.

Bis September 2019 ermöglichte die sog. Kontakt-Importer-Funktion Nutzern, Kontakte von ihren Mobilgeräten auf der Plattform der Beklagten hochzuladen. Hierdurch konnten die Nutzer diese Kontakte auf der Plattform der Beklagten finden und mit ihnen in Kontakt treten, sofern die Suchbarkeitseinstellungen des gesuchten Nutzers auf „Alle“ eingestellt waren (so wie dies bei der Klagepartei der Fall war).

Über einen bestimmten Zeitraum hinweg haben unbekannte Dritte (sog. „Scraper“), die in keiner Verbindung zur Beklagten standen, über die Kontakt-Importer-Funktion Mobiltelefonnummern hochgeladen. Die Mobiltelefonnummern hatten die Scraper bereits vorher anderweitig (d. h. nicht auf der Plattform der Beklagten) erlangt oder generiert. Wurden beim Hochladen der Telefonnummern Nutzerprofile gefunden, sammelten die unbekannten Dritten die Daten, die in den Profilen der Nutzer öffentlich einsehbar waren, und machten sich diese nutzbar.

Bei der Kontakt-Importer-Funktion handelte es sich um eine regulär vorgesehene Funktion der Plattform der Beklagten. Die Scraper wandten automatisierte Tools an, um diese Funktion auszunutzen und um auf Daten zuzugreifen, die in diesem Fall öffentlich einsehbar waren. Diese ohne Erlaubnis erfolgte Datenerhebung mit automatisierten Tools und Methoden fand während des relevanten Zeitraums statt und war (und ist immer noch) durch die Nutzungsbedingungen der Beklagten untersagt.

Die Scraper sammelten unzulässigerweise öffentlich einsehbare Daten zahlreicher Nutzer, fügten diese den Telefonnummern dieser Nutzer hinzu und veröffentlichten diese Daten in einer Datenbank im Internet bzw. Darknet. Dieses Vorgehen umfasste auch personenbezogene Daten der Klägerin, nämlich deren Telefonnummer in Verbindung mit den aus ihrem öffentlich einsehbaren Profil abgegriffenen Informationen (Nutzer-ID, Vorname, Nachname und Geschlecht).

Die Klägerin fordert unter anderem immateriellen Schadensersatz auf der Grundlage von Art. 82 DSGVO. Sie bringt vor, sie habe allein aufgrund der Tatsache, dass ihre Daten abgegriffen und in einer Datenbank veröffentlicht wurden, die Kontrolle über diese Daten verloren. Nach Ansicht der Klägerin stellt dieser Kontrollverlust schon als solcher einen immateriellen Schaden dar.

Die Beklagte macht demgegenüber geltend, dass Art. 82 DSGVO nicht dazu diene, vom Scraping betroffenen Personen Schadensersatz zu gewähren, die zwar von Datenschutzverletzungen betroffen sind, aber keinen konkreten, über den bloßen Kontrollverlust hinausgehenden Schaden erlitten haben. Dabei ist die Beklagte der Auffassung, dass der Scraping-Sachverhalt bereits keinen „Datenschutzverstoß“ darstelle. Die Beklagte macht ferner geltend, dass die bloße erneute Veröffentlichung der Daten der Klagepartei – die gemäß ihren individuellen Privatsphäre-Einstellungen bereits vorher öffentlich einsehbar waren – keinen immateriellen Schadensersatz begründen könne.


II. Einschlägige unionsrechtliche Bestimmungen

Art. 82 DSGVO (Haftung und Recht auf Schadensersatz)

Erwägungsgrund 75 DSGVO (Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen)

Erwägungsgrund 83 S. 3 DSGVO (Sicherheit der Verarbeitung)

Erwägungsgrund 85 S. 1 DSGVO (Pflicht zur Meldung von Datenschutzverletzungen an die Aufsichtsbehörde)

III. Relevante nationale Rechtsprechung

Die deutsche Rechtsprechung divergiert zu der Frage, ob der bloße Kontrollverlust einen immateriellen Schaden darstellt. Die bereits vorliegenden Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union werden unterschiedlich interpretiert.

In nahezu identischen Verfahren haben mehrere deutsche Oberlandesgerichte Klagen auf immateriellen Schadensersatz abgewiesen. Sie haben dabei festgestellt, dass die auf Scraping beruhende erneute oder erstmalige Veröffentlichung von Daten und der damit einhergehende Kontrollverlust allein nicht ausreichen, um einen immateriellen Schaden zu begründen.

Der Bundesgerichtshof hat allerdings kürzlich in einem Verfahren wegen des unzulässigen Datenscrapings judiziert, dass ein bloßer und selbst kurzzeitiger Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten schon an sich als immaterieller Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO einzuordnen ist und zu einem, wenn auch überschaubaren, Geldanspruch führt (BGH, Urteil vom 18.11.2024 - VI ZR 10/24). Dies soll somit unabhängig davon gelten, ob die Klagepartei individuelle immaterielle Beeinträchtigungen und Nachteile aufgrund des Kontrollverlusts darlegt und nachweist. Weder muss eine konkrete missbräuchliche Verwendung der Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein, wie ein Identitätsdiebstahl, noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

Zu dem jedenfalls erforderlichen „Kontrollverlust“ fehlt es allerdings an einer Definition oder näheren Maßgaben.

IV. Entscheidungserheblichkeit und Erläuterung der Vorlagefragen

Die Antworten des Gerichtshofes der Europäischen Union zu den Vorlagefragen sind entscheidungserheblich. Das vorlegende Gericht geht von einem Datenschutzverstoß der Beklagten mit negativen Folgen aus. Es ist jedoch zweifelhaft, ob ein immaterieller Schaden zu bejahen ist. Abhängig davon, ob die bloße - erneute oder erstmalige - Veröffentlichung von personenbezogenen Daten im Internet als immaterieller Schaden eingestuft wird oder nicht, kann das Gericht dem Klageantrag auf immateriellen Schadenersatz entweder (zumindest teilweise) stattgeben oder ihn abweisen.

Insbesondere hält das Gericht eine Klarstellung des Gerichtshofs für erforderlich, ob Art. 82 Abs. 1 DSGVO es einem nationalen Gericht ermöglicht, einer betroffenen Person Schadensersatz zuzusprechen, obwohl diese keinen konkreten und individuellen materiellen oder immateriellen Schaden nachgewiesen hat, wie begründete Befürchtungen eines Missbrauchs oder andere psychische Beeinträchtigungen, sondern sich lediglich darauf beruft, dass ihre Daten im Internet veröffentlicht wurden und sie somit die Kontrolle hierüber verloren habe. Dieser Klarstellung dient die Vorlagefrage zu 1.

Für den Fall, dass die Vorlagefrage zu 1 bejaht wird, ersucht das Gericht mit der Vorlagefrage zu 2. den Gerichtshof um Klärung, ob der Gerichtshof zu einer anderen Einschätzung gelangt, wenn die (erneut) veröffentlichten Daten lediglich aus solchen personenbezogenen Daten bestehen, deren Veröffentlichung im Internet die betroffene Person vorher selbst veranlasst hatte (einschließlich allenfalls numerische Nutzer-ID, Name und Geschlecht), sowie der Telefonnummer der betroffenen Person.

Bei dieser Bewertung könnte zu berücksichtigen sein, dass die unzulässiger Weise abgegriffenen Daten der Klägerin auf deren Nutzerprofil öffentlich einsehbar waren, während die Mobiltelefonnummer der Klägerin weder abgegriffen noch anderweitig aus dem Nutzerprofil der Klagepartei abgerufen wurde. Damit unterscheidet sich dieser Sachverhalt wohl von den Fällen, die bisher Gegenstand von Vorabentscheidungsverfahren zu Art. 82 DSGVO waren. Es stellt sich die Frage, ob die Klägerin nicht bereits vor dem Datenschutzverstoß die Kontrolle über ihre vom Scraping betroffenen personenbezogenen Daten verloren hatte, was zu einem Ausschluss von Ersatzansprüchen führen könnte.

Nach alledem bestehen Zweifel, ob es sich bei der Problematik des „bloßen Kontrollverlustes“ bereits um einen „acte éclairé“ handelt. Die bisherigen Urteile des Gerichtshofes könnten jedenfalls so verstanden werden, dass ein bloßer Kontrollverlust als solcher noch keinen Schaden darstellt, vielmehr - mit höherem Begründungs- und Beweisaufwand - weitere Voraussetzungen und Umstände hinzutreten müssen, wie etwa psychische Beeinträchtigungen oder ein tatsächlicher Missbrauch von Daten (s. nur EuGH, Urteil vom 25.01.2024, C-687/21, Rn. 67, EuGH, Urteil vom 14.12.2023, C-340/21, Rn. 84, und EuGH, Urteil vom 14.12.2023, C-456/22, Rn. 22).

Den Parteien des Ausgangsverfahrens wurde ausgiebig rechtliches Gehör gewährt. Die Befugnis des Einzelrichters, unionsrechtliche Fragestellungen zu würdigen und vor den Gerichtshof zu bringen, beruht auf Art. 267 AEUV (eingehend LG Erfurt, Hinweisbeschluss vom 4. Februar 2025 - 8 O 211/24, juris). Ein Einzelrichter ist nicht gehalten, gemäß § 348 Abs. 3 ZPO seine Kammer zur Entscheidung über eine Übernahme anzurufen. Dies hat Generalanwalt Rantos in einem Dieselfall herausgestellt (EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts vom 2. Juni 2022, C-100/21, Rn. 75 ff.):

„Daher bin ich der Ansicht, dass Art. 267 AEUV einer nationalen Regelung entgegensteht, die, wenn ein Einzelrichter meint, dass sich im Rahmen einer bei ihm anhängigen Rechtssache eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts stellt, die eine Entscheidung des Gerichtshofs erfordert, diesem vorschreibt, diese Frage einer Zivilkammer vorzulegen, und er folglich daran gehindert ist, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.“


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamburg: Bloße Erkennbarkeit als Vorbild einer fiktiven Figur in einem Roman begründet allein noch keine Persönlichkeitsrechtsverletzung

OLG Hamburg
Beschluss vom 18.03.2025
7 W 23/25


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass die bloße Erkennbarkeit als Vorbild einer fiktiven Figur in einem Roman allein noch keine Persönlichkeitsrechtsverletzung begründet. Vielmehr sind Kunstfreiheit und eine etwaige Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuwägen.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei dem angegriffenen Werk „Innerstädtischer Tod“ um einen Roman und damit um ein Werk der Literatur handelt, das grundsätzlich den Schutz der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 III GG genießt; dies zweifeln auch die Antragsteller nicht an.

a. Deshalb ist hier zwischen den einschlägigen Grundrechten abzuwägen. Unterfallen inkriminierte Äußerungen, gegen die der Betroffene vorgehen möchte, nicht (lediglich) der Äußerungsfreiheit gemäß Art. 5 I GG, sondern (sogar) der Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit im Sinne des Art. 5 III GG, gelten für die Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen strengere Maßstäbe, da die Kunst- und die Wissenschaftsfreiheit nicht die Schranken des Art. 5 II GG, sondern lediglich verfassungsimmanente Schranken zu beachten haben (Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.1). Allerdings kann dabei keines der betroffenen Grundrechte einen generellen Vorrang beanspruchen, vielmehr zieht auch die Kunstfreiheit ihrerseits dem Persönlichkeitsrecht Grenzen. Das gilt im Verhältnis von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht auch deshalb, weil die Durchsetzung dieses Rechts gegenüber der Kunstfreiheit stärker als andere gegenüber einem Kunstwerk geltend gemachte private Rechte geeignet ist, der künstlerischen Freiheit inhaltliche Grenzen zu setzen, so dass die Gefahr besteht, dass unter Berufung auf das Persönlichkeitsrecht öffentliche Kritik und die Diskussion von für die Öffentlichkeit und Gesellschaft wichtigen Themen unterbunden werden (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.79]). Daher ist auch in diesem Spannungsverhältnis stets eine Abwägung im Einzelfall unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorzunehmen (vgl. Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.1 mit weiteren Nachweisen).

b. Auch die Antragsgegnerin als juristische Person kann sich auf die Kunstfreiheit berufen, obwohl sie nicht eigenschöpferisch an der Entstehung des Romans mitgewirkt hat. Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft neben dem Werkbereich auch den Wirkbereich künstlerischen Schaffens. Art. 5 III 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend. Soweit es zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.63, 65]).

2. Ebenfalls vorab ist zu beachten, dass eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch ein Kunstwerk naturgemäß nur dann in Betracht kommt, wenn der Betroffene in diesem Werk überhaupt erkennbar ist (Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.3). Der Senat hat indes – wie das Landgericht – keinen Zweifel daran, dass die Antragsteller als „Vorbilder“ für die Figuren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ im streitgegenständlichen Roman „Innerstädtischer Tod“ für eine Vielzahl von Lesern zu erkennen sind. Hierfür reichen schon die Tatsachen, dass – wie die Romanfiguren – auch die Antragsteller ihre international sehr erfolgreiche Galerie in einer ehemaligen Kirche in Berlin betreiben und dass wie im Roman gegen die Figur „Konrad Raspe“ auch in der Realität gegen den Antragsteller zu 1) im Jahr 2022 in einem Presseorgan Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe erhoben wurden, die sodann weite Kreise zogen. Hinzu kommt, dass die Romanfiguren dieselben, genau bezeichneten drei Kunstwerke besitzen wie die Antragsteller. Schon diese Merkmale dürften – vor allem in ihrer Kombination – in der Tat allein auf die Antragsteller zutreffen, so dass es auf die weiteren von den Antragstellern angeführten „Identifikationsmerkmale“ für die Frage der Erkennbarkeit nicht entscheidend ankommt. Die Antragsteller haben zudem durch Vorlage entsprechender Berichterstattungen glaubhaft gemacht, dass sie tatsächlich von mindestens zwei Rezensenten des Romans als die realen Vorbilder der genannten Romanfiguren „entschlüsselt“ worden sind (Anl ASt 42 und ASt 43).

3. Zutreffend weist das Landgericht darauf hin, dass deshalb im vorliegenden Fall die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Spannungsverhältnis zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten anzuwenden sind, wie sie in Bezug auf Romanveröffentlichungen insbesondere im Beschluss vom 13.6.2007 (Az. 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra“) weiterentwickelt und konkretisiert worden sind. Danach stellt indes die bloße Erkennbarkeit eines Betroffenen als Vorbild einer fiktiven Figur in einem Roman per se keine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts dar, die einen Unterlassungsanspruch zur Folge hätte (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.74]). Vielmehr bedarf es der Klärung, ob eine Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat. Die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts hängt dabei sowohl davon ab, in welchem Maß der Künstler es dem Leser nahelegt, den Inhalt seines Werks auf wirkliche Personen zu beziehen, wie von der Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, wenn der Leser diesen Bezug herstellt. (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.80f]). Erhebt ein Kunstwerk einen umfassenden Faktizitätsanspruch – beispielsweise bei einem fälschlicherweise als Roman etikettierten bloßen Sachbericht – kommt es nicht zu einer „kunstspezifischen Betrachtung“. In solchen Fällen reicht auch ein „Disclaimer“, wonach Übereinstimmungen mit realen Personen rein zufällig und nicht gewollt seien, nicht für die Annahme eines fiktiven Werkes aus (vgl. Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.10). Bei Kunstwerken, die – ausgesprochen oder unausgesprochen – keinen derartigen umfassenden Faktizitätsanspruch erheben, ist hingegen eine kunstspezifische Betrachtung vorzunehmen. Bestimmte Kunstformen, wie gerade der Roman oder auch das Theaterstück, knüpfen indes typischerweise häufig – wenn nicht gar regelmäßig – an die Realität an, schaffen davon ausgehend aber eine neue ästhetische Wirklichkeit, indem sie z.B. gerade mit einer Verschränkung von Wahrheit und Fiktion spielen (vgl. Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.6; BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.82]).

4. Das hier angegriffene Werk „Innerstädtischer Tod“ erhebt auch nach Ansicht des Senates keinen derartigen, umfassenden Faktizitätsanspruch.

a. In diese gedankliche Richtung wird der Leser bereits durch die Bezeichnung des Werkes als „Roman“ gelenkt. Hinzu kommt, dass dem eigentlichen Romantext folgender „Disclaimer“ vorangestellt ist:

„Dieses Buch ist ein Roman. Als literarisches Werk knüpft es in vielen Passagen an reales Geschehen und an Personen der Zeitgeschichte an. Es verbindet Anklänge an tatsächliche Vorkommnisse mit künstlerisch gestalteten, fiktiven Schilderungen sowie fiktiven Personen. Dies betrifft auch und insbesondere vermeintlich genaue Schilderungen von privaten Begebenheiten oder persönlichen Motiven und Überlegungen. Sie sollen die Motive und Intention der objektivierten Charaktere erhellen und sind deshalb künstlerisch geboten und erforderlich.“

Auch hierdurch wird dem Leser vermittelt, dass der Autor nicht den Anspruch erhebt, ausschließlich Fakten zu schildern, vielmehr erwartet der Rezipient danach ein vor allem literarisches Werk, das lediglich an reale Personen und Begebenheiten anknüpft. Zwar können weder die Bezeichnung eines Werkes als „Roman“ noch derartige Aussagen in einem „Disclaimer“ allein den Ausschlag für eine Einordnung eines Werkes als rein fiktiv geben, maßgeblich ist vielmehr – wie ausgeführt – stets die tatsächliche Gesamtwirkung des in Rede stehenden Werkes auf den Rezipienten. Anhaltspunkte für den Leser, welchen Anspruch ein Werk erhebt, können sich hieraus allerdings sehr wohl ergeben.

b. Tatsächlich und vor allem aber lässt die Gesamtanmutung das Werk „Innerstädtischer Tod“ unmissverständlich als einen Roman, also als ein Werk der Fiktion erscheinen, das lediglich an reale Gegebenheiten und Personen anknüpft.

Zwar ist das Geschehen erkennbar in die reale Welt eingebettet, was sich dem Leser nicht nur durch die exakte zeitliche Einordnung (9. November 2022), sondern vor allem durch die Nennung tatsächlicher Ereignisse, wie den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, und realer politischer Akteure erschließt. Vor diesem Hintergrund breitet der Autor aber ein Geflecht, einen „Reigen“, mehrerer Charaktere aus, die in verschiedener Weise aufeinander bezogen sind und im Laufe der Handlung in unterschiedlichen Konstellationen interagieren. In dieses Geflecht sind auch die Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ einbezogen; die gesamte Handlung bewegt sich kreisend auf die von ihnen organisierte Vernissage des Künstlers „Fabian Kolb“ hin, die der Höhe- und Schlusspunkt des Romans ist. Hierbei wechselt der Roman ständig die Perspektive und schildert nicht nur die Erlebnisse, sondern auch die Gedankenwelt zahlreicher Haupt- und Nebenfiguren, wie die des Künstlers „Fabian Kolb“, seiner in Bezug auf seine Kunstwerke etwas ratlosen Eltern, seines Onkels, des Abgeordneten „Hermann Carius“ von der fiktiven, aber erkennbaren Partei „Neue Rechte“, seines herablassenden Bruders, seiner hin- und hergerissenen Tante, seines Cousins, des zweifelnden Priesters „Martin Carius“, und sogar des Erzbischofs von Berlin. Hierbei wechselt der Autor nicht nur die Perspektive und Weltsicht, sondern auch den Tonfall, zum Teil bis in die Grammatik, um das Innenleben der jeweils im Fokus stehenden Figur für den Leser nachvollziehbar zu machen. Hierdurch werden, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, verschiedene Themen von gesellschaftlicher Relevanz aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, wie die #MeToo-Debatte, die Zunahme nationalistischer Denkweisen in der politischen Debatte, die Rolle des Glaubens in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft, die Mechanismen des Kunstgeschäfts oder auch die eingespielten Rollen bei der öffentlichen Diskussion kontroverser Themen. Diese anspruchsvolle und auffällige Konstruktion des Gesamtwerkes ist für den Leser erkennbar, für den es damit fernliegt, dass es sich bei dem Roman um einen „verkappten“ Tatsachenbericht handeln könne, in dem der Autor eigene Erlebnisse oder wenigstens vor allem tatsächliche Ereignisse beschreibt. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Lauf der Handlung die Ereignisse gerade nicht ausschließlich aus der Sicht eines Ich-Erzählers geschildert werden (wie es im Roman „Esra“ der Fall gewesen war), so dass es für den Leser auch deshalb nicht naheliegt, in den hier angegriffenen Schilderungen, die vor allem der Perspektive der Figur des Künstlers „Fabian Kolb“ entstammen (und als einzige in der Ich-Form verfasst sind), auf eigenen Erfahrungen des Autoren beruhen könnten.

5. Als Werk der Literatur genießt der Roman „Innerstädtischer Tod“ daher uneingeschränkt den Schutz der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 III GG. Diese überwiegt hier die persönlichkeitsrechtlichen Belange der Antragsteller.

a. Bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Grundrechte ist zu beachten, dass ein Kunstwerk eine gegenüber der „realen” Wirklichkeit verselbstständigte „wirklichere Wirklichkeit” anstrebt, in der die reale Wirklichkeit auf der ästhetischen Ebene in einem neuen Verhältnis zum Individuum bewusster erfahren wird. Die Zulässigkeit der künstlerischen Darstellung kann deshalb nicht am Maßstab der Welt der Realität, sondern nur an einem kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab gemessen werden (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.83]). Die Gewährleistung der Kunstfreiheit verlangt, den Leser eines literarischen Werks für mündig zu halten, dieses von einer Meinungsäußerung zu unterscheiden und zwischen der Schilderung tatsächlicher Gegebenheiten und einer fiktiven Erzählung zu differenzieren. Ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, ist daher zunächst einmal als Fiktion anzusehen, das keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Damit streitet eine Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes. Diese Vermutung gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als Urbilder erkennbar sind (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.84]; Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.7).

Diese Vermutung gilt auch hier und ist keineswegs entkräftet. Wie vorstehend ausgeführt versteht der Leser das Gesamtwerk vielmehr gerade als ein fiktives Werk der Literatur. Schon damit liegt eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Antragsteller eher fern, denn der Leser erkennt den fiktionalen Charakter der Handlung; dies gilt auch in Bezug auf solche Figuren, die – wie „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“, aber auch „Hermann Carius“ – reale Vorbilder haben.

b. Hinzu kommt Folgendes: Je stärker der Autor eine Romanfigur von ihrem Urbild löst und zu einer Kunstfigur verselbstständigt („verfremdet”), umso mehr wird ihm eine kunstspezifische Betrachtung zugutekommen. Dabei geht es bei solcher Fiktionalisierung nicht notwendig um die völlige Beseitigung der Erkennbarkeit, sondern darum, dass dem Leser deutlich gemacht wird, dass er nicht von der Faktizität des Erzählten ausgehen soll. (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.85]). Insgesamt besteht zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft, und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts eine Wechselbeziehung. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung die besonders geschützten Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.90]).

Auch dieser Aspekt streitet hier gegen ein Überwiegen der Belange der Antragsteller. Zwar sind die Antragsteller – wie ausgeführt – ohne jeden Zweifel für viele Leser als Vorbilder der Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ erkennbar. Andererseits weist das Landgericht aber zutreffend darauf hin, dass es auch eine ganze Reihe von „Merkmalen“ gibt, in denen die Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ gerade nicht mit den Antragstellern übereinstimmen. So ist der Altersunterschied dieser beiden Romanfiguren (neun Jahre) deutlich größer (und wird im Roman auch mehrfach herausgestellt) als der der Antragsteller (neun Monate). Auch die Tatsache, dass die Antragsteller Eltern zweier gemeinsamer Kinder sind, während die Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ kinderlos sind, bedeutet eine erhebliche Verfremdung. Die tatsächlich erheblich eingeschränkte Sehfähigkeit des Antragstellers zu 1), die für ihn unstreitig von Bedeutung ist, findet sich bei der Figur „Konrad Raspe“ nicht wieder. Das gewichtige „Identifikationsmerkmal Galerie in einer ehemaligen Kirche“ wird dadurch wiederum in nicht geringem Maße „verfremdet“, dass die von den Antragstellern angemietete Kirche im Stil des sog. Brutalismus errichtet wurde, während sich die Galerie der Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ in einem umgebauten Kirchenbau der Gründerzeit befindet (was im Roman ebenfalls mehrfach betont wird), mag sie nach dem Umbau auch zahlreiche Sichtbetonelemente aufweisen.

c. Auch das Gewicht der – möglichen – Eingriffe in persönlichkeitsrechtliche Belange der Antragsteller überwiegt im Rahmen der genannten Wechselbeziehung hier nicht die von der Kunstfreiheit geschützten Belange der Antragsgegnerin.

aa. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) gilt Folgendes:

Zwar kann das Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen auch dadurch verletzt werden, dass in einem Werk Handlungen mit sexuellem Gehalt geschildert oder gezeigt werden. Die realistische und detaillierte Erzählung derartiger Handlungen lebender Personen in einem literarischen Text kann die absolut geschützte Intimsphäre des Betroffenen beeinträchtigen und deshalb unzulässig sein. Eine Beeinträchtigung der Intimsphäre setzt dabei jedenfalls voraus, dass sich durch den Text die naheliegende Frage stellt, ob sich die geschilderten Handlungen als Berichte über tatsächliche Ereignisse begreifen lassen. Dies kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn es sich um eine aus vom Autor unmittelbar Erlebtem stammende, realistische und detaillierte Erzählung entsprechender Geschehnisse und die genaue Schilderung intimster Details einer Frau handele, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar ist (vgl. BVerfG, B. v. 19.12.2007 - 1 BvR 1533/07 - Theaterstück „Ehrensache” GRUR-RR 2008, 206 [Rz.15]; BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.102]). Ebenso kann auch die in einem Werk enthaltenen Darstellung sexueller Übergriffe auf einen Betroffenen, die eine erkennbar deutliche Übereinstimmung zu tatsächlich zu dessen Nachteil begangenen Missbrauchstaten aufweist, für sich genommen ohne Weiteres dem Kernbereich höchstpersönlicher, privater Lebensumstände zuzuordnen sein, der wegen seiner besonderen Nähe zur Menschenwürde absolut geschützt und einer Einschränkung durch Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zugänglich ist (vgl. BGH, U. v. 18.5.2021 - VI ZR 441/19 - GRUR 2021, 1222 [Rz.30] – Die Auserwählten [Odenwaldschule]).

Eine vergleichbare Situation liegt hier aber nicht vor: Zutreffend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass für die Romanfigur „Fabian Kolb“ kein vergleichbar naheliegendes Vorbild in der Realität existiert. Die Antragsteller selbst verweisen dementsprechend darauf, dass die Romanfigur des Künstlers „Fabian Kolb“ (wohl) aus zwei realen Künstlerpersönlichkeiten zusammengestellt sein dürfte. Es erscheint aber durchaus fernliegend, dass eine nennenswerte Zahl von Lesern diese komplizierte Entschlüsselung vornehmen wird. Vielmehr teilt der Senat die Ansicht des Landgerichts, dass diese Figur dem Leser als fiktive Schöpfung des Autoren erscheinen wird. Damit indes liegt es für den Leser auch fern, dass die geschilderte Affäre dieser Figur mit der Romanfigur „Eva-Kristin Raspe“ eine Entsprechung in der Wirklichkeit haben könnte; geschweige denn, dass die Schilderung der intimen Einzelheiten dieser Begegnung zutreffend sein könnte. Auch die Antragsteller behaupten zudem nicht, dass der Autor … … derartige Kenntnisse aus eigenem Erleben oder auch nur aus einer Bekanntschaft mit Personen haben könnte, die den Antragstellern näherstehen; unstreitig beschränken sich seine Verbindungen zu den Antragstellern auf einen Besuch in ihrer Galerie. Der Senat teilt vielmehr die Ansicht des Landgerichts, dass die geschilderte Affäre der Figur „Fabian Kolb“ mit der Figur „Eva-Kristin Raspe“ für den Leser erkennbar den literarischen „Zweck“ hat, die Figur „Fabian Kolb“ in moralische Verwirrung zu stürzen, die auch Auswirkungen auf seine innere Verurteilung der Figur „Konrad Raspe“ als „Täter“ und auf seine eigene Bewertung dessen auswirkt, was als „Missbrauch“ anzusehen sei. Nach allem wird in dem Roman der Anspruch des Autoren deutlich, eine künstlerische Wirklichkeit zu gestalten, so dass für den Zuschauer kein Zweifel daran besteht, dass trotz etlicher Parallelen zum Leben der Antragstellerin zu 2) keine Schilderung einer tatsächlichen Affäre der Antragstellerin zu 2) intendiert war, sondern dass es sich insoweit um eine reine Fiktion handelt.

bb. Hinsichtlich des Antragstellers zu 1) ist Folgendes zu beachten:

Ein Vorrang der persönlichkeitsrechtlichen Belange des Antragstellers zu 1) hinsichtlich aller Themen, die seine berufliche Tätigkeit und/oder gesellschaftliche Stellung betreffen, kommt schon im Ausgangspunkt nicht in Betracht, selbst wenn der Leser – was nach der Ansicht des Senates nicht der Fall ist – annehmen sollte, dass ihm insoweit durchweg Tatsachen geschildert würden. Hierbei handelt es sich um Bereiche, die zu seiner deutlich weniger geschützten Sozialsphäre gehören.

Soweit der Antragsteller zu 1) sich gegen die Schilderung von gegen die Romanfigur „Konrad Raspe“ erhobenen Vorwürfe sexueller Übergriffe wendet, ist festzuhalten, dass diese Vorwürfe im Roman zwar benannt werden, es für den Leser aber letztlich offen bleibt, ob und wieweit sie tatsächlich begründet sind. So erwägen die Romanfiguren, dass es immer wieder auch Frauen gebe, die sich dem Antragsteller zu 1) aufdrängten. Auch wird seine Selbstvergessenheit in bestimmten Situationen reflektiert, die dazu führen könne, dass er Grenzen übersehe. Tatsächlich steht die Frage der Berechtigung dieser Vorwürfe auch nicht im Mittelpunkt des Romans, sondern es werden vor allem die Reaktionen der Umwelt hierauf beschrieben, wie etwa das ausgesprochen gedämpfte Interesse der meisten Pressevertreter im Kontrast zur Empörung der aufgebrachten Demonstranten, die in einem dramatischen Auftritt bei der Ausstellungseröffnung gipfelt. Letztlich bleibt daher für den Leser des Gesamtwerkes durchaus offen, ob der Charakter der Figur „Konrad Raspe“ tatsächlich so verdammenswert ist, wie es bei isolierter Betrachtung in einigen der angegriffenen Passagen anklingt. Auch insoweit wiegen die – unterstellten – Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers zu 1) also keineswegs so schwer, dass dies die für die Antragsgegnerin streitende Kunstfreiheit überwiegen könnte. Im Übrigen greift das Argument des Antragstellers, dass über die damaligen Vorwürfe nicht berichtet werden dürfe, angesichts seiner großen Bekanntheit und des erheblichen öffentlichen Interesses nicht durch.

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BGH: Zur Bemessung des Streitwerts in Facebook-Scraping-Fällen für Ansprüche auf Unterlassung, Zahlung, Auskunft und Feststellung

BGH
Beschluss vom 10.12.2024
VI ZR 7/24


Der BGH hat sich in diesem Beschluss zur Bemessung des Streitwerts in Facebook-Scraping-Fällen für Ansprüche auf Unterlassung, Zahlung, Auskunft und Feststellung geäußert.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Senat hat den Streitwert für das Revisionsverfahren auf die Gebührenstufe bis 4.000 € festgesetzt und die Klageanträge dabei - wie zuvor das Berufungsgericht - wie folgt bemessen: 1.000 € (Zahlungsantrag) + 500 € (Feststellungsantrag) + 1.500 € (Unterlassungsanträge) + 500 € (Auskunftsantrag) = 3.500 €. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wendet sich allein gegen die Wertfestsetzung für die Unterlassungsanträge, die er - wie zuvor das Landgericht - mit insgesamt 5.000 € (2 x 2.500 €) bemessen haben möchte.

Eine Höherfestsetzung des Streitwerts für die Unterlassungsanträge ist nicht veranlasst. Der Streitwert ist nach allgemeinen Regeln unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen (§ 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 GKG, § 3 ZPO). Maßgeblich bei einem Unterlassungsantrag nach - wie im Streitfall geltend gemacht - bereits erfolgter Verletzungshandlung ist das Interesse des Anspruchstellers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, welches maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für den Inhaber des verletzten Rechts bestimmt wird. Allerdings kann auch anderen, von der bereits erfolgten Verletzungshandlung unabhängigen Faktoren - etwa dem Grad der Wahrscheinlichkeit künftiger Zuwiderhandlungen - Rechnung zu tragen sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - I ZR 1/15, NJW 2017, 814 Rn. 33 ff. mwN). Das Gefährdungspotential ist dabei allein mit Blick auf das konkrete Streitverhältnis zu bestimmen. Für generalpräventive Erwägungen ist bei der Bewertung eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs ebenso wenig Raum (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - I ZR 1/15, NJW 2017, 814 Rn. 42 mwN) wie für eine Orientierung an einem etwaigen (Gesamt-)Schaden unter Einbeziehung anderer Betroffener (vgl. Senat, Beschluss vom 30. November 2004 - VI ZR 65/04, juris Rn. 2; OLG Hamm, Urteil vom 15. August 2023 - 7 U 19/23, juris Rn. 277; OLG Frankfurt/M., K&R 2024, 673). Schließlich darf das Gesamtgefüge der Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitgegenstände nicht aus den Augen verloren werden (BGH, Beschluss vom 26. November 2020 - III ZR 124/20, K&R 2021, 127 Rn. 11).

Nach diesen Grundsätzen ist die erfolgte Festsetzung des Wertes der Unterlassungsanträge auf insgesamt 1.500 € (2 x 750 €) sachgerecht (vgl. zu Parallelfällen auch OLG Hamm, Urteil vom 15. August 2023 - 7 U 19/23, juris Rn. 279 ff.; OLG Frankfurt/M., K&R 2024, 673: jeweils insgesamt 1.000 €). Der Kläger selbst hat seinen Zahlungsanspruch auf Ersatz des bereits eingetretenen Schadens auf 1.000 € beziffert. Der Senat hat hierzu in einem weiteren Parallelverfahren näher ausgeführt, dass er auch eine Bemessung in der Größenordnung von 100 € für den bloßen Kontrollverlust von Rechts wegen nicht beanstanden würde (Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, juris Rn. 100). Seinen Antrag auf Feststellung hinsichtlich etwaiger zukünftiger Schäden hat auch der Kläger mit 500 € bewertet; dies erscheint angesichts der absehbaren Schwierigkeiten beim Nachweis der Ursächlichkeit künftiger Schäden auch sachgerecht. Die Verletzungshandlung liegt bereits fünf Jahre zurück, ohne dass es bislang jenseits des bloßen Kontrollverlustes zum Eintritt nachweisbarer Schäden oder einer weiteren Verletzungshandlung gekommen wäre; die Beklagte hat die Suchbarkeitsfunktion in der dem Streitfall inmitten stehenden Ausgestaltung vielmehr zwischenzeitlich deaktiviert. Beide Unterlassungsanträge nehmen ihren Ausgangspunkt in derselben Verletzungshandlung und hängen in der Sache eng zusammen.


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Volltext BGH liegt vor: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes soferm keine wirksame Einwilligung vorlag

BGH
Urteil vom 18.11.2024
VI ZR 10/24
DS-GVO Art. 82 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes sofern keine wirksame Einwilligung vorlag - dann auch Unterlassungsanspruch über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Immaterieller Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO kann auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung sein. Weder muss eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

BGH, Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24 - OLG Köln - LG Bonn

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes sofern keine wirksame Einwilligung vorlag - dann auch Unterlassungsanspruch

BGH
Urteil vom 18.11.2024
VI ZR 10/24


Der BGH hat im Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO entschieden, dass in Facebook-Scraping-Fällen ein Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes in Höhe von 100 EURO angemessen sein dürfte, sofern keine wirksame Einwilligung in die Datenverarbeitung vorlag. Dies hat die Vorinstanz nunmehr zu prüfen. Der BGH hat zudem entschieden, dass dann auch Unterlassungsanspruch und ein Feststellungsinteresse für einen Schadensersatzfeststellungsanspruch besteht.

Die Pressmeiteilung des BGH:
Bundesgerichtshof entscheidet über Ansprüche im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall beim
sozialen Netzwerk Facebook (sog. Scraping)

Sachverhalt:

Die Beklagte betreibt das soziale Netzwerk Facebook. Anfang April 2021 wurden Daten von ca. 533 Millionen Facebook-Nutzern aus 106 Ländern im Internet öffentlich verbreitet. Unbekannte Dritte hatten sich zuvor den Umstand zu Nutze gemacht, dass die Beklagte es in Abhängigkeit von den Suchbarkeits-Einstellungen des jeweiligen Nutzers ermöglicht, dass dessen Facebook-Profil mithilfe seiner Telefonnummer gefunden werden kann. Die unbekannten Dritten ordneten durch die in großem Umfang erfolgte Eingabe randomisierter Ziffernfolgen über die Kontakt-Import-Funktion Telefonnummern den zugehörigen Nutzerkonten zu und griffen die zu diesen Nutzerkonten vorhandenen öffentlichen Daten ab (sog. Scraping).

Von diesem Scraping-Vorfall waren auch Daten des Klägers (Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Arbeitsstätte und Geschlecht) betroffen, die auf diese Weise mit dessen Telefonnummer verknüpft wurden. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um eine Ausnutzung des Kontakt-Tools zu verhindern. Ihm stehe wegen des erlittenen Ärgers und des Kontrollverlusts über seine Daten Ersatz für immaterielle Schäden zu. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm in diesem Zusammenhang auch alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO Schadensersatz in Höhe von 250 € zugesprochen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers insgesamt abgewiesen. Weder reiche der bloße Kontrollverlust zur Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO aus noch habe der Kläger hinreichend substantiiert dargelegt, über den Kontrollverlust als solchen hinaus psychisch beeinträchtigt worden zu sein.

Mit Beschluss vom 31. Oktober hat der Bundesgerichtshof das Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren gemäß § 552b ZPO n.F. bestimmt (Pressemitteilung 206/24). Nachdem die Revision nicht zurückgenommen wurde oder sich anderweitig erledigt hat, hat der Bundesgerichtshof jedoch am 11. November 2024 mündlich zur Sache verhandelt und nach allgemeinen Regeln durch Urteil über die Revision des Klägers entschieden.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision des Klägers war teilweise erfolgreich.

Der Anspruch des Klägers auf Ersatz immateriellen Schadens lässt sich mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht verneinen. Nach der für die Auslegung des Art. 82 Abs. 1 DSGVO maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH kann auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung ein immaterieller Schaden im Sinne der Norm sein. Weder muss insoweit eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

Erfolg hatte die Revision auch, soweit das Berufungsgericht die Anträge des Klägers auf Feststellung einer Ersatzpflicht für zukünftige Schäden, auf Unterlassung der Verwendung seiner Telefonnummer, soweit diese nicht von seiner Einwilligung gedeckt ist, und auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgewiesen hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es nicht an dem notwendigen Feststellungsinteresse des Klägers, da die Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden unter den Umständen des Streitfalles ohne Weiteres besteht. Der genannte Unterlassungsanspruch ist hinreichend bestimmt und dem Kläger fehlt insoweit auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen (weiterer Unterlassungsantrag und Auskunftsantrag) blieb die Revision hingegen ohne Erfolg.

Im Umfang des Erfolges der Revision hat der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Für die weitere Prüfung hat der Bundesgerichtshof das Berufungsgericht zum einen darauf hingewiesen, dass die von der Beklagten vorgenommene Voreinstellung der Suchbarkeitseinstellung auf "alle" nicht dem Grundsatz der Datenminimierung entsprochen haben dürfte, wobei das Berufungsgericht ergänzend die Frage einer wirksamen Einwilligung des Klägers in die Datenverarbeitung durch die Beklagte zu prüfen haben wird. Zum anderen hat der Bundesgerichtshof Hinweise zur Bemessung (§ 287 ZPO) des immateriellen Schadens aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO erteilt und ausgeführt, warum unter den Umständen des Streitfalles von Rechts wegen keine Bedenken dagegen bestünden, den Ausgleich für den bloßen Kontrollverlust in einer Größenordnung von 100 € zu bemessen.

Vorinstanzen:

LG Bonn - Urteil vom 29. März 2023 - 13 O 125/22

OLG Köln - Urteil vom 7. Dezember 2023 - 15 U 67/23

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

Artikel 82 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) - Haftung und Recht auf Schadenersatz

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

(…)



Volltext BGH liegt vor: Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO - Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen

BGH
Beschluss vom 31.10.2024
VI ZR 10/24
ZPO § 552b


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH bestimmt Rechtsstreit um möglichen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Zur Bestimmung eines Leitentscheidungsverfahrens gemäß § 552b ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 328).

BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2024 - VI ZR 10/24 - OLG Köln - LG Bonn

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision wirft Rechtsfragen auf, die für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung sind. Der Senat bestimmt das vorliegende Verfahren daher zum Leitentscheidungsverfahren im Sinne des § 552b ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 328; im Folgenden: § 552b ZPO nF).

1. Die formalen Voraussetzungen zur Bestimmung des vorliegenden Verfahrens zum Leitentscheidungsverfahren liegen vor. Das Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 ist nach seinem Art. 7 am Tag nach der Verkündung, mithin am 31. Oktober 2024 in Kraft getreten. Die Revisionsbegründung des Klägers wurde der Beklagten am 8. April 2024 zugestellt, die Revisionserwiderung der Beklagten ist am 15. Oktober 2024 eingegangen (§ 552b Satz 1 ZPO nF). Eine Anhörung der Parteien im Rahmen der Bestimmung des Verfahrens zum Leitentscheidungsverfahren ist nicht erforderlich (arg e contr. § 148 Abs. 4 ZPO nF; vgl. ferner Allgayer, Stellungnahme als Sachverständiger zum [Regierungs-]Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens bei Bundesgerichtshof, BTRechtsausschuss vom 13. Dezember 2023, S. 4); etwas anderes würde auch die Zielsetzung des Gesetzes unterlaufen, eine zügige höchstrichterliche Klärung trotz der Rücknahme von Revisionen aus prozesstaktischen Gründen oder aufgrund eines Vergleiches zu ermöglichen (vgl. BT-Drs. 20/8762 S. 10).

2. Das Verfahren wirft die folgenden Rechtsfragen auf:

a) Liegt in der Implementierung der sog. Kontakt-Import-Funktion in Verbindung mit der Standardvoreinstellung "alle" ein Verstoß der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO ?

b) Ist der bloße Verlust der Kontrolle über die gescrapten und nunmehr mit der Mobiltelefonnummer des Betroffenen verknüpften Daten geeignet, einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen? Falls ja, wie wäre der Ersatz für einen solchen Schaden zu bemessen ?

c) Welche Anforderungen sind an die Substantiierung einer Schadensersatzklage nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu stellen ?

d) Reicht die bloße Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden in einem Fall wie dem vorliegenden aus, um ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zu begründen?

e) Genügen die vom Kläger gestellten Anträge, dass die Beklagte es unterlasse,

- personenbezogene Daten der Klägerseite unbefugten Dritten über eine Software zum Importieren von Kontakten zugänglich zu machen, ohne die nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen vorzusehen, um die Ausnutzung des Systems für andere Zwecke als der Kontaktaufnahme zu verhindern, und

- die Telefonnummer des Klägers auf Grundlage einer Einwilligung zu verarbeiten, die wegen der unübersichtlichen und unvollständigen Informationen durch die Beklagte erlangt wurde, namentlich ohne eindeutige Informationen darüber, dass die Telefonnummer auch bei Einstellung auf 'privat' noch durch Verwendung des Kontaktimporttools verwendet werden kann, wenn nicht explizit hierfür die Berechtigung verweigert und, im Falle der Nutzung der FacebookMessenger App, hier ebenfalls explizit die Berechtigung verweigert wird,

dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ?

3. Die Entscheidung dieser Rechtsfragen ist für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung (§ 552b Satz 1 ZPO n.F.). Beim erkennenden Senat sind derzeit 25 weitere Revisionsverfahren zu dem Scraping-Vorfall bei der Beklagten anhängig. In den Tatsacheninstanzen sind bei unterschiedlichen Gerichten noch insgesamt mehrere tausend Verfahren anhängig (vgl. OLG Stuttgart, GRUR-RS 2023, 32883 Rn. 136: über 100 eigene und bundesweit mehr als 6.000 Parallelverfahren; OLG Hamm, GRUR-RS 2024, 16856 Rn. 23: Vielzahl eigener Parallelverfahren; OLG Köln, GRUR-RS 2023, 37347 Rn. 29: Vielzahl gleichgelagerter eigener Verfahren).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH bestimmt Rechtsstreit um möglichen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO

BGH
Beschluss vom 31.10.2024
VI ZR 10/24


BGH hat einen Rechtsstreit um möglichen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO bestimmt.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof bestimmt Leitentscheidungsverfahren in dem sog. Scraping-Komplex (Ansprüche im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall beim sozialen Netzwerk Facebook)

Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus der Datenschutz-Grundverordnung zuständige VI. Zivilsenat hat in dem sog. Scraping-Komplex (Pressemitteilung 115/24) das Revisionsverfahren VI ZR 10/24 zum Leitentscheidungsverfahren bestimmt. Nach der durch das Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 328) neu geschaffenen Vorschrift des § 552b ZPO kann der Bundesgerichtshof ein bei ihm anhängiges Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren bestimmen, wenn die Revision Rechtsfragen aufwirft, deren Entscheidung für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist. Mit der Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren ist eine Entscheidung über die Rechtsfragen auch dann zu treffen, wenn eine inhaltliche Entscheidung über die Revision aus prozessualen Gründen nicht mehr ergehen kann. Damit soll eine zügige höchstrichterliche Klärung trotz der Rücknahme von Revisionen aus prozesstaktischen Gründen oder aufgrund eines Vergleichs ermöglicht werden.

Das zum Leitentscheidungsverfahren bestimmte Revisionsverfahren VI ZR 10/24 wirft die Rechtsfragen auf,

ob in der von der Beklagten bei Implementierung der sog. Kontakt-Import-Funktion vorgenommenen Standardvoreinstellung auf "alle" ein Verstoß der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO liegt,

ob der bloße Verlust der Kontrolle über die gescrapten und nunmehr mit der Mobiltelefonnummer des jeweiligen Betroffenen verknüpften Daten geeignet ist, einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen,

wie in einem solchen Fall der Schaden zu bemessen wäre,

welche Anforderungen an die Substantiierung einer Schadensersatzklage nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu stellen sind,

ob die bloße Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden ausreicht, um ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zu begründen,

ob die vom Kläger gestellten Unterlassungsanträge dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügen.

Diese Rechtsfragen sind für eine Vielzahl beim Bundesgerichtshof und in den Tatsacheninstanzen anhängiger, in wesentlichen Teilen gleichgearteter Verfahren von Bedeutung. Diese Verfahren können nunmehr grundsätzlich bis zur Erledigung des Leitentscheidungsverfahrens ausgesetzt werden.

In zwei zunächst zur Verhandlung am 8. Oktober 2024 vorgesehenen Verfahren sind die Revisionen von den Klägern kurzfristig vor dem Termin zurückgenommen worden (Pressemitteilung 190/24). Für den 11. November 2024 ist Termin zur mündlichen Verhandlung in dem nunmehr zum Leitentscheidungsverfahren bestimmten Revisionsverfahren VI ZR 10/24 anberaumt (Pressemitteilung 195/24). In dem weiteren für den 11. November 2024 terminierten Verfahren VI ZR 186/24 ist die Revision zwischenzeitlich ebenfalls zurückgenommen worden.

Vorinstanzen:

LG Bonn - Urteil vom 29. März 2023 - 13 O 125/22

OLG Köln - Urteil vom 7. Dezember 2023 - 15 U 67/23

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 552b ZPO n.F.: Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren

Wirft die Revision Rechtsfragen auf, deren Entscheidung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist, so kann das Revisionsgericht nach Eingang einer Revisionserwiderung oder nach Ablauf eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung das Revisionsverfahren durch Beschluss zum Leitentscheidungsverfahren bestimmen. Der Beschluss enthält eine Darstellung des Sachverhalts und der Rechtsfragen, deren Entscheidung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist.

§ 565 ZPO n.F.: Leitentscheidung

(1) Endet die zum Leitentscheidungsverfahren bestimmte Revision, ohne dass ein mit inhaltlicher Begründung versehenes Urteil ergeht, so trifft das Revisionsgericht durch Beschluss eine Leitentscheidung. Der Beschluss ergeht ohne mündliche Verhandlung.

(2) In dem Beschluss wird

1. festgestellt, dass die Revision beendet ist, und

2. eine Leitentscheidung zu den im Beschluss nach § 552b benannten Rechtsfragen getroffen.

(3) Der Beschluss ist zu begründen. Die Begründung ist auf die Erwägungen zur Entscheidung der maßgeblichen Rechtsfragen zu beschränken.

§ 148 ZPO n.F.: Aussetzung bei Vorgreiflichkeit

(…)

(4) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Rechtsfragen abhängt, die den Gegenstand eines bei dem Revisionsgericht anhängigen Leitentscheidungsverfahrens bilden, nach Anhörung der Parteien anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Leitentscheidungsverfahrens auszusetzen ist. Eine Aussetzung hat zu unterbleiben, wenn eine Partei der Aussetzung widerspricht und gewichtige Gründe hierfür glaubhaft macht. (…)


EuGH: Eine Entschuldigung kann als angemessener Ersatz eines immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO ausreichend sein

EuGH
Urteil vom 04.10.2024
C‑507/23


Der EuGH hat entschieden, dass eine Entschuldigung als angemessener Ersatz eines immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO ausreichend sein kann.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen Bestimmungen dieser Verordnung für sich genommen nicht ausreicht, um einen „Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO darzustellen.

2. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass eine Entschuldigung einen angemessenen Ersatz eines immateriellen Schadens auf der Grundlage dieser Bestimmung darstellen kann, insbesondere, wenn es nicht möglich ist, die Lage vor dem Eintritt des Schadens wiederherzustellen, sofern diese Form des Schadenersatzes geeignet ist, den der betroffenen Person entstandenen Schaden in vollem Umfang auszugleichen.

3. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass er der Möglichkeit entgegensteht, die Haltung und die Beweggründe des Verantwortlichen zu berücksichtigen, um der betroffenen Person gegebenenfalls einen Schadenersatz zu gewähren, der geringer ist als der Schaden, der ihr konkret entstanden ist.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm: Ansprüche aus Art. 82 DSGVO sind keine höchstpersönlichen Ansprüche und können abgetreten werden

OLG Hamm
Urteil vom 24.07.2024
11 U 69/23


Das OLG Hamm hat entschieden, dass Ansprüche aus Art. 82 Abs. 1 und 2 DSGVO keine höchstpersönlichen Ansprüche sind und abgetreten werden können.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Zedenten K. und W. konnten ihre Ansprüche aus Art. 82 Abs. 1, 2 DSGVO auch wirksam an die Klägerin abtreten. Ein Verstoß gegen einen Abtretungsausschluss nach § 399 Var. 1 BGB, wonach insbesondere höchstpersönliche Ansprüche nicht abgetreten werden können, liegt nicht vor.

Zwar wird teilweise die Auffassung vertreten, dass es sich bei einem Anspruch aus Art. 82 Abs.1, 2 DSGVO um einen höchstpersönlichen Anspruch handelt, weil dort die Genugtuung sowie eine Kompensation mittels einer Entschädigung für die Persönlichkeitsrechtsverletzung im Vordergrund stehe, die nur gegenüber der betroffenen Person zur Linderung führen könne (AG Hannover, Urteil vom 9. März 2020 - 531 C 10952/19 -, BeckRS 2019, 43221, Rn. 15,; vgl. zum Meinungsstand Wybitul/Leibold, Risiken für Unternehmen durch neue Rechtsprechung zum DS-GVO-Schadensersatz, ZD 2022, 207, 208). Überwiegend wird dies jedoch abweichend beurteilt. So handele es sich bei Art 82 Abs. 1, 2 DSGVO um einen eigenständigen deliktischen Anspruch, der dem allgemeinen nationalen Haftungsregime des BGB unterliege, was auch für die Übertragbarkeit des Anspruchs gelte (LG Essen, Urteil vom 23. September 2021 - 6 O 190/21 -, ZD 2022, 50, Rn. 36 f.; Quaas in: BeckOK Datenschutzrecht, 48. Ed. 1. Mai 2024, DSGVO Art. 82 Rn. 10 f.). Eine Persönlichkeitsverletzung sei gerade keine Anspruchsvoraussetzung. Art. 82 Abs. 1, 2 DSGVO diene auch der Vermeidung von zukünftigen Verstößen, sodass ihm ein spezialpräventiver Charakter und damit auch eine objektive Aufgabe zukomme. Zudem verfolge die DSGVO das Ziel, einen "vollständigen und wirksamen Schadensersatz" zu gewährleisten, sodass auch die Notwendigkeit der tatsächlichen Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs im Vordergrund stehe. Die Rechtsprechung des BGH zu schweren Persönlichkeitsverletzungen sei auf Art. 82 DSGVO nicht übertragbar (Quaas in: BeckOK Datenschutzrecht, 48. Ed. 1. Mai 2024, DSGVO Art. 82 Rn. 11; vgl. zum Meinungsstand Wybitul/Leibold, a.a.O., ZD 2022, 207, 208). Die Wirksamkeit dieses Schadensersatzes im Sinne von Erwgr. 146 S. 6 DSGVO wäre wesentlich beeinträchtigt, wenn der Anspruch nicht zum Zwecke der Geltendmachung an Dritte übertragen werden könnte (Hellgardt, Die Schadensersatzhaftung für Datenschutzverstöße im System des unionalen Haftungsrechts, ZEuP 2022, 7, 33).

Der Senat schließt sich im Ergebnis der letztgenannten Auffassung an. Nach § 399 Var. 1 BGB ist eine Forderung nicht übertragbar, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Leistung auf höchstpersönlichen Ansprüchen des Berechtigten beruht, die er nur selbst erheben kann, oder wenn ein Gläubigerwechsel zwar rechtlich vorstellbar, das Interesse des leistenden Schuldners an der Beibehaltung einer bestimmten Gläubigerperson aber besonders schutzwürdig ist, oder wenn ohne Veränderung des Leistungsinhalts die dem Gläubiger gebührende Leistung mit seiner Person derart verknüpft ist, dass die Leistung an einen anderen Gläubiger als eine andere Leistung erschiene. In allen diesen drei Fallgruppen ist die Abtretbarkeit ausgeschlossen, weil andernfalls die Identität der abgetretenen Forderung nicht gewahrt bliebe (BGH, Urteil vom 24. März 2011 - IX ZR 180/10 -, Rn. 42, juris).

Ansprüche wegen immaterieller Schäden sind nach der Rechtsprechung des BGH seit dem 1. Juli 1990 uneingeschränkt übertragbar und pfändbar, nachdem durch das Gesetz zur Änderung des BGB und anderer Gesetze vom 14. März 1990 (BGBl. I S. 478) § 847 Abs. 1 S. 2 BGB aF gestrichen wurde (BGH, Beschluss vom 18. Juni 2020 - IX ZB 11/19 -, Rn. 14, juris; vgl. auch BGH, Urteil vom 24. März 2011 - IX ZR 180/10 -, Rn. 33, juris zu Ansprüchen aus Staatshaftung). Ob dies auch für Ansprüche wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts gilt, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden (vgl. BGH Beschluss vom 18. Juni 2020 - IX ZB 11/19 -, Rn. 15, juris), vom BGH in Bezug auf einen Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG jedoch bejaht worden (vgl. BGH Beschluss vom 18. Juni 2020 - IX ZB 11/19 -, Rn. 18 ff., juris).

Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei Art. 82 Abs. 1, 2 DSGVO nicht um einen höchstpersönlichen Anspruch. Anspruchsvoraussetzung ist ein Datenschutzverstoß, durch den der Anspruchsteller persönlich betroffen sein muss. Anders als bei einer Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht steht hier nicht der Genugtuungsgedanke im Vordergrund, sondern es soll der aufgrund eines Verstoßes gegen die DSGVO entstandene Schaden vollständig und wirksam finanziell entschädigt werden, womit eine Ausgleichsfunktion verbunden ist (vgl. auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 - C-667/21 -, Rn. 85, juris). Darüber hinaus erfüllt Art. 82 DSGVO einen weiteren Normzweck, mit dem ihm eine spezial- und auch generalpräventive Aufgabe zukommt, indem er dazu beitragen soll, dass innerhalb der Union ein gleichmäßiges und hohes Schutzniveau von natürlichen Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten gewährleistet (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 - C-300/21 -, NZA 2023, 621, Rn. 48) und ein Anreiz für die Einhaltung der DSGVO geschaffen wird (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 - C-300/21 -, NZA 2023, 621, Rn. 40; EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 - C-667/21 -, Rn. 85, juris). Schließlich enthält Art. 82 DSGVO eine eigenständige Anspruchsgrundlage für einen Ersatzanspruch, sodass die Grundsätze, die für einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gelten, nicht anzuwenden sind. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt; der EuGH hat eine Erheblichkeitsschwelle ausdrücklich verneint (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 - C-300/21 -,NZA 2023, 621, Rn. 43 ff.). Grundsätzlich ist daher jeder Datenschutzverstoß geeignet, einen Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1, 2 DSGVO zu begründen.

Ferner ist ein schutzwürdiges Interesse des Schuldners an der Beibehaltung der Person des Gläubigers nicht erkennbar und die Leistung ist auch nicht dergestalt mit der Person des Gläubigers verknüpft, dass die Leistung an einen anderen Gläubiger als eine andere Leistung erschiene.


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OLG Frankfurt: Bezeichnung einer Transfrau als "Transe" ist ausschließlich abwertend und das Wort ein diskriminierendes Schimpfwort - Unterlassungsanspruch des Betroffenen

OLG Frankfurt
Urteil vom 09.07.2024
16 U 92/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Bezeichnung einer Transfrau als "Transe" ausschließlich abwertend zu verstehen ist und das Wort ein diskriminierendes Schimpfwort darstellt. Daher hat der Betroffene einen Unterlassungsanspruch.

Die Pressmeitteilungd es Gerichts:
Diskriminierung - Wort „Transe“ ist ausschließlich abwertend und ein diskriminierendes Schimpfwort

Eine klagende Transfrau kann u.a. verlangen, nicht als „Transe“ bezeichnet zu werden. Dem Wort kommt ausschließlich eine abwertende Bedeutung zu. Der diskriminierende Verletzungsgehalt steht auf einer Stufe mit dem Schimpfwort „Schwuchtel“. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit gestern verkündeter Entscheidung den vom Landgericht zugesprochenen Unterlassungsanspruch bestätigt.

Die Klägerin ist seit etwa 40 Jahren eine Transfrau. Ihr Geschlechtseintrag lautet „weiblich“. Sie setzt sich gegen Transfeindlichkeit ein und veröffentlicht dazu Beiträge u.a. auf der Plattform X. Der Beklagte betreibt einen Blog. Dort veröffentlichte er einen Artikel mit der Überschrift „Versuchte Abmahnung gegen Ansage: Totalitär tickende Transe zieht den Schwanz ein“.

Hintergrund dieses Artikels war eine vorausgegangene erfolglose Abmahnung des Beklagten durch die Klägerin wegen eines anderen Artikels. Im Rahmen der dortigen anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung hatte die Klägerin nach einem Hinweisbeschluss auf ihre Ansprüche verzichtet. Sie begehrt nun vom Beklagten, es zu unterlassen, in Bezug auf sie die Äußerung „Totalitär tickende Transe zieht den Schwanz ein“ zu tätigen. Das Landgericht hatte dem im Eilverfahren geltend gemachten Unterlassungsanspruch stattgegeben.

Die hiergegen eingelegte Berufung hat nun auch vor dem zuständigen Pressesenat keinen Erfolg. Der Klägerin stehe unter Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen ein Unterlassungsanspruch zu. Es liege eine Meinungsäußerung vor, die zwar nicht die Grenze zur Schmähkritik überschreite. Die angegriffene Äußerung verstehe ein Durchschnittsleser aber als gezielte Herabsetzung der Klägerin. Dem Wort „Transe“ komme nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ausschließlich eine abwertende Bedeutung zu. Es handele sich um ein Schimpfwort, das in hohem Maße verletzend und diskriminierend sei. Durch dieses Schimpfwort erlange „auch die nachgestellte Wendung ‚zieht den Schwanz ein‘ für den Durchschnittsleser eine notwendig sexuelle Konnotation, die gerade im Zusammenhang mit einer als ‚Transfrau‘ bezeichneten Person in besonderem Maße herabsetzend ausfällt“, begründete das OLG weiter. Da der Durchschnittsleser die Möglichkeit in Betracht ziehe, dass die Klägerin ihr männliches Geschlechtsteil habe entfernen lassen, werde sie im Sinne eines Sprachspiels in menschenverachtender Weise ins Lächerliche gezogen, „da nichts eingezogen werden kann, was nicht vorhanden ist“. Diese drastische Herabsetzung werde durch die Formulierung „totalitär tickend“ ein weiteres Mal verschärft.

Die Äußerung könne auch nicht als satirisch eingekleidete Wendung gewertet werden. Denn sie enthalte weder Signale, die auf Satire hindeuteten, noch solche, die sie auch nur ironisch erscheinen ließen.

Das auf Seiten des Beklagten in die Abwägung einzustellende Recht der Meinungsfreiheit überwiege das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht. Auch vor dem Hintergrund der rechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien sei eine derart menschenverachtende Herabwürdigung der Klägerin nicht zu rechtfertigen. Sie trage vielmehr Züge einer „öffentlich ausgetragenen Privatfehde“, bei der der sachliche Kontext weitgehend in den Hintergrund rücke und damit auch ein etwaiges Informationsinteresse des Beklagten. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit impliziere zwar die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit zugleich von Emotionalität und Erregbarkeit, „dies jedoch nur in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung“, unterstreicht der Senat.

Soweit die Klägerin im Vorprozess auf Ansprüche gegen die Äußerung „Totalitär tickende Trans-Furie“ verzichtet habe, stehe dies dem neuerlichen Unterlassungsbegehren der Klägerin nicht entgegen. Es lägen Formulierungen mit „völlig unterschiedliche(m) Bedeutungsgehalt“ vor, weshalb die nun angegriffene Äußerung von dem vorherigen Verzicht nicht erfasst werde.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 9.7.2024, Az. 16 U 92/23
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 6.7.2023, Az.: 2-03 O 204/23

BGH: Recht auf Anerkennung der Urheberschaft nach § 13 Satz 1 UrhG schützt auch vor Bestreiten oder Anmaßung der Urheberschaft allein gegenüber dem Urheber

BGH
Urteil vom 27.06.2024
I ZR 102/23
Der verratene Himmel
UrhG § 13 Satz 1; ZPO § 308 Abs. 1 Satz 1, § 557 Abs. 1


a) Das durch § 13 Satz 1 UrhG geschützte Recht des Urhebers auf Anerkennung seiner Urheberschaft wird auch dann beeinträchtigt, wenn das Bestreiten oder die Anmaßung der Urheberschaft lediglich gegenüber dem Urheber selbst zum Ausdruck gebracht wird.

b) Änderungen des Klageantrags sind im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht möglich (§ 557 Abs. 1 ZPO). Eine aus Gründen der Prozessökonomie ausnahmsweise auch in der Revisionsinstanz in Betracht kommende abschließende Entscheidung über eine Änderung, die nur eine Beschränkung oder Modifikation des früheren Antrags darstellt, setzt voraus, dass auf der Grundlage des festgestellten und unstreitigen Sachverhalts ohne Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Gegners eine abschließende Entscheidung möglich und sachdienlich ist.

BGH, Urteil vom 27. Juni - 2024 - I ZR 102/23 - OLG Bremen LG Bremen

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AG Gelnhausen: Unterlassungsanspruch gegen Nachbarn wegen möglicher Videoüberwachung durch schwenkbare Kamera

AG Gelnhausen
Urteil vom 04.03.2024
52 C 76/24


Das AG Gelnhausen hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch gegen Nachbarn bereits wegen möglicher Videoüberwachung durch eine schwenkbare Kamera besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch auf die im Tenor bezeichneten Maßnahmen aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB.

Unerheblich ist, ob in dem Haus des Verfügungsklägers tatsächlich bereits Mieter wohnen. Unstreitig steht dieses im Eigentum des Verfügungsklägers, so dass der Anspruchsgrund bereits in seiner Person selbst liegt. Unabhängig davon ist das Gericht aufgrund der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Mieter des Verfügungsklägers davon überzeugt, dass jedenfalls seit Mitte Dezember 2023 Mieter in dem Objekt wohnen.

Der Anspruch des Verfügungsklägers ist in einer nicht gerechtfertigten Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet, das über §§ 1004 Abs. 1, 823 BGB zu dem im Tenor bezeichneten Anspruch führt.

Soweit zwischen den Parteien streitig ist, ob die Kamera das Grundstück des Klägers erfassen kann oder nicht, kommt es hierauf entscheidungserheblich nicht an.

Nach ständiger Rechtsprechung ist es erforderlich, für einen Unterlassungsanspruch aber auch ausreichend, dass ein sog. Überwachungsdruck erzeugt wird (vgl. hierzu LG Hamburg ZD 2018, 491; OLG Köln NJW 2017, 835; LG Bonn, NJW-RR 2005, 1067; LG Darmstadt, NZM 2000, 360; AG Winsen/Luhe, Urt. v. 30.12.2005 – 16 C 1642/05, BeckRS 2010, 11190; vgl. weiter für das Nachbarrecht AG Brandenburg, ZD 2016, 380; für das Mietrecht LG Berlin, ZD 2016, 189; für das Wohnungseigentumsrecht AG Bergisch Gladbach, NJW 2015, 3729). Maßstab ist, dass dritte Personen eine Überwachung durch die Kamera ernsthaft objektiv befürchten müssen. Dies ist immer bereits dann erfüllt, wenn die Befürchtung einer Überwachung durch vorhandene Kameras aufgrund konkreter Umstände nachvollziehbar und verständlich erscheint. Dafür ist bereits ausreichend, dass ein angespanntes Nachbarschaftsverhältnis besteht und die Kamera eines mittels nach außen nicht wahrnehmbaren elektronischen Steuerungsmechanismus auf das Grundstück des Nachbarn ausgerichtet werden kann. Es kommt dabei lediglich darauf an, dass die Kamera eine solche Funktion besitzt. Ob sie angewendet wird, ist unerheblich. Ein Überwachungsdruck kann nur dann ausscheiden, wenn der Winkel der Kamera nur mit erheblichem und sichtbarem manuellen Aufwand, also eben nicht durch einen elektronischen Steuerungsmechanismus, auf das Nachbargrundstück gerichtet werden kann (BGH NJW 2010, 1533). Dass die Kamera einen elektronischen Steuerungsmechanismus hat, ist zwischen den Parteien allerdings unstreitig. Im Übrigen konnte der Verfügungskläger durch die zur Akte gereichten Lichtbilder auch hinreichend glaubhaft machen, dass die Kamera sich selbstständig drehen kann und das Grundstück des Verfügungsklägers erfassen kann. So zeigt das Lichtbild Anlage AS 7 eindeutig die Balkonbrüstung des benachbarten Hauses, zudem aber ebenso eindeutig die vollständige Kamera.

Ein überwiegendes Interesse der Verfügungsbeklagten an solchen Videoaufnahmen ist nicht erkennbar. Dass die Verfügungsbeklagte ihr Eigentum schützen will, stellt zwar durchaus ein legitimes Interesse dar. Vorliegend geht dieser Zweck aber mit einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verfügungsklägers einher. In Anbetracht des ohnehin schon deutlich angespannten Nachbarschaftsverhältnisses muss ein Anlass für eine weitere Eskalation verhindert werden. Die Verfügungsbeklagte hat die Möglichkeit, eine Videoaufzeichnung ihres Eigentums anhand der Grundsätze des zitierten Urteils des BGH durchzuführen. Sofern die Videoaufzeichnung aber erfolgt wie in diesem Fall, ist dies unzulässig.

Die Androhung von Zwangsgeld hat ihre Grundlage in § 890 Abs. 2 ZPO. Der Antrag ist auch in der gestellten Form begründet. Der Verfügungsbeklagten kann nicht aufgegeben werden, jegliche Kameraüberwachung ihres Grundstücks in aller Zukunft zu unterlassen, allerdings solche, die geeignet ist, das Grundstück des Verfügungsklägers zu erfassen.


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LG Stralsund: 4.000 EURO Geldentschädigung für Geschädigte wegen Zusendung von Dickpicks und Sexting

LG Stralsund
Urteil vom 06.06.2024
4 O 19/24


Das LG Stralsund hat einer Geschädigten eine Geldentschädigung in Höhe von 4.000 EURO wegen der Zusendung von Dickpicks und Sexting zugesprochen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Urteil über die Folgen von Sexting und den Versand sog. Dickpix

Die 4. Kammer des Landgerichts Stralsund hat unter dem 06.06.2024 ein Urteil erlassen zu den zivilrechtlichen Folgen des ungefragten Versands von Textnachrichten mit pornografischem Inhalt, Fotos eines männlichen Gliedes sowie eines Masturbationsvideos.

Die Klägerin ist durch Auftritte in einer Fernsehserie sowie mehreren Social Media-Auftritten seit längerem einem breiten Publikum bekannt.

Im Frühling 2023 übersandte der zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alte Beklagte der ebenfalls volljährigen Klägerin als Antwort auf verschiedene Instagram-Stories drei Textnachrichten mit dem Wortlaut „Fick mich bby“, „Press dein arsch an mein Schwanz“ und „Zwischen deinen titten Spritzen“. Zwei Monate später übersandte der Beklagte der Klägerin fünf Fotos mit Bildern von einem entblößten Penis in verschiedenen Erektionsstadien.

Weitere zwei Monate später übersandte der Beklagte der Klägerin ein Video mit einer Dauer von etwas über einer Minute, bestehend aus einer Collage von Wiederholungen von Bildnissen der Klägerin, eigenen Penisfotos und einem eigenen Masturbationsvideo. Ein Kontakt zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestand zu keinem Zeitpunkt.

Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage eine Geldentschädigung in Höhe von 10.000,00 €. Durch Urteil des Landgerichtes wurde ihr eine Summe von 4.000,00 € zugesprochen. Das Urteil des Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig.

Weiter wurde gegen den Beklagten aufgrund der Vorfälle bereits im Oktober letzten Jahres durch das Amtsgericht Stralsund ein rechtskräftiger Strafbefehl in Höhe 2.400,00 € erlassen. In einem weiteren Verfahren vor dem Landgericht wurde dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft ein derartiges Verhalten untersagt.

In der Folge hat der Beklagte auch die Gerichtskosten und die Kosten des Anwalts der Klägerin für das jeweilige Verfahren zu zahlen. Das weit verbreitete Verhalten kostete den Beklagten so (nach derzeitigem Stand) mehr als 12.500,00 €.


BGH: Keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Flugzeughalters wenn auf Werbefoto neben dem Produkt das Flugzeug mit Luftfahrzeugkennzeichen zu sehen ist

BGH
Urteil vom 16.05.2024
I ZR 45/23
Luftfahrzeugkennzeichen
GG Art. 19 Abs. 3; BGB § 823 Abs. 1; LuftVZO § 19 Abs. 1, Anlage 1 Abschnitt II Nr. 1 und 2


Der BGH hat entschieden, dass keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Flugzeughalters vorliegt, wenn auf einem Werbefoto neben dem Produkt das Flugzeug mit erkennbarem Luftfahrzeugkennzeichen zu sehen ist.

Leitsatz:
a) Die Entscheidung, ob und in welcher Weise kennzeichnende Merkmale der Persönlichkeit wie das Bildnis, die Stimme oder der Name für Werbezwecke zur Verfügung gestellt werden sollen, ist wesentlicher - vermögenswerter - Bestandteil des Persönlichkeitsrechts natürlicher und juristischer Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) sowie der Personengesellschaften des Handelsrechts. Grundlage einer insoweit in Betracht kommenden deliktsrechtlichen Haftung wegen des Eingriffs in den vermögenswerten Bestandteil des durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung des Rechts am eigenen Namen ist, dass der Name vom als Verletzer in Anspruch Genommenen in einer Weise verwendet wird, die den Werbe- und Imagewert des Namensträgers ausnutzt, indem seine Person beispielsweise als Vorspann für die Anpreisung eines Produkts vermarktet wird oder durch den Gebrauch des Namens zumindest die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das beworbene Produkt gelenkt wird.

b) Für die Prüfung, ob und in welcher Weise ein kennzeichnendes Merkmal der Persönlichkeit wie etwa der Name von Dritten für Werbezwecke verwendet und damit in den vermögenswerten Bestandteil des Persönlichkeitsrechts eingegriffen wird, kommt es darauf an, ob ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Publikums von einer kommerziellen Nutzung ausgeht. Gleiches gilt für die Beurteilung der Frage, ob überhaupt von einem Persönlichkeitsmerkmal Gebrauch gemacht wird. Auch insoweit kommt es darauf an, ob ein nicht unerheblicher Teil des von der Werbung angesprochenen Verkehrs in der beanstandeten Nutzung den Gebrauch eines Persönlichkeitsmerkmals sieht. Die Beurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (Fortführung von BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 - I ZR 2/21, GRUR 2022, 665 [juris Rn. 13 und 17] = WRP 2022, 601 - Tina Turner; Urteil vom 28. Juli 2022 - I ZR 171/21, GRUR 2022, 1694 [juris Rn. 21 und 23] = WRP 2022, 1513 - Reizdarmsyndrom).

c) Die nach der Lebenserfahrung fernliegende Möglichkeit, dass Betrachter eines Werbefotos, auf dem neben dem beworbenen Produkt (hier: ein PKW-Modell) ein Flugzeug zu sehen ist, durch eine Internetrecherche anhand der auf dem Foto sichtbaren, für sich genommen nicht als namensmäßig erkannten Buchstabenfolge (hier: das auf dem Leitwerk des Flugzeugs abgebildete gesetzlich vorgeschriebene Luftfahrzeugkennzeichen) die Identität des Halters des Flugzeugs ermitteln könnten, stellt keine dem Werbenden zuzurechnende Verwendung des Namens des Halters dar.

BGH, Urteil vom 16. Mai 2024 - I ZR 45/23 - OLG Hamm LG Bielefeld

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LG Lüneburg: 500 Euro Schadensersatz aus Art . 82 DSGVO wegen Zusendung von Werbemails nach Widerruf der Einwilligung

LG Lüneburg
Urteil vom 07.12.2023
5 O 6/23


Das LG Lüneburg hat dem Betroffenen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Höhe von 500 EURO wegen der Zusendung von Werbemails nach mehrmaligen Widerruf der Einwilligung zu Zusendung von Werbung zugesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Dem Kläger steht gem. Art. 82 DS-GVO ein Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens zu, den die Kammer wie tenoriert bemisst.

Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen, also diejenige natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet (vgl. Art. 4 Nr. 7 DSGVO).

2. Die Beklagte hat gegen Bestimmungen der DS-GVO verstoßen, indem sie dem Kläger Werbeemails zugeschickt hat, ohne dass dies nach Art. 6 Abs.1 DS-GVO gerechtfertigt war. Der Kläger hatte seine zunächst erteilte Einwilligung zu dem Erhalt von Werbeemails zuvor unbestritten widerrufen. Die Beklagte konnte folglich keinen rechtfertigenden Tatbestand gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a DS-GVO mehr für den Versand der streitgegenständlichen Werbeemails darlegen.

3. Die Verstöße haben nach dem - insoweit auch unwidersprochen gebliebenen und damit zugestandenen (§ 138 Abs.3 ZPO) Vorbringen des Klägers - kausal zu einem immateriellen Schaden geführt. Der Begriff des immateriellen Schadens ist unionsrechtlich autonom und in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen (EuGH, Urt. 4.5.2023 - C-300/21).

Dabei muss der Schaden des Klägers nicht eine gewisse Erheblichkeit erreicht haben. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, die den Ersatz eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung davon abhängig macht, dass der der betroffenen Person entstandene Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat (EuGH, Urt. 4.5.2023 - C-300/21).

Wenngleich der immaterielle Schaden nach Erwägungsgrund 146 zur DS-GVO tatsächlich entstanden sein muss und nicht lediglich befürchtet werden darf, ist nach Erwägungsgrund 146 S. 3 zur DS-GVO der Schadensbegriff weit auszulegen. Der EuGH verlangt unter Bezugnahme auf den Effektivitätsgrundsatz, dass Schadensersatzforderungen abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv machen sollen (so bereits EuGH 10.4.1984 - 14/83, NJW 1984, 2021 (2022).

Als immaterieller Schaden kommen Ängste, Stress, Komfort- und Zeiteinbußen in Betracht (Bergt in Kühling/Buchner/Bergt, 4. Aufl. 2024, DS-GVO Art.82 Rn. 18b).

Hier hat der Kläger unbestritten viermal gegenüber der Beklagten erklärt, dass er keine weiteren Werbeemails wünscht. Zweimal ließ der Kläger dies sogar von seinem bevollmächtigten Rechtsanwalt erklären. Dennoch hat die Beklagte dem Kläger weiterhin Werbeemails geschickt. Der bei dem Kläger dadurch verursache Ärger, Zeitverlust und Eindruck des Kontrollverlusts stellt einen Schaden im Sinne der Norm dar. Die negativen Auswirkungen des Verstoßes gegen die DS-GVO liegen darin, dass sich der Kläger mit der Abwehr der von ihm unerwünschten Werbung auseinandersetzen musste. Dies sogar mehrfach, da die Beklagte seinen Widerruf der Einwilligung mehrfach missachtete. Der Umstand, dass sogar der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte zweimal erfolglos zum Unterlassen aufforderte, ist geeignet bei dem Kläger den belastenden Eindruck der Hilflosigkeit und des Kontrollverlustes in Bezug auf seine Datenverarbeitung zu führen.

4. Die Frage, ob Art. 82 DS-GVO eine vom Verschulden abhängige oder unabhängige Anspruchsgrundlage darstellt, kann dahinstehen. Denn vorliegend ist nichts vorgetragen oder ersichtlich, was gegen ein Verschulden der Beklagten spricht.

5. Bei der Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes, die der Kläger in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, sind gem. § 287 Abs.1 S. 1 ZPO alle Umstände des Einzelfalls würdigen, insbesondere Art, Intensität und Dauer der erlittenen Rechtsverletzung. Auch bei der Höhe des Schadens ist der Effektivitätsgrundsatz zu berücksichtigen.

Das Amtsgericht Pfaffenhofen (AG Pfaffenhofen, Endurteil v. 09.09.2021 - 2 C 133/21) entschied in einem ähnlichen Fall:

"Die Höhe des Anspruchs ist dabei nicht willkürlich, sondern auf der Grundlage der inhaltlichen Schwere und Dauer der Rechtsverletzung zu beurteilen, unter Berücksichtigung des Kontexts, der Umstände eines Verstoßes. Genugtuungs- und Vorbeugungsfunktion können bei der Bezifferung eine Rolle spielen. Einerseits darf die Höhe des Schadensersatzes keine Strafwirkung entfalten. Andererseits reicht ein künstlich niedrig bezifferter Betrag mit symbolischer Wirkung nicht aus, um die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen (vgl. Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 12a)."

Dabei sprach das AG Pfaffenhofen dem Kläger 300,00 Euro für eine unerwünscht erhaltene Werbeemail zu, wobei in dem dortigen Fall die Beklagte die Emailadresse des Klägers gänzlich ohne dessen Einwilligung erhalten hatte.

Das AG Diez (Urteil vom 17.04.2018 - 7 O 6829/17) erachtete in dem Fall eines Versandes einer Werbeemail, mit welcher die Beklagte am 25.5.2018, als die DS-GVO Gültigkeit erlangte, eben aus diesem Grund und unter Bezugnahme hierauf nach einer Einwilligung zum Newsletter-Bezug anfragte, einen Schadensersatzanspruch als unbegründet.

In einem ähnlichen Fall lehnte das AG Goslar (Urteil vom 27.09.2019 - 28 C 7/19) einen Schadensersatzanspruch ab, da es sich auch in dem dortigen Fall um lediglich eine Werbeemail handelte: "Für das Gericht ist aufgrund des Vortrags des Klägers ein Schaden indes nicht ersichtlich. Es handelte sich lediglich um eine einzige Werbe-E-Mail, die nicht zur Unzeit versandt wurde und aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes deutlich zeigt, dass es sich um Werbung handelt, so dass ein längeres Befassen mit der E-Mail nicht notwendig war."

Im Interesse einer effektiven Abschreckung und einer Kompensierung des erlittenen Schadens ist das Verhalten der Beklagten in Form der mehrfachen Missachtung des ausdrücklich erklärten Willens des Klägers als schadensersatzerhöhend zu berücksichtigen. Schadensersatzerhöhend ist ebenfalls die Häufigkeit des Verstoßes zu berücksichtigen. In dem vorliegenden Fall hat der Kläger in einem Zeitraum von knapp vier Monaten insgesamt dreizehn Werbeemails von der Beklagten erhalten. Er erhielt dabei jeweils 4 bzw. 5 Werbeemails in kurzer Zeitabfolge, teilweise fast täglich.

Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass die Auswirkungen des Verstoßes gegen die DS-GVO den Wirkungsbereich des Klägers nicht verlassen haben. Es wurde durch den Verstoß kein Bereich berührt, der etwa die Beziehung des Klägers zu Dritten berührt.

Das Gericht erachtet vorliegend im Ergebnis eine Entschädigung von 500,00 EUR für angemessen.


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