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OLG Schleswig-Holstein: Fehlen der Telefonnummer in der Widerufsbelehrung führt nicht zur Verlängerung der Widerrufsfrist

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 18.11.2024
10 U 31/24


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass das Fehlen der Telefonnummer in der Widerufsbelehrung nicht zur Verlängerung der Widerrufsfrist führt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Beklagte hat den Kläger nach Maßgabe des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB unterrichtet, obwohl in der von ihr erstellten und dem Kläger bei Vertragsabschluss erteilten Widerrufsbelehrung (Bestandteil der Anlage K 1) keine Telefonnummer mitgeteilt wird. Bei Bestehen eines Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 1 BGB ist der Unternehmer gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB verpflichtet, den Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie über das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2 zu informieren. Das Landgericht hat diese Bestimmung zutreffend dahin ausgelegt, dass die Angabe einer Telefonnummer des Unternehmers nicht von diesen Informationspflichten umfasst ist, wenn er - wie hier - nicht von der in Abs. 2 S. 2 der Vorschrift eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, die Muster-Widerrufsbelehrung in der Anlage 1 zu verwenden.

Die von der Beklagten im Berufungsverfahren als Anlagen B 1 bis B 7 und Anlagenkonvolut B 12 vorgelegten obergerichtlichen Entscheidungen überzeugen ebenso wie das als Anlage B 8 erneut eingereichte Rechtsgutachten des Prof. Dr. Stürner (bereits mit der Klageerwiderung vorgelegt als Anlage B 1) und die Veröffentlichung von Prof. Dr. Schmidt-Kessel in der ZIP 2014, S. 272 ff.

a. Der Wortlaut des § 356 Abs. 3 S. 1 BGB und des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass der Unternehmer dem Verbraucher in der Widerrufsbelehrung eine Telefonnummer mitzuteilen hat und dass von dieser Angabe der Lauf der Widerrufsfrist abhängt.

Zu informieren ist nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB in der Widerufsbelehrung über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie über das Muster-Widerrufsformular in Anlage 2, welches der Verbraucher für seine eigene Erklärung verwenden kann, aber nicht muss. Die Angabe einer Telefonnummer des Unternehmers ist in der Norm nicht vorgeschrieben. Lediglich der Gestaltungshinweis [2] zur Muster-Widerrufsbelehrung in Anlage 1 sieht die Angabe einer Telefonnummer des Unternehmers vor, und zwar in der bis zum 27. Mai 2022 (also bei Vertragsabschluss) geltenden Fassung „soweit verfügbar“ und in der seit dem 28. Mai 2022 geltenden Fassung ohne einen solchen einschränkenden Zusatz. Da die Beklagte die Muster-Widerrufsbelehrung nicht verwendet, sondern Formulierungen daraus um weitere Bestandteile ergänzt hat, war sie von dem Gestaltungshinweis nach dem Gesetzeswortlaut nicht betroffen.

Soweit in Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 2 a. F. EGBGB (jetzt Nr. 3 n. F.) die Angabe einer Telefonnummer des Unternehmers verlangt wird, verweist § 356 Abs. 3 S. 1 BGB - die Vorschrift über den Beginn der Widerrufsfrist - darauf gerade nicht. Für den Fristbeginn ist nur die Erfüllung der widerrufsspezifischen Informationspflichten nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 erforderlich, nicht aber die Erfüllung der allgemeinen Informationspflichten in Abs. 1.

Das nationale Recht steht insoweit im Einklang mit den Vorschriften der EU-Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU), wo ebenfalls zwischen der Erfüllung allgemeiner Informationspflichten (Art. 6 Abs. 1 lit. c) und den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung (Art. 6 Abs. 1 lit. h) unterschieden wird. Auf die Ausführungen auf S. 9 des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

b. Die Ausführungen des Landgerichts zur Systematik der Vorschriften des nationalen Rechts treffen ebenfalls zu. Dass § 356 Abs. 3 S. 1 BGB für den Beginn der Widerrufsfrist bei Fernabsatzverträgen nur auf Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB verweist und nicht auf die allgemeinen Informationspflichten in Abs. 1 der Vorschrift, beruht ersichtlich nicht auf einem Versehen des Gesetzgebers. Für Verträge über Finanzdienstleistungen verweist § 356 Abs. 3 S. 1 BGB nämlich auf Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB, wonach dem Verbraucher die in Art. 246b § 1 Abs. 1 EGBGB genannten Informationen zu erteilen sind. Dort wird der Beginn der Widerrufsfrist also auch von der Erfüllung allgemeiner Informationspflichten abhängig gemacht, nicht aber im hier einschlägigen Bereich der Fernabsatzverträge.

Auch für Bauverträge mit Verbrauchern hat der Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Angabe einer Telefonnummer des Unternehmers in der Widerrufsbelehrung vorzuschreiben und davon den Lauf der Widerrufsfrist abhängig zu machen (§ 356e BGB, Art. 249 § 3 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB).

c. Dafür, dass die Erfüllung der allgemeinen Informationspflichten nicht Voraussetzung für den Lauf der Widerrufsfrist ist, spricht ferner der Vergleich zwischen der seit dem 13. Juni 2014 zur Umsetzung der EU-Verbraucherrechterichtlinie geltenden Fassung des deutschen Rechts und den zuvor geltenden Bestimmungen. Nach § 312d Abs. 2 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung begann die Widerrufsfrist nicht vor Erfüllung der Informationspflichten nach Art. 246 § 2, § 1 Abs. 1 und 2 EGBGB a. F., also nicht vor Erteilung aller vertragsrelevanten Informationen. Dies ist nach den §§ 312d, 356 Abs. 3 S. 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB nicht mehr der Fall. Der Gesetzgeber hat in der Begründung zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie ausdrücklich ausgeführt, dass der Beginn der Widerrufsfrist mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen künftig nicht mehr von der Erfüllung der sonstigen Informationspflichten abhänge (BT-Drucks. 17/12637, S. 61). Auf die weiteren Ausführungen des Landgerichts zu den Gesetzesmaterialien auf S. 7 des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

d. Der Kläger kann sich des Weiteren nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Angabe der Telefonnummer eine Information über „das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts“ sei, so dass diese Angabe schon über Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB zum Pflichtinhalt der Widerrufsbelehrung gehöre. Eine ordnungsgemäße Aufklärung über das Verfahren für die Ausübung des Widerrufs ist erteilt, wenn der Verbraucher aufgrund der Belehrung weiß, was er für einen wirksamen Widerruf tun muss. Es bedarf eines Hinweises auf die in § 355 Abs. 1 S. 2 bis 5 BGB genannten Umstände (Schirmbacher in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Auflage, Art. 246a EGBGB Rn. 118). Dem Verbraucher muss ein zumutbarer Weg aufgezeigt werden, den Widerruf zu erklären (Schirmbacher, a. a. O., Rn. 120). Diesen Anforderungen genügt die Widerrufsbelehrung der Beklagten, die den Verbraucher in die Lage versetzt, rechtzeitig gegenüber der richtigen Adressatin eine eindeutige Erklärung über die Ausübung des Widerrufs abzugeben, wobei verschiedene einfache und effektive Kontaktmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Die Angabe über die Telefonnummer des Unternehmers gehört hingegen nicht zu den Informationen über das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist über die Form des (in beliebiger Form erklärbaren) Widerrufs nach den gesetzlichen Vorschriften gerade nicht zu belehren, so dass die Angabe einer Telefonnummer nicht etwa als Belehrung über die Möglichkeit des telefonischen Widerrufs erforderlich ist. Entgegen der Auffassung des Klägers suggeriert das Weglassen eines Hinweises auf die Möglichkeit des telefonischen Widerrufs auch nicht, dass dies nicht möglich sei. Die Beklagte belehrt in ihrer Widerrufsbelehrung darüber, dass der Widerruf „mittels einer eindeutigen Erklärung (z. B. ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail)“ erfolgen müsse. Damit hat die Beklagte nur beispielhaft die Kommunikationswege genannt, die ein Verbraucher für den Widerruf in aller Regel wählen wird, weil diese Wege zugleich einfach und zur dauerhaften Dokumentation geeignet sind. Die Beklagte musste zum Beispiel nicht zusätzlich über die Möglichkeit belehren, wegen des Widerrufs persönlich bei ihr vorstellig zu werden bzw. ein entsprechendes Schreiben bei ihr abzugeben oder sich die Tesla-App zur Kommunikation herunterzuladen. Das Fehlen eines Hinweises darauf bedeutet nicht, dass diese für den Verbraucher komplizierteren Wege verschlossen sind. Ebenso wenig wird der Verbraucher durch das Fehlen eines Hinweises auf den telefonisch möglichen Widerruf davon abgehalten, den Widerruf unter der nach den eigenen Angaben des Klägers an mehreren Stellen auf der Internetseite der Beklagten angegebenen und leicht auffindbaren Telefonnummer zu erklären. Verbraucher werden von dieser Form der Übermittlung lediglich im eigenen Interesse in aller Regel Abstand nehmen, weil die Nutzung des Telefons für sie gerade keine Vorteile bietet, sondern - entgegen den Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 25. Oktober 2024 - weniger beweissicher und wegen Wartezeiten zeitintensiver ist als eine E-Mail (vgl. Schmidt-Kessel, ZIP 2024, S. 277).

e. Zutreffend sind ferner die Ausführungen des Landgerichts dazu, dass die individuelle Widerrufsbelehrung der Beklagten nicht deshalb fehlerhaft ist, weil sie in Bezug auf die Telefonnummer nicht den Anforderungen des Gestaltungshinweises [2] zu der in Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB enthaltenen Muster-Widerrufsbelehrung entspricht. Es ist zwar richtig, dass die Beklagte bei Verwendung der Musterbelehrung auch ihre Telefonnummer hätte angeben müssen. Aus den so genannten EIS-Entscheidungen des EuGH vom 14. Mai 2020 (C-266/19, juris) und des BGH vom 24. September 2020 (I ZR 169/17, juris) folgt, dass die im Internetauftritt der Beklagten genannte Telefonnummer „verfügbar“ im Sinne des Gestaltungshinweises in der bei Vertragsabschluss geltenden Fassung wäre. Die Beklagte hat jedoch nicht die Muster-Widerrufsbelehrung verwendet.

Entgegen der Auffassung des Klägers normiert der Gestaltungshinweis zur Muster-Widerrufsbelehrung auch nicht etwa den Mindeststandard für individuelle Widerrufsbelehrungen. Die Muster-Widerrufsbelehrung hat den Zweck, durch die so genannte Gesetzlichkeitsfiktion nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB bzw. Art. 6 Abs. 4 der Verbraucherrechterichtlinie den Unternehmer vor Überforderung zu schützen (Schmidt-Kessel, ZIP 2024, S. 274). Wenn der Unternehmer die Musterwiderrufsbelehrung unter Einhaltung der Gestaltungshinweise nutzt, ist er sicher davor, dass aus dem nationalen Recht oder den Unionsvorschriften in irgendeinem Punkt noch höhere Anforderungen hergeleitet werden könnten. Der Detaillierungsgrad der Musterbelehrung ist der Preis der Gesetzlichkeitsfiktion, aber keine Orientierung für die Auslegung der Belehrungsanforderungen (Schmidt-Kessel, a. a. O., S. 275). Eine individuelle Widerrufsbelehrung ohne Angabe einer Telefonnummer ist gerade nicht - wie vom Kläger angenommen - als „Widerrufsbelehrung light“ anzusehen, sondern lediglich individuell am Maßstab des nationalen und des Unionsrechts auf ihre Ordnungsgemäßheit zu überprüfen, ohne dass der Unternehmer durch die Gesetzlichkeitsfiktion privilegiert wird.

f. Schließlich ist dem Landgericht darin zuzustimmen, dass sich aus den so genannten EIS-Entscheidungen des EuGH und des BGH nicht die Anforderungen an eine individuell gestaltete Widerrufsbelehrung ergeben. Es mag zwar sein, dass die dort aufgestellten Grundsätze nicht nur für das Wettbewerbsrecht, sondern auch für das Verhältnis zwischen einem Unternehmer und einem Kunden, der Verbraucher ist, gelten. Die Entscheidungen befassen sich aber ausschließlich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Telefonnummer im Sinne des Gestaltungshinweises [2] zu der in Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB enthaltenen Muster-Widerrufsbelehrung „verfügbar“ ist. Die vom Kläger auf S. 9 der Berufungsbegründung vertretene Auffassung, der BGH habe im Leitsatz zu einem ansonsten nicht näher bezeichneten Urteil vom 21. Januar 2021 (gemeint wohl: Urteil zum Az. I ZR 17/18, juris) ausdrücklich die frei gewählte Widerrufsbelehrung eingeschlossen, trifft nicht zu. Der vom Kläger zitierte Leitsatz der Entscheidung vom 24. September 2020 befasst sich nur mit der Verfügbarkeit der Telefonnummer und nicht damit, dass der Gestaltungshinweis auch für individuelle Belehrungen gelten würde. Der EuGH und der BGH hatten in den so genannten EIS-Entscheidungen keinen Anlass, dazu Stellung zu nehmen, weil die entscheidungserheblichen Rechtsprobleme und damit auch die Vorlagefragen an den EuGH sich allein auf den Fall einer Verwendung der Muster-Widerrufsbelehrung bezogen. Soweit der BGH sich mit der Frage der Spürbarkeit des Wettbewerbsverstoßes zu befassen hatte, stellt sich diese Frage hier dagegen nicht, weil ohne Verwendung der Musterbelehrung schon kein Verstoß vorliegt.

2. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf neues Vorbringen im Berufungsverfahren berufen, wonach die Widerrufsbelehrung der Beklagten aus anderen Gründen nicht die Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB erfülle. Die zugrunde liegenden Tatsachen, insbesondere der Inhalt der im konkreten Fall verwendeten Widerrufsbelehrung und der sonstigen Vertragsbedingungen gemäß Anlage K 1, sind für sich zwar unstreitig, so dass der Senat sich auch insoweit mit der rechtlichen Einordnung der vermeintlichen Mängel der Belehrung zu befassen hat. Einen Verstoß gegen Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB zeigt der Kläger aber mit seinem neuen Vorbringen nicht auf.

a. Es trifft nicht zu, dass die Beklagte den Kläger nicht hinreichend klar über die Erstattung auch der Bestellgebühr im Falle eines Widerrufs belehrt haben soll.

Der Vortrag auf Seite 3 der Berufungsbegründung und auf Seite 9 des Schriftsatzes vom 25. Oktober 2024 ist schon nicht auf den vorliegenden Einzelfall bezogen, sondern geht formularmäßig von der Zahlung einer Bestellgebühr „i. H. v. 100,00 EUR bzw. 250,00 EUR“ aus. Der bereits in der Berufungsbegründung angekündigte Screenshot findet sich nunmehr auf Seite 9 des Schriftsatzes vom 25. Oktober 2024, hat aber keinen Bezug zum vorliegenden Fall und betrifft eine Bestellgebühr von 250,00 €, die für einen Fahrzeugkauf mit Finanzierung erhoben werden soll und im Falle der Ablehnung der Finanzierung rückerstattbar ist. Eine E-Mail, mit der der „Fahrzeugbestellvertrag“ (also die Anlage K 1) übersandt worden sein soll, nennt der Kläger, ohne sie vorzulegen. Die in der Berufungsbegründung und im Schriftsatz vom 25. Oktober 2024 zitierten Passagen aus dem Vertrag der Parteien lassen sich in der Anlage K 1 nicht auffinden.

Den als Anlage K 1 vorgelegten Unterlagen ist nur zu entnehmen, dass der Kläger offenbar eine „Anzahlung für Bestellung“ von 100,00 € zu leisten hatte. In den AGB in der Fassung der Anlage K 1 heißt es unter „Bestellvorgang Model 3, Y und Vertragsbeendigung“ zwar, dass die Beklagte im Falle einer Stornierung durch den Kunden „womöglich eine von Ihnen bezahlte Bestellgebühr als pauschalierten Schadensersatz einbehalten“ könne, dies aber ausdrücklich „vorbehaltlich anderweitiger entgegenstehender gesetzlicher Regelungen“. Der vom Kläger auf Seite 3 unten in der Berufungsbegründung eingerückte Text aus Vertragsbedingungen der Beklagten weist sogar ausdrücklich darauf hin, dass beim Vorliegen von gesetzlichen Widerrufs- und Rücktrittsrechten ein Rückerstattungsanspruch bestehe.

Vor allem aber hat die Beklagte den Kläger in der ihm erteilten Widerrufsbelehrung ausdrücklich darüber belehrt, dass sie dem Kunden im Falle eines Widerrufs „alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben, ... zurückzuzahlen“ habe. Dies ist eindeutig und wird nicht dadurch relativiert, dass es gegenüber Kunden, die nicht Verbraucher sind, die Möglichkeit gibt, dass sie eine etwa geleistete Bestellgebühr im Falle der Vertragsstornierung - außerhalb des nur für Verbraucher geltenden Widerrufsrechts - nicht zurückerhalten könnten. Entgegen der Auffassung des Klägers (Seite 18 der Berufungsbegründung, Seite 10 des Schriftsatzes vom 25. Oktober 2024) hat die Beklagte auch nicht mehrere Widerrufsbelehrungen erteilt, sondern genau eine, die ordnungsgemäß auf den vollen Rückerstattungsanspruch hinweist.

b. Der Hinweis des Klägers auf die „Mindesthaltedauer“ in den AGB der Beklagten ist im Zusammenhang mit der Widerrufsbelehrung nicht nachvollziehbar. Dem Kläger ist in den als Anlage K 1 eingereichten Unterlagen ersichtlich nicht suggeriert worden, er müsse das Fahrzeug sechs Monate lang halten, so dass deshalb kein Widerruf des Vertrages in Betracht komme. Die Klägervertreter zitieren auf Seite 4 der Berufungsbegründung (und wiederholend im Schriftsatz vom 25. Oktober 2024) zu dem Punkt „Kein Weiterverkauf“ schon nicht aus der Anlage K 1, sondern möglicherweise aus dem Vertrag eines anderen Mandanten. Eine Verpflichtung, „das Fahrzeug mindestens sechs Monate ab Auslieferung zu halten“ ist in der Anlage K 1 unter dem Punkt „Kein Weiterverkauf“ überhaupt nicht enthalten (22 eA I). Aus dem dort thematisierten Verbot des Weiterverkaufs lässt sich nicht im Ansatz herleiten, dass der Widerruf ausgeschlossen sein könnte.

c. Schließlich ist die Einleitung der Widerrufsbelehrung der Beklagten klar und verständlich und hat dem Kläger als Verbraucher kein Subsumtionsrisiko in Bezug auf seine Verbrauchereigenschaft und die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln bei Vertragsabschluss aufgebürdet.

Letztere wird von der Beklagten ausdrücklich erläutert mit dem Zusatz „(wie z.B. über das Internet, per Telefon, E-Mail o.ä.)“. Jeder normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Verbraucher kann beurteilen, ob er den Vertrag mit diesen Mitteln abgeschlossen hat. Ein Kunde, der wie der Kläger den Kaufvertrag über die Internetseite der Beklagten abgeschlossen hat, kann nicht ernsthaft hinterfragen, dass es sich um einen Vertragsabschluss ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln handelt. Der Kläger macht selbst nicht geltend, dass sich bei ihm irgendwelche Zweifel ergeben hätten.

Auch die eigene Einordnung als Verbraucher ist für einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Kunden einfach zu treffen, ohne dass er die Legaldefinition in § 13 BGB kennen muss. Der Hinweis auf den persönlichen Anwendungsbereich des Widerrufsrechts nur für Verbraucher verstößt nicht gegen das Klarheits- und Verständlichkeitsgebot (BGH, Urteil vom 9. November 2010, Az. I ZR 123/10, juris). Die Beklagte, die Verträge über die von ihr hergestellten Fahrzeuge sowohl mit Verbrauchern als auch mit Unternehmern schließt, kann hingegen nicht beurteilen, ob der jeweilige Kunde Verbraucher und über das Widerrufsrecht zu belehren ist oder ob es sich um einen Unternehmer handelt. Bei natürlichen Personen wie dem Kläger ist aus Sicht der Beklagten beides gleichermaßen möglich, während der Kläger wusste, dass er Verbraucher ist. Die Gefahr, dass ein Kunde wegen Zweifeln an seiner Eigenschaft als Verbraucher nicht von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht, besteht auch abstrakt nicht, zumal die Zuordnung in aller Regel - wie hier - eindeutig ist, der Kunde sich bei gleichwohl auftretenden Zweifeln einfach über die Definition des Begriffs „Verbraucher“ informieren kann und ihm im Übrigen keine Nachteile entstehen, wenn er im Zweifel das Widerrufsrecht ausübt und möglicherweise später die Erkenntnis gewinnen muss, dass dies ins Leere geht.

3. Selbst wenn aus einem der vom Kläger genannten Gründe - insbesondere wegen Nichtangabe der Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung - die von der Beklagten erteilte Widerrufsbelehrung hinter den gesetzlichen Anforderungen zurückbliebe (was nicht der Fall ist), wäre der Kläger jedenfalls wegen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB daran gehindert, sich auf den Widerruf des Kaufvertrages zu berufen. Die Ausführungen des OLG Celle in dem als Anlage B 4 im Berufungsverfahren vorgelegten Beschluss vom 12. Juni 2024 (Az. 16 U 12/24) sind überzeugend.

Selbst wenn die Widerrufsbelehrung einen Mangel aufweisen würde, wäre dieser derart geringfügig, dass es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn der Kläger sich auf eine daraus etwa entstehende formale Rechtsposition beruft. Dass ein etwaiger Mangel der Belehrung Auswirkungen auf das Verhalten des Klägers innerhalb der regulären Frist von zwei Wochen ab Übergabe des Fahrzeuges hatte, ist hier ausgeschlossen. Er hat den Widerruf noch fast ein Jahr später - selbstverständlich - in einer beweissicheren Form und nicht telefonisch erklärt, obwohl er die Verlängerung der Frist auf insgesamt 12 Monate und 14 Tage gerade mit dem Fehlen der Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung begründet hat. Nachdem der Kläger den Vertrag über die Internetseite der Beklagten abgeschlossen hat, war der Widerruf per E-Mail, auf den die Beklagte ausdrücklich hingewiesen hat, bei objektiver Betrachtung mit Abstand am einfachsten und am besten geeignet, während nichts für einen telefonischen Widerruf sprach. Die Telefonnummer wurde von der Beklagten auch nicht verborgen gehalten, sondern war gerade nach dem Vortrag des Klägers einfach auffindbar. Die Beklagte hatte kein Interesse, einen telefonischen Widerruf zu verhindern, da dieser Weg allein für den Kunden nachteilig wäre.

Der Zeitpunkt des Widerrufs - der nicht etwa wenige Wochen nach Ablauf der 2-Wochen-Frist, sondern kurz vor Ablauf der Höchstfrist erfolgt ist - verdeutlicht im Zusammenspiel mit dem allenfalls geringfügigen und für den Kläger unbedeutenden Mangel der Widerrufsbelehrung, dass die Kaufreue erst spät eingetreten ist und/oder es ihm darum geht, kostenlos für ein Jahr in den Genuss der Nutzung des neuen Fahrzeuges zu gelangen. Die Ausübung eines bestehenden Widerrufsrechts nach § 312g BGB bedarf zwar keiner Begründung, so dass es grundsätzlich nicht darauf ankommt, aus welchen Gründen der Verbraucher den Widerruf erklärt. Dies können auch sachfremde Motive sein. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger in erster Linie das Ziel verfolgt, die Beklagte zu schädigen. Gleichwohl wäre es treuwidrig, eine rein formal bestehende Position zu nutzen, um sich nachträglich einen erheblichen eigenen Vermögensvorteil zu sichern, nachdem der fristgemäße Widerruf unabhängig vom Inhalt der Widerrufsbelehrung nicht erfolgt ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zur Bemessung des Streitwerts in Facebook-Scraping-Fällen für Ansprüche auf Unterlassung, Zahlung, Auskunft und Feststellung

BGH
Beschluss vom 10.12.2024
VI ZR 7/24


Der BGH hat sich in diesem Beschluss zur Bemessung des Streitwerts in Facebook-Scraping-Fällen für Ansprüche auf Unterlassung, Zahlung, Auskunft und Feststellung geäußert.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Senat hat den Streitwert für das Revisionsverfahren auf die Gebührenstufe bis 4.000 € festgesetzt und die Klageanträge dabei - wie zuvor das Berufungsgericht - wie folgt bemessen: 1.000 € (Zahlungsantrag) + 500 € (Feststellungsantrag) + 1.500 € (Unterlassungsanträge) + 500 € (Auskunftsantrag) = 3.500 €. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wendet sich allein gegen die Wertfestsetzung für die Unterlassungsanträge, die er - wie zuvor das Landgericht - mit insgesamt 5.000 € (2 x 2.500 €) bemessen haben möchte.

Eine Höherfestsetzung des Streitwerts für die Unterlassungsanträge ist nicht veranlasst. Der Streitwert ist nach allgemeinen Regeln unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen (§ 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 GKG, § 3 ZPO). Maßgeblich bei einem Unterlassungsantrag nach - wie im Streitfall geltend gemacht - bereits erfolgter Verletzungshandlung ist das Interesse des Anspruchstellers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, welches maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für den Inhaber des verletzten Rechts bestimmt wird. Allerdings kann auch anderen, von der bereits erfolgten Verletzungshandlung unabhängigen Faktoren - etwa dem Grad der Wahrscheinlichkeit künftiger Zuwiderhandlungen - Rechnung zu tragen sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - I ZR 1/15, NJW 2017, 814 Rn. 33 ff. mwN). Das Gefährdungspotential ist dabei allein mit Blick auf das konkrete Streitverhältnis zu bestimmen. Für generalpräventive Erwägungen ist bei der Bewertung eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs ebenso wenig Raum (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - I ZR 1/15, NJW 2017, 814 Rn. 42 mwN) wie für eine Orientierung an einem etwaigen (Gesamt-)Schaden unter Einbeziehung anderer Betroffener (vgl. Senat, Beschluss vom 30. November 2004 - VI ZR 65/04, juris Rn. 2; OLG Hamm, Urteil vom 15. August 2023 - 7 U 19/23, juris Rn. 277; OLG Frankfurt/M., K&R 2024, 673). Schließlich darf das Gesamtgefüge der Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitgegenstände nicht aus den Augen verloren werden (BGH, Beschluss vom 26. November 2020 - III ZR 124/20, K&R 2021, 127 Rn. 11).

Nach diesen Grundsätzen ist die erfolgte Festsetzung des Wertes der Unterlassungsanträge auf insgesamt 1.500 € (2 x 750 €) sachgerecht (vgl. zu Parallelfällen auch OLG Hamm, Urteil vom 15. August 2023 - 7 U 19/23, juris Rn. 279 ff.; OLG Frankfurt/M., K&R 2024, 673: jeweils insgesamt 1.000 €). Der Kläger selbst hat seinen Zahlungsanspruch auf Ersatz des bereits eingetretenen Schadens auf 1.000 € beziffert. Der Senat hat hierzu in einem weiteren Parallelverfahren näher ausgeführt, dass er auch eine Bemessung in der Größenordnung von 100 € für den bloßen Kontrollverlust von Rechts wegen nicht beanstanden würde (Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, juris Rn. 100). Seinen Antrag auf Feststellung hinsichtlich etwaiger zukünftiger Schäden hat auch der Kläger mit 500 € bewertet; dies erscheint angesichts der absehbaren Schwierigkeiten beim Nachweis der Ursächlichkeit künftiger Schäden auch sachgerecht. Die Verletzungshandlung liegt bereits fünf Jahre zurück, ohne dass es bislang jenseits des bloßen Kontrollverlustes zum Eintritt nachweisbarer Schäden oder einer weiteren Verletzungshandlung gekommen wäre; die Beklagte hat die Suchbarkeitsfunktion in der dem Streitfall inmitten stehenden Ausgestaltung vielmehr zwischenzeitlich deaktiviert. Beide Unterlassungsanträge nehmen ihren Ausgangspunkt in derselben Verletzungshandlung und hängen in der Sache eng zusammen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext BGH liegt vor: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes soferm keine wirksame Einwilligung vorlag

BGH
Urteil vom 18.11.2024
VI ZR 10/24
DS-GVO Art. 82 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes sofern keine wirksame Einwilligung vorlag - dann auch Unterlassungsanspruch über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Immaterieller Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO kann auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung sein. Weder muss eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

BGH, Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24 - OLG Köln - LG Bonn

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes sofern keine wirksame Einwilligung vorlag - dann auch Unterlassungsanspruch

BGH
Urteil vom 18.11.2024
VI ZR 10/24


Der BGH hat im Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO entschieden, dass in Facebook-Scraping-Fällen ein Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes in Höhe von 100 EURO angemessen sein dürfte, sofern keine wirksame Einwilligung in die Datenverarbeitung vorlag. Dies hat die Vorinstanz nunmehr zu prüfen. Der BGH hat zudem entschieden, dass dann auch Unterlassungsanspruch und ein Feststellungsinteresse für einen Schadensersatzfeststellungsanspruch besteht.

Die Pressmeiteilung des BGH:
Bundesgerichtshof entscheidet über Ansprüche im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall beim
sozialen Netzwerk Facebook (sog. Scraping)

Sachverhalt:

Die Beklagte betreibt das soziale Netzwerk Facebook. Anfang April 2021 wurden Daten von ca. 533 Millionen Facebook-Nutzern aus 106 Ländern im Internet öffentlich verbreitet. Unbekannte Dritte hatten sich zuvor den Umstand zu Nutze gemacht, dass die Beklagte es in Abhängigkeit von den Suchbarkeits-Einstellungen des jeweiligen Nutzers ermöglicht, dass dessen Facebook-Profil mithilfe seiner Telefonnummer gefunden werden kann. Die unbekannten Dritten ordneten durch die in großem Umfang erfolgte Eingabe randomisierter Ziffernfolgen über die Kontakt-Import-Funktion Telefonnummern den zugehörigen Nutzerkonten zu und griffen die zu diesen Nutzerkonten vorhandenen öffentlichen Daten ab (sog. Scraping).

Von diesem Scraping-Vorfall waren auch Daten des Klägers (Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Arbeitsstätte und Geschlecht) betroffen, die auf diese Weise mit dessen Telefonnummer verknüpft wurden. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um eine Ausnutzung des Kontakt-Tools zu verhindern. Ihm stehe wegen des erlittenen Ärgers und des Kontrollverlusts über seine Daten Ersatz für immaterielle Schäden zu. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm in diesem Zusammenhang auch alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO Schadensersatz in Höhe von 250 € zugesprochen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers insgesamt abgewiesen. Weder reiche der bloße Kontrollverlust zur Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO aus noch habe der Kläger hinreichend substantiiert dargelegt, über den Kontrollverlust als solchen hinaus psychisch beeinträchtigt worden zu sein.

Mit Beschluss vom 31. Oktober hat der Bundesgerichtshof das Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren gemäß § 552b ZPO n.F. bestimmt (Pressemitteilung 206/24). Nachdem die Revision nicht zurückgenommen wurde oder sich anderweitig erledigt hat, hat der Bundesgerichtshof jedoch am 11. November 2024 mündlich zur Sache verhandelt und nach allgemeinen Regeln durch Urteil über die Revision des Klägers entschieden.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision des Klägers war teilweise erfolgreich.

Der Anspruch des Klägers auf Ersatz immateriellen Schadens lässt sich mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht verneinen. Nach der für die Auslegung des Art. 82 Abs. 1 DSGVO maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH kann auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung ein immaterieller Schaden im Sinne der Norm sein. Weder muss insoweit eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

Erfolg hatte die Revision auch, soweit das Berufungsgericht die Anträge des Klägers auf Feststellung einer Ersatzpflicht für zukünftige Schäden, auf Unterlassung der Verwendung seiner Telefonnummer, soweit diese nicht von seiner Einwilligung gedeckt ist, und auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgewiesen hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es nicht an dem notwendigen Feststellungsinteresse des Klägers, da die Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden unter den Umständen des Streitfalles ohne Weiteres besteht. Der genannte Unterlassungsanspruch ist hinreichend bestimmt und dem Kläger fehlt insoweit auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen (weiterer Unterlassungsantrag und Auskunftsantrag) blieb die Revision hingegen ohne Erfolg.

Im Umfang des Erfolges der Revision hat der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Für die weitere Prüfung hat der Bundesgerichtshof das Berufungsgericht zum einen darauf hingewiesen, dass die von der Beklagten vorgenommene Voreinstellung der Suchbarkeitseinstellung auf "alle" nicht dem Grundsatz der Datenminimierung entsprochen haben dürfte, wobei das Berufungsgericht ergänzend die Frage einer wirksamen Einwilligung des Klägers in die Datenverarbeitung durch die Beklagte zu prüfen haben wird. Zum anderen hat der Bundesgerichtshof Hinweise zur Bemessung (§ 287 ZPO) des immateriellen Schadens aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO erteilt und ausgeführt, warum unter den Umständen des Streitfalles von Rechts wegen keine Bedenken dagegen bestünden, den Ausgleich für den bloßen Kontrollverlust in einer Größenordnung von 100 € zu bemessen.

Vorinstanzen:

LG Bonn - Urteil vom 29. März 2023 - 13 O 125/22

OLG Köln - Urteil vom 7. Dezember 2023 - 15 U 67/23

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

Artikel 82 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) - Haftung und Recht auf Schadenersatz

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

(…)



Volltext BGH liegt vor: Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO - Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen

BGH
Beschluss vom 31.10.2024
VI ZR 10/24
ZPO § 552b


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH bestimmt Rechtsstreit um möglichen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Zur Bestimmung eines Leitentscheidungsverfahrens gemäß § 552b ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 328).

BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2024 - VI ZR 10/24 - OLG Köln - LG Bonn

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision wirft Rechtsfragen auf, die für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung sind. Der Senat bestimmt das vorliegende Verfahren daher zum Leitentscheidungsverfahren im Sinne des § 552b ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 328; im Folgenden: § 552b ZPO nF).

1. Die formalen Voraussetzungen zur Bestimmung des vorliegenden Verfahrens zum Leitentscheidungsverfahren liegen vor. Das Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 ist nach seinem Art. 7 am Tag nach der Verkündung, mithin am 31. Oktober 2024 in Kraft getreten. Die Revisionsbegründung des Klägers wurde der Beklagten am 8. April 2024 zugestellt, die Revisionserwiderung der Beklagten ist am 15. Oktober 2024 eingegangen (§ 552b Satz 1 ZPO nF). Eine Anhörung der Parteien im Rahmen der Bestimmung des Verfahrens zum Leitentscheidungsverfahren ist nicht erforderlich (arg e contr. § 148 Abs. 4 ZPO nF; vgl. ferner Allgayer, Stellungnahme als Sachverständiger zum [Regierungs-]Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens bei Bundesgerichtshof, BTRechtsausschuss vom 13. Dezember 2023, S. 4); etwas anderes würde auch die Zielsetzung des Gesetzes unterlaufen, eine zügige höchstrichterliche Klärung trotz der Rücknahme von Revisionen aus prozesstaktischen Gründen oder aufgrund eines Vergleiches zu ermöglichen (vgl. BT-Drs. 20/8762 S. 10).

2. Das Verfahren wirft die folgenden Rechtsfragen auf:

a) Liegt in der Implementierung der sog. Kontakt-Import-Funktion in Verbindung mit der Standardvoreinstellung "alle" ein Verstoß der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO ?

b) Ist der bloße Verlust der Kontrolle über die gescrapten und nunmehr mit der Mobiltelefonnummer des Betroffenen verknüpften Daten geeignet, einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen? Falls ja, wie wäre der Ersatz für einen solchen Schaden zu bemessen ?

c) Welche Anforderungen sind an die Substantiierung einer Schadensersatzklage nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu stellen ?

d) Reicht die bloße Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden in einem Fall wie dem vorliegenden aus, um ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zu begründen?

e) Genügen die vom Kläger gestellten Anträge, dass die Beklagte es unterlasse,

- personenbezogene Daten der Klägerseite unbefugten Dritten über eine Software zum Importieren von Kontakten zugänglich zu machen, ohne die nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen vorzusehen, um die Ausnutzung des Systems für andere Zwecke als der Kontaktaufnahme zu verhindern, und

- die Telefonnummer des Klägers auf Grundlage einer Einwilligung zu verarbeiten, die wegen der unübersichtlichen und unvollständigen Informationen durch die Beklagte erlangt wurde, namentlich ohne eindeutige Informationen darüber, dass die Telefonnummer auch bei Einstellung auf 'privat' noch durch Verwendung des Kontaktimporttools verwendet werden kann, wenn nicht explizit hierfür die Berechtigung verweigert und, im Falle der Nutzung der FacebookMessenger App, hier ebenfalls explizit die Berechtigung verweigert wird,

dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ?

3. Die Entscheidung dieser Rechtsfragen ist für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung (§ 552b Satz 1 ZPO n.F.). Beim erkennenden Senat sind derzeit 25 weitere Revisionsverfahren zu dem Scraping-Vorfall bei der Beklagten anhängig. In den Tatsacheninstanzen sind bei unterschiedlichen Gerichten noch insgesamt mehrere tausend Verfahren anhängig (vgl. OLG Stuttgart, GRUR-RS 2023, 32883 Rn. 136: über 100 eigene und bundesweit mehr als 6.000 Parallelverfahren; OLG Hamm, GRUR-RS 2024, 16856 Rn. 23: Vielzahl eigener Parallelverfahren; OLG Köln, GRUR-RS 2023, 37347 Rn. 29: Vielzahl gleichgelagerter eigener Verfahren).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH bestimmt Rechtsstreit um möglichen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO

BGH
Beschluss vom 31.10.2024
VI ZR 10/24


BGH hat einen Rechtsstreit um möglichen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO in Facebook-Scraping-Fällen zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO bestimmt.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof bestimmt Leitentscheidungsverfahren in dem sog. Scraping-Komplex (Ansprüche im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall beim sozialen Netzwerk Facebook)

Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus der Datenschutz-Grundverordnung zuständige VI. Zivilsenat hat in dem sog. Scraping-Komplex (Pressemitteilung 115/24) das Revisionsverfahren VI ZR 10/24 zum Leitentscheidungsverfahren bestimmt. Nach der durch das Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 24. Oktober 2024 (BGBl. I Nr. 328) neu geschaffenen Vorschrift des § 552b ZPO kann der Bundesgerichtshof ein bei ihm anhängiges Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren bestimmen, wenn die Revision Rechtsfragen aufwirft, deren Entscheidung für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist. Mit der Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren ist eine Entscheidung über die Rechtsfragen auch dann zu treffen, wenn eine inhaltliche Entscheidung über die Revision aus prozessualen Gründen nicht mehr ergehen kann. Damit soll eine zügige höchstrichterliche Klärung trotz der Rücknahme von Revisionen aus prozesstaktischen Gründen oder aufgrund eines Vergleichs ermöglicht werden.

Das zum Leitentscheidungsverfahren bestimmte Revisionsverfahren VI ZR 10/24 wirft die Rechtsfragen auf,

ob in der von der Beklagten bei Implementierung der sog. Kontakt-Import-Funktion vorgenommenen Standardvoreinstellung auf "alle" ein Verstoß der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO liegt,

ob der bloße Verlust der Kontrolle über die gescrapten und nunmehr mit der Mobiltelefonnummer des jeweiligen Betroffenen verknüpften Daten geeignet ist, einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen,

wie in einem solchen Fall der Schaden zu bemessen wäre,

welche Anforderungen an die Substantiierung einer Schadensersatzklage nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu stellen sind,

ob die bloße Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden ausreicht, um ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zu begründen,

ob die vom Kläger gestellten Unterlassungsanträge dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügen.

Diese Rechtsfragen sind für eine Vielzahl beim Bundesgerichtshof und in den Tatsacheninstanzen anhängiger, in wesentlichen Teilen gleichgearteter Verfahren von Bedeutung. Diese Verfahren können nunmehr grundsätzlich bis zur Erledigung des Leitentscheidungsverfahrens ausgesetzt werden.

In zwei zunächst zur Verhandlung am 8. Oktober 2024 vorgesehenen Verfahren sind die Revisionen von den Klägern kurzfristig vor dem Termin zurückgenommen worden (Pressemitteilung 190/24). Für den 11. November 2024 ist Termin zur mündlichen Verhandlung in dem nunmehr zum Leitentscheidungsverfahren bestimmten Revisionsverfahren VI ZR 10/24 anberaumt (Pressemitteilung 195/24). In dem weiteren für den 11. November 2024 terminierten Verfahren VI ZR 186/24 ist die Revision zwischenzeitlich ebenfalls zurückgenommen worden.

Vorinstanzen:

LG Bonn - Urteil vom 29. März 2023 - 13 O 125/22

OLG Köln - Urteil vom 7. Dezember 2023 - 15 U 67/23

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 552b ZPO n.F.: Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren

Wirft die Revision Rechtsfragen auf, deren Entscheidung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist, so kann das Revisionsgericht nach Eingang einer Revisionserwiderung oder nach Ablauf eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung das Revisionsverfahren durch Beschluss zum Leitentscheidungsverfahren bestimmen. Der Beschluss enthält eine Darstellung des Sachverhalts und der Rechtsfragen, deren Entscheidung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist.

§ 565 ZPO n.F.: Leitentscheidung

(1) Endet die zum Leitentscheidungsverfahren bestimmte Revision, ohne dass ein mit inhaltlicher Begründung versehenes Urteil ergeht, so trifft das Revisionsgericht durch Beschluss eine Leitentscheidung. Der Beschluss ergeht ohne mündliche Verhandlung.

(2) In dem Beschluss wird

1. festgestellt, dass die Revision beendet ist, und

2. eine Leitentscheidung zu den im Beschluss nach § 552b benannten Rechtsfragen getroffen.

(3) Der Beschluss ist zu begründen. Die Begründung ist auf die Erwägungen zur Entscheidung der maßgeblichen Rechtsfragen zu beschränken.

§ 148 ZPO n.F.: Aussetzung bei Vorgreiflichkeit

(…)

(4) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Rechtsfragen abhängt, die den Gegenstand eines bei dem Revisionsgericht anhängigen Leitentscheidungsverfahrens bilden, nach Anhörung der Parteien anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Leitentscheidungsverfahrens auszusetzen ist. Eine Aussetzung hat zu unterbleiben, wenn eine Partei der Aussetzung widerspricht und gewichtige Gründe hierfür glaubhaft macht. (…)


LG Flensburg: Fehlen der Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung führt nicht zur Verlängerung der Widerrrufsfrist sofern nicht die Muster-Widerrufsbelehrung verwendet wird

LG Flensburg
Urteil vom 12.07.2024
3 O 65/24


Das LG Flensburg hat entschieden, dass das Fehlen der Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung nicht zur Verlängerung der Widerrrufsfrist führt, sofern nicht die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zu Art. 246a EGBG verwendet wird.

Aus den Entscheidungsgründen:
Zwar steht dem Kläger ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB iVm § 312g Abs. 1 Alt. 2 BGB zu, da der streitgegenständliche Fahrzeugkaufvertrag einen Fernabsatzvertrag iSd § 312c BGB darstellt. Vorliegend kam der Vertrag ausschließlich durch Onlinebestellung auf der Homepage der Beklagten zu Stande. Die Durchführung einer Probefahrt mit einem Tesla-Performance-Modell steht der Annahme eines Fernabsatzgeschäftes nicht entgegen. Eine damit einhergehende Durchbrechung des Informationsungleichgewichts ist nicht ersichtlich.

Mit der Widerrufserklärung vom 08.08.2023 hat der Kläger jedoch die hier einzuhaltende gesetzliche Widerrufsfrist von 14 Tagen nicht eingehalten. Da er das Fahrzeug am 05.11.2022 erhalten hat, begann die Widerrufsfrist nach §§ 355 Abs. 2, 356 Abs. 2 Nr. 1 a) BGB am 06.11.2022 zu laufen (§ 187 Abs. 1 BGB) und endete nach 14 Tagen (§ 355 Abs. 2 S. 1 BGB), somit am 19.11.2022 (§ 188 Abs. 1 BGB). Der am 08.08.2023 erklärte Widerruf war daher verfristet.

Auf eine Gesetzesfiktion der Ordnungsgemäßheit der Widerrufserklärung kann sich die Beklagte zwar nicht berufen, da sie nach eigenem Vortrag gerade eine individualisierte Widerrufserklärung verwendete, jedoch liegt auch kein Verstoß gegen Unterrichtungspflichten nach Art. 246 a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB vor, welche zu einem etwaigen verlängerten Fristenlauf nach § 356 Abs. 3 S.1 BGB führen hätten können. Insbesondere war die Angabe einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung nicht erforderlich.

Die Widerrufsbelehrung der Beklagten genügt trotz nicht erfolgter Angabe einer Telefonnummer den Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB.

Der Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschriften, § 356 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BGB i.V.m Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB, enthält keine Regelung, wonach auch die Telefonnummer des Unternehmers in der Widerrufsbelehrung angegeben werden muss. Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB verweist nur auf die „Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2“. Aus Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGBGB a.F. bzw. Nr. 3 nach n.F. (dort wird die Telefonnummer genannt) folgt kein anderes Ergebnis. Denn § 356 Abs. 3 S. 1 BGB verweist explizit nur auf Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1. Nr. 1 EGBGB.

Hätte der Gesetzgeber im Falle des § 356 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BGB iVm Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB zwingend gewollt, dass der Unternehmer dem Verbraucher auch eine Telefonnummer nennt, so hätte er dies entsprechend geregelt. So setzt bspw. auch das in § 356e S. 1 BGB iVm Art. 249 § 3 EGBGB geregelte Widerrufsrecht bei Verbraucherbauverträgen eine Belehrung unter expliziter Nennung der Telefonnummer voraus.

Es entsteht nach dem Wortlaut der hier verwendeten für den Verbraucher auch nicht irreführend die Annahme, eine von der Beklagten im Rechtsverkehr verwendete Telefonnummer könne nicht zur Ausübung des Widerrufs genutzt werden.

Sofern der Kläger meint, dass es Rechtsprechung des BGH sei, dass bei fehlender Telefonnummer in einer Widerrufsbelehrung bei einem Fernabsatzvertrag nach Ablauf der in § 355 Abs. 2 S. 1 BGB geregelten Frist noch ein Widerrufsrecht bestünde, wenn die Telefonnummer auf der Website oder anderen Veröffentlichungen des Unternehmers als für den Kundenverkehr freigegeben angegeben wird, bezogen sich dort entschiedene Rechtsstreitigkeiten auf die Muster-Widerrufsbelehrungsformular in Anlage 1 zu Art. 246a EGBGB. Dies trifft nicht auf den hier zu entscheidenden Rechtsstreit zu.

Sofern der Kläger auch auf die EuGH-Rechtsprechung verweist, gilt nichts anderes. Der EuGH stellte in seiner „Amazon“ Entscheidung vom 10.07.2019 (Az. C-649/17) klar, dass eine unbedingte Verpflichtung des Unternehmers, dem Verbraucher stets eine Telefonnummer zur Verfügung zu stellen, damit die Verbraucher mit dem Unternehmer in Kontakt treten können, unverhältnismäßig erscheint. Weiter führte der EuGH in seiner „EIS-Entscheidung vom 14.05.2020 (Az. C-266/19) aus, dass ein Unternehmer, der die Muster-Widerrufsbelehrung der Anlage 1 zu Art. 246a EGBGB verwendet und nach außen eine Telefonnummer für den Kundenverkehr zur Verfügung stellt, auch eine Telefonnummer in dieser Belehrung – entsprechend den Gestaltungshinweisen der Anlage 1 – angeben muss. Daran zweifelt das Gericht auch nicht. Vorliegend ist jedoch nicht das Muster-Widerrufsbelehrungsformular verwendet worden, weshalb sich eine Übertragung der Grundsätze verbietet.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Frankenthal: Fehlendene Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung führt nicht zur Unwirksamkeit der Belehrung und nicht zur Verlängerung der Widerrufsfrist

LG Frankenthal
Urteil vom 13.12.2013
6 O 198/23


Das LG Frankentha hat entschieden, dass eine fehlendene Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung nicht zur Unwirksamkeit der Belehrung und nicht zur Verlängerung der Widerrufsfrist führt.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gemäß §§ 357 Abs. 1, 355 BGB auf Rückzahlung des Kaufpreises, nachdem unabhängig von der Frage, ob aufgrund eines vorhergehenden Kontaktes zwischen den Parteien im Rahmen einer Probefahrt überhaupt von einem Fernabsatzgeschäft auszugehen ist und unabhängig von der Frage, ob der Kläger tatsächlich als Verbraucher handelte, ein dem Kläger möglicherweise zustehendes Widerrufsrecht nicht rechtzeitig geltend gemacht worden ist. Die im Fahrzeugbestellvertrag vom 16.03.2022 erfolgte Belehrung ist ordnungsgemäß und die Widerrufsfrist war daher (auch unter Berücksichtigung der Übergabe des Fahrzeuges am 10.11.2022) bei Erklärung des Widerrufs am 20.05.2023 abgelaufen.

Randnummer22
Gemäß § 356 Abs. 3 BGB beginnt die Widerrufsfrist nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen von Artikel 246a § 1 Abs. 2 S. 1 EGBGB insbesondere über die Bedingungen, Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 BGB belehrt hat. Nachdem die Beklagten vorliegend offensichtlich nicht das gemäß Artikels 246a § 1 Absatz 2 Satz 2 EGBGB mögliche Belehrungsmuster verwendet hat, sondern die erteilte Belehrung an zahlreichen Stellen vom Muster abweicht, ist deren Wirksamkeit nach allgemeinen Kriterien zu beurteilen. Die Beklagte kann ihre Informationspflichten auch durch eine Belehrung erfüllen, die von der Musterbelehrung abweicht, aber inhaltlich den in § 356 Abs. 2 S. 1 BGB, Art. 246a § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB geregelten Anforderungen genügt. In einem solchen Fall trägt die Beklagte als Unternehmer allerdings das Risiko, dass ihre Information den allgemeinen Anforderungen an eine umfassende, unmissverständliche und nach dem Verständnis eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbrauchers eindeutige Belehrung nicht genügt (BGH, NJW 2023, 1964).

1. Die Belehrung genügt nach Auffassung der Kammer den allgemeinen Anforderungen, nachdem hinreichend über die allgemeinen Bedingungen und Fristen belehrt worden ist, was der Kläger auch nicht ernsthaft in Zweifel zieht. Die Belehrung ist auch hinsichtlich des Verfahrens ausreichend. Insbesondere die einzige vom Kläger konkret gerügte Beanstandung einer fehlenden Telefonnummer führt nicht zu einer Unwirksamkeit der Belehrung, nachdem deren Mitteilung nicht für eine ordnungsgemäße Belehrung über das Verfahren für die Ausübung des Widerrufs erforderlich ist. Es ist lediglich erforderlich, aber auch ausreichend den Adressaten des Widerrufs zu benennen und einen möglichen Kontaktweg aufzuzeigen (vgl. Staudinger/Thüsing (2019) BGB § 312d, Rn. 47; BeckOK BGB/Martens, 68. Ed. 1.11.2023, EGBGB Art. 246a § 1 Rn. 28). Die in der Belehrung enthaltene Mitteilung des Adressaten einschließlich der Postadresse genügt diesen Anforderungen. Dem Wortlaut des Gesetzes kann nicht entnommen werden, dass sämtliche oder jedenfalls bestimmte Kontaktwege für einen Widerruf in der Belehrung genannt werden müssen, nachdem nur über die Bedingungen, das Verfahren und die Fristen, nicht aber über mögliche Formen des Widerrufs zu belehren ist. Hinzu kommt, dass eine grundsätzliche Pflicht zur Benennung sämtlicher Kontaktwege zu einer kaum zu rechtfertigenden Benachteiligung von Marktakteuren führen würde, die den Widerruf auch über eine Telefonnummer ermöglichen, obwohl sie zur Bereitstellung einer Telefonnummer zu diesem Zweck nach der Rechtsprechung des EuGH nicht verpflichtet sind (vgl. zur fehlenden Verpflichtung zur Einrichtung einer Telefonnummer zum Zwecke des Widerrufs, EuGH (1. Kammer), Urteil vom 10.7.2019 – C-649/17). Die gegenteilige Auffassung (vgl. BeckOGK/Busch, 1.7.2023, EGBGB Art. 246a § 1 Rn. 36; MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312d Rn. 55), wonach eine zum Widerruf bereitstehende Telefonnummer immer anzugeben ist, würde dazu führen, dass diejenigen Marktakteure, die eine Telefonnummer zur Verfügung stellen auch umfangreichere Belehrungspflichten haben, als diejenigen, die diesen (zusätzlichen) Weg zur Erklärung des Widerrufs nicht zur Verfügung stellen und so im Ergebnis einem nicht gerechtfertigten, größeren Risiko einer fehlerhaften Belehrung ausgesetzt wären.

Dieses Ergebnis gilt auch bei Würdigung der in der Anlage zum EGBGB zur Verfügung gestellten Musterwiderrufsbelehrung. Zum einen besteht keine Obliegenheit diese zu verwenden, sondern deren Verwendung bietet lediglich eine rechtssichere Belehrungsmöglichkeit für den Unternehmer (BGH, NJW 2023, 1964), sodass aus deren Inhalt nicht zwingend auf den Inhalt sämtlicher möglicher Belehrungen geschlossen werden kann. Zum anderen kann der bei Vertragsschluss geltenden Musterwiderrufsbelehrung einschließlich der damaligen Gestaltungshinweise nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, dass die Telefonnummer als möglicher Kommunikationsweg Bestandteil des in Art 246a § 1 EGBGB genannten Verfahrens ist, wenn dort bei den beispielhaft genannten Erklärungswegen lediglich der Brief und die E- Mail, jedoch nicht der telefonische Widerruf genannt werden und eine Telefonnummer nach den Gestaltungshinweisen nur angegeben werden muss, soweit diese verfügbar ist (vgl. mit ähnlichen Erwägungen, OLG Hamm Urt. v. 9.2.2023 – 18 U 125/22, BeckRS 2023, 3615 Rn. 55).

Eine Pflicht zur Angabe der Telefonnummer ergibt sich auch nicht aus Art 10 Abs. 1 RL 2011/83/EU, wonach dann, wenn der Unternehmer den Verbraucher nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. h RL 2011/83/EU über sein Widerrufsrecht belehrt hat, die Widerrufsfrist erst 12 Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist abläuft. Insofern ist entsprechend der Umsetzung in das deutsche Recht gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. h RL 2011/83/EU ausdrücklich nur über das Bestehen eines Widerrufsrechts die Bedingungen, Fristen und das Verfahren sowie das Muster-Widerrufsformular zu belehren. Jedenfalls ausdrücklich ist keine Mitteilungspflicht der in Art. 6 Abs. 1 lit. a RL 2011/83/EU genannten Telefonnummer oder über die möglichen Formen des Widerrufs normiert worden.

Ein Abgleich mit dem erforderlichen Inhalt der Widerrufsbelehrung eines Verbraucherbauvertrages spricht zusätzlich gegen das Erfordernis, eine Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung von Fernabsatzverträgen angeben zu müssen, da eine Mitteilung für den Verbraucherbauvertrag gemäß § 356e BGB, Art. 249, § 3 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB - anders als für Fernabsatzverträge - ausdrücklich normiert ist.

Aus der vom Kläger in Bezug genommenen Rechtsprechung des BGH ergibt sich nichts Abweichendes, nachdem im dortigen Sachverhalt (nach den Feststellungen des dortigen Berufungsgerichts) davon auszugehen war, dass anders als im vorliegenden Fall die Widerrufsbelehrung auf der Basis der Muster- Widerrufsbelehrung erstellt worden ist (BGH, Urteil vom 24.9.2020 – I ZR 169/17, MMR 2021, 328 Rn. 31) deren (damalige) Ausfüllhinweise das Einfügen einer Telefonnummer vorsahen, soweit diese verfügbar war. In der vorgenannten Entscheidung befasst sich der BGH (jedenfalls ausdrücklich) nur mit einer Nichtbeachtung der Gestaltungshinweise der Musterbelehrung. Die Kammer kann der Entscheidung keine konkreten Ausführungen dazu entnehmen, dass der BGH mit dieser Entscheidung zugleich eine Angabepflicht der Telefonnummer für die Fälle einer vom Unternehmer selbst - in Abweichung zur Musterwiderrufsbelehrung - erstellten Belehrung sieht.

2. Die Belehrung der Beklagten ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam, etwa weil sie den Eindruck erweckt, dass ein telefonischer Widerruf nicht zulässig wäre (vgl. BeckOK BGB/Martens, 68. Ed. 1.11.2023, EGBGB Art. 246a § 1 Rn. 28). Unzulässig ist eine Belehrung dann, wenn deren Inhalt oder Gestaltung die Gefahr begründet, dass der Verbraucher irregeführt und von einem rechtzeitigen Widerruf abgehalten wird (vgl. BGH NJW 2021, 3122 Rn. 15 und Rn. 22 f.). Dies ist beispielsweise für den Fall bejaht worden, dass eine verwendete Klausel zur Berechnung des Wertersatzes erheblich zum Nachteil des Verbrauchers von der zutreffend in der Belehrung dargestellten Regelung abweicht (BGH, NJW 2021, 3122 Rn. 15) oder für den Fall widersprüchlicher Angaben zum Adressaten eines Widerrufs, welche mit der Gefahr einer Irreführung über den Vertragspartner einhergeht (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 – I ZR 28/22 –, Rn. 45, juris).

Eine Irreführung oder ein Abhalten vom rechtzeitigen Widerruf ist durch die vorliegende Belehrung, insbesondere die Nichtangabe einer Telefonnummer, nicht erfolgt. Insbesondere suggeriert die Belehrung nicht, dass ein Widerruf nur an die angegebene Anschrift und daher per Post oder an die angegebenen E- Mail – Adresse übersendet werden kann, obwohl keine anderen Kontaktmöglichkeiten genannt wurden. Mit der Passage, dass „z.B. ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail“ möglich sind, wird durch die Formulierung „z.B.“ zum Ausdruck gebracht, dass diese Aufzählung nicht abschließend ist. Zusätzlich wird durch die ausdrückliche Erwähnung eines Widerrufs per Telefax verdeutlicht, dass die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme über die Post- und die E- Mail - Adresse nicht abschließend sind, wenn ein Widerruf per Telefax erwähnt, eine Telefaxnummer aber nicht genannt wird.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG München: Kein Schadensersatz- und kein Unterlassungsanspruch in Facebook-Scraping-Fällen wenn keine fühlbare reale Beeinträchtigung vorliegt bzw. dargelegt und bewiesen wird

OLG München
Verfügung vom 14.09.2023
14 U 3190/23 e


Das OLG München hat in einer Verfügung im Rahmen eines Berufungsverfahrens ausgeführt, dass kein Schadensersatzanspruch und kein Unterlassungsanspruch in Facebook-Scraping-Fällen besteht, wenn keine fühlbare reale Beeinträchtigung vorliegt bzw. dargelegt und bewiesen wird.

Aus den Verfügungsgründen:
Das strukturiert begründete Urteil des Landgerichts leidet nicht an Rechtsfehlern (§ 546 ZPO). Die zugrunde zu legenden Tatsachen (§ 529 ZPO) gebieten keine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

1. Zutreffend versagt das Landgericht einen Schadensersatzanspruch.

Das Ersturteil arbeitet überzeugend heraus, dass der Beklagten eine schadenskausale Pflichtverletzung, die in den Anwendungsbereich des Art. 82 DSGVO fiele, nicht angelastet werden kann; auf die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts ist Bezug zu nehmen.

Ihnen ist hier lediglich hinzuzufügen: Insbesondere einen Verstoß gegen Art. 32 durch „zu weite“ Voreinstellungen musste das Landgericht nicht annehmen. Art. 32 DSGVO schreibt nicht schlechthin datenschutzfreundliche Voreinstellungen vor, sondern gebietet – wesentlich allgemeiner gehalten – „geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten“. Das ist bei einer Kontaktplattform auch dadurch möglich, dass dem Nutzer durch Anleitungen und Hilfen die Möglichkeit gegeben wird, die Einstellungen enger zu fassen und zudem einen „Privacy-Check“ durchzuführen.

Anderes ergibt sich auch nicht etwa aus Erwägungsgrund 78 zur DSGVO, denn dort werden datenschutzfreundliche Voreinstellungen lediglich als Beispiel für Schutzmaßnahmen genannt, die je nach Sachlage und Zusammenhang empfehlenswert seien.

Er lautet:
„Zum Schutz der in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten bestehenden Rechte und Freiheiten natürlicher Personen ist es erforderlich, dass geeignete technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden, damit die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt werden. Um die Einhaltung dieser Verordnung nachweisen zu können, sollte der Verantwortliche interne Strategien festlegen und Maßnahmen ergreifen, die insbesondere den Grundsätzen des Datenschutzes durch Technik (data protection by design) und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen (data protection by default) Genüge tun. Solche Maßnahmen könnten unter anderem darin bestehen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten minimiert wird, personenbezogene Daten so schnell wie möglich pseudonymisiert werden, Transparenz in Bezug auf die Funktionen und die Verarbeitung personenbezogener Daten hergestellt wird, der betroffenen Person ermöglicht wird, die Verarbeitung personenbezogener Daten zu überwachen, und der Verantwortliche in die Lage versetzt wird, Sicherheitsfunktionen zu schaffen und zu verbessern. In Bezug auf Entwicklung, Gestaltung, Auswahl und Nutzung von Anwendungen, Diensten und Produkten, die entweder auf der Verarbeitung von personenbezogenen Daten beruhen oder zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten verarbeiten, sollten die Hersteller der Produkte, Dienste und Anwendungen ermutigt werden, das Recht auf Datenschutz bei der Entwicklung und Gestaltung der Produkte, Dienste und Anwendungen zu berücksichtigen und unter gebührender Berücksichtigung des Stands der Technik sicherzustellen, dass die Verantwortlichen und die Verarbeiter in der Lage sind, ihren Datenschutzpflichten nachzukommen. Den Grundsätzen des Datenschutzes durch Technik und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen sollte auch bei öffentlichen Ausschreibungen Rechnung getragen werden“.

Das Landgericht durfte hier berücksichtigen, dass Facebook eine Plattform für Nutzer ist, die sich in erster Linie „finden lassen“ wollen, um sogenannte „Freundschaftsanfragen“ zu erhalten, wobei der Begriff „Freundschaft“ hier nicht in dem engen Sinne zu verstehen ist, der die deutsche Sprachtradition prägt. Als „technische und organisatorische Maßnahme“ durfte es das Landgericht in diesem Zusammenhang als ausreichend ansehen, dass die Nutzer hier das Ausmaß der Findbarkeit selbst einstellen konnten, angeleitet durch transparente Hilfen und Erklärungen, die umfangreich, aber verständlich und sinnvoll gegliedert sowie zugänglich waren.

2. Das kann indessen dahinstehen, da im vorliegenden Einzelfall auch kein Schaden im Rechtssinne eingetreten ist.

Das Landgericht hat unter zutreffender Einwertung von Erwägungsgrund 146 herausgearbeitet, dass der Schadensbegriff zwar im Prinzip weit reicht, aber eine fühlbare reale Beeinträchtigung voraussetzt. An dieser fehlt es hier, wie das Landgericht anhand der persönlichen Anhörung des Klägers herausgearbeitet hat. Was die Berufungsbegründung hiergegen erinnert, überzeugt nicht:

(a) Erwägungsgrund 85 besagt nicht, dass jeder Kontrollverlust ein Schaden ist.

Er lautet in seinem Satz 1, den die Berufung hier offensichtlich anzieht:
„Eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten kann – wenn nicht rechtzeitig und angemessen reagiert wird – einen physischen, materiellen oder immateriellen Schaden für natürliche Personen nach sich ziehen, wie etwa Verlust der Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten oder Einschränkung ihrer Rechte, Diskriminierung, Identitätsdiebstahl oder betrug, finanzielle Verluste, unbefugte Aufhebung der Pseudonymisierung, Rufschädigung, Verlust der Vertraulichkeit von dem Berufsgeheimnis unterliegenden Daten oder andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile für die betroffene natürliche Person“.

(b) Dass der Kläger „durch Ärger, Angst, Stress, Sorge“ geplagt sei, hat die Anhörung nicht ergeben, sondern seinen freimütigen Angaben war u.a. zu entnehmen, dass er die Plattform weiter nutzt, was dem Landgericht zeigte, dass der Kläger nicht durchgreifend bekümmert ist. Was er an Zeit und Kraft aufgewendet habe, um sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, war nicht in der Weise greifbar geworden, dass ein „erlittener“ Schaden darin gesehen werden musste.

(c) Dass der Kläger seit dem Datenleck Kontaktversuche von unbekannten Dritten in Form von „Spam“-SMS und „Spam“-Anrufen erhalten habe, hat der Kläger dahin relativiert, diese beruhten wahrscheinlich darauf, dass er seine Mobiltelefonnummer bei dem mehrfach erwähnten großen und weltweit tätigen Versandhandelsunternehmen hinterlegt habe. Das Landgericht hatte daher verständlicherweise unüberwindliche Bedenken, die SMS und Anrufe gerade der Beklagten als kausal verursachten Schaden anzulasten.

2. Nicht zu beanstanden ist ferner, dass das Landgericht auch für einen zukünftigen Schaden keine Anhaltspunkte sah.

3. Zutreffend versagt das Landgericht den Unterlassungsanspruch

Die Wiederholungsgefahr besteht bereits deshalb nicht, weil der Kläger die Einstellungen von „alle“ auf „nur ich“ zurücksetzen kann. Das erfordert keine weiteren Maßnahmen der Beklagten, so dass offen bleiben kann, ob diese die Suchbarkeitsfunktion deaktiviert hat und „Anti-Scraping-Maßnahmen“ ins Werk gesetzt hat.

Denn selbst wenn eine Rechtsverletzung vorläge, die – grundsätzlich – Wiederholungsgefahr zu indizieren geeignet wäre, wäre diese Indizwirkung durch obige Fallumstände hier widerlegt.

Nicht verfangen kann der Einwand, wonach es keine Abhilfe bringe, wenn der Kläger seine Einstellungen von „everyone“ auf „friends of friends“ umstellt. Es mag unterstellt werden, dass auch Daten von Nutzern „gescrapt“ worden sind, die – anders als der Kläger – nicht „everyone“ eingestellt hatten. Das ist aber nicht der Schadenshergang, der vorliegend anzunehmen war und an dem die Wiederholungsgefahr zu messen wäre. Dass sich der hier festgestellte Schadenshergang wiederholen würde, kann der Kläger schon durch die geänderten Einstellungen bewirken. Stellt er die Einstellungen von „alle“ auf „nur ich“ zurück, und würden seine Daten dann (erneut) gescrapt, so wäre das ein anderer Schadenshergang.

4. Zutreffend versagt das Landgericht den Auskunftsanspruch.

Anders als in den von der Berufungsbegründung angezogenen Entscheidungen anderer Gerichte (BerBegr S. 65/66) war der Auskunftsanspruch vorliegend erfüllt mit Ausnahme einer Angabe, wer der/die Scraper/in gewesen ist. Letztere Angabe (des „Empfängers“) kann die Beklagte nicht machen, weil sie den Empfänger nicht kennt. Dass sie in früheren Fällen gegen unbefugte Dritte vorgegangen ist, ändert hieran fallbezogen nichts.

5. Nach alledem hat das Landgericht auch Schadensersatzansprüche nach nationalem Recht zutreffend versagt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Hamm: Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen nur wenn ein konkreter Schaden nachgewiesen wird - Verstoß gegen DSGVO und Gefühl des Kontrollverlustes seitens des Betroffenen genügt nicht

OLG Hamm
Urteil vom 15.08.2023
7 U 19/23


Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch in Facebook-Scraping-Fällen nur dann besteht, wenn ein konkreter Schaden nachgewiesen wird. Der Verstoß gegen die DSGVO und das Gefühl des Kontrollverlustes seitens des Betroffenen genügt nicht allein nicht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Leitentscheidung zu Facebook-Scraping

Das Oberlandesgericht Hamm hat ein erstes Urteil zu den sogenannten Facebook-Scraping-Fällen gesprochen und eine Klage auf Zahlung von Schadensersatz nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) abgewiesen. Nach dem Urteil liegen zwar Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften vor, einen immateriellen Schaden konnte die Klägerin jedoch nicht ausreichend darlegen.

Im April 2021 veröffentlichten Unbekannte die Daten von etwa 500 Millionen Facebook-Nutzern im Darknet, darunter Namen und Telefonnummern. Die Daten hatten die Unbekannten zuvor über einen längeren Zeitraum zunächst unter Ausnutzung der seinerzeitigen Suchfunktionen von Facebook gesammelt, weshalb von „Scraping“ gesprochen wird (von engl. to scrape für zusammenkratzen). Auch dann, wenn die Anzeige der eigenen Telefonnummer bei Facebook nicht aktiviert war, war es über die Suchfunktion möglich, einen Nutzer über eine eingegebene Telefonnummer zu identifizieren. Dies nutzen die unbekannten „Scraper“ aus, indem sie millionenfach Telefonnummern mit dem Computer generierten und hierzu Daten abriefen. Facebook deaktivierte die Suchfunktion für Telefonnummern im April 2018. Auf ein daraufhin angepasstes Scraping-Verfahren, das die Kontaktimportfunktion von Facebook ausnutzte, wurden weitere Daten abgegriffen, bis Facebook auch diese Funktion auf der Plattform im Oktober 2018 und im Facebook-Messenger im September 2019 deaktivierte.

Im Hinblick auf dieses „Datenleck“ sind bundesweit zahlreiche Klagen gegen Meta als Betreiberin der Plattform anhängig, so auch im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm, für den nunmehr die erste Entscheidung vorliegt. Der für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige 7. Zivilsenat klärt darin zahlreiche Rechtsfragen im Zusammenhang mit den Scraping-Klagen.

Auch die Klägerin im nun entschiedenen Verfahren war von dem Scraping betroffen. In dem im Darknet veröffentlichten Datensatz fanden sich ihre Mobiltelefonnummer, ihr Vor- und Nachname sowie die Angabe ihres Geschlechts. Die Klägerin hat von Meta als Betreiberin der Plattform unter anderem eine Entschädigung für immaterielle Schäden ähnlich einem Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 1.000 Euro verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Betreiberin der Plattform habe sowohl im Zusammenhang mit dem Scraping als auch unabhängig davon gegen verschiedene Vorschriften des Datenschutzes aus der DSGVO verstoßen. Dem ist Meta entgegengetreten.

Das Landgericht Bielefeld hatte die Klage zurückgewiesen. Die von der Klägerin eingelegte Berufung ist nun vor dem Oberlandesgericht Hamm ohne Erfolg geblieben. Zwar hat das Oberlandesgericht Verstöße gegen die DSGVO festgestellt. Von einem immateriellen Schaden der Klägerin konnte es sich jedoch nicht überzeugen.

Zu den festgestellten Verstößen gegen die DSGVO geht das Oberlandesgericht im Ausgangspunkt davon aus, dass es auch im Zivilprozess Aufgabe des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen – hier Meta – ist, die zulässige Verarbeitung dieser Daten nach der DSGVO nachzuweisen. Auch die Weitergabe von Daten an Dritte auf eine Suchfunktion oder eine Kontaktimportfunktion ist dabei Datenverarbeitung im Sinne der DSGVO. Meta konnte hier nicht nachweisen, dass die Weitergabe der Mobiltelefonnummer der Klägerin im Rahmen der Such- oder Kontaktimportfunktion nach der DSGVO gerechtfertigt war. Auf die Erfüllung des Vertragszwecks als Rechtfertigungsgrund nach der DSGVO kann sich Meta dabei nicht berufen, da die Verarbeitung der Mobiltelefonnummer für die Vernetzung der Nutzerinnen und Nutzer von Facebook untereinander unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Datensparsamkeit nicht zwingend erforderlich ist. Für die Verarbeitung der Mobiltelefonnummer bedarf es daher einer Einwilligung der Nutzerin oder des Nutzers. Eine solche wurde hier schon deswegen nicht wirksam erteilt, weil bei der seinerzeit erteilten Einwilligung der Klägerin in unzulässiger Weise mit von der Nutzerin auf Wunsch abwählbaren Voreinstellungen gearbeitet wurde („opt-out“) und die Informationen über die Such- und Kontaktimportfunktion unzureichend und intransparent waren.

Auch eine grundsätzlich zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung hat das Oberlandesgericht bejaht, da Meta trotz der konkreten Kenntnis von dem Datenabgriff im vorliegenden Fall naheliegende Maßnahmen zur Verhinderung weiteren unbefugten Datenabgriffs nicht ergriffen hatte.

Das Oberlandesgericht hat der Klägerin im Ergebnis aber dennoch keinen Schadensersatz zuerkannt. Die Klägerin hat hier lediglich immaterielle Schäden geltend gemacht, was nach der DSGVO grundsätzlich möglich ist und zu einer Entschädigung ähnlich einem Schmerzensgeld führen kann. Allerdings ist es der Klägerin nicht gelungen, einen konkreten immateriellen Schaden darzulegen. Dabei geht das Oberlandesgericht davon aus, dass der immaterielle Schaden nicht in dem bloßen Verstoß gegen die DSGVO selbst liegen kann, sondern darüberhinausgehende persönliche bzw. psychologische Beeinträchtigungen eingetreten sein müssen. Solche hat die Klägerin jedoch nicht individuell dargelegt. Der zu einer Vielzahl an ähnlich gelagerten Verfahren identische, pauschale Vortrag, die „Klägerpartei“ habe Gefühle eines Kontrollverlusts, eines Beobachtetwerdens und einer Hilflosigkeit, insgesamt also das Gefühl der Angst entwickelt und Aufwand an Zeit und Mühe gehabt, reicht zur Darlegung einer konkret-individuellen Betroffenheit der Klägerin nicht aus. Auch ist der hier in Rede stehende Datenmissbrauch, der zur ungewollten Veröffentlichung von Name und Mobiltelefonnummer geführt hat, nicht so schwerwiegend, dass der Eintritt eines immateriellen Schadens ohne weiteres naheliegt. Hinzu kommt, dass die Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht lediglich ausgeführt hatte, sie habe ein „Gefühl der Erschrockenheit“ erlitten.

Das Oberlandesgericht hat den Streitwert für das gesamte Verfahren – in dem auch erfolglos weitere Anträge auf Feststellung, Unterlassung und Auskunft geltend gemacht worden waren – mit lediglich 3.000 Euro bewertet. Es hat keinen Anlass gesehen, das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen oder die Revision zuzulassen, da die entscheidenden Rechtsfragen jüngst durch den Europäischen Gerichtshof geklärt wurden.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 15. August 2023, Az. 7 U 19/23; Vorinstanz: Landgericht Bielefeld, Urteil vom 19. Dezember 2022, Az. 8 O 157/22.

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Bernhard Kuchler
Pressedezernent

Für die Entscheidung relevante Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Art. 4 – Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck: […]
2. "Verarbeitung" jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung; […]

Art. 5 – Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten
(1) Personenbezogene Daten müssen
a) auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden ("Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz");
b) für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden; eine Weiterverarbeitung für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gilt gemäß Artikel 89 Absatz 1 nicht als unvereinbar mit den ursprünglichen Zwecken ("Zweckbindung");
c) dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein ("Datenminimierung"); […]

(2) Der Verantwortliche ist für die Einhaltung des Absatzes 1 verantwortlich und muss dessen Einhaltung nachweisen können ("Rechenschaftspflicht").

Art. 6 – Rechtmäßigkeit der Verarbeitung
(1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:
a) Die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben;
b) die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen; […]

Art. 7 – Bedingungen für die Einwilligung
(1) Beruht die Verarbeitung auf einer Einwilligung, muss der Verantwortliche nachweisen können, dass die betroffene Person in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten eingewilligt hat.
(2) Erfolgt die Einwilligung der betroffenen Person durch eine schriftliche Erklärung, die noch andere Sachverhalte betrifft, so muss das Ersuchen um Einwilligung in verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache so erfolgen, dass es von den anderen Sachverhalten klar zu unterscheiden ist. Teile der Erklärung sind dann nicht verbindlich, wenn sie einen Verstoß gegen diese Verordnung darstellen. […]

Art. 32 – Sicherheit der Verarbeitung
(1) Unter Berücksichtigung des Stands der Technik, der Implementierungskosten und der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere des Risikos für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen treffen der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten; […]

Art. 82 – Haftung und Recht auf Schadenersatz
(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. […]




OLG Frankfurt: 6.000 EURO Streitwert in Scraping-Fällen gegen Facebook / Meta regelmäßig angemessen - 4.000 EURO für Unterlassungsanspruch

OLG Frankfurt
Beschluss vom 18.07.2023
6 W 40/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass in den typischen Scraping-Fällen gegen Facebook / Meta regelmäßig ein Streitwert von 6.000 EURO angemessen ist. Dabei entfallen 4.000 EURO auf den Unterlassungsanspruch.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Streitwert des bezifferten Klageantrags zu 1 entspricht dem eingeklagten Mindestschadensersatz in Höhe von 1.000 Euro (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO).

2. Die Beschwerdeführer wenden sich auch zu Recht nicht dagegen, dass das Landgericht den Schadensersatzfeststellungsantrag (Klageantrag zu 2) mit 500 Euro bewertet hat (vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.01.2023 - 4 AR 4/22, juris Rn. 23; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.07.2023 - 10 W 5/23, juris Rn. 15 mwN).

3. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ist der Wert der auf Unterlassung gerichteten Klageanträge zu 3 a) und b) nicht mit mehr als insgesamt 4.000 Euro zu bemessen.

a) Nach den zutreffenden Rechtsausführungen des Landgerichts ist der Streitwert in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Dabei kommt der Streitwertangabe des Klägers zu Beginn des Verfahrens nach ständiger Rechtsprechung des Senats zwar grundsätzlich erhebliche indizielle Bedeutung für den Wert des tatsächlich verfolgten Interesses zu (siehe u.a. auch KG, Beschluss vom 26.11.2004 - 5 W 146/04, juris Rn. 5; Beschluss vom 18.02.2022 - 5 U 1007/20, juris Rn. 81), da der Kläger bei Einreichung der Klageschrift noch nicht sicher wissen kann, ob sein Antrag Erfolg haben wird. Er ist daher von sich aus gehalten, sein wirtschaftliches Interesse an der Verfolgung des geltend gemachten Verstoßes realistisch einzuschätzen. Eine Abweichung von der Streitwertangabe des Klägers kommt daher im Regelfall nur in Betracht, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass diese erheblich über- oder untersetzt ist (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.12.2022 - 6 W 77/22, WRP 2023, 358 Rn. 4 mwN - Penthouse in Erstbezug, zu einem UWG-Verstoß).

b) Vorliegend ist allerdings unter Berücksichtigung des beidseitigen Parteivortrags davon auszugehen, dass der vom Landgericht angenommene Streitwert von insgesamt 4.500 Euro für die Klageanträge zu 3 a) und b) nicht zu gering, sondern vielmehr zu hoch ist (vgl. insofern auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.07.2023 - 10 W 5/23, juris Rn. 16: 4.000 Euro; siehe auch OLG Dresden, Beschluss vom 28.09.2022 - 17 AR 36/22, Anlage SW2 S. 5, GA 590 [juris Rn. 8]: Zwischen 3.000 Euro und 5.000 Euro).

aa) Zwar hat der Kläger geltend gemacht, das Datenleck habe für ihn schwerwiegende Folgen. Er gebe seine Telefonnummer nicht wahl- und grundlos preis. Die erlangten Datensätze stünden bis heute jedem im Internet zu Verfügung. Sie seien auf Internetseiten veröffentlicht worden, die illegale Aktivitäten begünstigten, wie www.(...).com, einem bekannten „Hacker-Forum“, auf dem illegal abgeschöpfte Daten für kriminelle Machenschaften wie Internetbetrug hinterlegt und ausgetauscht würden. Die Datensätze lieferten Kriminellen ausreichend Informationen für Betrugsversuche durch sog. Phishing per SMS (Versuche, sich über gefälschte Kurznachrichten als vertrauenswürdiger Kommunikationspartner auszugeben, um an persönliche Nutzerdaten zu kommen oder Nutzer zu schädlichen Aktionen zu verleiten), Scamming ([Internet-]Betrug), Spamming (Zusenden unerwünschter Nachrichten), Smishing (Form des Phishings, bei der Nutzer verleitet werden, auf einen Link mit Schadstoffsoftware zu klicken), Identitätsdiebstahl und die Übernahme von Accounts und Anrufen (sog. „SIM-Swap“-Angriffe). Seit dem Vorfall bzw. seit April 2019 erhalte er unregelmäßig bzw. vermehrt Anrufe von unbekannten Nummern, Kontaktversuche von Unbekannten per SMS (vgl. jeweils Anlage K6, Anlagenband zum Schriftsatz vom 08.02.2023) und E-Mails mit offensichtlichen Betrugsversuchen und potenziellen Virenlinks. Dies wäre ohne das Datenleck aufgrund der Privatsphäre-Einstellung - gerade in Bezug auf seine Telefonnummer - so nicht der Fall gewesen. Durch den von der Beklagten zu verantwortenden umfassenden Verlust der Kontrolle über seine Daten, insbesondere in Verknüpfung mit seiner Telefonnummer, habe er das Gefühl des Kontrollverlusts, Beobachtetwerdens und der Hilfslosigkeit, und damit insgesamt ein überschattendes Gefühl der Angst. Sein Unwohlsein und seine ständige große Sorge vor einem Datenmissbrauch zeigten sich insbesondere in verstärktem Misstrauen gegenüber Anrufen und E-Mails von unbekannten Nummern bzw. Adressen. Er reagiere nur noch äußerst vorsichtig auf E-Mails und Nachrichten und fürchte jedes Mal einen Betrug. Zwar erhielten auch Personen, die nicht bei Plattform1 seien, jedenfalls SPAM-E-Mails, die Spannbreite möglicher Negativfolgen des Scrapings gehe aber darüber hinaus. So könne es unter anderem sein, dass er sich bei einem Anruf mit seinem Namen melde, mit „Ja“ antworte oder auf ihm per SMS oder E-Mail übersandte Links klicke und dadurch in irgendwelche Verträge gerate. Drohanrufe oder -nachrichten könnten es erforderlich machen, dass er sich eine neue Handynummer zulegen oder den Anbieter wechseln müsse, was zeit- und kostenaufwändig wäre.

bb) Andererseits ist der Kläger selbst nur von einem mittelschweren Fall ausgegangen, da die „entwendeten“ Daten nicht sensibel oder höchstpersönlicher Natur, aber umfangreich seien. Auch hat der Kläger die Daten - abgesehen von seiner Telefonnummer - selbst auf Plattform1 öffentlich zugänglich gemacht hat und trotz des angeblichen Angstgefühls seine Kontoeinstellungen nach Bekanntwerden des Datenlecks nicht geändert.

Die Kläger aufgezeigten Missbrauchsmöglichkeiten mögen zudem zwar theoretisch bestehen und die Veröffentlichung der verknüpften Daten Anreiz zu einer rechtswidrigen Verwendung geben, allerdings hängen die vom Kläger behaupteten vermehrten E-Mails und Anrufe nicht nachweislich mit dem Scraping zusammen. Dargetan sind mit Anlage K6 im Wesentlichen ein paar SMS zu angeblich versandten Paketen, teils mit der Aufforderung, einen Link zu betätigen. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung, die dem Kläger auch bei einem künftigen, vergleichbaren Vorfall drohen könnte, kann darin nach zutreffender Auffassung des Landgerichts nicht gesehen werden. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger Opfer von Drohungen oder derart schwerwiegenden Belästigungen werden könnte, dass er seine Telefonnummer ändern müsste.

Nach zutreffender Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe ist auch nicht erkennbar, dass ein künftiger, gleichgelagerter Vorfall wirtschaftlich erheblich höher zu bewerten wäre als die Klageanträge zu 1 und 2 mit insgesamt 1.500 Euro (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.07.2023 - 10 W 5/23, juris Rn. 16). In Bezug auf den streitgegenständlichen Vorfall ist unstreitig, dass die Beklagte zunächst weder die Nutzer noch die für sie zuständige Datenschutzbehörde des Landes1 (A) über das streitgegenständliche Scraping informiert hat.

Bei gebotener Gesamtabwägung aller relevanten Umstände mögen zwar die Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Beklagten und die wirtschaftliche Bedeutung der Scraping-Vorfälle für diese mit zu berücksichtigen sein (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.07.2023 - 10 W 5/23, juris Rn. 16 mwN), allerdings führt der Verweis des Klägers auf mögliche Geldbußen in Höhe von 2 % (bei Verstößen gegen Art. 25, 33 und 35 DSGVO) bzw. 4 % (bei Verstößen gegen Art. 5, 13 bis 15 DSGVO) des „weltweiten“ Vorjahresumsatzes nicht zu einer abweichenden Streitwertbemessung. Selbst wenn der vom Kläger behauptete Gesamtumsatz der „Beklagtenseite“ von weltweit knapp 118 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 allein von der Beklagten erzielt worden wäre, entfielen auf jeden der 533 Millionen vom Scraping betroffenen Benutzer ausgehend von einer Geldbuße in Höhe von 4 % nur knapp 9 US-Dollar.

Nach zutreffender Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe ist für die Klageanträge zu 3 a) und b) auch nicht jeweils der Auffangstreitwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (analog) von 5.000 Euro anzusetzen. Auf diesen Wert ist nur zurückzugreifen, wenn - anders als hier - nicht genügend Anhaltspunkte für eine Streitwertbemessung bestehen (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.07.2023 - 10 W 5/23, juris Rn. 16 mwN; siehe hingegen OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.01.2023 - 4 AR 4/22, Anlage SW2 S. 7 f., GA 598 [juris Rn. 27 f.]).

Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für angemessen, den mit dem Klageantrag Ziffer 3 gestellten Unterlassungsanträgen einen Streitwert von insgesamt 4.000 Euro beizumessen (ebenso u.a. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.07.2023 - 10 W 5/23, juris Rn. 16 mwN; LG Köln, Urteil vom 31.05.2023 - 28 O 138/22, juris Rn. 60 f.; LG Detmold, Urteil vom 28.04.2023 - 2 O 184/22, GRUR-RS 2023, 14599 Rn. 45).

4. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist der auf Auskunft über die von der Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten des Klägers gerichtete Klageantrag zu 4 mit 500 Euro gleichfalls angemessen bewertet (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.07.2023 - 10 W 5/23, juris Rn. 17). Soweit das Oberlandesgericht Dresden in der vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidung vom 28.09.2022 von einem Streitwert zwischen 1.000 Euro und 5.000 Euro ausgegangen ist (Az. 17 AR 36/22, Anlage SW2 S. 5, GA 590 [juris Rn. 8]), betrifft die von diesem in Bezug genommene Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (Beschluss vom 25.07.2019 - 20 W 10/18) eine Datenauskunftsklage gemäß Art. 15 DSGVO, die nach der Vorstellung des dortigen Klägers einem wirtschaftlichen Ziel, nämlich der erleichterten Durchsetzung weiterer Klageanträge, dienen sollte, und die mit 5.000 Euro bewertet wurde (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 03.09.2019 - 20 W 10/18, juris Rn. 4). Vorliegend ist ein über den bezifferten Klageantrag zu 1 hinausgehendes wirtschaftliches Interesse an den begehrten Auskünften nicht dargetan und auch nicht ersichtlich (vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.01.2023 - 4 AR 4/22, Anlage SW2 S. 8, GA 599 [juris Rn. 30]).

5. Der auf Abmahnkostenersatz gerichtete Klageantrag zu 5 wirkt sich gemäß § 43 Abs. 1 GKG bzw. § 49 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 4 Abs. 1 ZPO nicht streitwerterhöhend aus.

6. Insgesamt besteht daher kein Anlass, den vom Landgericht auf 6.500 Euro festgesetzten Streitwert heraufzusetzen. Vielmehr ist der Wert auf 6.000 Euro herabzusetzen. Wegen der Möglichkeit, die erstinstanzliche Festsetzung von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. Satz 1 Nr. 2 GKG), besteht bei Streitwertbeschwerden kein Verschlechterungsverbot (sog. Verbot der reformatio in peius, vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 13.10.2014 - 10 W 48/14, juris Rn. 1; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.10.2019 - 6W 47/19, NJW-RR 2020, 255 Rn. 26; OLG München, Beschluss vom 14.07.2020 - 25 W 587/20, juris Rn. 5, OVG Lüneburg, Beschluss vom 04.02.2008 - 5 OA 185/07, NVwZ-RR 2008, 431; Laube in: BeckOK Kostenrecht, 41. Edition, Stand: 01.04.2023, § 68 Rn. 161 mwN).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Schleswig-Holstein: Instagram muss dem Geschädigten bei Persönlichkeitsrechtsverletzung Auskunft über E-Mail und Telefonnummer des Nutzers geben

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 23.03.2022
9 Wx 23/21


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass Instagram dem Geschädigten bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Auskunft über E-Mail-Adresse und Telefonnummer des Nutzers geben muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Auskunftsanspruch gegen Betreiberin einer Social-Media-Plattform bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts

Die Betreiberin der Plattform www.instagram.com ist verpflichtet, über den Namen, die E-Mail-Adresse und die Telefonnummer eines Nutzers Auskunft zu erteilen, wenn durch den Inhalt des Nutzer-Accounts eine strafrechtlich relevante Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgt. Dem Auskunftsantrag einer verletzten Person hat der 9. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in dieser Woche stattgegeben.

Zum Sachverhalt: Eine der Antragstellerin unbekannte Person eröffnete zu einem unbekannten Zeitpunkt einen Account auf der Social-Media-Plattform „Instagram“ mit einem Nutzernamen, der den Vornamen der Antragstellerin und die Angabe „wurde gehackt“ enthielt. In den Account wurden Bilder eingestellt, die eine lediglich mit Unterwäsche bekleidete junge Frau zeigten, deren Gesicht jeweils durch ein Smartphone verdeckt war. Auf den Fotos waren Äußerungen zu lesen, die den Eindruck erweckten, die abgebildete Person sei an einer Vielzahl von sexuellen Kontakten interessiert. Nachdem die Antragstellerin von anderen Personen erkannt und auf den Inhalt des Accounts angesprochen worden war, meldete sie das Konto bei der Plattformbetreiberin und es wurde gesperrt. Das Landgericht hat ihren Antrag, Auskunft über die Nutzungsdaten zu erteilen, abgelehnt. Die gegen diese Ablehnung gerichtete Beschwerde vor dem 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte im Hinblick auf den Namen, die E-Mail-Adresse und die Telefonnummer des Nutzers Erfolg.

Aus den Gründen: Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Auskunftserteilung über Bestandsdaten gegenüber der Betreiberin der Social-Media-Plattform „Instagram“ nach § 21 Abs. 2, Abs. 3 Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz (TTDSG). Ein solcher Auskunftsanspruch besteht, soweit die Auskunft zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte erforderlich ist. Vorliegend erfüllen die Schaffung des Fake-Accounts und das Einstellen der Fotos mit Kommentaren im Zusammenhang gesehen den Tatbestand der Beleidigung im Sinne des § 185 StGB. Durch das Erstellen des Fake-Accounts und Hochladen der Fotos nebst Kommentaren wird suggeriert, die Antragstellerin wolle sich auf diese Weise zur Schau stellen und den Besuchern der Seite ihr sexuelles Interesse mitteilen. Dadurch, dass ihr diese unsittliche Verhaltensweise zugeordnet wird, wird der soziale Geltungswert der Antragstellerin gemindert. Dies stellt eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB dar. Um ihre Rechte gegenüber dem unbekannten Ersteller des Fake-Accounts zivilrechtlich geltend machen zu können, ist die Antragstellerin auf die Auskunft der Betreiberin der Plattform angewiesen. Eine andere Möglichkeit, den Ersteller des Nutzerkontos zu ermitteln, hat sie nicht.

(Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23.03.2022, Az. 9 Wx 23/21).


OLG Dresden: Unbefugte Veröffentlichung einer fremden Handynummer auf einem Online-Portal ist Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und Verstoß gegen Art. 6 DSGVO

OLG Dresden
Beschluss vom 06.01.2021
4 U 1928/20


Das OLG Dresden hat entschieden, dass die unbefugte Veröffentlichung einer fremden Handynummer auf einem Online-Portal eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und einen Verstoß gegen Art. 6 DSGVO darstellt. Der Betroffene hat u.a. einen abmahnfähigen Unterlassungsanspruch gegen den Täter.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Allerdings hätte es vor Erlass dieses Beschlusses den Bekl. – ggf. telefonisch – anhören müssen. Als Ausfluss des Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist, ist es grundsätzlich geboten, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Voraussetzung der Verweisung auf eine nachträgliche Anhörung ist, dass sonst der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt würde (BVerfG, einstweilige Anordnung vom 03. Juni 2020 – 1 BvR 1246/20 –, Rn. 16, juris Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 14 bis 16 juris). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht erkennbar. Dies wirkt sich jedoch im Berufungsverfahren nicht mehr aus. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist jedenfalls geheilt, wenn das rechtliche Gehör im Rechtsmittelzuge gewährt wird (statt aller Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 81. Lieferung 09.2020, Art. 103 GG, Rn. 416). So liegt der Fall hier. Vor Erlass des im Berufungsverfahren allein streitgegenständlichen Verfügungsurteils vom 21.8.2020 ist dem Beklagten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hinreichend Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden, von der er auch umfassend Gebrauch gemacht hat. Im Termin vom 11.8.2020 ist ihm zudem eine weitere Stellungnahmefrist eingeräumt worden, die Ausführungen im Schriftsatz vom 11.8.2020 hat das Landgericht bei der Entscheidung berücksichtigt.

2. Das Landgericht hat auch zutreffend einen Verfügungsanspruch der Klägerin aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog bejaht. Das durch § 823 BGB unter anderem geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht beinhaltet auch das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung. Dies bedeutet, dass der Betroffene die unbefugte Benutzung seiner persönlichen Daten nicht dulden muss (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl., § 823 Rz. 115 m.w.N.). Die unrechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten der Klägerin im Sinne des Art. 6 DSGVO stellt überdies die Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB dar, die ebenfalls mit einem Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB geltend gemacht werden kann (vgl. Palandt/Sprau, aaO., § 823 Rn 85 m.w.N.). Die Verwendung der Telefonnummer der Klägerin oder ihrer sonstigen Kontaktdaten in einer „gefakten“ xxx-Kleinanzeige stellt eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 12 DSGVO dar, bezüglich derer grundsätzlich Unterlassung verlangt werden kann. Die private Handynummer der Klägerin ist ein personenbezogenes Datum im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO, auch wenn in der Anzeige ihr Name nicht aufgeführt ist. Hierunter sind alle Informationen zu verstehen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (Betroffener) beziehen. Eine natürliche Person ist identifizierbar im Sinne dieser Norm, wenn sie direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann (Schreiber in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Artikel 4 DSGVO, Rn. 7). Unter der Geltung des BDSG war umstritten, unter welchen Voraussetzungen von einer solchen Identifizierbarkeit, auszugehen ist. Teilweise wurde insoweit auf einen subjektiven Maßstab abgestellt; entscheidend sollte hiernach sein, dass der verarbeitende Diensteanbieter in der Lage ist, mit den ihm normalerweise zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln unter vernünftigem Aufwand die Daten einem bestimmten Individuum zuordnen zu können. Kann er diese Zuordnung unter den genannten Bedingungen nicht selbst vornehmen, soll ein Personenbezug mangels Bestimmbarkeit zu verneinen sein (MMR 2000, 721 (722); Meyerdierks, MMR 2009, 8 (12); Nink/Pohle, MMR 2015, 563 (564 f.); Voigt/Alich, NJW 2011, 3541 (3542 m.w.N.). Nach anderer Auffassung kommt es demgegenüber auf ein objektives Verständnis an; entscheidend für die Frage, ob ein Datum personenbezogen ist oder nicht, sei allein, ob dieses durch einen beliebigen Dritten einem Individuum zugeordnet werden könnte (Däubler/Klebe/Wedde/Weichert/Weichert, § 3 BDSG Rz. 13). Personenbezogen ist ein Datum nach dieser Auffassung immer dann, wenn es durch irgendjemanden einer bestimmten Person zugeordnet werden kann. Ob auch derjenige, der die Daten verarbeitet, die Möglichkeit hat, die Zuordnung zum jeweiligen Individuum nachvollziehen zu können, ist irrelevant (zum Streitstand vgl. Hullen/Roggenkamp in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, § 12 TMG, Rn. 7ff). Vorliegend bedarf diese Frage keiner Entscheidung. Die Identifizierbarkeit der Klägerin über ihre Telefonnummer wird hier nämlich jedenfalls im Kontext der als Anlage AS 3 vorgelegten Kleinanzeige dadurch mit hinreichender Sicherheit gewährleistet, dass dort zusätzlich der auf sie hindeutende Nutzername "xxxxxxxxxxx" sowie ein Hinweis auf den Standort des Wagens an ihrem Wohnort in Leipzig enthalten ist. Unstreitig ist überdies, dass der Ehemann der Klägerin in der Vergangenheit über ein gleichartiges Fahrzeug verfügt hat. Infolge dieser Angaben ist es für einen größeren Personenkreis möglich, die Klägerin zu identifizieren. Die Weitergabe dieser Telefonnummer an einen unbestimmten Personenkreis im Rahmen einer ohne dessen Einwilligung für den Betroffenen eingestellten "xxx-Kleinanzeige" stellt eine rechtswidrige Verwendung dieser Daten dar, schon weil sie die Gefahr begründet, dass der Betroffenen gegen seinen Willen von fremden Personen unter dieser Nummer kontaktiert wird, wie es auch vorliegend geschehen ist. Die missbräuchliche Verwendung ihrer Telefonnummer, durch die Dritte veranlasst wurden, mit der Klägerin Kontakt aufzunehmen, stellt überdies eine tatbestandsmäßige Nachstellung im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, der wiederum ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist. Ob ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht darüber hinaus durch die Kontaktaufnahme unter Verwendung der Pseudonyme "T... R..." und "P... W..." verletzt ist (zum Recht auf anonyme Kommunikation vgl. BVerfGE 95, 28; BGH NJW 2009, 2888, 2892f; Klass in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Anhang zu § 12 – Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, Rn. 245), kann angesichts dessen dahinstehen.

3. Die Klägerin hat darüber hinaus hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Beklagte Urheber dieser Tathandlungen gewesen ist (vgl. §§ 936, 920 Abs. 2 i.V.m. § 294 ZPO). Zur Glaubhaftmachung kann der Beweisbelastete sich aller Beweismittel bedienen, die auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden. Beweismaß ist bei der Glaubhaftmachung nicht der Vollbeweis, sondern eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung (BGHZ 156, 139, 142; Zöller-Geimer/Greger, ZPO, aaO., § 294 Rz. 1 m.w.N.; Rz. 6 m.w.N.). Dabei bedeutet „überwiegende Wahrscheinlichkeit“, dass nicht nur ein „Quäntchen“ mehr für die Richtigkeit der Behauptung spricht. Zu fordern ist vielmehr ein den konkreten Umständen angepasstes Maß an Glaubhaftigkeit (Zöller, a.a.O.). Zur Widerlegung durch den Gegner ist die gleiche Glaubhaftmachung mit der gleichen Wahrscheinlichkeitsfeststellung möglich (Zöller-Geimer/Greger, § 294 Rz. 2 m.w.N.).

Wie das Landgericht geht auch der Senat davon aus, dass die Klägerin durch die Ausdrucke der X...-Registrierungsbedingungen glaubhaft gemacht hat, dass bei der Einrichtung von E-Mail-Accounts unter X...mail und der im Geschäftsverkehr verwendeten E-Mail-Adressen die Mobilfunknummer des Beklagten angegeben wurde. Auch die zur Generierung der Accounts notwendigen IP-Nummern stammen vom Telefonanbieter des Beklagten (Vodafone). Durch Vorlage eines X...-Ausdrucks in der mündlichen Verhandlung vom 11.08.2020 (Anlage zum Protokoll, Bl. 115 d. A.) hat die Klägerin weiterhin glaubhaft gemacht, dass X... bereits seit dem Jahre 2012 bei der Einrichtung eines e-mail-accounts zwingend die Angabe der Handynummer verlangt hat und die Registrierung erst nach Aufruf einer Bestätigungs-SMS an diese Handynummer abgeschlossen ist. Dem stehen die vom Beklagten vorgelegten Unterlagen (Anlage AST10, Bl. 128 f. d. A.) nicht entgegen, weil mit den im Verfügungsverfahren zur Verfügung stehenden Beweismitteln jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass sich dies nur auf das isolierte Anmelden eines X...-Kontos ohne gleichzeitige Erstellung einer X...-E-Mail-Adresse beziehen, was auch die Klägerin für sich in Anspruch nimmt (Bl. 137 d. A., Anlage AS7, Bl. 139 d. A.). Die beigezogene Ermittlungsakte lässt überdies den Rückschluss zu, dass tatsächlich bei der Einrichtung der streitgegenständlichen Konten die Mobilfunk-Nummer des Beklagten angegeben und diesem im Nachgang auch mitgeteilt wurde (für „p...w...mail@gmail.com“ - Bl. 32 Ermittlungsakte; für „t...r...mail@gmail.com“ - Bl. 33 der Ermittlungsakte; für l...-u...@gmail.com“ - Bl. 19 Ermittlungsakte). Wieso gleichwohl ein unbekannter Dritter die Telefonnummer des Beklagten hätte verwenden sollen, um unter Einsatz erheblicher krimineller Energie der Klägerin nachzustellen und dies zugleich dem Beklagten in die Schuhe zu schieben, hat der Beklagte nicht plausibel machen können. Die erstmals im Berufungsverfahren erhobene Behauptung, er habe sein iPad mit den darauf enthaltenen Daten verschiedenen Mitarbeitern der K... GmbH zur Verfügung gestellt, erscheint zum einen nachgeschoben und unglaubhaft und kann eine solche Handlungsweise zum anderen nicht erklären. Hierfür ergibt sich auch nichts aus den mit der Berufungsbegründung vorgelegten und mit eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemachten Sachverhalten, die die Erstellung der Accounts und Versendung der entsprechenden E-Mails durch den Beklagten gerade nicht ausschließen. Dass der Kläger, wie er behauptet, vom Urlaub in I... aus, im Rahmen einer Besprechung, bei der typischerweise Handy und/oder Laptop aufgeklappt auf dem Tisch stehen, während einer Geschäftsreise in seiner Eigenschaft als Fotograf oder während einer "Autofahrt" nach I... (die zumindest durch eine Fähraufenthalt unterbrochen worden sein muss) zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt haben soll, von seinem sicherlich mit einem Internetzugang ausgestatteten Mobiltelefon E-Mails einzurichten oder zu verschicken, ist bereits nach der Lebenserfahrung und vor dem Hintergrund des geschilderten Fähigkeiten des Beklagten (u.a. Aufbau der Homepage der K... GmbH, digitale Fotografie) nicht plausibel. Da ein Unterlassungsanspruch unabhängig von der Frage besteht (s.o.), ob der Beklagte sich hinter den E-Mail Pseudonymen "T... R..." und "P... W..." verbirgt, kommt es bereits nicht darauf an, ob sich der Beklagte am 3.8.2019 in S... befand, wohingegen die dem Pseudonym "T... R..." an diesem Tage zugeordnete IP-Adresse bei der "... ... ... GmbH" lokalisiert wurde.

4. Das Landgericht hat schließlich auch einen Verfügungsgrund zu Recht bejaht. Bei der Frage, ob der Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder der Verhinderung drohender Gewalt erforderlich ist, sind die schutzwürdigen Interessen beider Seiten im Rahmen des gerichtlichen Beurteilungsspielraums gegeneinander abzuwägen. Es muss eine Dringlichkeit gegeben sein, die bei zu langem Zuwarten des Erlassantrages widerlegt werden kann (Zöller-Vollkommer, aaO., § 940 Rz. 4 jeweils m.w.N.). In persönlichkeitsrechtlichen Streitigkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Verfügungsgrund für eine auf Unterlassung gerichtet einstweilige Verfügung regelmäßig zu bejahen, wenn keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, insbesondere durch Zuwarten, gegeben ist (zuletzt Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 - 4 U 1675/17 -, juris). Dies ist eine Frage des Einzelfalles, für die sich gleichwohl in der Rechtsprechung Regelfristen herausgebildet haben, bei deren Überschreitung von einer Selbstwiderlegung auszugehen ist. Diese reichen von vier Wochen bzw. einem Monat (OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.1.2015 - 6 U 156/14 - juris; vgl. im Übrigen die Verweise auf nicht veröffentlichte Rechtsprechung der OLGe Koblenz und Köln sowie des KG bei Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. Kap 12 Rn 145) über fünf Wochen (OLG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2014 - 7 W 141/14 - juris) bis zu 8 Wochen bzw. zwei Monaten ab Kenntniserlangung von der Rechtsverletzung (OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Februar 2017 - 4 U 166/16 -, Rn. 35 - 36, juris Senat, Urteil vom 27. November 2018 – 4 U 1282/18 –, Rn. 11, juris). Vorliegend greifen diese Grundsätze indes schon deshalb nicht ein, weil sie voraussetzen, dass der Berechtigte trotz Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis von der Durchsetzung seiner Unterlassungsansprüche absieht. Eine solche Kenntnis ist hier jedoch nicht anzunehmen. Die Klägerin hatte zwar schon im August 2019 Strafanzeige erstattet und es mag im Rahmen eines nachfolgenden Telefonats mit dem ermittelnden Polizeibeamten auch der Name des Beklagten gefallen sein. Ohne irgend welchen konkreten Ermittlungsergebnisse war es ihr aber zu diesem Zeitpunkt nicht zumutbar, einen Verfügungsantrag zu stellen, weil sie keine Mittel zur Glaubhaftmachung in der Hand hatte. Diese Möglichkeit ergab sich erstmals nach Einsicht in die Ermittlungsakte, diese wurde am 15.4.2020 gewährt, keine zwei Wochen später, nämlich am 27.4.2020 wurde der Antrag gestellt. Auch verfängt die Auffassung des Beklagten nicht, eine Dringlichkeit sei nicht gegeben weil schon eine Wiederholungsgefahr nicht vorliege - schließlich sei die Klägerin nach eigenen Angaben ab November 2019 nicht mehr belästigt worden. Dies kann sich zwanglos daraus erklären, dass die Belästigungen ohnehin unregelmäßig erfolgten und dass die Klägerin bereits im August 2019 Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet hatte und der Beklagte jedenfalls ab Dezember 2019 bereits „offiziell“ nämlich durch die Ladung zu seiner Beschuldigtenvernehmung Kenntnis von einem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren hatte. Bei der Nachteilsabwägung ist schließlich zu berücksichtigen, dass dem Beklagten durch den Erlass der Verfügung über die hiermit verbundene Kostenbelastung hinaus keinerlei Nachteile entstehen und er die Möglichkeit hat, einen Antrag auf Anordnung der Klageerhebung zur Hauptsache nach § 926 ZPO zu stellen, während umgekehrt die Klägerin in ihrer geschäftlichen Sphäre insofern durchaus Nachteile befürchten muss, als sie durch die Neugründung einer Veranstaltungsagentur sich ihren Kunden und Geschäftspartnerkreis erst aufbauen muss. Dass auch die Vorgänge in ihrer Privatsphäre sie vor dem Hintergrund ihrer Schwangerschaft/Entbindung auch psychisch nicht unerheblich belasten, hat sie durch eine Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Telefonnummer ist "verfügbar" und damit in Widerrufsbelehrung anzugeben wenn Anbieter Eindruck erweckt Telefonnummer für Kontakte mit Verbrauchern zu nutzen

BGH
Urteil vom 24.09.2020
I ZR 169/17
Verfügbare Telefonnummer
UWG § 3a; BGB § 312g Abs. 1, §§ 355, § 312d Abs. 1 Satz 1; EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 in Verbindung mit Anlage 1 EGBGB


Der BGH hat in Umsetzung der einschlägigen EuGH-Entscheidung (siehe dazu EuGH, Urteil vom 14.05.2020 - ‑266/19) entschieden, dass eine Telefonnummer "verfügbar" und damit in der Widerrufsbelehrung anzugeben ist, wenn der Anbieter auf der Website für einen Durchschnittsverbaucher den Eindruck erweckt, die Telefonnummer für Kontakte mit Verbrauchern zu verwenden.

Leitsätze des BGH:

a) Die in § 312d BGB und Art. 246a EGBGB enthaltenen Regelungen über die Informationen, die die Unternehmer den Verbrauchern in Fällen zu geben haben, in denen diesen ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB zusteht, stellen dem Schutz der Verbraucher dienende Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG aF
3a UWG) dar.

b) Eine Telefonnummer ist verfügbar und daher von einem Unternehmer bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen in einer Widerrufsbelehrung anzugeben, wenn sie dergestalt auf der Website des Unternehmers zu finden ist, dass einem Durchschnittsverbraucher suggeriert wird, dass der Unternehmer diese Telefonnummer für seine Kontakte mit Verbrauchern nutzt.

BGH, Urteil vom 24. September 2020 - I ZR 169/17 - OLG Hamm - LG Arnsberg

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EuGH: Widerrufsbelehrung muss nur dann zwingend eine Telefonnummer enthalten wenn Anbieter Eindruck erweckt Telefonnummer für Kontakte mit Verbrauchern zu nutzen

EuGH
Urteil vom 14.05.2020
C‑266/19
EIS GmbH gegen TO


Der EuGH hat entschieden, dass eine Widerrufsbelehrung nur dann zwingend eine Telefonnummer enthalten muss, wenn der Anbieter den Eindruck erweckt, die Telefonnummer für Kontakte mit Verbrauchern zu nutzen.

Tenor der Entscheidung:

Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass die nach dieser Bestimmung „gegebenenfalls“ anzugebende Telefonnummer eines Unternehmers in einer Situation, in der sie dergestalt auf seiner Website zu finden ist, dass einem Durchschnittsverbraucher, d. h. einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher, suggeriert wird, dass der Unternehmer diese Telefonnummer für seine Kontakte mit Verbrauchern nutzt, als verfügbar anzusehen ist. In einem solchen Fall ist Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und h und Abs. 4 der Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang I Teil A dahin auszulegen, dass der Unternehmer, der einem Verbraucher, bevor dieser durch einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag gebunden ist, die Informationen zur Ausübung des Widerrufsrechts zur Verfügung stellt und hierbei auf die Muster-Widerrufsbelehrung in Anhang I Teil A zurückgreift, die betreffende Telefonnummer darin angeben muss, damit der Verbraucher ihm seine etwaige Entscheidung, von dem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen, auf diesem Weg mitteilen kann.

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