Das LG Berlin hat entschieden, dass ein abmahnfähiger Wettbewerbsverstoß vorliegt, wenn in einem Online-Shop auf der Seite zur Abgabe der Bestellung entgegen § 312j Abs. 2 BGB nicht alle wesentlichen Merkmale der Ware aufgelistet werden.
Aus den Entscheidungsgründen: Die Antragsgegnerin ist als Vertreiberin der streitgegenständlichen Kleidungsstücke für den Onlineauftritt einschließlich Onlineshop unstreitig verantwortlich und damit passiv legitimiert.
3. § 312j Abs. 2 BGB dient dem Schutz der Verbraucher und ist somit eine Marktverhaltensregel i.S.d. § 3a UWG (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. § 3a Rn. 1.311).
Gemäß § 312j Abs. 2 BGB ist der Unternehmer bei einem Verbrauchervertrag im elektronischen Geschäftsverkehr verpflichtet, dem Verbraucher u.a. die Informationen gemäß Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB, somit die wesentlichen Eigenschaften der Ware, in dem für das Kommunikationsmittel und für die Ware angemessenen Umfang, unmittelbar bevor der Verbraucher seine Bestellung abgibt, klar und verständlich in hervorgehobener Weise zur Verfügung zu stellen.
a) Ein Zurverfügungstellen der Informationen, unmittelbar bevor der Verbraucher seine Bestellung abgibt, liegt nur dann vor, wenn sich die Informationen auf der Internetseite befinden, auf der der Kunde den Bestellvorgang abschließt, nicht aber, wenn die Informationen nur über einen Link abrufbar sind oder aber sogar nur - wie vorliegend - über das Anklicken der Produktdetailseite ohne eindeutigen Hinweis darauf, dass sich hier die Materialzusammensetzung befindet (Palandt-Grüneberg, BGB, 82. Aufl. § 312j Rn. 7; OLG München, GRUR-RR 2019, 265; OLG Hamburg, Beschluss vom 13.08.2014, Az. 5 W 14/14, juris, dort Tz. 3; vgl. auch OLG Köln NJW-RR 2015, 1453 Tz. 16). Dies ergibt sich unzweideutig aus der Gesetzesbegründung, in der insoweit ausgeführt ist (BT Drucksache 17/7745 S. 10):
Die Informationen müssen im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Abgabe der Bestellung stehen. Wenn - wie meist - die Bestellung über eine Schaltfläche erfolgt, müssen die Informationen in räumlicher Nähe zu der Schaltfläche für die Bestellung angezeigt werden, damit das Merkmal der Unmittelbarkeit erfüllt ist. ... Keinesfalls genügt es, wenn die Informationen erst über einen gesonderten Link erreichbar oder nur einem gesondert herunterzuladenden Dokument entnehmbar sind.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ergibt sich auch aus der Richtlinie 2011/83/EU, deren Art. 8 Abs. 2 durch § 312j Abs. 2 BGB umgesetzt wird (vgl. Palandt-Grüneberg, a.a.O. § 312j Rn. 1), dass die Anzeige der wesentlichen Eigenschaften auf derselben Internetseite zu erfolgten hat, auf der die Bestellung abgeschlossen wird. Art. 8 Abs. 2 RL 2011/83/EU lautet wie folgt:
Wenn ein auf elektronischem Wege geschlossener Fernabsatzvertrag den Verbraucher zur Zahlung verpflichtet, weist der Unternehmer den Verbraucher klar und in hervorgehobener Weise, und unmittelbar bevor dieser seine Bestellung tätigt, auf die in Artikel 6 Abs. 1 Buchstaben a, e o und p genannten Informationen hin.
In Art. 6 Abs. 1 a) RL 2011/83/EU, der durch Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB umgesetzt wurde, sind wiederum die wesentlichen Eigenschaften der Waren in dem für das Kommunikationsmittel und die Waren angemessenen Umfang genannt. In Erwägungsgrund 39 der RL 2011/83/EU heißt es hinsichtlich des Ortes der Anzeige:
Es ist wichtig, dass sichergestellt wird, dass die Verbraucher bei Fernabsatzverträgen, die über Webseiten abgeschlossen werden, in der Lage sind, die Hauptbestandteile des Vertrags vor Abgabe ihrer Bestellung vollständig zu lesen und zu verstehen. Zu diesem Zweck sollte in dieser Richtlinie dafür Sorge getragen werden, dass diese Vertragsbestandteile in unmittelbarer Nähe der für die Abgabe der Bestellung erforderlichen Bestätigung angezeigt werden.
Nach der Richtlinie 2011/83/EU, deren Umsetzung § 312j Abs. 2 BGB dient, sollen die Informationen, auf die unmittelbar vor der Bestellung hinzuweisen ist, somit in unmittelbarer Nähe der Schaltfläche für die Bestellung angezeigt werden, was bei einer bloßen Verlinkung gerade nicht der Fall ist. Dass die bloße Verlinkung auf die auf einer anderen Internetseite angegebenen wesentlichen Eigenschaften der Ware den Anforderungen des § 312j Abs. 2 BGB nicht genügt, ergibt sich auch daraus, dass die Informationspflichten hinsichtlich der Angaben nach Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB mit den Informationspflichten hinsichtlich der Angaben nach Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 5 (Gesamtpreis) und Nr. 11 und 12 (Laufzeit des Vertrages, Mindestdauer der Verpflichtungen) identisch geregelt sind. Dass hinsichtlich der Gesamtpreisangaben, der Vertragslaufzeit und der Mindestdauer der Vertragspflichten eine bloße Verlinkung auf diese in der Nähe des Bestellbuttons ausreichend sein sollte, ist aus Gründen des Verbraucherschutzes, dem die Regelungen dienen, fernliegend. Es mag aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit bei größeren Bestellungen - de lege ferenda - in Betracht kommen, hinsichtlich der wesentlichen Eigenschaften der Waren und Dienstleistungen auch eine Verlinkung auf andere Seiten in der Nähe der Bestellschaltfläche für ausreichend zu erachten. De lege lata genügt dies den Anforderungen nicht.
b) Bei dem Material des Stoffes, dem Material des Gestells und dem Gewicht bei Sonnenschirmen sowie beim Material bei Bekleidungsstücken handelt es sich auch um wesentliche Eigenschaften der Waren im Sinne des Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB (OLG München, GRUR-RR 2019, 265 (bestätigt doch BGH vom 28.11.19 zu I ZR 43/19 - juris; vgl. auch OLG Köln, BeckRS 2016, 119172, Tz. 39; OLG Hamm, Beschluss vom 14.03.2017, Az. 4 W 34/16, 4 W 35/16, juris, dort Tz. 19 - Warenkorbansicht; OLG Hamburg, Beschluss vom 13.08.2014, Az. 5 W 14/14, juris, dort Tz. 7). Hinsichtlich des Inhalts und des Umfangs der gemäß Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB zu erteilenden Informationen kommt es auf die konkrete Ware an. Maßgebend ist eine Beschreibung, aus der der Verbraucher die für seine Entscheidung maßgeblichen Merkmale entnehmen kann (BT-Drucksache 17/12637 S. 74). Da für den Verbraucher die Zusammensetzung des Materials eines Kleidungsstückes von maßgeblicher Bedeutung ist, handelt es sich um eine aufzuführende wesentliche Eigenschaft eines T-Shirts oder anderer Kleidungsstücke (vgl. OLG Hamburg a.a.O. Tz. 7; a. A. OLG Hamm a.a.O. Tz. 19 - Warenkorbansicht).
c) Der Verstoß ist auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern i.S.d. § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen.
II. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Nach § 12 Abs. 1 UWG können einstweilige Verfügungen zur Sicherung der vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift erfassten Ansprüche allerdings ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935, 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden. Im Anwendungsbereich von § 12 Abs. 1 UWG setzt der Erlass einer einstweiligen Verfügung grundsätzlich keine gesonderte Darlegung und Glaubhaftmachung der in §§ 935, 940 ZPO geregelten Dringlichkeitsvoraussetzungen voraus; die Dringlichkeit wird insoweit vermutet (KG, Urteil vom 02. Juni 2017 – 5 U 196/16, Rn. 3, juris). Die von § 12 Abs. 1 UWG vorgesehene Vermutung kann jedoch dadurch widerlegt werden, dass der Verletzte durch sein eigenes Verhalten zu erkennen gibt, dass die Verfolgung des beanstandeten Verstoßes für ihn selbst nicht eilig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 01. Juli 1999 – I ZB 7/99, Rn. 11, juris – Späte Urteilsbegründung). Eine solche Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung kommt nicht nur bei zögerlicher Verfahrenseinleitung (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 5. Dezember 2019 – 6 U 151/19, Rn. 16, juris), sondern auch dann in Betracht, wenn der Antragsteller (nach zunächst hinreichend zeitnaher) Verfahrenseinleitung durch sein (Prozess-)verhalten zu erkennen gibt, dass die Sache für ihn nicht (mehr) eilig ist (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. August 2021 – I-4 U 57/21, Rn. 41, juris; KG, Urteil vom 17. Oktober 2014 – 5 U 63/14, Rn. 38, juris). Von einer zögerlichen Verfahrenseinleitung ist auszugehen, wenn der Verletzte in Kenntnis der maßgeblichen Umstände und der ihm fortdauernd drohenden Nachteile ohne überzeugenden Grund längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs verzögert hat. Dringlichkeitsschädlich verhält sich der Antragsteller dabei nach ständiger Rechtsprechung des Kammergerichts regelmäßig dann, wenn er vom Zeitpunkt der Erlangung der Kenntnis von der Person des Verletzers sowie von den maßgeblichen Umständen der Verletzungshandlung bis zur Einreichung des Verfügungsantrags länger als zwei Monate zugewartet hat (KG, Urteil vom 02. Juni 2017 – 5 U 196/16, Rn. 4, juris). Das ist vorliegend nicht der Fall gewesen. Soweit die Antragsgegnerin die angeblich zögerliche Verfahrenseinleitung rügt, so verkennt sie dabei, dass die Dauer der außergerichtlichen Korrespondenz maßgeblich dadurch geprägt war, dass die Antragsgegnerin vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten zweifach Fristverlängerung begehrt haben.
Das LG Berlin hat entschieden, dass die Verwendung eines Zertifizierungssiegels nebst Urkunde bei Instagram ohne Lizenz des Rechteinhabers eine Urheberrechtsverletzung darstellt.
Aus den Entscheidungsgründen: 1. Der Antragstellerin steht ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch nach §§ 97 Abs. 1 S. 1, 31, 15 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 16 Abs. 1, 19a UrhG zu.
a) Das Siegel und die Urkunde sind jeweils persönliche geistige Schöpfungen, die die Schutzhöhe des § 2 UrhG erreichen. Die designte Gestaltung beider Grafiken erreicht die erforderliche Schöpfungshöhe jedenfalls im Sinne der sogenannten „kleinen Münze“. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH ist bei Gestaltungen, welche auch Schutz nach dem Designgesetz beanspruchen können, keine gesteigerte Gestaltungshöhe mehr zu fordern (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 143/12 – Geburtstagszug, Rn 26 ff.; Schulze, in: Dreier/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 2 Rn. 160).
b) Die Antragsgegnerin hat in die ausschließlichen Verwertungsrechte der Antragstellerin eingegriffen oder dies zumindest willentlich ermöglicht, indem sie das Siegel und die Urkunde eigenmächtig im Internet abrufbar gemacht oder abrufbar machen lassen hat (§§ 19a, 16 Abs. 1 UrhG).
Soweit die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 1.8.2023 (vorgelegt als Anlage Ast 7) vorgerichtlich behauptet hat, die verfahrensgegenständliche Urkunde sei kurzfristig lediglich „im Status“ ihrer 13-jährigen Tochter erschienen, steht dies der Passivlegitimation der Antragsgegnerin für den verfahrensgegenständlichen Unterlassungsanspruch nicht entgegen.
Mit dem als Anlage AST5 vorgelegten Screenshot der Antragstellerin wurde glaubhaft gemacht, dass die verfahrensgegenständliche Urkunde auf dem gewerblichen Instagram-Account der Antragsgegnerin sichtbar war. Dem Screenshot ist zu entnehmen, dass der Account „xxxxxx“ einer „zertifzierte[n] Wimpernstylistin“ zuzuordnen ist. Soweit die Antragsgegnerin behaupten wollte, dass die Urkunde lediglich über ein anderes soziales Medium veröffentlicht worden sei, wäre dies - insbesondere unter Beachtung des Screenshots - unsubstantiiert. Soweit die Antragsgegnerin behaupten wollte, dass der aus S. 2 der Anlage AST 5 ersichtliche Post von ihrer Tochter stammt, haftete sie insoweit jedenfalls als Störerin. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann als Störer für eine Schutzrechts-/Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, „der (...) in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes oder zu einer verbotenen Handlung beigetragen hat“ (vgl. BGH, Urteil vom 18. 10. 2001 - I ZR 22/99). Die Tochter der Antragsgegnerin hätte die Urkunde nur dann auf dem Account der Antragsgegnerin posten können, wenn diese ihr sowohl die entsprechenden Zugangsdaten als auch die Urkunde zur Verfügung stellte. Beides setzt ein willentliches Handeln der Antragsgegnerin voraus. Zudem liegt es bei Zurverfügungstellung sowohl der Zugangsdaten als auch der Urkunde nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit, dass die Urkunde dort eingestellt wird.
Eine Berechtigung zu dieser Verwertung ist nicht festzustellen. Die Antragstellerin hatte eine Benutzung des Siegels und der Urkunde nur als Bestandteil eines entgeltlichen Vertrages, den die Antragsgegnerin erst mit ihr abschließen müsste, angeboten. Die Antragsgegnerin hat einen solchen Vertrag nicht abgeschlossen. Die mit anwaltlichem Schreiben vom 7.9.2023 (Anlage Ast 12) erklärte Anfechtung ist für den Unterlassungsanspruch irrelevant.
Auch auf ein Verschulden kommt es für den Unterlassungsanspruch nicht an.
c) Dem Unterlassungsanspruch stehen auch keine Erwägungen nach § 242 BGB entgegen. Die Frage, ob der Antragstellerin ein Schadensersatzanspruch nach § 97 Abs. 1 UrhG zustünde, ist nicht verfahrensgegenständlich.
Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin läge lediglich vor, wenn es nach sorgfältiger Abwägung der beteiligten Interessen als untragbar erschiene, das aus der Gesetzesanwendung folgende Resultat zu akzeptieren (vgl. Staudinger/Looschelders/Olzen (2019) BGB § 242, Rn. 219). So liegt der Fall hier nicht. Zur Überzeugung der Kammer könnte ein etwaig wettbewerbswidriges Verhalten der Antragstellerin allenfalls der Durchsetzung ihres urheberrechtlichen Unterlassungsanspruchs entgegenstehen, wenn insoweit Schutzzwecke des § 5 UWG berührt wären (vgl. auch zur Relevanz von gesetzlichen Wertungen bei der gebotenen Abwägung: Olzen, a.a.O., Rn. 221). Dies ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Gegenüber der Marktgegenseite soll das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot verhindern, dass diese durch irreführende Angaben zu wirtschaftlich relevanten Dispositionen veranlasst werden (vgl. Ruess, in: MüKo zum Lauterkeitsrecht, 3. Auflage 2020, § 5 UWG, Rn. 21 m.w.N.). Die Antragsgegnerin hat zur Überzeugung der Kammer vorliegend keine vom Schutzzweck des § 5 UWG erfasste vermögensrechtliche Disposition vorgenommen. Selbst wenn man in der Veröffentlichung der Urkunde ohne Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung mit der Antragstellerin eine vermögensrechtliche Disposition sehen wollte, weil sich die Antragsgegnerin dem Risiko der Abmahnung aussetzt, hätte die Antragstellerin sie insoweit jedenfalls nicht irregeführt. Zur Überzeugung der Kammer wäre die Geltendmachung von urheberrechtlichen Unterlassungsansprüchen durch die Antragstellerin vorliegend allenfalls rechtsmissbräuchlich, wenn sie über die Bedingungen der Lizenzerteilung getäuscht hätte. Dies ist indes nicht der Fall. In dem als Anlage AST 4 vorgelegten Schreiben wird bereits auf der ersten Seite darauf hingewiesen, dass das Zertifikat „bestellt“ werden müsste. Am Ende der nächsten Seite wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Nutzung des Siegels und der Urkunde ohne Bestellung nicht gestattet ist. Die sich über eine ganze Seite erstreckende Übersicht unterschiedlicher buchbarer Pakete auf S. 4 verdeutlicht anschaulich, dass das übersandte Siegel und die Urkunde nur gegen Zahlung benutzt werden dürfen.
c) Die Wiederholungsgefahr wird durch die Rechtsverletzung indiziert. Sie entfällt auch nicht durch bloßes Entfernen des Siegels und der Urkunde aus dem Instagram-Auftritt; es hätte eine ernsthafte und strafbewehrte Unterlassungserklärung hinzukommen müssen, um die Antragstellerin abzusichern. Die dem auf den 7.9.2023 datierten anwaltlichen Schreiben beigefügte Unterlassungserklärung vom 8.9.2023 beseitigt die Wiederholungsgefahr nicht. Es fehlt insoweit an der notwendigen verhaltenssteuernden Vertragsstrafendrohung, die die Antragsgegnerin als Schuldnerin von zukünftigen Verstößen abhalten soll (vgl. BGH, Vers.-Urt. v. 1.12.2022 – I ZR 144/21, Rn. 41 m.w.N.; zitiert nach: GRUR 2023, 255). Zudem hat die Antragstellerin mit Einreichung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung konkludent erklärt, die Unterlassungserklärung nicht annehmen zu wollen.
2. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus dem Verletzungsgeschehen. Die Antragstellerin ist hinsichtlich ihrer Rechte nicht lediglich auf die Geltendmachung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens beschränkt. Sie muss die Verletzung ihrer Rechte nicht hinnehmen.
Das LG Berlin hat entschieden, dass LinkedIn die Do-Not-Track-Einstellung des Browsers nicht ignorieren darf. Ferner darf die Zustimmung zur Sichtbarkeit von Profildaten außerhalb von Linkedin nicht vorkonfiguriert sein.
Aus den Entscheidungsgründen: d) Die beanstandete Mitteilung verstößt gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 7 UWG.
aa) Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG irreführend, wenn sie unwahre Angaben (Fall 1) oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über — nachfolgend aufgezählte - Umstände enthält (Fall 2). Nach 8 5 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 Nr. 7 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthält.
[...]
Die von der Beklagten im eigenen Geschäftsinteresse getätigte Mitteilung, nicht auf DNT-Signale zu reagieren, ist bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet, Verbraucher davon abzuhalten, bei der Nutzung des Internet-Angebots der Beklagten DNT-Signale einzusetzen oder, falls sie es dennoch tun, den von ihnen damit verfolgten Zweck gegenüber der Beklagten tatsächlich geltend zu machen.
[...]
Die Mitteilung transportiert aber implizit die Rechtsansicht, die der Kläger ihr mit seiner Antragsformulierung beimisst. Die Beklagte bringt nämlich zum Ausdruck, dass sie ein DNT-Signal nicht als wirksamen Widerspruch eines Verbrauchers gegen eine Nachverfolgung seines Nutzerverhaltens ansieht. Dabei wird unterstellt, dass die Beklagte sich nicht bewusst’ rechtswidrig verhalten und trotz eines wirksamen Widerspruchs eines Verbrauchers dessen Daten verarbeiten will. Worauf sich die Beklagte bezieht, wenn sie von einem DNT-Signal spricht, erläutert sie in dem unter Ziff, 5.4 ihrer Datenschutzrichtlinie unter „Erfahren Sie mehr“ verlinkten Dokument (Anlage K 10). Sie erklärt ein DNT-Signal wie folgt: „Derzeit bieten einige Browser — darunter Internet Explorer, Firefox und Safari — eine DNT-Option an, die auf einer DNT-Kopfzeile basiert. Diese Technologie sendet ein Signal an die von dem Browser besuchten Webseiten über die DNT-Einstellungen des Nutzers.“ Bei der in Anlage K 13 wiedergegebenen angegriffenen Mitteilung handelt es sich allerdings nicht um eine im Rahmen der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung geäußerte Rechtsansicht, die gemäß der oben dargestellten Rechtsprechung privilegiert wäre. Sie ist nicht eingebettet in den Kontext einer rechtlichen Auseinandersetzung, in der die Beklagte gegenüber einem Dritten ihre Rechte geltend macht oder verteidigt. Vielmehr befindet sie sich in der Datenschutzrichtlinie der Beklagten, mit der die Beklagte allen ihren Nutzern Informationen zum Datenschutz in dem von ihr betriebenen Netzwerk vermittelt. Die Beklagte behauptet mit der angegriffenen Mitteilung eine eindeutige Rechtslage, die der angesprochene Kunde als Feststellung versteht. Sie suggeriert dem angesprochenen Verbraucher, dass sie nicht verpflichtet ist, DNT-Signale zu beachten, und vermittelt den Eindruck, dass dies rechtskonform ist. Dass sie auf ein rechtskonformes Verhalten Wert legt, unterstreicht die Beklagte durch die einleitende Versicherung, Privatsphäre und Datenschutz sehr ernst zu nehmen. Der angesprochene Kunde kann die Mitteilung in ihrer Gesamtheit nicht anders verstehen, als dass die Benutzung eines DNT-Signals rechtlich irrelevant ist und die Beklagte ein solches Signal nicht zu beachten braucht.
ddd) Diese von der Beklagten vermittelte Rechtsansicht ist jedoch nicht zutreffend. Vielmehr stellt ein DNT-Signal durchaus einen wirksamen Widerspruch gegen eine Datenverarbeitung dar. Das ergibt sich aus Art. 21 Abs. 5 DSGVO. (i) Gemäß Art. 21 Abs. 5 DSGVO kann eine betroffene Person im Zusammenhang mit der Nutzung von Diensten der Informationsgesellschaft ihr — etwa aufgrund Art. 21 Abs. 1 oder Abs. 2 DSGVO begründetes — Widerspruchsrecht mittels automatisierter Verfahren ausüben, bei denen technische Spezifikationen verwendet werden. (ii) Bei dem von der Beklagten betriebenen sozialen Netzwerk handelt es sich um einen Dienst der Informationsgesellschaft in diesem Sinne. Ein Dienst der Informationsgesellschaft ist gemäß Art. 4 Ziff. 25 DSGVO eine Dienstleistung im Sinne des Art. 1 Nr. 1 lit. b der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates, also jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung. Darunter fallen auch Internetangebote wie die sozialen Medien (Kühling/Buchner/Herbst, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 21 Rn. 42; Paal/Pauly/Martini, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 21 Rn. 74). (ii) Das DNT-Signal stellt ein automatisiertes Verfahren dar, das technische Spezifikationen verwendet, und damit unter Art. 21 Abs. 5 DSGVO fällt (Kühling/Buchner/Herbst, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 21 Rn. 43; Gola/Heckmann/Schulz, 3. Aufl. 2022, DS-GVO Art. 21 Rn. 35; Schwartmann/Jaspers/Thüsing/Kugelmann/Atzert, 2. Aufl. 2020, DS-GVO/BDSG, Artikel 21 Widerspruchsrecht, Rn. 103;. Spindler/Schuster/Spindler/Dalby, 4. Aufl. 2019, DS-GVO Art. 21 Rn. 16; Albrecht/Jotzo, Das neue Datenschutzrecht der EU (2017), Teil 4: Individuelle Datenschutzrechte Rn. 27, beck-online; Schantz/Wolff, Das neue Datenschutzrecht (2017), Rn. 1235, beck-online). Soweit vereinzelt Zweifel geäußert werden, ob DNT-Signale den Anforderungen von Art. 21 DSGVO genügen, weil ein Widerspruch eine aktive und bewusste Handlung erfordere, die nicht vorliege, wenn stillschweigend und unter Umständen unbewusst eine Voreinstellung nur übernommen werde (BeckOK DatenschutzR/Forgö, 44. Ed. 1.11.2021, DS-GVO Art. 21 Rn. 29), greift dieser Einwand nicht durch. Es ist anzunehmen, dass der Verordnungsgeber diese Ausnahme bewusst implementieren wollte (s. Schwartmann/Jaspers/Thüsing/Kugelmann/Atzert, 2. Aufl. 2020, DS-GVO/BDSG, Artikel 21 Widerspruchsrecht, Rn. 105). Dies entspricht auch dem Zweck 16 0 420/19 - Seite 18 - der DSGVO, die Wahrnehmung von Betroffenenrechten zu erleichtern. q Dem steht auch nicht entgegen, dass das DNT-Signal bei der Einführung des TTDSG zum 1. Dezember 2021 keine ausdrückliche Berücksichtigung gefunden hat.
[...]
2. Der Klageantrag zu 2 ist ebenfalls begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der standardmäßigen Aktivierung von Funktionen zur Sichtbarkeit von Profilinformationen von Mitgliedern außerhalb LinkedIn, wie im Antrag spezifiziert, aus 88 3, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7, 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG.
[...]
b) Gegenstand des mit der Klage geltend gemachten Unterlassungsantrags ist auch hier die konkrete Verletzungsform, wie im Klageantrag zu 2 durch Abbildung der von der Beklagten verwendeten Voreinstellungen spezifiziert. Der Kläger wendet sich mit dem Klageantrag zu 2 dagegen, dass die Beklagte bei der erstmaligen Anmeldung von Nutzern Voreinstellungen verwendet in der Weise, dass sowohl ein Schalter „Sichtbarkeit außerhalb LinkedIn“ als auch ein Schalter „Öffentliche Sichtbarkeit Ihres Profils" von vornherein aktiviert ist. Die Aktivierung hat zur Folge, dass personenbezogene Daten der Nutzer in Partnerdiensten der Beklagten angezeigt und im Internet für jedermann sichtbar veröffentlicht werden. Der Kläger wendet sich nach Maßgabe des Antrags nicht gegen diese Veröffentlichung, also die Datenverarbeitung, sondern gegen die Voreinstellungen an sich.
c) Die beanstandeten Voreinstellungen verstoßen gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 7 UWG.
aa) Die Voreinstellungen sind eine geschäftliche Handlung im Sinne von & 5 Abs. 1 UWG. Dem Begriff der geschäftlichen Handlung unterfällt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG das Verhalten einer Person zugunsten des eigenen Unternehmens bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen unmittelbar und objektiv zusammenhängt. Die beanstandeten Voreinstellungen, die Nutzer der Beklagten bei erstmaliger Anmeldung vorfinden, stehen in Zusammenhang mit einem Geschäftsabschluss und sind bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet, die Entscheidung des Verbrauchers über den Umfang, in dem er seine Daten zur Verarbeitung zur Verfügung stellt, zu beeinflussen. Stellt der Verbraucher seine Daten in möglichst großem Umfang zur Verfügung, fördert das die Sichtbarkeit und Reichweite des von der Beklagten betriebenen Netzwerks in deren Geschäftsinteresse.
bb) Die Voreinstellungen sind zur Täuschung geeignete Angaben über Verbraucherrechte im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 UWG.
aaa) Der Streitfall betrifft auch hinsichtlich des Klageantrags zu 2 eine geschäftliche Handlung, die sich einem der in § 5 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 UWG aufgeführten Bezugspunkte einer Irreführung zuordnen lässt, nämlich den in § 5 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 Nr. 7 UWG genannten Rechten des Verbrauchers. Wie oben unter IV. 1. d) cc) aaa) ausgeführt, hat der Begriff der Rechte des Verbrauchers eine weite Bedeutung und erfasst nicht nur Angaben über die Existenz bestimmter Rechte, sondern auch über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung. Die streitgegenständlichen Voreinstellungen betreffen das Recht des Verbrauchers, in eine Veröffentlichung seiner Daten auf bestimmten Wegen einzuwilligen oder nicht. bbb) Die angegriffenen Voreinstellungen der Beklagten sind eine Angabe im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG. Sie stellen eine Geschäftshandlung mit Informationsgehalt dar, da sie die Information vermitteln, dass die Beklagte von dem Nutzer eingegebene Daten mit dessen Einwilligung über Partnerdienste bzw. öffentlich zugänglich macht.
bbb) Die angegriffenen Voreinstellungen der Beklagten sind eine Angabe im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG. Sie stellen eine Geschäftshandlung mit Informationsgehalt dar, da sie die Information vermitteln, dass die Beklagte von dem Nutzer eingegebene Daten mit dessen Einwilligung über Partnerdienste bzw. öffentlich zugänglich macht.
ccc) Die Voreinstellungen sind im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 Nr. 7 UWG zur Täuschung über Verbraucherrechte geeignet.
Das LG Berlin hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung vorliegt, wenn eine Quarzuhr mit der Abbildung eines mechanischen Uhrwerks beworben wird, auch wenn in der Beschreibung von einem Quarzwerk die Rede ist.
Aus den Entscheidungsgründen: 1. Der Unterlassungsanspruch ist gem. §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1, 2 und 4 S. 1, 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG begründet, da sich die streitgegenständliche Werbung als irreführend darstellt.
Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG irreführend und damit unlauter, wenn sie zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware enthält, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Angaben i.S.d. § 5 UWG sind (tatsächliche) Erklärungen gleich welcher Ausdrucksform, insbesondere bildliche Darstellungen, vgl. § 5 Abs. 4 UWG. Für die Beurteilung, ob eine geschäftliche Handlung irreführend ist, kommt es nicht auf den objektiven Wortsinn und nicht darauf an, wie der Werbende selbst seine Aussage über die Ware verstanden haben will, sondern welchen Gesamteindruck sie bei dem maßgeblichen Verkehrskreisen hervorruft, an die sich die Werbung richtet, § 3 Abs. 4 S. 1 UWG (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.57 m.w.N.).
a) Entscheidend für die Einstufung einer Werbeaussage als irreführend ist die Bestimmung des maßgeblichen Verkehrskreises. In Betracht kommt vorliegend die gesamte Leserschaft des ..., die Kunden des ... Shops oder - wie die Beklagte vortragen lässt - sog. „kundige Uhrenliebhaber“, mithin ein Fachpublikum.
Im vorliegenden Fall greift die Eingrenzung des maßgeblichen Verkehrskreises auf ein Fachpublikum zu kurz. Entscheidend ist vielmehr die gesamte Leserschaft des ...x, da sich an diese die konkrete Anzeige richtet, von dieser wahrgenommen wird und diese sich angesprochen fühlt.
b) Bei der Ermittlung des Verständnisses des Verkehrskreises ist auf den durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher abzustellen, welcher der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (BGH, Urteil vom 20.10.1999 - I ZR 167/97, GRUR 2000, 619). Bei der Ermittlung des Grads der Aufmerksamkeit ist u.a. zu berücksichtigen, ob es sich lediglich um eine geringwertige Ware des täglichen Bedarfs handelt, aber auch um welche Art der Werbung es sich handelt, also ob sie grundsätzlich eher beiläufig wahrgenommen wird, wie beim Durchblättern der Tageszeitung (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.79 f.).
Maßgebend für die Beurteilung einer Werbeaussage ist, wie der angesprochene Verkehr die beanstandete Werbung auf Grund des Gesamteindrucks der Anzeige versteht, also grundsätzlich auch unter Berücksichtigung von Erläuterungen, insbesondere bei sog. Blickfangwerbung (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.81, 1.85 f.).
Von Blickfangwerbung wird gesprochen, wenn einzelne Angaben in der Werbung im Vergleich zu den sonstigen Angaben besonders herausgestellt sind und dadurch die Aufmerksamkeit des Publikums erwecken (Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.85).
Spätere Richtigstellungen oder Klarstellungen im weiteren Text der Werbung oder aufklärende Zusätze ändern an der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung eines täuschenden Blickfangs als irreführend nichts, soweit der Blickfang objektiv unrichtig ist und kein vernünftiger Anlass für die objektive Unrichtigkeit besteht und sich dieser Blickfang vielmehr als „dreiste Lüge“ erweist (Ohly/Sosnitza/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 144; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.89).
Anders liegt es bei indirekten Aussagen des Blickfangs, welche für sich genommen nicht objektiv unrichtig sind und der Blickfang selbst durch Sternchenhinweis oder sonst durch eine Anmerkung auf nicht zu übersehende Einschränkungen aufmerksam macht. In solchen Fällen geht der verständige Durchschnittsverbraucher davon aus, dass die in Bezug genommenen weiteren Angaben Teil des Blickfangs sind und ohne sie ein zutreffendes Verständnis der Werbung nicht gewonnen werden kann (Ohly/Sosnitza/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 144; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.90). Die Aufklärung muss nicht zwingend durch einen Sternchenhinweis oder einen anderen klarstellenden Hinweis an den isoliert irreführenden blickfangmäßigen Angaben erfolgen, vielmehr kann es genügen, dass es sich um eine Werbung - etwa für langlebige und kostspielige Güter - handelt, mit der sich der Verbraucher eingehend und nicht nur flüchtig befasst und die er aufgrund einer kurzen und übersichtlichen Gestaltung insgesamt zur Kenntnis nehmen wird (BGH, Urt. v. 18.12.2014 - I ZR 129/13 - Schlafzimmer komplett, GRUR 2015, 698, Rn. 19; BGH, Versäumnisurteil. v. 21.9.2017 - I ZR 53/16 - Festzins Plus, GRUR 2018, 320, Rn. 24).
Randnummer26
aa) Der Kläger ist der Meinung, der Verkehrskreis erkenne, dass es sich bei der Abbildung um ein mechanisches Uhrwerk einer Automatikuhr handle und erwarte aufgrund des hervorgehobenen mechanischen Uhrwerks daher, dass auch die angebotenen Uhren ein solch hochwertiges Uhrwerk enthielten.
Randnummer27
bb) Die Beklagte hingegen ist der Auffassung, dass der Verkehrskreis schon nicht erkenne, dass es sich bei der Abbildung um eine Automatikuhr handele. Im Übrigen läge keine sog. Blickfangwerbung vor und selbst wenn dies der Fall wäre, wäre diese durch die aufklärenden Hinweise in der Beschreibung und Bezeichnung der Uhren korrigiert.
Randnummer28
cc) Die Kammer kann die Verkehrsauffassung auf Grund eigener Sachkunde ermitteln, da ihre Mitglieder grundsätzlich zu dem angesprochenen Verkehrskreis gehören.
(1) Aufgrund des Preises der angebotenen Armbanduhren dürfte es sich jedenfalls nicht mehr um eine geringwertige Ware des täglichen Bedarfs handeln, so dass der Verbraucher grundsätzlich mit einer erhöhten Aufmerksamkeit an die Verständnisbildung der Werbung herangeht. Andererseits handelt es sich um eine Werbung in einer Tageszeitung, welche eher beiläufig wahrgenommen wird, so dass wohl insgesamt von keiner hohen Aufmerksamkeit des Verbrauchers ausgegangen werden kann.
(2) Entscheidend ist daher, ob der angesprochene Verkehrskreis in der Abbildung überhaupt ein mechanisches Uhrwerk erkennt. Während man dies von einem „kundigen Uhrenliebhaber“ wohl jedenfalls erwarten kann, wird man davon bei der Leserschaft des ... nicht zwangsläufig ausgehen können.
Die Kammer ist allerdings der Ansicht, dass jedenfalls ein nicht unbedeutender Teil des maßgeblichen Verkehrskreises in der streitgegenständlichen Abbildung ein mechanisches Uhrwerk erkennen wird oder jedenfalls ein Uhrwerk, welches eine besondere Qualität und Werthaltigkeit im Vergleich zu einer üblichen Armbanduhr aufweist, ohne dabei konkret zwischen den Begriffen „Quarzwerk“ und mechanischem Uhrwerk“ unterscheiden zu können.
(3) Weiter ist daher zu ermitteln, wie der maßgebliche Verkehrskreis die Anzeige in ihrem Gesamtzusammenhang versteht, insbesondere inwieweit die Abbildung des Uhrwerks, die Beschreibung sowie die Benennung der Armbanduhr den Gesamteindruck prägen.
Die Kammer ist der Auffassung, dass der Verkehrskreis die Abbildung des Uhrwerks als eine Erklärung über die Technik, namentlich der Mechanik, welche in der angebotenen Armbanduhr verbaut wurde, versteht, also als eine Angabe im Sinne des § 5 Abs. 2 UWG. Da die streitgegenständlichen Uhren kein solches Uhrwerk enthalten, handelt es sich insoweit um eine objektiv unwahre Angabe.
Ungeachtet der Frage, ob es sich bei der Abbildung des Uhrwerks um einen Blickfang handelt - wovon die Kammer ausgeht - löst auch die begleitende Beschreibung, die Uhr enthalte ein Quarzwerk, sowie die Bezeichnung der Armbanduhr die Irreführung des Verkehrskreises nicht wieder auf. Bei der Bebilderung handelt es sich um eine schlicht falsche Angabe. Um eine solche falsche Angabe wieder richtigzustellen, sind - soweit eine Richtigstellung überhaupt noch möglich ist - hohe Anforderung an die begleitenden Erläuterungen zu stellen. Aus Sicht der Kammer wird die Beklagte diesen Anforderungen nicht gerecht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Verkehrskreis im Rahmen des Durchblätterns der Zeitung nicht die erforderliche Aufmerksamkeit aufbringt, sich mit dem gesamten Text der Anzeige auseinanderzusetzen. Ferner ist von dem Verkehrskreis nicht zu erwarten, dass er bei der Bezeichnung „Quarz“ oder „Quarzwerk“ versteht, dass es sich bei dem abgebildeten Uhrwerk nicht ebenfalls um ein Quarzwerk handeln kann. Vielmehr geht der durchschnittlich verständige Verbraucher weiterhin davon aus, dass das abgebildete Uhrwerk auch in der angebotenen Armbanduhr verbaut ist. Damit liegt eine Irreführung des Verbrauchers vor, welche eine unlautere geschäftliche Handlung darstellt, die geeignet ist, den Verbraucher zum Kauf der Armbanduhr zu veranlassen.
Das LG Berlin hat entschieden, dass der Verkauf pfandpflichtiger Kunststoffflaschen ohne Pfand gegen die Marktverhaltensregel § 31 Abs.1 Satz 1 VerpackG verstößt und somit wettbewerbswidrig ist.
Aus den Entscheidungsgründen: Die Beklagte hat mit dem Angebot pfandpflichtiger Kunststoffflaschen ohne Pfanderhebung gegen die Vorschrift des § 31 Abs.1 Satz 1 VerpackG verstoßen. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beklagte die im Antrag zu eins genannten Getränke mit jeweils 500 ml angeboten hat, ohne dass vorgeschriebene Pfand von mindestens 0,25 € brutto zu erheben. Sie können sich dabei auch entgegen ihrer Auffassung nicht auf die Übergangsvorschrift des § 38 Abs. 7 VerpackG berufen. Nach der genannten Vorschrift dürfen zwar Einwegkunststoffgetränkeflaschen, die ab dem 1. Januar 2022 erstmals der Pfandpflicht für Einweggetränkeverpackungen unterliegen und bereits vor dem 1. Januar 2022 vom Hersteller in den Verkehr gebracht wurden, bis zum 1. Juli 2022 von jedem weiteren Vertreiber auf allen Handelstagen bis an den Endverbraucher abgegeben werden, ohne dass das Pfand erhoben werden muss. Hierauf kann die Beklagte sich aber schon deswegen nicht berufen, weil sie die Herstellerin der genannten Produkte in den Einweggetränkeverpackungen ist und damit selbst die Produkte das erste Mal in den Verkehr bringt, so dass alle Produkte, die sie nach dem 1.Januar 2022 in den Verkehr bringt, worunter auch die streitgegenständlichen Produkte fallen, selbstverständlich der Pfandpflicht unterliegen. Hersteller im Sinne des Verpackungsgesetzes ist entsprechend der Legaldefinition in § 3 Abs. 14 VerpackG derjenige Vertreiber, der Verpackungen erstmals gewerbsmäßig in den Verkehr bringt. Das ist die Beklagte, die auf den streitgegenständlichen Produkten unstreitig als Herstellerin im Sinne des Art.8 Abs.1 LMIV als Lebensmittelverantwortlicher angegeben ist. Soweit die Beklagte behauptet hat, dass Hersteller im Sinne des VerpackG die produzierende Firma xxxxxxx. sei, so steht dem bereits § 3 Abs.9 Satz 2 VerpackG entgegen. Nach der genannten Vorschrift ist die Abgabe von im Auftrag eines Dritten befüllten Verpackungen an diesen Dritten, wenn die Verpackung ausschließlich mit dem Namen und der Marke des Dritten oder beidem gekennzeichnet ist, gerade kein Inverkehrbringen im Sinne des Verpackungsgesetzes. Ebenso bringt nicht der von der Beklagten beauftragte Logistikdienstleister die Produkte in den Verkehr, sondern die Beklagte. Schließlich handelt es sich bei der genannten Vorschrift des Verpackungsgesetzes auch um eine Marktverhaltensregel im Sinne des Paragrafen 3a UWG. Die Pfandvorschriften des Verpackungsgesetzes sind gesetzliche Vorschriften, die im Sinne von § 3a UWG auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Die Pfanderhebungspflicht für Einweggetränkeverpackungen gemäß § 31 VerpackG wirkt sich deutlich auf das Verhalten der Hersteller und Vertreiber auf dem Absatzmarkt aus (OLG Köln vom 19.Oktober 2012 zu 6 U 103/12 noch zur Verpackungsverordnung) und hat daher entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur reflexhafte Auswirkungen auf den Markt. Wer kein Pfand erhebt, verschafft sich erhebliche Wettbewerbsvorteile nicht nur wegen des deutlich günstigeren Preises, sondern auch wegen des ersparten Aufwandes auf Kosten der Umwelt.
Das LG Berlin hat entschieden, dass die Ansprüche der Drehbuchautorin auf angemessene Vergütung aus § 32a UrhG gegen die Produktionsfirma bzw. den Film- und Medienkonzern der Filme Keinohrhasen und Zweiohrküken überwiegend verjährt sind.
Die Pressemitteilung des Gerichts: Landgericht Berlin: Anspruch einer Drehbuchautorin aus § 32a UrhG gegen eine Produktionsfirma sowie gegen einen Film- und Medienkonzern dem Grunde nach gegeben, jedoch weitgehend verjährt
Die Zivilkammer 15 des Landgerichts Berlin hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2023 in dem heute in öffentlicher Sitzung verkündeten und dabei mündlich kurz begründeten Urteil in erster Instanz dem Zahlungsbegehren einer Drehbuchautorin gegen die Produktionsfirma der Filme „Keinohrhasen“ (Kinostart 2007) und „Zweiohrküken“ (Kinostart 2009) sowie gegen einen Film- und Medienkonzern im Hinblick auf die Verwertungserträge dieser Filme dem Grunde nach stattgegeben.
Die Klägerin hatte die beiden Beklagten zuvor erfolgreich auf Auskunft über die Verwertungserträge der Filme „Keinohrhasen“ und „Zweiohrküken“ in Anspruch genommen (vgl. unsere Pressemitteilungen Nr. 08/2022 vom 16. Februar 2022, Nr. 06/2022 vom 8. Februar 2022 und Nr. 67/2020 vom 27. Oktober 2020).
Die Klägerin hat gegen die Beklagten nach Erteilung der Auskünfte nun auf Zahlung einer angemessenen Beteiligung an den Verwertungserträgen der Filme „Keinohrhasen“ und „Zweiohrküken“ im Wege der Anpassung ihrer ursprünglich für die Rechte an den Drehbüchern der beiden Filme erhaltenen Vergütung gemäß § 32a Urheberrechtsgesetz (UrhG) geklagt.
Die Beklagten haben beantragt die Klage abzuweisen, da bereits kein auffälliges Missverhältnis zwischen der gezahlten Vergütung und den Verwertungserträgen bestünde. Darüber hinaus haben die Beklagten sich darauf berufen, dass etwaige Ansprüche bereits verjährt seien.
Das Landgericht hat mit seinem Urteil vom heutigen Tag festgestellt, dass ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer weiteren angemessenen Vergütung nach § 32a UrhG dem Grunde nach besteht. Angesichts des weit überdurchschnittlichen Erfolges der beiden Filme habe die Klägerin einen Anspruch darauf, die vereinbarte Vergütung nachträglich anzupassen. Dabei ist die Zivilkammer 15 davon ausgegangen, dass die Klägerin ganz überwiegend als Alleinurheberin der Drehbücher zu den Filmen „Keinohrhasen“ und „Zweiohrküken“ anzusehen ist.
Jedoch steht der Klägerin nur ein Anspruch auf Vertragsanpassung bzw. Zahlung einer weiteren angemessenen Vergütung für die von ihr erstellten Drehbücher für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2015 zu, da – so die Zivilkammer 15 – Anpassungsansprüche für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2015 verjährt sind.
Der Anspruch aus § 32a UrhG verjährt innerhalb der Regelverjährungsfrist von drei Jahren, wobei die Verjährung mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der bzw. die Urheber*in von den anspruchsbegründenden Umständen, hier also dem weit überdurchschnittlichen Erfolg der beiden Filme, Kenntnis hatte bzw. hätte haben müssen.
Die Klägerin hatte – so die Zivilkammer 15 – Kenntnis vom Kinoerfolg beider Filme und hätte aufgrund des ihr bekannten weit überdurchschnittlichen Erfolges der Filme an den Kinokassen auch davon ausgehen müssen, dass die nachfolgenden Verwertungsformen weit überdurchschnittliche Erlöse erzielen würden, da es naheliegend sei, dass sich ein großer Kinoerfolg auch bei der nachfolgenden DVD-Auswertung, der Pay-TV Auswertung, der Video- und der Auslandsauswertung fortsetze.
Da die Klägerin erst im Jahr 2018 Klage erhoben hat, konnte die Verjährung somit nur für Ansprüche ab dem 1. Januar 2015 gehemmt werden. Der Anspruch der Klägerin auf eine angemessene Beteiligung an den Verwertungserträgen für die vor diesem Zeitpunkt liegende Hauptvermarktungsphase der beiden Filme ist nach den Ausführungen des Landgerichts damit verjährt, so dass die Klage der Klägerin aus diesem Grund in weiten Teilen abzuweisen war.
Die Klägerin hat gegen beide Beklagten nach dem heutigen Urteil daher für die Nutzung der Filmproduktionen „Keinohrhasen“ und „Zweiohrküken“ bis Ende des Jahres 2020 lediglich einen Anspruch auf Zahlung eines Gesamtbetrages in Höhe von insgesamt gut 180.000 Euro, die für diesen Zeitraum von der Klägerin geforderte Gesamtsumme belief sich hingegen auf über zwei Millionen Euro.
Für die Nutzung der beiden Filmproduktionen ab dem Jahr 2021 hat die Klägerin gegen die Beklagten nach dem Urteil einen Anspruch auf Zahlung einer weiteren angemessenen Beteiligung für den Film „Keinohrhasen“ in Höhe von 3,68 % der Nettoerlöse und für den Film „Zweiohrküken“ in Höhe von 3,48 % der Nettoerlöse.
Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig; es kann dagegen Berufung beim Kammergericht innerhalb von einem Monat nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe eingelegt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten muss auf die schriftlichen Urteilsgründe verwiesen werden. Nach den Presserichtlinien kann über diese erst berichtet werden, wenn das heute verkündete Urteil den Parteien in schriftlicher Form zugestellt wurde bzw. alle Verfahrensbeteiligten dieses Urteil sicher erhalten haben.
Landgericht Berlin: Urteil vom 27. September 2023, Aktenzeichen: 15 O 296/18
Das LG Berlin hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung für ein "unsichtbares" Hörgerät vorliegt, wenn die Rückholeinrichtung in der Ohrmuschel für Dritte von außen sichtbar ist. Insofern handele es sich nur um ein "fast unsichtbares" Hörgerät, dass nur als solches beworben werden dürfe. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.
Das LG Berlin hat entschieden, dass das Setzen von Werbecookies nur mit vorheriger ausdrücklicher Einwilligung des Nutzers zulässig ist. Insbesondere dürfen die Cookies nicht automatisch mit Aufruf der Website gesetzt werden. Die hier streitgegenständliche Verwendung von Cookies auf welt.de war - so das Gericht - wettbewerbswidrig.
Das LG Berlin hat entschieden, dass die Werbung für Nahrungsergänzungsmittel mit "Anti-Kater" oder "Anti-Hangover" einen wettbewerbswidrigen Verstoß gegen Art. 7 LMIV darstellt.
Aus den Entscheidungsgründen: Dem Kläger stehen wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche aus §§ 3, 3a UWG iVm Art. 7 Abs. 3, 4 a) LMIV gegen die Beklagte zu, weil die tenorierten Äußerungen innerhalb der streitgegenständlichen Werbung der Anlage K 3 in jedem Fall krankheitsbezogen sind.
Gemäß Art. 7 Abs. 3, 4 a) LMIV dürfen Informationen über ein Lebensmittel diesem auch in der Werbung keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen. Das von der Beklagten beworbene Produkt ist ein Lebensmittel im Sinne der LMIV.
Der Begriff „Krankheit“ ist unionsrechtlich nicht definiert, weshalb auf die durch nationale Rechtsprechung entwickelte Definition zurückzugreifen ist. Krankheit gemäß Art. 7 LMIV ist nach der Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur jede, also auch eine geringfügige oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder normalen Tätigkeit des Körpers (vgl. BGH NJW 1966, 393, 396 f.; Voit/Grube, LMIV, 2. Auflage, Art. 7 Rdnr. 292). Die durch § 12 LFGB bzw. Art. 7 LMIV als Nachfolgevorschrift verbotene Bezugnahme auf eine bestimmte Krankheit kann auch indirekt durch Hinweise auf Körperzustände oder Wirkungen des Lebensmittels, die beim Verbraucher Assoziationen zu bestimmten Krankheiten auslösen, geschehen (vgl. Wehlau, LFGB, § 12 Rdnr. 31). Krankheitssymptome fallen jedenfalls dann in den Anwendungsbereich der Vorschrift, wenn ein mittelbarer Bezug zu einer bestimmten Krankheit hergestellt und nicht nur ein bloßer Hinweis auf die gesundheitsfördernde Wirkung abgegeben wird (vgl. OLG Karlsruhe BeckRS 2017, 140106 Tz. 23 f.). Die jeweiligen Werbeangaben sind in ihrem Gesamtzusammenhang zu würdigen, weil sie Bestandteile einer jeweils einheitlichen Werbung sind, die als geschlossene Botschaft erscheint. Vor diesem Hintergrund ist jede der beanstandeten Aussagen im Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt zu bewerten (vgl. Kammergericht, Urteil vom 25. April 2018 - 5 U 82/17 -).
Die streitgegenständlichen Aussagen weisen in ihrem von der Beklagten gestalteten Umfeld zweifellos Krankheitsbezug auf, sie wecken entgegen ihrer Auffassung beim Interessenten ihres Produkts nicht die Erwartung einer üblichen Schwankung des körperlichen Wohlbefindens. Dies folgt neben der ersten streitgegenständlichen Werbeaussage aus dem vorangestellten „Anti-“ in den nachfolgenden beiden, die zusammen mit dem weiteren Text der Anlage K 3 jedem Interessenten verdeutlichen, er könne soviel trinken, wie er wolle, die damit verbundenen zwangsläufigen, bekannten und meist schwerwiegenden Folgen träten nicht ein. Ein derartiger, durch erheblichen Alkoholkonsum hervorgerufener Zustand, den es zu verhindern gelte, weicht stets von dem üblichen Auf und Ab der Gesundheit im Laufe eines Tages ab und erfüllt selbst bei einer unterstellten, von der Beklagten befürworteten teleologischen Auslegung der Vorschrift den Krankheitsbegriff. In ihrem Werbetext spricht die Beklagte von einer „langen Partynacht“, in der man sich „keine Gedanken um den Morgen danach machen“ müsse. Das Produkt helfe, „lebenswichtige Nährstoffe wiederherzustellen und am nächsten Tag ohne Kopfschmerzen aufzuwachen. Seien Sie sorgloser ... Denn so ist der gefürchtete Morgen danach Schnee von gestern...“. U. a. mit „Kopfschmerzen“ und „gefürchtete Morgen danach“ spricht die Beklagte unmissverständlich Folgen an, die der Interessent stets als Störung der normalen Beschaffenheit des Körpers in diesem Werbeumfeld ansieht.
Einer Entscheidung der von der Beklagten aufgeworfenen Frage, ob die jeweiligen Begriffe „Kater“ und/oder „Hangover“ für sich bereits für eine Krankheit im Sinne des Art. 7 Abs. 3 LMIV stehen, bedarf es dementsprechend nicht, wobei dies von der Rechtsprechung unter Würdigung auch der hiesigen Argumente der Beklagten soweit ersichtlich allgemein bejaht wird (vgl. insbesondere OLG Frankfurt GRUR 2019, 1300 Tz. 23 bis 34).
Das LG Berlin hat entschieden, dass bei gleichzeitigem Abschluss mehrerer Verträge nach § 312j Abs. 3 BGB für jedes Vertragsverhältnis eine eigenständige Bestell-Schaltfläche vorgehalten werden muss.
Aus den Entscheidungsgründen: Die Beklagte ist der Klägerin gemäß §§ 812 Abs. 1, 312j Abs. 4 BGB zur Rückzahlung des auf die „Prime-Mitgliedschaft“ geleisteten Betrages von 74,99 EUR verpflichtet, da die Klägerin insoweit ohne Rechtsgrund geleistet hat. Dagegen vermag die Berufung nichts zu erinnern.
Ein Vertrag über die „Prime-Mitgliedschaft“ ist gemäß § 312j Abs. 4 BGB nicht zustande gekommen, da die Beklagte ihre Pflichten aus § 312j Abs. 3 BGB nicht erfüllt hat. Danach ist in den Fällen, in denen eine Bestellung im elektronischen Rechtsverkehr über eine Schaltfläche erfolgt, die Hinweispflicht des Unternehmers aus Satz 1 nur erfüllt, wenn diese Schaltfläche gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet ist. Diesen Anforderungen hat die Beklagte nicht genügt.
Die von der Beklagten verwandten Schaltflächen sind lediglich mit den Aufschriften „Weiter“ und „weiter mit Prime kostenlos“ beschriftet. Zwar verwendet die Beklagte zur Beendigung des die Flugbuchung betreffenden Buchungsvorgangs auch die Schaltfläche „jetzt kaufen“. Ob diese den Anforderungen des § 312j Abs. 3 BGB für die Flugbuchung selbst gerecht wird, kann dahinstehen (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 7. April 2022 – C-249/21 (Fuhrmann-2-GmbH/B), NJW 2022, 1439, beckonline Tz. 28). Denn in den Fällen, in denen der Unternehmer wie hier auf elektronischem Wege gleichzeitig mehrere Verträge mit dem Verbraucher abschließt, muss er seinen Hinweispflichten nach § 312j Abs. 3 BGB für jedes Vertragsverhältnis gesondert gerecht werden. Diesen Anforderungen hätte die Beklagte nur genügt, wenn sie für den Abschluss der „Prime-Mitgliedschaft“ eine gesonderte zweite und den Anforderungen des § 312j Abs. 3 Satz 2 BGB entsprechende Schaltfläche vorgesehen hätte. An einer solchen aber fehlte es für das von der Beklagten neben der Flugbuchung begründete weitere Vertragsverhältnis über eine mit 74,99 EUR jährlich zu vergütende „Prime-Mitgliedschaft“. Soweit der Fließtext des Buchungsvorgangs weitere Angaben enthält, reichen diese für die Einhaltung der aus § 312j Abs. 3 BGB erwachsenden Pflichten des Unternehmers bereits grundsätzlich nicht aus (vgl. EuGH, a.a.O.).
Der Vertrag über die „Prime-Mitgliedschaft“ ist auch ein solcher, der die Klägerin zu einer Zahlung i.S.d. § 312j Abs. 2 Satz 1 BGB „verpflichtet“ hat, selbst wenn er innerhalb eines kurzfristigen Probezeitraums kostenfrei hätte gekündigt werden können. Denn auch lediglich bedingte Zahlungsverpflichtungen des Verbrauchers unterfallen dem Anwendungsbereich der §§ 312j Abs. 2 und 3 BGB (vgl. Kammer, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union v. 2. Juni 2022 - 67 S 259/21, BeckRS 2022, 12182, Tz. 56-63 m.w.N.; Fries, RDi 2022, 533; a.A. BGH, Urt. v. 19. Januar 2022 - VIII ZR 123/21, ZIP 2022, 378, juris Tz. 55; Urt. v. 30. März 2022 - VIII ZR 358/20, NJOZ 2022, 741, beckonline Tz. 58 m.w.N.).
Soweit die Beklagte die Einzelheiten des hier streitgegenständlichen Buchungsvorgangs bestritten hat, ist ihr das gemäß § 138 Abs. 2 und. 3 ZPO unbehelflich. Denn sie hat weder die äußere Form des elektronisch erfolgten Vertragsschlusses noch die von der Klägerin behauptete Zahlung in Abrede gestellt. Ebensowenig hat sie einen Geschehensverlauf behauptet, bei dem sie ihrer Verpflichtung zur Schaffung einer gesonderten und den Anforderungen des § 312j Abs. 3 BGB entsprechenden Schaltfläche für den gesonderten Vertrag über die „Prime-Mitgliedschaft“ gerecht geworden wäre.
Die Hilfsaufrechnungen der Beklagten gehen ins Leere. Bereicherungsrechtliche Gegenansprüche im Zusammenhang mit einer durch den Abschluss der „Prime-Mitgliedschaft“ verbundenen Flugpreisermäßigung stehen der Beklagten nicht zu. Denn der Sinn und Zweck von § 312j Abs. 3 BGB schließt saldierbare oder aufrechenbare Bereicherungsansprüche des Unternehmers grundsätzlich aus (vgl. Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9 Aufl. 2022, § 312j Rz. 37 m.w.N.). Dem Unternehmer ist ein Rückgriff auf das Bereicherungsrecht allenfalls dann eröffnet, wenn die Berufung des Verbrauchers auf den Ausschluss jeder Vergütungspflicht ausnahmsweise mit Treu und Glauben unvereinbar wäre (vgl. Wendehorst, a.a.O.). Um einen solchen Fall handelt es sich hier jedoch bereits wegen der Geringfügigkeit der von der Beklagten behaupteten Ersparnis nicht.
Schließlich steht der Klägerin auch der vom Amtsgericht zuerkannte Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zu. Es kann insoweit dahinstehen, ob sich die Beklagte zum Zeitpunkt der vorgerichtlichen Inanspruchnahme rechtsanwaltlicher Hilfe schon in Verzug befunden hat. Sie haftet der Klägerin wegen der Verletzung der ihr obliegenden Informationspflichten jedenfalls aus den §§ 311 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB (vgl. Maume, in: BeckOK BGB, Stand: 1. Februar 2023, § 312j Rz. 38; Wendehorst, a.a.O., § 312j Rz. 38). Die vom Amtsgericht zuerkannte Anspruchshöhe ist aus den Gründen des angefochtenen Urteils ebenfalls zutreffend bemessen.
Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 280, 286, 288 BGB.
Die Kammer hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, um eine höchstrichterliche Klärung der Reichweite des § 312j Abs. 3 BGB bei mehreren gleichzeitig im elektronischen Rechtsverkehr zwischen Unternehmer und Verbraucher geschlossenen Verträgen zu ermöglichen. Im Übrigen ist die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, da die Kammer von der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH zur Reichweite des § 312j Abs. 2 BGB bei lediglich bedingten Zahlungsverpflichtungen des Verbrauchers abweicht. Die Kammer sieht sich zu einer neuerlichen - und bereits in mietrechtlichen Zusammenhängen erfolgten - Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht veranlasst (vgl. Kammer, Vorlagebeschl. v. 2. Juni 2022, a.a.O.). Das Recht der Parteien auf ihren gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist durch die Zulassung der Revision und die auch von dort mögliche Befassung des Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 AEUV gewahrt.
LG Berlin
Beschluss vom 19.10.2022
(525 KLs) 279 Js 30/22 (8/22)
Das LG Berlin hat dem EuGH Fragen zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten im Strafverfahren zur Entscheidung vorgelegt.
Die Vorlagefragen:
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2014/41 (im Folgenden: RL EEA) vorgelegt:
1. Zur Auslegung des Merkmals "Anordnungsbehörde" nach Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 lit. c) RL EEA
a) Muss eine Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden: EEA) zur Erlangung von Beweismitteln, die sich bereits im Vollstreckungsstaat (hier: Frankreich) befinden, von einem Richter erlassen werden, wenn nach dem Recht des Anordnungsstaats (hier: Deutschland) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall die zugrunde liegende Beweiserhebung durch den Richter hätte angeordnet werden müssen ?
b) Gilt dies hilfsweise zumindest dann, wenn der Vollstreckungsstaat die zugrunde liegende Maßnahme auf dem Hoheitsgebiet des Anordnungsstaats durchgeführt hat mit dem Ziel, die abgeschöpften Daten anschließend den an den Daten interessierten Ermittlungsbehörden im Anordnungsstaat zum Zweck der Strafverfolgung zur Verfügung zu stellen ?
c) Muss eine EEA zur Erlangung von Beweismitteln unabhängig von den nationalen Zuständigkeitsregelungen des Anordnungsstaats immer dann von einem Richter (bzw. einer unabhängigen, nicht mit strafrechtlichen Ermittlungen befassten Stelle) erlassen werden, wenn die Maßnahme schwerwiegende Eingriffe in hochrangige Grundrechte betrifft ?
2. Zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 lit. a) RL EEA
a) Steht Art. 6 Abs. 1 lit. a) RL EEA einer EEA zur Übermittlung von im Vollstreckungsstaat (Frankreich) schon vorhandenen Daten aus einer Telekommunikationsüberwachung – insbesondere Verkehrs- und Standortdaten sowie Aufzeichnungen von Kommunikationsinhalten – entgegen, wenn die vom Vollstreckungsstaat durchgeführte Überwachung sich auf sämtliche Anschlussnutzer eines Kommunikationsdienstes erstreckte, mit der EEA die Übermittlung der Daten sämtlicher auf dem Hoheitsgebiet des Anordnungsstaates genutzten Anschlüsse begehrt wird und weder bei der Anordnung und Durchführung der Überwachungsmaßnahme noch bei Erlass der EEA konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von schweren Straftaten durch diese individuellen Nutzer bestanden ?
b) Steht Art. 6 Abs. 1 lit. a) RL EEA einer solchen EEA entgegen, wenn die Integrität der durch die Überwachungsmaßnahme abgeschöpften Daten wegen umfassender Geheimhaltung durch die Behörden im Vollstreckungsstaat nicht überprüft werden kann ?
3. Zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 lit. b) RL EEA
a) Steht Art. 6 Abs. 1 lit. b) RL EEA einer EEA zur Übermittlung von im Vollstreckungsstaat (Frankreich) schon vorhandenen Telekommunikationsdaten entgegen, wenn die der Datenerhebung zugrunde liegende Überwachungsmaßnahme des Vollstreckungsstaats nach dem Recht des Anordnungsstaats (Deutschland) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unzulässig gewesen wäre ?
b) Hilfsweise: Gilt dies jedenfalls dann, wenn der Vollstreckungsstaat die Überwachung auf dem Hoheitsgebiet des Anordnungsstaats und in dessen Interesse durchgeführt hat ?
4. Zur Auslegung von Art. 31 Abs. 1, Abs. 3 RL EEA
a) Handelt es sich bei einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes um eine Überwachung des Telekommunikationsverkehrs im Sinne von Art. 31 RL EEA ?
b) Muss die Unterrichtung nach Art. 31 Abs. 1 RL EEA stets an einen Richter gerichtet werden oder gilt dies zumindest dann, wenn die vom überwachenden Staat (Frankreich) geplante Maßnahme nach dem Recht des unterrichteten Staats (Deutschland) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nur durch einen Richter angeordnet werden könnte ?
c) Soweit Art. 31 RL EEA auch dem Individualschutz der betroffenen Telekommunikationsnutzer dient, erstreckt sich dieser auch auf die Verwendung der Daten zur Strafverfolgung im unterrichteten Staat (Deutschland) und ist gegebenenfalls dieser Zweck gleichwertig mit dem weiteren Zweck, die Souveränität des unterrichteten Mitgliedsstaats zu schützen ?
5. Rechtsfolgen einer unionsrechtswidrigen Beweiserlangung
a) Kann sich bei einer Beweismittelerlangung durch eine unionsrechtswidrige EEA unmittelbar aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz ein Beweisverwertungsverbot ergeben ?
b) Führt bei einer Beweismittelerlangung durch eine unionsrechtswidrige EEA der unionsrechtliche Äquivalenzgrundsatz zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn die der Beweisgewinnung im Vollstreckungsstaat zugrunde liegende Maßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall im Anordnungsstaat nicht hätte angeordnet werden dürfen und die durch eine solche rechtswidrige innerstaatliche Maßnahme gewonnenen Beweise nach dem Recht des Anordnungsstaats nicht verwertbar wären ?
c) Verstößt es gegen Unionsrecht, insbesondere den Grundsatz der Effektivität, wenn die strafprozessuale Verwertung von Beweismitteln, deren Erlangung gerade wegen eines fehlenden Tatverdachts unionsrechtswidrig war, im Rahmen einer Interessenabwägung mit der Schwere der erstmals durch die Auswertung der Beweismittel bekannt gewordenen Taten gerechtfertigt wird ?
d) Hilfsweise: Ergibt sich aus dem Unionsrecht, insbesondere dem Grundsatz der Effektivität, dass Unionsrechtsverstöße bei der Beweismittelerlangung in einem nationalen Strafverfahren auch bei schweren Straftaten nicht vollständig ohne Folge bleiben dürfen und daher zumindest auf der Ebene der Beweiswürdigung oder der Strafzumessung zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt werden müssen ?
Aus den Entscheidungsgründen: Die zu den EncroChat-Daten bisher ergangenen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Entscheidungen gehen sämtlich von der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten aus. Soweit Verstöße gegen Unionsrecht angenommen oder zumindest in Betracht gezogen werden, wird im Rahmen der Abwägung unter Hinweis auf die Schwere der anhand der EncroChat-Daten ermittelten Straftaten den Strafverfolgungsinteressen der Vorrang eingeräumt (zu Art. 31 RL EEA: BGH aaO. Rn. 44; vgl. auch – wohl zu Art. 6 RL EEA –: KG, Beschluss vom 30. August 2021 – juris Rn. 55). Auch eine Berücksichtigung an anderer Stelle – insbesondere der Beweiswürdigung oder der Strafzumessung – wird, soweit ersichtlich, den Tatgerichten nicht abverlangt; die strafmildernde Berücksichtigung des Verstoßes gegen Art. 31 RL EEA hat der Bundesgerichtshof sogar ausdrücklich als fehlerhaft beanstandet (BGH, Urteil vom 3. August 2022 – 5 StR 203/22 –, juris Rn. 19).
Die Kammer hat Zweifel, ob dies mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es grundsätzlich Sache des nationalen Rechts, die Rechtsfolgen von Verstößen gegen Unionsrecht zu regeln. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten wird jedoch begrenzt durch den Grundsatz der Effektivität (Gerichtshof, Urteil vom 2. März 2021 – C-746/18 –, juris Rn. 42 m.w.N.). Danach muss das nationale Recht Sorge dafür tragen, dass der Beschuldigte in einem Strafverfahren durch rechtswidrig erlangte Informationen und Beweise keine unangemessenen Nachteile erleidet (Gerichtshof aaO. Rn. 43).
Dies kann grundsätzlich nicht nur durch ein Beweisverwertungsverbot erreicht werden, sondern auch durch eine Berücksichtigung der Rechtsverstöße bei der Beweiswürdigung oder im Rahmen der Strafzumessung (Gerichtshof, Urteile vom 2. März 2021, aaO. Rn. 43, und vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u.a – C-511/18 u.a. –, juris Rn. 225). Gleichwohl kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Effektivitätsgrundsatz im Einzelfall das nationale Gericht verpflichten, rechtswidrig erlangte Beweise vom Verfahren auszuschließen (Gerichtshof, Urteile vom 20. September 2022 – C-339/20 u.a. –, juris Rn. 106, vom 2. März 2021, aaO. Rn. 44 und vom 6. Oktober 2020, aaO. Rn. 226 f.; grundlegend Urteil vom 10. April 2003, Steffensen – C-276/01 –, juris Rn. 77 ff. im Anschluss an EGMR, Urteil vom 18. März 1997, Mantovanelli/Frankreich Tz. 36). Die Kammer versteht diese Rechtsprechung dahin, dass der Rechtsverstoß in einem solchen Fall qua Unionsrecht stets den Ausschluss der Beweise zur Folge haben muss und es auf eine Abwägung mit den nationalen Strafverfolgungsinteressen und insbesondere auf die Schwere der in Rede stehenden Straftaten nicht mehr ankommt.
Es spricht einiges dafür, ein solches unmittelbar aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz hergeleitetes Verwertungsverbot auch hier anzunehmen. Denn der Grundsatz des fairen Verfahrens ist in mehrerlei Hinsicht beeinträchtigt worden:
Bereits der Umstand, dass die mit der EEA angeforderten Daten wegen der französischen Geheimhaltung nicht durch einen technischen Sachverständigen überprüft werden können, dürfte die vom Gerichtshof in der Entscheidung vom 10. April 2003 (Steffensen) entwickelten Voraussetzungen erfüllen, unter denen das Gericht Beweise ausschließen muss. Hinzu kommen die oben zu I. bis III. angesprochenen mehrfachen Missachtungen formeller und materieller Sicherungsmechanismen nach Art. 31 und Art. 6 RL EEA, die entweder unmittelbar von den deutschen Strafverfolgungsbehörden zu verantworten sind oder vor denen sie zumindest die Augen verschlossen haben. Wären alle diese Vorgaben des Unionsrechts beachtet worden, wären die Daten der deutschen Nutzer weder erhoben noch bei Europol gespeichert und schon gar nicht an die deutschen Behörden zum Zweck der Strafverfolgung übermittelt worden.
Weiter hinzu tritt schließlich, dass die europäischen Agenturen und die deutschen Strafverfolgungsbehörden die Sachaufklärung und die Verteidigung durch die Verweigerung der Herausgabe von für die Verteidigung erheblichen Aktenbestandteilen und die Weigerung, verfahrensrelevante Dokumente überhaupt in die Akten aufzunehmen, im Nachgang weiter erschwert haben. Besonders gravierend wirkt sich dabei die Weigerung aus, die über das SIENA-System ausgetauschten Nachrichten zur Akte zu bringen (die wenigen im vorliegenden Verfahren bekannt gewordenen SIENA-Nachrichten wurden von der Verteidigung eingereicht und stammen mutmaßlich aus dem Ausland). Dadurch lässt sich etwa nicht überprüfen, ob es – was angesichts der SIENA-Nachricht vom 20. August 2020 naheliegt – Mitteilungen zu technischen Auffälligkeiten gab, die für die Bewertung der Chat-Nachrichten von Bedeutung sein könnten. Die ohnehin schon mit der französischen Geheimhaltung verbundene Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten wurde dadurch weiter vertieft; ein von Art. 7 Abs. 4 RL 2012/13 gedeckter Rechtfertigungsgrund ist dafür nicht ersichtlich. Auch das in dem BKA-Schreiben vom 13. Mai 2020 angekündigte Verschweigen wesentlicher Informationen gegenüber dem Ermittlungsrichter passt in diesen Zusammenhang, da die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Aufgabe des Ermittlungsrichters, die Ermittlungen eigenverantwortlich zu prüfen, unterlaufen wurde (vgl. zum Gebot der Aktenvollständigkeit im Ermittlungsverfahren BGH NStZ 2022, 561 f.). Insgesamt wurde damit in sämtlichen Verfahrensabschnitten eine unabhängige externe Überprüfung der Datengewinnung und -weiterverwendung verhindert.
All dies zusammen genommen dürfte in mehrfacher Hinsicht im Widerspruch zu den Wertungen der Art. 7 Abs. 2 RL 2012/13, Art. 47, 48 GRCh, Art. 6 Abs. 1 EMRK stehen und stellt die Fairness des Verfahrens in seiner Gesamtheit in Frage.
b) Die Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Regelung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen Unionsrecht wird weiter begrenzt durch den Grundsatz der Äquivalenz. Danach dürfen Verstöße gegen Unionsrecht nicht in geringerem Maße sanktioniert werden als vergleichbare Verstöße gegen innerstaatliches Recht (Urteil des Gerichtshofs vom 2. März 2021, aaO. Rn. 42).
Auch unter diesem Aspekt könnte man hier an ein zwingendes Verwertungsverbot denken. Denn nach dem deutschen Strafprozessrecht hätten bei einer Abhörmaßnahme sowohl der Verstoß gegen den Richtervorbehalt als auch der fehlende konkrete Verdacht einer Katalogtat jeweils die Unverwertbarkeit der Daten zur Folge. Es ist nicht ersichtlich, weshalb für vergleichbare Verstöße im Zusammenhang mit dem Erlass einer EEA etwas anderes gelten sollte.
c) Sofern sich demgegenüber aus dem Unionsrecht kein zwingendes Verwertungsverbot ergibt, kommt es nach dem deutschen Strafprozessrecht auf eine umfassende Interessenabwägung an. Der Bundesgerichtshof und die Obergerichte stellen maßgeblich auf das Gewicht der aufzuklärenden Straftaten ab und folgern daraus, dass das staatliche Strafverfolgungsinteresse gegenüber dem Individualschutz der betroffenen EncroChat-Nutzer den Vorrang genieße (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022, aaO. Rn. 36, 44, 57; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. November 2021 – 2 Ws 261/21 –, juris Rn. 33). Die Kammer hat Zweifel, ob diese Argumentation mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Der Gerichtshof hat mehrfach entschieden, dass das Ziel, schwere Straftaten zu bekämpfen, eine allgemeine unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung nicht rechtfertigen kann (Urteile vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net, aaO. Rn. 141, vom 2. März 2021, aaO. Rn. 50 und vom 5. April 2022, aaO. Rn. 65). Solche rechtswidrig anlasslos gespeicherten Vorratsdaten sind dem anschließenden Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auch dann entzogen, wenn sie im konkreten Fall der Aufklärung schwerer Taten dienen sollen. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – mit einiger Wahrscheinlichkeit von der Datenabschöpfung auch Berufsgeheimnisträger – wie etwa Rechtsanwälte und Journalisten – betroffen sind (vgl. zu diesen Gesichtspunkt Gerichtshof, Urteil vom 20. September 2022, Spacenet u.a. – C-793/19 u.a. –, juris Rn. 82) und auch Kommunikationsinhalte erfasst werden.
Zu dieser Wertung und dem Grundsatz der Effektivität könnte es im Widerspruch stehen, wenn ein Rechtsverstoß, der unmittelbar an den fehlenden Tatverdacht anknüpft, unter Verweis auf nachträgliche Erkenntnisse aus den rechtswidrig erlangten Daten ohne Sanktion bleibt. Die Kammer neigt danach zu der Ansicht, dass bei der Abwägung, ob ohne ausreichenden Tatverdacht erlangte Daten trotz des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 lit. a) und b) RL EEA verwertbar sind, das Gewicht der konkret in Rede stehenden Straftaten nur mit verringertem Gewicht berücksichtigt werden darf mit der Folge, dass bei einem Eingriff in hochrangige Grundrechte allein dieser Gesichtspunkt den Rechtsverstoß nicht aufwiegen und damit die Verwertung nicht rechtfertigen kann.
Vergleichbar lässt sich zu Art. 31 Abs. 1 RL EEA argumentieren: Die Schwere dieses Verstoßes ergibt sich maßgeblich daraus, dass das zuständige deutsche Gericht die Maßnahme wegen fehlenden Tatverdachts untersagt hätte. Auch hier erscheint es widersprüchlich und mit dem Grundsatz der Effektivität schwer zu vereinbaren, wenn bei der Abwägung dem Gewicht der nachträglich ermittelten Straftaten der Vorrang eingeräumt wird.
d) Hilfsweise entnimmt die Kammer den Entscheidungen des Gerichtshofs vom 10. April 2003 (Steffensen, aaO. Rn. Rn. 78 ff.), vom 2. März 2021 (aaO. Rn. 43) und vom 6. Oktober 2020 (La Quadrature du Net, aaO. Rn. 225) zumindest, dass ein grundrechtsrelevanter Verstoß gegen Unionsrecht nicht vollständig ohne Auswirkungen auf das nationale Strafverfahren bleiben darf. Danach gebietet es der Grundsatz der Effektivität nach dem Verständnis der Kammer jedenfalls, die Rechtsverstöße entweder bei der Beweiswürdigung oder als Milderungsgrund im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Behinderung der Verteidigung durch die fehlende Überprüfbarkeit der Datengewinnung wäre dabei insbesondere an einen geminderten Beweiswert zu denken mit der Folge, dass allein auf die Daten eine Verurteilung nicht gestützt werden darf (vgl. – zur vorenthaltenen Befragung von Zeugen – EGMR, Urteil vom 23. April 1997, van Mechelen u.a. vs. Niederlande, Tz. 56 ff.; BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2000 – 2 BvR 591/00 –, juris Rn. 44 m.w.N.). Auch die Ansicht des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 3. August 2022 – 5 StR 203/22 –, juris Rn. 19), der Verstoß gegen Art. 31 RL EEA dürfe nicht strafmildernd berücksichtigt werden, erscheint mit Blick auf den Effektivitätsgrundsatz problematisch.
Das LG Berlin hat entschieden, dass ein Mieter einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO gegen den Vermieter bei datenschutzwidriger Videoüberwachung des Innenhofs zusteht. Die Höhe richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Das LG Berlin hat entschieden, dass die Erhöhung der Abschläge durch einen Energieversorger vertragswidrig ist, wenn diese nicht auf einer wirksamen Preiserhöhung beruht..
Aus den Entscheidungsgründen: Die streitgegenständlichen geschäftlichen Handlungen der Beklagten sind im Sinne von § 8 Abs. 1 S. 1 UWG unzulässig. Für die Wiederholungsgefahr besteht aufgrund der von der Beklagten begangenen Handlungen jeweils eine tatsächliche Vermutung, die die Beklagte nicht durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung beseitigt hat.
1. Die mit den E-Mails vom 22.10.2022 und 23.10.2022 angekündigte Erhöhung der von ihren Kunden zu leistenden Abschlagszahlungen war gemäß § 3 UWG unzulässig, weil die Beklagte unlauter im Sinne von $ 5 Abs. 1(bis 28.05.2022: S. 1) UWG gehandelt hat. Unlauter handelt danach, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Gemäß § 5 Abs. 2 (bis 28.05.2022: S. 1) Nr. 2 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über den Anlass des Verkaufs wie das Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils, den Preis oder die Art und Weise, in der er berechnet wird, oder die Bedingungen, unter denen die Ware geliefert oder die Dienstleistung erbracht wird.
[…]
c) Die trotz einer nicht erfolgten Preiserhöhung und einer damit fehlenden Möglichkeit die Abschlagszahlungen versendeten E-Mails mit der Ankündigung, dies - vertragswidrig - zu tun, waren geeignet, die angeschrieben Kunden zu einer geschäftlichen Entscheidung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (§ 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG a.F.) zu veranlassen, die sie sonst nicht getroffen hätten. Es bestand die Gefahr, dass sie trotz einer fehlenden Verpflichtung hierzu den Einzug der höheren Abschlagszahlungen dulden würden. Die unwahre Angabe der Beklagten betraf im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 2 UWG die Bedingungen, unter denen der Strom geliefert wurde.
Das LG Berlin hat entschieden, dass die Preisanpassungsklauseln des Musikstreaminganbieters Spotifiy nach § 307 BGB unwirksam sind, da nur steigende Kosten und nicht sinkende Kosten an Kunden weitergegeben werden. Dies stellt - so das Gericht - auch bei Kündigungsmöglichkeit eine unangemessene Benachteiligung des Kunden dar.
Das LG Berlin hat entschieden, dass Werbung in einem Newsletter mit redaktionellen und werbenden Bestandteilen durch einen deutlichen Hinweis als Werbung gekennzeichnet werden muss. Hellgraue Schrift auf weißem Hintergrund reicht nicht. Die Wettbewerbszentrale war gegen einen Newsletterversender vorgegangen.