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OLG Frankfurt: Bezeichnung einer Transfrau als "Transe" ist ausschließlich abwertend und das Wort ein diskriminierendes Schimpfwort - Unterlassungsanspruch des Betroffenen

OLG Frankfurt
Urteil vom 09.07.2024
16 U 92/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Bezeichnung einer Transfrau als "Transe" ausschließlich abwertend zu verstehen ist und das Wort ein diskriminierendes Schimpfwort darstellt. Daher hat der Betroffene einen Unterlassungsanspruch.

Die Pressmeitteilungd es Gerichts:
Diskriminierung - Wort „Transe“ ist ausschließlich abwertend und ein diskriminierendes Schimpfwort

Eine klagende Transfrau kann u.a. verlangen, nicht als „Transe“ bezeichnet zu werden. Dem Wort kommt ausschließlich eine abwertende Bedeutung zu. Der diskriminierende Verletzungsgehalt steht auf einer Stufe mit dem Schimpfwort „Schwuchtel“. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit gestern verkündeter Entscheidung den vom Landgericht zugesprochenen Unterlassungsanspruch bestätigt.

Die Klägerin ist seit etwa 40 Jahren eine Transfrau. Ihr Geschlechtseintrag lautet „weiblich“. Sie setzt sich gegen Transfeindlichkeit ein und veröffentlicht dazu Beiträge u.a. auf der Plattform X. Der Beklagte betreibt einen Blog. Dort veröffentlichte er einen Artikel mit der Überschrift „Versuchte Abmahnung gegen Ansage: Totalitär tickende Transe zieht den Schwanz ein“.

Hintergrund dieses Artikels war eine vorausgegangene erfolglose Abmahnung des Beklagten durch die Klägerin wegen eines anderen Artikels. Im Rahmen der dortigen anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung hatte die Klägerin nach einem Hinweisbeschluss auf ihre Ansprüche verzichtet. Sie begehrt nun vom Beklagten, es zu unterlassen, in Bezug auf sie die Äußerung „Totalitär tickende Transe zieht den Schwanz ein“ zu tätigen. Das Landgericht hatte dem im Eilverfahren geltend gemachten Unterlassungsanspruch stattgegeben.

Die hiergegen eingelegte Berufung hat nun auch vor dem zuständigen Pressesenat keinen Erfolg. Der Klägerin stehe unter Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen ein Unterlassungsanspruch zu. Es liege eine Meinungsäußerung vor, die zwar nicht die Grenze zur Schmähkritik überschreite. Die angegriffene Äußerung verstehe ein Durchschnittsleser aber als gezielte Herabsetzung der Klägerin. Dem Wort „Transe“ komme nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ausschließlich eine abwertende Bedeutung zu. Es handele sich um ein Schimpfwort, das in hohem Maße verletzend und diskriminierend sei. Durch dieses Schimpfwort erlange „auch die nachgestellte Wendung ‚zieht den Schwanz ein‘ für den Durchschnittsleser eine notwendig sexuelle Konnotation, die gerade im Zusammenhang mit einer als ‚Transfrau‘ bezeichneten Person in besonderem Maße herabsetzend ausfällt“, begründete das OLG weiter. Da der Durchschnittsleser die Möglichkeit in Betracht ziehe, dass die Klägerin ihr männliches Geschlechtsteil habe entfernen lassen, werde sie im Sinne eines Sprachspiels in menschenverachtender Weise ins Lächerliche gezogen, „da nichts eingezogen werden kann, was nicht vorhanden ist“. Diese drastische Herabsetzung werde durch die Formulierung „totalitär tickend“ ein weiteres Mal verschärft.

Die Äußerung könne auch nicht als satirisch eingekleidete Wendung gewertet werden. Denn sie enthalte weder Signale, die auf Satire hindeuteten, noch solche, die sie auch nur ironisch erscheinen ließen.

Das auf Seiten des Beklagten in die Abwägung einzustellende Recht der Meinungsfreiheit überwiege das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht. Auch vor dem Hintergrund der rechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien sei eine derart menschenverachtende Herabwürdigung der Klägerin nicht zu rechtfertigen. Sie trage vielmehr Züge einer „öffentlich ausgetragenen Privatfehde“, bei der der sachliche Kontext weitgehend in den Hintergrund rücke und damit auch ein etwaiges Informationsinteresse des Beklagten. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit impliziere zwar die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit zugleich von Emotionalität und Erregbarkeit, „dies jedoch nur in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung“, unterstreicht der Senat.

Soweit die Klägerin im Vorprozess auf Ansprüche gegen die Äußerung „Totalitär tickende Trans-Furie“ verzichtet habe, stehe dies dem neuerlichen Unterlassungsbegehren der Klägerin nicht entgegen. Es lägen Formulierungen mit „völlig unterschiedliche(m) Bedeutungsgehalt“ vor, weshalb die nun angegriffene Äußerung von dem vorherigen Verzicht nicht erfasst werde.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 9.7.2024, Az. 16 U 92/23
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 6.7.2023, Az.: 2-03 O 204/23

BGH: Recht auf Anerkennung der Urheberschaft nach § 13 Satz 1 UrhG schützt auch vor Bestreiten oder Anmaßung der Urheberschaft allein gegenüber dem Urheber

BGH
Urteil vom 27.06.2024
I ZR 102/23
Der verratene Himmel
UrhG § 13 Satz 1; ZPO § 308 Abs. 1 Satz 1, § 557 Abs. 1


a) Das durch § 13 Satz 1 UrhG geschützte Recht des Urhebers auf Anerkennung seiner Urheberschaft wird auch dann beeinträchtigt, wenn das Bestreiten oder die Anmaßung der Urheberschaft lediglich gegenüber dem Urheber selbst zum Ausdruck gebracht wird.

b) Änderungen des Klageantrags sind im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht möglich (§ 557 Abs. 1 ZPO). Eine aus Gründen der Prozessökonomie ausnahmsweise auch in der Revisionsinstanz in Betracht kommende abschließende Entscheidung über eine Änderung, die nur eine Beschränkung oder Modifikation des früheren Antrags darstellt, setzt voraus, dass auf der Grundlage des festgestellten und unstreitigen Sachverhalts ohne Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Gegners eine abschließende Entscheidung möglich und sachdienlich ist.

BGH, Urteil vom 27. Juni - 2024 - I ZR 102/23 - OLG Bremen LG Bremen

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

AG Gelnhausen: Unterlassungsanspruch gegen Nachbarn wegen möglicher Videoüberwachung durch schwenkbare Kamera

AG Gelnhausen
Urteil vom 04.03.2024
52 C 76/24


Das AG Gelnhausen hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch gegen Nachbarn bereits wegen möglicher Videoüberwachung durch eine schwenkbare Kamera besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch auf die im Tenor bezeichneten Maßnahmen aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB.

Unerheblich ist, ob in dem Haus des Verfügungsklägers tatsächlich bereits Mieter wohnen. Unstreitig steht dieses im Eigentum des Verfügungsklägers, so dass der Anspruchsgrund bereits in seiner Person selbst liegt. Unabhängig davon ist das Gericht aufgrund der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Mieter des Verfügungsklägers davon überzeugt, dass jedenfalls seit Mitte Dezember 2023 Mieter in dem Objekt wohnen.

Der Anspruch des Verfügungsklägers ist in einer nicht gerechtfertigten Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet, das über §§ 1004 Abs. 1, 823 BGB zu dem im Tenor bezeichneten Anspruch führt.

Soweit zwischen den Parteien streitig ist, ob die Kamera das Grundstück des Klägers erfassen kann oder nicht, kommt es hierauf entscheidungserheblich nicht an.

Nach ständiger Rechtsprechung ist es erforderlich, für einen Unterlassungsanspruch aber auch ausreichend, dass ein sog. Überwachungsdruck erzeugt wird (vgl. hierzu LG Hamburg ZD 2018, 491; OLG Köln NJW 2017, 835; LG Bonn, NJW-RR 2005, 1067; LG Darmstadt, NZM 2000, 360; AG Winsen/Luhe, Urt. v. 30.12.2005 – 16 C 1642/05, BeckRS 2010, 11190; vgl. weiter für das Nachbarrecht AG Brandenburg, ZD 2016, 380; für das Mietrecht LG Berlin, ZD 2016, 189; für das Wohnungseigentumsrecht AG Bergisch Gladbach, NJW 2015, 3729). Maßstab ist, dass dritte Personen eine Überwachung durch die Kamera ernsthaft objektiv befürchten müssen. Dies ist immer bereits dann erfüllt, wenn die Befürchtung einer Überwachung durch vorhandene Kameras aufgrund konkreter Umstände nachvollziehbar und verständlich erscheint. Dafür ist bereits ausreichend, dass ein angespanntes Nachbarschaftsverhältnis besteht und die Kamera eines mittels nach außen nicht wahrnehmbaren elektronischen Steuerungsmechanismus auf das Grundstück des Nachbarn ausgerichtet werden kann. Es kommt dabei lediglich darauf an, dass die Kamera eine solche Funktion besitzt. Ob sie angewendet wird, ist unerheblich. Ein Überwachungsdruck kann nur dann ausscheiden, wenn der Winkel der Kamera nur mit erheblichem und sichtbarem manuellen Aufwand, also eben nicht durch einen elektronischen Steuerungsmechanismus, auf das Nachbargrundstück gerichtet werden kann (BGH NJW 2010, 1533). Dass die Kamera einen elektronischen Steuerungsmechanismus hat, ist zwischen den Parteien allerdings unstreitig. Im Übrigen konnte der Verfügungskläger durch die zur Akte gereichten Lichtbilder auch hinreichend glaubhaft machen, dass die Kamera sich selbstständig drehen kann und das Grundstück des Verfügungsklägers erfassen kann. So zeigt das Lichtbild Anlage AS 7 eindeutig die Balkonbrüstung des benachbarten Hauses, zudem aber ebenso eindeutig die vollständige Kamera.

Ein überwiegendes Interesse der Verfügungsbeklagten an solchen Videoaufnahmen ist nicht erkennbar. Dass die Verfügungsbeklagte ihr Eigentum schützen will, stellt zwar durchaus ein legitimes Interesse dar. Vorliegend geht dieser Zweck aber mit einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verfügungsklägers einher. In Anbetracht des ohnehin schon deutlich angespannten Nachbarschaftsverhältnisses muss ein Anlass für eine weitere Eskalation verhindert werden. Die Verfügungsbeklagte hat die Möglichkeit, eine Videoaufzeichnung ihres Eigentums anhand der Grundsätze des zitierten Urteils des BGH durchzuführen. Sofern die Videoaufzeichnung aber erfolgt wie in diesem Fall, ist dies unzulässig.

Die Androhung von Zwangsgeld hat ihre Grundlage in § 890 Abs. 2 ZPO. Der Antrag ist auch in der gestellten Form begründet. Der Verfügungsbeklagten kann nicht aufgegeben werden, jegliche Kameraüberwachung ihres Grundstücks in aller Zukunft zu unterlassen, allerdings solche, die geeignet ist, das Grundstück des Verfügungsklägers zu erfassen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Stralsund: 4.000 EURO Geldentschädigung für Geschädigte wegen Zusendung von Dickpicks und Sexting

LG Stralsund
Urteil vom 06.06.2024
4 O 19/24


Das LG Stralsund hat einer Geschädigten eine Geldentschädigung in Höhe von 4.000 EURO wegen der Zusendung von Dickpicks und Sexting zugesprochen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Urteil über die Folgen von Sexting und den Versand sog. Dickpix

Die 4. Kammer des Landgerichts Stralsund hat unter dem 06.06.2024 ein Urteil erlassen zu den zivilrechtlichen Folgen des ungefragten Versands von Textnachrichten mit pornografischem Inhalt, Fotos eines männlichen Gliedes sowie eines Masturbationsvideos.

Die Klägerin ist durch Auftritte in einer Fernsehserie sowie mehreren Social Media-Auftritten seit längerem einem breiten Publikum bekannt.

Im Frühling 2023 übersandte der zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alte Beklagte der ebenfalls volljährigen Klägerin als Antwort auf verschiedene Instagram-Stories drei Textnachrichten mit dem Wortlaut „Fick mich bby“, „Press dein arsch an mein Schwanz“ und „Zwischen deinen titten Spritzen“. Zwei Monate später übersandte der Beklagte der Klägerin fünf Fotos mit Bildern von einem entblößten Penis in verschiedenen Erektionsstadien.

Weitere zwei Monate später übersandte der Beklagte der Klägerin ein Video mit einer Dauer von etwas über einer Minute, bestehend aus einer Collage von Wiederholungen von Bildnissen der Klägerin, eigenen Penisfotos und einem eigenen Masturbationsvideo. Ein Kontakt zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestand zu keinem Zeitpunkt.

Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage eine Geldentschädigung in Höhe von 10.000,00 €. Durch Urteil des Landgerichtes wurde ihr eine Summe von 4.000,00 € zugesprochen. Das Urteil des Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig.

Weiter wurde gegen den Beklagten aufgrund der Vorfälle bereits im Oktober letzten Jahres durch das Amtsgericht Stralsund ein rechtskräftiger Strafbefehl in Höhe 2.400,00 € erlassen. In einem weiteren Verfahren vor dem Landgericht wurde dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft ein derartiges Verhalten untersagt.

In der Folge hat der Beklagte auch die Gerichtskosten und die Kosten des Anwalts der Klägerin für das jeweilige Verfahren zu zahlen. Das weit verbreitete Verhalten kostete den Beklagten so (nach derzeitigem Stand) mehr als 12.500,00 €.


BGH: Keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Flugzeughalters wenn auf Werbefoto neben dem Produkt das Flugzeug mit Luftfahrzeugkennzeichen zu sehen ist

BGH
Urteil vom 16.05.2024
I ZR 45/23
Luftfahrzeugkennzeichen
GG Art. 19 Abs. 3; BGB § 823 Abs. 1; LuftVZO § 19 Abs. 1, Anlage 1 Abschnitt II Nr. 1 und 2


Der BGH hat entschieden, dass keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Flugzeughalters vorliegt, wenn auf einem Werbefoto neben dem Produkt das Flugzeug mit erkennbarem Luftfahrzeugkennzeichen zu sehen ist.

Leitsatz:
a) Die Entscheidung, ob und in welcher Weise kennzeichnende Merkmale der Persönlichkeit wie das Bildnis, die Stimme oder der Name für Werbezwecke zur Verfügung gestellt werden sollen, ist wesentlicher - vermögenswerter - Bestandteil des Persönlichkeitsrechts natürlicher und juristischer Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) sowie der Personengesellschaften des Handelsrechts. Grundlage einer insoweit in Betracht kommenden deliktsrechtlichen Haftung wegen des Eingriffs in den vermögenswerten Bestandteil des durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung des Rechts am eigenen Namen ist, dass der Name vom als Verletzer in Anspruch Genommenen in einer Weise verwendet wird, die den Werbe- und Imagewert des Namensträgers ausnutzt, indem seine Person beispielsweise als Vorspann für die Anpreisung eines Produkts vermarktet wird oder durch den Gebrauch des Namens zumindest die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das beworbene Produkt gelenkt wird.

b) Für die Prüfung, ob und in welcher Weise ein kennzeichnendes Merkmal der Persönlichkeit wie etwa der Name von Dritten für Werbezwecke verwendet und damit in den vermögenswerten Bestandteil des Persönlichkeitsrechts eingegriffen wird, kommt es darauf an, ob ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Publikums von einer kommerziellen Nutzung ausgeht. Gleiches gilt für die Beurteilung der Frage, ob überhaupt von einem Persönlichkeitsmerkmal Gebrauch gemacht wird. Auch insoweit kommt es darauf an, ob ein nicht unerheblicher Teil des von der Werbung angesprochenen Verkehrs in der beanstandeten Nutzung den Gebrauch eines Persönlichkeitsmerkmals sieht. Die Beurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (Fortführung von BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 - I ZR 2/21, GRUR 2022, 665 [juris Rn. 13 und 17] = WRP 2022, 601 - Tina Turner; Urteil vom 28. Juli 2022 - I ZR 171/21, GRUR 2022, 1694 [juris Rn. 21 und 23] = WRP 2022, 1513 - Reizdarmsyndrom).

c) Die nach der Lebenserfahrung fernliegende Möglichkeit, dass Betrachter eines Werbefotos, auf dem neben dem beworbenen Produkt (hier: ein PKW-Modell) ein Flugzeug zu sehen ist, durch eine Internetrecherche anhand der auf dem Foto sichtbaren, für sich genommen nicht als namensmäßig erkannten Buchstabenfolge (hier: das auf dem Leitwerk des Flugzeugs abgebildete gesetzlich vorgeschriebene Luftfahrzeugkennzeichen) die Identität des Halters des Flugzeugs ermitteln könnten, stellt keine dem Werbenden zuzurechnende Verwendung des Namens des Halters dar.

BGH, Urteil vom 16. Mai 2024 - I ZR 45/23 - OLG Hamm LG Bielefeld

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Lüneburg: 500 Euro Schadensersatz aus Art . 82 DSGVO wegen Zusendung von Werbemails nach Widerruf der Einwilligung

LG Lüneburg
Urteil vom 07.12.2023
5 O 6/23


Das LG Lüneburg hat dem Betroffenen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Höhe von 500 EURO wegen der Zusendung von Werbemails nach mehrmaligen Widerruf der Einwilligung zu Zusendung von Werbung zugesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Dem Kläger steht gem. Art. 82 DS-GVO ein Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens zu, den die Kammer wie tenoriert bemisst.

Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen, also diejenige natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet (vgl. Art. 4 Nr. 7 DSGVO).

2. Die Beklagte hat gegen Bestimmungen der DS-GVO verstoßen, indem sie dem Kläger Werbeemails zugeschickt hat, ohne dass dies nach Art. 6 Abs.1 DS-GVO gerechtfertigt war. Der Kläger hatte seine zunächst erteilte Einwilligung zu dem Erhalt von Werbeemails zuvor unbestritten widerrufen. Die Beklagte konnte folglich keinen rechtfertigenden Tatbestand gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a DS-GVO mehr für den Versand der streitgegenständlichen Werbeemails darlegen.

3. Die Verstöße haben nach dem - insoweit auch unwidersprochen gebliebenen und damit zugestandenen (§ 138 Abs.3 ZPO) Vorbringen des Klägers - kausal zu einem immateriellen Schaden geführt. Der Begriff des immateriellen Schadens ist unionsrechtlich autonom und in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen (EuGH, Urt. 4.5.2023 - C-300/21).

Dabei muss der Schaden des Klägers nicht eine gewisse Erheblichkeit erreicht haben. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, die den Ersatz eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung davon abhängig macht, dass der der betroffenen Person entstandene Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat (EuGH, Urt. 4.5.2023 - C-300/21).

Wenngleich der immaterielle Schaden nach Erwägungsgrund 146 zur DS-GVO tatsächlich entstanden sein muss und nicht lediglich befürchtet werden darf, ist nach Erwägungsgrund 146 S. 3 zur DS-GVO der Schadensbegriff weit auszulegen. Der EuGH verlangt unter Bezugnahme auf den Effektivitätsgrundsatz, dass Schadensersatzforderungen abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv machen sollen (so bereits EuGH 10.4.1984 - 14/83, NJW 1984, 2021 (2022).

Als immaterieller Schaden kommen Ängste, Stress, Komfort- und Zeiteinbußen in Betracht (Bergt in Kühling/Buchner/Bergt, 4. Aufl. 2024, DS-GVO Art.82 Rn. 18b).

Hier hat der Kläger unbestritten viermal gegenüber der Beklagten erklärt, dass er keine weiteren Werbeemails wünscht. Zweimal ließ der Kläger dies sogar von seinem bevollmächtigten Rechtsanwalt erklären. Dennoch hat die Beklagte dem Kläger weiterhin Werbeemails geschickt. Der bei dem Kläger dadurch verursache Ärger, Zeitverlust und Eindruck des Kontrollverlusts stellt einen Schaden im Sinne der Norm dar. Die negativen Auswirkungen des Verstoßes gegen die DS-GVO liegen darin, dass sich der Kläger mit der Abwehr der von ihm unerwünschten Werbung auseinandersetzen musste. Dies sogar mehrfach, da die Beklagte seinen Widerruf der Einwilligung mehrfach missachtete. Der Umstand, dass sogar der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte zweimal erfolglos zum Unterlassen aufforderte, ist geeignet bei dem Kläger den belastenden Eindruck der Hilflosigkeit und des Kontrollverlustes in Bezug auf seine Datenverarbeitung zu führen.

4. Die Frage, ob Art. 82 DS-GVO eine vom Verschulden abhängige oder unabhängige Anspruchsgrundlage darstellt, kann dahinstehen. Denn vorliegend ist nichts vorgetragen oder ersichtlich, was gegen ein Verschulden der Beklagten spricht.

5. Bei der Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes, die der Kläger in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, sind gem. § 287 Abs.1 S. 1 ZPO alle Umstände des Einzelfalls würdigen, insbesondere Art, Intensität und Dauer der erlittenen Rechtsverletzung. Auch bei der Höhe des Schadens ist der Effektivitätsgrundsatz zu berücksichtigen.

Das Amtsgericht Pfaffenhofen (AG Pfaffenhofen, Endurteil v. 09.09.2021 - 2 C 133/21) entschied in einem ähnlichen Fall:

"Die Höhe des Anspruchs ist dabei nicht willkürlich, sondern auf der Grundlage der inhaltlichen Schwere und Dauer der Rechtsverletzung zu beurteilen, unter Berücksichtigung des Kontexts, der Umstände eines Verstoßes. Genugtuungs- und Vorbeugungsfunktion können bei der Bezifferung eine Rolle spielen. Einerseits darf die Höhe des Schadensersatzes keine Strafwirkung entfalten. Andererseits reicht ein künstlich niedrig bezifferter Betrag mit symbolischer Wirkung nicht aus, um die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen (vgl. Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 12a)."

Dabei sprach das AG Pfaffenhofen dem Kläger 300,00 Euro für eine unerwünscht erhaltene Werbeemail zu, wobei in dem dortigen Fall die Beklagte die Emailadresse des Klägers gänzlich ohne dessen Einwilligung erhalten hatte.

Das AG Diez (Urteil vom 17.04.2018 - 7 O 6829/17) erachtete in dem Fall eines Versandes einer Werbeemail, mit welcher die Beklagte am 25.5.2018, als die DS-GVO Gültigkeit erlangte, eben aus diesem Grund und unter Bezugnahme hierauf nach einer Einwilligung zum Newsletter-Bezug anfragte, einen Schadensersatzanspruch als unbegründet.

In einem ähnlichen Fall lehnte das AG Goslar (Urteil vom 27.09.2019 - 28 C 7/19) einen Schadensersatzanspruch ab, da es sich auch in dem dortigen Fall um lediglich eine Werbeemail handelte: "Für das Gericht ist aufgrund des Vortrags des Klägers ein Schaden indes nicht ersichtlich. Es handelte sich lediglich um eine einzige Werbe-E-Mail, die nicht zur Unzeit versandt wurde und aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes deutlich zeigt, dass es sich um Werbung handelt, so dass ein längeres Befassen mit der E-Mail nicht notwendig war."

Im Interesse einer effektiven Abschreckung und einer Kompensierung des erlittenen Schadens ist das Verhalten der Beklagten in Form der mehrfachen Missachtung des ausdrücklich erklärten Willens des Klägers als schadensersatzerhöhend zu berücksichtigen. Schadensersatzerhöhend ist ebenfalls die Häufigkeit des Verstoßes zu berücksichtigen. In dem vorliegenden Fall hat der Kläger in einem Zeitraum von knapp vier Monaten insgesamt dreizehn Werbeemails von der Beklagten erhalten. Er erhielt dabei jeweils 4 bzw. 5 Werbeemails in kurzer Zeitabfolge, teilweise fast täglich.

Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass die Auswirkungen des Verstoßes gegen die DS-GVO den Wirkungsbereich des Klägers nicht verlassen haben. Es wurde durch den Verstoß kein Bereich berührt, der etwa die Beziehung des Klägers zu Dritten berührt.

Das Gericht erachtet vorliegend im Ergebnis eine Entschädigung von 500,00 EUR für angemessen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Europol und Mitgliedstaat haften bei Zusammenarbeit gesamtschuldnerisch für Schäden aufgrund widerrechtlicher Datenverarbeitung

EuGH
Urteil vom 05.03.2024
C-755/21 P
Kočner ./. Europol


Der EuGH hat entschieden, dass Europol und der jeweilige Mitgliedstaat bei Zusammenarbeit gesamtschuldnerisch für Schäden aufgrund widerrechtlicher Datenverarbeitung auf Schadensersatz haften.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Datenverarbeitung: Europol und der Mitgliedstaat, in dem aufgrund einer widerrechtlichen Datenverarbeitung im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Europol und diesem Mitgliedstaat ein Schaden eingetreten ist, haften für diesen Schaden gesamtschuldnerisch

Die betroffene Person, die von Europol oder dem betreffenden Mitgliedstaat vollständigen Ersatz ihres Schadens begehrt, muss lediglich nachweisen, dass anlässlich der Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Stellen eine widerrechtliche Datenverarbeitung vorgenommen wurde, durch die ihr ein Schaden entstanden ist. Es ist nicht erforderlich, dass sie darüber hinaus nachweist, welcher dieser Stellen die widerrechtliche Verarbeitung zuzurechnen ist.

Nach der Ermordung des slowakischen Journalisten Ján Kuciak und von dessen Verlobter Martina Kušnírová am 21. Februar 2018 in der Slowakei führten die slowakischen Behörden umfangreiche Ermittlungen durch. Auf Ersuchen dieser Behörden extrahierte die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) die Daten, die auf zwei mutmaßlich Herrn Marian Kočner gehörenden Mobiltelefonen gespeichert waren. Europol übermittelte den genannten Behörden sodann ihre wissenschaftlichen Berichte und übergab eine Festplatte mit den extrahierten verschlüsselten Daten. Im Mai 2019 veröffentlichte die slowakische Presse Informationen betreffend Herrn Kočner, die aus dessen Mobiltelefonen stammten, darunter Transkriptionen seiner intimen Kommunikation. Zudem wies Europol in einem ihrer Berichte darauf hin, dass Herr Kočner seit 2018 wegen des Verdachts einer Finanzstraftat in Haft sei und dass sein Name u. a. unmittelbar mit den sogenannten „Mafia-Listen“ und den „Panama Papers“ in Zusammenhang stehe.

Herr Kočner erhob beim Gericht der Europäischen Union gegen Europol Klage auf eine Entschädigung in Höhe von 100 000 Euro als Ersatz des immateriellen Schadens, den er seiner Ansicht nach aufgrund der rechtswidrigen Verarbeitung seiner Daten erlitten hat. Mit Urteil vom 29. September 20211 wies das Gericht die Klage ab. Es kam zu dem Ergebnis, dass Herr Kočner zum einen keinen Beweis für einen Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten Schaden und dem Verhalten von Europol erbracht habe und zum anderen nicht nachgewiesen habe, dass die sogenannten „Mafia-Listen“ von Europol erstellt und geführt worden seien. Herr Kočner hat daraufhin beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt.

Der Gerichtshof stellt in seinem Urteil fest, dass das Unionsrecht eine Regelung der gesamtschuldnerischen Haftung Europols und des Mitgliedstaats, in dem der Schaden infolge einer widerrechtlichen Datenverarbeitung im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen Europol und diesem Mitgliedstaat eingetreten ist, einführt. In einer ersten Stufe kann die gesamtschuldnerische Haftung Europols bzw. des betreffenden Mitgliedstaats vor dem Gerichtshof der Europäischen Union bzw. vor dem zuständigen nationalen Gericht geltend gemacht werden. Gegebenenfalls kann eine zweite Stufe vor dem Verwaltungsrat von Europol zur Klärung der Frage folgen, ob „letztlich“ Europol und/oder der betreffende Mitgliedstaat für den einer natürlichen Person gewährten Schadensersatz „zuständig“ sind bzw. ist.

Zur Geltendmachung dieser gesamtschuldnerischen Haftung muss die betroffene natürliche Person lediglich im Rahmen der ersten Stufe nachweisen, dass anlässlich der Zusammenarbeit zwischen Europol und dem betreffenden Mitgliedstaat eine widerrechtliche Datenverarbeitung vorgenommen wurde, durch die ihr ein Schaden entstanden ist. Anders als das Gericht entschieden hat, ist es nicht erforderlich, dass diese Person darüber hinaus nachweist, welcher dieser beiden Stellen die widerrechtliche Verarbeitung zuzurechnen ist. Folglich hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts in diesem Punkt auf.

Der Gerichtshof entscheidet den Rechtsstreit selbst und urteilt, dass die widerrechtliche Datenverarbeitung, die in der Weitergabe von Daten betreffend intime Gespräche zwischen Herrn Kočner und seiner Freundin an Unbefugte zum Ausdruck kam, dazu führte, dass diese Daten durch die slowakische Presse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Er stellt fest, dass diese widerrechtliche Verarbeitung das Recht von Herrn Kočner auf Achtung seines Privat- und Familienlebens sowie seiner Kommunikation verletzt hat und seine Ehre und sein Ansehen beeinträchtigt hat, wodurch ihm ein immaterieller Schaden entstanden ist. Der Gerichtshof spricht Herrn Kočner eine Entschädigung in Höhe von 2 000 Euro als Ersatz dieses Schadens zu.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Köln: Weitere Passagen aus dem Buch und dem Hörbuch "Vermächtnis Die Kohl-Protokolle" müssen gestrichen werden

OLG Köln
Urteil vom 06.02.2024
15 U 314/19


Das OLG Köln hat entschieden, dass weitere Passagen aus dem Buch und dem Hörbuch "Vermächtnis Die Kohl-Protokolle" gestrichen werden müssen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Oberlandesgericht Köln: Berufungsverfahren Dr. Kohl-Richter gegen Dr. Schwan u.a. - Urteilsverkündung im Verfahren 15 U 314/19

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat am heutigen Tag in dem vorbezeichneten Verfahren entschieden und die angefochtene landgerichtliche Entscheidung teilweise abgeändert.

In dem Verfahren (vgl. dazu bereits die Pressemitteilung vom 07.10.2022 - PM 10/22) nimmt die Klägerin im Nachgang zu einem früheren Unterlassungsverfahren (OLG Köln, Urteil vom 29.05.2018, Az.: 15 U 65/17, teilweise aufgehoben durch BGH, Urteil vom 29.11.2021, Az. VI ZR 248/18, sodann entschieden durch Teilurteil des Senats vom 22.06.2023, Az. 15 U 65/17, n.v.) die Beklagten zu 1) bis 3) auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung weiterer Passagen aus dem von den Beklagten zu 1) und 2) verfassten und im Verlag der Beklagten zu 3) erschienenen Buch mit dem Namen „Vermächtnis Die Kohl-Protokolle“ (bzw. einem gleichnamigen Hörbuch) in Anspruch. Ferner begehrt sie Auskunft mit dem - jedenfalls primären - Ziel einer Verfolgung von Ansprüchen auf Auskehrung des sogenannten Verletzergewinns wegen eines angeblichen Eingriffs (auch) in „vermögenswerte Bestandteile“ des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Erblassers. Infolge zwischenzeitlichen Versterbens des Beklagten zu 2) ist das Verfahren insoweit unterbrochen. Soweit zwei weitere Beklagte - ehemals Beklagte zu 4) und 5) - wegen eigener Presseberichterstattungen über das Buch von der Klägerin auf Unterlassung und Löschung mehrerer Äußerungen in Anspruch genommen werden, ist das Verfahren abgetrennt und zwischenzeitlich entschieden worden (Urteil des Senats vom 22.06.2023 - 15 U 135/22, n.v.; Nichtzulassungsbeschwerde anhängig: BGH, Az. VI ZR 226/23).

Das Landgericht hat der gegen den Beklagten zu 1) auf Unterlassung gerichteten Klage im Wesentlichen und der gegen diesen im Rahmen einer Stufenklage gerichteten Auskunftsklage vollumfänglich stattgegeben. Die gegen die Beklagte zu 3) auf Unterlassung und im Rahmen einer Stufenklage auf Auskunft und Schadensersatz gerichtete Klage hat das Landgericht vollumfänglich abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin als auch der Beklagte zu 1) Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte zu 1) im Rahmen einer gegen die Klägerin gerichteten sog. Zwischenfeststellungswiderklage die Feststellung begehrt, dass in Bezug auf die geführten Memoirengespräche keine vertraglichen Geheimhaltungspflichten zwischen dem Beklagten zu 1) und dem Erblasser begründet worden sind.

Der 15. Zivilsenat hat - nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen und nach Anhörung der Klägerin und des Beklagten zu 1) - die angefochtene Entscheidung mit Urteil vom heutigen Tage teilweise abgeändert. Danach haben sowohl die Berufung der Klägerin als auch die Berufung des Beklagten zu 1) teilweise Erfolg. In Bezug auf den gegen den Beklagten zu 1) gerichteten Unterlassungsantrag hat der Senat dem Grunde nach das Bestehen eines vertraglichen Unterlassungsanspruchs bejaht, aber einige geringfügige Abänderungen mit Blick auf den Umfang der Verurteilung zur Unterlassung der Veröffentlichung/Verbreitung bestimmter Passagen des Buches ausgesprochen. Den auf die Feststellung fehlender vertraglicher Geheimhaltungspflichten gerichteten Zwischenfeststellungsantrag des Beklagten zu 1) hat der Senat abgewiesen. In Bezug auf die Beklagte zu 3) hat der Senat der auf Unterlassung zahlreicher Passagen des Buches gerichteten Klage nur in geringem Umfang stattgegeben. Die weitergehende gegen die Beklagte zu 3) gerichtete Berufung der Klägerin ist zurückgewiesen worden.

Zur näheren Begründung der Entscheidung hat der Senat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Im Verhältnis zu dem Beklagten zu 1) stehe der Klägerin dem Grunde nach ein vertraglicher Unterlassungsanspruch zu. Zwar sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung der übrigen feststehenden Umstände nicht sicher davon auszugehen, dass der Erblasser und der Beklagte zu 1) im Zusammenhang mit den Arbeiten am "Memoirenprojekt" - unter dem Dach der von ihnen jeweils nur mit dem Verlag abgeschlossenen, insoweit keine eindeutige Verschwiegenheitsverpflichtung regelnden schriftlichen Verträge - unmittelbar eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung über eine (umfassende) Verschwiegenheitspflicht des Beklagten zu 1) trafen. Den Beklagten zu 1) treffe aber aufgrund einer zwischen ihm und dem Erblasser stillschweigend begründeten auftragsähnlichen Rechtsbeziehung als vertragliche Nebenpflicht eine umfassende Verschwiegenheitspflicht. Aufgrund der hier vorliegenden besonderen Gesamtumstände sei von einem Rechtspflichten begründenden Rechtsverhältnis auszugehen. Die insoweit bestehende (Neben-)Pflicht sei auch nicht durch spätere Ereignisse in Wegfall geraten.

Folge der vertraglichen Bindung sei u.a., dass der Beklagte zu 1) sich im Verhältnis zu dem Erblasser nicht mehr auf sein Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen könne. Die vertragliche Verschwiegenheitspflicht beziehe sich inhaltlich nicht nur auf die Wiedergabe etwaiger Äußerungen des Erblassers in Form einer wörtlichen oder sinngemäßen Wiedergabe von Zitaten. Vielmehr umfasse sie auch alle anderen Informationen und Umstände aus der gesamten Memoirenarbeit sowie alle hieran anknüpfenden Wertungen des Beklagten zu 1), welche einen Rückschluss auf Äußerungen des Erblassers und /oder sonstige Vorkommnisse während der Memoirenarbeiten zuließen. Eine Ausnahme gelte nur für die Wiedergabe öffentlich vorbekannter Tatsachen und für Umstände, mit denen der Beklagte zu 1) nur "detailarm" den äußeren Rahmen der Memoirengespräche sowie die Rechtsstreitigkeiten der Parteien zutreffend beschreibe. Nach umfassender Prüfung der im Buch enthaltenen Passagen sei das Verbot der Veröffentlichung und Verbreitung in Bezug auf die vom Senat als unzulässig erkannten einzelnen Passagen auszusprechen. Weitere, im Einzelnen als zulässig erachtete Passagen seien - insoweit unter Klageabweisung - vom Verbot auszunehmen. Die Voraussetzungen für ein "Gesamtverbot" des Buches und einen daraus ableitbaren Anspruch auf Unterlassung seien zu verneinen.

Der auf die Feststellung fehlender vertraglicher Geheimhaltungspflichten gerichtete Zwischenfeststellungsantrag des Beklagten zu 1) sei entsprechend unbegründet.

Der von der Klägerin gegen den Beklagten zu 1) geltend gemachte Auskunftsanspruch sei zu bejahen. Er sei zur Vorbereitung eines der Klägerin zustehenden (unstreitig vererblichen) deliktischen Schadensersatzanspruchs wegen eines Eingriffs (auch) in die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts des Erblassers gegeben. Dem Grunde nach bestehe auch bei - hier allein feststellbarer - Fahrlässigkeit des Beklagten zu 1), der seine ungeschriebene vertragliche Bindung verkannt habe, ein Anspruch auf den sogenannten Verletzergewinn als Teil der im Immaterialgüterbereich anerkannten sogenannten dreifachen Schadensberechnung.

Gegen die Beklagte zu 3) bestehe ein Unterlassungsanspruch nur in geringem Umfang in Bezug auf einzelne Passagen. Mangels Bestehens einer vertraglichen Beziehung zwischen dem Erblasser und der Beklagten zu 3) stünden der Klägerin nach dem Tod des Erblassers gegen diese Unterlassungsansprüche nur bei Annahme einer postmortalen Persönlichkeitsrechtsverletzung zu. Unter Berücksichtigung der dazu in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien sei dies hier nur in besonderen Fällen anzunehmen, u.a. soweit dem Erblasser als unwahre Tatsachenbehauptungen angebliche Eigenaussagen zugeschrieben worden seien, die er nicht, in abweichendem Kontext oder jedenfalls in anderer Stimmungslage, Lautstärke, Tonfall etc. getätigt habe, und wenn hierdurch jeweils auch das Lebensbild des Erblassers verfälscht, seine Menschenwürde berührt werde. Diese Voraussetzungen seien jedoch nur für wenige Buchpassagen von der im Grundsatz darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin prozessual ausreichend substantiiert dargetan worden, dies insbesondere im Kontext einiger im Vorverfahren bereits beanstandeter Fehlzitate sowie unwahrer bzw. bewusst unvollständiger Tatsachenbehauptungen, so etwa bezogen auf den Abschiedsbrief der ersten Ehefrau des Erblassers. Mit Blick auf die - dem Senat nicht vollständig vorliegenden - Tonbandaufnahmen aus den Memoirengesprächen bzw. digitalen Audiokopien seien im Übrigen verfahrensrechtlich keine weitergehenden gerichtlichen Vorlageanordnungen zu treffen gewesen. Dies sei auch nicht gegenüber dem materiell-rechtlich möglicherweise herausgabepflichtigen Beklagten zu 1) geboten. Es bestehe kein Anlass, das Verfahren bis zum Abschluss des - ebenfalls im Wege der Stufenklage geführten und derzeit wieder beim Landgericht Köln anhängigen - Herausgabeverfahrens u.a. wegen der vom Beklagten zu 1) im Besitz gehaltenen Audiokopien der Tonbänder (dazu BGH, Urteil vom 03.09.2020 - III ZR 136/18, abrufbar über die Datenbank www.bundesgerichtshof.de externer Link, öffnet neues Browserfenster / neuen Browser-Tab) auszusetzen.

Die Stufenklage habe das Landgericht insgesamt zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte zu 3) mangels rechtlicher Grundlage kein Auskunftsanspruch und kein Anspruch auf Auskehr des mit dem Buchverkauf erzielten Gewinns zu. Da sich die Beklagte zu 3) - anders als der Beklagte zu 1) - im Zusammenhang mit der Buchveröffentlichung auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen und ihr kein erheblicher Verschuldensvorwurf gemacht werden könne, kämen etwa deliktische Schadensersatzansprüche oder Ansprüche wegen angemaßter Eigengeschäftsführung hier nicht in Betracht.

Der Senat hat die Revision (nur) mit Blick auf die Verurteilung des Beklagten zu 1) zur Auskunftserteilung bzw. die Abweisung der Stufenklage im Verhältnis zur Beklagten zu 3) zur höchstrichterlichen Klärung diesbezüglicher Rechtsfragen zugelassen.




OLG Hamburg: 4.000 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen zwei unberechtigter Schufameldungen

OLG Hamburg
Urteil vom 10.01.2024
13 U 70/23

Das OLG Hamburg hat entschieden, dass dem Betroffenen 4.000 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen zwei unberechtigter Schufameldungen zustehen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens gem. Art. 82 Abs. 1, Abs. 2 S. 1. DSGVO in Höhe von insgesamt 4.000,00.

Die Beklagte hat als „Verantwortlicher" i.S.d. Art. Nr. DSGVO gegen ihre Pflichten aus Art. 5, 6 i.V.m. Art.4 Abs.2 DSGVO verstoßen, indem sie ihre Forderungen gegen den Kläger zweimal an die Schufa gemeldet hat, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen, welchen sich das Berufungsgericht vollen Umfangs anschließt.

Hierdurch ist dem Kläger auch ein ersatzfähiger immaterieller Schaden entstanden. Das Landgericht hat sorgfältig und überzeugend begründet, dass der Kläger durch die zweifache unberechtigte Meldung an die Schufa eine Beeinträchtigung seines sozialen Ansehens durch die Darstellung als unzuverlässiger Schuldner hinnehmen musste.

Der Kläger hat zudem belegt, dass sich aus der Auskunft der Schufa und der verschlechterten Einschätzung des Bonitätsrisikos konkrete negative Konsequenzen in Bezug auf die Gewährung eines Kredits durch die ING (Anlage K16) sowie die Sperrung seiner Kreditkarte bei der Hanseatic Bank (Anlage 17) ergeben habe.

Bei der Bemessung des danach zuzuerkennenden Schmerzensgeldes sind nach Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht alle Umstände hinreichend gewichtet worden.

Der EuGH (Urteil vom 4.5.2023, C-300/21, Rz. 51) hat zur Bemessung des geschuldeten Schadenersatzes festgestellt, dass die DSGVO keine Bestimmung enthält, die sich den Regeln für die Bemessung des Schadenersatzes widmet, auf den eine betroffene Person nach Art. 82 DSGVO Anspruch hat, wenn ihr durch einen Verstoß gegen die Verordnung ein Schaden entstanden ist, und dass ... die Festlegung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des geschuldeten Schadenersatzes in Ermanglung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Aufgabe des Rechts des einzelnen Mitgliedsstaates ist, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind.

Maßgeblich sind hiernach die im deutschen Recht für die Schmerzensgeldbemessung maßgeblichen Kriterien, womit die Höhe des Ersatzanspruchs auf Grund einer Würdigung der Gesamtumstände des Falls unter Berücksichtigung der dem Schmerzensgeld zukommenden Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion festzusetzen.

Danach muss zum einen dem Umstand, dass auf Seiten der Beklagten jedenfalls bedingter Vorsatz angenommen werden muss, besondere Bedeutung beigemessen werden. Die Beklagte hat die erste Meldung vorgenommen, obwohl der Kläger die Forderung auf ihren eigenen Hinweis hin, dass eine Meldung an die Schufa (nur dann) erfolgen werde, sofern er die Forderung nicht bestritten habe, mit Schreiben vom 1.12.2019, Anlage 7, ausdrücklich bestritten hat. Auch die zweite Meldung erfolgte trotz weiteren Bestreitens durch den Kläger (Schreiben vom 29.12.2019, Anlage 11), seiner Aufforderung zur Löschung und einer zwischenzeitlich erfolgten Löschung durch die Schufa selbst (Anlage 14). Ein solches Verhalten kann nicht anders gedeutet werden, als dass die Beklagte wissentlich und jedenfalls unter billigender Inkaufnahme des als möglich erkannten pflichtwidrigen Erfolges ihre Pflichten aus der DSGVO verletzt hat. Hinzu kommt, dass die Beklagte sich trotz Aufforderung durch den Kläger und Darlegung der Rechtswidrigkeit der Meldung geweigert hat, den Negativeintrag zu widerrufen.

Unter Berücksichtigung der dargestellten Umstände und im Hinblick auf einen kürzlich vom Senat entschiedenen vergleichbaren Fall, wo es weder zu konkreten Auswirkungen durch die Schufa-Meldung gekommen war noch ein vorsätzliches Vorgehen der Beklagten festgestellt werden konnte (13 71/21) und vom Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,- je Meldung zuerkannt worden war, wird ein deutlich höherer Betrag in Höhe von 2.000,- je Meldung, mithin insgesamt 4.000,00 als angemessen, aber auch als ausreichend erachtet, so dass die weitergehende Berufung zurückzuweisen ist.



AG München: Unterlassungsanspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Wildüberwachungskamera auf Nachbargrundstück wenn Kamera auch Grundstück des Betroffenen filmt

AG München
Urteil vom 01.02.2023
171 C 11188/22


Das AG München hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung besteht, wenn eine Wildüberwachungskamera auf dem Nachbargrundstück auch das Grundstück des Betroffenen filmt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Streit um Kamera auf Nachbargrundstück
In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und bestätigte mit Urteil vom 01.02.2023 eine einstweilige Verfügung, wonach der Antragsgegnerin dies untersagt wurde.

Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u.a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.

Am 12.08.2022 erließ das Amtsgericht München im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es der Antragsgegnerin untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.

Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das Amtsgericht München mit Urteil vom 01.02.2023 die einstweilige Verfügung und begründete dies wie folgt:

„Die vormals aufgestellte Kamera hat die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Die Antragstellerseite verweist insoweit mit Erfolg auf die Entscheidung des BGH vom 16.03.2010 (VI ZR 176/09). Das Gericht darf eine Passage aus dieser Entscheidung zitieren:

„Nach Ansicht des erkennenden Senats kommt es insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie auf Grund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit (vgl. OLG Köln, NJW 2009, 1827 = NZM 2009, 600) oder auf Grund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon auf Grund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. […].“

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs hatte die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder ist das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.

Weiterhin fehlte es auch nicht an einem Verfügungsgrund. Das Gericht schließt sich insoweit der überzeugenden Argumentation der Antragstellerseite an. Die Antragstellerin hatte sich von Anfang an gegen die Kamera zur Wehr gesetzt und die Antragsgegnerin war über diesen Umstand informiert.

Der Sachverhalt hat sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden ist. Weiterhin hat die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand alleine kann aber nicht ausreichen, die indizierte Wiederholungsgefahr aufzuheben.“

Urteil des Amtsgerichts München vom 01.02.2023
Aktenzeichen des AG München: 171 C 11188/22
Das Urteil ist rechtskräftig.



OVG Schleswig-Holstein: Videoüberwachung von Trainingsfläche, Herrenumkleide und Sitzbereich durch Fitnessstudio unzulässig

OVG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 13.07.2022
4 LA 11/20


Das OVG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass die Videoüberwachung von Trainingsfläche, Herrenumkleide und Sitzbereich durch ein Fitnessstudio unzulässig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Ernstliche Zweifel an der angegriffenen Entscheidung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten zumindest insoweit infrage gestellt werden, dass der Erfolg des Rechtsmittels bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg. Ferner ist darzulegen, dass und aus welchen Gründen das verwaltungsgerichtliche Urteil auf diesen – aus Sicht der Klägerin fehlerhaften – Erwägungen beruht, d. h. die dargestellten Zweifel müssen im konkreten Fall entscheidungserheblich sein (stRspr des Senats, vgl. Beschl. v. 11.03.2021 – 4 LA 241/19 –, juris Rn. 4; Beschl. v. 27.01.2021 – 4 LA 165/19 –, juris Rn. 4 m. w. N.). Dies leistet das Zulassungsvorbringen nicht.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Verfügung des Beklagten vom 19. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Oktober 2017, mit dem er der Klägerin aufgab, es zu unterlassen, den Bereich der Herrenumkleide (Kamera CH-02 und CH-03), den Bereich der Trainingsfläche (Kamera CH-05 und CH-06) sowie den Aufenthaltsbereich und die Sitzgelegenheiten bei der Getränkezapfanlage (Kamera CH-07) während der Öffnungszeiten ihres Fitnessstudios in Pinneberg mittels optisch-elektronischer Einrichtungen zu beobachten und Bildaufzeichnungen anzufertigen, sowie gespeicherte Aufzeichnungen zu vernichten, seine rechtliche Grundlage in „§ 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG a.F.“ finde. Nach dieser Vorschrift habe die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, welche Maßnahmen sie ergreift, um den datenschutzrechtlich gebotenen Schutz personenbezogener Daten sicherzustellen. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung sinngemäß ferner zugrunde gelegt, dass die streitbefangene Anfertigung von Videoaufnahmen in den genannten Bereichen gegen § 4 Abs. 1 BDSG a.F. verstoße, wonach die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig sei, soweit das Bundesdatenschutzgesetz a.F. oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaube oder anordne oder der Betroffene eingewilligt habe. Bei den Videoaufzeichnungen, die hier der Identifikation der Personen dienten, handele es sich um personenbezogene Daten, die durch die Aufzeichnung verarbeitet und ggf. genutzt würden. Eine Einwilligung der Besucher des Fitnessstudios sei nicht gegeben.

Das Verwaltungsgericht hat des Weiteren ausgeführt, dass die hier in Streit stehende Datenverarbeitung auch nicht gemäß § 6b BDSG a.F. zulässig sei. Danach sei die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig, soweit sie 1. zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, 2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder 3. zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich sei und keine Anhaltspunkte bestünden, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Die sich daraus ergebenden Voraussetzungen für eine zulässige Videoüberwachung lägen nicht vor. Zwar seien hier schutzwürdige Interessen der Klägerin an der Videoüberwachung tangiert. Für den Bereich der Herrenumkleide bestünden allerdings Anhaltspunkte, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwögen. Hier sei die Intimsphäre der Betroffenen berührt. Dies stelle einen besonders intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Die Kameraüberwachung in Umkleidebereichen sei deshalb grundsätzlich unzulässig, weil sich Betroffene hier zum Teil unbekleidet zeigten und durch Kameraaufnahmen das Schamgefühl in erheblicher Weise berührt werde. Aber auch im Bereich der Trainingsfläche überwögen die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen. Hinsichtlich der Überwachung des Aufenthaltsbereichs habe der Beklagte in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Untersagungsverfügung nicht die Videoüberwachung der Automaten und der Getränkezapfanlage umfasse. Betroffen sei allein die Beobachtung des Aufenthaltsbereichs und der Sitzgelegenheiten. Hier ist von der Klägerin schon kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 6b Abs. 2 BDSG a.F. dargelegt worden.

a) Soweit die Klägerin vorträgt, dass sich nicht erschließe, warum die Videoüberwachung in einem Fitnessstudio unzulässig sein solle, weil man sich dort längere Zeit aufhalte, gleichzeitig aber eine ständige Videoüberwachung in einem Verkehrsmittel des Öffentlichen Personennahverkehrs zulässig sein solle, bleibt unklar, auf welche Prüfungspunkte der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sich dieses Vorbringen bezieht. Weder ordnet die Klägerin diesen Vortrag der Prüfung bestimmter Normen oder konkret bezeichneter Tatbestandsvoraussetzungen der herangezogenen Ermächtigungsgrundlage zu, noch lässt sich anderweitig erkennen, welchen tragenden Rechtssatz oder welche entscheidungsrelevante Tatsachenfeststellung sie insoweit beabsichtigt in Frage zu stellen. Das Vorbringen erscheint daher mehr als pauschale Kritik an dem Endergebnis der Entscheidung denn als Darlegung, die aufgrund einer intensiven Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung deren Richtigkeit in Frage zu stellen vermag. Auch im Übrigen fehlt es weitgehend an konkreten Bezugnahmen auf die angegriffene Entscheidung.

b) Es lässt sich insoweit nur vermuten, dass die Klägerin mit ihrem Vortrag zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung der im Rahmen der Prüfung des § 6b BDSG a.F. geäußerten Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen das berechtigte Interesse der Klägerin an der Videoaufzeichnung überwiegen, entgegentritt. Dies bleibt jedoch ohne Erfolg.

aa) Die Klägerin vermag zunächst nicht mit dem sinngemäßen Verweis darauf, dass die Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr zulässig sei, obwohl die Betroffenen dort auch längere Zeit beobachtet würden, dieser Beobachtung nicht ausweichen könnten und auch dort Personal (z.B. der Busfahrer) zur Abwehr von Gefahren zur Verfügung stünde, die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis ernstlich in Zweifel zu ziehen. Denn die Zulässigkeit einer Datenverarbeitung bei anderer Sachlage kann nicht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6b Abs. 1 BDSG a.F. im vorliegenden Fall begründen. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 6b Abs. 1 BDSG a.F. ist auf Seiten der verantwortlichen Stelle insbesondere die Zwecksetzung der Videoüberwachung zu beachten, während auf Seiten der von der Überwachung betroffenen Personen das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung, des Rechtes am eigenen Bild sowie des Schutzes der Privatsphäre von Bedeutung ist. Der Frage der Eingriffsintensität kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Das Gewicht des Eingriffs wird maßgeblich durch Art und Umfang der erfassten Informationen, durch Anlass und Umstände der Erhebung, den betroffenen Personenkreis und die Art und den Umfang der Verwertung der erhobenen Daten bestimmt (OVG Lüneburg, Urt. v. 07.09.2017 – 11 LC 59/16 –, juris Rn. 47 m.w.N.). Die Interessenabwägung ist damit abhängig von den konkreten Gegebenheiten des jeweils zu beurteilenden Falles (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 06.04.2017 – OVG 12 B 7.16 –, juris Rn. 32). Neben dem Umstand, dass die Zulässigkeit der Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr von der Klägerin im Zulassungsverfahren ohnehin nur ohne weitere Darlegungen behauptet wird, ist weder ersichtlich noch dargetan, dass die für eine Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr sprechenden berechtigten Interessen grundsätzlich identisch mit den hier von der Klägerin dargelegten berechtigten Interessen sind oder sein können. Gleiches gilt mit Blick auf die Interessen der Betroffenen. Vielmehr drängt sich hier insbesondere mit Blick auf die Videoüberwachung einer Umkleidekabine ein gewichtiger Unterschied zur Überwachung öffentlicher Verkehrsmittel auf. Daher ist nicht ersichtlich, dass die Interessenabwägung mit Blick auf den Öffentlichen Personennahverkehr zwingend identisch zu der hier vorzunehmenden Interessenabwägung auszufallen hat.

bb) Die Klägerin verweist außerdem darauf, dass das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt habe, dass die Betroffenen ihr Fitnessstudio trotz der Videoüberwachung freiwillig aufsuchten oder die Videoüberwachung möglicherweise gerade in deren Interesse läge, weil diese ihnen ein Gefühl von Sicherheit vermittelte und Straftaten vermeiden könnte. Insoweit kritisiert die Klägerin zwar die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung. Dies jedoch ohne darzulegen, ob und inwieweit die nach ihrer Auffassung begangenen Fehler hier ergebnisrelevant sind, d.h. die Interessenabwägung – trotz der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass hier die Intimsphäre der Besucher betroffen und die Interessen der Klägerin geringer zu bewerten seien bzw. es schon an der Darlegung eines berechtigten Interesses fehle – bei Berücksichtigung der genannten Aspekte zugunsten der Klägerin ausgefallen wäre. Dies ist auch nicht ohne weiteres zu erkennen.

2. Die Klägerin zeigt mit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache nur dann auf, wenn sie voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d. h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Im Tatsächlichen ist dies besonders bei wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen, im Rechtlichen bei neuartigen oder ausgefallenen Rechtsfragen der Fall (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 14.05.1999 – 2 L 244/98 –, juris Rn. 17; Beschl. d. Senats v. 02.10.2020 – 4 LA 141/18 –, juris Rn. 57). Zur Darlegung genügt nicht allein die Behauptung einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit, die problematischen Rechts- und Tatsachenfragen und die Schwierigkeit müssen vielmehr konkret bezeichnet werden. Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und aus welchen Gründen sie sich qualitativ von denjenigen eines Verwaltungsrechtsstreits „durchschnittlicher“ Schwierigkeit abheben (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 16.06.2021 – 3 LA 56/20 –, juris Rn. 23; Beschl. v. 05.03.2021 – 2 LA 214/17 –, juris Rn. 4, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt das Zulassungsvorbringen nicht.

Die Klägerin meint besondere Schwierigkeiten darin zu erkennen, dass das Verwaltungsgericht angenommen habe, dass ein Fitnessstudio ein „öffentlicher Raum“ im Sinne des § 6b BDSG a.F. sei, ohne sich gegebenenfalls mit den Unterschieden zu beispielsweise einem Bahnhofsplatz auseinanderzusetzen. Außerdem sei schwierig, welche Folgen eine Unanwendbarkeit der herangezogenen Rechtsgrundlage habe und dass das Verwaltungsgericht nicht weiter zwischen den rechtfertigenden Gründen einer Videoüberwachung, nämlich der Wahrnehmung des Hausrechts einerseits und der Wahrnehmung berechtigter Interessen andererseits, differenziert habe. Damit sind besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder gar tatsächlicher Art jedoch nicht dargelegt. In diesem Vorbringen ist lediglich eine Kritik an der rechtlichen Prüfung des Verwaltungsgerichts, insbesondere der Subsumtion des Sachverhalts unter die herangezogenen Vorschriften erkennbar. Dass die an die gerichtliche Prüfung zu stellenden Anforderungen ausgefallen oder neuartig und damit als überdurchschnittlich schwierig zu bewerten sind, ergibt sich daraus jedoch nicht.

3. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht. Eine solche erfordert u.a., dass eine konkrete Rechts-(oder Tatsachenfrage) aufgeworfen wird, die klärungsfähig und -bedürftig ist, mithin für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war und dies auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren sein wird, sowie, dass sie bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist. Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen, ist u.a. auszuführen, dass die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (stRspr. des Senats, vgl. Beschl. des v. 17.02.2021 – 4 LA 208/19 –, juris Rn. 67 m.w.N.).

Entsprechende Darlegungen lässt der Antrag auf Zulassung der Berufung vollständig vermissen. Es fehlt bereits an der Formulierung einer konkreten, grundsatzbedeutsamen Frage. Der bloße Verweis darauf, dass hier die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der in Streit stehenden Ordnungsverfügung bzw. die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Videoüberwachung im allgemeinen Interesse lägen, genügt insoweit nicht. Daneben ist im Übrigen auch nicht dargelegt, ob und inwieweit bereits Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Videoüberwachung ergangen ist und inwieweit sich die Zulässigkeit einer solchen allgemeingültig, d.h. losgelöst vom jeweiligen konkreten Sachverhalt, beantworten lässt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Saarbrücken: Kein Anspruch auf Entfernung einer Videokamera auf Nachbargrundstück wenn durch Neuausrichtung der Kamera unzulässige Videoüberwachung verhindert werden kann

LG Saarbrücken
Urteil vom 13.10.2023
13 S 32/23


Das LG Saarbrücken hat entschieden,, dass kein Anspruch auf Entfernung einer Videokamera auf einem Nachbargrundstück besteht, wenn durch Neuausrichtung der Kamera eine unzulässige Videoüberwachung verhindert werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Kläger steht schon deshalb kein Anspruch auf Entfernung der installierten Kameras aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zu, weil ein Störer nur dann zu einer konkreten Maßnahme verurteilt werden kann, wenn allein diese Maßnahme den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 98/03 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; LG Hamburg, Urteil vom 28. Dezember 2018 – 306 O 95/18 –, juris, Rn. 31). Hier sind neben der Entfernung als einschneidenste Maßnahme auch andere Abhilfemöglichkeiten denkbar, durch die der Kläger in gleicher Weise geschützt werden könnte. Es käme – sofern der klägerische Bereich betroffen wäre – insbesondere eine Neuausrichtung der Kameras dergestalt in Betracht, dass nur noch solche Grundstücksteile betroffen sind, welche nicht zu dem Bereich des Klägers gehören.

Dem Kläger steht auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung der Videoaufzeichnungen, soweit sie sein Grundstück betreffen, aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB nicht zu.

Der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als offenes Rahmenrecht entspricht es, dass sein Inhalt nicht abschließend umschrieben ist, sondern seine Ausprägungen jeweils anhand des zu entscheidenden Falls herausgearbeitet werden müssen (BGH, Urteil vom 26. November 2019 – VI ZR 12/19 –, juris, Rn. 13). In den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt u.a. das Recht der informationellen Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 –, juris, Rn. 37 m.w.N.; BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 11 m.w.N.). Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit wird gefährdet, wenn jederzeit mit der Beobachtung durch Personen gerechnet werden muss, die man selbst nicht sehen kann oder wenn die reproduzierbare Aufzeichnung des eigenen Verhaltens droht. Denn durch eine Video- und Tonaufzeichnung können Lebensvorgänge technisch fixiert und in der Folge abgerufen, aufbereitet und gegebenenfalls ausgewertet werden. Hierdurch können eine Vielzahl von Informationen über die Betroffenen, ihre Familienmitglieder, Freunde und Besucher gewonnen werden. Auch kann das durch die Überwachung gewonnene Material dazu genutzt werden, das Verhalten des Betroffenen zu beeinflussen, indem "belastendes" Material über ihn gesammelt wird (LG Essen, Urteil vom 30. Januar 2019 – 12 O 62/18 –, juris, Rn. 29). Bei der Installation von Anlagen der Videoüberwachung auf einem Privatgrundstück muss deshalb sichergestellt sein, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen von den Kameras erfasst werden, sofern nicht ein das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen überwiegendes Interesse des Betreibers der Anlage im Rahmen der Abwägung bejaht werden kann (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 11 m.w.N.).

Vorliegend ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers schon nicht betroffen. Hierbei kommt es jedoch auf die erstinstanzlichen Feststellungen des Amtsgerichts hinsichtlich des Erfassungsbereichs der damaligen Kameras in der Berufungsinstanz nicht mehr an. Demnach spielt es zweitinstanzlich auch keine Rolle, dass eine Verpixelung oder Schwärzung eines Bildausschnitts in einer App grundsätzlich nicht ausreicht, um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu verneinen (vgl. hierzu LG Berlin, Urteil vom 23. Juli 2015 – 57 S 215/14 –, juris, Rn. 5). Denn der Beklagte installierte während des laufenden Berufungsverfahrens zwei neue Kameras, nachdem der Kläger die noch erstinstanzlich vorhandene Kamera mit einem Stock abgeschlagen und beschädigt hat. Die beiden neuen Kameras können nun aber nur noch das eigene Grundstück des Beklagten sowie einen kleinen Teilbereich des Gartens des klägerischen Grundstücks erfassen. Hiervon konnte sich die Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2023 durch Einsichtnahme in die Videoübermittlungen des Beklagten auf dessen Mobiltelefon überzeugen. Da der teilweise erfasste Garten des klägerischen Grundstücks durch die Vermieterin des Klägers nicht an diesen mitvermietet wurde, hat der Kläger aber kein Recht, den von der Kamera betroffenen Bereich zu betreten. Schon deshalb ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht betroffen. Im Übrigen ist die Vermieterin des Klägers unstreitig mit einer etwaigen Aufnahme ihres Gartens einverstanden (vgl. Bl. 19 d.eAkte).

Die erstmals während der Berufung vorgetragenen Tatsachen betreffend den Wirkbereich der beiden neuen Kameras sowie den Umfang des an den Kläger vermieteten Teils des Grundstücks sind in der zweiten Instanz zuzulassen, da diese unstreitig sind. Unstreitige Tatsachen sind unabhängig von den Voraussetzungen des § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO stets zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 18. November 2004 – IX ZR 229/03 –, juris, Rn. 11 ff. und Beschluss vom 8. Mai 2018 – XI ZR 538/17 –, juris, Rn. 25; Heßler in: Zöller, 34. Auflage 2022, § 531 ZPO Rn. 20).

Auch mit Hilfe der Rechtsfigur des „Überwachungsdruckes“ kann der Kläger keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB herleiten. Ein solcher Anspruch kann bestehen, wenn eine Überwachung durch Kameras objektiv ernsthaft befürchtet werden muss (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 13; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 2011 – V ZR 265/10 –, juris, Rn. 9). Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon aufgrund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. Deshalb ist die Installation einer Überwachungsanlage auf einem privaten Grundstück nicht rechtswidrig, wenn objektiv feststeht, dass dadurch öffentliche und fremde private Flächen nicht erfasst werden, wenn eine solche Erfassung nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage möglich ist und wenn auch sonst Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 14; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 2011 – V ZR 265/10 –, juris, Rn. 9). Wie oben bereits dargelegt erfassen die neuen Kameras nur Bereiche, welche nicht dem Lebensbereich des Klägers zuzuordnen sind. Zudem hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass die jetzt installierte Kamera nicht per Fernbedienung, sondern nur manuell bewegt werden kann, sodass eine Veränderung des Wirkbereichs der Kamera nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage erfolgen kann. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist damit nicht berührt.

Ob die Voraussetzungen für die klägerseits begehrte Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vorliegen, kann aus den oben genannten Gründen dahinstehen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

VG Hannover: Videoüberwachung der Sitzbereiche eines Wettbüros weder nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO noch nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gerechtfertigt und somit rechtswidrig

VG Hannover
Urteil vom 10.10.2023
10 A 3472/20


Das VG Hannover hat entschieden, dass die Videoüberwachung der Sitzbereiche eines Wettbüros weder nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO noch nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gerichtfertigt und somit rechtswidrig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Die Klage ist zulässig. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz (hiernach: BDSG) ist für Rechtsansprüche aus der der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, hiernach: DS-GVO) nach Artikel 78 Abs. 1 und 2 der DS-GVO der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Das Verwaltungsgericht Hannover ist gemäß § 20 Abs. 3 BDSG örtlich zuständig. Die Klage gegen die Verfügungen des Beklagten aus dem Bescheid vom 20. Mai 2020 ist als Anfechtungsklage statthaft.

II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 20. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die unter Ziffer 1 ausgesprochene Anweisung, die Ausgestaltung der von der Klägerin betriebenen Videoüberwachung so einzurichten, dass die Erhebung von personenbezogenen Daten von Personen in den Sitzbereichen während der Öffnungszeiten ausgeschlossen ist (Kameras 1,3, 4, 5 und 9) und die Überarbeitung der Kameraeinstellungen durch die Übersendung entsprechender Screenshots nachzuweisen, ist rechtmäßig.

a) Die Rechtsgrundlage für diese Anweisung findet sich in Art. 58 Abs. 2 lit. d DS-GVO. Danach verfügt die Aufsichtsbehörde über sämtliche Befugnisse, die es ihr gestatten, den Verantwortlichen anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit der DS-GVO zu bringen.

b) Der Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Der Beklagte ist für den Erlass des Bescheides zuständig. Dies ergibt sich aus § 40 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes vom 30. Juni 2017 (BDSG), § 22 Satz 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes vom 16. Mai 2018 (NDSG) und Art. 55 f. DS-GVO. Die Klägerin ist vor Erlass des angegriffenen Bescheids angehört worden.

c) Die Anweisung ist auch materiell rechtmäßig. Die Videoüberwachung durch die fünf streitgegenständlichen Kameras steht in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in Einklang mit der DS-GVO. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. a DS-GVO müssen personenbezogene Daten auf rechtmäßige Weise verarbeitet werden. Die hier in Rede stehende Videoüberwachung, bei der die im Wettbüro der Klägerin installierten Kameras 1, 3, 4, 5 und 9 als "verlängertes Auge" der Beschäftigten genutzt werden, verstößt gegen die DS-GVO, weil sie nicht nach Art. 6 DS-GVO gerechtfertigt ist.

aa. Die DS-GVO ist anwendbar. Nach Art. 2 Abs. 1 DS-GVO gilt diese Verordnung für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen.

Bei der Beobachtung der Gäste des Wettbüros durch Kameras, die als "verlängertes Auge" der Beschäftigten genutzt werden, handelt es sich um eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 und Nr. 2 DS-GVO. Nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO meint "Verarbeitung" jeden Vorgang, der mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten ausgeführt wird. Die sich an diese Begriffsbestimmung anschließende, ersichtlich umfassende Aufzählung von Vorgängen in Art. 4 Nr. 2 DSGVO zeigt, dass der Begriff der Verarbeitung jeglichen Umgang mit personenbezogenen Daten erfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2/18 -, juris Rn. 43). Die Daten sind nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO "personenbezogen", wenn es sich um Informationen handelt, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann. Die Aufzeichnung des Bildes einer Person durch Kameras ermöglicht es den Betrachtern der Bilder, die erfassten Personen zu identifizieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2/18 -, juris Rn. 43).

bb. Das hier eingesetzte Kamera-Monitor-System ist in seiner derzeitigen Ausgestaltung gemäß Art. 6 DS-GVO rechtswidrig. Danach ist die Verarbeitung nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der unter Art. 6 Abs. 1 lit. a - f genannten Bedingungen erfüllt ist. Dies ist nicht der Fall.

aaa. Zunächst haben die von der Videoüberwachung betroffenen Personen (s. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO) nicht nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DS-GVO ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben. Eine Einwilligung ist gemäß Art. 4 Nr. 11 DS-GVO jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist. Damit betroffene Personen in Kenntnis der Sachlage ihre Einwilligung geben können, sollten sie mindestens wissen, wer der Verantwortliche ist und für welche Zwecke ihre personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen. Es sollte nur dann davon ausgegangen werden, dass sie ihre Einwilligung freiwillig gegeben haben, wenn sie eine echte oder freie Wahl haben und somit in der Lage sind, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne Nachteile zu erleiden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 42 zur DS-GVO). Danach liegt im vorliegenden Fall keine Einwilligung der Gäste vor. Es kann bereits nicht angenommen werden, dass die Gäste beim Betreten des Wettbüros - auch nicht bei deutlich sichtbar angebrachten Hinweisen auf die Beobachtung - den Umfang und die Ausgestaltung der Videoüberwachung sowie deren Zwecke zur Kenntnis nehmen, sodass schon keine Willensbekundung "in informierter Weise" stattfinden kann (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.2.2007 - 1 BvR 2368.06 -, juris Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2.18 -, juris Rn. 23). Auch kann im Eintritt in das Wettbüro und den dortigen Aufenthalt ohne ausdrücklichen Protest keine unmissverständliche Willensbekundung erkannt werden (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.2.2007, a.a.O.). Schließlich haben die Gäste auch keine freie Wahl, ob sie mit der Videoüberwachung der Sitzbereiche während ihres Aufenthaltes in dem Wettbüro einverstanden sind; sie können sich nur zu ihrem Nachteil entscheiden, das Wettbüro gar nicht erst zu betreten.

bbb. Die Videoüberwachung ist auch nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c DS-GVO zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, welcher der Verantwortliche unterliegt. Gemeint ist damit die Verpflichtung kraft Rechts der Union oder eines Mitgliedstaates, vgl. Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1. Die in einer Vorschrift des objektiven Rechts vorgesehene "rechtliche Verpflichtung" muss sich dabei unmittelbar auf die Datenverarbeitung beziehen; allein der Umstand, dass ein Verantwortlicher, um irgendeine rechtliche Verpflichtung erfüllen zu können, auch personenbezogene Daten verarbeiten muss, reicht nicht aus (Albers/Veit in: BeckOK DatenschutzR, 44. Ed. 1.5.2023, DS-GVO Art. 6 Rn. 48 m.w.N.). Nach diesem Maßstab vermögen die in § 7 Abs. 3 Nr. 1 Spielverordnung genannten Vorgaben, wonach Geld- oder Warenspielgeräte unter anderem dann unverzüglich aus dem Verkehr zu ziehen sind, wenn sie in ihrer ordnungsgemäßen Funktion gestört sind, keine rechtliche Verpflichtung in diesem Sinne zu bieten, weil diese rechtliche Vorgabe keinen unmittelbaren Bezug zu einer irgendwie gearteten Datenverarbeitung herstellt.

Die Videoüberwachung ist auch nicht zur Erfüllung der Verpflichtung aus § 10c des Niedersächsischen Spielbankgesetzes (NSpielbG) erforderlich. Nach § 10 c Abs. 1 Satz 1 NSpielbG sind zu den dort bestimmten Zwecken die Eingänge, die Ausgänge, die Bereiche, in denen üblicherweise der Transport, die Zählung oder die Aufbewahrung von Bargeld oder Spielmarken erfolgt, sowie die Spielräume der Spielbank, die Spieltische und Glücksspielautomaten der Spielbank mit Videokameras zu überwachen. Die Vorschrift ist bereits nicht anwendbar, weil es sich bei dem Wettbüro der Klägerin nicht um eine im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 NSpielbG zugelassene Spielbank handelt. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf das Wettbüro der Klägerin kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil die Interessenlage nicht vergleichbar ist. Spielbanken sind Örtlichkeiten, in denen Spiele mit grundsätzlich hoher Manipulationsanfälligkeit und herausragendem Suchtpotenzial angeboten werden, zu denen traditionell Tischspiele mit und ohne Bankhalter wie Roulette, Black Jack und Poker sowie spezielle stationäre Automatenspiele gehören, welche den Einschränkungen des gewerblichen Spiels und des Online-Glücksspiels nicht unterliegen (vgl. Begründung zur Änderung des NSpielbG vom 13.10.2021, Landtag-Drs. 18/10075, S. 17). Derartige Spiele finden im Wettbüro der Klägerin nicht statt; soweit auch in ihren Räumlichkeiten Spielautomaten aufgestellt sind und in dem (der Öffentlichkeit nicht zugänglichen) Bürobereich mit größeren Mengen Bargeld umgegangen wird, hat der Beklagte die Videoüberwachung nicht beanstandet.

Unabhängig davon folgt eine Verpflichtung zu einer Videoüberwachung, wie die Klägerin sie derzeit betreibt, selbst dann nicht aus § 10 c NSpielbG, wenn man die Vorschrift auf den vorliegenden Fall analog anwenden wollte. Unter "Spielräumen" sind solche Bereiche zu verstehen, in denen sich Gäste zum Zwecke der Teilnahme an Spielen aufhalten. Bereiche wie die hier in Rede stehenden, die fast ausschließlich - mit Ausnahme vereinzelter Automaten, an denen Wetten abgegeben werden können - dem Aufenthalt oder dem Verzehr von Getränken dienen, sind dort gerade nicht angesprochen. Der Gesetzgeber hat zuletzt die zu überwachenden Bereiche angepasst und "die gegebenenfalls getrennt von den Eingängen vorhandenen Ausgänge" aufgenommen (vgl. Landtag-Drs. 18/10075, S. 37). Er hat sich also bewusst gegen die Aufnahme von anderen, dem Aufenthalt von Gästen dienenden Bereichen entschieden. Dafür, dass der Gesetzgeber beabsichtigt hat, solche vornehmlich dem Aufenthalt dienenden Bereiche gerade nicht mit der gesetzlichen Verpflichtung zur Videoüberwachung zu belegen, spricht auch, dass die Regelung überhaupt explizit Bereiche nennt, in denen die Videoüberwachung stattzufinden hat. Wäre die Videoüberwachung einschränkungslos auch in Bereichen obligatorisch, in denen keine manipulationsanfälligen Spiele stattfinden, hätte der Gesetzgeber anstelle einer expliziten Aufzählung von Bereichen schlicht die verpflichtende Videoüberwachung für die gesamte Spielbank anordnen können.

ccc. Die Videoüberwachung ist auch nicht nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO gerechtfertigt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

(1) Das berechtigte Interesse an der hier noch streitigen Videoüberwachung durch die Kameras 1, 3, 4, 5 und 9 ist anzunehmen.

Als berechtigt darf jedes rechtliche, tatsächliche, wirtschaftliche oder ideelle Interesse des Verantwortlichen angesehen werden, soweit es von der Rechtsordnung nicht missbilligt wird. Das berechtigte Interesse muss auf einen konkreten Verarbeitungs- oder Nutzungszweck gerichtet sein. Aus Art. 5 Abs. 1 lit. b DS-GVO folgt, dass das Interesse nur berechtigt sein kann, wenn die Verarbeitung legitim ist (vgl. Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO-BDSG-TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 129). Es muss zum Zeitpunkt der Datenverarbeitung entstanden und vorhanden sein und darf zu diesem Zeitpunkt nicht hypothetisch sein (EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 44). Der Verantwortliche hat sein berechtigtes Interesse substantiiert vorzutragen und zu belegen (vgl. Art. 5 Abs. 2 DS-GVO; Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO-BDSG-TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 135; vgl. auch EuGH, Urteil vom 24.2.2022 - C-175/20 -, juris Rn. 77; BVerwG, Urteil vom 2.3.2022 - 6 C 7.20 -, juris Rn. 50). Dieser speziellen Substantiierung bedarf es nur dann nicht, wenn eine Situation gegeben ist, die nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise gefährlich ist und der Überwachung bedarf. Eine solch abstrakte Gefährdungslage kann beispielsweise bei Einkaufszentren und Kaufhäusern anzunehmen sein (vgl. zur alten Rechtslage Nds. OVG, Urteil vom 29.9.2014 - 11 LC 114/13 -, juris Rn. 44; vgl. VG Hannover, Urteil vom 13.3.2023 - 10 A 1443/19 -, juris Rn. 57; vgl. zur Anwendbarkeit dieser Grundsätze auch im Anwendungsbereich der DS-GVO Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO-BDSG-TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 135).

Die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten stellen grundsätzlich berechtigte Interessen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO dar. Sie können eine Videoüberwachung jedoch nur dann als objektiv begründbar rechtfertigen, wenn eine Gefährdungslage besteht, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht. Eine solche Gefährdung kann sich nur aus tatsächlichen Erkenntnissen ergeben; subjektive Befürchtungen oder ein Gefühl der Unsicherheit reichen nicht aus (vgl. zum alten Recht BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2/18 -, juris Rn. 28 m.w.N.). Allerdings kann bei der Beurteilung aller Umstände des jeweiligen Falles nicht zwingend verlangt werden, dass die Sicherheit des Eigentums und der Personen zuvor beeinträchtigt wurde (EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 44). Konkrete Vorfälle müssen nicht in jedem Fall beim Überwachenden selbst stattgefunden haben, sondern die Gefahrenlage kann sich auch daraus ergeben, dass vergleichbare Vorfälle oder Übergriffe in der unmittelbaren Nachbarschaft stattgefunden haben (vgl. Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen" der Datenschutzkonferenz - DSK - vom 17. Juli 2020, S. 8 f. m.V.a. Art. 5 Abs. 2 DS-GVO und EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 44; Leitlinien 3/2019 zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videogeräte des European Data Protection Board vom 29.1.2020, Rn. 18 ff.).

Danach hat die Klägerin - dies hat auch der Beklagte anerkannt - grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Videoüberwachung ihres Wettbüros dargelegt, um damit Straftaten zu unterbinden und nachzuverfolgen. Sie hat konkrete Straftaten benannt, die sich in den hier in Rede stehenden Räumlichkeiten ereignet haben und durch den Verweis auf Vorkommnisse in anderen Filialen dargelegt, dass (unter anderem) aufgrund der größeren Mengen Bargeld, mit denen in Wettbüros umgegangen wird, ein potentiell hohes Risiko für das Begehen von Straftaten besteht. Dementsprechend hat der Beklagte der Klägerin die Überwachung diverser Bereiche der Liegenschaft zugestanden (Kameras 2, 6, 7 und 8). Dabei hat der Beklagte die Videoüberwachung der Laufwege zugelassen, sodass etwaige Straftäter jedenfalls beim Verlassen der Räumlichkeiten erfasst werden, sowie die Orte, an denen mit Bargeld umgegangen wird (z.B. der Tresor). Außerhalb der Öffnungszeiten dürfen die Videoaufnahmen aufgezeichnet werden, um das unbefugte Betreten der Filiale abzuwenden oder ggf. nachverfolgen zu können.

(2) Die Videoüberwachung ist in ihrer derzeitigen Ausgestaltung zur Wahrung der Interessen der Klägerin aber nicht erforderlich. Die personenbezogenen Daten sollten für die Zwecke, zu denen sie verarbeitet werden, angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke ihrer Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein; sie sollten nur verarbeitet werden dürfen, wenn der Zweck der Verarbeitung nicht in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann (vgl. Erwägungsgrund 39 zur DS-GVO).Voraussetzung für die Erforderlichkeit der Videoüberwachung ist also, dass kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um die Interessen des Verantwortlichen zu erreichen (Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 147a). Die Einschränkungen beim Datenschutz müssen sich "auf das absolut Notwendige" beschränken (vgl. EuGH, Urteil vom 11.12.2019 - C-708/18 -, juris Rn. 46). Eine bloße Zweckdienlichkeit der Datenverarbeitung reicht jedenfalls nicht aus und auch das Ansinnen einer "bestmöglichen Effizienz" macht die Datenverarbeitung noch nicht zu einer erforderlichen. Entsprechend kann die Erforderlichkeit auch nicht allein damit begründet werden, dass es sich bei der beabsichtigten Datenverarbeitung um die aus Sicht des Verantwortlichen wirtschaftlich sinnvollste Alternative handelt (Petri in: Kühling/Buchner/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 147a m.w.N.).

Nach diesem Maßstab ist die Videoüberwachung der Sitzbereiche durch die Kameras 1,3, 4, 5 und 9 nicht erforderlich. Es ist derzeit nicht ersichtlich, dass die Erhebung der dadurch gewonnenen personenbezogenen Daten überhaupt geeignet - also erheblich - ist, um die von der Klägerin verfolgten Zwecke zu erreichen. Auf Grundlage der bisherigen Unterlagen ist nicht erkennbar, dass die von der Beklagten konkret benannten Straftaten überhaupt im Zusammenhang mit einem Aufenthalt von Gästen in den Sitzbereichen gestanden haben. Die Klägerin stützt sich im Wesentlichen auf befürchtete Straftaten und sonstiges Fehlverhalten, welches in der "Szene" oder dem "Milieu", aus dem die Gäste der Klägerin stammen, üblich sein soll. Die von der Klägerin benannten Straftaten lassen teilweise eindeutig erkennen, dass sich der oder die Täter(in) vor der jeweils begangenen Tat gerade nicht in den Sitzbereichen aufgehalten oder die Tat als solche dort stattgefunden hat; dies gilt für die Öffnung des Tresors, der sich in dem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich befindet, sowie für die Entwendung von Bargeld durch Beschäftigte der Klägerin, einen Überfall unter Einsatz von Waffengewalt, eingeschmissene Schaufensterscheiben und das unberechtigte Betreten der Geschäftsräume außerhalb der Öffnungszeiten. Die übrigen von der Klägerin genannten Taten und Vorkommnisse lassen nicht erkennen, ob diese in den für Gäste vorgesehenen Sitzbereichen stattgefunden haben; dies gilt für die Angabe "milieubedingte Kriminalität in den Geschäftsräumen, zum Beispiel Übergabe von Drogen gegen Bargeld" und Trickbetrug durch das Erzwingen von Wechselgeldfehlern. Konkrete Vorfälle in der Nachbarschaft hat die Klägerin zwar behauptet, jedoch nicht substantiiert. Soweit sie sich auf die befürchtete Manipulation von Spielgeräten und die ihr glückspielrechtlich obliegende Verpflichtung, manipulierte Geräte unverzüglich aus dem Verkehr zu ziehen, beruft, hat sie derartige Vorfälle weder für die hier in Rede stehende noch für andere Filialen oder Einrichtungen in der Nachbarschaft vorgetragen. Es fehlen auch nähere Angaben dazu, wie "Vorbereitungshandlungen" für eine Manipulation von Spielgeräten konkret aussehen und aus welchem Grund sie befürchtet, dass solche gerade in den Sitzbereichen für Gäste stattfinden könnten. Den Konsum von und Handel mit Rauschgift hat sie bislang nur behauptet, aber nicht belegt. Auch hinsichtlich der weiteren, im Laufe des gerichtlichen Verfahrens genannten Straftaten, die sich im Zeitraum vom 3. August 2016 und dem 9. Oktober 2021 in der hier streitgegenständlichen Filiale ereignet haben sollen, nämlich eine Unterschlagung von Bargeld, ein Diebstahl von Bargeld durch einen Kunden, ein Diebstahl eines Gegenstandes durch einen Kunden und zwei Raubüberfälle, ist nicht erkennbar, dass diese Straftaten im Zusammenhang mit einem Aufenthalt in den Sitzbereichen des Wettbüros standen.

Es ist außerdem nicht erkennbar, dass die Videoüberwachung der Sitzbereiche überhaupt dazu geeignet wäre, die von der Klägerin genannten Straftaten - sowohl die in der Unternehmensgruppe als auch die in der hier in Rede stehenden Filiale begangenen - zu verhindern oder bei der Aufklärung dieser Straftat einen nennenswerten Mehrwert zu bringen. Dies gilt insbesondere für die genannten Raubüberfälle, Einbrüche und Sachbeschädigungen, die - soweit ersichtlich - nicht von Personen begangen worden sind, die sich zuvor in dem Wettbüro aufgehalten haben. Auch diejenigen Straftaten, die von Beschäftigten der Klägerin begangen worden sind, wie zum Beispiel das unberechtigte Betreten der Geschäftsräume außerhalb der Öffnungszeiten, die Unterschlagung von Bargeld oder die Öffnung der Tresore und Entwendung von Bargeld, ließen sich nicht durch eine Überwachung der Sitzbereiche für Gäste verhindern. Einzig denkbar wäre dies bezüglich des genannten Trickbetruges durch das Erzwingen von Wechselgeldfehlern oder den Handel mit sowie Konsum von Rauschgift. Insoweit ist aber fraglich, ob die Beschäftigten in der Lage wären, die Monitore derart aufmerksam zu beobachten, dass ihnen Wechselgeldfehler oder der Konsum von Rauschmitteln überhaupt auffallen könnte.

Die Fortsetzung der Videoüberwachung in ihrer jetzigen Form ist auch nicht deswegen erforderlich, weil andernfalls unzumutbar hohe Betriebskosten entstünden. Bei dem Bestreben, Kosten einzusparen, handelt es sich grundsätzlich um ein berechtigtes Interesse. Allerdings muss der Verantwortliche darlegen, dass er diese Kosten auch durch andere Vorkehrungen, insbesondere durch organisatorische Veränderungen anstelle der Videoüberwachung nicht vermeiden oder in einer hinnehmbaren Größenordnung halten kann. Die Kostenersparnis kann die Erforderlichkeit der Videoüberwachung jedenfalls nur dann begründen, wenn die ansonsten entstehenden Kosten im Verhältnis zu dem Umfang der geschäftlichen Tätigkeit ins Gewicht fallen oder gar deren Wirtschaftlichkeit in Frage stellten (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 - 6 C 2.18 -, juris Rn. 32). Die Klägerin hat dazu nicht substantiiert vorgetragen. Aus dem von ihr hierzu zitierten Urteil des OVG des Saarlandes vom 14. Dezember 2017 ergibt sich nicht, ob der dortige Kläger substantiierte Angaben dazu gemacht hat, aus welchem Grund ihm der Einsatz von Wachpersonal wirtschaftlich nicht zumutbar ist (Az. 2 A 662/17 -, juris Rn. 47). Zudem ist der dortige Fall auch schon deswegen nicht mit dem hier zu entscheidenden vergleichbar, weil es sich bei dem dortigen Kläger um eine Apotheke gehandelt hat, die - im Gegensatz zu der Klägerin - nicht ohnehin Wachpersonal beschäftigt.

Die Klägerin kann ihrem berechtigten Interesse daran, dass kein Rauschgift in ihrer Filiale gehandelt oder konsumiert wird oder andere Straftaten begangen werden, auch durch mildere und gleich effektive Mittel begegnen. Dem Beklagten dürfte darin zu folgen sein, dass die bereits vorhandenen Beschäftigten in regelmäßigen Abständen die Sitzbereiche begehen könnten. Der Auffassung der Klägerin, die Präsenz von Wachleuten werde von Gästen als deutlich gravierenderer Eingriff wahrgenommen, sodass darin kein milderes Mittel zu sehen sei, kann nicht gefolgt werden. Anders als in der von der Klägerin dazu angeführten Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts steht hier keine "permanente Beobachtung" der Gäste durch Wachleute in Rede (vgl. Urteil vom 29.9.2014 - 11 LC 114/13 -, juris Rn. 57), sondern gelegentliche Rundgänge von ohnehin anwesendem Personal. Hinsichtlich der von der Klägerin bezweckten Abschreckungswirkung wirken auch nur gelegentlich die Räumlichkeit abschreitende Beschäftigte mindestens ebenso effektiv abschreckend wie die vorhandenen Kameras (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 12.3.2021 - 18 K 8202/19 -, n.v.). Ihre Beschäftigten können sich vor eventuell aggressiv auftretenden Gästen schützen, indem sie die Polizei kontaktieren, anstatt sie selbst anzusprechen oder des Hauses zu verweisen. Für die Beschäftigten dürfte der zeitliche und personelle Aufwand, die fünf streitigen Kameras neben ihren anderen Aufgaben dauerhaft aufmerksam zu beobachten, um die in den Sitzbereichen befürchteten Vorbereitungshandlungen für Straftaten zu entdecken, als ebenso hoch zu bewerten sein wie die Durchführung regelmäßiger Kontrollgänge durch die Sitzbereiche. Der Gefahr von durch Betrug erzwungenen Wechselgeldfehlern könnte die Klägerin begegnen, indem die Gäste ihre Getränke nur noch am Tresen bezahlen, der außerdem von der nicht mehr streitgegenständlichen Kamera 2 erfasst wird.

Aus dem bisherigen Vortrag der Klägerin ist auch nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund das von dem Beklagten vorgeschlagene mildere Mittel, die streitigen Kameras mit einer Folie zu versehen oder eine "Privatzonenmaskierung" einzurichten, sodass die sitzenden Gäste nicht mehr identifizierbar sind, nicht ebenso geeignet ist, wie die Videoüberwachung in ihrer derzeitigen Form. Ihr Vortrag, in dem Fall seien Vorbereitungshandlungen für eine Manipulation eines Spielgerätes schwieriger erkennbar, ist ohne konkretere Angaben dazu, wie solche Vorbereitungshandlungen aussehen, nicht nachvollziehbar. Unabhängig davon sind solche Manipulationsversuche offenbar bislang nicht vorgekommen; jedenfalls ist dies nicht vorgetragen worden.

Schließlich führt auch die in § 10 c NSpielbG zum Ausdruck gekommene Wertung des Niedersächsischen Gesetzgebers nicht dazu, die Videoüberwachung für das hier in Rede stehende Wettbüro als erforderlich anzusehen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen (s. II. 1. c. bb. bbb.).

(3) Im Übrigen und selbst für den Fall, dass die Verarbeitung der durch die Videokameras 1, 3, 4, 5 und 9 verarbeiteten personenbezogenen Daten zur Wahrung des berechtigten Interesses der Klägerin erforderlich wäre, überwiegen im vorliegenden Fall die Interessen der von der Videoüberwachung betroffenen Personen das Interesse der Klägerin. Ausgangspunkt der Abwägung sind einerseits die Auswirkungen, die eine Datenverarbeitung für die betroffene Person mit sich bringt, und andererseits die Interessen des Verantwortlichen oder Dritten. In diesem Zusammenhang sind Art, Inhalt und Aussagekraft der betroffenen Daten an dem mit der Datenverarbeitung verfolgten Zweck zu messen. Außerdem können die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Person einbezogen werden; entscheidend soll sein, ob die betroffene Person zum Zeitpunkt der Datenerhebung angesichts der näheren Umstände "vernünftigerweise absehen kann", dass eine Datenverarbeitung für einen bestimmten Zweck stattfinden wird (vgl. Petri in: Kühling/Buchner/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 149 ff.)

Für die von der Videoüberwachung betroffenen Gäste streitet ihr Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten nach Art. 8 GRCh sowie ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK. Demgegenüber hat die Klägerin ein Interesse an dem Schutz ihres Eigentums, der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten sowie an der Gewährleistung der Einhaltung der ihr obliegenden gesetzlichen Verpflichtungen (Jugendschutz, gesperrte Spieler, glücksspielrechtliche Vorgaben bezüglich der Spielautomaten).

Zugunsten der Klägerin ist hier zu berücksichtigen, dass die Videoaufnahmen nicht gespeichert werden und ihr in der Vergangenheit durch begangene Straftaten erhebliche Vermögensschäden entstanden sind. Demgegenüber dienen die Bereiche einem längeren Verweilen von Gästen, die ganz überwiegend keinerlei böse Absichten hegen. Die Überwachung erfolgt anlasslos, regelmäßig und personengenau und betrifft in den allermeisten Fällen Personen, die weder die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten noch dem Eigentum der Klägerin schaden möchten (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 12.3.2021 - 18 K 8202/19 -, S. 23). Eine durchgängige Überwachung auch bei Beschäftigungen, die in keinem Zusammenhang zu der Art des Etablissements stehen, in dem sich die Gäste aufhalten, können sie auch nicht "vernünftigerweise" erwarten.

cc. Der Beklagte hat das ihm gemäß Art. 58 Abs. 2 DS-GVO zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen schließlich auch fehlerfrei ausgeübt. Gemäß Art. 58 Abs. 2 DS-GVO verfügt der Beklagte über sämtliche Abhilfebefugnisse, die es ihm gestatten, den Verantwortlichen anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit dieser Verordnung zu bringen (Buchstabe d) sowie eine vorübergehende Beschränkung oder Verbot der Verarbeitung zu verhängen (Buchstabe f). Die Aufsichtsbehörde kann von ihrer Abhilfebefugnis Gebrauch machen, wenn sie einen Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen festgestellt hat. Bei der Ausübung des ihr dann eingeräumten Ermessens hat sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Bei festgestellten Verstößen ist die Aufsichtsbehörde in der Regel gehalten, dagegen mit dem Ziel der Abstellung des Verstoßes vorzugehen. Hinsichtlich des Entschließungsermessens ist daher von einem intendierten Ermessen auszugehen, wenn die Aufsichtsbehörde - wie hier - einen Rechtsverstoß festgestellt hat.

Es ist auch kein Fehler bei der Ausübung des Auswahlermessens zu erkennen. Bei der Auswahl der geeigneten Abhilfemaßnahme nach Art. 58 Abs. 2 DSGVO muss die Aufsichtsbehörde den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten und insofern auch die Eingriffsintensität berücksichtigen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.1.2020 - VGH 1 S 3001/19 -, juris Rn. 61; VG Mainz, Urteil vom 24.9.2020 - 1 K 584/19.MZ -, juris Rn. 51). Das hier ausgesprochene Verbot der Videoüberwachung in den Sitzbereichen ist geeignet, um die beeinträchtigten Rechte der Gäste zu wahren. Es war auch erforderlich. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich. In Art. 58 Abs. 2 DS-GVO ist kein abgestuftes System dahingehend zu erkennen, dass der Beklagte zuerst eine Verwarnung hätte aussprechen müssen. Eine Verwarnung kommt regelmäßig bei einfachen Verletzungen der DS-GVO in Frage, welche zu keiner erheblichen Gefährdung des Datenschutzgrundrechts geführt haben. Eine Verwarnung wird eine Datenschutz-Aufsichtsbehörde aussprechen, wenn die Schwelle zur Verhängung einer Geldbuße noch nicht erreicht ist; die Verwarnung lässt sich daher auch als "kleine Schwester der Geldbuße" bezeichnen, also als Abhilfemaßnahme, die bei geringfügigen Verstößen gegen die DS-GVO oder sonstigen Gründen der Verhältnismäßigkeit "anstelle einer Geldbuße" (so explizit Erwägungsgrund 148 Satz 2 DS-GVO) verhängt werden kann (Selmayr in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DS-GVO Art. 58 Rn. 20 m.w.N.). Hier steht gerade kein geringfügiger Verstoß in Rede, sondern die Gäste des Wettbüros werden anlasslos und dauerhaft gefilmt und beobachtet. Der Beklagte hat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insofern schon im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens Rechnung getragen, als dass er die Videoüberwachung in weiten Teilen des Wettbüros nicht mehr beanstandet.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Frankfurt: Twitter- / X-Kommentar mit "#DubistEinMann“ zum Post einer Transfrau zum Thema "Terf" keine Schmähkritik und von Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt

OLG Frankfurt
Hinweisbeschluss vom 26.09.2023
16 U 95/23


Das OLG Frankfurt hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass ein Twitter- / X-Kommentar mit "#DubistEinMann“ zum Post einer Transfrau zum Thema "Terf" keine Schmähkritik darstellt und von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Keine Schmähkritik „#DubistEinMann“ ist eine zulässige Meinungsäußerung

Die Beklagte kommentierte einen Beitrag der Klägerin auf der Plattform „X“ u.a. mit „#DubistEinMann“. Diese Aussage ist unter Berücksichtigung des Kontextes und nach Abwägung der involvierten Interessen als zulässige Meinungsäußerung einzuordnen, beschloss das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute veröffentlichter Entscheidung und folgte damit der Einschätzung des Landgerichts. Die Klägerin nahm daraufhin ihren Eilantrag zurück.

Die Klägerin ist als Journalistin tätig. Sie ist Transfrau und Aktivistin. Ebenso wie die Beklagte ist sie auf der Plattform „X“, vormals Twitter, aktiv. Die Klägerin veröffentlichte dort den Beitrag: „Beim @Frauenrat tummeln sich gerade jede Menge #TERF #TERFs in den Kommentaren. Gebt dem Frauenrat doch mal ein wenig Support (Herz-Emoji)“. Die Beklagte kommentierte dies mit „8 likes (Smiley-Emoji mit lachendem Gesicht und Schweißtropfen) times changed! #DubistEinMann“. Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Eilverfahren es zu unterlassen, hinsichtlich ihrer Person zu verbreiten, „sie sei ein Mann“. Das Landgericht hatte den Antrag zurückgewiesen.

Diese Einschätzung teilte auch das OLG. Die Klägerin könne nicht verlangen, dass die streitgegenständliche Äußerung unterlassen werde, bestätigte das OLG die landgerichtliche Entscheidung im Rahmen seines Hinweisbeschlusses. Der Aussagegehalt der angegriffenen Äußerung sei im Kontext mit dem sonstigen Inhalt des Tweets aus Sicht eines verständigen und unvoreingenommenen Lesers zu ermitteln. Demnach kommentiere die Beklagte die Äußerung und den Aufruf der Klägerin und bekunde ihre ablehnende Meinung zu dem in dem verlinkten Beitrag des Deutschen Frauenrates thematisierten Recht auf Selbstbestimmung und Transgeschlechtlichkeit. Der Post der Beklagten stelle sich als Antwort auf den Post der Klägerin und den dort verlinkten Beitrag des Deutschen Frauenrates dar. Vor dem angefügten Hashtag befinde sich der eigentliche Kommentar der Beklagten. Das Smiley-Emoji solle die Witzigkeit unterstreichen. Mit ihrem Kommentar bringe die Beklagte zum Ausdruck, dass das Thema an gesellschaftspolitischer Bedeutung verloren und die Einstellung hierzu sich geändert habe.

„Aufgrund der Schreibweise der nachfolgenden Äußerung ohne Leerzeichen und der atypischen Großschreibung des unbestimmten Artikels „ein“ sowie der Einkleidung als Hashtag versteht der Leser diese (#dubistEinMann) nicht als persönliche Ansprache der Klägerin im Sinne einer direkten Rede, sondern als verallgemeinernde, d.h. an jede Transfrau gerichtete Aussage“, vertiefte das OLG. Der Begriff „Mann“ korreliere für den Leser erkennbar mit dem von der Klägerin in ihrem Hashtag verwendeten Akronym „terf“ (Trans-Exclusionary Radical Feminist), „der für einen Feminismus steht, der transFrauen ausschließt und ausdrücken soll, dass die damit bezeichnete „transgeschlechtliche“ Personen, insbesondere Transfrauen, diskriminiert oder die Transidentität als solche infrage gestellt wird“. Prägend für die Lesart des Lesers sei auch, dass Hashtags insbesondere zur Verschlagwortung und Indexierung von Inhalten genutzt würden; durch die Verknüpfung mit anderen Beiträgen solle gerade Öffentlichkeit generiert werden.

Das Landgericht habe auch zu Recht verneint, dass hier Schmähkritik vorliege. Der Äußerung lasse sich nicht entnehmen, dass die Beklagte die Klägerin losgelöst vom Inhalt ihres Posts und des damit verlinkten Beitrags des Deutschen Frauenrats und damit abseits der Sachdebatte als Person herabwürdigen und diffamieren wolle.

Dem Recht der Beklagten auf Meinungsäußerungsfreiheit gebühre hier gegenüber dem Schutz des Persönlichkeitsrechts der Klägerin und ihrer geschlechtlichen Identität der Vorrang. Zu berücksichtigen sei u.a., dass sich die Klägerin wiederholt selbst aktiv in die Öffentlichkeit begeben und das Selbstbestimmungsrecht und ihr eigenes Geschlecht zum Gegenstand eines gesellschaftlichen Diskurses gemacht habe. Mit den von der Klägerin gesetzten Hashtags habe diese bewusst die dahinterstehende „Community“ angesprochen. Der hier thematisierte Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes und die damit verbundenen Wirkungen berührten die Öffentlichkeit wesentlich.

Die Klägerin hat nach Erhalt des Hinweisbeschlusses des OLG ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgenommen. Damit ist die landgerichtliche Entscheidung wirkungslos.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 26.9.2023, Az. 16 U 95/23

(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 6.7.2023, Az. 2-03 O 228/23)


OLG München: Kein Schadensersatz- und kein Unterlassungsanspruch in Facebook-Scraping-Fällen wenn keine fühlbare reale Beeinträchtigung vorliegt bzw. dargelegt und bewiesen wird

OLG München
Verfügung vom 14.09.2023
14 U 3190/23 e


Das OLG München hat in einer Verfügung im Rahmen eines Berufungsverfahrens ausgeführt, dass kein Schadensersatzanspruch und kein Unterlassungsanspruch in Facebook-Scraping-Fällen besteht, wenn keine fühlbare reale Beeinträchtigung vorliegt bzw. dargelegt und bewiesen wird.

Aus den Verfügungsgründen:
Das strukturiert begründete Urteil des Landgerichts leidet nicht an Rechtsfehlern (§ 546 ZPO). Die zugrunde zu legenden Tatsachen (§ 529 ZPO) gebieten keine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

1. Zutreffend versagt das Landgericht einen Schadensersatzanspruch.

Das Ersturteil arbeitet überzeugend heraus, dass der Beklagten eine schadenskausale Pflichtverletzung, die in den Anwendungsbereich des Art. 82 DSGVO fiele, nicht angelastet werden kann; auf die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts ist Bezug zu nehmen.

Ihnen ist hier lediglich hinzuzufügen: Insbesondere einen Verstoß gegen Art. 32 durch „zu weite“ Voreinstellungen musste das Landgericht nicht annehmen. Art. 32 DSGVO schreibt nicht schlechthin datenschutzfreundliche Voreinstellungen vor, sondern gebietet – wesentlich allgemeiner gehalten – „geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten“. Das ist bei einer Kontaktplattform auch dadurch möglich, dass dem Nutzer durch Anleitungen und Hilfen die Möglichkeit gegeben wird, die Einstellungen enger zu fassen und zudem einen „Privacy-Check“ durchzuführen.

Anderes ergibt sich auch nicht etwa aus Erwägungsgrund 78 zur DSGVO, denn dort werden datenschutzfreundliche Voreinstellungen lediglich als Beispiel für Schutzmaßnahmen genannt, die je nach Sachlage und Zusammenhang empfehlenswert seien.

Er lautet:
„Zum Schutz der in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten bestehenden Rechte und Freiheiten natürlicher Personen ist es erforderlich, dass geeignete technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden, damit die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt werden. Um die Einhaltung dieser Verordnung nachweisen zu können, sollte der Verantwortliche interne Strategien festlegen und Maßnahmen ergreifen, die insbesondere den Grundsätzen des Datenschutzes durch Technik (data protection by design) und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen (data protection by default) Genüge tun. Solche Maßnahmen könnten unter anderem darin bestehen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten minimiert wird, personenbezogene Daten so schnell wie möglich pseudonymisiert werden, Transparenz in Bezug auf die Funktionen und die Verarbeitung personenbezogener Daten hergestellt wird, der betroffenen Person ermöglicht wird, die Verarbeitung personenbezogener Daten zu überwachen, und der Verantwortliche in die Lage versetzt wird, Sicherheitsfunktionen zu schaffen und zu verbessern. In Bezug auf Entwicklung, Gestaltung, Auswahl und Nutzung von Anwendungen, Diensten und Produkten, die entweder auf der Verarbeitung von personenbezogenen Daten beruhen oder zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten verarbeiten, sollten die Hersteller der Produkte, Dienste und Anwendungen ermutigt werden, das Recht auf Datenschutz bei der Entwicklung und Gestaltung der Produkte, Dienste und Anwendungen zu berücksichtigen und unter gebührender Berücksichtigung des Stands der Technik sicherzustellen, dass die Verantwortlichen und die Verarbeiter in der Lage sind, ihren Datenschutzpflichten nachzukommen. Den Grundsätzen des Datenschutzes durch Technik und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen sollte auch bei öffentlichen Ausschreibungen Rechnung getragen werden“.

Das Landgericht durfte hier berücksichtigen, dass Facebook eine Plattform für Nutzer ist, die sich in erster Linie „finden lassen“ wollen, um sogenannte „Freundschaftsanfragen“ zu erhalten, wobei der Begriff „Freundschaft“ hier nicht in dem engen Sinne zu verstehen ist, der die deutsche Sprachtradition prägt. Als „technische und organisatorische Maßnahme“ durfte es das Landgericht in diesem Zusammenhang als ausreichend ansehen, dass die Nutzer hier das Ausmaß der Findbarkeit selbst einstellen konnten, angeleitet durch transparente Hilfen und Erklärungen, die umfangreich, aber verständlich und sinnvoll gegliedert sowie zugänglich waren.

2. Das kann indessen dahinstehen, da im vorliegenden Einzelfall auch kein Schaden im Rechtssinne eingetreten ist.

Das Landgericht hat unter zutreffender Einwertung von Erwägungsgrund 146 herausgearbeitet, dass der Schadensbegriff zwar im Prinzip weit reicht, aber eine fühlbare reale Beeinträchtigung voraussetzt. An dieser fehlt es hier, wie das Landgericht anhand der persönlichen Anhörung des Klägers herausgearbeitet hat. Was die Berufungsbegründung hiergegen erinnert, überzeugt nicht:

(a) Erwägungsgrund 85 besagt nicht, dass jeder Kontrollverlust ein Schaden ist.

Er lautet in seinem Satz 1, den die Berufung hier offensichtlich anzieht:
„Eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten kann – wenn nicht rechtzeitig und angemessen reagiert wird – einen physischen, materiellen oder immateriellen Schaden für natürliche Personen nach sich ziehen, wie etwa Verlust der Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten oder Einschränkung ihrer Rechte, Diskriminierung, Identitätsdiebstahl oder betrug, finanzielle Verluste, unbefugte Aufhebung der Pseudonymisierung, Rufschädigung, Verlust der Vertraulichkeit von dem Berufsgeheimnis unterliegenden Daten oder andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile für die betroffene natürliche Person“.

(b) Dass der Kläger „durch Ärger, Angst, Stress, Sorge“ geplagt sei, hat die Anhörung nicht ergeben, sondern seinen freimütigen Angaben war u.a. zu entnehmen, dass er die Plattform weiter nutzt, was dem Landgericht zeigte, dass der Kläger nicht durchgreifend bekümmert ist. Was er an Zeit und Kraft aufgewendet habe, um sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, war nicht in der Weise greifbar geworden, dass ein „erlittener“ Schaden darin gesehen werden musste.

(c) Dass der Kläger seit dem Datenleck Kontaktversuche von unbekannten Dritten in Form von „Spam“-SMS und „Spam“-Anrufen erhalten habe, hat der Kläger dahin relativiert, diese beruhten wahrscheinlich darauf, dass er seine Mobiltelefonnummer bei dem mehrfach erwähnten großen und weltweit tätigen Versandhandelsunternehmen hinterlegt habe. Das Landgericht hatte daher verständlicherweise unüberwindliche Bedenken, die SMS und Anrufe gerade der Beklagten als kausal verursachten Schaden anzulasten.

2. Nicht zu beanstanden ist ferner, dass das Landgericht auch für einen zukünftigen Schaden keine Anhaltspunkte sah.

3. Zutreffend versagt das Landgericht den Unterlassungsanspruch

Die Wiederholungsgefahr besteht bereits deshalb nicht, weil der Kläger die Einstellungen von „alle“ auf „nur ich“ zurücksetzen kann. Das erfordert keine weiteren Maßnahmen der Beklagten, so dass offen bleiben kann, ob diese die Suchbarkeitsfunktion deaktiviert hat und „Anti-Scraping-Maßnahmen“ ins Werk gesetzt hat.

Denn selbst wenn eine Rechtsverletzung vorläge, die – grundsätzlich – Wiederholungsgefahr zu indizieren geeignet wäre, wäre diese Indizwirkung durch obige Fallumstände hier widerlegt.

Nicht verfangen kann der Einwand, wonach es keine Abhilfe bringe, wenn der Kläger seine Einstellungen von „everyone“ auf „friends of friends“ umstellt. Es mag unterstellt werden, dass auch Daten von Nutzern „gescrapt“ worden sind, die – anders als der Kläger – nicht „everyone“ eingestellt hatten. Das ist aber nicht der Schadenshergang, der vorliegend anzunehmen war und an dem die Wiederholungsgefahr zu messen wäre. Dass sich der hier festgestellte Schadenshergang wiederholen würde, kann der Kläger schon durch die geänderten Einstellungen bewirken. Stellt er die Einstellungen von „alle“ auf „nur ich“ zurück, und würden seine Daten dann (erneut) gescrapt, so wäre das ein anderer Schadenshergang.

4. Zutreffend versagt das Landgericht den Auskunftsanspruch.

Anders als in den von der Berufungsbegründung angezogenen Entscheidungen anderer Gerichte (BerBegr S. 65/66) war der Auskunftsanspruch vorliegend erfüllt mit Ausnahme einer Angabe, wer der/die Scraper/in gewesen ist. Letztere Angabe (des „Empfängers“) kann die Beklagte nicht machen, weil sie den Empfänger nicht kennt. Dass sie in früheren Fällen gegen unbefugte Dritte vorgegangen ist, ändert hieran fallbezogen nichts.

5. Nach alledem hat das Landgericht auch Schadensersatzansprüche nach nationalem Recht zutreffend versagt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: