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OLG München: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit 0%-Finanzierung im Online-Shop von Saturn und Mediamarkt wenn zugleich Rahmenkreditvertrag abgeschlossen wird

OLG München
Urteil vom 19.10.2023
6 U 3908/22


Das OLG München hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit "0%-Finanzierung" im Online-Shop von Saturn und Mediamarkt vorliegt, wenn zugleich ein Rahmenkreditvertrag abgeschlossen wird

Aus den Entscheidungsgründen:
2) Indem die Beklagte eine 0%-Finanzierung zum Erwerb im Rahmen ihrer Online-Shops unter www.s...de und www.m...de blickfangmäßig beworben und lediglich im Rahmen eines nur schwer leserlichen und inhaltlich nicht hinreichend klaren auflösenden Hinweises zu einem Sternchenvermerk darauf hingewiesen hat, dass über die Finanzierung des Produkts hinaus ein zeitlich unbefristeter Rahmenkreditvertrag bis zu einem Nettodarlehensvertrag von EUR 10.000,00 mit dem Kreditinstitut BNP P. mit einer veränderlichen Sollzinsbelastung von 14,84% (15,9% effektiver Jahreszinssatz) abgeschlossen wird, hat sie gegen das Irreführungsverbot gemäß § 5 Abs. 1 UWG verstoßen.

a) Gemäß § 5 Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

aa) Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Tatsachen oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die in § 5 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 7 UWG genannten Umstände enthält. Hierzu zählen gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG insbesondere die wesentlichen Merkmale der fraglichen Ware oder Dienstleistung einschließlich deren Art, Risiken und Zusammensetzung. Zur Täuschung im Sinne von § 5 Abs. 2 Alt. 2 UWG geeignet und damit irreführend ist eine Angabe, wenn sie bei den angesprochenen Kunden eine Vorstellung erzeugt, die mit den wirklichen Verhältnissen nicht im Einklang steht, wobei es für die Beurteilung auf den Gesamteindruck ankommt, den die geschäftliche Handlung bei den angesprochenen Verkehrskreisen hervorruft (st. Rspr., statt vieler: BGH, Urt. v. 12.05.2022, Az. I ZR 203/20, GRUR 2022, 925 Tz. 18 – Webshop Awards; BGH, Urt. v. 04.07.2019, Az. I ZR 161/18, GRUR 2020, 299 Tz. 10 – IVD-Gütesiegel; Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 5 Rn. 1.56). Wird dabei eine Angabe blickfangmäßig herausgestellt, darf diese für sich genommen nicht unrichtig oder für den Verkehr missverständlich sein (st. Rspr., statt vieler: BGH, Urt. v. 15.10.2015, Az. I ZR 260/14, GRUR 2016, 207 Tz. 16 – All Net Flat; BGH, Urt. v. 18.12.2014, Az. I ZR 129/13, GRUR 2015, 698 Tz. 16 – Schlafzimmer komplett; BGH, Urt. v. 19.04.2007, Az. I ZR 57/05, GRUR 2007, 981 Tz. 23 – 150% Zinsbonus). Vermittelt eine blickfangmäßig herausgestellte Angabe für sich genommen eine fehlerhafte Vorstellung, kann der dadurch veranlasste Irrtum nur durch einen klaren und unmissverständlichen Hinweis ausgeschlossen werden, der seinerseits selbst am Blickfang teilhaben muss, was nur dann der Fall ist, wenn der situationsadäquat aufmerksame Verbraucher die aufklärenden Hinweise auch wahrnimmt (BGH, Urt. v. 18.12.2014, Az. I ZR 129/13, GRUR 2015, 698 Tz. 16 – Schlafzimmer komplett; BGH, Urt. v. 19.04.2007, Az. I ZR 57/05, GRUR 2007, 981 Tz. 23 – 150% Zinsbonus). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Zweck des Irreführungsverbotes der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (Richtlinie Nr. 2005/29/EG) entsprechend darin besteht, den Verbraucher in seiner Fähigkeit zu einer freien und informationsgeleiteten Entscheidung zu schützen (BGH, Urt. v. 15.10.2015, Az. I ZR 260/14, GRUR 2016, 207 Tz. 18 – All Net Flat).

bb) Diese Maßstäbe zugrunde gelegt ist eine Irreführung über die Art und Zusammensetzung der von der Beklagten im Zusammenhang mit dem Erwerb verschiedener Elektrogeräte angebotenen Dienstleistung einer 0%-Finanzierung im vorliegenden Fall zu bejahen, § 5 Abs. 2 Alt. 2 Nr. 1 UWG.

(1) Dabei sieht sich der Senat im Rahmen der vorzunehmenden rechtlichen Würdigung an die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts gebunden. Insbesondere mit Blick auf den vom Landgericht auf Seiten 3 und 4 des angegriffenen Urteils festgestellten Inhalt der klarstellenden Hinweise ist daher davon auszugehen, dass die von der Beklagten im Rahmen ihrer Online-Shops verwendeten Hinweistexte jeweils übereinstimmen. Dass ausweislich der Anlage K 3 betreffend das im Online-Shop www.s...de angebotene Produkt LG OLED55CX9LA OLED TV der Sternchenvermerk (***) nicht die eigentliche 0%-Finanzierung näher erläutert, sondern zunächst darauf hinweist, dass das Angebot „nur für direkt von Saturn angebotene Produkte“ gilt, mit der H. Bank GmbH & Co KG, …, im Fortfolgenden ein weiterer Finanzierungspartner genannt wird und auch der Satz, wonach der Partner für den Onlineshop der MMS E-C. GmbH die BNP P. S.A. …, … sei, fehlt, war im Rahmen der Irreführungsprüfung daher nicht zu berücksichtigen. Gleiches gilt im Ergebnis hinsichtlich des im Online-Shop www.m. .de angebotenen Produkts LG OLED65CX9LA OLED TV, bei dem ebenfalls der weitere Finanzierungspartner H. Bank …, genannt ist und der Hinweis, wonach der Partner für den Onlineshop der MMS E-C. GmbH die BNP P. S.A. sei, fehlt (Anlage K 4). Der Tatbestand des landgerichtlichen Urteils weist insoweit keine Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten auf und wurde von den Parteien auch nicht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffen. Ein Rückgriff auf die von der Klägerin vorgelegten Anlagen und den sich hieraus ergebenden tatsächlichen Text der Hinweise ist dem Senat daher verwehrt (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.2021, Az. I ZR 137/20, WRP 2022, 48 Tz. 27 f. – Kaffeebereiter).

(2) Ungeachtet dessen stellt sich aber die streitgegenständlich beworbene 0%-Finanzierung unter Berücksichtigung des vom Landgericht festgestellten Hinweistextes als irreführend dar (nachfolgend (a)). Die zu den Sternchenvermerken von der Beklagten abgedruckten Hinweise genügen nicht, um eine Irreführung im vorliegenden Fall auszuschließen. Dem Verbraucher wird die entgegen der beworbenen 0%-Finanzierung tatsächlich mögliche Zinsbelastung in den in der Fußzeile der jeweiligen Homepage abgedruckten Hinweisen nicht hinreichend klar und unmissverständlich erläutert (nachfolgend (b)).

(a) Die streitgegenständliche 0%-Finanzierung wurde von der Beklagten blickfangmäßig in einem Kästchen unmittelbar unterhalb der Preisangabe des jeweils zu erwerbenden Produkts beworben und herausgestellt. Mit der blickfangmäßigen Herausstellung der 0%-Finanzierung einschließlich der mit der Höhe und Anzahl der Raten klar bezeichneten wesentlichen Konditionen weckt die Beklagte bei dem angesprochenen Verbraucher die Erwartungshaltung, im Zusammenhang mit dem Erwerb der jeweiligen Ware keine, auch keine potentielle weitere Zinsbelastung tragen zu müssen. Dieser Verbrauchervorstellung entsprechen die tatsächlichen Verhältnisse nicht. Denn tatsächlich wird dem Verbraucher bei einem Einkauf über die Online-Shops der Beklagten unter www.s. .de und www.m. .de mit der Wahl der ihm angebotenen 0%-Finanzierung nicht nur eine entsprechende zinsfreie Finanzierung des tatsächlich erworbenen Produkts in Form eines Ratenkredits ermöglicht, sondern darüber hinaus ein zeitlich unbefristeter Rahmenkreditvertrag über einen Nettodarlehensbetrag bis zu EUR 10.000,00 mit dem Kreditinstitut BNP P.vermittelt und hierzu eine Mastercard zugesandt, bei deren Gebrauch dem Verbraucher erhebliche weitere Kosten in Höhe eines veränderlichen Sollzinssatzes von 14,84% (15,9% effektiver Jahreszinssatz) entstehen können.

Ihrem Inhalt nach richtet sich die streitgegenständliche Werbung an Endverbraucher. Maßgeblich ist damit die Sichtweise des durchschnittlich informierten, verständigen und der Situation, in der er mit der Aussage konfrontiert wird, entsprechend aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers (st. Rspr., statt vieler: BGH, Urt. v. 19.04.2007, Az. I ZR 57/05, GRUR 2007, 981 Tz. 20 – 150% Zinsbonus; BGH, Urt. v. 24.10.2022, Az. I ZR 50/500, GRUR 2003, 163, 164 – Computerwerbung II). Da die Mitglieder des erkennenden Senats zu den von der streitgegenständlichen Werbung angesprochenen Verkehrskreisen zählen, können diese die mit der von der Beklagten angebotenen 0%-Finanzierung erzeugte Vorstellung aus eigener Anschauung selbst beurteilen. Angesichts der dem Wortlaut nach auf eine Finanzierung zu 0% Zinsen gerichteten Werbung und der zugleich angegebenen Anzahl und Höhe der zu bezahlenden Raten versteht der angesprochene Durchschnittsverbraucher die ihm dargebotene Finanzierungsmöglichkeit dahingehend, das fragliche Produkt gegen Zahlung der nach Anzahl und Höhe benannten Raten ohne jede zusätzliche Zinsbelastung erwerben zu können.

Dabei ist zwar entgegen dem Landgericht davon auszugehen, dass der durchschnittliche Verbraucher die fragliche Werbung nicht lediglich flüchtig wahrnehmen wird. Denn bei den streitgegenständlichen Produkten, hier Fernseher der Marken Sony und LG mit OLED-Technologie, handelt es sich um hochpreisige Güter, die nicht Gegenstand alltäglicher Erwerbsgeschäfte sind, sondern typischerweise auf einer überlegten und geplanten Kaufentscheidung beruhen. Daher wird der Durchschnittsverbraucher im Grundsatz den unmittelbar in dem unterhalb der Preisangabe des jeweiligen Produkts blickfangmäßig hervorgehobenen Kästchen als solchen erkennbaren Sternchenvermerk zu der dort angebotenen 0%-Finanzierung wahrnehmen und diesem auch nachgehen. Da dem Verbraucher aber die zum Zwecke der Finanzierung primär relevanten Informationen betreffend die Höhe und Anzahl der von ihm zu zahlenden Raten bereits aus der eigentlichen Blickfangwerbung bekannt sind, wird er im Rahmen des Sternchenvermerks allenfalls ergänzende Informationen zur Abwicklung des Ratenkredits, insbesondere zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Raten und den zur Zahlungsabwicklung benötigten Bank- und Kontodaten des Zahlungsempfängers, erwarten. Stattdessen enthält der Sternchenvermerk aber neben der Angabe verschiedener in Betracht kommender Zahlungsdienstleister den Hinweis auf einen im Falle des Einkaufs über den jeweiligen Online-Shop mit dem Finanzierungspartner BNP P. zustande kommenden Rahmenkreditvertrag sowie auf eine in diesem Zusammenhang dem Verbraucher zur Verfügung gestellte Mastercard, bei deren Gebrauch ihm möglicherweise Zinszahlungspflichten in Höhe von bis zu 15,9% effektiver Jahreszins des aus dem Kreditrahmen in Anspruch genommenen Betrages entstehen können. Der Inhalt des streitgegenständlichen Sternchenvermerks begründet mithin einen angesichts der aus dem Blickfang heraus klaren Verbrauchervorstellung einer vollständig zinsfreien Finanzierung eines spezifischen Erwerbsgeschäfts überraschenden Widerspruch zu der dem Verbraucher letztlich bei Gebrauch der im Zusammenhang mit der 0%-Finanzierung übersandten Mastercard möglicherweise entstehenden Zinszahlungspflicht und belegt somit das für die Annahme der Irreführung entscheidende Auseinanderfallen von Verbrauchervorstellung einerseits und tatsächlicher Situation andererseits.

Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang das mit Schriftsatz vom 29.08.2023 sowie in der mündlichen Verhandlung von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten vertiefte Argument, wonach dem relevanten Durchschnittsverbraucher aus verschiedenen Internetveröffentlichungen bekannt sei, dass auch im Falle von 0%-Finanzierungen alles seinen Preis habe und insoweit verschiedene Geschäftsmodelle einschließlich des zugleich mit dem Warenerwerb erfolgenden Verkaufs von Kreditkarten praktiziert würden. Von Verbraucherschutzorganisationen und Anbietern von Verbraucherinformationen veröffentlichte Hinweise und Warnungen vor versteckten Kostenfallen sind insoweit bereits im Ansatz nicht geeignet, das Vorstellungsbild des maßgeblichen Durchschnittsverbrauchers dahingehend zu prägen, dass dieser im Hinblick auf die im Einzelfall zu beurteilende Werbung keiner Fehlvorstellung unterliegt. Die von der Beklagten vorgelegten Internetpublikationen zeigen im Gesamtbild vielmehr, wie unklar und heterogen sich die Gestaltung von 0%-Finanzierungen darstellt. Hieraus folgt aber gerade nicht, dass eine Irreführung mangels entsprechender Fehlvorstellung des maßgeblichen Durchschnittsverbrauchers per se ausgeschlossen ist. Vielmehr ist damit im Gegenteil umso mehr belegt, dass der Anbieter einer 0%-Finanzierung gerade unmissverständlich und hinreichend klar erläutern muss, mit welchen möglichen Zusatzkosten ein Verbraucher gegebenenfalls rechnen muss, um in dem jeweiligen Einzelfall eine Irreführung auszuschließen.

(b) Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung sind die zu den Sternchenvermerken vorgehaltenen Hinweise weder nach Art noch nach Inhalt hinreichend klar, um die dargelegte Irreführung zu beseitigen. Die in der Fußzeile der streitgegenständlichen Internet-Webseiten von der Beklagten abgedruckten Hinweise genügen den Anforderungen an einen dem Bundesgerichtshof zufolge im Falle einer durch eine blickfangmäßige Werbung verursachten Fehlvorstellung notwendigen klarstellenden Hinweis nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der angesprochene Verbraucher auf Grund der wortlautgemäß eindeutigen Blickfangwerbung für die streitgegenständliche 0%-Finanzierung keinerlei Anlass hat, damit zu rechnen, dass ihm aus oder im Zusammenhang mit dieser Finanzierung weitere Zinsbelastungen entstehen können. Im Gegenteil darf der Verbraucher aufgrund der seitens der Beklagten erfolgten Werbung gerade berechtigter Weise davon ausgehen, mit keinerlei Zinszahlungspflichten belastet zu werden, sodass entsprechend der auch vom Landgericht im Ergebnis zu Recht vertretenen Auffassung strenge Anforderungen an den im Streitfall erforderlichen klarstellenden Hinweis zu stellen sind.

Die streitgegenständlichen Hinweise sind bereits der Art ihrer Darstellung nach nicht hinreichend klar. Selbst wenn man – was der Senat im vorliegenden Fall zugunsten der Beklagten unterstellt – im Hinblick auf die streitgegenständlichen hochpreisigen Produkte davon ausgeht, dass der angesprochene Verbraucher angesichts der wirtschaftlichen Tragweite der entsprechenden Kaufentscheidung dem Sternchenvermerk nachgeht, kann dessen Inhalt von dem angesprochenen Durchschnittsverbraucher innerhalb der ohne erkennbare Absätze aneinandergereihten Liste verschiedener Klarstellungen nicht hinreichend klar zur Kenntnis genommen werden. Angesichts der eindeutigen blickfangmäßigen Bewerbung der 0%-Finanzierung und der daraus resultierenden Erwartung einer auch im Übrigen nicht bestehenden Zinsbelastung ist insoweit zu erwarten, dass die Beklagte, die als verantwortliche Anbieterin einem Kunden mit der 0%-Finanzierung zugleich eine dessen Erwartungshaltung kontrastierenden Rahmenkreditvertrag mit potentiell erheblicher Zinsbelastung vermitteln will, einen Hinweis so gestaltet, dass sich dieser seiner Darstellung nach der blickfangmäßig beworbenen 0%-Finanzierung entsprechend dem Kunden leicht erkennbar und klar erschließt. Diesen Anforderungen wird der streitgegenständliche Hinweis aber nicht gerecht. Schriftart und -größe sind im Vergleich zu der im Übrigen erfolgten Gestaltung der jeweiligen Online-Shops ersichtlich unauffällig und nur schwer leserlich gestaltet. Gleiches gilt für die von der Beklagten im Vergleich zu den sonstigen Textdarstellungen gewählte magere Schriftstärke. In ausgedruckter Form sind die Hinweise, wie aus Anlagen K 3 und K 4 ersichtlich, allenfalls bei höchster Konzentration unter Zuhilfenahme von Seh- oder Lesehilfen entzifferbar.

Nichts anderes ergibt sich insoweit auch aus dem Argument der Beklagten, dass der Verbraucher seinerseits den Text über die sogenannte Zoomfunktion vergrößern und jedenfalls sodann klar wahrnehmen könne. Hierzu hat der Verbraucher im vorliegenden Fall angesichts der durch die eindeutige Blickfangwerbung geweckten Erwartung, keinerlei Zinsbelastungsrisiken ausgesetzt zu sein, bereits keinen Anlass. Will der verantwortliche Betreiber eines Online-Shops einem Kunden einen Vertragsschluss vermitteln, der ihn zu einer Leistung verpflichtet (hier: mögliche Zinsbelastung), welche gerade im Gegensatz zu der durch eine Blickfangwerbung geweckten Erwartungshaltung (hier: keinerlei Zinsbelastung) steht, hat vielmehr der Anbieter selbst dafür Sorge zu tragen, dass entsprechende Hinweise hardwareunabhängig mittels geeigneter Voreinstellungen des von ihm gestalteten Online-Shops leicht zur Kenntnis genommen werden können. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Vielmehr geht der Hinweis auf den zusätzlichen Abschluss eines Rahmenkreditvertrages samt möglicher zusätzlicher Zinsbelastung dem Gesamteindruck der Gestaltung der streitgegenständlichen Online-Shops nach in dem einheitlichen Textblock verschiedenster Hinweise unter, sodass zumindest ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Durchschnittsverbraucher diesen nicht zur Kenntnis nehmen wird (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2015, Az. I ZR 260/14, GRUR 2016, 207 Tz. 20 – All Net Flat).

Darüber hinaus sind auch die Umstände der 0%-Finanzierung und der in diesem Zusammenhang erfolgten Kreditvergabe durch das Kreditinstitut BNP P. ihrem Inhalt nach nicht hinreichend klar und unmissverständlich erläutert. Ergänzend zu den insoweit zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (Bl. 88/89 d. Akte, dort: Ziff. 2.2.4) ist insoweit darauf hinzuweisen, dass insbesondere auch die Formulierung, dass „danach und für alle weiteren Verfügungen“ der veränderliche Sollzinssatz „(jährlich) 14,84% (15,9% effektiver Jahreszinssatz)“ betrage, missverständlich ist. Die Beklagte trägt zwar gemäß Rn. 33 ihrer Berufungsbegründung vom 12.09.2022 (Bd. 2, Bl. 22 d. Akte) vor, dass die 0%-Finanzierung auch für alle weiteren Produktangebote ihres Online-Shops gälte, sofern diese ebenfalls mit „0% Finanzierung“ beworben würden. Dem Wortlaut des von der Beklagten verwendeten Hinweises zufolge ist aber eine Auslegung gerade nicht ausgeschlossen, wonach im Falle einer Finanzierung eines jeden weiteren über den jeweiligen Online-Shop der Beklagten getätigten Erwerbsgeschäfts der vorstehende genannte veränderliche Sollzinssatz fällig wird. Hinzu kommt, dass jedwede nähere Erläuterung zu den Nutzungsbedingungen der dem Hinweis zu Folge einem Verbraucher zur Verfügung gestellten MasterCard fehlt. Insoweit bleibt es für den Verbraucher insbesondere unklar, ob er den veränderlichen Sollzinssatz schon bei jeder weiteren Bestellung über den fraglichen Online-Shop der Beklagten zu bezahlen hat oder ob dies nur bei gesonderter Inanspruchnahme der Master-Card zur Finanzierung von Produkten dritter Anbieter der Fall ist.

Die Beklagte kann dem auch nicht entgegenhalten, mit den Angaben zum Abschluss des Rahmenkreditvertrages lediglich gesetzliche Informationspflichten erfüllt zu haben. Diese von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten als solche bezeichnete Dilemmasituation ist aber unter dem Gesichtspunkt des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbotes bereits aus dem Grund in rechtlicher Hinsicht unbeachtlich, weil die vermeintliche Pflichtenkollision gerade nicht unvermeidlich ist, sondern allein auf die von der Beklagten selbst getroffene geschäftliche Entscheidung zurückgeht, dem Kunden eine Warenfinanzierung in Verbindung mit einem mit dem Finanzierungspartner zusätzlich abzuschließenden Rahmenkreditvertrag anzubieten. Wie der streitgegenständliche Hinweis der Beklagten selbst auf die weiteren Finanzierungspartner zeigt, ist eine 0%-Finanzierung dagegen zweifellos auch in der Gestaltung eines auf das entsprechende Erwerbsgeschäft beschränkten Ratenkredits möglich und wird so von der Beklagten selbst in anderen Fällen wie etwa beim Erwerb in physischen Ladengeschäften auch praktiziert. Vor diesem Hintergrund kann der Senat die Frage offenlassen, ob die mit Blick auf den dem Verbraucher mit dem Abschluss einer 0%-Finanzierung zugleich vermittelten Rahmenkreditvertrag in dem streitgegenständlichen Hinweis enthaltenen Informationen überhaupt den sich insbesondere aus § 491a BGB i.V.m. Art. 247 § 3 EGBGB ergebenden strengen gesetzlichen Anforderungen entsprechen (zur Anwendbarkeit der §§ 491 ff. BGB auf Zahlungsinstrumente mit Rahmenkreditabrede siehe etwa Jungmann, in Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2022, § 56 Rn. 57).

Darüber hinaus ist auch der auf Homepage des Online-Shops der Beklagten enthaltene Link „0%-Finanzierung“ nicht geeignet, die Irreführung zu beseitigen. Zwar ist der Text insoweit zumindest leicht leserlich. Ungeachtet dessen ist aber der nach dem insoweit unstreitigen Parteivortrag mit den streitgegenständlichen Sternchenvermerken identische Text – wie ausgeführt – seinem Inhalt nach nicht hinreichend klar und verständlich. Letztlich kommt es hierauf aber gar nicht an. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann in Fällen, in denen eine blickfangmäßige Werbung bei isolierter Betrachtung eine fehlerhafte Vorstellung vermittelt, der dadurch veranlasste Irrtum regelmäßig nur durch einen solchen klaren und unmissverständlichen Hinweis ausgeschlossen werden, der seinerseits selbst am Blickfang teilhat (BGH, Urt. v. 15.10.2015, Az. I ZR 260/14, Tz. 16 m.w.N. – All Net Flat). Diese Voraussetzung ist indes hinsichtlich des in der Titelleiste der Homepage der Online-Shops der Beklagten enthaltenen Links „0%-Finanzierung“ nicht erfüllt. Denn der fragliche Link ist in der Titelzeile der Online-Shops der Beklagten enthalten und nimmt somit aufgrund der sich daraus ergebenden klaren optischen Trennung nicht an der unterhalb der jeweiligen Preisangabe enthaltenen blickfangmäßigen Bewerbung der für das konkrete Produkt angebotenen 0%-Finanzierung teil.

bb) Die nach alledem vorliegende Irreführung ist wettbewerblich relevant. Die wettbewerbliche Relevanz ergibt sich – wie das Landgericht zutreffend ausführt – bereits aus der mit der streitgegenständlichen Blickfangwerbung verbundenen Anlockwirkung. Denn eine wie hier blickfangmäßig beworbene 0%-Finanzierung veranlasst den angesprochenen Durchschnittsverbraucher gerade dazu, sich mit dem Erwerb der entsprechenden hochpreisigen Waren näher auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Urt. v. 28.04.2016, Az. I ZR 23/15, MMR 2015, 680 Tz. 35 – Geo-Targeting; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 16.09.2021, Az. 6 U 133/20, GRUR-RR 2022, 94 Tz. 20; Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, § 5 Rn. 1.195 m.w.N.).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG München: Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe hat keinen Anspruch gegen BMW auf Unterlassung des Vertriebs von PKW mit Verbrennungsmotoren ab dem 31.10.2030

OLG München
Urteil vom 12.10.2023
32 U 936/23


Das OLG München hat entschieden, dass der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe hat keinen Anspruch gegen BMW auf Unterlassung des Vertriebs von PKW mit Verbrennungsmotoren ab dem 31.10.2030 hat und damit Vorinstanz bestätigt (siehe dazu: LG München, Urteil vom 07.02.2023 - 3 O 12581/21).

OLG München: Kein Schadensersatz- und kein Unterlassungsanspruch in Facebook-Scraping-Fällen wenn keine fühlbare reale Beeinträchtigung vorliegt bzw. dargelegt und bewiesen wird

OLG München
Verfügung vom 14.09.2023
14 U 3190/23 e


Das OLG München hat in einer Verfügung im Rahmen eines Berufungsverfahrens ausgeführt, dass kein Schadensersatzanspruch und kein Unterlassungsanspruch in Facebook-Scraping-Fällen besteht, wenn keine fühlbare reale Beeinträchtigung vorliegt bzw. dargelegt und bewiesen wird.

Aus den Verfügungsgründen:
Das strukturiert begründete Urteil des Landgerichts leidet nicht an Rechtsfehlern (§ 546 ZPO). Die zugrunde zu legenden Tatsachen (§ 529 ZPO) gebieten keine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

1. Zutreffend versagt das Landgericht einen Schadensersatzanspruch.

Das Ersturteil arbeitet überzeugend heraus, dass der Beklagten eine schadenskausale Pflichtverletzung, die in den Anwendungsbereich des Art. 82 DSGVO fiele, nicht angelastet werden kann; auf die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts ist Bezug zu nehmen.

Ihnen ist hier lediglich hinzuzufügen: Insbesondere einen Verstoß gegen Art. 32 durch „zu weite“ Voreinstellungen musste das Landgericht nicht annehmen. Art. 32 DSGVO schreibt nicht schlechthin datenschutzfreundliche Voreinstellungen vor, sondern gebietet – wesentlich allgemeiner gehalten – „geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten“. Das ist bei einer Kontaktplattform auch dadurch möglich, dass dem Nutzer durch Anleitungen und Hilfen die Möglichkeit gegeben wird, die Einstellungen enger zu fassen und zudem einen „Privacy-Check“ durchzuführen.

Anderes ergibt sich auch nicht etwa aus Erwägungsgrund 78 zur DSGVO, denn dort werden datenschutzfreundliche Voreinstellungen lediglich als Beispiel für Schutzmaßnahmen genannt, die je nach Sachlage und Zusammenhang empfehlenswert seien.

Er lautet:
„Zum Schutz der in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten bestehenden Rechte und Freiheiten natürlicher Personen ist es erforderlich, dass geeignete technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden, damit die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt werden. Um die Einhaltung dieser Verordnung nachweisen zu können, sollte der Verantwortliche interne Strategien festlegen und Maßnahmen ergreifen, die insbesondere den Grundsätzen des Datenschutzes durch Technik (data protection by design) und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen (data protection by default) Genüge tun. Solche Maßnahmen könnten unter anderem darin bestehen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten minimiert wird, personenbezogene Daten so schnell wie möglich pseudonymisiert werden, Transparenz in Bezug auf die Funktionen und die Verarbeitung personenbezogener Daten hergestellt wird, der betroffenen Person ermöglicht wird, die Verarbeitung personenbezogener Daten zu überwachen, und der Verantwortliche in die Lage versetzt wird, Sicherheitsfunktionen zu schaffen und zu verbessern. In Bezug auf Entwicklung, Gestaltung, Auswahl und Nutzung von Anwendungen, Diensten und Produkten, die entweder auf der Verarbeitung von personenbezogenen Daten beruhen oder zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten verarbeiten, sollten die Hersteller der Produkte, Dienste und Anwendungen ermutigt werden, das Recht auf Datenschutz bei der Entwicklung und Gestaltung der Produkte, Dienste und Anwendungen zu berücksichtigen und unter gebührender Berücksichtigung des Stands der Technik sicherzustellen, dass die Verantwortlichen und die Verarbeiter in der Lage sind, ihren Datenschutzpflichten nachzukommen. Den Grundsätzen des Datenschutzes durch Technik und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen sollte auch bei öffentlichen Ausschreibungen Rechnung getragen werden“.

Das Landgericht durfte hier berücksichtigen, dass Facebook eine Plattform für Nutzer ist, die sich in erster Linie „finden lassen“ wollen, um sogenannte „Freundschaftsanfragen“ zu erhalten, wobei der Begriff „Freundschaft“ hier nicht in dem engen Sinne zu verstehen ist, der die deutsche Sprachtradition prägt. Als „technische und organisatorische Maßnahme“ durfte es das Landgericht in diesem Zusammenhang als ausreichend ansehen, dass die Nutzer hier das Ausmaß der Findbarkeit selbst einstellen konnten, angeleitet durch transparente Hilfen und Erklärungen, die umfangreich, aber verständlich und sinnvoll gegliedert sowie zugänglich waren.

2. Das kann indessen dahinstehen, da im vorliegenden Einzelfall auch kein Schaden im Rechtssinne eingetreten ist.

Das Landgericht hat unter zutreffender Einwertung von Erwägungsgrund 146 herausgearbeitet, dass der Schadensbegriff zwar im Prinzip weit reicht, aber eine fühlbare reale Beeinträchtigung voraussetzt. An dieser fehlt es hier, wie das Landgericht anhand der persönlichen Anhörung des Klägers herausgearbeitet hat. Was die Berufungsbegründung hiergegen erinnert, überzeugt nicht:

(a) Erwägungsgrund 85 besagt nicht, dass jeder Kontrollverlust ein Schaden ist.

Er lautet in seinem Satz 1, den die Berufung hier offensichtlich anzieht:
„Eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten kann – wenn nicht rechtzeitig und angemessen reagiert wird – einen physischen, materiellen oder immateriellen Schaden für natürliche Personen nach sich ziehen, wie etwa Verlust der Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten oder Einschränkung ihrer Rechte, Diskriminierung, Identitätsdiebstahl oder betrug, finanzielle Verluste, unbefugte Aufhebung der Pseudonymisierung, Rufschädigung, Verlust der Vertraulichkeit von dem Berufsgeheimnis unterliegenden Daten oder andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile für die betroffene natürliche Person“.

(b) Dass der Kläger „durch Ärger, Angst, Stress, Sorge“ geplagt sei, hat die Anhörung nicht ergeben, sondern seinen freimütigen Angaben war u.a. zu entnehmen, dass er die Plattform weiter nutzt, was dem Landgericht zeigte, dass der Kläger nicht durchgreifend bekümmert ist. Was er an Zeit und Kraft aufgewendet habe, um sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, war nicht in der Weise greifbar geworden, dass ein „erlittener“ Schaden darin gesehen werden musste.

(c) Dass der Kläger seit dem Datenleck Kontaktversuche von unbekannten Dritten in Form von „Spam“-SMS und „Spam“-Anrufen erhalten habe, hat der Kläger dahin relativiert, diese beruhten wahrscheinlich darauf, dass er seine Mobiltelefonnummer bei dem mehrfach erwähnten großen und weltweit tätigen Versandhandelsunternehmen hinterlegt habe. Das Landgericht hatte daher verständlicherweise unüberwindliche Bedenken, die SMS und Anrufe gerade der Beklagten als kausal verursachten Schaden anzulasten.

2. Nicht zu beanstanden ist ferner, dass das Landgericht auch für einen zukünftigen Schaden keine Anhaltspunkte sah.

3. Zutreffend versagt das Landgericht den Unterlassungsanspruch

Die Wiederholungsgefahr besteht bereits deshalb nicht, weil der Kläger die Einstellungen von „alle“ auf „nur ich“ zurücksetzen kann. Das erfordert keine weiteren Maßnahmen der Beklagten, so dass offen bleiben kann, ob diese die Suchbarkeitsfunktion deaktiviert hat und „Anti-Scraping-Maßnahmen“ ins Werk gesetzt hat.

Denn selbst wenn eine Rechtsverletzung vorläge, die – grundsätzlich – Wiederholungsgefahr zu indizieren geeignet wäre, wäre diese Indizwirkung durch obige Fallumstände hier widerlegt.

Nicht verfangen kann der Einwand, wonach es keine Abhilfe bringe, wenn der Kläger seine Einstellungen von „everyone“ auf „friends of friends“ umstellt. Es mag unterstellt werden, dass auch Daten von Nutzern „gescrapt“ worden sind, die – anders als der Kläger – nicht „everyone“ eingestellt hatten. Das ist aber nicht der Schadenshergang, der vorliegend anzunehmen war und an dem die Wiederholungsgefahr zu messen wäre. Dass sich der hier festgestellte Schadenshergang wiederholen würde, kann der Kläger schon durch die geänderten Einstellungen bewirken. Stellt er die Einstellungen von „alle“ auf „nur ich“ zurück, und würden seine Daten dann (erneut) gescrapt, so wäre das ein anderer Schadenshergang.

4. Zutreffend versagt das Landgericht den Auskunftsanspruch.

Anders als in den von der Berufungsbegründung angezogenen Entscheidungen anderer Gerichte (BerBegr S. 65/66) war der Auskunftsanspruch vorliegend erfüllt mit Ausnahme einer Angabe, wer der/die Scraper/in gewesen ist. Letztere Angabe (des „Empfängers“) kann die Beklagte nicht machen, weil sie den Empfänger nicht kennt. Dass sie in früheren Fällen gegen unbefugte Dritte vorgegangen ist, ändert hieran fallbezogen nichts.

5. Nach alledem hat das Landgericht auch Schadensersatzansprüche nach nationalem Recht zutreffend versagt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG München: Unterlassungsverfügung verpflichtet Websitebetreiber auch zur Löschung der wettbewerbswidrigen Inhalte aus dem Google-Cache

OLG München
Beschluss vom 26.04.2023
29 W 1697/21


Das OLG München hat entschieden, dass eine Unterlassungsverfügung den Websitebetreiber auch zur Löschung der wettbewerbswidrigen Inhalte aus dem Google-Cache verpflichtet.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die gemäß § 793, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

1. Der Einwand der fehlenden Vollziehung greift nicht. Zwar wurde das Verfügungsurteil nicht innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO im Parteibetrieb zugestellt, obwohl auch ein Verfügungsurteil zu seiner Vollziehung gemäß § 929 Abs. 2 ZPO der Zustellung im Parteibetrieb bedarf und die amtswegige Zustellung nicht genügt (vgl. BGH NJW 1993, 1076, 1077 ff; Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 929 Rn. 18; MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl., 2020, § 938 Rn. 47 u 49). Die Vollziehungsfrist nach § 929 Abs. 2 ZPO gilt gleichwohl nicht als versäumt, weil der Ordnungsmittelantrag vom 17.09.2020 noch innerhalb der Vollziehungsfrist zugestellt (vgl. Empfangsbekenntnis des Schuldnervertreters vom 25.09.2020, nach Bl. 82 d.A.) und der Vollstreckungswille damit deutlich zum Ausdruck gebracht wurde (vgl. BGH WRP 1989, 514, 517; Feddersen in Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., § 55 Rn. 42 m.w.N.).

2. Einwendungen gegen den Titel dem Grunde nach wie die Argumente, die Antragstellerin sei nicht am Wettbewerb mit einem Umsatz beteiligt, der sie zu Abmahnungen berechtigen würde, sie mache wenig bis keinen Umsatz, sie sei weder technisch noch rechtlich in der Lage, die angeblich vertriebenen Waren selbst herzustellen, sind im Vollstreckungsverfahren unbeachtlich. Die materiell-rechtliche Berechtigung ist dort nicht mehr zu prüfen (vgl. BGH GRUR 2015, 1248 Rn. 21-23 – Tonerkartuschen). Der Schlussfolgerung, die Gläubigerin sei nicht berechtigt, Ordnungsmittel zu beantragen, fehlt es an einer rechtlichen Grundlage. Unklar ist auch, welche Schutzrechte der Gläubigerin vermeintlich nicht zustehen sollen und welche Relevanz dies für einen Titel wegen unlauterer irreführender Werbung haben soll.

3. Das Landgericht hat zu Recht eine natürliche Handlungseinheit durch Unterlassen der vollständigen Löschung der Verstöße auf der Webseite der Schuldnerin (einschließlich des Caches) und auf dem Facebookauftritt der Schuldnerin angenommen. Es ist von einem einheitlichen Nichthandeln bzw. einem einheitlichen unzureichenden Beseitigen auszugehen (vgl. zur natürlichen Handlungseinheit beim Unterlassen BGH GRUR 2022, 1379 Rn. 33 – Außerstrafrechtliches Doppelahndungsverbot). Doch können, wie das Landgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat, zu einer natürlichen Handlungseinheit nur solche Verhaltensweisen zusammengefasst werden, die gegen dasselbe gerichtliche Verbot verstoßen, nicht hingegen Verstöße gegen unterschiedliche Verbotsaussprüche (vgl. BGH GRUR 2021, 767 Rn. 34 – Vermittler von Studienplätzen), so dass drei Zuwiderhandlungen vorliegen.

4. Die Ahndung der drei Zuwiderhandlungen – also jeweils das Unterlassen einer vollständigen Löschung (auch im Cache) auf der Webseite und dem Internetauftritt und dies jeweils in Bezug auf die drei Verstöße (nämlich Ziff. 1, Ziff. 3 und Ziff. 4 der Beschlussverfügung) – mit jeweils 5.000 € ist mit Blick auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalls, wie vom Landgericht ausgeführt, angemessen.

5. Die Einwendungen gegen die Verantwortlichkeit und die Höhe des Ordnungsgeldes verfangen nicht.

a) Insofern wird eingewandt, das Ordnungsgeld sei zu hoch und die eigene Verantwortung allenfalls gering. Die Schuldnerin habe sich umgehend darum bemüht, die Beseitigung von Presseveröffentlichungen zu bewerkstelligen. Dies sei innerhalb eines Zeitraumes von 14 Tagen gelungen. Es habe sich „serverseitig“ um ein sog. Caching gehandelt. Der betroffene und geschützte Marktteilnehmerkreis werde durch die Aufbewahrung von Daten im Caching überhaupt nicht betroffen. Frau P. habe den Cache nicht willentlich angelegt, sie habe davon nichts gewusst. Es sei Sache des Serverbetreibers, der auch die Zustimmung zur Löschung des „Coaching-Inhaltes“ erteilen müsse. Gleichwohl hätte die Schuldnerin unverzüglich Frau P. angewiesen, auch den Zugang zum Pufferspeicher zu löschen, nachdem dieser jetzt erstmals entdeckt worden sei. Es seien deshalb nicht so drastische Ordnungsmittel veranlasst. Denn die Schuldnerin sei von Anfang an bereit und willens gewesen, den Gerichtsauflagen zu entsprechen.

b) Ein Unterlassungstitel verpflichtet den Schuldner indes auch, etwaige gegen den Titel verstoßende Cache-Inhalte zu löschen bzw. auf Dritte entsprechend einzuwirken, um sicherzustellen, dass die zu unterlassenden Aussagen auch durch die gängigen Internetsuchmaschinen nicht weiter – auch nicht über eine Cache-Speicherung – erreichbar bzw. abrufbar sind (BGH GRUR 2018, 1183 Rn. 13 – Wirbel um Bauschutt). Diese im Bereich der Unterlassungstitel in Bezug auf bestimmte Internetinhalte bestehende Pflicht, auch Cache-Inhalte zu prüfen und ggfs zu löschen bzw. dies durch Dritte zu veranlassen, entspricht ständiger Rechtsprechung. Ein Titelschuldner muss sich insofern auch darüber informieren, wie er seinen Pflichten aus einem Titel vollständig nachkommt. Er hat für Vorsatz und Fahrlässigkeit einzustehen. Auf einen vermeidbaren Verbotsirrtum kann sich der Schuldner nicht berufen (Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, 40. Aufl. 2022, UWG § 12 Rn. 5.7).


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OLG München: Datenschutzerklärung kann als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein

OLG München
Beschluss vom 03.03.2023
6 W 1491/22


Das OLG München hat entschieden, dass eine Datenschutzerklärung als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
b) So verhält es sich hier. Während alle übrigen Voraussetzungen für den Unterlassungsanspruch nach § 97 UrhG nach summarischer Prüfung zu Beginn des Verfahrens vorgelegen haben (dazu aa bis dd), kann die Frage der Aktivlegitimation der Klägerin im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO nicht abschließend beurteilt werden, da diese von Fragen des österreichischen Rechts abhängt (dazu ee).

aa) Vom Vorliegen eines urheberrechtlich geschützten Werks nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG kann nach summarischer Prüfung ausgegangen werden.

Hinsichtlich des rechtlichen Maßstabs hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren unter Verweis auf die Entscheidung des KG vom 11.05.2011 – 24 U 28/11 (GRUR-RS 2011, 14067) ausgeführt, bei Schriftwerken der infrage stehenden Art erfordere die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials. Das KG stützt sich hierbei auf die (älteren) Entscheidungen des BGH „Bedingungsanleitung“ (GRUR 1993, 34) und „Anwaltsschriftsatz“ (BGH GRUR 1986, 739). Zwar hat der BGH diese Rechtsprechung – soweit ersichtlich – in der Folge nie ausdrücklich aufgegeben. Gleichwohl hat er in späteren Entscheidungen an diesem strengen Prüfungsmaßstab ersichtlich nicht festgehalten (vgl. etwa BGH, GRUR 2002, 958 – Technische Lieferbedingungen). Auch die Entscheidung „Geburtstagszug“ (BGH, 2014, 175) spricht dafür, dass der BGH für jegliche Arten von Werken einen einheitlichen – niederschwelligen – Prüfungsmaßstab anlegen möchte, wonach auch die „kleine Münze“ stets geschützt ist (vgl. zum Ganzen ausführlich auch: Nordemann, in: Loewenheim, UrhR-HdB, 3. Aufl., § 9 Die Werkarten Rn. 18 ff.).

Gemessen hieran kann das Vorliegen eines urheberrechtlich geschützten Werks vorliegend nicht verneint werden. Der Senat schließt sich insoweit nach summarischer Prüfung den Ausführungen des Landgerichts (LGU S. 2 ff. unter b) an. Soweit die Beschwerde geltend macht, das Landgericht habe keine Subsumtion vorgenommen, sondern bloße Behauptungen aufgestellt, kann dem nicht gefolgt werden. Die Ausführungen des Landgerichts sind im Zusammenhang mit dem Vortrag der Parteien, insbesondere demjenigen im Schriftsatz der Beklagtenseite vom 14.02.2022 (S. 20 ff. und 31 ff.) zu sehen. Dem Leser, der mit dem Verfahrensstoff vertraut ist, erschließt sich daher ohne Weiteres, was mit den Ausführungen des Landgerichts jeweils konkret gemeint ist.

Die Werkqualität kann auch nicht mit dem Argument der Klägerin in der Beschwerdebegründung verneint werden, sofern die Klägerin stets betont habe, sie habe die Texte in leicht verständlicher Art verfasst, komme die Klägerin damit nur dem aus Art. 13 Abs. 1 DSGVO (sic, gemeint wohl Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO) folgenden Gebot nach. Zum einen handelt es sich bei der verständlichen sprachlichen Umsetzung nur um ein zusätzliches Kriterium neben der Art der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffs (vgl. BGH, GRUR 2002, 958 – Technische Lieferbedingungen). Zum anderen schließt die Erfüllung dieser gesetzlichen Anforderungen es nicht aus, dass darin zugleich eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG liegt, zumal Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO nur eine Zielvorgabe enthält, dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen aber nicht vorgibt, wie er dieses Ziel konkret zu erreichen hat, so dass diesem hierbei ein erheblicher Gestaltungsspielraum verbleibt.

bb) Das Landgericht hat ferner zu Recht eine Verletzungshandlung im Inland und insoweit die Anwendbarkeit des deutschen Rechts bejaht (LGU S. 4 unter c), was von der Beschwerde auch nicht angegriffen wird.

cc) Auch soweit das Landgericht angenommen hat, dass dem Beklagten kein Nutzungsrecht zustand, ist dem nach summarischer Prüfung zu folgen. Auf die ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des Landgerichts zu diesem Punkt (S. 4 f. unter d), welchen sich der Senat anschließt, wird Bezug genommen.

Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass Ziff. 10 der AGB von einem objektiven Empfänger so verstanden werden konnte, dass die kostenlose Nutzung ohne Quellverweis und Link (ebenfalls) berechtigt erfolgt, die Klägerin in diesem Fall aber (nur) einen einklagbaren vertraglichen Anspruch auf Anbringung eines Quellverweises und Links erwirbt und einen vertraglichen Schadensersatzanspruch bei Nichterfüllung dieser schuldrechtlichen Verpflichtung. Vielmehr konnte ein objektiver Empfänger die entsprechende Klausel nur so verstehen, dass die Nutzung ohne Quellverweis und Link nicht erlaubt ist, eine solche Nutzung also rechtswidrig erfolgt, und deshalb (gesetzliche) Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann. Dass der hier inmitten stehende Unterlassungsanspruch dabei nicht ebenfalls ausdrücklich genannt wurde, ist unschädlich, da sich dieser aus dem Gesetz ergibt und sein Entstehen nicht von einem vorherigen Hinweis durch den Rechtsinhaber abhängig ist.

dd) Zum Zeitpunkt der Einreichung bzw. Erhebung der Klage lag auch die erforderliche Wiederholungsgefahr nach § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG vor, da der Beklagte zu diesem Zeitpunkt noch keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte.

ee) Nicht abschließend beurteilt werden kann im Rahmen der Entscheidung nach § 91a ZPO indessen die Frage der Aktivlegitimation.

(1) Auf die Vermutung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 UrhG kann sich die Klägerin hierbei nach summarischer Prüfung nicht stützen. Selbst wenn man hinsichtlich der Üblichkeit der inhaltlichen Gestaltung der Angabe einen großzügigen Maßstab anlegt (vgl. Thum, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 6. Aufl., UrhG § 10 Rn. 26), geht aus der Angabe „Quelle: Erstellt mit dem Datenschutz Generator von A in Kooperation mit …“, auf die sich der Beklagte für die Vermutungswirkung beruft, inhaltlich nicht mit der hinreichenden Klarheit die Aussage hervor, dass die Klägerin Inhaberin eines ausschließlichen Nutzungsrechts an den streitgegenständlichen Texten ist (vgl. zu den betreffenden Anforderungen im Einzelnen: Thum, in: Wandtke/Bullinger, a.a.O., § 10 Rn. 115 ff.).

Nachdem somit die Vermutung nach § 10 Abs. 3 UrhG nicht greift, trägt hinsichtlich der materiellen Anspruchsberechtigung grundsätzlich die Klägerin als Anspruchstellerin die Darlegungs- und Beweislast.

(2) Die Klägerin hat vorgetragen, die Texte seien von ihrem Geschäftsführer Herrn O erstellt worden. Nach dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 06.07.2022 ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass zum hier maßgeblichen Zeitpunkt auch Herr G bereits inhaltlich an den Texten mitgearbeitet hatte. Herr O hat jedoch weiter ausgeführt, es gebe nur ihn und Herrn G. Nur sie beide würden an den Texten arbeiten.

Hierin ist ein hinreichend substanziierter Sachvortrag der Klägerin für eine Urheberschaft des Herrn O und – nicht ausschließbar – eine Miturheberschaft des Herrn G zu sehen. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall auch von der Konstellation in der von der Beklagtenseite zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 02.06.2022 – 20 U 293/20 (GRUR-RS 2022, 17241), da dort – anders als hier – auf Grund des unstreitigen Vortrags beider Parteien weitere Personen, nämlich die ehrenamtlichen Ausschussmitglieder, konkret als Miturheber in Betracht kamen, welche der dortige Kläger nicht näher benannt hatte.

Wird die Urheberschaft bestimmter Personen – wie hier – substanziiert behauptet, genügt es jedoch nicht, sie mit Nichtwissen (oder einfach) zu bestreiten, sondern der Verletzer muss substanziiert darlegen, wer weshalb Urheber sein soll (OLG Köln, NJW-RR 2016, 165 Rn. 23; Thum, in: Wandtke/Bullinger, a.a.O., UrhG § 7 Rn. 45, Loewenheim/Peifer, in: Schricker/Loewenheim, UrhR, 6. Aufl., UrhG § 10 Rn. 1; vgl. auch OLG Hamm, Urt. v. 24.06.2008 – 4 U 25/08, BeckRS 2009, 6891). Ein solches substanziiertes Bestreiten des Beklagten ist vorliegend nicht erkennbar.


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OLG München: Sperrung eines Social-Media-Accounts muss begründet werden - Kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO

OLG München
Urteil v. 20.09.2022
18 U 6314/20 Pre


Das OLG München hat entschieden, dass die Sperrung eines Social-Media-Accounts begründet werden muss. Zudem hat das Gericht entschieden, dass kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei rechtswidriger Sperrung besteht.

Leitsätze des Gerichts:
1. Zum grundsätzlich bestehenden vertraglichen Anspruch des Nutzers eines sozialen Netzwerks gegen dessen Anbieter auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Beitragslöschung bei Fehlen einer Bestimmung in den Geschäftsbedingungen, wonach sich der Anbieter verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt (im Anschluss an BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20 und BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 192/20).

2. Der Antrag des Nutzers auf Unterlassung künftiger Sperren, ohne ihm unverzüglich den Anlass der Sperrung mitzuteilen, ist auf Unterlassung und nicht auf Erteilung einer - nicht selbständig einklagbaren - Information gerichtet (entgegen KG, Urteil vom 14.3.2022 - 10 U 1075/20).

3. Der Nutzer hat grundsätzlich Anspruch auf Unterlassung künftiger Sperren, ohne ihm unverzüglich den Anlass der Sperrung mitzuteilen. Eine weitergehende Begründung im Sinne einer rechtlichen Subsumtion, weshalb es sich um einen Verstoß handeln soll, kann er nicht verlangen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei Verhängung der Sperre wurde zudem ausweislich der Screenshots auf S. 18 der Klage (Bl. 18 d.A.) ein Grund hierfür nicht angegeben.

d) Bei der Verletzung von Vertragspflichten kann sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus § 280 Abs. 1 BGB ein Unterlassungsanspruch ergeben (vgl. BGH a.a.O., Rn. 102 m.w.N.). Ein solcher ist auch in der vorliegenden Konstellation, in der die Beklagte bereits einmal ihre Pflichten aus dem - fortbestehenden - Vertragsverhältnis verletzt hat, anzunehmen. Dies gilt ungeachtet der zwischenzeitlichen Löschung des Nutzerkontos (s. hierzu nachfolgend unter Ziff. III 1), nachdem der Kläger seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 16.07.2020 zufolge die Einrichtung eines neuen Kontos anstrebt.

Dem stehen auch nicht die Erwägungen des Kammergerichts Berlin in dem von der Beklagten zitierten Urteil vom 14.03.2022 (Az. 10 U 1075/20) entgegen. Das Kammergericht weist darin einen gleichlautenden Unterlassungsantrag des (dortigen) Klägers ab und führt zur Begründung aus, dass die vom Bundesgerichtshof angenommenen Informationspflichten der Beklagten gegenüber dem Nutzer nicht selbständig einklagbar seien. Da die Entfernungs- und Sperrvorbehalte in den Geschäftsbedingungen der Beklagten (unter anderem) den Anforderungen an die Informationspflicht nicht genügten, seien die genannten Vorbehalte gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam mit der Folge, dass eine vertragliche Grundlage für Löschungen und Sperrungen fehle. Gegen Löschungen von Beiträgen und Teilsperrungen seines Nutzerkontos könne der Nutzer im Klagewege vorgehen. Nur in diesem Zusammenhang komme den Informationspflichten eine Bedeutung zu. Da die Informationspflichten keinen eigenen Leistungszweck verfolgten, bestehe kein eigener, auf die Erfüllung der unselbständigen Unterlassungspflicht bezogener Unterlassungsanspruch (KG a.a.O.).

Anders als das Kammergericht meint, handelt es sich vorliegend jedoch nicht um einen auf Erteilung einer Information gerichteten Antrag, die nicht selbständig einklagbar wäre und die nicht zum Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs gemacht werden könnte. Denn der Kläger begehrt die Unterlassung einer erneuten Sperre, schränkt dies allerdings zulässigerweise in Übereinstimmung mit dem bereits erfolgten Vertragsverstoß dahin ein, dass er sich (nur) gegen eine erneute Sperre ohne Angabe eines Grundes wendet. Er begehrt mithin das Unterlassen der rechtswidrigen Sperre; ein isolierter Anspruch auf Erteilung einer Information wird damit nicht geltend gemacht.

Darüber hinaus sprechen auch prozessökonomische Gründe für die Zulassung des Antrags, da der Kläger andernfalls gezwungen wäre, trotz gleichbleibenden Sachverhalts bei unveränderten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten jeweils erneut gegen derartige Sperrungen im Klagewege vorzugehen.

e) In inhaltlicher Hinsicht kann der Kläger von der Beklagten verlangen, es zu unterlassen, ihn (erneut) zu sperren, ohne ihm unverzüglich den Anlass der Sperrung mitzuteilen. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht jedoch nicht.

aa) Hinsichtlich des Umfangs der Mitteilungspflichten kann der Kläger allein die Mitteilung verlangen, welches Verhalten zum Anlass der Sperre genommen wurde, nicht jedoch eine weitergehende Begründung im Sinne einer rechtlichen Subsumtion, weshalb es sich um einen Verstoß handeln soll. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem NetzDG: So soll nach dessen Gesetzesbegründung „die in den Beschwerdesystemen der sozialen Netzwerke übliche Multiple-Choice-Begründungsform“ im Rahmen der in § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG normierten Begründungspflicht ausreichen (BT-Drs. 18/12356, S. 23). Wenn die Sperre auf Gründe gestützt wird, die sich nicht auf rechtswidrige Inhalte nach dem NetzDG beziehen, kann insoweit kein strengerer Maßstab gelten.

Gleiches gilt für die vom Kläger geforderte Mitteilung „in speicherbarer Form“, die im NetzDG ebenfalls nicht vorgesehen ist. Es erscheint dem Kläger zumutbar, eine über die Plattform mitgeteilte Begründung ggf. durch einen Screenshot zu sichern.

bb) Die Mitteilung des Anlasses der Sperrung hat außerdem nach nochmaliger Prüfung unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur „unverzüglich“ (anstatt wie beantragt „zugleich“) zu erfolgen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Dem Bundesgerichtshof zufolge ist die erforderliche Anhörung des Nutzers - die neben der einleitenden Information über eine beabsichtigte Kontosperrung und der Mitteilung des Grundes hierfür auch die Möglichkeit des Nutzers zur Gegenäußerung mit einer anschließenden Neubescheidung umfasst - grundsätzlich vor der Sperrung des Kontos durchzuführen und nur in eng begrenzten, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen näher zu bestimmenden Ausnahmefällen kann von einer vorherigen Durchführung abgesehen werden (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 85 und 87). Die vom Kläger im Streitfall begehrte Mitteilung des Grundes bzw. Anlasses der Sperrung ist danach Teil des vom Bundesgerichtshofs geforderten Anhörungsverfahrens, das zwar regelmäßig, aber nicht ausnahmslos vor der Kontosperrung durchzuführen ist. Um auch die vom Bundesgerichtshof erwähnten Ausnahmefälle angemessen berücksichtigen zu können, erscheint es zu weitgehend, dem Kläger einen Anspruch auf Mitteilung „zugleich“ mit der Sperre - im Sinne von „gleichzeitig“ bzw. „zeitgleich“ - zuzubilligen. Vielmehr kann der Kläger als „Minus“ gegenüber seinem ursprünglichen Antrag nur eine unverzügliche Mitteilung des Anlasses der Sperrung verlangen. Damit wird zudem ein Gleichlauf mit der vom Bundesgerichtshof im Hinblick auf die Löschung eines Beitrags geforderten unverzüglichen nachträglichen Anhörung (vgl. BGH a.a.O., Rn. 88) sowie mit § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG erreicht, der in den unter das NetzDG fallenden Konstellationen ebenfalls eine unverzügliche Information und Begründung verlangt. In der Mehrzahl der Fälle dürfte das Erfordernis einer unverzüglichen Mitteilung allerdings faktisch ohnehin darauf hinauslaufen, dass die Begründung wiederum zugleich mit der Sperre zu erfolgen hat. Denn regelmäßig sollte die Prüfung im Zeitpunkt der Verhängung der Sperre auf Seiten der Beklagten bereits abgeschlossen und die Mitteilung des Grundes der Beklagten möglich und zumutbar sein.

[...]

c) Schließlich scheidet auch ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO aus.

Nach dieser Vorschrift hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen. Die Verarbeitung der Daten der Klägerin durch die Beklagte verstieß aber nicht gegen die DS-GVO; denn sie beruhte auf der vorab erteilten Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen der Beklagten im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO und auf Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO.

Im Übrigen gilt auch für diese Anspruchsgrundlage, dass ersatzfähig alle Nachteile sind, die der Geschädigte an seinem Vermögen oder an sonst rechtlich geschützten Gütern erleidet (vgl. Kühling/Buchner/Bergt, DS-GVO, 3. Aufl. 2020, Art. 82 Rn. 19). Ein solch immaterieller Schaden, der hier allenfalls an eine - ggf. auch weniger schwerwiegende - Verletzung des Persönlichkeitsrechts anknüpfen könnte (vgl. hierzu Becker in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Art. 82 DSGVO Rn. 4c; Wybitul, Immaterieller Schadensersatz wegen Datenschutzverstößen, NJW 2019, 3265, 3267), liegt jedoch wie dargelegt nicht vor. Die bloße Sperrung des klägerischen Nutzerkontos begründet einen solchen Schaden nicht


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OLG München: Flaschengestaltung des Lidl "Premium Spritz" ist unlautere Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG zu (b) der Flaschengestaltung des "Chandon Garden Spritz"

OLG München
Beschluss vom 12.07.2022
29 W 739/22


Das OLG München hat entschieden, dass die Flaschengestaltung des Lidl "Premium Spritz" eine unlautere Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG zu (b) der Flaschengestaltung des "Chandon Garden Spritz" darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen hat Erfolg.

1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus Art. 4 Abs. 1 EuGVVO, weil der Sitz der Antragsgegnerinnen in Deutschland liegt.

2. Der Antrag ist hinreichend bestimmt iSd § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Soweit begehrt wird, es „zu unterlassen, schaumweinhaltige Getränke anzubieten, zu bewerben und zu vertreiben und/oder die vorgenannten Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen, wenn diese wie (…) abgebildet aufgemacht sind“ [Unterstreichung nur hier zur Verdeutlichung], versteht der Senat den Antrag dahin, dass die Handlungsformen „anbieten“, „bewerben“ und „vertreiben“ in einem Alternativverhältnis zueinander stehen, wie dies üblicherweise durch die Wahl der Formulierung „und/oder“ zum Ausdruck gebracht wird. Auch mit Blick auf die Antragsbegründung kann der Antrag nur so verstanden werden, dass er sich auch gegen das isolierte Anbieten, das isolierte Bewerben und das isolierte Vertreiben des so aufgemachten Produktes richtet.

3. Wettbewerbsstatut ist nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO deutsches Recht, weil nach dem Vortrag der Antragstellerinnen die Wettbewerbsbeziehungen in Deutschland beeinträchtigt werden.

4. Die Antragstellerin zu 1 ist als Mitbewerberin der Antragsgegnerinnen antragsbefugt und aktivlegitimiert gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF (a)). Ihr steht als Herstellerin des Verfügungsprodukts der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz gem. § 4 Nr. 3 UWG zu (b)).

a) Die Antragstellerin zu 1 erfüllt die Voraussetzungen eines Mitbewerbers, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF. Sie steht mit den Antragsgegnerinnen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis iSv § 2 I Nr. 3 UWG iVm § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG.

aa) Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis iSv § 2 I Nr. 3 UWG ist gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen mit der Folge, dass das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten des einen Wettbewerbers den anderen beeinträchtigen, dh im Absatz behindern oder stören kann (vgl. BGH, GRUR 2014, 1114 Rn. 24 mzN - nickelfrei). Dafür ist nicht Voraussetzung, dass die Parteien auf der gleichen Vertriebsstufe tätig sind, solange sie letztlich gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen (vgl. BGH, GRUR 2016, 828 Rn. 19 f. mzN - Kundenbewertung im Internet). Deshalb besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Hersteller einer Ware nicht nur gegenüber anderen Herstellern gleichartiger Waren wie hier der Antragsgegnerin zu 2, sondern auch gegenüber anderen Händlern gleichartiger Waren wie der Antragsgegnerin zu 1, selbst wenn der Hersteller - wie hier in Bezug auf den deutschen Markt - nur über konzernangehörige Gesellschaften vertreibt. Durch eine etwaige unlautere Nachahmung würde auch die Möglichkeit der Antragstellerin zu 1 beeinträchtigt, die von ihr hergestellten Erzeugnisse über ihre Schwestergesellschaften an Endverbraucher zu verkaufen (vgl. BGH GRUR 2016, 828 Rn. 21 - Kundenbewertung im Internet). Entscheidend ist allein, ob die fraglichen Waren mittelbar oder unmittelbar letztlich für Endverbraucher bestimmt sind (vgl. BGH GRUR 2016, 828 Rn. 23 - Kundenbewertung im Internet).

bb) Nach diesen Grundsätzen muss auch für die Erheblichkeit der Markttätigkeit in Deutschland iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF für einen Hersteller mit Sitz im Ausland wie die Antragstellerin zu 1 ein diesen Anforderungen entsprechender Vertrieb in Deutschland über eine Tochter- bzw. Schwestergesellschaft genügen.

cc) Es ist mit der eidesstattlichen Versicherung gemäß Anlage vom 29.04.2022 (AST 12) über den Verkauf von über 175.000 Flaschen des „Chandon Garden Spritz“ an Endkunden in Deutschland und hiermit erzielten Umsätzen im siebenstelligen Euro-Bereich auch glaubhaft gemacht, dass die nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF erforderliche Schwelle eines Vertriebs in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich überschritten ist.

b) Der Antragstellerin zu 1) steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch wegen unlauterer Nachahmung nach § 4 Nr. 3 lit a) iVm § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt einer vermeidbaren Herkunftstäuschung im weiteren Sinne zu. Das Verfügungsprodukt „Chandon Garden Spritz“ verfügt in seiner gestalterischen Aufmachung über durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart. Das angegriffene Produkt „Premium Spritz“ stellt eine nachschaffende Nachahmung dar. Es führt insofern zu einer Herkunftstäuschung, als die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, es handele sich um eine rustikale Variante des Originalprodukts, die von demselben Hersteller oder von einem mit ihm wirtschaftlich bzw. organisatorisch verbundenen Unternehmen stammt, weil ein Teil von Gestaltungsmerkmalen, die die wettbewerbliche Eigenart des Originalprodukts prägen, übernommen werden und jegliche abgrenzende Kennzeichnung mit Herkunftsfunktion auf dem Nachahmungsprodukt fehlt.

aa) Als Herstellerin ist die Antragstellerin aktivlegitimiert für Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz.

bb) Der Vertrieb einer Nachahmung kann nach § 4 Nr. 3 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt wettbewerbliche Eigenart aufweist und besondere Umstände - wie eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft (Buchst. a) oder eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts (Buchst. b) - hinzutreten, aus denen die Unlauterkeit folgt. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Unlauterkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt (stRspr. BGH; vgl. BGH GRUR 2021, 1544 Rn. 15 mzN - Kaffeebereiter; BGH GRUR 2015, 909 Rn. 9 - Exzenterzähne; BGH GRUR 2016, 730 Rn. 31- Herrnhuter Stern). Abzustellen ist auf die Sicht der angesprochenen Verkehrskreise, das sind hier die Durchschnittsverbraucher. Der Senat kann aufgrund eigener Sachkunde beurteilen, wie die angesprochenen Verkehrskreise die Vergleichsprodukte wahrnehmen, da die Mitglieder des erkennenden Senats zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören und ständig mit Wettbewerbssachen befasst sind (vgl. BGH GRUR 2004, 244, 245 - Marktführerschaft; GRUR 2014, 682 Rn. 29 - Nordjob-Messe).

cc) Das Produkt „Chandon Garden Spritz“ weist in seiner Produktgestaltung eine durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart auf.

(1) Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn nach der Verkehrsanschauung die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen. Ein Erzeugnis hat keine wettbewerbliche Eigenart, wenn der angesprochene Verkehr die prägenden Gestaltungsmerkmale des Erzeugnisses nicht einem bestimmten Hersteller oder einer bestimmten Ware zuordnet. Für die wettbewerbliche Eigenart kommt es zwar nicht darauf an, dass der Verkehr den Hersteller der Ware namentlich kennt; erforderlich ist aber, dass der Verkehr annimmt, die Ware stamme von einem bestimmten Hersteller, wie auch immer dieser heißen möge, oder sei von einem mit diesem verbundenen Unternehmen in Verkehr gebracht worden (vgl. BGH GRUR 2006, 79 Rn. 36 - Jeans I; BGH GRUR 2007, 984 Rn. 23 u. 32 - Gartenliege; BGH GRUR 2015, 909 Rn. 11 - Exzenterzähne; BGH GRUR 2018, 311 Rn. 14 - Handfugenpistole). Wettbewerbliche Eigenart setzt nicht Neuheit oder Bekanntheit des Produkts voraus (BGH GRUR 2009, 79 Rn. 35 - Gebäckpresse; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.24). Die eine wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmale bestimmen nicht nur den wettbewerbsrechtlichen Schutzgegenstand und seinen Schutzumfang, sondern sind auch für die Feststellung einer Verletzungshandlung maßgeblich (BGH GRUR 2022, 160 Rn. 21 - Flying V).

(2) Hieran gemessen verfügt das Produkt „Chandon Garden Spritz“ in seiner Produktgestaltung über durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart.

(a) Nach Darlegung der Antragstellerinnen zeichne sich die Produktaufmachung insbesondere aus durch
- eine dunkle, für Schaumweine typische Schaumweinflasche mit einem Korken;
- eine beigefarbene Banderole am Flaschenhals mit orangefarbener Umrandung;
- ein vorne mittig auf der Flasche angebrachtes, unregelmäßig ovales Etikett mit beiger Hintergrundfarbe;
- das eine orangefarbene Umrandung mit weißen Textelementen aufweist;
- zentral die naturgetreue Abbildung von Orangen mit Blatt enthält;
- das mittig durch einen vertikal verlaufenden gelben Streifen durchzogen wird;
- bei dem der gelbe Streifen in Teilen transparent wirkt und die Motive im Hintergrund durchscheinen lässt;
- auf dem im gelben Streifen in vertikaler Richtung von unten nach oben verlaufend ein dreidimensional anmutender und haptisch hervorgehobener goldener Schriftzug mit der Produktkennzeichnung aufgebracht ist.

Im maßgeblichen Gesamteindruck kombiniere der „Chandon Garden Spritz“ in einzigartiger Weise die klassische Produktaufmachung hochwertiger Schaumweine mit in Farbe und Form markanten Gestaltungselementen (insbesondere vertikaler, teilweise transparent anmutender Streifen über das Etikett, orange Farbtöne, als Relief aufgebrachte, spürbare und dreidimensional wirkende Schrift in vertikaler Anordnung) sowie der zentralen Abbildung von Orangen auf dem Etikett, und hebe sich dadurch auch im Gesamteindruck deutlich von anderen Schaumweinen ab, ebenso hebe sich das Produkt dadurch von dem bisher auf dem Markt existierenden „Spritz“- Produkten deutlich ab.

(b) Nach Ansicht des Senats wird der Gesamteindruck des Verfügungsprodukts geprägt durch das Erscheinungsbild einer luxuriös gestalteten Schaumweinflasche mit Korken mit goldfolienumwickeltem Flaschenhals und einer optisch dominierenden vertikal vom Flaschenhals ab über den Flaschenkörper bis kurz über dem Flaschenboden gelegten gelbfarbigen Banderole, auf der markant die Aufschrift „CHANDON“ in großen goldfarbenen und reliefartig gestalteten Lettern hervorsticht. Die Banderole läuft auch über ein ovales in weißbeige und orangefarbenen Tönen gehaltenes Etikett mit orangefarbener Umrandung und auf weißbeigem Hintergrund in kräftigem Orange gemalten durch den Schriftzug durchscheinenden Orangen. Besonders dominant und ins Auge fallend ist die gelbe Banderole mit der großen Goldaufschrift CHANDON. Mitprägend ist auch das orangeumrandete ovalförmige Etikett mit dem Motiv der in kräftigem Orange gemalten Orangen auf weißbeigem Hintergrund. Mitbestimmend für den Gesamteindruck ist schließlich auch die farbliche Dominanz von Orange-, Gelb- und Goldtönen auf einer Schaumweinflasche.

(c) Vom Marktumfeld anderer Flaschen mit Spritz- bzw. (Schaum-)Weinmischgetränken, zu dem beide Seiten vorgetragen und Abbildungen vorgelegt haben (Anlage AST 8, A2. AG 5, Anlage SPB 1), hebt es sich durch das Zusammenspiel dieser Gestaltungsmerkmale derart ab, dass eine originär durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart anzunehmen ist. Dies gilt auch im Verhältnis zum Marktumfeld von Schaumweinflaschen (vgl. A2. AG 6 und Abbildungen Rn. 21 im Schriftsatz der Antragsgegnerin zu 1 vom 01.07.2022). Es kann daher offenbleiben, ob das relevante Marktumfeld aus Spritzgetränken und diese wiederum inklusive oder exklusive der Spritzgetränke auf Weinbasis und/oder anderen Schaumweinmischgetränken besteht und ob auch Schaumweine an sich dazu zählen. Unerheblich für die wettbewerbliche Eigenart der Produktaufmachung ist die Frage., ob es bereits vor dem „Chandon Garden Spritz“ ein Schaumweinmischgetränk mit Orange gab (vgl. Anlage SPB 1).

(d) Der Grad der dem Produkt von Haus aus zukommenden wettbewerblichen Eigenart und die Angaben der Antragstellerin zur Marktpräsenz, zu den Verkaufszahlen, zum Marketingaufwand und zur Medienpräsenz genügen hingegen nicht, um bereits gut ein Jahr nach Markteinführung eine erhöhte wettbewerbliche Eigenart anzunehmen.

dd) Die Produktgestaltung des angegriffenen Produkts „Premium Spritz“ der Antragsgegnerinnen stellt eine nachschaffende Nachahmung des „Chandon Garden Spritz“ dar.

(1) Eine Nachahmung setzt voraus, dass das Produkt oder ein Teil davon mit dem Originalprodukt übereinstimmt oder ihm zumindest so ähnlich ist, dass es sich nach dem jeweiligen Gesamteindruck in ihm wiedererkennen lässt. Dabei müssen die übernommenen Gestaltungsmittel diejenigen sein, die die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produkts begründen (BGH GRUR 2022, 160 Rn. 38 - Flying V). Aufgrund der Merkmale, die die wettbewerbliche Eigenart ausmachen, muss der Grad der Nachahmung festgestellt werden. Bei einer (nahezu) unmittelbaren Übernahme sind geringere Anforderungen an die Unlauterkeitskriterien zu stellen als bei einer lediglich nachschaffenden Übernahme (stRspr; vgl. nur BGH GRUR 2017, 79 Rn. 64 - Segmentstruktur mwN). Eine nahezu identische Nachahmung liegt vor, wenn nach dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse die Nachahmung nur geringfügige Abweichungen vom Original aufweist; eine nachschaffende Übernahme ist demgegenüber gegeben, wenn die fremde Leistung lediglich als Vorbild genutzt wird und eine bloße Annäherung an das Originalprodukt festzustellen ist (BGH GRUR 2018, 832 Rn. 50 - Ballerinaschuh mwN; BGH GRUR 2022, 160 Rn. 38 - Flying V). Die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse ist aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise nach ihrem Gesamteindruck zu beurteilen, wobei es weniger auf die Unterschiede und mehr auf die Übereinstimmungen der Produkte ankommt, weil der Verkehr diese erfahrungsgemäß nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sofern sie nicht unmittelbar nebeneinander vertrieben werden, sondern seine Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinnt, in dem die übereinstimmenden Merkmale stärker hervortreten als die unterscheidenden (BGH GRUR 2017, 1135 Rn. 29 - Leuchtballon mwN; BGH GRUR 2022, 160 Rn. 40 - Flying V).

(2) Angesprochene Verkehrskreise sind die Durchschnittsverbraucher. Es ist davon auszugehen, dass es auf das Erinnerungsbild ankommt, da die Vergleichsprodukte üblicherweise nicht nebeneinander in denselben Geschäften vertrieben werden. Das angegriffene Produkt wird in Lidl-Discount-Filialen vertrieben. Das Verfügungsprodukt wird nach den glaubhaft gemachten Antragstellerangaben (Anlage AST 12) im „gehobenen Lebensmitteleinzelhandel“, ua bei Feinkost Käfer, Dallmayr, Edeka Simmel, der Kadewe Group, Galeria und Metro sowie im spezialisierten Online-Handel (vgl. Screenshots Anlage AST 13 und Anlage AST 9) vertrieben.
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(3) Eine identische oder nahezu identische Nachahmung scheidet vorliegend aus, weil sich der Gesamteindruck der Vergleichsprodukte - auch nach dem unvollkommenen Erinnerungsbild - über geringfügige Abweichungen hinaus unterscheidet. Insbesondere ist der Flaschenhals gänzlich abweichend gestaltet: Anstelle der den kompletten Flaschenhals bedeckenden luxuriös wirkenden Goldfolienumwicklung des Verfügungsprodukts finden sich beim angegriffenen Produkt nur zwei helle Papieretiketten und vom Glas des Flaschenhalses bleibt ein erheblicher Teil sichtbar, sodass der Flaschenhals des angegriffenen Produkts gänzlich anders, nämlich schlicht und rustikal wirkt. Auch die besonders charakteristische über den gesamten Flaschenkörper vertikal gelegte gelbfarbene Banderole mit dem Aufdruck in Goldlettern findet sich auf dem angegriffenen Produkt lediglich über das Etikett in der Mitte des Flaschenkörpers gelegt. Diese Unterschiede verhindern auch bei dem unvollkommenen Erinnerungsbild des Betrachters, dass eine Identität oder Fast-Identität angenommen werden könnte.

(4) Es liegt allerdings eine nachschaffende Nachahmung vor, weil das angegriffene Produkt einige, die wettbewerbliche Eigenart der Gestaltung des „Chandon Garden Spritz“ prägende Gestaltungselemente, wenn auch mit nicht zu verkennenden Abweichungen, übernimmt. Dies ist vor allem die gelbfarbene vertikal verlaufende Banderole mit einem Aufdruck in reliefartig gestalteten Goldlettern. Zwar liegt diese auf dem angegriffenen Produkt nur über dem Etikett und nicht wie beim Original sowohl über dem Etikett als auch über dem gesamten Flaschenkörper. Sie fällt aber gleichwohl an der prominenten Stelle über dem Etikett markant ins Auge, weist einen ebenfalls kräftigen Gelbton und ebenso eine markante in reliefartig gestalteten großen Goldlettern gehaltene Aufschrift auf und lässt die auf dem Etikett abgebildeten Orangen durchscheinen. Übernommen ist auch die den Gesamteindruck und die wettbewerbliche Eigenart mitprägende Farbgebung in Bezug auf die Farben Orange und Gelb, die auch im Farbton jeweils sehr nahekommen, nur der Goldton fehlt. Übernommen sind auch Gestaltungsmerkmale des Etiketts: die orangefarbene Umrandung, die Abbildung von Orangen auf hellem weißbeige gehaltenem Hintergrund, auch wenn die Etikettenform (rautenförmig) und die Abbildung der Orangen (nur die Struktur skizzierend) abweichen. Alles in allem ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass auf das unvollkommene Erinnerungsbild des Verkehrs abzustellen ist, der die Produkte nicht unmittelbar nebeneinander vergleicht, so dass den Übereinstimmungen ein stärkeres Gewicht zukommt als den Unterschieden, eine Übernahme einiger prägender Gestaltungsmerkmale und eine Annäherung an das als Vorbild dienende Originalprodukt zu erkennen.

ee) Unter Gesamtwürdigung der durchschnittlichen wettbewerblichen Eigenart des Originalprodukts und des Grads der Nachahmung sowie der glaubhaft gemachten hinreichenden Bekanntheit bei nicht unerheblichen Teilen des angesprochenen Verkehrs liegt angesichts einer fehlenden abweichenden Kennzeichnung mit Herkunftsfunktion eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft im weiteren Sinne nach § 4 Nr. 3 lit. a UWG vor.

(1) Nach § 4 Nr. 3 lit. a UWG handelt unlauter, wer Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt. Dabei ist zwischen einer unmittelbaren Herkunftstäuschung und einer mittelbaren Herkunftstäuschung (einer Herkunftstäuschung im weiteren Sinne) zu unterscheiden. Eine unmittelbare Herkunftstäuschung liegt vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, bei der Nachahmung handele es sich um das Originalprodukt. Eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne liegt vor, wenn der Verkehr die Nachahmung für eine neue Serie oder ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers hält oder wenn er von geschäftlichen oder organisatorischen - wie lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen - Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgeht (vgl. BGH GRUR 2019, 196 Rn. 15 - Industrienähmaschinen mwN; BGH GRUR 2022, 160 Rn. 46 - Flying V). Voraussetzung hierfür ist auch, dass das Erzeugnis bei nicht unerheblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise eine solche Bekanntheit erreicht haben muss, dass sich in relevantem Umfang die Gefahr der Herkunftstäuschung ergeben kann, wenn Nachahmungen vertrieben werden (BGH GRUR 2005, 166, 167 - Puppenausstattungen; BGH GRUR 2006, 79 Rn. 35 - Jeans I; BGH GRUR 2007, 339 Rn. 39 - Stufenleitern; BGH GRUR 2007, 984 Rn. 34 - Gartenliege; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.41a).

(2) Vorliegend scheidet zwar eine unmittelbare Herkunftstäuschung aus. Der angesprochene Durchschnittsverbraucher nimmt angesichts der dargestellten Unterschiede nicht an, dass es sich bei dem angegriffenen Produkt um das Originalprodukt handelt.

(3) Das angegriffene Produkt ruft aber eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne hervor.

(a) Eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne liegt vor, wenn der Verkehr die Nachahmung für eine neue Serie oder ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers hält oder wenn er von geschäftlichen oder organisatorischen - wie lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen - Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgeht (vgl. BGH GRUR 2019, 196 Rn. 15 - Industrienähmaschinen mwN).

(b) Es für eine Herkunftstäuschung erforderliche hinreichende Bekanntheit des Originalprodukts ist glaubhaft gemacht.

(aa) Die Gefahr einer Täuschung über die betriebliche Herkunft eines nachgeahmten Erzeugnisses setzt, sofern nicht Original und Nachahmung nebeneinander vertrieben werden und der Verkehr damit beide Produkte unmittelbar miteinander vergleichen kann, voraus, dass das nachgeahmte Erzeugnis eine gewisse Bekanntheit erlangt hat. Es genügt bereits eine Bekanntheit, bei der sich die Gefahr der Herkunftstäuschung in noch relevantem Umfang ergeben kann, wenn Nachahmungen vertrieben werden (BGH GRUR 2007, 984 Rn. 34 mwN - Gartenliege). Maßgebend ist eine Bekanntheit auf dem inländischen Markt zum Zeitpunkt der Markteinführung der Nachahmung (BGH GRUR 2009, 79 Rn. 35 mwN - Gebäckpresse). Die Bekanntheit kann sich aus entsprechenden Werbeanstrengungen, der Dauer der Marktpräsenz, den hohen Absatzzahlen des Originals oder einem hohen Marktanteil ergeben (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.41a mzN; BGH GRUR 2007, 339 Rn. 32 - Stufenleitern; BGH GRUR 2007, 984 Rn. 32 - Gartenliege; BGH WRP 2013, 1189 Rn. 27 - Regalsystem). Ein sehr niedriger Marktanteil muss allerdings nicht gegen die Bekanntheit sprechen, zumal bei Luxusprodukten (OLG Hamm WRP 2015, 1374 Rn. 109; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.41a).

(bb) Die erforderliche gewisse Bekanntheit bei einem nicht unerheblichen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise, welche hier die Durchschnittsverbraucher darstellen, kann angesichts der glaubhaft gemachten Angaben zu den Werbe- und Marketingmaßnahmen mit Kosten von über 2,0 Millionen EUR, den Verkaufszahlen von über 175.000 in Deutschland an Endkunden verkauften Flaschen und hiermit erzielten Umsätzen im siebenstelligen Euro-Bereich (eidesstattliche Versicherung Anlage AST 12) sowie des durch die Anlagen (Anlage AST 9, Anlage AST 10; Anlage AST 11; Anlage AST 14 und AST 15) hinreichend glaubhaft gemachten Umfangs der Medien- und Marktpräsenz trotz einer nur gut einjährigen Marktpräsenz nicht verneint werden.

(c) Es liegt eine vermeidbare Herkunftstäuschung im weiteren Sinne vor. Es handelt sich zwar angesichts der dargestellten Unterschiede nur um eine nachschaffende Nachahmung, die nur einzelne die wettbewerbliche Eigenart prägenden Gestaltungsmerkmale des Originalprodukts übernimmt. Das Original wird hierdurch aber - insbesondere durch die über die Etikette gelegte gelbe Banderole mit der Aufschrift in reliefartigen Goldlettern und die Farbgestaltung in Orange- und Gelbtönen sowie das orangefarben umrandete Etikett, das auf weißbeigefarbenem Hintergrund Orangen abbildet - deutlich erkennbar in Bezug genommen, ohne dass das im Discount vertriebene Nachahmungsprodukt irgendein deutliches abweichendes Herkunftszeichen tragen würde. Der Verkehr wird unter diesen Umständen annehmen, es handele sich - wie im Lebensmitteldiscount und auch in Bezug auf alkoholische Getränke durchaus üblich und dem Verkehr geläufig - um eine von demselben Hersteller oder von einem mit ihm wirtschaftlich bzw. organisatorisch - zB lizenz- oder gesellschaftsvertraglich - verbundenen Unternehmen stammende günstigere und schlichtere, möglicherweise auch inhaltlich minderwertige, Variante des Originalprodukts, nämlich eine rustikal aufgemachte Variante des Spritz-Mischgetränks für den Discountbetrieb, die an eine rustikale Prosecco-Gestaltung anklingt, gegenüber der luxuriös aufgemachten Gestaltung des Originalprodukts, die eher an eine Sekt- oder Champagner-Gestaltung erinnert. Der Verkehr weiß auch, dass es unmittelbare oder mittelbare Belieferungen von Herstellern und Händlern, die sich dem Luxussegment zuordnen, an Discounter gibt. Unwidersprochen haben die Antragstellerinnen vorgetragen, dass die Antragsgegnerinnen Produkte der Moët Hennessy Gruppe vertreiben.

Diese Herkunftstäuschung im weiteren Sinne wäre leicht und zumutbar vermeidbar, indem das Nachahmungsprodukt mit einer deutlichen abweichenden Herkunftskennzeichnung versehen werden würde. Der generische Begriff „SPRITZ“ genügt hierfür ebenso wenig wie der anpreisende Begriff „Premium“. Beiden Zeichen fehlt sowohl einzeln als auch in der Kombination die Herkunftsfunktion. Nur auf dem Etikett auf der Flaschenrückseite ist im unteren Bereich des Etiketts ein Unternehmen mit Anschrift benannt („AVG V. GmbH, (…)“; vgl. Einlichtung unten Seite 17 dA; Abbildungen Anlage AST 16, Seiten 6/7), bei welchem es sich schon wegen des Firmenbestandteils „Vertriebs“ keinesfalls um den Hersteller handeln muss. Auch wenn der Verkehr diese Aufschrift im maßgeblichen Zeitpunkt der Kaufentscheidung wahrnimmt, nimmt ihm dies nicht die Fehlvorstellung über die Herkunft.

5. Die Antragstellerin zu 2 ist als Mitbewerberin der Antragsgegnerinnen antragsbefugt und aktivlegitimiert iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF. Ihr steht als Mitbewerberin und Händlerin der geltend gemachte Anspruch jedenfalls aus § 5 Abs. 2 UWG wegen lauterkeitsrechtlicher Herkunftstäuschung zu.

a) Die Antragstellerin zu 2 erfüllt mit dem Vertrieb des „Chandon Garden Spritz“ die Voraussetzungen eines Mitbewerbers, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF. Sie steht mit den Antragsgegnerinnen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis iSv § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG iVm § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG, da sie gleichartige Waren an denselben Endkundenkreis vertreibt. Auf die Frage, auf welcher Stufe der Produktions- bzw. Handelskette sie steht, kommt es, wie oben 4. A) aa) ausgeführt, nicht an. Auch die Schwellen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF sind überschritten. Insofern kann auf die Ausführungen unter 4. a) cc) verwiesen werden.

b) Ob die Antragstellerin zu 2 als Händlerin berechtigt ist, einen Anspruch wegen wettbewerbsrechtlichem Nachahmungsschutz nach § 4 Nr. 3 UWG geltend zu machen, obwohl sie weder eine eigene (ergänzende) Leistung noch eine Allein- bzw. Exklusivvertriebsberechtigung darlegt (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.85, 3.86 mwN auch zur früheren Rspr.), kann dahinstehen.

c) Der Antragstellerin steht als Mitbewerberin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zumindest aus § 5 Abs. 2 UWG wegen lauterkeitsrechtlicher Herkunftstäuschung zu, auf den sie sich auch als Mitbewerberin, die nicht zugleich Herstellerin ist, berufen kann (vgl. Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, 40. Aufl. 2022, UWG § 5 Rn. 9.23; Bornkamm, GRUR 2011, 1, 7). Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 UWG wegen des Vertriebs oder des Anbietens einer unlauteren herkunftstäuschenden Nachahmung einer Produktgestaltung sind - trotz des begrifflich abweichenden Gesetzestextes - dann erfüllt, wenn die Voraussetzungen einer vermeidbaren Herkunftstäuschung im Sinne des § 4 Nr. 3 lit. a) UWG vorliegen (vgl. Bornkamm/Feddersen a.a.O.; Bornkamm, a.a.O.), so dass für die Einzelheiten auf die Ausführungen unter 4. b) bb) - ee) Bezug genommen werden kann.

Auch ein Verfügungsgrund ist gegeben. Die Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht, am 31.03.2022 Kenntnis davon erlangt zu haben, dass die Lidl-Gruppe, zu der die Antragsgegnerin zu 1 gehört, ein als „Premium Spritz“ bezeichnetes Produkt mit Verkaufsstart vom 04.04.2022 anbiete (Eidesstattliche Versicherung vom 29.04.2022 Anlage AST 4; Bl. 16 dA). Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist beim Landgericht am 29.04.2022 und damit innerhalb der für den Bezirk des Oberlandesgerichts München geltenden Monatsfrist eingegangen, bei deren Überschreitung die gem. § 12 Abs. 1 UWG vermutete Dringlichkeit wegen dringlichkeitsschädlichen Verhaltens als widerlegt angenommen wird. III.


Den Volltext der Entscheidungen mit Produktfotos finden Sie hier:

OLG München: Löschungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO umfasst auch einen Anspruch auf Unterlassung der zukünftigen Verarbeitung der gelöschten Daten

OLG München
Urteil vom 22.03.2022
18 U 1697/21 Pre


Das OLG München hat entschieden, dass der Löschungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO auch einen Anspruch auf Unterlassung der zukünftigen Verarbeitung der gelöschten Daten umfasst.

Aus den Entscheidungsgründen:
Entgegen der Ansicht des Landgerichts steht der Klägerin kein Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO darauf zu, dass die Beklagte es unterlässt, die private Anschrift der Klägerin oder deren Telefonnummer zu veröffentlichen, wenn dies geschieht wie im Februar 2020 unter der URL https://www. …

1. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass Art. 17 DS-GVO dem Betroffenen im Einzelfall auch einen Unterlassungsanspruch gewähren kann. Der gegenteiligen Rechtsansicht der Beklagten kann nicht gefolgt werden. Der Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten gemäß Art. 17 Abs. 1 DS-GVO schließt den Anspruch darauf ein, dass die gelöschten Daten nicht erneut verarbeitet werden. Hat der Verantwortliche - wie die Beklagte im vorliegenden Fall - die personenbezogenen Daten bereits gelöscht, kann bei Vorliegen der erforderlichen Wiederholungsgefahr der auf Unterlassung künftiger Verarbeitung gerichtete Anspruch selbständig geltend gemacht werden.

a) Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 27.07.2020 (Az: VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285) bereits entschieden, dass ein auf dauerhafte Auslistung beanstandeter Suchergebnisse gerichtetes Rechtsschutzbegehren grundsätzlich von Art. 17 Abs. 1 DS-GVO erfasst wird. Dem steht nicht entgegen, dass die technische Umsetzung eines solchen Begehrens sich unter Umständen nicht im einmaligen Löschen von Daten erschöpft, sondern weitere Maßnahmen erfordert, um die erneute Indexierung der beanstandeten Information unter dem fraglichen Suchbegriff zu verhindern.

Der Begriff der Löschung im Sinne des Art. 17 Abs. 1 DS-GVO ist autonom auszulegen. Das in der Vorschrift niedergelegte „Recht auf Löschung“ ist schon aufgrund der für den Betroffenen letztlich unwägbaren und zudem stetem Entwicklungsfortschritt unterworfenen technischen Voraussetzungen der beanstandeten Datenverarbeitung nicht auf das schlichte Löschen von Daten zu verengen, sondern - entsprechend der zielorientierten weiteren Artikelüberschrift - als „Recht auf Vergessenwerden“ normativ zu verstehen, so dass ihm auch das Auslistungsrecht der von einer Suchmaschine betroffenen Person unterfällt (vgl. BGH a.a.O., Rn. 17, zit. nach juris). In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war das Rechtsschutzziel des damaligen Klägers im Übrigen ausdrücklich als Unterlassungsbegehren formuliert worden (vgl. a.a.O., Rn. 1).

b) Die Beklagte führt selbst aus, dass das Recht auf Löschung personenbezogener Daten gemäß Art. 17 Abs. 1 DS-GVO in die Zukunft wirkt und einen Anspruch darauf gewährt, dass die gelöschten Daten nicht mehr verarbeitet werden dürfen (Berufungsbegründung, S. 3 f. = Bl. 83 f. d.A.). Da gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO der Verantwortliche nach einem Widerspruch des Betroffenen nicht mehr verarbeiten dürfe und gemäß Art. 6 Abs. 1 DS-GVO eine Verarbeitung personenbezogener Daten nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei, bedeute dies im Umkehrschluss, dass eine Verarbeitung auch zukünftig nicht mehr erfolgen dürfe (a.a.O., S. 3 f. = Bl. 83 f. d.A.). Es erschließt sich nicht, warum es dem Betroffenen verwehrt sein sollte, dieses Verbot durch Erhebung einer Unterlassungsklage titulieren zu lassen, wenn der Verantwortliche dem Löschungsbegehren bereits entsprochen hat, aber eine Wiederholungsgefahr zu bejahen ist.

2. Im vorliegenden Fall fehlt es aber sowohl an der Störereigenschaft der Beklagten als auch an der für einen Unterlassungsanspruch konstitutiven Wiederholungsgefahr. Denn die von der Klägerin beanstandete Datenverarbeitung - die Wiedergabe ihrer Privatanschrift und Telefonnummer unter den „Local Listings“ - war jedenfalls bis zum Löschungsverlangen der Klägerin, dem die Beklagte unverzüglich nachkam, rechtmäßig gewesen.

Als Betreiberin einer Suchmaschine ist die Beklagte nicht von sich aus zu einer proaktiven Prüfung des Inhalts der von ihrer Suchmaschine generierten Nachweise verpflichtet (vgl. BGH, Urteil vom 27.07.2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285, Rn. 19 m.w.N.). Störerin kann die Beklagte erst werden, wenn sie durch Benennung der konkret beanstandeten Ergebnislinks und eine zusammenhängende Darstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts und der daran geknüpften rechtlichen Erwägungen in formeller Hinsicht hinreichend deutlich auf die aus Sicht des Betroffenen vorliegende Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung hingewiesen und zur Löschung aufgefordert wird (vgl. BGH a.a.O.). Kommt sie der Aufforderung unverzüglich nach, fehlt es an einer rechtswidrigen Beeinträchtigung, welche die Störereigenschaft - und die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr (vgl. Grüneberg-Herrler, BGB, 81. Aufl., § 1004 Rn. 32 m.w.N.) - begründen könnte.

a) Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. f DS-GVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten unter anderem dann rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen.

Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten gilt nicht uneingeschränkt, sondern muss - wie im vierten Erwägungsgrund der Datenschutz-Grundverordnung ausgeführt - im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden (BGH, Urteil vom 27.07.2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285, Rn. 23, zit. nach juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 24.09.2019 - C-136/17, NJW 2019, 3503, Rn. 57). Diese Grundrechtsabwägung ist auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Grundrechte der betroffenen Person einerseits, der Grundrechte des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen, der Interessen seiner Nutzer und der Öffentlichkeit sowie der Grundrechte der Anbieter der in den beanstandeten Ergebnislinks nachgewiesenen Inhalte andererseits umfassend vorzunehmen (BGH a.a.O., Rn. 23 m.w.N.).

Im Hinblick auf die in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht gebotene umfassende Prüfung muss die Abwägung jeweils zu demselben Ergebnis führen, unabhängig davon, ob der Abwägungsvorgang seinen Ausgangspunkt in der Frage nimmt, ob die Verarbeitung der Daten allgemein zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich war (Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO), ob die Verarbeitung speziell der Daten des Betroffenen aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich war (Art. 9 Abs. 2 lit. g DS-GVO) oder ob der Verantwortliche zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen kann, welche die Interessen, Rechte und Freihei18 U 1697/21 Pre - Seite 5 - ten des Betroffenen überwiegen (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO) (vgl. BGH a.a.O., Rn. 24 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 24.09.2019 - C-136/17, NJW 2019, 3503, Rn. 59, 66; Urteil vom 13.05.2014 - C-131/12, NJW 2014, 2257, Rn. 76).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind im Bereich der unionsrechtlich vollständig vereinheitlichten Regelungen nicht die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein die Unionsgrundrechte maßgeblich (BGH a.a.O., Rn. 25 unter Verweis auf BVerfG, NJW 2020, 314, Rn. 34 - Recht auf Vergessen II). Der Senat hat bereits im Berufungstermin darauf hingewiesen, dass der Hinweisbeschluss vom 10.02.2022 (Bl. 94/99 d.A.), in dem er die Grundrechte der Parteien nach dem Grundgesetz fallbezogen gegeneinander abgewogen hatte, in diesem Punkt zu korrigieren ist.

b) Im vorliegenden Fall sind auf Seiten der Klägerin deren Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) und auf Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 GRCh in die Abwägung einzustellen. Das Interesse der Beklagten, im Rahmen des von ihr betriebenen Geolokalisierungsdienstes ihren Nutzern unter den „Local Listings“ Kontaktinformationen zu dem jeweiligen Ort zur Verfügung zu stellen, wird durch ihr Grundrecht auf unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 GRCh geschützt.

Für das Ergebnis der vorzunehmenden Abwägung kommt im vorliegenden Fall dem Umstand maßgebliche Bedeutung zu, dass die Beklagte die von ihr verarbeiteten personenbezogenen Daten nicht nur allgemein zugänglichen Quellen, sondern sogar der eigenen Internetpräsenz der Klägerin entnommen hat. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten hatte die Klägerin jedenfalls im Zeitraum von September 2013 bis August 2018 im Impressum ihres Internetauftritts eben jene Anschrift und Telefonnummer angegeben, deren Veröffentlichung sie der Beklagten nunmehr untersagen will (vgl. Anlage B 2). Die Beklagte durfte deshalb zunächst davon ausgehen, dass die Klägerin kein Interesse an der Geheimhaltung der von ihr selbst veröffentlichten Kontaktdaten hatte, sondern vielmehr mit deren Aufnahme in die „Local Listings“ einverstanden war.

c) Eine Pflicht zur unverzüglichen Löschung der streitgegenständlichen personenbezogenen Daten gemäß Art. 17 Abs. 1 DS-GVO traf die Beklagte deshalb allenfalls ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von der Klägerin zur Löschung aufgefordert worden war. Da aufgrund des Vorbringens der Parteien davon auszugehen ist, dass die Beklagte die streitgegenständlichen Einträge auf Verlangen der Klägerin unverzüglich gelöscht hat, kann im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits dahinstehen, ob der Klägerin ein Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO auf deren Löschung zustand.

aa) Einen Widerspruch im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. c DS-GVO gegen die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten durch die Beklagte hat die Klägerin erst mit Anwaltsschreiben vom 07.05.2020 (Anlage K 2) erhoben, mit dem sie die Beklagte unter anderem aufgefordert hat, die Veröffentlichung ihrer privaten Anschrift und ihrer privaten Telefonnummer zu unterlassen. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten ist ihr dieses Schreiben am 14.05.2020 per Telefax zugegangen (vgl. Klageerwiderung, S. 5 = Bl. 19 d.A.).

bb) Die E-Mail der Klägerin vom 13.02.2020 (Anlage K 1) hatte dagegen keine Prüfungspflichten der Beklagten ausgelöst, weil die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt hat, dass diese E-Mail der Beklagten zugegangen ist oder die Beklagte sich so behandeln lassen muss, als ob sie die E-Mail erhalten hätte.

Die Beklagte behauptet, dass die E-Mail vom 13.02.2020 ausweislich des von der Klägerin verwendeten Antragsformulars nicht an sie, sondern an die G. LLC gegangen sei. Dabei handele es sich um ein selbständiges Unternehmen, mit dem die Beklagte lediglich im Konzern der Alphabet Inc. verbunden sei (vgl. Klageerwiderung, S. 4 = Bl. 18 d.A.; Schriftsatz vom 21.12.2020, S. 2 = Bl. 32 d.A.).

Die Klägerin bestreitet dies nicht, hält den Einwand aber für unbeachtlich, weil sich das sogenannte „Local Listing“ auch für einen erfahrenen Benutzer der von der Beklagten betriebenen Suchmaschine als ein - wenn auch besonders hervorgehobenes - Suchergebnis darstelle. Für den Benutzer sei in keiner Weise erkennbar, dass es sich dabei um einen vermeintlich nicht von der Beklagten verbreiteten Inhalt handeln solle, auf den sich das von der Beklagten bereitgestellte Formular angeblich nicht beziehe. Selbst wenn es sich so verhielte, müsste die Beklagte aber Vorsorge dafür treffen, dass Datenschutz-Beschwerden, die unter Verwendung des Formulars eingereicht würden, intern entsprechend zugeordnet und bearbeitet würden (Schriftsatz vom 10.12.2020, S. 2 = Bl. 26 d.A.).

Mit diesen Ausführungen verkennt die Klägerin, dass die Beklagte nicht ihre Verantwortlichkeit für die Veröffentlichung der „Local Listings“ bestreitet, sondern den Erhalt der - an eine andere juristische Person gerichteten - E-Mail vom 13.02.2020. Eine Organisationspflicht der Beklagten, sicherzustellen, dass an andere juristische Personen des Konzerns gerichtete E-Mails ihr zeitnah zugeleitet werden, ist nicht ersichtlich. Nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag ist die Beklagte nicht die Muttergesellschaft des Konzerns (vgl. Schriftsatz vom 23.02.2021, S. 2 = Bl. 36 d.A.). Ihr obliegen deshalb auch keine Koordinationspflichten hinsichtlich der einzelnen zum Konzern gehörenden Unternehmen.

Die Klägerin hat auch nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die Beklagte durch eine irreführende Gestaltung ihrer Formulare oder sonstiger Mitteilungen in zurechenbarer Weise eine Ursache gesetzt hatte, dass die Klägerin sich mit ihrer E-Mail vom 13.02.2020 an die unzuständige G. LLC gewandt hat. Dagegen spricht nicht zuletzt der Umstand, dass das Anwaltsschreiben vom 07.05.2020 (Anlage K 2) zutreffend an die Beklagte („G. Ireland Ltd.“) gerichtet ist.

cc) Auf das Anwaltsschreiben vom 07.05.2020 hin hat die Beklagte unstreitig den streitgegenständlichen Eintrag unter den „Local Listings“ gelöscht. Dass die Beklagte auf die Aufforderung verspätet reagiert hätte, hat die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt.

Das in Art. 17 Abs. 1 Satz 1 DS-GVO verwendete Wort „unverzüglich“ bedeutet nach der für das deutsche Recht maßgeblichen Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Anhaltspunkte dafür, dass das Wort im Rahmen der Datenschutz-Grundverordnung einen anderen Sinngehalt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Der Beklagten ist grundsätzlich eine angemessene Prüfungsfrist zuzubilligen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann zu deren Konkretisierung regelmäßig die in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 NetzDG geregelte Frist zur Entfernung rechtswidriger Inhalte nach Eingang einer Beschwerde herangezogen werden. Danach muss ein rechtswidriger Inhalt - von dem hier nicht einschlägigen Sonderfall eines offensichtlich rechtswidrigen Inhalts abgesehen - innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde entfernt werden.

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden, dass sie auf die Löschungsaufforderung der Klägerin vom 07.05.2020 verspätet reagiert hätte. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten ist ihr die Aufforderung erst am 14.05.2020 zugegangen. Ihre Antwort, in der sie die Prüfung der Beanstandung der Klägerin ankündigt, datiert vom 19.05.2019 (Anlage K 3). In der Folgezeit wurde der streitgegenständliche Eintrag unstreitig gelöscht. Da die Klägerin den konkreten Zeitpunkt der Löschung nicht mitteilt, ist zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass die Löschung jedenfalls innerhalb einer Frist von sieben Tagen nach Eingang der Löschungsaufforderung bei der Beklagten erfolgt ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG München: Wettbewerbswidrige Irrführung durch Weiterverkauf von Tischreservierungen auf dem Oktoberfest wenn AGB des Festzeltbetreibers gewerbliche Weiterveräußerung verbietet

OLG München
Urteil vom 07.07.2022
6 U 7831/21


Das OLG München hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irrführung vorliegt, wenn eine Eventagentur Tischreservierungen auf dem Oktoberfest weiterverkauft, wenn laut AGB des Festzeltbetreibers eine gewerbliche Weiterveräußerung bzw. die gewerbliche Abtretung der Tischreservierung untersagt ist. Insofern erhält der Käufer dann keine wirksame Reservierung, wenn er diese von der Eventagentur kauft.

OLG Frankfurt: Fehlende Anhörung des Nutzers durch Facebook vor Löschung eines Facebook-Posts kann im Prozess um erneute Freischaltung des Beitrags nachgeholt werden

OLG Frankfurt
Urteil vom 30.06.2022
16 U 229/20


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass eine fehlende Anhörung des Nutzers durch Facebook vor Löschung eines Facebook-Posts im Prozess um die erneute Freischaltung des Beitrags nachgeholt werden kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Unterlassene Anhörung des Betroffenen vor Löschung eines Posts bei Facebook kann im Prozess um die Wiederfreischaltung nachgeholt werden

Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021 (III ZR 179/20) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen, unwirksam, weil sie kein Verfahren vorsehen, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt. Der Pressesenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) hat mit dem heute verkündeten Urteil nunmehr entschieden, dass die fehlende Anhörung seitens der Beklagten im Verfahren nachgeholt werden kann und, wenn diese zu keiner anderen Bewertung führt, der betroffene Nutzer dann nicht die Wiederfreischaltung des Posts beanspruchen kann. Das Löschungsrecht ergebe sich in diesem Fall bei einem vertragswidrigen Post aus dem Nutzungsvertrag.

Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhang mit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u.a.: „Solange diese sich gegenseitig abstechen ist es doch o. k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji“. Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos. Der Kläger begehrte daraufhin vor dem Landgericht unter anderem die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Berufung hat auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post sei zwar eine Meinungsäußerung. Er verstoße aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede. Der Begriff der Hassrede sei hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst würden u.a. „Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren“. Die Beklagte sei auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, „durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden“. Sie dürfe den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgingen. Die Verhaltensregeln sollten einen Kodex für „einen respektvollen Umgang miteinander“ enthalten.

Hier verstehe der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger „gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung finde, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen“. Dies unterfalle dem Bereich der Hassrede.

Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, könne die Beklagte sich zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese seien gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unwirksam.

Die Beklagte sei aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergäben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt sei im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen sei. Über diese ergänzende Vertragsauslegung sei die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und im Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies sei im Rahmen des hiesigen Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler sei damit nachträglich geheilt worden.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH u.a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 30.06.2022, Az. 16 U 229/20
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 03.09.2020, Az. 2-03 O 282/19)



OLG München: Facebook muss Nutzer vor Sperrung des Accounts regelmäßig anhören aber kein allgemeiner und umfassender Anspruch des Nutzers auf Unterlassung künftiger Sperren

OLG München
Urteil vom 12.04.2022
18 U 6473/20

Das OLG München hat bekräftigt, dass Facebook Nutzer vor Sperrung des Accounts regelmäßig anhören muss. Es besteht aber kein allgemeiner und umfassender Anspruch des Nutzers auf Unterlassung künftiger Sperren ohne vorherige Anhörung.

Leitsätze des Gerichts:

1. Zum grundsätzlich bestehenden vertraglichen Anspruch des Nutzers eines sozialen Netzwerks gegen dessen Anbieter auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Beitragslöschung bei Fehlen einer Bestimmung in den Geschäftsbedingungen, wonach sich der Anbieter verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neuentscheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht (im Anschluss an BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20 und BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 192/20).

2. Der Nutzer handelt nicht treuwidrig, wenn er sich auf die Unwirksamkeit des Entfernungs- bzw. Sperrvorbehalts in den Nutzungsbedingungen des Anbieters beruft. Selbst wenn der Nutzer durch die Veröffentlichung der Beiträge gegen die Gemeinschaftsstandards und damit gegen vertragliche Verpflichtungen seinerseits verstoßen hat, steht es dem Anbieter nach der Rechtsprechung des BGH nicht zu, diese Beiträge ohne wirksame vertragliche Grundlage zu löschen und das Profil des Nutzers zu sperren.

3. Es besteht kein allgemeiner und umfassender Anspruch des Nutzers auf Unterlassung künftiger Sperren, ohne vorab über die beabsichtigte Sperrung zu informieren und die Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung einzuräumen. Denn ein hierauf gerichteter Antrag umfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Anbieter trotz der Unwirksamkeit des Lösch- und Sperrvorbehalts in seinen Nutzungsbedingungen die Möglichkeit haben muss, gesetzwidrige oder strafbare Inhalte effektiv zu beseitigen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung der Klägerin ist, soweit noch über sie zu entscheiden war, zulässig und teilweise begründet.

Da die Beklagte mit der Löschung der Beiträge der Klägerin und der anschließenden vorübergehenden Sperrung des klägerischen Nutzerkontos gegen ihre Vertragspflichten verstoßen hat, steht der Klägerin ein Anspruch auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Löschung der Beiträge bei deren erneuter Einstellung zu. Ferner kann sie anteilige Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € für jeden Beitrag verlangen. Hinsichtlich der Beiträge vom 29.03.2019 und 12.03.2020 hat die Klägerin darüber hinaus einen Anspruch auf Wiederherstellung der Beiträge und Berichtigung des sie betreffenden Datensatzes der Beklagten.

Soweit die Klägerin darüber hinaus Freistellung von weiteren Rechtsanwaltskosten begehrt, hat das Landgericht die Klage hingegen zu Recht abgewiesen. Insoweit war daher auch die Berufung zurückzuweisen.

Der erstmals in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 14.10.2021 gestellte Antrag auf Unterlassung von Sperren, ohne vorab über die beabsichtigte Sperrung zu informieren und die Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung einzuräumen, ist - auch in der Fassung Hilfsantrags vom 17.03.2022 - unbegründet.

1. Das Landgericht hat die - auch im Berufungsverfahren von Amts wegen zu prüfende (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.2002 - III ZR 102/02, NJW 2003, 426, juris Rn. 9) - internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Ergebnis zutreffend bejaht.

Diese folgt aus Art. 17 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO) (vgl. auch BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 24). Danach kann die Klägerin als Verbraucherin, die die Plattform der Beklagten privat und nicht beruflich oder gewerblich nutzt, gegen die Beklagte, die ihre gewerbliche Tätigkeit auch auf Deutschland ausgerichtet hat, vor dem Gericht ihres Wohnsitzes und damit vor dem Landgericht Augsburg Klage erheben.

2. Die Klage ist hinsichtlich der zuletzt noch gestellten Anträge zulässig. Die Voraussetzungen einer zulässigen Klageerweiterung in der Berufungsinstanz nach § 533 ZPO liegen trotz der fehlenden Einwilligung der Beklagten vor, weil die Zulassung des weiteren Unterlassungsantrags sachdienlich ist und auf Tatsachen gestützt werden kann, die der Senat seiner Entscheidung ohnehin zugrunde zu legen hat.

3. Entgegen der Ansicht des Landgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Löschung der Beiträge vom 29.03.2019, 24.08.2019 und 12.03.2020 bei deren erneuter Einstellung gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu (Berufungsanträge Ziff. 6 bis 8). Die gestellten Unterlassungsanträge sind allerdings um den Kontextbezug zu ergänzen („wenn dies geschieht wie am 29.03.2019, 24.08.2019 bzw. 12.03.2020 “).

a) Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche sind nach deutschem Recht zu beurteilen. Aufgrund der Rechtswahlklausel in Nr. 4.4 der Nutzungsbedingungen der Beklagten (Anlage K 1) unterliegt der zwischen den Parteien geschlossene Nutzungsvertrag nach Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) dem deutschen Recht. Dessen Anwendbarkeit ergäbe sich im Übrigen auch ohne Rechtswahl der Parteien aus Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO, weil ein Verbrauchervertrag vorliegt (vgl. auch BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 26).

b) Die Beklagte hat - wie sich auch aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021 in zwei vergleichbaren Parallelverfahren ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20, NJW 2021, 3179 und BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 192/20, ZUM-RD 2021, 612) - durch die Entfernung der Beiträge der Klägerin und die Sperrung des klägerischen Nutzerkontos gegen ihre Vertragspflichten aus dem zwischen den Parteien bestehenden Nutzungsvertrag verstoßen.

aa) Die Beklagte war nicht gemäß Nr. 3.2 und Nr. 1 der Nutzungsbedingungen i.V.m. Teil II Nr. 9 bzw. Teil I Nr. 2 der Gemeinschaftsstandards in der Fassung vom 19. April 2018 (Anlagen K 1 und K 3) zur Löschung der Beiträge und Sperrung des Nutzerkontos der Klägerin berechtigt. Denn der dort vorgesehene Entfernungs- und Sperrungsvorbehalt ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

(1) In Übereinstimmung mit den vorzitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ist zunächst festzuhalten, dass die aktualisierten Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards der Beklagten (Anlagen K 1 und K 3) - bei denen es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB handelt - wirksam in das Vertragsverhältnis der Parteien einbezogen wurden (§ 305 Abs. 2 BGB).

Die Klägerin hat ihr Einverständnis mit den aktualisierten Geschäftsbedingungen erklärt und das an sie gerichtete Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrags angenommen, indem sie nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung vom 07.04.2020 (dort S. 23) am 24.08.2018 den geänderten Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards, die ihr im Rahmen eines sog. Pop-up-Fensters zur Kenntnis gebracht wurden, durch Anklicken der entsprechenden Schaltfläche ausdrücklich zugestimmt hat.

Auf diese Konstellation findet entgegen der Ansicht der Klägerin weder § 308 Nr. 5 BGB Anwendung noch ist ihre Einverständniserklärung gemäß § 138 Abs. 1 BGB als unwirksam anzusehen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seinen Entscheidungen vom 29.07.2021 (vgl. etwa BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 31 ff.) wird Bezug genommen.

Für die vorliegend in Streit stehenden Regelungen zur „Unterstützung einer Hassorganisation“ gilt dabei in gleicher Weise wie für die im Rahmen des Rechtsstreits vor dem Bundesgerichtshof streitigen Regelungen zur „Hassrede“, dass die Neufassung von der vorherigen Fassung nicht zum Nachteil der Nutzer abweicht. Auch insoweit werden lediglich die Sanktionsmöglichkeiten (zum Vorteil der Nutzer) an einen objektiven Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen statt an die subjektive Einschätzung der Beklagten geknüpft sowie nähere Erläuterungen zur Einstufung eines Verhaltens als „Unterstützung einer Hassorganisation“ gegeben.

(2) Die in das Vertragsverhältnis der Parteien einbezogenen Klauseln in Nr. 3.2 und Nr. 1 der Nutzungsbedingungen i.V.m. Teil III Nr. 12 bzw. Teil I Nr. 2 der Gemeinschaftsstandards halten indessen einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB nicht stand. Der darin enthaltene Entfernungs- und Sperrungsvorbehalt ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil ein verbindliches Verfahren zur Anhörung des betroffenen Nutzers fehlt (vgl. BGH a.a.O., Rn. 51 ff.).

Die nach dem Bundesgerichtshof erforderliche Abwägung der einander gegenüberstehenden Grundrechte und Interessen der Parteien sowie der einzubeziehenden Drittinteressen ergibt, dass die Beklagte als Anbieterin eines sozialen Netzwerks zwar grundsätzlich berechtigt ist, den Nutzern ihres Netzwerks in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Einhaltung objektiver, überprüfbarer Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. In diesem Rahmen darf sie sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards Maßnahmen zu ergreifen, die eine Entfernung einzelner Beiträge und die Sperrung des Netzwerkzugangs einschließen (vgl. BGH a.a.O., Leitsatz 2 und Rn. 78). Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen und damit die Wahrung der Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jedoch erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen dazu verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht (vgl. BGH a.a.O., Leitsatz 3 und Rn. 85, 87 f.).

Diesen verfahrensrechtlichen Anforderungen genügen die Nutzungsbedingungen der Beklagten nicht. Ein verbindliches Verfahren, innerhalb dessen die von der Entfernung von Beiträgen und der Sperrung ihres Kontos betroffenen Nutzer Stellung nehmen können, ist dort nicht vorgesehen (vgl. BGH a.a.O., Rn. 93). Vielmehr räumt sich die Beklagte in Nr. 3.2 ihrer Nutzungsbedingungen einen weiten, im Einzelnen nicht nachvollziehbaren und sie im Ergebnis nahezu von jeglicher Anhörungsverpflichtung freistellenden Beurteilungsspielraum ein, die Nutzer über die Entfernung von Inhalten zu informieren oder nicht (vgl. BGH a.a.O., Rn. 94). Ebenso wenig wird den Nutzern in den Nutzungsbedingungen eine hinreichende Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt oder eine Verpflichtung der Beklagten statuiert, die Nutzer von sich aus über ergriffene Maßnahmen zu unterrichten, diese gegenüber den Nutzern zu begründen und ihnen die Gelegenheit zur Stellungnahme mit anschließender Neubescheidung einzuräumen (vgl. BGH a.a.O., Rn. 95 f.).

bb) Die Beklagte war vorliegend auch nicht deshalb zur Entfernung der Beiträge berechtigt, weil sie einen strafbaren Inhalt enthielten. Hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte.

cc) Der im Schriftsatz vom 25.01.2022 (Bl. 596/623 d.A.) vertretenen Ansicht der Beklagten, wonach es an einem vertragswidrigen Verhalten ihrerseits fehle, sie zur Entfernung der beiden Beiträge und Sperrung des klägerischen Profils auf Basis des Nutzervertrags - jedenfalls im Wege ergänzender Vertragsauslegung - berechtigt gewesen sei und sich Gegenteiliges auch nicht aus den jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergebe, kann nicht gefolgt werden.

(1) Die vorzitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021, denen sich der Senat bereits in seinem Urteil vom 14.12.2021 (18 U 6997/20 Pre) inhaltlich angeschlossen hat, und die er auch weiterhin für überzeugend hält, sind eindeutig. Danach sind die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den streitgegenständlichen Nutzungsbedingungen der Beklagten gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil ein verbindliches Verfahren zur Anhörung des betroffenen Nutzers fehlt. Eine vertragliche Grundlage für die Löschung der Beiträge und die Sperrung des klägerischen Nutzerprofils ist mithin nicht vorhanden. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sind entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht lückenhaft.

Insbesondere liegen die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung - in dem von der Beklagten gewünschten Sinne - nicht vor. Die ersatzlose Streichung der Klausel führt vorliegend nicht dazu, dass keine angemessene, den beiderseitigen Interessen Rechnung tragende Lösung mehr vorhanden wäre (vgl. Senat, Urteil vom 14.12.2021, 18 U 6997/20 Pre). Weder wird das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Nutzers verschoben (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.1997 - IX ZR 289/96, BGHZ 137, 153, Rn. 11) noch führt die Streichung für die Beklagte zu einem unzumutbaren Ergebnis im Sinne einer grundlegenden Störung des Vertragsgleichgewichts (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2002 - V ZR 26/01, NJW-RR 2002, 1136, Rn. 10; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 306 Rn. 13):

Der Bundesgerichtshof hat in seinen Entscheidungen vom 29.07.2021 zu Recht ausgeführt, dass die derzeitige Ausgestaltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht interessengerecht ist und es die Beklagte ist, die dem Nutzer durch die Entfernung seines Inhalts und ggf. weitere beschränkende Maßnahmen die Erbringung vertraglich geschuldeter Leistungen verweigert und hierdurch in die - über § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB in die Nutzungsverträge einstrahlende - geschützte Grundrechtsposition des Nutzers eingreift (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 96). Die Beklagte hat die laut Bundesgerichtshof erforderlichen prozeduralen Voraussetzungen - wie sie selbst einräumt (vgl. Bl. 606 d.A.) - nicht einmal in der Praxis eingehalten. Maßgeblich ins Gewicht fällt außerdem, dass das Recht der Beklagten zur Löschung strafbarer Inhalte und zur Vermeidung einer Störerhaftung auch bei einer Streichung der Klausel in jedem Falle unberührt bleibt.

Zusammenfassend ist es der Beklagten daher zuzumuten, bis zur Änderung ihrer Nutzungsbedingungen und Beachtung der verfahrensrechtlichen Erfordernisse auf weitergehende Lösch- und Sperrbefugnisse zu verzichten. Die Beklagte muss ungeachtet des Erfordernisses, oftmals schnell entscheiden zu müssen, das auch der Bundesgerichtshof hinreichend berücksichtigt hat, Verfahrensrechte der Nutzer beachten.

(2) Die Klägerin handelt entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht treuwidrig, wenn sie sich auf die Unwirksamkeit des Entfernungsvorbehalts bzw. des Sperrvorbehalts in den Nutzungsbedingungen der Beklagten beruft. Selbst wenn die Klägerin durch die Veröffentlichung der Beiträge gegen die Gemeinschaftsstandards und damit gegen vertragliche Verpflichtungen ihrerseits verstoßen haben sollte, stand es der Beklagten nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu, diese Beiträge eigenmächtig ohne wirksame vertragliche Grundlage zu löschen und das Profil der Klägerin zu sperren. Die Beklagte ist insoweit auch nicht schutzwürdig. Strafbare Inhalte bzw. Beiträge, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht Dritter verletzten, muss die Beklagte nicht dulden, worauf bereits hingewiesen wurde. Vor allem aber hätte es die Beklagte selbst in der Hand, ihre Nutzungsbedingungen nach den Vorgaben des Bundesgerichtshofs zu ändern, und anschließend - unter Beachtung der dann implementierten Verfahrensvorschriften - Beiträge, die gegen ihre Gemeinschaftsstandards verstoßen, zu löschen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kann auch an dieser Stelle nicht von einer Lückenhaftigkeit der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ausgegangen werden. Denn ein Verstoß gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB wäre von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 242 Rn. 21 m.w.N.). Der Umstand, dass der Bundesgerichtshof diese Frage in seinen Entscheidungen nicht erörtert hat, lässt deshalb erkennen, dass er eine Treuwidrigkeit als fernliegend angesehen hat.

(3) Die Beklagte war auch nicht deshalb zur Löschung der Beiträge bzw. Sperrung des Profils der Klägerin berechtigt, weil sie möglicherweise ein Recht zur außerordentlichen Kündigung gehabt hätte. Denn zum einen hat die Beklagte keine Kündigung des Nutzervertrages, der zu einer endgültigen Vertragsbeendigung führen würde, ausgesprochen. Zum anderen hätte aber auch eine außerordentliche Kündigung schon nach den Nutzungsbedingungen der Beklagten grundsätzlich vorausgesetzt, dass eine gewährte Abhilfefrist oder eine Abmahnung fruchtlos geblieben ist (vgl. Ziffer 4.2. der Nutzungsbedingungen). Dass vorliegend eine außerordentliche Kündigung ausnahmsweise ohne Setzen einer Abhilfefrist zulässig gewesen wäre, behauptet die Beklagte selbst nicht.

(4) Im Hinblick auf den weiteren Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 25.01.2022 ist festzuhalten, dass eine Unterlassung der erneuten Löschung eines Beitrags nebst Sperrung des Nutzerprofils stets in Bezug auf den konkreten Kontext zu prüfen und auszusprechen ist. Ein Unterlassungsgebot bezieht sich daher immer nur auf kerngleiche Verstöße. Dies hindert aber den Ausspruch eines entsprechenden Unterlassungsgebots - anders als es die Beklagte anzudeuten versucht - nicht.

Soweit die Beklagte eine vorherige Anhörung bei einem identischen Beitrag im selben Äußerungskontext wegen des vorliegend durchgeführten Gerichtsverfahrens nicht mehr für erforderlich hält, kann dem nicht gefolgt werden. Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich die Festlegung eines verbindlichen Verfahrens in den Geschäftsbedingungen der Beklagten für erforderlich erachtet (vgl. BGH a.a.O., Rn. 93). Eine Anhörung nur im Einzelfall oder im Rahmen eines Gerichtsverfahrens genügt insoweit nicht. Im Übrigen könnte sich die Frage der vorherigen Anhörung nur dann stellen, wenn die Beklagte erneut einen kerngleichen Beitrag der Klägerin löschen möchte. Auch in diesem Fall wäre aber die gebotene Anhörung der Klägerin geeignet, eventuelle Missverständnisse über die Zulässigkeit des Beitrags schnell und unkompliziert aufzuklären (vgl. Senat, Urteil vom 14.12.2021, 18 U 6997/20 Pre).

c) Bei der Verletzung von Vertragspflichten kann sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus § 280 Abs. 1 BGB ein Unterlassungsanspruch ergeben (vgl. BGH a.a.O., Rn. 102 m.w.N.).

Dies ist im Hinblick auf die Beiträge vom 29.03.2019 und 12.03.2020 ohne Weiteres anzunehmen, da die Vertragsverletzung im Rahmen des fortbestehenden Vertragsverhältnisses infolge der Löschung des Beitrags noch andauert.

Ein Unterlassungsanspruch ist aber auch im Hinblick auf den zwischenzeitlich wiederhergestellten Beitrag vom 24.08.2019 gegeben. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass der zu Unrecht entfernte Beitrag erst nach fast fünf Monaten von der Beklagten wiederhergestellt worden ist. Dass dieser Zeitraum unangemessen lang war, lässt sich auch mit Blick auf die deutlich kürzeren Prüfungs- und Entscheidungsfristen für Beschwerden über rechtswidrige Inhalte belegen, die den Anbietern sozialer Netzwerke in §§ 3, 3b NetzDG auferlegt werden.

d) Aus den bereits begangenen Pflichtverletzungen der Beklagten folgt zugleich eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr (vgl. BGH a.a.O., Rn. 103 m.w.N.). Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, mit der die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr widerlegt werden könnte, wurde für keinen der Beiträge abgegeben. Allein mit der Freischaltung des Beitrags vom 24.08.2019 ist auch keine Anerkennung seitens der Beklagten dahin verbunden, dass ihr ein Anspruch auf Entfernung nicht zugestanden habe, zumal sie weiterhin auf ein ihr zustehendes Recht auf vorübergehende Entfernung im Rahmen einer Einzelfallprüfung verweist, ohne auf die übermäßig lange Dauer der Prüfung im iegenden Fall einzugehen.
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e) Die gestellten Unterlassungsanträge sind allerdings um einen ausdrücklichen Kontextbezug zu ergänzen, da der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung jeweils nur im konkreten Kontext zusteht.

4. Hinsichtlich der nicht wieder frei geschalteten Beiträge vom 29.03.2019 und 12.03.2020 hat die Klägerin aus den oben genannten Gründen darüber hinaus einen Anspruch gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB darauf, dass die Beklagte diese gelöschten Beiträge wieder freischaltet (Berufungsanträge Ziff. 3 + 4).

5. Der Klägerin steht gegen die Beklagte außerdem ein Anspruch auf Datenberichtigung bezogen auf die am 29.03.2019 und 12.03.2020 gelöschten Beiträge aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB zu (Berufungsanträge Ziff. 2 + 4). Bezüglich dieser Beiträge ist zwischen den Parteien unstreitig, dass in den von der Beklagten verwalteten Datensätzen betreffend die Klägerin noch der Verstöße gegen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten vermerkt sind.

6. Die Klägerin kann von der Beklagten ferner Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils 571,44 € für das Tätigwerden bezogen auf die drei Beiträge (Berufungsantrag Ziff. 10) verlangen.

Mit den vorgerichtlichen Schreiben gemäß Anlage K 13 (Beitrag vom 24.08.2019), Anlage K 24 (Beitrag vom 29.03.2019) und Anlage K 26 (Beitrag vom 12.03.2019) wurde u.a. die Aufhebung der Sperre, Datenberichtigung, Freischaltung des jeweiligen Beitrags und Unterlassung der erneuten Sperrung gefordert, so dass sich ein Gegenstandswert der erfolgversprechenden anwaltlichen Tätigkeit bezogen auf jeden Beitrag zum damaligen Zeitpunkt in Höhe von 5.750 € errechnet (Einzelstreitwerte von 2.500 € für Aufhebung der Sperre + 1.250 € für Datenberichtigung + 500 € für Wiederherstellung des Beitrags + 1.500 € für Unterlassung). Auf dieser Grundlage errechnen sich erstattungsfähige vorgerichtliche Kosten in Höhe von jeweils 571,44 €.

7. Der erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung künftiger Sperren, ohne vorab über die beabsichtigte Sperrung zu informieren und die Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung einzuräumen, steht der Klägerin dagegen nicht zu (Berufungsantrag Ziff. 9).

Es kann offen bleiben, ob die Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung im Sinne des § 259 ZPO vorliegt (MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 259 Rn. 12). Denn der geltend gemachte Anspruch ist unbegründet.

a) Zwar hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 29.03.2020 (Bl. 680 d.A.) klargestellt, dass ihr Antrag nur vorübergehende Sperrungen und keine dauerhaften Deaktivierungen von Profilen erfassen soll. Dennoch umfasst der Antrag weiterhin auch Konstellationen, in denen die Beklagte trotz der Unwirksamkeit des Lösch- und Sperrvorbehalts in ihren Nutzungsbedingungen die Möglichkeit haben muss, gesetzwidrige oder strafbare Inhalte effektiv zu beseitigen. Hierzu kann im Einzelfall, wie dem Senat aus anderen Fällen bekannt ist, auch die vorübergehende umgehende Sperrung eines Nutzerkontos nötig sein, wenn sie dazu dient, unmittelbar bevorstehende Straftaten zu verhindern oder das allgemeines Persönlichkeitsrecht Dritter vor konkret drohenden Angriffen zu schützen.

Einer solchen Sichtweise stehen auch die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021 nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof führt in Rz. 87 des Urteils im Verfahren III ZR 179/20 aus, dass in eng begrenzten, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen näher zu bestimmenden Ausnahmefällen eine Anhörung vor Verhängung einer vorübergehenden Sperrung entbehrlich sein kann. Damit gibt auch der Bundesgerichtshof zu erkennen, dass es Fälle geben kann, in denen eine vorherige Anhörung für die Beklagte unzumutbar ist. Hiergegen wendet sich auch die Klägerin nicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass derartige Sperren ohne vorherige Anhörung stets nur dann zulässig sind, wenn denkbare Fallgruppen vorab wirksam in den Nutzungsbedingungen der Beklagten vereinbart wurden. Dies mag für „einfache“ Verstöße gegen Gemeinschaftsstandards der Beklagten gelten, kann aber für Sperren zur Verhinderung von Straftaten oder zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Dritter nicht richtig sein, da die Beklagte in solchen Fällen gesetzlich verpflichtet ist, tätig zu werden. Auch der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass für Beiträge mit strafbaren Inhalten andere Prüfungsmaßstäbe gelten, was sich daran ablesen lässt, dass er diese in einem eigenen Prüfungspunkt unter Randnummer 98 seines Urteils abhandelt. Nichts anderes kann für eine Sperre zur Verhinderung einer offensichtlichen oder schwerwiegenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Dritter gelten.

b) Der Klägerin kann aufgrund des im Hinblick auf die vorstehenden Überlegungen zu weit gefassten Unterlassungsantrags auch kein „engerer“ Unterlassungsanspruch als Minus zugesprochen werden, indem der Senat alle Fälle aus dem Unterlassungsbegehren ausscheidet, bei denen eine vorübergehende Sperre durch die Beklagte ohne vorherige Anhörung zulässig erscheint. Denn letztlich wird sich stets nur im Einzelfall entscheiden lassen, ob die Voraussetzungen für eine Sperre ohne vorhergehende Anhörung vorliegen oder nicht. Nicht jeder Beitrag mit strafbaren Inhalten wird das rechtfertigen und auch nicht jede Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Vielmehr wird es darauf ankommen, ob mit einer sofortigen (vorübergehenden) Sperre eines Nutzerprofils unmittelbar bevorstehende Gefahren für geschützte Rechtsgüter abgewendet werden können.

Vor diesem Hintergrund kann aus dem vertragswidrigen Verhalten der Beklagten in der Vergangenheit, nämlich der Sperre des klägerischen Profils in den streitgegenständlichen Fällen ohne vorherige Anhörung, nicht geschlossen werden, dass sie auch in zukünftigen Fällen in unberechtigter Weise Sperren ohne vorherige Anhörung gegen die Klägerin verhängen wird. Es fehlt insoweit an der schlüssigen Darlegung einer Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr.

Das Zusprechen des begehrten Unterlassungsanspruchs hätte zur Folge, dass der Streit über die Berechtigung zukünftiger Sperren ohne Anhörung ins Vollstreckungsverfahren verlagert würde, was schon deshalb auch für die Klägerin nicht erstrebenswert erscheint, weil ihr dann der Instanzenzug eines Erkenntnisverfahrens abgeschnitten wäre.


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EuGH: Einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung darf nicht aufgrund fehlender Bewährung des Patents in einem Ein­spruchs- oder Nich­tig­keits­ver­fah­ren versagt werden

EuGH
Urteil vom 28.04.2022
C‑44/21
Phoenix Contact GmbH & Co. KG
gegen
HARTING Deutschland GmbH & Co. KG, Harting Electric GmbH & Co. KG


Der EuGH hat entschieden, dass eine einstweilige Verfügung wegen einer Patentverletzung nicht aufgrund fehlender Bewährung des Patents in einem Ein­spruchs- oder Nich­tig­keits­ver­fah­ren versagt werden kann.

Tenor der Entscheidung
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach der Erlass einstweiliger Maßnahmen wegen der Verletzung von Patenten grundsätzlich verweigert wird, wenn das in Rede stehende Patent nicht zumindest ein erstinstanzliches Einspruchs‑ oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat.

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OLG München: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit eigenem Bio-Logo dass Eindruck erweckt von unabhängigen Dritten erteilt worden zu sein

OLG München
Urteil vom 09.12.2021
6 U 1973/21


Das OLG München hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung vorliegt, wenn Produkte mit einem eigenem Bio-Logo beworben werden, so dass der Eindruck erweckt wird, dass das Logo von unabhängigen Dritten stammt und eine Zertifizierung vorliegt. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.



OLG München: Kein Verstoß gegen DSGVO durch Einladung zur Eigentümerversammlung unter namentlicher Nennung von Wohneinheiten mit Legionellenbefall

OLG München
Urteil vom 27.10.2021
20 U 7051/20


Das OLG München hat entschieden, dass kein Verstoß gegen die DSGVO durch Einladung zur Eigentümerversammlung unter namentlicher Nennung von Wohneinheiten mit Legionellenbefall vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat zutreffend geurteilt, dass den Beklagten kein Verstoß gegen Vorschriften der DSGVO zur Last fällt. Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

1. Die DSGVO ist - anders als die Beklagten behaupten - auf den hier zu entscheidenden Fall anwendbar. Denn gemäß Art. 2 Abs. 1 DSGVO gilt sie auch für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder werden sollen. Dabei ist ein Dateisystem jede geordnete manuelle Datensammlung (beckOK, DSG-VO, Art. 2 Rn. 4). Dass der Name des Klägers bei der Beklagten zu 1) nicht in einer Datei, sondern nur zusammenhanglos auf losen Zetteln zu finden wäre, ist schwer vorstellbar und wird von den Beklagten auch nicht behauptet. Gemäß Art. 4 DSGVO stellt bereits die Verwendung der gespeicherten Daten eine „Verarbeitung“ im Sinne der Verordnung dar.

2. Entgegen der Ansicht des Klägers war die Verarbeitung seiner Daten in der mit der Einladung zur Eigentümerversammlung verschickten Tagesordnung (K 1, dort Ziffer 22) rechtmäßig, Art. 6 DSGVO.

a) Der vom Kläger behauptet gegen die DSGVO verstoßende Tagesordnungspunkt 22 „Aussprache und Beschlussfassung über weitergehende Maßnahmen zum Legionellenbefall und deren Finanzierung“ enthält die Information, welche zur Miteigentümergemeinschaft gehörenden Häuser und konkrete Einheiten mit welcher Intensität von dem festgestellten Legionellenbefall betroffen sind, wobei die Nachnamen der Eigentümer genannt werden.

b) Entgegen dem Dafürhalten des Klägers war die Verwendung auch der jeweiligen Eigentümernamen im konkreten Fall rechtmäßig, Art. 6 Abs. 1 lit c), lit f).

aa) Die Beklagte zu 1), die damalige Hausverwaltung, war ebenso wie die Wohnungseigentümergemeinschaft selbst für die Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums und die Überprüfung der Leitungen rechtlich verantwortlich (vgl. Bärmann/Seuß, Praxis des Wohnungseigentums, § 111. TrinkwasserVerordnung Rn. 42). Die Beklagte zu 1) war der Wohnungseigentümergemeinschaft darüber hinaus vertraglich zur ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet.

bb) Die Angabe der Namen der einzelnen Eigentümer in der verschickten Tagesordnung war auch erforderlich. Nur so konnte die Beklagte zu 1) sicherstellen, dass die eingeladenen Miteigentümer über alle für die durchzuführende „Aussprache und Beschlussfassung über weitergehende Maßnahmen zum Legionellenbefall und deren Finanzierung“ erforderlichen Informationen verfügten und die „Aussprache und Beschlussfassung“ vollständig durchführen konnten (vgl. BeckOK, Datenschutzrecht, Art. 6 DSGVO Rn. 17). Denn nur bei Kenntnis, wer von den Teilnehmern der Eigentümerversammlung von dem Legionellenbefall betroffen war, konnten die übrigen Miteigentümer die einzelnen Redebeiträge zutreffend einordnen und Nachfragen an die betroffenen Eigentümer stellen etwa zum Umfang der Arbeiten in den betroffenen Wohnungen oder an den im Sondereigentum stehenden Wasserarmaturen (vgl. VGH 20 CS 14.1663), oder zu - auch vom Kläger selbst behaupteten - angekündigten Mietminderungen des betroffenen Mieters, und mit den betroffenen Eigentümern über etwaige Ansprüche der Miteigentümergemeinschaft oder die Verteilung der entstandenen und noch anfallenden Kosten diskutieren.

cc) Dass - wie der Kläger behauptet - die einzelnen Miteigentümer seinen Namen auch anhand der Wohnungsnummer in Erfahrung bringen hätten können, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Denn aus der von ihm angeführten Teilungserklärung ergibt sich der Name der Käufer der einzelnen Wohnungen gerichtsbekannt nicht. Eine als Anhang zur Teilungserklärung vorhandene Eigentümerliste kann keine Aktualität beanspruchen, so dass die einzelnen Eigentümer sich, um die Identität des derzeitigen Eigentümers einer betroffenen Wohnung zu erfahren, wiederum an die Hausverwaltung, die hiesige Beklagte zu 1) wenden hätten müssen. Dies zeigt im Umkehrschluss, dass die Namensnennung bereits in der Tagesordnung erforderlich war. Eine bloße Unbequemlichkeit der Informationsbeschaffung, wie vom Kläger behauptet, liegt gerade nicht vor.

dd) Dass die Interessen des Klägers an der Nichtnennung seines Namens überwiegen würden, ist angesichts der vorstehenden Ausführungen nicht ersichtlich; die Beklagte zu 1) und die Wohnungseigentümergemeinschaft waren zum Vorteil des Klägers zur endgültigen Unterbindung des Legionellenbefalls in der klägerischen Wohnung tätig. Auch ist die Wohnungseigentümergemeinschaft keine anonyme Gemeinschaft (vgl. OLG München, 32 Wx 177/06, juris Rn. 9).

Die unsubstantiierte Behauptung des Klägers, dass ein potentieller Käufer „abgesprungen“ sei, führt nicht zu einer anderen Beurteilung; im Gegenteil wäre ein erst kürzlich beseitigter Legionellenbefall im Verkaufsobjekt dem potentiellen Käufer gegenüber unzweifelhaft vom Kläger selbst zu offenbaren gewesen.

3. Die Weitergabe der Mailadresse des Klägers hat das Landgericht - von der Berufung unangegriffen - ebenfalls zutreffend für rechtmäßig gehalten. Auf die Begründung im landgerichtlichen Urteil wird Bezug genommen. Gleiches gilt für den erstinstanzlich behaupteten Anspruch wegen der Sichtbarkeit der Mailadresse in einem Anschreiben des Beklagtenvertreters.

4. Unabhängig von Vorstehendem scheidet ein Anspruch gegen den Beklagten zu 2) schon deshalb aus, weil dieser nicht „Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist. Aus der E-Mail des Beklagten zu 2) vom 9. August 2019 (Anlagen K 5 - K 8) kann der Kläger nichts für sich herleiten, weil der Beklagte zu 2) dort zwar einen Verstoß des Beklagten zu 1) gegen die DSGVO eingeräumt, selbst allerdings keine Leistung versprochen oder in irgendeiner Weise eine Verpflichtung für seine Person geschaffen oder eine bestehende Schuld bestätigt hat. Wie im vergleichbaren Fall von Erklärungen eines Schädigers im Straßenverkehr („Schuldbekenntnis“ des Unfallfahrers) fehlt es - wie im Regelfall - an einem Rechtsbindungswillen des Erklärenden (vgl. Palandt, BGB, § 781 Rn. 9 mwN)."


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OLG München: Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsantrag des ungesicherten Antragstellers im einstweiligen Verfügungsverfahren dringlichkeitsschädlich - auch im Berufungsverfahren

OLG München
Hinweisbeschluss vom 16.09.2021
29 U 3437/21 Kart


Das OLG München hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass ein Fristverlängerungsantrag oder ein Terminverlegungsantrag des ungesicherten Antragstellers im einstweiligen Verfügungsverfahren regelmäßig dringlichkeitsschädlich ist. Dies gilt auch für Anträge im Berufungsverfahren.

Aus den Gründen:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Antragstellerin durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern ein Urteil des Senats. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

a) Die Berufung hat nach derzeitiger Aktenlage keine Aussicht auf Erfolg. Die Zurückweisung des Verfügungsantrags durch das Landgericht ist jedenfalls deswegen zu Recht erfolgt, weil der für den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund nicht zu bejahen sein dürfte.

aa) Die nahezu einhellige Meinung behandelt den Verfügungsgrund als Zulässigkeitsvoraussetzung zur Rechtfertigung des Vorgehens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Als Prozessvoraussetzung ist sein Vorliegen von Amts wegen zu prüfen und ist der Disposition der Parteien entzogen. Fehlt dieses besondere Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Eilverfahrens, ist der Antrag als unzulässig abzuweisen (Retzer, in: HarteBavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 299 m. w. N.; Senat, WRP 2020, 109 Rn. 3).

bb) Grundsätzlich hat der Antragsteller nach § 936, § 920 Abs. 2 ZPO darzulegen und glaubhaft zu machen, warum er einer Eilentscheidung über die behaupteten Ansprüche bedarf, soweit nicht im Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 UWG bzw. aufgrund vergleichbarer Vorschriften eine Dringlichkeitsvermutung besteht. Unabhängig davon aber, ob ein Verfügungsgrund glaubhaft zu machen ist oder vermutet wird, ist er zu verneinen, wenn sich der Antragsteller bzw. dessen Prozessbevollmächtigter dringlichkeitsschädlich verhält (s. auch OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, Rn. 2, juris).

cc) Dies ist hier der Fall, denn der mit Schriftsatz vom 05.07.2021 (Bl. 73 d.A.) gestellte Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat ist - worauf der Senat mit Verfügung vom 06.09.2021 (Bl. 93 d.A.) hingewiesen hat - als dringlichkeitsschädlich anzusehen.

(i) Als dringlichkeitsschädliches Verhalten ist ein solches anzusehen, das erkennen lässt, dass es dem Antragsteller mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (st. Rspr., vgl. die Nachweise bei Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.15), so dass die Durchführung eines Eilverfahrens mit all den damit zu Lasten des Antragsgegners verbundenen Einschränkungen gegenüber einem Klageverfahren einerseits und die mit dem Eilverfahren verbundene Bevorzugung der Sachbehandlung gegenüber anderen beim angerufenen Gericht anhängigen Verfahren andererseits nicht mehr gerechtfertigt erscheint (Senat, WRP 2019, 1375 Rn. 15 - Dringlichkeitsschädliche Sachbehandlung).

(ii) Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund entfalten dabei nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens, denn die mangelnde Dringlichkeit kann sich auch aus dem prozessualen Verhalten eines Antragstellers ergeben (BVerfG, 03.04.1998, 2 BvR 415/96, Rn. 4, juris). So wirkt sich insbesondere das zögerliche Betreiben des Verfahrens nachteilig auf den Verfügungsgrund aus (vgl. Schmidt, in: Büscher, UWG, § 12 Rn. 168, 213 ff.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.16; Retzer, in: HarteBavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 321), wobei sich der Antragsteller Verzögerungen, die durch seinen Prozessbevollmächtigten verursacht werden, gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 325; Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203). Dieser hat die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grundsätzlich weder auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung noch auf Urlaub berufen (Senat, WRP 2019, 1375 Rn. 15 - Dringlichkeitsschädliche Sachbehandlung; Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203; einschränkend Singer, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 47 Rn. 52 a. E., 54).

(iii) Nach zutreffender Auffassung sind daher im Regelfall Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsanträge als dringlichkeitsschädlich anzusehen (vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.16), wenn sie vom noch ungesicherten Antragsteller gestellt werden. Denn mit gerichtlichen Entscheidungen, die derartigen Anträgen stattgeben, geht in aller Regel zwangsläufig eine Verfahrensverlängerung einher, mit der sich der den Fristverlängerungs-/Terminsverlegungsantrag anbringende Antragsteller zumindest konkludent einverstanden erklärt und damit zum Ausdruck bringt, dass ihm die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde. Weil sich ein solches dringlichkeitsschädliches Verhalten mithin aus dem Antrag selbst ergibt, ist ein Verfügungsgrund folglich selbst dann zu verneinen, wenn einem derartigen Antrag seitens des Gerichts nicht entsprochen wird oder sich eine etwaige Stattgabe des Antrags im Ergebnis ausnahmsweise nicht auf die Verfahrensdauer auswirkt.

(iv) Auch im Berufungsverfahren muss der noch ungesicherte Antragsteller den geltend gemachten Anspruch zügig weiterverfolgen (vgl. Singer, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 47 Rn. 54; Voß, in: Cepl/Voß, ZPO, 2. Aufl., § 940 Rn. 90). Ihm ist es daher jedenfalls zuzumuten, eine eingelegte Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zu begründen (vgl. OLG München, GRUR-RR 2016, 499 Rn. 79 - Verkaufsaktion für Brillenfassungen) und nicht durch eigene Fristverlängerungsanträge das Verfahren zu verzögern (OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, Rn. 2, juris).

(v) Gemessen an diesen Maßstäben dürfte ein Verfügungsgrund vorliegend zu verneinen sein. Durch den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat im Schriftsatz vom 05.07.2021 hat die Antragstellerseite zum Ausdruck gebracht, dass sie eine mit der Bewilligung der beantragten Fristverlängerung einhergehende Verfahrensverlängerung in Kauf nimmt und ihr die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde. Dass die Antragstellerin die verlängerte Frist nicht voll ausgeschöpft hat, ist ohne Belang, da sich das dringlichkeitsschädliche Verhalten nach oben Gesagtem bereits aus der Antragstellung selbst ergibt.
Angesichts dessen greift auch der Einwand der Antragstellerin nicht, dass es nicht nahvollziehbar sei, weshalb die Antragstellerin weder nach Beantragung der Verlängerung noch im Rahmen der Bewilligung einen entsprechenden Hinweis erhalten habe, nicht, da zu diesen Zeitpunkten das dringlichkeitsschädliche Verhalten bereits erfolgt war - ungeachtet dessen, dass es insoweit ohnehin keines Hinweises bedurfte (OLG München, GRUR-RR 2016, 499 Rn. 79 - Verkaufsaktion für Brillenfassungen).

dd) Soweit die Antragstellerin unter Verweis auf hiervon zum Teil abweichende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte die Zulassung der Revision beantragt, hat auch dieser Antrag im Hinblick auf § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO von vornherein keinen Erfolg.

b) Da die Berufung bereits aus diesem Grund erfolglos bleiben dürfte, kann dahinstehen, ob der Verfügungsgrund auch aus anderen Gründen zu verneinen ist und ob ein Verfügungsanspruch gegeben ist.


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