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OLG Hamburg: Kununu muss Arbeitgeberbewertung löschen wenn Identität des Bewertenden nicht überprüfbar mitgeteilt wird - interne Prüfung des Bewertungsportals reicht nicht

OLG Hamburg
Beschluss vom 08.02.2024
7 W 11/24


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass das Bewertungsportal Kununu eine negative Arbeitgeberbewertung löschen muss, wenn der Portalbetreiber dem Arbeitgeber die Identität des Bewertenden nicht überprüfbar mitteilt. Eine interne Prüfung des Bewertungsportals auf Authentizität reicht nicht aus.

Aus den Entscheidungsgrünen:
I. Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin das Unterlassen der Zugänglichmachung von zwei Bewertungen ihres Unternehmens in einem Arbeitgeber-Bewertungsportal.

Die Antragstellerin betreibt ein Unternehmen zum Vertrieb von ... und ein Ladengeschäft in Hamburg. Sie hat etwa 22 Mitarbeiter. Die Antragsgegnerin betreibt eine große Arbeitgeber-Bewertungsplattform. Auf dieser über das Internet aufrufbaren Plattform können gegenwärtige und ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Bewerberinnen und Bewerber und Auszubildende ihren Arbeitgeber in verschiedenen Kategorien bewerten. Auf der Bewertungsplattform befinden sich über 5.300.000 Bewertungen zu über 1.040.000 Unternehmen, täglich kommen rund 1.000 neuen Bewertungen zu etwa 500 Unternehmen hinzu.

In diese Bewertungsplattform wurden die angegriffenen, aus dem Tenor ersichtlichen Bewertungen eingestellt.

Die Antragstellerin ließ die Antragsgegnerin durch zwei kurz aufeinander folgende Schreiben auffordern, die Einträge zu löschen. Zur Begründung hieß es in beiden Schreiben jeweils gleichlautend: "Der genannte Bewerter hat unsere Mandantschaft negativ bewertet. Der Bewerber- und Mitarbeiter-Kontakt zu dem Bewerter wird mit Nichtwissen bestritten, da er nicht zugeordnet werden kann." Die Antragsgegnerin forderte die Antragstellerin auf, mögliche unwahre Tatsachenbehauptungen bzw. Rechtsverletzungen zu substanziieren. Hintergrund hierfür war, so die Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin durch ihre Rechtsanwälte innerhalb kürzester Zeit gegen elf Bewertungen - von insgesamt 14 eingestellten Bewertungen des Unternehmens der Antragstellerin - gleichlautende Beanstandungen erhoben hatte, die die Antragsgegnerin als jeweils unsubstanziiert ansah. Als die Antragsgegnerin von der Antragstellerin keine weiteren Informationen erhielt, sah sie von einer Löschung der Einträge ab. Nach Erhalt des dieses Verfahren einleitenden Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wandte sich die Antragsgegnerin an die Nutzer, die die hier beanstandeten Bewertungen abgegeben hatten. Die von diesen erhaltenen Unterlagen, aus denen sich der Nachweis ergeben sollte, dass die Nutzer bei der Antragstellerin beschäftigt gewesen seien, anonymisierte eine Mitarbeiterin der Antragsgegnerin und übersandte der Antragstellerin zum Beleg, dass der Urheber der mit dem Antrag zu a) angegriffenen Bewertung bei der Antragstellerin beschäftigt gewesen sei, den folgenden - anonymisierten - Tätigkeitsnachweis: ...,

und zum Beleg, dass der Urheber der mit dem Antrag zu b) angegriffenen Bewertung bei der Antragstellerin beschäftigt gewesen sei, den folgenden - anonymisierten - Tätigkeitsnachweis: ...

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die zuletzt genannten Unterlagen ausreichen würden, um eine tatsächliche Mitarbeiterstellung der Rezensenten nachzuweisen, so dass die Übermittlung ungeschwärzter Tätigkeitsnachweise nicht erforderlich gewesen sei. Soweit die Antragstellerin vortrage, aus den Unterlagen nicht auf die Identität der Bewertenden schließen zu können, stelle sie damit die Authentizität der Unterlagen nicht in Abrede. Zudem habe die Antragsgegnerin - unbestritten und durch eine eidesstattliche Versicherung belegt - vorgetragen, dass die Tätigkeitsnachweise und die darin enthaltenen Namen von ihrer Mitarbeiterin [...] mit den im Bewerterprofil der Antragstellerin hinterlegten Bestandsdaten abgeglichen und verifiziert worden seien und die Daten übereinstimmten.

Hiergegen richtet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie ihren Verfügungsantrag mit den im Antrag auf deren Erlass vorgebrachten Argumenten weiterverfolgt.

II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Sie ist auch in der Sache begründet und führt dazu, dass der Senat die begehrte einstweilige Verfügung erlässt.

Der Antragstellerin steht aus § 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB und dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht (Artt. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG) ein Anspruch auf Unterlassung des weiteren Zugänglichmachens der beanstandeten Bewertungen zu.

Auch für den hier gegebenen Fall kommen die nunmehr vom Bundesgerichtshof für die Haftung des Betreibers eines Internet-Bewertungsportals entwickelten Grundsätze (BGH, Urt. v. 9. 8. 2022, Az. VI ZR 1244/20, NJW 2022, S. 3072 ff.) vollen Umfangs zum Tragen: Die Antragstellerin ist als Portalbetreiberin mittelbare Störerin hinsichtlich der beanstandeten Bewertungen und haftet als solche nur eingeschränkt. Wird sie mit der Beanstandung eines Betroffenen – die richtig oder falsch sein kann – konfrontiert, die so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer – das heißt ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung – bejaht werden kann, ist eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag Verantwortlichen erforderlich, unabhängig davon, ob die beanstandete Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil, das auf einer behaupteten Tatsache aufbaut, zu qualifizieren ist. Als hinreichend konkrete Beanstandung des Bewerteten ist es dabei bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs grundsätzlich ausreichend, wenn dieser rügt, dass der Bewertung kein tatsächlicher Kontakt des Bewerters mit seiner Leistung zugrunde liege; diese Rüge darf der Bewertete grundsätzlich so lange aufrechterhalten, bis ihm gegenüber der Bewerter so individualisiert wird, dass er das Vorliegen eines geschäftlichen Kontaktes überprüfen kann.

Diese Rüge nicht gegebenen Geschäftskontakts hat die Antragstellerin hier erhoben. Da die Antragstellerin in ihren Abmahnungen sich auf diese Rüge beschränkt hat, bedurfte es der Übermittlungen von konkreten weiteren Informationen zu den Inhalten der Bewertungen, von deren Übermittlung die Antragsgegnerin ihr Tätigwerden zunächst abhängig machen wollte, nicht. Derartige Informationen wären im Grundsatz ohnehin wenig geeignet gewesen, zu einer weiteren Begründung des Löschungsverlangens der Antragstellerin beizutragen; denn die Überprüfungsobliegenheit des Portalbetreibers ist durch seine Erkenntnisquellen begrenzt, und nur solche konkreten Hinweise auf Umstände, die es ihm aus seiner Perspektive ermöglichen, einen Rechtsverstoß unschwer - "ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung" - zu bejahen, muss der Portalbetreiber an den Urheber der Bewertung weiterleiten (BGH aaO.). Da die Bewertungen aber überwiegend Werturteile enthielten, hätte die Übermittlung weiterer Informationen durch die Antragstellerin es der Antragsgegnerin kaum ermöglicht, allein aufgrund dieser Informationen unschwer einen eventuellen Rechtsverstoß zu erkennen, so dass sie auch bei einer Übermittlung weiterer Informationen nicht darum herumgekommen wäre, ermitteln zu müssen, ob den Bewertungen tatsächliche geschäftliche Kontakte zugrundelagen, zu diesem Zweck von den Urhebern der Bewertungen Stellungnahmen einzuholen und diese in solcher Form der Antragstellerin zu präsentieren, dass diese das tatsächliche Vorliegen von Geschäftskontakten hätte überprüfen können.

Dass die Antragstellerin die Rüge nicht gegebenen geschäftlichen Kontakts hinsichtlich vieler Bewertungen, die über das Bewertungsportal der Antragsgegnerin verbreitet worden sind, erhoben hat, begründet, anders als die Antragsgegnerin meint, nicht den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs; denn es ist nicht ausgeschlossen, dass auf einem Bewertungsportal eine Vielzahl nicht auf konkreten Kontakten beruhender Bewertungen eines Betroffenen eingestellt werden. Noch weniger kann der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs - wie es die Antragsgegnerin geltend macht - damit begründet werden, dass sich der Betroffene von einer Rechtsanwaltskanzlei vertreten lässt, die offensiv damit wirbt, gegen Zahlung pauschalierter Festhonorare gegen Einträge in Bewertungsportalen vorzugehen; denn die Beauftragung einer solchen Kanzlei allein lässt keinen Rückschluss darauf zu, ob das Bestreiten des Vorliegens eines geschäftlichen Kontaktes durch die Antragstellerin in jedem einzelnen Fall in der Sache begründet ist oder nicht. Der große Umfang des Geschäftsbetriebs der Antragsgegnerin entbindet sie von der Einhaltung ihrer Überprüfungsobliegenheit nicht, da diese jeden Betreiber eines Bewertungsportals trifft.

Die Antragsgegnerin hat auf die Rüge der Antragstellerin dieser die Bewerter nicht so identifizierbar gemacht, dass die Antragstellerin in der Lage wäre, das tatsächliche Vorliegen eines geschäftlichen Kontaktes zu prüfen. Die der Antragstellerin im Laufe des gerichtlichen Verfahrens übermittelten Unterlagen mögen aus dem Geschäftsbereich der Antragstellerin stammen; wer die betreffenden Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter gewesen sein mögen, auf die sie sich beziehen, vermag sie aus diesen Unterlagen aber nicht zu erkennen, so dass sie nicht überprüfen kann, ob die Urkunden wirklich die Urheber der Bewertungen betreffen und ob es sich dabei tatsächlich um Personen handelt, die einmal für sie gearbeitet haben oder noch für sie arbeiten. Die Möglichkeit zu einer eigenen Überprüfung des Vorliegens eines geschäftlichen Kontakts darf dem von der Bewertung Betroffenen nicht in der Weise genommen werden, dass der Portalbetreiber die Überprüfung für sich vornimmt und dem Bewerteten dann versichert, sie habe ein positives Ergebnis erbracht; ansonsten stünde der Betroffene, der geltend macht, nicht zu wissen, ob er überhaupt Kontakt zu dem Bewerter hatte, der Behauptung des Portalbetreibers, dies sei der Fall gewesen, wehrlos gegenüber.

Der Umstand, dass es sich bei dem Portal der Antragsgegnerin um ein Arbeitgeber-Bewertungsportal handelt, rechtfertigt eine andere Sichtweise nicht. Die Antragsgegnerin meint zwar, dass der Antragstellerin hier schon aufgrund der geringen Anzahl der bei ihr beschäftigten Personen eine eigenständige Überprüfung darauf, ob eine Bewertung von einer dieser Personen stamme, möglich sein müsse, zumal ein Arbeitgeber viel eher in der Lage sei, aus einer Bewertung zu ersehen, ob die darin erhobenen Beanstandungen der innerbetrieblichen Verhältnisse von Angehörigen seines Personals stamme, als ein Unternehmer, der nur aufgrund einmaligen Kontakts mit ihm ansonsten unbekannten Kunden zu tun hat, aus einer Bewertung ersehen könnte, ob ihr ein tatsächlicher Geschäftskontakt zugrunde liegt. Dem kann aber nicht gefolgt werden; denn auch bei der Bewertung eines Arbeitgebers kann sich eine Kritik auf konkrete Fälle beziehen, die auf ihre tatsächliche Gegebenheit von ihm nur dann überprüft werden können, wenn die Person des (angeblich) betroffenen Arbeitnehmers oder jedenfalls der konkreten Situation, die geschildert wird, bekannt sind (hier z.B. bei den Kritiken "Einarbeitung? Fehlanzeige! Am ersten Tag bekommt man ein paar Dokument[e], die man sich auf eigene Faust aneignen soll[,] und dann wird bitte losgelegt", "Abmachungen wurden nicht eingehalten"), und auch aus allgemein gehaltenen Meinungsäußerungen, die etwa das Betriebsklima oder die Ausstattung mit Betriebsmitteln betreffen (hier z.B. die Kritiken "Vorgesetztenverhalten ... Empathie ist ein Fremdwort", "Software auf Hobby-Niveau"), lassen sich Rückschlüsse auf das tatsächliche Bestehen eines Beschäftigtenverhältnisses nicht ziehen.

Zu einem abweichenden Beurteilungsmaßstab führt auch nicht der Umstand, dass es für den Betreiber eines Arbeitgeber-Bewertungsportals schwieriger sein mag, nach der Beanstandung einer Eintragung einzelne Bewerter dazu zu bewegen, sich zu erkennen zu geben, weil sie im Gegensatz zu Nutzern, die einmalige Geschäftskontakte wie einen Hotelaufenthalt, einen singulären Arztbesuch oder den Ankauf einer Ware bewertet haben, häufig befürchten werden, nach ihrer Kenntlichmachung Repressalien ihres negativ bewerteten Arbeitgebers ausgesetzt zu sein. Auch dies aber vermag nicht zu rechtfertigen, dass ein Arbeitgeber, der einer über das Internet verbreiteten Kritik einer Person, die behauptet, für ihn gearbeitet zu haben oder zu arbeiten, ausgesetzt wird, diese öffentliche Kritik hinnehmen muss, ohne die Möglichkeit zu erhalten, sie auf das Vorliegen einer tatsächlichen Grundlage zu prüfen und sich ggf. dazu in der Sache zu positionieren.

Aus dem zuletzt genannten Grund kann die Antragsgegnerin gegen das Erfordernis, dem Bewerteten die Person des Bewerters individualisieren zu müssen, wenn sie die Bewertung weiterhin zugänglich halten will, auch nicht mit Erfolg vorbringen, dass sie den Bewerter aus Datenschutzgründen ohne dessen Zustimmung nicht ohne Weiteres namhaft machen dürfe. Selbst wenn § 21 TTDSG - wegen des Erfordernisses des Verfahrens nach dessen Absätzen 2 bis 4 - diese Konsequenz haben sollte, dürfte das nicht dazu führen, dass eine Bewertung öffentlich zugänglich gehalten werden darf, solange dem Bewerteten die Möglichkeit genommen ist zu klären, ob ihr überhaupt ein geschäftlicher Kontakt mit dem Bewerter zugrunde liegt; denn soweit es um die Verbreitung von Äußerungen geht, deren Rechtmäßigkeit nur überprüft werden kann, wenn der Urheber oder die Quelle der Äußerungen bekannt ist, trägt das Risiko, ob er den Urheber oder die Quelle namhaft machen darf, kann oder will, im Streitfall grundsätzlich der Verbreiter. Geschieht die Verbreitung im Rahmen eines Geschäftsbetriebes, wie das bei einem Bewertungsportal der Fall ist, gehört dieses Risiko zu den typischen Geschäftsrisiken, die jeden Unternehmer bei seiner Tätigkeit treffen.

Auch sonst sind keine Umstände ersichtlich, die es zulassen könnten, in der Beurteilung dieses Falls von den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuweichen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nach der EuGVVO im Gestattungsverfahren zur Bestandsdatenauskunft durch Anbieter von Telemedien

BGH
Beschluss vom 28.09.2023
III ZB 25/21
TTDSG § 21 Abs. 2 bis 4; Verordnung (EU) 1215/2012 Art. 7 Nr. 2


Leitsatz des BGH:
Die Geltendmachung deliktischer Ansprüche gegen einen Dritten genügt nicht, um im Gestattungsverfahren zur Bestandsdatenauskunft durch Anbieter von Telemedien den Deliktsgerichtsstand der EuGVVO zu begründen.

BGH, Beschluss vom 28. September 2023 - III ZB 25/21 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Hannover: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Produktbewertungen wenn Anbieter seinen Kunden für positive Bewertungen Vorteile gewährt

LG Hannover
Urteil vom 22.12.2022
21 O 20/21


Das LG Hannover hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Produktbewertungen vorliegt, wenn der Anbieter seinen Kunden für positive Bewertungen Vorteile gewährt.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Unterlassung in dem tenorierten Umfang aus §§ 8 I, III, 5 I UWG.

Gemäß § 5 I UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

1. Das beanstandete Verhalten der Beklagten ist eine geschäftliche Handlung gemäß § 2 I Nr. 1 UWG, da sie mit den Veröffentlichungen der Bewertungen ihren Absatz fördert.

2. Das Werben mit Bewertungen, für die von der Beklagten sog. X-points gewährt wurden, ist irreführend.

Eine geschäftliche Handlung ist im Sinne von § 5 Absatz 1 UWG irreführend, wenn das Verständnis, das sie bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt. Für die Beurteilung kommt es darauf an, welchen Gesamteindruck sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen hervorruft (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2013 - I ZR 89/12, GRUR 2013, 1254).

Einträge in Bewertungsportalen, die Erfahrungen von Nutzern mit einem Produkt oder einem Unternehmen wiedergeben, sind für viele Verbraucher eine überaus wichtige Informationsquelle, auch wenn sie subjektiv gefärbten positiven wie negativen Bewertungen erfahrungsgemäß mit größerer Skepsis begegnen. Jedenfalls erwarten die Verbraucher, dass der Bewerter dafür kein Entgelt bekommen hat und dass es sich auch um keine gekauften erfundenen Beiträge handelt. Ist dies der Fall, so erfüllt dies den Tatbestand des § 5 I UWG (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 5a Rn. 7.80). Maßgebend ist nach § 3 Abs. 4 Satz 1 UWG die Sicht des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers oder des durchschnittlichen Mitglieds der angesprochenen Verbrauchergruppe. Der Verkehr wird bei Produktbewertungen grds. davon ausgehen, dass diese grds. ohne Gegenleistung erstellt werden. Er mag den Bewertungen zwar nicht den gleichen Stellenwert einräumen wie redaktionellen Beiträgen, jedoch davon ausgehen, dass die Bewerter die Produkte auf Grund eines eigenen Kaufentschlusses erworben haben und nunmehr ihre Bewertung unbeeinflusst von Dritten mitteilen. Auf dieser Grundlage basiert die Idee der Produktbewertung in Verkaufsportalen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Erwartung des Verkehrs - im Gegensatz zu redaktionellen Angeboten - bei Produktbewertungen zunehmend auch auf subjektiv gefärbte positive oder negative Stellungnahmen gerichtet ist, denen er erfahrungsgemäß mit größerer Skepsis begegnet. Er wird jedenfalls weiterhin die Erwartung haben, dass der - subjektiv urteilende - Bewerter für seine Bewertung keine Gegenleistung erhalten hat und in dem Sinne authentisch ist, dass sie eben nicht "gekauft" ist (vgl. OLG Frankfurt WRP 2019, 643 [OLG Frankfurt am Main 22.02.2019 - 6 W 9/19] Rn 27). Auch wenn das Entgelt gering ist, ist davon auszugehen, dass die Rezensenten die Bewertung nicht allein um der Sache willen abgegeben haben (vgl. OLG Düsseldorf ZVertriebsR 2022, 262 Rn 31).

So liegen die Dinge hier. Die Bewertungen sind hier zumindest teilweise nicht frei und unabhängig abgegeben worden. Es ist davon auszugehen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bewertungen nur deshalb abgegeben wurde, weil die Bewerter durch X-points belohnt wurden. Es liegt auch auf der Hand, dass solche Bewertungen eher positiv ausfallen. Es ist damit zwar keine bezahlte Empfehlung im Wortsinn gegeben. Gleichwohl sind die Bewertungen nicht als objektiv anzusehen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 20. August 2020 - 6 U 270/19 -, Rn. 27, juris).

3. Schließlich fehlt es auch nicht an der notwendigen geschäftlichen Relevanz. Das Veröffentlichen der Bewertungen ist geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

Produktbewertungen, bei denen für den Verkehr erkennbar ist, dass der Rezensent eine Gegenleistung erhalten hat, werden vom Verkehr anders gewürdigt werden als Bewertungen, bei denen der Rezensent für das Produkt bezahlt hat (OLG Frankfurt MMR 2019, 313 [OLG Frankfurt am Main 22.02.2019 - 6 W 9/19] Rn. 25-29, beck-online). Die Rezensenten bekamen für ihre Teilnahme eine wenn auch kleine Belohnung in Form der X-points. Daraus folgt zwangsläufig, dass sie bei der Abgabe ihrer Bewertung nicht frei von sachfremden Einflüssen sind. Es bestand die konkrete Gefahr, dass ein nicht zu vernachlässigender Anteil der Teilnehmer an dem Programm sich, beeinflusst von der Belohnung, veranlasst sahen, ein Produkt positiver zu bewerten als dies ihrer tatsächlichen Meinung entspricht (vgl. OLG Frankfurt ZVertriebsR 2022, 262 Rn. 28-33, beck-online).

4. Der uneingeschränkt gestellte Antrag ist jedoch insoweit nicht begründet, als mit seiner umfassenden Formulierung der Beklagten auch Verhaltensweisen verboten werden, die ihr erlaubt sind. Denn die umfassend beantragte Untersagung verböte auch die Verwendung der Bewertungen, wenn die Beklagte deutlich kenntlich macht, dass es sich insoweit um Bewertungen handelt, für die X-points als finanzieller Vorteil vergeben wurden. Die Einschränkung des Unterlassungsgebots ist daher im Urteil auszusprechen. Der Antrag ist auch durch die Formulierung "wie geschehen auf der Homepage der Beklagten in dem Zeitraum 13.11.2013 bis zum 13.07.2017" nicht auf die konkrete Verletzungsform beschränkt. Denn diese Bezugnahme bezieht sich nicht auf die Werbung unter Bezugnahme auf die Bewertungen in diesem Zeitraum, sondern auf das in diesem Zeitraum von der Beklagte unterhaltene X-point-System. Da mithin der Unterlassungsantrag abstrakt gefasst ist, muss diese Einschränkung in den Tenor aufgenommen werden, um zu vermeiden, dass auch erlaubte Verhaltensweisen vom Verbot erfasst werden (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2002 - I ZR 317/99 -, Rn. 34, juris).

5. Der Unterlassungsanspruch ist nicht gemäß § 11 UWG verjährt.

Im vorliegenden Fall hat die Verjährungsfrist noch nicht zu laufen begonnen, da es sich um eine Dauerhandlung handelt, von der eine fortwährende von der Beklagten aufrecht erhaltene Störung ausgeht. Da der Eingriff noch fortdauert, kann die Verjährung des Unterlassungsanspruchs nicht beginn (vgl. BGH GRUR 2003, 448 [BGH 27.02.2003 - I ZR 25/01]). Denn auch wenn das X-point-System nicht mehr existiert, verwendet die Beklagte weiterhin auch Bewertungen, für die X-points vergeben worden sind.

II. Da die Klage auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage im Hauptantrag begründet ist, sind der Beklagten gemäß § 890 Abs. 2 ZPO die in § 890 Abs. 1 ZPO genannten Ordnungsmittel anzudrohen.

III. Der Kläger hat sowohl einen Anspruch auf Zahlung der Kostenpauschale in Höhe von 294 EUR als auch auf Erstattung der Sachverständigenkosten aus § 12 II UWG a.F.

Nach § 12 I 2 UWG kann ein zur Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs Berechtigter, der nach § 12 I 1 UWG vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens den Schuldner abmahnen und ihm Gelegenheit geben soll, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen, die dafür erforderlichen Aufwendungen ersetzt verlangen, soweit die Abmahnung berechtigt ist. Eine Abmahnung ist berechtigt iSv § 12 I 2 UWG, wenn sie begründet ist, ihr also ein materiell-rechtlicher Unterlassungsanspruch zugrunde liegt, und sie außerdem wirksam sowie erforderlich ist, um dem Unterlassungsschuldner einen Weg zu weisen, den Unterlassungsgläubiger ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen (vgl. BGH GRUR 2019, 82 Rn. 24 = WRP 2019, 68 [BGH 31.10.2018 - I ZR 73/17] - Jogginghosen, mwN). Für den Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist das zum Zeitpunkt der Abmahnung geltende Recht maßgeblich (vgl. nur BGH GRUR 2020, 886 [BGH 23.04.2020 - I ZR 85/19] Rn. 26 = WRP 2020, 1017 - Preisänderungsregelung).

Maßstab für die Höhe des Aufwendungsersatzes ist die Erforderlichkeit, vergleichbar der Notwendigkeit der Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in § 91 I 1 ZPO. Ob Aufwendungen erforderlich sind, bestimmt sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Gläubigers (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 40. Aufl. 2022, UWG § 13 Rn. 116). So können -neben der Kostenpauschale- etwa auch Detektivkosten ersatzfähig sein, sofern diese erforderlich sind, einen konkreten Verdacht eines Wettbewerbsverstoßes zu erhärten, um so ein Verfahren vorzubereiten (MüKoUWG/Ottofülling, 3. Aufl. 2022, UWG § 13 Rn. 282, 296).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind dem Kläger auch die Sachverständigenkosten zuzusprechen. Es bestand ein konkreter Verdacht eines Wettbewerbsverstoßes, zu dessen Vorbereitung die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich war, um die Bewertungen auszuwerten und den Verdacht zu konkretisieren. Konkrete Einwendungen gegen die Höhe der Kosten, die die Kammer gemäß § 287 ZPO für angemessen hält, werden nicht erhoben.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Frankenthal: Bewertender muss Richtigkeit negativer Tatsachen in Online-Bewertung im Streitfall beweisen

LG Frankenthal
Urteil vom 22.05.2023
6 O 18/23


Das LG Frankenthal hat entschieden, dass ein Bewertender die Richtigkeit negativer Tatsachen in einer Online-Bewertung im Streitfall beweisen muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Schlechte Bewertung im Online-Portal: Verfasser muss Tatsachen beweisen können
Wer in einem Online-Bewertungsportal negative Tatsachen zulasten eines Unternehmens behauptet, muss im Zweifel beweisen, dass diese Fakten auch zutreffend sind. Gelingt der Beweis nicht, so kann der Betroffene verlangen, dass die Bewertung unterlassen wird. Dies hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal in einem aktuellen Urteil klargestellt. Den Verfasser einer schlechten Bewertung in einem Online-Portal hat die Kammer dazu verurteilt, eine in seiner Kritik enthaltene negative Behauptung zu löschen.

Ein Mannheimer hatte ein Unternehmen aus Ludwigshafen damit beauftragt, seinen Umzug durchzuführen. Die Durchführung des Auftrags bewertete er einige Zeit später auf einer Online-Bewertungsplattform mit nur einem von fünf möglichen Sternen. Unter anderem behauptete er im Bewertungstext, dass ein Möbelstück beim Transport beschädigt worden sei und sich niemand darum gekümmert habe, den Schaden zu beheben. Der Inhaber des Umzugsunternehmens streitet dagegen ab, dass es zu einem Schaden gekommen sei und sieht die Behauptung des Kunden, man habe sich nicht gekümmert, als rufschädigend für sein Unternehmen an.

Die Kammer gab in ihrem Urteil dem Unternehmer recht: Die negative Äußerung des Kunden in dem Online-Bewertungsportal schade dem Inhaber des Umzugsunternehmens. Dem stehe zwar das Recht des Kunden gegenüber, seine Meinung über den durchgeführten Auftrag in der Bewertung frei äußern zu dürfen. Die im Streit stehende Behauptung, es sei ein Möbelstück beschädigt worden, sei jedoch keine so geschützte Meinung, sondern eine Tatsachenbehauptung. Denn sie beschreibe etwas, das wirklich geschehen sein soll. Das müsse vom bewerteten Unternehmen nur hingenommen werden, wenn deren Wahrheitsgehalt feststehe. Deshalb müsse derjenige, der in Internet-Bewertungen eine Tatsache behauptet, im Streitfall beweisen, dass diese auch zutreffend ist. Dies war dem Kunden des Umzugsunternehmens nach Ansicht der Kammer nicht gelungen, weswegen sie der Unterlassungsklage des Unternehmens insoweit stattgegeben hat.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Landgericht Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 22.05.2023, Az. 6 O 18/23.


BGH: Kein Anspruch auf Löschung eines Jameda-Basisprofils aus Art. 17 DSGVO - vorrangige berechtigte Gründe des Portalbetreibers im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c Halbsatz 1 DSGVO

BGH
Urteil vom 13.12.2022
VI ZR 54/21


Der BGH hat nochmals entschieden, dass kein Anspruch auf Löschung eines Jameda-Basisprofils aus Art. 17 DSGVO besteht. Es liegen auf Seiten des Portalbetreibers vorrangige berechtigte Gründe im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c Halbsatz 1 DSGVO vor.

Aus den Entscheidungsgründen:
d) Auch der Löschungsgrund des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO ist nicht gegeben. Denn für die von der Klägerin angegriffene Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten liegen jedenfalls vorrangige berechtigte Gründe im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c Halbsatz 1 DS-GVO vor. Die auch insoweit gebotene Gesamtabwägung führt zu keinem anderen Ergebnis als die oben zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f DS-GVO vorgenommene Abwägung (vgl. Senatsurteile vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 24 mwN; vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 488/19, NJW 2022, 1098 Rn. 68 und VI ZR 489/19,
BGHZ 231, 263 Rn. 71, vom 15. Februar 2022 - VI ZR 692/20, NJW-RR 2022,693 Rn. 42).

2. Der ebenfalls aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO abzuleitende Unterlassungsanspruch (vgl. Senatsurteile vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 489/19, BGHZ 231, 263 Rn. 10; vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 20, 23 zur Auslistung; BSGE 127, 181 Rn. 13) ist nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DS-GVO im Ergebnis zu Recht verneint. Da die Klägerin im Zusammenhang mit dem Unterlassungsbegehren keine weiteren Gestaltungsvarianten oder Verhaltensweisen der Beklagten beanstandet hat, kann zur Begründung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Datenverarbeitung auf die obigen Ausführungen zum Löschungsanspruch verwiesen werden.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext BGH liegt vor: Negative eBay-Bewertung mit Zusatz "Versandkosten Wucher!!" kann zulässig sein - keine unzulässige Schmähkritik und von Meinungsfreiheit gedeckt

BGH
Urteil vom 28.09.2022
VIII ZR 319/20
BGB § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Negative eBay-Bewertung mit Zusatz "Versandkosten Wucher!!" kann zulässig sein - keine unzulässige Schmähkritik und von Meinungsfreiheit gedeckt über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
§ 8 Nr. 2 Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, wonach die von Nutzern abgegebenen Bewertungen sachlich gehalten sein müssen und Schmähkritik nicht enthalten dürfen, enthält keine vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren von Nutzern, die über die deliktsrechtlichen Grenzen wertender Äußerungen hinausgehen.

BGH, Urteil vom 28. September 2022 - VIII ZR 319/20 - LG Weiden in der Oberpfalz - AG Weiden in der Oberpfalz

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Negative eBay-Bewertung mit Zusatz "Versandkosten Wucher!!" kann zulässig sein - keine unzulässige Schmähkritik und von Meinungsfreiheit gedeckt

BGH
Urteil vom 28.09.2022
VIII ZR 319/20


Der BGH hat entschieden, dass eine negative eBay-Bewertung mit dem Zusatz "Versandkosten Wucher!!" zulässig sein kein.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Zur Zulässigkeit einer negativen Bewertung bei eBay (hier: "Versandkosten Wucher!!")

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer, der ein Produkt über die Internetplattform eBay verkauft, einen Anspruch gegen den Käufer auf Entfernung einer von diesem abgegebenen negativen Bewertung hat.

Sachverhalt:

Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 € brutto. Davon entfielen 4,90 € auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, denen die Parteien vor dem Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es auszugsweise:

"§ 8 Bewertungen

[…]

2. Nutzer sind verpflichtet, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten.

[…]".

Nach Erhalt der Ware bewertete der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung gestellten Bewertungsprofil der Klägerin mit dem Eintrag "Ware gut, Versandkosten Wucher!!".

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Amtsgericht hat die auf Entfernung dieser Bewertung und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Nach Auffassung des Amtsgerichts handele es sich bei der Bezeichnung der Versandkosten als "Wucher" um ein Werturteil, das nur dann unzulässig sei, wenn es sich um eine Schmähkritik handele. Eine solche liege jedoch nicht vor. Die Bewertung weise einen Sachbezug auf, weil sie in einen Zusammenhang mit den Versandkosten gestellt sei.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den Beklagten antragsgemäß zur Entfernung der Bewertung und zum Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Aus Sicht des Berufungsgerichts habe der Beklagte eine nachvertragliche Nebenpflicht verletzt (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB). Die Bewertung verstoße gegen das Sachlichkeitsgebot aus § 8 Nr. 2 Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay (nachfolgend: eBay-AGB). Daraus ergebe sich ein über die Abwehr von Schmähkritik hinausgehender Schutz. Bei der Bewertung "Versandkosten Wucher!!" handele es sich um eine überspitzte Beurteilung ohne sachlichen Bezug, die nicht gerechtfertigt sei, weil für einen objektiven Leser nicht erkennbar sei, warum sich die Versandkosten aus Sicht des Käufers als "Wucher" darstellten.

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entfernung der Bewertung "Versandkosten Wucher!!" nicht zusteht, auch nicht unter dem vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkt einer (nach-)vertraglichen Nebenpflichtverletzung.

Anders als das Berufungsgericht es gesehen hat, enthält die Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 2 der eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende (deliktsrechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren.

Zwar ist der Wortlaut der Klausel nicht eindeutig. Für das Verständnis, dem Sachlichkeitsgebot in § 8 Abs. 2 Satz 2 der eBay-AGB solle gegenüber dem Verbot der Schmähkritik ein eigenständiges Gewicht nicht zukommen, spricht aber bereits der Umstand, dass hier genaue Definitionen zu dem unbestimmten Rechtsbegriff "sachlich" in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen fehlen. Es liegt in diesem Fall im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, die Zulässigkeit von grundrechtsrelevanten (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 GG [beim Verkäufer], Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG [beim Käufer]) Bewertungen eines getätigten Geschäfts an den gefestigten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Schmähkritik auszurichten und hierdurch die Anforderungen an die Zulässigkeit von Bewertungskommentaren für die Nutzer und eBay selbst möglichst greifbar und verlässlich zu konturieren. Zudem hätte es der gesonderten Erwähnung der Schmähkritikgrenze nicht bedurft, wenn dem Nutzer schon durch die Vorgabe, Bewertungen sachlich zu halten, eine deutlich schärfere Einschränkung hätte auferlegt werden sollen. Außerdem würde man der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit des Bewertenden von vorherein ein geringeres Gewicht beimessen als den Grundrechten des Verkäufers, wenn man eine Meinungsäußerung eines Käufers regelmäßig bereits dann als unzulässig einstufte, wenn sie herabsetzend formuliert ist und/oder nicht (vollständig oder überwiegend) auf sachlichen Erwägungen beruht. Eine solche, die grundrechtlichen Wertungen nicht hinreichend berücksichtigende Auslegung entspricht nicht dem an den Interessen der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Verständnis redlicher und verständiger Vertragsparteien.

Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Bewertung "Versandkosten Wucher!!" nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll.

Daran fehlt es hier. Bei der Bewertung "Versandkosten Wucher!!" steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund. Denn der Beklagte setzt sich - wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form - kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist.

Vorinstanzen:

AG Weiden in der Oberpfalz – 1 C 140/20 – Urteil vom 22. Juni 2020

LG Weiden in der Oberpfalz – 22 S 17/20 – Urteil vom 28. Oktober 2020

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Grundgesetz

Artikel 2 [Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person]

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

[…]

Artikel 5 [Recht der freien Meinungsäußerung, Medienfreiheit, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit]

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. […]

Bürgerliches Gesetzbuch

§ 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

§ 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

[…]

OLG Frankfurt: Unlautere getarnte Werbung durch Amazon wenn Gesamtbewertung eines Produkts bezahlte Produktrezensionen berücksichtigt - Hinweispflicht unter Angabe des Anteils bezahlter Bewertungen

OLG Frankfurt
Urteil vom 09.06.2022
6 U 232/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass eine unlautere getarnte Werbung durch Amazon vorliegt, wenn die Gesamtbewertung eines Produkts bezahlte Produktrezensionen berücksichtig, ohne dass die Nutzer über diesen Umstand und den Anteil bezahlter Bewertungen informiert werden.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Unlautere getarnte Werbung bei Berücksichtigung bezahlter Produktrezensionen innerhalb des Gesamtbewertungsergebnisses eines Produktes

Fließen in das Gesamtbewertungsergebnis für Produkte, die auf eine Verkaufsplattform angeboten werden, auch Rezensionen ein, für die an den Rezensenten ein - wenn auch geringes - Entgelt gezahlt wird, liegt unlautere getarnte Werbung vor, sofern die Berücksichtigung dieser bezahlten Rezensionen nicht kenntlich gemacht wird. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute verkündeter Entscheidung die vom Landgericht ausgeurteilte Unterlassungsverpflichtung bestätigt.

Die Klägerin bietet im Internet die entgeltliche Vermittlung von Kundenrezensionen an. Die Kunden der Klägerin sind ausschließlich Händler auf Online-Verkaufsplattformen. Die Beklagte betreibt die Verkaufsplattform amazon.de. Die Produkte werden dort mit einem Gesamtsterne-Bewertungssystem bewertet. Die Beklagte vermittelt zudem ihren Verkaufspartnern gegen Entgelt Kundenrezensionen im Rahmen des sog. Early Reviewer Programms (i.F.: ERP). Dabei handelt es sich um Bewertungen ausländischer Rezensenten gegen Entgelt oder Gutscheine für Produkte, die zuvor auf dem US-, UK- oder Japan-Marketplace gekauft wurden. Diese Bewertungen werden auch deutschen Käufern angezeigt und fließen in das Gesamtbewertungsergebnis ein.

Die Klägerin wendet sich gegen die Veröffentlichung von ERP-Rezensionen, wenn diese Teil des Gesamtbewertungsergebnisses werden und nicht darauf hingewiesen wird, dass die Rezensionen bezahlt wurden und wie viele dieser Rezensionen Teil des Gesamtbewertungsergebnisses sind.

Die gegen die vom Landgericht ausgesprochene Unterlassungsverpflichtung gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Es liege eine unlautere getarnte Werbung vor, bestätigte das OLG. ERP-Rezensionen zu veröffentlichen, ohne darauf hinzuweisen, dass die Rezensionen bezahlt wurden und wie viele Rezensionen Teil des Gesamtbewertungsergebnisses sind, sei unlauter.

Die Berücksichtigung dieser ERP-Rezensionen - und damit auch nicht ihr Anteil - würde von der Beklagten nicht kenntlich gemacht und ergebe sich auch nicht aus den Umständen. Ob Internetnutzer damit rechneten, dass in ein Gesamtbewertungsergebnis auch immer Rezensionen einfließen, die nicht sachlich begründet sein, könne offenbleiben. Dies dürfe jedenfalls „kein Freibrief dafür sein ... , beeinflusste Rezensionen zu verwenden“, stellte das OLG klar.

Die Berücksichtigung von ERP-Rezensionen habe hier auch geschäftliche Relevanz. Die Rezensenten des ERP erhielten eine kleine Belohnung für die Abfassung der Rezension. „Daraus folgt zwangsläufig, dass sie bei Abgabe ihrer Bewertung nicht frei von sachfremden Einflüssen sind“, betont das OLG. Es bestehe vielmehr die konkrete Gefahr, dass ein nicht geringer Anteil der Teilnehmer an dem Programm sich veranlasst sehe, ein Produkt positiver zu bewerten als dies tatsächlich seiner Meinung entspreche, um weiterhin an dem Programm teilnehmen zu dürfen.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 09.06.2022, Az. 6 U 232/21
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 21.09.2021, Az. 3-06 O 26/21)




BGH: Kein Anspruch auf Löschung eines Jameda-Basisprofils aus Art. 17 DSGVO - berechtigtes Interesse des Portalbetreibers nach Art. 6 Abs.1 lit. f DSGVO

BGH
Urteil vom 15.02.2022
VI ZR 692/20
DS-GVO Art. 17 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 Buchst. f, DS-GVO Art. 82 Abs. 2; BayDSG Art. 38 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass kein Anspruch auf Löschung eines Jameda-Basisprofils aus Art. 17 DSGVO besteht. Dem steht ein berechtigtes Interesse des Portalbetreibers nach Art. 6 Abs.1 lit. f DSGVO entgegen.

Leitsätze des BGH:
a) Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Löschung von personenbezogenen Daten in einem Arztsuche- und -bewertungsportal im Internet (www.jameda.de).

b) Zum sogenannten "Medienprivileg" im Sinne des Art. 38 Abs. 1 BayDSG in Verbindung mit Art. 85 Abs. 2 DS-GVO.

BGH, Urteil vom 15. Februar 2022 - VI ZR 692/20 - OLG Frankfurt a.M. - LG Hanau

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Schleswig-Holstein: Kritische Bewertung bei Google-Places durch einen Kunden von Meinungsfreiheit gedeckt

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 16.02.2022
9 U 134/21


Das OLG Schleswig-Holstein hat in diesem Fall entschieden, dass die streitgegenständliche kritische 1-Sterne-Bewertung eines Kunden bei Google-Places von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kein Anspruch auf Unterlassung der Bewertung bei Google Places

Ein Immobilienmakler, der zum Zwecke der Förderung seiner Geschäfte aktiv den Auftritt in einem Bewertungsportal gesucht hat, muss sich Kritik an seiner gewerblichen Leistung in der Regel auch dann gefallen lassen, wenn sie scharf formuliert ist.

Das hat der 9. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in dieser Woche entschieden.

Zum Sachverhalt: Der als Kläger an dem Rechtsstreit beteiligte Immobilienmakler begehrt von dem Beklagten die Unterlassung der Verbreitung von diesem vorgenommener Bewertungen auf der Bewertungsplattform „Google Places“.

Der Beklagte hatte den Makler in Bezug auf eine im Internet offerierte Wohnung zunächst aufgefordert, dem Verkäufer ein unter dem aufgerufenen Kaufpreis liegendes Angebot zu unterbreiten. Der Makler lehnte dies mit dem Hinweis ab, dass er keine „unseriösen“ Angebote weitergebe. Der Beklagte erhielt daraufhin ein Exposé und gab ein höheres – weiter unter dem aufgerufenen Kaufpreis liegendes - Angebot ab. Dieses führte aber ebenfalls nicht zum Vertragsschluss, weil die Wohnung zu einem über dem Angebot des Beklagten liegenden Preis an einen anderen Interessenten vermittelt wurde.
Im Rahmen seiner Bewertung des Maklers auf der Internetplattform hat der Beklagte später ausgeführt: „Ich persönlich empfand Herrn … als arrogant und nicht hilfsbereit. Herr …. sagte mir ‚Kunde ist man, wenn man gekauft hat‘. Offensichtlich nicht vorher, so habe ich mich auch gefühlt.“

Das Landgericht Flensburg hat die Klage auf Unterlassung der Bewertung abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung vor dem 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Die in der Internetbewertung abgegebene Erklärung, den Immobilienmakler persönlich als arrogant und nicht hilfsbereit empfunden sowie sich nicht als Kunde behandelt gefühlt zu haben, ist als Vorhalt eines arroganten Geschäftsgebarens zwar geeignet, den Geschäftspartner in seinem allgemeinen sozialen Geltungsanspruch und auch in seiner Geschäftsehre im Besonderen zu verletzen. Die Bewertung ist aber unter Abwägung der betroffenen Interessen nicht rechtswidrig. Sie enthält in Form des wörtlichen Zitats einer Äußerung des Maklers eine Tatsachenbehauptung und im Übrigen (einschließlich der schlechtmöglichsten Ein-Stern-Bewertung) Werturteile. Dabei steht das durch eine Tatsachenbehauptung kolorierte Werturteil, sich aufgrund des als arrogant und wenig hilfsbereit empfundenen Verhaltens des Klägers nicht als Kunde gefühlt zu haben, derart im Vordergrund, dass von einer einheitlichen, dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallenden Meinungsäußerung auszugehen ist.

Hinter das Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit hat das Interesse des Bewerteten am Schutz seines sozialen Geltungsanspruchs zurückzutreten. Dem Werturteil liegt eine wahre Tatsachenbehauptung zu Grunde. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Bei der vorzunehmenden Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass der klagende Makler zum Zwecke der Förderung seiner Geschäfte aktiv den Auftritt im Bewertungsportal gesucht hat, Online-Kundenbewertungssysteme gesellschaftlich erwünscht sind und das Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich zu Produkten zu äußern und auszutauschen durch die Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt wird. (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 16. Februar 2022, Az. 9 U 134/21)

OLG Frankfurt: Verstoß gegen Unterlassungsverfügung durch Weiterbetreiben der untersagten Angebote auf zwei Websites nur ein Verstoß und keine zwei selbstständige Zuwiderhandlungen

OLG Frankfurt
Beschluss vom 12.01.2022
6 W 106/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass der Verstoß gegen eine Unterlassungsverfügung durch Weiterbetreiben der untersagten Angebote auf zwei Websites nur einen Verstoß und keine zwei selbstständige Zuwiderhandlungen darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Die Vollstreckung ist nicht verjährt. Der Eintritt der Verjährung ist von Amts wegen zu prüfen (Zöller/Seibel, ZPO, 33. Aufl., § 890 Rn 23). Für die Ordnungsmittel des § 890 ZPO gilt die Regelung des Art. 9 EGStGB. Hinsichtlich der hier allein in Frage stehenden Verfolgungsverjährung bestimmt Art. 9 Abs. 1 EGStGB, dass die - in der Regel - zweijährige Verjährungsfrist beginnt, sobald die Handlung beendet ist, und dass die Verjährung die Festsetzung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft ausschließt. Die mit dem Ordnungsmittelantrag vom 17.10.2019 angegriffenen Handlungen in Gestalt des Betreibens eines auf das Generieren von "gekauften" Amazon-Bewertungen gerichteten Geschäftsmodells waren nicht zwei Jahre vor dem Ordnungsmittelbeschluss des Landgerichts vom 18.11.2021 bereits beendet. Der Antragsgegner hat die Internetportale "E" und "F" bis ins Jahr 2021 weiterbetrieben (vgl. Anlagen ZV 27 - 30). Nach dem Vortrag in der Beschwerdeschrift hat er seine Anteile an der F GmbH am 31.5.2021 veräußert.

2. Die allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen liegen vor. Das Ordnungsmittel wurde angedroht (§ 890 Abs. 2 ZPO).

3. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsgegner dem Verbot nach Ziff. 1 des Tenors, das durch den Zusatz im Berufungsurteil lediglich konkretisiert, nicht inhaltlich geändert wurde, schuldhaft zuwidergehandelt hat.

a) Die Antragstellerin hat mit dem Ordnungsmittelantrag vom 17.10.2019 dargelegt, der Antragsgegner betreibe die verbotenen Handlungen, die bislang über das Internetportal der B LLC abgewickelt wurden, nach Zustellung der einstweiligen Verfügung über das Internetportal der E LLC weiter. Außerdem betreibe er das Geschäftsmodell auch über die F GmbH und deren Webseiten.

b) Tatsächlich wurde das Geschäftsmodell, zu dem die dem Antragsgegner mit der einstweiligen Verfügung verbotenen Handlungen gehören, nach Zustellung der einstweiligen Verfügung fortgesetzt. Der Antragsgegner hat selbst vorgetragen, dass die Seite b.com seit dem 28.5.2019, also in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Zustellung der einstweiligen Verfügung, von der Fa. E LLC übernommen wurde (vgl. Berufungsurteil, S. 11). Auf Facebook hat E ausdrücklich damit geworben, "B" werde zu "E". Zahlreiche Inhalte bei E entsprechen jenen, die zuvor bei B verfügbar waren (Anlagen ZV 3-7). Im Herbst 2019 wurden Interessenten, die sich als Tester oder Drittanbieter auf der Website f.deals registrieren lassen wollten, automatisch zu der Website e.com geleitet (Anlage ZV 15). Auch nach Entfernung dieser Weiterleitung fanden sich dort weiterhin teilweise identische Texte (Anlage ZV 33). In den Nutzungsbedingungen von "E" hieß es sogar, sie regelten das Verhältnis zwischen dem Anbieter und Plattformbetreiber "F" und dem Nutzer (Anlage ZV 16). Ohne Erfolg bestreitet der Antragsgegner, dass auch über F Amazon-Rezensionen verkauft wurden. F ist jedenfalls Bestandteil eines einheitlichen Geschäftsmodells, das über die genannten Internetportale betrieben wurde. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht entscheidend darauf an, ob nach Zustellung der einstweiligen Verfügung auf F für Tester noch die grüne Schaltfläche mit dem Text "Jetzt Deine Bewertung kopieren und auf Amazon veröffentlichen" zugänglich war.

c) Der Antragsgegner ist für die über die Internetplattformen "e.com" und "f.de" generierten "bezahlten" Kundenbewertungen als Mittäter verantwortlich. Die Mittäterschaft ergibt sich aus einer Gesamtschau der Umstände. Sie führt zu dem Schluss, dass er das Geschäftsmodell der B LLC, der E LLC und der F GmbH aktiv gesteuert hat. Die Internetplattformen der B LLC, der E LLC und der F GmbH weisen zahlreiche Verbindungen zueinander auf und sind letztlich als ein und dasselbe Geschäftsmodell anzusehen, das fortgesetzt betrieben und aus einer Hand gesteuert wurde. Dies hat der Senat bereits im Berufungsurteil festgestellt. Dort heißt es, viele textliche Elemente und Fotos des von der F GmbH betriebenen Portals seien mit dem Portal B identisch (BU S. 9). Die F GmbH und die G GmbH, die 100% der Anteile der B LLC halte, haben ihren Geschäftssitz an derselben Adresse. Der Antragsgegner sei Geschäftsführer beider Gesellschaften (F und G). Es sei bereits 2018 geplant gewesen, dass der Service von B von F übernommen werde. Es sei davon auszugehen, dass beide Portale aus einer Hand gesteuert werden (BU S. 10). Seit dem 28.5.2019 sei die Seite der b.com von der Fa. E LLC übernommen worden (BU S. 11). An diesen Ausführungen, die Grundlage des vom Senat bestätigten Verbots sind, ist festzuhalten. Der Antragsgegner hat den Vortrag der Antragstellerin im Ordnungsmittelverfahren, der zahlreiche Indizien enthält, auch nicht im Einzelnen bestritten. Danach ist der Antragsgegner Geschäftsführer der F GmbH. Ausweislich des Impressums betreibt er die Websites f.de und f.deals (Anlage ZV 11). Sein pauschaler Vortrag, in Wahrheit betreibe er die Websites nicht selbst, ist nicht ausreichend. Der Antragsgegner ist auch für das Portal "e.com" verantwortlich. Dagegen spricht nicht der Umstand, dass er weder Teilhaber noch Organ der E LLC ist. Zahlreiche Indizien weisen darauf hin, dass er die Fortsetzung der Geschäfte über dieses Portal ins Werk gesetzt und weiter gesteuert hat. Dafür spricht, dass es sich bei der E LLC ebenfalls um eine ... Gesellschaft handelt, bei der formal die gleiche ... Geschäftsführerin eingesetzt ist, wie bei der B LLC. Das Portal war weiterhin auf den deutschen Markt ausgerichtet. Es bestanden zahlreiche inhaltliche Überschneidungen der Portale und die Verlinkung mit dem Portal B. Bei dieser Sachlage bestand für den Antragsgegner eine erhebliche sekundäre Darlegungslast, der er nicht nachgekommen ist.

4. Das Landgericht ist allerdings zu Unrecht von zwei Zuwiderhandlungen im Hinblick auf die beiden Portale F und E ausgegangen. Gegenstand des Verbots nach Ziff. 1 des Tenors ist nicht der Betrieb von Internetportalen, über die "bezahlte" Produkt- und Verkäuferbewertungen auf der Handelsplattform Amazon generiert werden können, sondern das Veröffentlichen von Bewertungen, deren kommerzieller Zwecks entgegen § 5a Abs. 6 UWG nicht kenntlich gemacht wird. Die Bewertungen werden von den auf den Plattformen registrierten Testern veröffentlicht. Der Antragsgegner ist Mittäter. Eine Zuwiderhandlung setzt damit voraus, dass nach Zustellung der einstweiligen Verfügung Produktrezensionen von Testern veröffentlicht wurden, die bei den Portalen von E bzw. F registriert waren, und an denen der Antragsgegner ebenfalls mittäterschaftlich beteiligt war.

a) Der Verweis auf das Urteil des Landgerichts Stadt2 im Hauptsacheverfahren führt insoweit nicht weiter (Urteil vom 7.10.2021 - ..., Anlage ZV 35). Das LG Stadt2 ist vorrangig von einer Erstbegehungsgefahr für die dem Unterlassungsanspruch entsprechenden Handlungen ausgegangen (S. 17). Soweit es ergänzend eine im Rahmen eines Testkaufs generierte Bewertung ins Feld führte, bezog sich diese auf das Portal B, also auf die Zeit vor Zustellung der einstweiligen Verfügung. Soweit es ergänzend auf Bewertungen der Tester "C" bzw. "D" abstellte, hat das LG Stadt2 nicht festgestellt, wann und über welches Portal diese Bewertungen generiert wurden (S. 20).

b) Die Antragstellerin hat jedoch mit Schriftsatz vom 22.3.2021 unwidersprochen vorgetragen, dass über die Seite e.com wie aus den Screenshots vom 18.11.2019, 14.7.2020, 18.9.2020 und 11.2.2021 ersichtlich (Anlagen ZV 27 - 30), Amazon-Rezensionen angeboten wurden, die ohne Hinweis auf den kommerziellen Hintergrund veröffentlicht werden. Sie hat ebenfalls dargelegt, dass ein Tester in einem YouTube-Video schilderte, wie er eine Rezension vom 8.5.2020 zu einem über E bezogenen Produkt veröffentlichte (Anlage ZV 31). Vor dem Hintergrund dieses Vorbringens hätte der Antragsgegner darlegen müssen, warum ausnahmsweise trotzdem keine dem Geschäftsmodell entsprechenden Amazon-Bewertungen veröffentlicht worden sein sollen. Daran fehlt es.

c) Das Weiterbetreiben der Geschäfte von B über die Portale von E bzw. F stellt sich als mittäterschaftlicher Beitrag zu den auf diesem Weg generierten "bezahlten" Rezensionen dar, die unter Verstoß gegen § 5a Abs. 6 UWG veröffentlicht wurden. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann allerdings nicht "pro Portal" (E und F) von einer selbstständigen Zuwiderhandlung ausgegangen werden. Es ist vielmehr von einer natürlichen Handlungseinheit auszugehen. Zu einer natürlichen Handlungseinheit können Verhaltensweisen zusammengefasst werden, die gegen dasselbe gerichtliche Verbot verstoßen und die aufgrund ihres räumlich-zeitlichen Zusammenhangs so eng miteinander verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen (BGH GRUR 2021, 767 Rn 21, 34). So liegt es im Streitfall. Das Weiterbetreiben der Geschäfte der B unter "neuer Flagge" stellt sich als einheitliches, zusammengehörendes Tun dar. Es bildet einen mittäterschaftlichen Beitrag zu den seitens der Tester veröffentlichten Rezensionen.

5. Ein Verstoß gegen die Unterlassungspflichten nach Ziff. 2. und 3. des Tenors der einstweiligen Verfügung kann nicht festgestellt werden. Danach ist es dem Antragsgegner verboten, Amazon-Drittanbietern zu ermöglichen, ihre Produkte mit gekauften Kundenbewertungen zu bewerben (Tenor zu 2.) und Amazon-Drittanbietern zu ermöglichen, ihre Produkte mit gekauften Verkäuferrezensionen zu bewerben (Tenor zu 3.). Diese Verpflichtungen sind ausdrücklich auf "Vertragspartner der B LLC, Straße1, Stadt1, Land1" beschränkt. Der Kernbereich eines derart beschränkten Verbots erstreckt sich nicht ohne weiteres auf die Vertragspartner anderer Unternehmen, die mit dem im Tenor bezeichneten Unternehmen vertraglich, personell oder gesellschaftsrechtlich verbunden sind. Die Antragstellerin hat auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die vertraglichen Beziehungen zwischen den Drittanbietern und der B noch Bestand hatten, als das Geschäftsmodell nach Zustellung der einstweiligen Verfügung über die Plattformen E bzw. F weitergeführt wurde und dieselben Drittanbieter entsprechende Vertragsbeziehungen mit den Nachfolgeunternehmen eingingen.

6. Das vom Landgericht festgesetzte Ordnungsgeld ist - da nicht zwei, sondern nur ein Verstoß anzunehmen ist - auf 10.000 € zu ermäßigen. Eine weitergehende Ermäßigung im Hinblick darauf, dass nur gegen Ziff. 1. des Tenors verstoßen wurde, kommt nicht in Betracht. Bei der Bemessung der Höhe eines Ordnungsmittels sind insbesondere Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit der begangenen und möglichen künftigen Verletzungshandlungen für den Verletzten zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen den Verbotstitel soll sich für den Schuldner nicht lohnen (BGH Beschluss vom 23.10.2003 - I ZB 45/02, juris Rn 12). Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner das beanstandete Verhalten über einen längeren Zeitraum fortsetzte und dabei erheblichen Aufwand betrieb, um seine Beteiligung zu verschleiern. Er wickelte die Geschäfte zum Teil über eine (weitere) ... Gesellschaft ab. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände erscheint damit ein Ordnungsgeld von 10.000 € als angemessen.

7. An die Stelle eines nicht beitreibbaren Ordnungsgeldes tritt die Ordnungshaft (§ 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO). In entsprechender Anwendung strafrechtlicher Vorschriften kann das Ordnungsgeld durch Festsetzung eines Tagessatzes und der zur Ahndung erforderlichen Tagessatzanzahl bestimmt werden (BGH GRUR 2017, 318 Rn 19 ff - Dügida). Im vorliegenden Fall erscheint die Verhängung von zehn Tagessätzen angemessen, wobei ein Tagessatz 1.000 € beträgt. Dementsprechend ist die Höhe der Ersatzordnungshaft auf einen Tag Ordnungshaft für jeweils 1.000 € Ordnungsgeld festzusetzen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.6.2017 - 6 W 49/17, juris).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Hildesheim: Wettbewerbsverstoß - 50 EURO-Amazon-Gutschein für positive Google-Bewertung und Werbung mit diesen Bewertungen ohne Hinweis auf Gegenleistung

LG Hildesheim
Urteil vom 28.12.2021
11 O 12/21


Das LG Hildesheim hat entschieden, dass es wettbewerbswidrig ist, wenn ein Unternehmen einen 50 EURO-Amazon-Gutschein für eine positive Google-Bewertung verspricht und mit diesen Bewertungen ohne Hinweis auf die Gegenleistung wirbt. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.


BGH: Volltexte der jameda-Entscheidungen liegen vor - Kein Löschungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO gegen Arztbewertungsportal jameda

BGH
Urteil vom 12.10.2021 - VI ZR 488/19
Urteil vom 12.10.2021 - VI ZR 489/19
DSGVO Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f, Art. 17 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1, Art. 85 Abs. 2; EU-Grundrechtecharta Art. 11 Abs. 1; BayDSG Art. 38 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass gegen das Arztbewertungsportal jameda kein Löschungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO besteht, da die mit einem Eintrag verbundene Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f. DSGVO gerechtfertigt ist.

Leitsätze des BGH (in beiden Entscheidungen identisch):

a) Der Betreiber eines Ärztebewertungsportals unterliegt keinem strengen Gleichbehandlungsgebot in dem Sinne, dass eine Ungleichbehandlung von Ärzten, die keine (zahlenden) Kunden des Portalbetreibers sind, einerseits und Ärzten, die für ihr Profil bezahlen, andererseits stets zur Unzulässigkeit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten von nichtzahlenden Ärzten führt, die der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten im Portalbetrieb widersprochen haben. Maßgeblich ist vielmehr, welche konkreten Vorteile der Portalbetreiber zahlenden gegenüber nichtzahlenden Ärzten gewährt und ob die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung in einer Gesamtschau mit allen anderen Umständen des konkreten Einzelfalls dazu führt, dass die Interessen des gegen seinen Willen in das Portal aufgenommenen Arztes die berechtigten Interessen des Portalbetreibers und vor allem der Portalnutzer überwiegen (Fortführung Senatsurteil vom 20. Februar 2018 - VI ZR 30/17, BGHZ 217, 340 Rn. 18 - Ärztebewertung III).

b) Zum sogenannten "Medienprivileg" im Sinne des Art. 38 Abs. 1 BayDSG in Verbindung mit Art. 85 Abs. 2 DS-GVO.

BGH, Urteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 488/19 und VI ZR 489/19 - OLG Köln - LG Bonn

Die Volltexte der Entscheidungen finden Sie hier:
Urteil vom 12.10.2021 - VI ZR 488/19
Urteil vom 12.10.2021 - VI ZR 489/19


Die Pressemitteilung des BGH:

Schriftliche Urteilsgründe in den "JAMEDA"-Verfahren liegen vor Urteile vom 12. Oktober 2021 – VI ZR 488/19 und VI ZR 489/19

Der unter anderem für das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in zwei das Ärztebewertungsportal "JAMEDA" (Az. VI ZR 488/19 und VI ZR 489/19) betreffenden Verfahren die schriftlichen Gründe der am 12. Oktober 2021 verkündeten Urteile vorgelegt. Die Urteile sind in der Entscheidungsdatenbank auf der Website des Bundesgerichtshofs (www.bundesgerichtshof.de) abrufbar.

Sachverhalt:

Die Beklagte betreibt das Ärztebewertungsportal "JAMEDA", das monatlich von mindestens sechs Millionen Nutzern besucht wird. Sie erstellt dabei für alle Ärzte unter Verwendung von Daten aus allgemein zugänglichen Quellen ein Basisprofil mit Namen, akademischem Grad, Fachrichtung, Praxisanschrift, weiteren Kontaktdaten und Sprechzeiten. Nutzer des Portals können die Ärzte nach bestimmten, vorgegebenen Kriterien benoten und in Form von Freitextkommentaren bewerten. Aus den abgegebenen Einzelbewertungen werden für die unterschiedlichen Kategorien Durchschnittsnoten gebildet, aus den Durchschnittsnoten der verschiedenen Kategorien wiederum eine Gesamtnote für den jeweiligen Arzt, die auf dessen Profil sichtbar ist. Die Beklagte bietet den in ihrem Portal erfassten Ärzten den Erwerb eines "Gold"- oder "Platinpakets" gegen monatliche Zahlungen von 69 € bzw. 139 € an, die es ermöglichen, die Profilseiten - etwa durch Hinzufügen eines Fotos, Setzen eines Links auf die eigene Internetseite oder die Veröffentlichung von Fachartikeln - ansprechender zu gestalten.

Die Klägerin im Verfahren VI ZR 488/19 ist Fachzahnärztin für Parodontologie, der Kläger im Verfahren VI ZR 489/19 Fachzahnarzt für Oralchirurgie. Sie verfügen über kein kostenpflichtiges Paket bei der Beklagten; in ihre Aufnahme in das Portal der Beklagten haben sie nicht eingewilligt. Beide werden von der Beklagten deshalb mit einem Basisprofil geführt. Mit ihren Klagen verlangen sie zum einen die vollständige Löschung ihrer Daten aus dem Portal der Beklagten, zum anderen, es auch in Zukunft zu unterlassen, sie betreffende Profile zu veröffentlichen, wenn das Portal bestimmte, im einzelnen beschriebene Merkmale aufweist. Konkret wenden sie sich hierbei gegen eine Vielzahl von - im Einzelnen bezeichneten - Unterschieden bei der Ausgestaltung von zahlungspflichtigen Gold- oder Platinprofilen einerseits und Basisprofilen andererseits (z. B.: Verlinkung anderer Ärzte bzw. Ärztelisten, die Möglichkeit, Bilder, Texte u. ä. einzustellen, Werbung von Drittunternehmen) sowie eine unterschiedliche Behandlung von zahlenden und nichtzahlenden Ärzten in Bezug auf bestimmte Serviceleistungen, etwa eine professionelle Hilfestellung beim Verfassen von Texten oder eine kostenlose Hotline nur für zahlende Ärzte.

Prozessverlauf:

Das Landgericht Bonn (9 U 157/18 bzw. 18 U 143/18) hat beiden Klagen stattgegeben. Die dagegen gerichteten Berufungen der Beklagten hat das Oberlandesgericht Köln (15 U 89/19 bzw. 15 U 126/19) hinsichtlich der Löschungsanträge zurückgewiesen. Hinsichtlich der - im Revisionsverfahren allein noch relevanten - Unterlassungsanträge hat es das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung der weitergehenden Berufungen der Beklagten überwiegend abgeändert und die Klagen abgewiesen. Nach seiner Auffassung ist die Zulässigkeit der Aufnahme der Kläger in das Portal an Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO zu messen, wonach eine rechtmäßige Datenverarbeitung voraussetzt, dass die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen der Beklagten und ihrer Nutzer erforderlich ist und die Interessen der Kläger als betroffene Personen nicht überwiegen. Im Rahmen der damit gebotenen Einzelfallabwägung sei von den Grundsätzen des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 2018 (VI ZR 30/17, GRUR 2018, 636) auszugehen. Danach erfülle das von der Beklagten betriebene Portal eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion. Der Portalbetreiber könne seine auf das Grundrecht der Meinungs- und Medienfreiheit gestützte Rechtsposition gegenüber den Betroffenen aber nur mit geringerem Gewicht geltend machen, soweit er seine Stellung als neutraler Informationsmittler nicht mehr wahre und seinen eigenen Kunden in Gewinnerzielungsabsicht verdeckte Vorteile verschaffe; erforderlich sei hierfür, dass Basiskunden auf dem Portal als "Werbeplattform" für Premiumkunden benutzt würden und dass den Premiumkunden dadurch ein Vorteil gewährt werde, der schließlich aus Sicht des durchschnittlichen Nutzers verdeckt, mithin für diesen nicht erkennbar, erfolge. Dies sei nur hinsichtlich eines (geringen) Teils der Unterlassungsanträge der Fall. Mit ihren Revisionen haben die Kläger ihre Begehren, soweit sie abgewiesen wurden, weiterverfolgt. Soweit die Beklagte zur Löschung und Unterlassung verurteilt worden ist, ist das Berufungsurteil rechtskräftig geworden.

Die Entscheidungen des VI. Zivilsenats:

Der VI. Zivilsenat hat die Revisionen der Kläger zurückgewiesen. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Kläger hätten insoweit keinen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte, trifft im Ergebnis zu.

Ob ein Unterlassungsanspruch besteht, richtet sich im Ausgangspunkt nach Art. 17 Abs. 1 DS-GVO. Der Anwendung dieser Vorschrift stehen insbesondere nicht Art. 38 Abs. 1 BayDSG in Verbindung mit Art. 85 Abs. 2 DS-GVO und das dort geregelte "Presseprivileg" entgegen; denn die Beklagte verarbeitet in dem von ihr betriebenen Portal die personenbezogenen Daten der Kläger nicht zu "journalistischen Zwecken" im Sinne dieser Vorschriften.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSG-GVO sind in den Streitfällen nicht erfüllt. Insbesondere scheitert ein Unterlassungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DS-GVO daran, dass die von den Klägern bekämpfte Datenverarbeitung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f. DS-GVO rechtmäßig ist. Denn mit dem Portalbetrieb und der damit verbundenen Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten der Kläger verfolgt die Beklagte berechtigte, von Art. 11 GRCh (Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit) und Art. 16 GRCh (Unternehmerische Freiheit) geschützte Interessen, die Datenverarbeitung geht über das dafür unbedingt Notwendige nicht hinaus und die durchzuführende Abwägung der nach den konkreten Umständen des Einzelfalls gegenüberstehenden Rechte und Interessen fällt hinsichtlich der im Revisionsverfahren noch streitgegenständlichen Gestaltungselemente des Portalbetriebs der Beklagten nicht zugunsten der Kläger aus. Vom VI. Zivilsenat besonders hervorgehoben wurde dabei, dass aus dem Umstand, dass im Rahmen der Abwägung - wie der erkennende Senat in einem Urteil vom 20. Februar 2018 (VI ZR 30/17, BGHZ 217, 340 Rn. 11 ff.) ausgeführt hatte - auch in den Blick zu nehmen ist, ob die Beklagte als "neutrale Informationsmittlerin" agiert, kein strenges Gebot zur Gleichbehandlung zahlender und nichtzahlender Ärzte folgt. Maßgebend ist vielmehr, welche konkreten Vorteile die Beklagte zahlenden gegenüber nichtzahlenden Ärzten gewährt und ob die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung in einer Gesamtschau mit allen anderen Umständen des konkreten Einzelfalls dazu führt, dass die Interessen des gegen seinen Willen in das Portal aufgenommenen Arztes die berechtigten Interessen der beklagten Portalbetreiberin und vor allem der Portalnutzer überwiegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Ärzte es grundsätzlich hinzunehmen haben, in einem Bewertungsportal geführt und dort bewertet zu werden. Die noch streitgegenständlichen Gestaltungselemente führten in den Streitfällen nicht zu nicht nur unerheblich darüberhinausgehenden Belastungen für die Kläger.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Artikel 6 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO):

(1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:

[…].

f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

[…]

Artikel 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO):

(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft:

[…]

c) Die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 1 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein und es liegen keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vor, […]

d) Die personenbezogenen Daten wurden unrechtmäßig verarbeitet.

[…]

Artikel 21 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO):

(1) Die betroffene Person hat das Recht, aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, jederzeit gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten, die aufgrund von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe e oder f erfolgt, Widerspruch einzulegen; […]. Der Verantwortliche verarbeitet die personenbezogenen Daten nicht mehr, es sei denn, er kann zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen, die die Interessen, Rechte und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen, oder […].

[…].

Artikel 85 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO):

(1) Die Mitgliedstaaten bringen durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken […], in Einklang.

(2) Für die Verarbeitung, die zur journalistischen Zwecken […] erfolgt, sehen die Mitgliedstaaten Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), […] vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.

[…]

Artikel 38 des Bayerischen Datenschutzgesetzes (BayDSG):

(1) Werden personenbezogene Daten zu journalistischen, […] Zwecken verarbeitet, stehen den betroffenen Personen nur die in Abs. 2 genannten Rechte zu. […].

[…].

Artikel 7 der EU-Grundrechte-Charta (GRCh):

Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.

Artikel 11 der EU-Grundrechte-Charta (GRCh):

(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.

[…]

Artikel 16 der EU-Grundrechte-Charta (GRCh):

Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.




LG Berlin: Irreführende Werbung mit "Immobilienbewertung in zwei Minuten" im Internet wenn Nutzer nach Eingabe der Daten auf Telefonat mit Immobilienmakler verwiesen wird

LG Berlin
Urteil vom 14.09.2021
103 O 69/20


Das LG Berlin hat entschieden, dass ein Irreführende Werbung mit "Immobilienbewertung in zwei Minuten" im Internet vorliegt, wenn der Nutzer nach Eingabe der Daten in einen "Immobilien-Bewertungsrechner" nicht etwa das Bewertungsergebnis erhält, sondern auf ein Telefonat mit dem werbenden Immobilienmakler verwiesen wird. Es handelt sich um einen Fall der Wettbewerbszentrale.


LG Koblenz: Unzulässige Klausel in AGB eines Coaching-Anbieters - Bewertungen im Internet geben die Vertragspartner nur im gegenseitigen Einvernehmen ab

LG Koblenz
Urteil vom 26.01.2021
3 HK O 19/20


Das LG Koblenz hat entschieden, dass eine Klausel in den AGB eines Coaching-Anbieters, wonach die Vertragspartner Bewertungen im Internet nur im gegenseitigen Einvernehmen abgeben, eine unzulässige Benachteiligung des Kunden und damit unzulässig ist. Die AGB sahen zudem eine Vertragsstrafe vor, wenn gegen diese Vorgaben verstoßen werden. Das Gericht sieht in der Klausel zutreffenderweise eine unzulässige Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG). Zudem verschafft sich der Anbieter so die Möglichkeit, Kundenbewertungen zu zensieren, was ein Irreführung über die Objektivität der abgegebenen Bewertungen zur Folge hat. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.