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OLG Köln: Ankerkraut gegen BUTCHER´s by Penny - Keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung der Wortfolge "Beef Booster" und keine wettbewerbswidrige Nachahmung

OLG Köln
Urteil vom 08.09.2023
6 U 39/23


Das OLG Köln hat im Rechtsstreit zwischen Ankerkraut und Penny wegen des Produkts "BUTCHER´s by Penny" entschieden, dass keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung der Wortfolge "Beef Booster" vorliegt. Zudem hat das Gericht auch wettbewerbsrechtliche Ansprüche abgelehnt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Klägerin steht kein Unterlassungsanspruch aus Markenrecht zu. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts wird Bezug genommen. Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 5, Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sind zwar insoweit erfüllt, als die Klägerin Inhaberin der u.a. für Gewürze und Gewürzmischungen eingetragenen und in Kraft stehenden Wortmarke „Beef Booster“ ist, der trotz der beschreibenden Anklänge eine zumindest geringe Kennzeichnungskraft zukommt, und die Beklagten bei der Trockenmarinade „BEEF BOOSTER“ ein mit der eingetragenen Marke identisches Zeichen für identische Ware verwendet haben. Es fehlt jedoch an der für die Feststellung einer Markenrechtsverletzung erforderlichen markenmäßigen Verwendung des geschützten Zeichens. Für die Beurteilung der - für einen Unterlassungsanspruch aus § 14 Abs. 5 MarkenG stets erforderlichen und unabhängig von der Kennzeichnungskraft der Marke zu prüfenden - markenmäßigen Benutzung kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalles an, auf die konkrete Aufmachung, in der die angegriffene Bezeichnung dem Publikum entgegentritt, unter Berücksichtigung der Kennzeichnungsgewohnheiten in dem maßgeblichen Warensektor. Dies trägt die Klägerin selbst in der Berufungsbegründung zutreffend vor. Insoweit kann sie aus Urteilen zu anderen Sachverhalten nichts zu ihren Gunsten herleiten. Weder die von ihr angeführte Entscheidung des OLG München (Urteil vom 17.11.2005, 29 U 1927/05: Verwechslungsgefahr zwischen der Wortmarke MEMORY und einem Zeichen mit den Wortbestandteilen EDUCA memory game für Legekartenspiele) noch die Entscheidung des Senats im Verfahren 6 U 203/08 (Urteil vom 20.05.2009: Verwechslungsgefahr zwischen der Wortmarke „Powermoon“ und der Bezeichnung „LED-LENSER V 13 Power Moon" für Beleuchtungsgeräte) sind in tatsächlicher Hinsicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Anders als in den vom OLG München bzw. dem Senat entschiedenen Fällen werden die Marke „BUTCHER´S by PENNY“ und die Bezeichnung „BEEF BOOSTER“ nicht in unmittelbaren Zusammenhang zueinander bzw. als ein Gesamtzeichen verwendet. Die von der Klägerin dafür, dass die Verwendung mehrere Marken zur Kennzeichnung eines Produktes eine weit verbreitete Praxis darstelle, angeführte Entscheidung des OLG Hamburg (Urteil vom 29.01.2009, 3 U 44/07) hat eine markenmäßige Verwendung von „Yoghurt Gums“ für Fruchtgummi mit Schaumzucker in der konkreten Aufmachung als rein beschreibend verneint. Entsprechendes gilt für den vorliegenden Fall. Aus der maßgeblichen Sicht des informierten Durschnittverbrauchers, die der Senat, dessen Mitglieder zum angesprochenen Verkehrskreis gehören, ohne weiteres selbst beurteilen kann, haben die Beklagten „BEEF BOOSTER“ in der angegriffenen Produktausstattung nicht herkunftshinweisend verwendet, sondern zur näheren Beschreibung des Produkts. Die Bezeichnung erfolgt weder an einer Stelle, an der der Verbraucher einen weiteren Herstellerhinweis erwartet, noch in einer Art und Weise, die auf eine markenmäßige Verwendung hindeutet. Die Herstellerangabe „BUTCHERS by Penny“ befindet sich hervorgehoben und als solche eindeutig erkennbar über der Produktangabe „TROCKENMARINADE“. Das angegriffene Zeichen befindet sich getrennt von der prominenten Herstellerangabe unter der ebenfalls groß hervorgehobenen Produktangabe in einem kleinen farbigen Feld. In einem solchen Feld erwartet der Verbraucher keine weitere Herstellerangabe, sondern eine nähere Angabe zur Sorte bzw. dem Verwendungszweck der Trockenmarinade. Dementsprechend fügt sich das angegriffene Zeichen nicht nur in die Produktlinie der Beklagten mit den drei weiteren Sorten-Bezeichnungen „CHICKEN BOOSTER“, „HOT CAJUN“ und „MAJIC DUST“ ein sondern entspricht letztlich auch der Kennzeichnungsgewohnheit der Klägerin selbst, die in einem Farbfeld unter der prominent hervorgehobenen Herstellerangabe „ANKERKRAUT“ die verschiedenen Geschmacksrichtungen bzw. Anwendungsbereiche wie „Rührei Kräuter“, „Chili-Pfeffer Salz“, „Pizza Gewürz“, „Omas Liebling“ pp. anführt er Vortrag der Klägerin, es entspreche den Kennzeichnungsgewohnheiten in der Gewürzmittelbranche, Dachmarken mit Untersorten zu führen, denen unterscheidungskräftige Untermarken/ Zweitmarken zugewiesen seien, ist nicht mit hinreichenden Tatsachen untermauert. Der Verweis auf rund zehn eigene Marken („Bang Boom Bang“, „Mango No. 5“, „Pull that Piggy“, „Smoking Zeus“, „Teufelskerl“, „Cherry Chipotle“, „SPIC KNOCKOUT“, „TERI AKI RUMBLE“, „TONKI-KONG“) sowie die Marken „just egg“ der Just Spice GmbH, „Sweet Tonka Kiss“ der Hartkorn Gewürzmühle GmbH und „Manina D Oro“ der Firma Edo Gewürze genügt für die Feststellung einer allgemeinen Gewohnheit nicht.

Soweit die Klägerin behauptet, ihre Marke erfreue sich so hoher Bekanntheit, dass der Verkehr das Zeichen als Unterscheidungsmittel auffasse, kann nicht festgestellt werden, dass die Klagemarke „Beef Booster“ überhaupt in nennenswertem Umfang für Gewürze / Gewürzmischungen verwendet wird, erst Recht nicht, dass sie eine hohe Bekanntheit genießt. Aus dem unlesbaren Screenshot Bl. 427 eA kann zu Gunsten der Klägerin nichts hergeleitet werden, und ihr Vortrag Bl. 427 f. eA zu 1.370 Kundenrezensionen sowie 300 Verkäufen im letzten Monat ist für Feststellungen zum tatsächlichen Absatz unzureichend. In keinem Fall folgt aus diesen geringen Mengen eine hohe Bekanntheit der Klagemarke.

Im Übrigen sind die Ausführungen des Landgerichts dazu, dass „Beef Booster“ auch von Mitbewerbern als Geschmacksangabe verwendet wird, nicht zu beanstanden. Die Richtigkeit dieses Vortrags der Beklagten wird durch die Anlagen Schmitt-Teworte (S-T) 31 und B6 („BEEF BOOSTER“ von BBQ / Aldi Süd), die Anlage B7 (Knorr Beef Booster) und die Anlage B8 (Beef Booster von Hanse & Pepper) belegt. Der Begriff „Booster“ wird im Gewürzbereich allgemein für Fleisch und Geflügel (Anl. B8: „FLEISCH BOOSTER“, „Steak Booster“, „BBQ BOOSTER“; Anl. S-T 9: „CHICKEN BOOSTER“), sonstige Produkte (Anl. B8: „BUTTER BOOSTER“) und sogar isoliert (Anl. B8: „Spice Booster“) verwendet.

2. Ein Unterlassungsanspruch folgt auch nicht aus § 8 Abs. 1 UWG. Die Parteien sind zwar Mitbewerber, die Klägerin also nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UGW klagebefugt, und der Vertrieb der angegriffenen Produkte durch die Beklagten stellt eine geschäftliche Handlung dar, diese ist jedoch mangels Unlauterkeit nicht nach § 3 UWG unzulässig. Keiner der von der Klägerin geltend gemachten Unlauterkeitstatbestände ist erfüllt. Es liegt weder eine unlautere Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG vor noch eine Herkunftstäuschung nach § 5 Abs. 2 UWG a.F. / § 5 Abs. 3 Nr. 1 UWG n.F.

a. Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, kann das Anbieten einer Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn das Produkt von wettbewerblicher Eigenart ist und besondere Umstände – wie eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft oder eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung des nachgeahmten Produktes – hinzutreten, aus denen die Unlauterkeit folgt. Dabei besteht zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen eine Wechselwirkung. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen (ständige Rechtsprechung, s. zuletzt z.B. BGH, Urteil vom 26.01.2023, I ZR 15/22 – KERRYGOLD, juris, Tz. 25).

Unter welchen Voraussetzungen wettbewerbliche Eigenart vorliegt, hat das Landgericht ebenfalls bereits zutreffend und umfassend dargelegt. Hierauf kann Bezug genommen werden. Einem verpackten Produkt kann wettbewerbliche Eigenart zukommen, wenn die konkrete Gestaltung oder bestimmte Merkmale der Verpackung des Produkts geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten der darin verpackten Ware hinzuweisen (BGH, Urteil vom 26.01.2023, I ZR 15/22 – KERRYGOLD, juris, Tz. 34). Dies kann der Senat, dessen Mitglieder zum angesprochenen Verkehrskreis der Verbraucher gehören, ohne weiteres selbst feststellen.

Die Produktverpackung der ANKERKRAUT-Traditionslinie ist von wettbewerblicher Eigenart, die aus der Kombination folgender Gestaltungsmerkmale folgt:

- handelsübliches Korkenglas (Gewürzglas), ca. 10 cm hoch, ca. 170 ml. Füllvolumen;

- Korken und Glas verbunden mit einem kreisförmigen Papiersiegel in der Grundfarbe Schwarz, im Durchmesser etwas kleiner als der Korken, mit zwei seitlichen Streifen, die über den Korken und den oberen Glasrand reichen, so dass das Glas nicht geöffnet werden kann, ohne das Siegel sichtbar zu beschädigen;

- rundes Ankerkraut-Logo (Anker mit Zusatz AK) in der Mitte des Papiersiegels auf farbigem Grund; Farbe entsprechend der im unteren Drittel des Etiketts

- rechteckiges Etikett auf der Schauseite, zweifarbig, oberes Drittel Schwarz, unteres Drittel meist Braunrosa;

- Etikett auf der Schauseite im oberen Drittel unter dem silbernen Ankerkraut-Logo beschriftet jeweils in Silber mit groß „ANKERKRAUT“ und darunter klein „GESCHMACKSMANUFAKTUR“, im unteren Drittel beschriftet jeweils in Schwarz in großer Schreibschrift mit der Geschmacksrichtung (z.B. „Bratkartoffel Gewürz“) und darunter in kleiner Druckschrift einer ergänzenden Charakterangabe (z.B. „WÜRZIG UND RUSTIKAL“);

- rechteckiges Etikett auf der Rückseite, überwiegend Schwarz, mit den Pflichtangaben pp. in silberner Druckschrift.

Besonders prägend für die wettbewerbliche Eigenart ist die Gestaltung des Etiketts auf der Schauseite, an dem sich der angesprochene Verbraucher bei Produkten des täglichen Bedarfs - und so auch hier - in erster Linie orientiert (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2000, I ZR 225/98 - Vienetta, juris, Tz. 30, 33). Die Verwendung eines Korkenglases für Gewürze ist eine als solche nicht schutzfähige gestalterische Grundidee. Dass ein Korkenglas gegen Öffnen vor dem Verkauf geschützt werden muss, liegt auf der Hand, so dass die Verwendung eines Papiersigels als einfache und preiswerte Lösung ebenfalls nicht monopolisiert werden darf.

Die wettbewerbliche Eigenart der Produktlinie der Klägerin ist von Hause aus als gering zu bewerten. Das zurückhaltend gestaltete Schauseiten-Etikett mit seinen Angaben zu der Herstellerin und dem Produkt hat letztlich einen rein beschreibenden Charakter, ebenso wie das handelsübliche Korkenglas. Solche Gläser werden regelmäßig für Gewürze verwendet. Dies entspricht der Lebenserfahrung und wird durch das von den Beklagten vorgelegte Produktumfeld belegt. Soweit die Klägerin erstmals in der Berufungsbegründung die Marktrelevanz des Produktumfeldes mit Nichtwissen bestreitet, ist ihr Vortrag als verspätet zurückzuweisen. Die Beklagten hatten bereits in der Klageerwiderung zur Marktbedeutung vorgetragen und insbesondere für die von Aldi, Lidl und der Altenburger Senf- und Feinkost GmbH & Co. (unter Senfonia Premium) veräußerten Produkte konkrete Verkaufszahlen dargelegt. Die Klägerin hat auf die Berufungserwiderung nicht repliziert und ist dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten. Im Übrigen haben die Beklagten für die von Aldi und Lidl vertriebenen Produkte mit der Berufungserwiderung Belege für erhebliche Verkaufszahlen in Deutschland von insgesamt über 1,5 Mio. Stück im Zeitraum 2020 bis 2022 vorgelegt (s. Anl. B6 für Aldi / BBQ, Anl. B4 für Lidl / Kania; Anl. B5 für Lidl / Grillmeister; das Aldi-Produkt Grillmeister ist ausweislich der Katalogabbildungen Bl. 218 ff. eA außerdem noch im April 2023 veräußert worden). Dass die streitbefangenen Gläser typischerweise für Gewürze verwendet werden, ergibt sich sogar aus dem von der Klägerin selbst angeführten Designpreis red dot award, den sie im Jahr 2014 für das Verpackungskonzept des sich in „klassischen Gewürzgläser(n)“ präsentierenden Sortiments erhalten hat. Dass der Produktausstattung von Hause aus durchschnittliche oder gar überdurchschnittliche wettbewerbliche Eigenart zukommt, folgt aus der Verleihung des Designpreises nicht. Die Begründung zur Preisverleihung stellt im Wesentlichen auf den „unverwechselbaren Namen Ankerkraut“ und den deutlichen Bezug zur Hafenmetropole Hamburg mit dem Logo eines Ankers als traditionelles Seefahrersymbol ab.

Mit dem Landgericht kann von einer Steigerung der wettbewerblichen Eigenart aufgrund der Bekanntheit der Marke „Ankerkraut“ durch die Fernsehsendung „Höhle der Löwen“ ausgegangen werden, jedenfalls in Verbindung mit den von der Klägerin vorgelegten Verkehrsbefragungen (Anlagen K6 bis K8), wobei dahinstehen kann, ob die Gutachten methodisch in jeder Hinsicht einwandfrei sind und/oder alleine für eine Feststellung der Steigerung ausreichend wären.

Dahinstehen kann auch, ob die wettbewerbliche Eigenart durch die von der Klägerin im März 2020 bzw. April 2021 ausdrücklich gebilligten Nachahmungen, die durch Lidl unter „Edle Gewürze … Kania“ (s. Anl. S-T 30) und Aldi unter „BBQ“ (s. Anl. S-T 31) vertrieben worden sind, und/oder die ebenfalls von Lidl unter „Grillmeister“ vertriebenen Gewürzmischungen und/oder das von der Klägerin lizensierte Produkt MOESTA

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wieder verwässert worden ist.

Selbst wenn von einer von Hause aus geringen und durch Verkehrsbekanntheit gesteigerten, mithin durchschnittlichen wettbewerblichen Eigenart ausgegangen würde, wären die allenfalls nachschaffenden Nachahmungen der Beklagten (dazu aa.) nicht zu beanstanden. Bei der nachschaffenden Nachahmung bedarf es nämlich ausgeprägter besonderer Begleitumstände, um von der Unlauterkeit ausgehen zu können (s. Wille in Büscher, UWG, 2. Aufl., § 4 Nr. 3 Rn. 61), an denen es hier fehlt (dazu bb. und cc.).

aa. Eine nahezu identische Nachahmung liegt vor, wenn das angebotene Produkt nur geringfügige, im Gesamteindruck unerhebliche Abweichungen von den die wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmales des Originalprodukts aufweist. Die sich gegenüberstehenden Produkte müssen ungeachtet kleinerer Abweichungen im Detail im Gesamteindruck einander so ähnlich sein, dass sie vom Verkehr praktisch nicht auseinandergehalten werden können. Eine nachschaffende Nachahmung liegt vor, wenn die fremde Leistung lediglich als Vorbild benutzt wird und eine bloße Annäherung an das Originalprodukt vorliegt. Dies ist der Fall, wenn das angebotene Produkt sich dem Originalprodukt in seinen die wettbewerbliche Eigenart begründenden Markmalen erkennbar annähert aber deutlich sichtbare Abweichungen im Gesamteindruck bestehen. Weisen die sich gegenüberstehenden Produkte allein in ihrer abstrakten Grundidee, aber nicht in ihrer diese umsetzenden konkreten Gesamterscheinung Übereinstimmungen auf, ist nicht einmal eine nachschaffende Nachahmung gegeben (s. Wille in Büscher, UWG, 2. Aufl., § 4 Nr. 3 Rn. 60 f.).

Im vorliegenden Fall nähern sich die Produktverpackungen der Parteien in erster Linie in der Grundidee der Verwendung eines handelsüblichen Korkenglases mit einer edel wirkenden Aufmachung (Siegel, schwarzes Etikett) an. In der konkreten Umsetzung dieser Grundidee finden sich dagegen so deutliche Unterschiede, dass im Erinnerungseindruck die Konkurrenzprodukte unverwechselbar sind. Insoweit liegt allenfalls eine nachschaffende Nachahmung vor.

Die wettbewerbliche Eigenart der Traditionslinie der Klägerin wird maßgeblich geprägt durch die zweifarbige Gestaltung des Etiketts auf der Schauseite und des Papiersiegels sowie dem bekannten, einprägsamen Namen Ankerkraut und das Ankerkraut-Logo. In diesen Elementen weicht die Produktausstattung der Beklagten deutlich vom Original ab. Die Beklagten verwenden für das Etikett bereits eine andere Grundform mit einer gerundeten Oberkante. Außerdem ist die Grundfarbe des Etiketts und des Siegels ausschließlich Schwarz. Das farbige untere Drittel der Etiketten der Klägerin findet eine allenfalls angedeutete Entsprechung in dem kleinen Farbfeld für die Geschmacksrichtung, wobei das Farbkonzept der Beklagten mit drei verschiedenen Farben für die drei Geschmacksrichtungen nicht dem der Klägerin mit ganz überwiegend einem Farbton entspricht. Die Papiersiegel sind jeweils mit den unverwechselbaren Logos der Parteien beschriftet. Auch die Marken ANKERKRAUT und BUTCHER´S by Penny sind einander in keiner Hinsicht ähnlich. Die Eigenmarke der Beklagten „BUTCHER´S by Penny“ ruft Assoziationen (nur) zum Fleischbereich hervor, das auf die Seefahrt verweisende Zeichen „Ankerkraut“ dagegen Assoziationen zu allen weltweit gehandelten Gewürzen für jedes erdenkliche Gericht. Schließlich fügt sich das angegriffene Design ohne weiteres in das sonstige unter „BUTCHER`S by Penny“ vertrieben Angebot der Beklagten ein. Die Beklagten vertreiben Hamburger-Zubehör (Patties, Brötchen, Fritten, Gewürze, Pommes-Salz), Steaks, Spare Ribs, Würstchen, Saucen etc. unter Verwendung der Grundfarbe Schwarz und des geschwungenen Butcher´s-Emblems mit kleinteiligen Zusätzen und der kleinen Abbildung eines Metzgers. Die entsprechenden typischen Gestaltungen der verschiedenen Produkte des breiten Sortiments folgt aus dem bindenden Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Seite 6 LGU) sowie den von den Beklagten zu Akte gereichten Unterlagen (Präsentation der Eigenmarke und der Produkte 2022, Anl. S-T 5 und S-T 6; Präsentation der Eigenmarke 2023, Anl. B 1). Die Wortmarke „BUTCHER´s by Penny“ ist seit 2017 eingetragen. Ihre aktuelle Verwendung u.a. auf den streitbefangenen Produkten entspricht im Gesamteindruck dem Design, in dem ausweislich der von den Beklagten vorgelegten Prospekte und Fotos aus dem Jahr 2017 (Anl. B 10 und B 11) bereits seit Jahren die Wort-Bildmarke der Beklagten BUTCHER´S Burger (Anl. B 2) verwendet worden ist.

Die Unterschiede in der Gestaltung treten nicht als geringfügig zurück, sondern führen zu einem abweichenden Gesamteindruck. Die Ausstattung der Klägerin wirkt in ihrer klaren Zweifarbigkeit und dem Bezug zur Seefahrt edel, puristisch und hanseatisch-weltoffen. Der Gesamteindruck der angegriffenen Produkte der Beklagten ist zwar auch hochwertig, dabei aber kleinteilig, bodenständig und westernmäßig-rustikal:

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Insgesamt nähern sich die Beklagten dem Produkt der Klägerin nicht dichter an als die von Aldi und Lidl unter „BBQ“ bzw. „Edle Gewürze … Kania“ und „Grillmeister“ vertriebenen Produkte:

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bb. Nach § 4 Nr. 3 lit. a) UWG handelt unlauter, wer Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt. Dabei ist zwischen einer unmittelbaren Herkunftstäuschung und einer mittelbaren Herkunftstäuschung zu unterscheiden. Eine unmittelbare Herkunftstäuschung liegt vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, bei der Nachahmung handele es sich um das Originalprodukt. Eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne liegt vor, wenn der Verkehr von geschäftlichen oder organisatorischen - wie lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen - Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgeht oder wenn er die Nachahmung für eine neue Serie oder ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers hält.

Soll die Annahme einer vermeidbaren Herkunftstäuschung mit dem Argument bejaht werden, die angesprochenen Verkehrskreise könnten annehmen, dass lizenzvertragliche Verbindungen zwischen dem Hersteller des Originalprodukts und dem Anbieter der Nachahmung bestehen, müssen bei einer deutlichen Kennzeichnung der Produkte mit einem abweichenden Herstellerkennzeichen - über die Nachahmung hinausgehende - Hinweise vorliegen, die diese Annahme rechtfertigen. Ein solcher Hinweis kann beispielsweise darin liegen, dass die Beklagte zuvor Originalprodukte der Klägerin vertrieben hat oder die Parteien früher einmal durch einen Lizenzvertrag verbunden waren. Sofern die Gefahr einer Herkunftstäuschung damit begründet werden soll, dass bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck erweckt werde, es handele sich bei dem Produkt des Wettbewerbers um eine neue Serie oder eine Zweitmarke des Unterlassungsgläubigers, müssen entsprechende Feststellungen zu den Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem in Rede stehenden Markt und zum Verständnis der von den Produkten angesprochenen Verkehrskreise getroffen werden (BGH, Urteil vom 26.01.2023, I ZR 15/22-KERRYGOLD, juris, Tz. 46).

(1) Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr ist bereits aufgrund der auf den Produkten deutlich aufgebrachten unterschiedlichen Kennzeichen ausgeschlossen. Nicht nur Herstellermarken, auch Handelsmarken/Eigenmarken schließen eine unmittelbare Herkunftstäuschung aus (vgl. BGH, Urteil vom – Knoblauchwürste, juris, Tz. 14). Der Ansicht der Klägerin, das Zeichen „by Penny“ gehe in der Gesamtgestaltung unter, kann nicht beigetreten werden. Der Zusatz ist unübersehbarer Teil der auf die streitbefangenen Produkte prominent angebrachten Eigenmarke der Beklagten zu 1.

(2) Eine mittelbare Herkunftstäuschung kommt vorliegend insoweit in Betracht, als es sich bei dem Kennzeichen der Beklagten erkennbar um eine Eigenmarke handelt. Bei Eigenmarken ist dem Verkehr bekannt, dass sich dahinter andere Hersteller verbergen können. Insoweit besteht jedenfalls im Ansatz die Möglichkeit, dass der angesprochenen Verbraucher von lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien ausgehen könnte. Dagegen gibt es keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Verbraucher könnte die Produkte der Beklagten als neue Produkte der Klägerin oder die Bezeichnung „BUTCHER´S by Penny“ für einer Zweitmarke der Klägerin halten.

Tatsächlich besteht aber auch keine Gefahr einer mittelbaren Herkunftstäuschung unter dem Gesichtspunkt des Anscheins möglicher lizenz- oder gesellschaftsvertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien. Gegen eine solche Annahme spricht bereits die Tatsache, dass die Klägerin bereits in zwei Fällen den Vertrieb mindestens so deutlicher Nachahmungen ihrer Produktlinie durch große Discounter (Aldi und Lidl) nicht nur toleriert, sondern sogar werbewirksam gutgeheißen hat. Der Verbraucher hat keine Veranlassung davon auszugehen, dass der Discounter Penny – anders als Aldi und Lidl – in einer vertraglichen Beziehung zur Klägerin steht. Außerdem fügt sich die angegriffene Produktaufmachung unverkennbar in die gesamte „BUTCHER´S by Penny“-Serie der Beklagten ein. Der Verbraucher hat keine Veranlassung, auf die Klägerin als mögliche Herstellerin der Gewürzmischungen zu schließen. Das Renommee und die besondere Unternehmensgeschichte legen eine vertragliche Zusammenarbeit mit Discountern nicht nahe, jedenfalls nicht in der Form, dass die Produkte unauffällig in die Eigenmarke eingegliedert werden. Beim Bestehen lizenz- oder gesellschaftsvertraglicher Beziehungen würde der Verbraucher vielmehr eine werbewirksame eindeutige Bezugnahme auf die Klägerin erwarten. Insgesamt betrachtet hält die angegriffene Produktausstattung einen so deutlichen Abstand zum Originalprodukt der Klägerin, dass unter Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen der wettbewerblichen Eigenart, dem Grad der Nachahmung und den besonderen wettbewerblichen Umständen der Vorwurf einer unlauteren Nachahmung nicht begründet ist.

cc. Eine unangemessene Rufausnutzung oder Rufbeeinträchtigung nach § 4 Nr. 3 lit. b) UWG liegt nicht vor, auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass das Produkt der Klägerin einen guten Ruf genießt. Bei durchschnittlicher wettbewerblicher Eigenart und einer allenfalls nachschaffenden Nachahmung gelten nach dem Grundsatz der Wechselwirkung relativ hohe Anforderungen an die Feststellung des Unlauterkeitstatbestandes. Besondere Begleitumstände, die hier ohne das Bestehen von Verwechslungsgefahr zu einer unlauteren Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung führen könnten, sind nicht dargetan. Der angesprochene Verkehr erkennt die Leistungsergebnisse der Parteien als das, was sie sind, nämlich als Konkurrenzprodukte. Dass / in welcher Hinsicht die Nachahmung im Wesentlichen nicht dieselbe Qualität aufweisen soll wie ihre Gewürzmischungen, hat die Klägerin überdies nicht schlüssig vorgetragen. Soweit die angegriffenen Produkte aufgrund der Verwendung von Korkengläsern, Papiersiegeln und schwarzen Etiketten Assoziationen an das Originalprodukt und insoweit Aufmerksamkeit erwecken mögen, genügt dies für eine Rufübertragung i.S.d. § 3 Nr. 3 lit. b) UWG nicht.

b. Aus § 5 Abs. 2 UWG a.F. / § 5 Abs. 3 Nr. 1 UWG n.F., wonach eine geschäftliche Handlung irreführend und insoweit unlauter sein kann, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorruft, können im vorliegenden Fall keine weitergehenden Rechte hergeleitet werden als aus § 4 Nr. 3 lit. a) UWG, § 14 MarkenG. Dies sieht auch die Klägerin selbst so. Eine irreführende Produktvermarktung als Sonderfall der Irreführung über die betriebliche Herkunft ist aus den o.a. Gründen nicht feststellbar.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Celle: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen die Marktverhaltensregel Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO durch Inverkehrbringen des Nahrungsergänzungsmittels "Cannabis-Öl"

OLG Celle
Beschluss vom 28.03.2023
13 U 67/22


Das OLG Celle hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die Marktverhaltensregel Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO durch Inverkehrbringen des Nahrungsergänzungsmittels "Cannabis-Öl" vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Kläger ist klagebefugt gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, was auch die Beklagte nicht in Abrede nimmt.

2. Der Kläger hat einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Abs. 3 Nr. 2 UWG, § 3 Abs. 1, § 3a i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO.

a) Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 3a Rn. 1.265, 1.271; bereits für die frühere Fassung der Novel-Food-VO: BGH GRUR 2015, 1140 [BGH 16.04.2015 - I ZR 27/14] Rn. 19).

b) Das Inverkehrbringen des Cannabis-Öls der Beklagten verstößt gegen Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO.

aa) Das Nahrungsergänzungsmittel der Beklagten ist ein neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 a) iv) Novel-Food-VO.

Nach dieser Bestimmung ist zunächst maßgeblich, ob das Lebensmittel vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde. Abzustellen ist dabei auf alle Merkmale des in Rede stehenden Lebensmittels und des hierfür verwendeten Herstellungsvorgangs (BGH, Urteil vom 16. April 2015 - I ZR 27/14, Rn. 21, Bohnengewächsextrakt, zu dem gleichen Tatbestandsmerkmal in der Vorgängerregelung, Art. 1 Abs. 2 VO (EG) 258/97). Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß Erwägungsgrund 17 der Novel-Food-VO Lebensmittel, die ausschließlich aus Lebensmittelzutaten hergestellt werden, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, insbesondere im Zuge einer Änderung der verwendeten Lebensmittelzutaten oder ihrer Anteile, nicht als neuartige Lebensmittel betrachtet werden sollen.

bb) Im Streitfall geht es um eine Kombination von Sesamöl und einem Hanfextrakt, der mit einem bestimmten Extraktionsverfahren hergestellt worden ist und Cannabidiol (CBD) enthält. Weil die Zutat Sesamöl als solche nicht neuartig ist, kommt es für die Beurteilung der Neuartigkeit des Cannabisöls auf den Hanfextrakt an.

Extraktion nennt man jedes Trennverfahren, bei dem mit Hilfe eines (festen, flüssigen oder gasförmigen) Extraktionsmittels eine oder mehrere Komponenten aus einem Stoffgemisch herausgelöst werden (vgl. Wikipedia). Maßgeblich für die Beurteilung der Neuartigkeit ist auch das von der Lieferantin der Beklagten für die Herstellung ihres Hanfextrakts konkret angewandte Extraktionsverfahren mit dem von ihr verwendeten spezifischen Extraktionsmittel. Denn von dem Extraktionsmittel hängt ab, welche Bestandteile herausgelöst werden.

Es ist davon auszugehen, dass der Hanfextrakt in dem von der Beklagten vertriebenen Cannabis-Öl vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde.

Diese Behauptung des Klägers hat die Beklagte nicht mit Substanz bestritten. Weil es sich um eine negative Tatsache handelt, trifft die Beklagte insoweit nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen eine sekundäre Darlegungslast (BGH, GRUR 2015, 1140 [BGH 16.04.2015 - I ZR 27/14] Rn. 22). Dieser ist die Beklagte nicht nachgekommen (s. nachfolgend Ziff. (1) und (2)).

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem - in der Vorgängerregelung noch nicht in dieser Form enthaltenen - Tatbestandsmerkmal "ausgenommen Fälle, in denen das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat" (Art. 3 Abs. 2 a) iv) eine einschränkende Bedeutung zukommen soll. In Betracht käme, dass Lebensmittel nicht als neuartig anzusehen sind, wenn sie vor dem Stichtag zwar nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden, aber trotzdem - etwa aufgrund regionaler Besonderheiten - in der Union Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel haben. Aber auch dies hat die Beklagte nicht dargetan.

(1) Das Landgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass es in der EU vor dem 15. Mai 1997 eine Verwendungsgeschichte für Produkte gegeben habe, die sich - wie das der Beklagten - aus Sesamöl und Hanfextrakt zusammensetzten. Auch für generell aus Hanfextrakt hergestellte Produkte habe sie eine Verwendungsgeschichte nicht dargelegt. Dass die Beklagte insoweit keinen Vortrag gehalten hat, steht gemäß § 314 ZPO fest. Die Beweiskraft des Tatbestandes gemäß § 314 ZPO erfasst auch diejenigen tatsächlichen Feststellungen, die in den Entscheidungsgründen enthalten sind und den Tatbestand insoweit ersetzen (BeckOK ZPO/Elzer, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 314 Rn. 8). Dem stünde nicht entgegen, wenn sich insoweit Vorbringen aus vorbereitenden Schriftsätzen der Beklagten ergäbe. Zwar wird in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils allgemein auf diese Schriftsätze Bezug genommen. Bei einem Widerspruch zwischen ausdrücklichen tatbestandlichen Feststellungen und dem allgemein in Bezug genommenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze geht der Tatbestand vor (BeckOK ZPO/Elzer, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 314 Rn. 27 mwN).

(2) Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte auch dann nicht ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen wäre, wenn Vorbringen aus ihren vorbereitenden Schriftsätzen berücksichtigt würde. Auch in den erstinstanzlichen Schriftsätzen der Beklagten ist nicht mit Substanz dargetan, dass das Lebensmittel der Beklagten oder der darin enthaltene Hanfextrakt vor dem Stichtag in der Union in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt wurde bzw. eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel hat. An den von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung genannten Fundstellen (Bl. 952 d.A.) hat sie vorgetragen, Blüten und Blätter von Cannabis sativa seien seit Jahrhunderten innerhalb der EU traditionell zum Verzehr verwendet worden. In gleicher Weise, wie Tee und Kaffee mit heißem Wasser als Extrakt hergestellt worden sei, seien auch Extrakte aus Cannabisblüten und -blättern zum Zwecke des Verzehrs hergestellt worden. Weiter hat sie vorgetragen, soweit ihr bekannt sei, sei der verwendete Hanfextrakt mit dem Extraktionsmittel Ethanol hergestellt worden (Bl. 446 d.A.). In einem italienischen Kochbuch aus dem 15. Jahrhundert finde sich ein Rezept, wonach man Hanfpflanzen in Öl aufgekocht und den Sud zum Verzehr verwendet habe (Bl. 447 d.A.). In Osteuropa sei in den 1970er und 80er Jahren Nutzhanf als Lebensmittelzutat verwendet worden, z.B. zur Herstellung von Hanftee oder beim Bierbrauen (Bl. 448 d.A.). Hanf werde bereits seit dem Jahr 400 in Deutschland angebaut (Bl. 534 d.A.). Die Nutzung von Ethanol als Extraktionsmittel für Lebensmittel und -zutaten sei ein übliches und zulässiges Verfahren (Bl. 609 d.A.).

Mit diesem Vortrag hat die Beklagte die sie treffende sekundäre Darlegungslast nicht erfüllt. Weder für das von ihr hergestellte Nahrungsergänzungsmittel, noch für den dabei verwendeten, im Wege der Ethanol-Extraktion hergestellten Hanfextrakt hat sie eine nennenswerte Nutzung als Lebensmittel vor dem maßgeblichen Stichtag vorgetragen. Der pauschale Vortrag zur jahrhundertelangen Verwendung von Hanf und die Verwendung zur Zubereitung von Tees und zum Bierbrauen genügen insoweit nicht. Es handelt sich nicht um die von der Beklagten verwendete Lebensmittelzutat, einen im Wege der Ethanol-Extraktion hergestellten Hanfextrakt. Darüber hinaus fehlte es selbst zu den von der Beklagten vorgetragenen - gänzlich anderen - Herstellungsmethoden (Aufkochen in Wasser oder Öl) an hinreichend konkretem Vortrag dazu, dass die Produkte in nennenswertem Umfang verzehrt wurden oder eine sichere Verwendungsgeschichte haben.

(3) Auch in der Berufungsbegründung hat die Beklagte hierzu keinen weiteren Tatsachenvortrag gehalten, sondern nur auf ihren "fragmentarischen" erstinstanzlichen Vortrag verwiesen.

(4) Ausweislich ihres Schriftsatzes vom 9. März 2023 meint die Beklagte, sie könne insoweit nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist noch weiteren berücksichtigungsfähigen Tatsachenvortrag halten (Bl. 975 d.A.). Dies trifft jedoch nicht zu (§ 520, § 530 ZPO). Wie die Beklagte selbst ausführt, konnte sie (spätestens) aus dem angefochtenen Urteil erkennen, dass sie hierzu hätte vortragen müssen.

Aus den vorstehenden Gründen kann der Kläger auch die Unterlassung der streitgegenständlichen Werbung verlangen. Denn es wird - unter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Lebensmittelinformations-VO - der unzutreffende Eindruck erweckt, es handele sich um ein verkehrsfähiges Lebensmittel.


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BGH legt EuGH vor: Zulässigkeit der Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben für pflanzliche Stoffe (Botanicals) nach der Health Claims-Verordnung

BGH
Beschluss vom 01.06.2023
I ZR 109/22
Botanicals
Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 Art. 10 Abs. 1 und 3, Art. 28 Abs. 5 und 6; Verordnung (EU) Nr. 432/2012 Erwägungsgründe 10 und 11; Verordnung (EU) Nr. 536/2013 Erwägungsgründe 4 und 5


Der BGH hat dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt, inwieweit die Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben für pflanzliche Stoffe (Botanicals) nach der Health Claims-Verordnung zulässig ist.

Leitsatz des BGH:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung der Art. 10 Abs. 1 und 3, Art. 28 Abs. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (ABl. L 404 vom 30. Dezember 2006, S. 9) in der zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 1047/2012 der Kommission vom 8. November 2012 (ABl. L 310 vom 9. November 2012, S. 36) geänderten Fassung sowie der Erwägungsgründe 10 und 11 der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 der Kommission vom 16. Mai 2012 zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern (ABl. L 136 vom 25. Mai 2012, S. 1) sowie der Erwägungsgründe 4 und 5 der Verordnung (EU) Nr. 536/2013 der Kommission vom 11. Juni 2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 (ABl. L 160 vom 12. Juni 2013, S. 4) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Darf für pflanzliche Stoffe ("Botanicals") mit gesundheitsbezogenen Angaben (Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006) bzw. mit Verweisen auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden (Art. 10 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006) geworben werden, ohne dass diese Angaben gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 der Verordnung aufgenommen sind (Art. 10 Abs. 1 der Verordnung) bzw. ohne dass diesen Verweisen eine in einer der Listen nach Art. 13 oder 14 der Verordnung enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist (Art. 10 Abs. 3 der Verordnung), solange die Bewertung der Behörde und die Prüfung der Kommission über die Aufnahme der zu "Botanicals" angemeldeten Angaben in die Gemeinschaftslisten gemäß Art. 13 und 14 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 noch nicht abgeschlossen sind ?

BGH, Beschluss vom 1. Juni 2023 - I ZR 109/22 - OLG Hamburg - LG Hamburg

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LG Berlin: Werbung für Nahrungsergänzungsmittel mit "Anti-Kater" oder "Anti-Hangover" ist ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 7 LMIV

LG Berlin
Urteil vom 09.11.2022
97 O 106/21


Das LG Berlin hat entschieden, dass die Werbung für Nahrungsergänzungsmittel mit "Anti-Kater" oder "Anti-Hangover" einen wettbewerbswidrigen Verstoß gegen Art. 7 LMIV darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Kläger stehen wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche aus §§ 3, 3a UWG iVm Art. 7 Abs. 3, 4 a) LMIV gegen die Beklagte zu, weil die tenorierten Äußerungen innerhalb der streitgegenständlichen Werbung der Anlage K 3 in jedem Fall krankheitsbezogen sind.

Gemäß Art. 7 Abs. 3, 4 a) LMIV dürfen Informationen über ein Lebensmittel diesem auch in der Werbung keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen. Das von der Beklagten beworbene Produkt ist ein Lebensmittel im Sinne der LMIV.

Der Begriff „Krankheit“ ist unionsrechtlich nicht definiert, weshalb auf die durch nationale Rechtsprechung entwickelte Definition zurückzugreifen ist. Krankheit gemäß Art. 7 LMIV ist nach der Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur jede, also auch eine geringfügige oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder normalen Tätigkeit des Körpers (vgl. BGH NJW 1966, 393, 396 f.; Voit/Grube, LMIV, 2. Auflage, Art. 7 Rdnr. 292). Die durch § 12 LFGB bzw. Art. 7 LMIV als Nachfolgevorschrift verbotene Bezugnahme auf eine bestimmte Krankheit kann auch indirekt durch Hinweise auf Körperzustände oder Wirkungen des Lebensmittels, die beim Verbraucher Assoziationen zu bestimmten Krankheiten auslösen, geschehen (vgl. Wehlau, LFGB, § 12 Rdnr. 31). Krankheitssymptome fallen jedenfalls dann in den Anwendungsbereich der Vorschrift, wenn ein mittelbarer Bezug zu einer bestimmten Krankheit hergestellt und nicht nur ein bloßer Hinweis auf die gesundheitsfördernde Wirkung abgegeben wird (vgl. OLG Karlsruhe BeckRS 2017, 140106 Tz. 23 f.). Die jeweiligen Werbeangaben sind in ihrem Gesamtzusammenhang zu würdigen, weil sie Bestandteile einer jeweils einheitlichen Werbung sind, die als geschlossene Botschaft erscheint. Vor diesem Hintergrund ist jede der beanstandeten Aussagen im Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt zu bewerten (vgl. Kammergericht, Urteil vom 25. April 2018 - 5 U 82/17 -).

Die streitgegenständlichen Aussagen weisen in ihrem von der Beklagten gestalteten Umfeld zweifellos Krankheitsbezug auf, sie wecken entgegen ihrer Auffassung beim Interessenten ihres Produkts nicht die Erwartung einer üblichen Schwankung des körperlichen Wohlbefindens. Dies folgt neben der ersten streitgegenständlichen Werbeaussage aus dem vorangestellten „Anti-“ in den nachfolgenden beiden, die zusammen mit dem weiteren Text der Anlage K 3 jedem Interessenten verdeutlichen, er könne soviel trinken, wie er wolle, die damit verbundenen zwangsläufigen, bekannten und meist schwerwiegenden Folgen träten nicht ein. Ein derartiger, durch erheblichen Alkoholkonsum hervorgerufener Zustand, den es zu verhindern gelte, weicht stets von dem üblichen Auf und Ab der Gesundheit im Laufe eines Tages ab und erfüllt selbst bei einer unterstellten, von der Beklagten befürworteten teleologischen Auslegung der Vorschrift den Krankheitsbegriff. In ihrem Werbetext spricht die Beklagte von einer „langen Partynacht“, in der man sich „keine Gedanken um den Morgen danach machen“ müsse. Das Produkt helfe, „lebenswichtige Nährstoffe wiederherzustellen und am nächsten Tag ohne Kopfschmerzen aufzuwachen. Seien Sie sorgloser ... Denn so ist der gefürchtete Morgen danach Schnee von gestern...“. U. a. mit „Kopfschmerzen“ und „gefürchtete Morgen danach“ spricht die Beklagte unmissverständlich Folgen an, die der Interessent stets als Störung der normalen Beschaffenheit des Körpers in diesem Werbeumfeld ansieht.

Einer Entscheidung der von der Beklagten aufgeworfenen Frage, ob die jeweiligen Begriffe „Kater“ und/oder „Hangover“ für sich bereits für eine Krankheit im Sinne des Art. 7 Abs. 3 LMIV stehen, bedarf es dementsprechend nicht, wobei dies von der Rechtsprechung unter Würdigung auch der hiesigen Argumente der Beklagten soweit ersichtlich allgemein bejaht wird (vgl. insbesondere OLG Frankfurt GRUR 2019, 1300 Tz. 23 bis 34).


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BVerwG: Süßwarenhersteller müssen nach der LMIV Füllgewicht und Stückzahl bei vorverpackten Süßwaren angeben - dies gilt auch für einzeln verpackte Bonbons

BVerwG
Urteil vom 09.03.2023
3 C 15.21


Das BVerwG hat entschieden, dass Süßwarenhersteller nach der LMIV Füllgeweicht und Stückzahl bei vorverpackten Süßwaren angeben müssen und dies auch für einzeln verpackte Bonbons gilt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Pflicht zur Angabe von Gewicht und Stückzahl bei vorverpackten Süßwaren

Auf der zum Verkauf bestimmten Verpackung eines Lebensmittels, in der sich mehrere Einzelpackungen befinden, müssen nach der EU-Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) auch dann sowohl das Füllgewicht als auch die Anzahl der enthaltenen Einzelpackungen angegeben werden, wenn es sich bei den Einzelpackungen um kleinteilige Einzelstücke - wie etwa einzeln umwickelte Bonbons - handelt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Klägerin bringt die von ihr hergestellten Bonbons und Schokoladen-Spezialitäten unter anderem in Beuteln in den Verkehr, in denen sich mehrere einzeln mit Bonbonpapier umwickelte oder auf ähnliche Weise umhüllte Stücke befinden. Bei einer amtlichen Kontrolle stellte das Landesamt für Mess- und Eichwesen des beklagten Landes Rheinland-Pfalz fest, dass auf mehreren der auf diese Weise im Handel angebotenen Produkte zwar das Gesamtgewicht der Süßigkeiten angegeben war, nicht hingegen die Zahl der enthaltenen Stücke. Es bemängelte das Fehlen der Angabe und leitete gegen einen Mitarbeiter der Klägerin ein Ordnungswidrigkeitenverfahren ein. Die Klägerin wandte sich daraufhin an das Verwaltungsgericht mit dem Antrag festzustellen, dass sie nicht gegen die maßgeblichen Regelungen der LMIV verstoße, wenn sie bestimmte Produkte ihres Sortiments ohne Angabe der Zahl der enthaltenen Stücke in den Handel bringe. Die Klage blieb erfolglos; die hiergegen eingelegte Berufung wies das Oberverwaltungsgericht zurück.


Auch die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Nach Art. 23 Abs. 1 und 3 i.V.m. Anhang IX Nr. 4 LMIV sind auf einer Vorverpackung, die aus zwei oder mehr Einzelpackungen besteht, die nicht als Verkaufseinheiten anzusehen sind, die Gesamtnettofüllmenge und die Gesamtzahl der Einzelpackungen anzugeben. Die Produkte der Klägerin unterfallen dieser Vorschrift. Für ihre Annahme, die Vorschrift sei auf Vorverpackungen nicht anzuwenden, die kleinere, einzeln verpackte Stücke enthalten, findet sich im maßgeblichen Unionsrecht kein Anhaltspunkt. Die Pflicht zur Angabe der Anzahl der in der Verpackung enthaltenen Stücke greift nicht unverhältnismäßig in die Grundrechte der Lebensmittelunternehmer ein. Die Angabe hat für die Verbraucherinnen und Verbraucher einen zusätzlichen Informationswert und fördert den durch die LMIV verfolgten Zweck, sie bei ihrer Kaufentscheidung in die Lage zu versetzen, das für ihre Bedürfnisse passende Lebensmittel auszuwählen. Durch diese Pflicht werden die Lebensmittelunternehmer nicht unangemessen belastet. Insbesondere ist es ihnen nach den zugrunde zu legenden Feststellungen des Berufungsgerichts auch angesichts produktionsbedingter Schwankungen des Gewichts der Einzelstücke möglich, Gesamtgewicht und Stückzahl so anzugeben, dass sie nicht gegen die Vorschriften über die maximal zulässigen Füllmengenabweichungen verstoßen.

BVerwG 3 C 15.21 - Urteil vom 09. März 2023

Vorinstanzen:

OVG Koblenz, OVG 6 A 10695/21 - Urteil vom 02. November 2021 -

VG Koblenz, VG 2 K 511/20.KO - Urteil vom 28. April 2021 -



OLG Frankfurt: Marke "Terra Greca" wird nach dem Verkehrsverständnis in Deutschland von einem Durchschnittsverbraucher nicht rein beschreibend verstanden

OLG Frankfurt
Urteil vom 17.11.2022
6 U 277/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Marke "Terra Greca" nach dem Verkehrsverständnis in Deutschland von einem Durchschnittsverbraucher nicht rein beschreibend für ein Produkt aus Griechenland verstanden wird.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche wegen unberechtigter Abnehmerverwarnung aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB oder einem anderen Rechtsgrund zu. Die Abmahnung gegenüber der A GmbH & Co. KG (Anlage K19) war wegen einer begangenen Markenverletzung berechtigt.

a) An der geschäftlichen Verwendung und der markenmäßigen Benutzung des auf der Nudel-Verpackung angebrachten Wort-/Bilds-Zeichens "Terra Greca“ bestehen keine Zweifel.

b) Zwischen der Unionsbildmarke „Terra Greca“ der Beklagten und dem von der A GmbH & Co. KG verwendeten Wort-/Bildzeichen „Terra Greca“ besteht Verwechslungsgefahr (Art. 9 Abs. 2 b UMV).

aa) Es ist eine zumindest geringe Warenähnlichkeit gegeben. Von absoluter Warenunähnlichkeit kann entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht ausgegangen werden.

(1) Warenähnlichkeit ist anzunehmen, wenn die sich die gegenüberstehenden Waren unter Berücksichtigung insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben Unternehmen oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rn 65 - OBELIX/MOBILIX; BGH GRUR 2015, 176, 177Rn 16 - ZOOM). Mit anderen Worten geht es darum, ob die beteiligten Verkehrskreise davon ausgehen, beide Warenarten könnten von ein- und demselben Unternehmen hergestellt und angeboten werden (BeckOK UMV/Büscher/Kochendörfer, 26. Ed. 15.8.2022, UMV Art. 8 Rn 42). Von einer absoluten Warenunähnlichkeit kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Annahme einer Verwechslungsgefahr trotz (unterstellter) Identität der Marken wegen des Abstands der Waren von vornherein ausgeschlossen ist (BGH a.a.O. Rn 17 - ZOOM).

(2) Vorliegend kommt es auf Beklagtenseite auf die im Warenverzeichnis der prioritätsälteren Marke eingetragenen Waren an. Die Marke ist für folgende Waren der Klasse 29 eingetragen:

„Fleisch; Molkereiprodukte und deren Ersatzprodukte; Natürliche oder künstliche Wursthäute; Nicht lebende Fische, Meeresfrüchte und Weichtiere; Speiseöle und -fette; Suppen und Brühen, Fleischextrakte; Verarbeitetes Obst und Gemüse [einschließlich Nüsse, Hülsenfrüchte] sowie verarbeitete Pilze; Vogeleier und Eierprodukte; Zubereitete Insekten und Larven.“

Auf Klägerseite ist maßgeblich, für welche Waren das angegriffene Zeichen tatsächlich verwendet wurde. Es kommt - anders als im amtlichen Widerspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren - nicht auf einen Registervergleich mit den im Warenverzeichnis für die jüngere Marke der Klägerin eingetragenen Waren an. Die Beklagte machte mit ihrer Abmahnung einen Unterlassungsanspruch gegenüber einer konkreten Benutzungshandlung des Zeichens durch eine Abnehmerin der Klägerin geltend (Anlage K19). Maßgeblich ist daher die konkrete Verletzungsform, die mit der Abmahnung angegriffen wurde und die Gegenstand des Unterlassungsantrags ist. Das angegriffene Zeichen ist auf der Vorder- und Rückseite einer in einem X-Markt erworbenen Packung Nudeln (Sorte: Penne) aufgebracht. Auf die weiteren Produkte, für die die jüngere Marke eingetragen ist, kommt es nicht an.

(3) Eine Ähnlichkeit wird vorliegend nicht schon dadurch begründet, dass sich die gegenüberstehenden Waren unter den weiten Warenoberbegriff der „Lebensmittel“ fassen lassen. Denn nach den Erfahrungen des Verkehrs werden ganz unterschiedliche Lebensmittel üblicherweise nicht von den gleichen Unternehmen, sondern von spezialisierten Unternehmen für bestimmte Lebensmittelbereiche produziert. So bestehen z.B. keine Ähnlichkeiten zwischen „alkoholischen Getränken“ und „Heilwässern“ (BPatG, Beschluss vom 28.6.2021 - 26 W (pat) 511/18, Rn 75, juris). Allerdings gibt es keine strikte Trennung zwischen jedem einzelnen Nahrungsmittel. Es bestehen vielfach Überschneidungen von Lebensmittelarten, die nach den Erfahrungen des Verkehrs aus demselben Unternehmen stammen können. Das betrifft z.B. „feine Backwaren“, zu denen neben Mehlen, Müsliprodukten und Brot auch Nudeln und Tortillas rechnen können (BPatG, Beschluss vom 19.1.2010 - 27 W (pat) 189/09, Rn 34 - Mami/MAMA). Nicht entscheidend ist auch, ob sich die gegenüberstehenden Waren unter den gemeinsamen Oberbegriff der „mediterranen Produkte“ fassen lassen. Die im Warenverzeichnis der älteren Marke eingetragenen Waren (z.B. Fleisch- und Molkereiprodukte) lassen ohne nähere Angaben nicht auf eine mediterrane Herkunft schließen. Es kommt entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht darauf an, dass Nudeln und die von der älteren Marke beanspruchten Waren im Warenverzeichnis unter benachbarte Klassen (29 bzw. 30) fallen. Die Klasseneinteilung dient Verwaltungszwecken und ist bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit nicht zu berücksichtigen (Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, 13. Aufl., § 9 Rn 94).

(4) Es entspricht den Erfahrungen des Verkehrs als Durchschnittsverbraucher, der regelmäßig in Supermärkten einkauft, dass Teigwaren wie Nudeln auch von Unternehmen vertrieben werden, die gleichzeitig Zutaten für Nudelgerichte wie Speiseöle oder Suppen, für die die ältere Marke eingetragen ist, im Angebot haben (z.B. Y, B, C etc.). Dies kann der Senat, dessen Mitglieder zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören, aus eigener Sachkunde beurteilen. Es handelt sich um einander ergänzende Waren. Insbesondere im Konserven- und Fertiggerichtbereich sind Überschneidungen zwischen diesen Produkten gang und gäbe. Zudem haben einige namhafte Herstellungsbetriebe unter derselben Marke sowohl Teigwaren als auch Soßen dazu im Angebot (vgl. dazu auch BPatG, Beschluss vom 31.3.2004 - 32 W (pat) 43/03, Rn 21 - Maggi/MARTI). Warum dies heute anders sein soll, hat die Klägerin nicht plausibel dargelegt. Der Verkehr schließt daher nicht aus, dass auch Speiseöle und Suppen einerseits und Nudeln andererseits von demselben Unternehmen stammen können. Es ist damit zumindest von einer geringen Warenähnlichkeit auszugehen.

(5) Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Auffassung vertreten hat, der Senat sei an einer eigenen Feststellung des Verkehrsverständnisses gehindert, weil das von der Klägerin vorgetragene Verkehrsverständnis unwidersprochen geblieben sei, trifft dies nicht zu. Die Beklagte hat das von der Klägerin behauptete Verkehrsverständnis bereits mit ihrer Klageerwiderung vom 23.8.20212 bestritten (Bl. 114 d.A.).

bb) Es ist mangels abweichender Anhaltspunkte eine durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der älteren Wort-/Bildmarke „Terra Greca“ von Haus aus anzunehmen. Die Marke weist einen Bildbestandteil auf, der die Produkte des Warenverzeichnisses nicht beschreibt, sowie den Wortbestandteil „Terra Greca“. Eine originäre Kennzeichenschwäche des Wortbestandteils kann nicht festgestellt werden. Das gilt auch dann, wenn man von beschreibenden Bezügen im Hinblick auf die mögliche Herkunft der gekennzeichneten Produkte ausgeht. Eine glatt beschreibende Bedeutung ist jedenfalls nicht ersichtlich (vgl. unten). Insgesamt bildet die Wortkombination ein prägnantes, schlagwortartiges Kennzeichen, das als „sprechende“ Marke über durchschnittliche Kennzeichnungskraft verfügt. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Schwächung der originären Kennzeichnungskraft durch Drittzeichen bestehen nicht. Der Umstand, dass es einige Lebensmittelmarken mit dem Bestandteil „terra“ gibt, reicht dafür - angesichts der unüberschaubaren Vielzahl von Lebensmittelmarken - nicht aus (vgl. Anlage K11).

cc) Die gegenüberstehenden Zeichen sind in klanglicher Hinsicht identisch. Der Gesamteindruck sowohl der älteren Marke als auch der Gesamteindruck des angegriffenen Kombinationszeichens werden durch ihren Wortbestandteil geprägt. Dies folgt aus dem Erfahrungssatz, wonach sich der Verkehr für die Aussprache eines Zeichens erfahrungsgemäß an der einfachsten Benennungsmöglichkeit orientiert (EuGH BeckRS 2013, 81259 Rn 20 - MILRAM/RAM; EuG GRUR Int. 2010, 722 Rn 43 - Golden Eagle; BGH GRUR 2008, 903Rn 25 - SIERRA ANTIGUO; OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2021, 273Rn 35 - ALFALIQUID/ALPA TOBACCO). Eine Ausnahme gilt nur bei besonders markanten Bildbestandteilen, wenn gleichzeitig der Wortbestandteil kennzeichnungsschwach ist. Entgegen der Ansicht des Landgerichts liegt ein solcher Ausnahmefall hier nicht vor. Die grafischen Elemente erschöpfen sich zwar - in beiden Zeichen - nicht in völlig nichtssagenden Verzierungen, sondern sind markant. Der Wortbestandteil ist jedoch weder glatt beschreibend noch besonders kennzeichnungsschwach. Die Marken werden daher phonetisch vom Wortbestandteil dominiert. Für die Zeichenähnlichkeit genügt die Ähnlichkeit in einer Wahrnehmungsrichtung (BGH GRUR 2011, 824 Rn 26 - KAPPA). Unterschiede in den Bildbestandteilen spielen daher keine entscheidende Rolle.

(1) Zunächst kommt es nicht darauf an, ob „Terra Greca“ als Unionswortmarke schutzfähig wäre, insbesondere über die notwendige Unterscheidungskraft verfügen würde. Dies wäre schon dann zu verneinen, wenn dem Begriff nach Auffassung des Verkehrs in einem der über 20 verschiedenen Sprachgebiete der Europäischen Union ein glatt beschreibender Gehalt zugemessen werden würde. Das ist für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr nicht maßgeblich, weil diese Beurteilung - anders als die Beurteilung der Schutzfähigkeit als Unionsmarke - je nach Sprachgebiet unterschiedlich ausfallen und ggf. zu territorial begrenzten Verboten führen kann (vgl. EuGH GRUR 2011, 518 Rn 48 - DHL/Chronopost; EuGH EuZW 2016, 906 - combit; Kochendörfer GRUR 2016, 778, 779). Im streitgegenständlichen, auf Deutschland bezogenen Kollisionsfall kommt es allein darauf an, welche Bestandteile den Gesamteindruck der Wort-/Bildmarke nach dem Verkehrsverständnis in Deutschland prägen. Denn die Abmahnung zielte auf ein Verbot in der Bundesrepublik Deutschland ab (vgl. Anlage K19).

(2) Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann nicht angenommen werden, dass der Durchschnittsverbraucher den Begriff „Terra Greca“ zutreffend mit „griechischer Erde“ oder „aus griechischer Erde“ übersetzt. Hierfür sind Fremdsprachkenntnisse erforderlich, die über den Horizont des Durchschnittsverbrauchers, der im Regelfall nur den englischen Grundwortschatz beherrscht (vgl. BGH GRUR 2012, 1040 Rn 30 - pjur/pure; BGH GRUR 2015, 173 Rn 18 - for you), hinausgehen. Auch sonst erschließt sich die Wortbedeutung nicht ohne weiteres. Selbst wenn der Verkehr aber die Wortkombination zutreffend übersetzen würde, kann jedenfalls ein glatt beschreibender Gehalt nicht festgestellt werden. Der Verkehr wird „griechische Erde“ zwar als Hinweis auf die örtliche Herkunft der gekennzeichneten Lebensmittel verstehen. Der Herkunftsort (Griechenland) wird dabei aber nicht unmittelbar bezeichnet, sondern subtil umschrieben. Dem Wortbestandteil kann daher die Kennzeichnungskraft nicht abgesprochen werden. Zwischen den Zeichen besteht damit eine hohe klangliche Ähnlichkeit.

dd) Nach Abwägung aller Umstände ist die Verwechslungsgefahr zu bejahen. Zwar liegt nur eine geringe Warenähnlichkeit, jedoch eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft und eine überdurchschnittliche Zeichenähnlichkeit vor.

2. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte auch keine Ansprüche wegen unberechtigter Abnehmerverwarnung im Hinblick auf die in der Abmahnung erwähnten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche zu. Auf UWG-Ansprüche war die Abmahnung ersichtlich nur hilfsweise gestützt. Dies ergibt sich auch aus der vorformulierten Unterlassungserklärung, die auf ein markenrechtliches Verbot abzielt und nicht kumulativ eine Unterlassung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen fordert. Da eine Markenverletzung tatsächlich gegeben war, kommt es auf die subsidiär geltend gemachten Ansprüche nicht an.

3. Da die Abmahnung berechtigt war, stehen der Klägerin auch nicht die geltend gemachten Folgeansprüche auf Auskunft und Erstattung von Rechtsverfolgungskosten zu.


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OLG Hamm: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 HCVO durch Werbeaussage "Volle Power für Ihr Immunsystem" in unmittelbarer Nähe zu Produkten

OLG Hamm
Urteil vom 11.08.2022
4 U 81/21


Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 HCVO durch Platzierung der Werbeaussage "Volle Power für Ihr Immunsystem" in unmittelbarer Nähe zu Produkten vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der erstinstanzlich zuerkannte Unterlassungsanspruch steht dem Kläger jedenfalls aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. §§ 3 Abs. 1, 3a UWG, Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (nachfolgend: HCVO) zu.

a) Der Kläger ist nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aktivlegitimiert.

b) Bei Art. 10 HCVO handelt es sich um eine Marktverhaltensregel i. S. v. § 3a UWG (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 12 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

c) Das Landgericht hat ferner zutreffend festgestellt, dass die Beklagte mit der streitgegenständlichen Werbung gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO verstoßen hat.

Gem. Art. 10 Abs. 1 HCVO sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im vorliegenden Kapitel entsprechen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind.

aa) Der Anwendungsbereich der HCVO ist eröffnet. Bei den neben bzw. unmittelbar unter der streitgegenständlichen Überschrift nebst Grafik abgebildeten Produkten handelt es sich um Lebensmittel i. S. d. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und damit auch um ein Lebensmittel i. S. d. HCVO (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) HCVO). Auch nach Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2002/46/EG über Nahrungsergänzungsmittel gelten Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel (vgl. Senatsurteil vom 24.02.2015 – 4 U 72/14, Rn. 81, zit. nach juris).

bb) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Abbildung auf dem sog. „Slider“ um gesundheitsbezogene Angaben i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 HCVO und nicht lediglich einen grafisch besonders veranschaulichten bzw. hervorgehobenen „Themenwegweiser“ handelt.

(1) Auch zur Überzeugung des Senats handelt es sich bei der beanstandeten Darstellung um eine nicht obligatorische Aussage bzw. Darstellung, die insbesondere durch das grafische Element einer diversen Krankheitserregern entgegengestreckten Hand symbolhaft zum Ausdruck bringt, dass die unmittelbar darunter abgebildeten Produkte der Beklagten besondere Eigenschaften besitzen, nämlich eine die körpereigene Immunabwehr zumindest stärkende Wirkung (Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 HCVO).

Zu den Angaben im vorgenannten Sinne zählen alle in der Etikettierung oder – wie hier – Bewerbung von Lebensmitteln in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebrachten – nicht obligatorischen – Aussagen oder Darstellungen, die bei einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher den Eindruck hervorrufen können, ein bestimmtes Lebensmittel besitze besondere Eigenschaften (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2015 – I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 17 mwN., zit. nach juris – Lernstark). Dies ist – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – vorliegend der Fall.

Insbesondere handelt es sich bei der angegriffenen Darstellung um eine produktbezogene Werbung der Beklagten und nicht lediglich um eine allgemeine „Themenüberschrift“ oder einen „Wegweiser“ i. S. bspw. eines bestimmten Menüpunktes auf einer Navigationsleiste des Internetauftritts der Beklagten. Zutreffend weist der Kläger in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sowohl die Grafik als auch die Überschrift „Volle Power für Ihr Immunsystem“ im unmittelbaren Zusammenhang mit der bildlichen Darstellung konkreter Produkte der Beklagten stehen.

Anders als bei einer mit einem Menüpunkt auf einer Navigationsleiste vergleichbaren „Themenüberschrift“ oder einem „Wegweiser“ befand sich die angegriffene Darstellung – wie die Beklagte mit außergerichtlichem Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 16.04.2020 selbst eingeräumt hat – auf der Startseite ihres Internetauftritts www.A.de direkt unterhalb der Menüleiste auf einem sog. „Slider“, auf dem – wie den Mitgliedern des schwerpunktmäßig mit Streitigkeiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes befassten Senats hinreichend bekannt ist – typischerweise (tages-)aktuelle Werbung verbunden mit Links zu den entsprechenden Produkten eingeblendet wird und sich mittels eines Klicks auf einen der beiden Pfeile am rechten und linken Bildrand aus dem Blickfeld des Betrachters verschieben lässt bzw. nach einer bestimmten vorgegebenen Zeit selbst zugunsten einer anderen Werbeanzeige verschiebt. Der Senat geht hierbei zudem davon aus, dass die angegriffene Werbung durchaus im Zusammenhang mit dem damaligen Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 zu sehen ist, wenn es hierauf auch weder entscheidungserheblich ankommt noch die Pandemie in der Anzeige explizit erwähnt wird.

(2) Zu Recht hat das Landgericht ferner festgestellt, dass es sich um gesundheitsbezogene Angaben i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO handelt.

(a) Nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO ist eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne dieser Verordnung jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Der Begriff „Zusammenhang“ ist dabei weit zu verstehen. Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ erfasst daher jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert. Die Frage, ob eine Aussage auf das gesundheitliche Wohlbefinden abzielt, ist anhand der in Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 HCVO aufgeführten Fallgruppen zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 19 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

(b) Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei der beanstandeten Überschrift „Volle Power für Ihr Immunsystem“ nebst nebenstehender Grafik um gesundheitsbezogene Angaben, weil hierdurch aus Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht lediglich im Sinne einer „Themenüberschrift“ die Funktion der körpereigenen Immunabwehr abstrakt dargestellt, sondern wegen der unmittelbar darunter abgebildeten und – wie bereits vorstehend ausgeführt – damit zugleich konkret beworbenen Produkte der Beklagten ein Zusammenhang zwischen der Einnahme eben dieser von der Beklagten vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel einerseits und der Gesundheit andererseits suggeriert wird. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Darstellung wie vorliegend für die Annahme eines Zusammenhangs genügt, der eine Verbesserung des Gesundheitszustandes dank des Verzehrs des Produktes impliziert.

Die Werbeaussage zielt dabei auch auf eine der Fallgruppen der Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 HCVO ab, nämlich Art. 13 Abs. 1 lit. a) HCVO. Hierzu gehören insbesondere das Wachstum, die Entwicklung und sämtliche sonstigen Körperfunktionen. Nach dieser allgemeinen und weitgefassten Umschreibung gehören auch die Funktion des körpereigenen Immunsystems zum Gesundheitsbegriff der HCVO. Hiervon geht auch der Verordnungsgeber der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 aus, der Angaben über die „normale Funktion des Immunsystems“ zu den gesundheitsbezogenen Angaben i. S. d. HCVO rechnet. Nichts anderes kann für die – lediglich etwas „reißerischer“ formulierte und zudem grafisch verdeutlichte – Aussage der Beklagten über „Volle Power für Ihr Immunsystem“ gelten (vgl. Senatsurteil vom 24.02.2015 – 4 U 72/14, Rn. 82, zit. nach juris).

cc) Nach den zutreffenden und – soweit ersichtlich – mit der Berufung auch nicht angegriffenen weiteren Feststellungen des Landgerichts liegt ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO letztlich schon deshalb vor, weil die in der beanstandeten Werbung enthaltenen Angaben nicht mit zugelassenen Angaben inhaltsgleich sind, da sie nicht erkennen lassen, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben aufgeführten Nährstoffe, Substanzen, Lebensmittel oder Lebensmittelkategorien die behauptete Wirkung der „Vollen Power für Ihr Immunsystem“ beruht.

(1) In der im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 enthaltenen Liste der zugelassenen Angaben ist jeweils eine bestimmte Wirkung in Beziehung zu einem bestimmten Nährstoff, einer bestimmten Substanz, einem bestimmten Lebensmittel oder einer bestimmten Lebensmittelkategorie gesetzt. Eine gesundheitsbezogene Angabe, die nicht erkennen lässt, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 aufgeführten Nährstoffen, Substanzen, Lebensmitteln oder Lebensmittelkategorien die behauptete Wirkung eines Produkts beruht, ist daher mit den zugelassenen Angaben nicht inhaltsgleich und somit unzulässig. Das ergibt sich auch aus dem Zweck der Verordnung, sicherzustellen, dass gesundheitsbezogene Angaben wahrheitsgemäß, klar, verlässlich und für den Verbraucher hilfreich sind (Erwägungsgrund 9 Satz 1 der Verordnung). Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn die verwendete Angabe und die zugelassene Angabe auf den gleichen Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem Lebensmittelbestandteil und einer bestimmten Wirkung auf die Gesundheit hinweisen (vgl. Erwägungsgrund 9 Satz 3 der Verordnung). Die Annahme einer inhaltlichen Übereinstimmung zwischen zugelassener und verwendeter Angabe setzt daher voraus, dass die zugelassene Angabe und die verwendete Angabe hinsichtlich des Nährstoffs oder der anderen Substanz oder des Lebensmittels oder der Lebensmittelkategorie, für die die Angabe zugelassen wurde bzw. verwendet wird, übereinstimmen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 34 f. mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

(2) Die in der beanstandeten Werbung enthaltene pauschale Angabe „Volle Power für Ihr Immunsystm“ in Verbindung mit der grafischen Darstellung eines in Abwehrhaltung befindlichen Menschen, der sich gegen unterschiedliche Krankheitserreger zur Wehr setzt, genügt diesen Anforderungen nicht. In der beanstandeten Werbeaussage ist keiner derjenigen Nährstoffe genannt, für den nach der im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 enthaltenen Liste die Angabe zugelassen ist, dass er „zu einer normalen Funktion des Immunsystems beiträgt“. Die bloße Angabe einer bestimmten Wirkung ohne Benennung des Nährstoffs, der Substanz, des Lebensmittels oder der Lebensmittelkategorie, auf der diese Wirkung nach der Liste der zugelassenen Angaben beruht, ist mit der zugelassenen Angabe aber nicht inhaltsgleich und daher unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 36 f. mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

d) Der Verstoß gegen die vorgenannte Marktverhaltensregel ist – wie das Landgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat – letztlich auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar i. S. v. § 3a UWG zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 12 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OVG Münster: Ein als "Geflügel Salami" bezeichnetes Produkt darf kein Schweinefleisch bzw. keinen Schweinespeck enthalten

OVG Münster
Beschuss vom 15.08.2022
9 A 517/20


Das OVG Münster hat entschieden, dass ein als "Geflügel Salami" bezeichnetes Produkt kein Schweinefleisch bzw. keinen Schweinespeck enthalten darf.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Bezeichnung „Geflügel Salami“ irreführend bei Schweinespeck als Zutat

Die Bezeichnung „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite einer fertigverpackten Sa­lami, die neben Putenfleisch auch Schweinespeck enthält, ist irreführend, weil dadurch der falsche Eindruck erweckt wird, die Salami enthalte ausschließlich Geflü­gel. Dies hat das Oberverwaltungsgericht mit heute versandtem Beschluss vom 15.08.2022 in einem Fall aus dem Kreis Gütersloh ent­schieden und damit im Ergeb­nis ein Urteil des Verwaltungsgerichts Minden bestätigt.

Die Klägerin ist ein Unternehmen mit Sitz im Kreis Gütersloh, das Fleischerzeugnisse herstellt und bundesweit über den Einzelhandel vertreibt, unter anderem die streitge­genständliche Salami. Auf der Vorderseite der Folienverpackung befindet sich die An­gabe „Geflügel Salami“. Auf der Rückseite der Verpackung steht unter der fettge­druckten Bezeichnung „Geflügel Salami“ in kleinerer Schrift „mit Schweinespeck“, im Zutatenverzeichnis ist nach Putenfleisch Schweinespeck aufgeführt. Ferner wird dort angegeben, dass 100 g Salami aus 124 g Putenfleisch und 13 g Schweinespeck her­gestellt werden. Der Kreis Gütersloh als für die Lebensmittelüberwachung zuständige Behörde sah in der Bezeichnung bzw. Aufmachung des Produkts einen Verstoß ge­gen die Lebensmittelinformationsverordnung, wonach Informationen über Lebensmit­tel nicht irreführend sein dürfen. Die Klage des Unternehmens auf Feststellung, dass das Produkt „Geflügel Salami“ nicht gegen das lebensmittelrechtliche Irreführungs­verbot verstößt, blieb beim Verwaltungsgericht Minden ohne Erfolg. Den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung begründete die Klägerin unter ande­rem damit, eine Verbrauchererwartung, wonach die Salami ausschließlich Geflügel enthalte, bestehe nur bei der Bezeichnung als „rein Geflügel“. Bei der „Geflügel Sa­lami“ werde nur Ge­flügelfleisch verwendet, nicht aber Fleisch anderer Tierarten. Schweinespeck sei kein Fleisch, sondern werde als verkehrsübliche, technologisch erforderliche Fettquelle verwendet und von den Verbrauchern als Zutat bei der Her­stellung einer Salami er­wartet.

Dem folgte das Oberverwal­tungsgericht nicht und lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Zur Begründung hat der 9. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die Angabe „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite der Verpackung lässt beim Verbrau­cher einen falschen Eindruck in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels ent­stehen, nämlich dass die Salami ausschließlich Geflügel und nicht auch Schwein ent­hält. Die Verbrauchererwartung bezieht sich dabei auf alle Teile vom Schwein. Der falsche Eindruck, die Geflügelsalami enthalte keine Bestand­teile vom Schwein, wird auch durch die Angaben auf der Rückseite der Verpackung zur Verwendung (auch) von Schweinespeck nicht berichtigt. Die Verbrauchererwar­tung wird unter Berück­sichtigung der Aufmachung des Produkts insgesamt maßgeb­lich durch die Angabe „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite der Verpackung beein­flusst.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: 9 A 517/20 (I. Instanz: VG Minden 7 K 9935/17)



EuGH: Schäumende Badekugeln - Vertriebsverbot für kosmetische Mittel, die mit Lebensmitteln verwechselt werden können und bei Verzehr gesundheitsschädlich sind, zulässig

EuGH
Urteil vom 02.06.2022
C-122/21
Get Fresh Cosmetics gegen Valstybinė vartotojų teisių apsaugos tarnyba


Der EuGH hat entschieden, dass eine Vertriebsverbot für kosmetische Mittel (hier: schäumende Badekugeln), die mit Lebensmitteln verwechselt werden können und bei Verzehr gesundheitsschädlich sind, zulässig ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Schäumende Badekugeln: Die Mitgliedstaaten können den Vertrieb von kosmetischen Mitteln, die wegen ihres Erscheinungsbildes mit Lebensmitteln verwechselt werden und Gefahren für die Gesundheit nach sich ziehen können, unter bestimmten Voraussetzungen einschränken

Das Interesse am Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucher kann in bestimmten Fällen dem Recht auf Vermarktung bestimmter kosmetischer Mittel vorgehen GET Fresh Cosmetics Limited vermarktet bestimmte kosmetische Mittel in Litauen über eine Website. Die litauischen Behörden führten eine Kontrolle durch und waren der Ansicht, dass einige dieser Erzeugnisse, nämlich verschiedene Arten von Badekugeln, das Erscheinungsbild von Lebensmitteln hätten, für Verbraucher und
insbesondere Kinder mit der Gefahr einer Vergiftung verbunden seien und die Sicherheit der Verbraucher gefährdeten. Sie ordneten an, dass Get Fresh Cosmetics sie vom Markt nehmen muss.

Das Oberste Verwaltungsgericht von Litauen, das mit dem Rechtsstreit zwischen Get Fresh Cosmetics und den litauischen Behörden in dieser Sache in letzter Instanz befasst ist, ersucht den Gerichtshof um Erläuterungen zur Auslegung der Richtlinie 87/3571 , um zu ermitteln, ob durch objektive und belegte Daten nachgewiesen werden muss, dass es mit Risiken für die Gesundheit oder die Sicherheit verbunden sein kann, wenn Erzeugnisse in den Mund genommen werden, die zwar keine Lebensmittel sind, aber das Erscheinungsbild von Lebensmitteln haben.

Mit seinem Urteil von heute weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Richtlinie 87/357 für Erzeugnisse gilt, deren tatsächliche Beschaffenheit nicht erkennbar ist und die die Sicherheit oder die Gesundheit der Verbraucher gefährden.

Er führt weiter aus, dass diese Richtlinie ihrem Wortlaut nach Erzeugnisse betrifft, die die Sicherheit oder die Gesundheit der Verbraucher gefährden und die zwar keine Lebensmittel sind, aber das Erscheinungsbild von Lebensmitteln haben, und deren Einnahme mit Risiken wie der Gefahr des Erstickens, der Vergiftung, der Perforation oder des Verschlusses des Verdauungskanals verbunden ist. Der Gerichtshof betont aber, dass der Wortlaut dieser Bestimmungen keine Vermutung der Gefährlichkeit von Erzeugnissen, die mit Lebensmitteln verwechselt werden können, einführt.

Der Gerichtshof erläutert, dass die Richtlinie 87/357 das Verbot der Vermarktung, der Einfuhr, der Herstellung oder der Ausfuhr bestimmter Erzeugnisse vorsieht, wenn vier kumulative Voraussetzungen erfüllt sind, die durch Art. 1 dieser Richtlinie vorgeschrieben werden: Erstens muss es sich bei dem Erzeugnis um ein Nicht-Lebensmittel handeln, das die Form, den Geruch, die Farbe, das Aussehen, die Aufmachung, die Etikettierung, das Volumen oder die Größe eines Lebensmittels hat. Zweitens müssen die vorstehend genannten Merkmale so beschaffen sein, dass vorhersehbar ist, dass Verbraucher, insbesondere Kinder, das Erzeugnis mit einem Lebensmittel verwechseln.

Drittens muss vorhersehbar sein, dass Verbraucher das Erzeugnis deshalb zum Mund führen, lutschen oder schlucken. Viertens muss es mit Risiken wie der Gefahr des Erstickens, der Vergiftung, der Perforation oder des Verschlusses des Verdauungskanals verbunden sein können, wenn dieses Erzeugnis zum Mund geführt, gelutscht oder geschluckt wird.
Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass die Richtlinie 87/357 keine Bestimmung enthält, die eine Vermutung der
Gefährlichkeit von Erzeugnissen, deren tatsächliche Beschaffenheit nicht erkennbar ist, und insbesondere auch

keine Vermutung darüber einführt, dass es mit solchen Risiken verbunden ist, wenn solche Erzeugnisse zum Mund geführt, gelutscht oder geschluckt werden, sondern dass der Unionsgesetzgeber in Bezug auf diese letzte Voraussetzung im Gegenteil verlangt, dass diese Risiken im Einzelfall beurteilt werden.

Der Gerichtshof führt sodann aus, dass eine solche Vermutung der Tatsache zuwiderlaufen würde, dass die Richtlinie 87/357 kein Verbot der Vermarktung von Erzeugnissen auferlegt, die mit Lebensmitteln verwechselt werden können, sondern Behinderungen des freien Warenverkehrs beseitigen soll, die sich aus den nationalen Vorschriften über solche Erzeugnisse ergeben, und gleichzeitig den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucher sicherstellen soll.

Im Übrigen sind die nationalen Behörden verpflichtet, die objektiven Merkmale der betreffenden Erzeugnisse in jedem Einzelfall zu prüfen, um zu ermitteln, ob die vier durch Art. 1 der Richtlinie 87/357 auferlegten Voraussetzungen erfüllt sind, was den Erlass einer Entscheidung über ein Verbot der Vermarktung dieser Erzeugnisse rechtfertigen würde.

Der Gerichtshof hebt außerdem hervor, dass die nationalen Behörden bei dieser Beurteilung die Verletzlichkeit der spezifischen Personen- und Verbrauchergruppen zu berücksichtigen haben, darunter insbesondere von Kindern. Die Bestimmungen der Richtlinie 87/357 verpflichten die nationalen Behörden jedoch nicht, durch objektive und belegte Daten nachzuweisen, dass Erzeugnisse, die das Erscheinungsbild von Lebensmitteln haben, mit Lebensmitteln verwechselt werden können oder dass die Gefahren für die Gesundheit und die Sicherheit, die diese Verwechslung nach sich ziehen kann, erwiesen sind.

Somit ist der Gerichtshof der Ansicht, dass das Unionsrecht es nicht erlaubt, das Erfordernis festzulegen, die Gewissheit, dass sich solche Gefahren verwirklichen werden, nachzuweisen, da dadurch kein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem freien Warenverkehr und dem Verbraucherschutz gewährleistet würde.

Tenor der Entscheidung:
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 87/357/EWG des Rates vom 25. Juni 1987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Erzeugnisse, deren tatsächliche Beschaffenheit nicht erkennbar ist und die die Gesundheit oder die Sicherheit der Verbraucher gefährden ist dahin auszulegen, dass es nicht erforderlich ist, durch objektive und belegte Daten nachzuweisen, dass es mit Risiken wie der Gefahr des Erstickens, der Vergiftung, der Perforation oder des Verschlusses des Verdauungskanals verbunden sein kann, wenn Erzeugnisse zum Mund geführt, gelutscht oder geschluckt werden, die zwar keine Lebensmittel sind, bei denen jedoch aufgrund ihrer Form, ihres Geruchs, ihrer Farbe, ihres Aussehens, ihrer Aufmachung, ihrer Etikettierung, ihres Volumens oder ihrer Größe vorhersehbar ist, dass sie von den Verbrauchern, insbesondere von Kindern, mit Lebensmitteln verwechselt werden und deshalb zum Mund geführt, gelutscht oder geschluckt werden. Die zuständigen nationalen Behörden müssen jedoch im Einzelfall prüfen, ob ein Erzeugnis die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt, und begründen, warum dies der Fall ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




BGH: Bei Verletzung einer Informationspflicht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation ist die Unlauterkeit allein nach § 5a Abs. 2 und 4 UWG und nicht § 3a UWG zu beurteilen

BGH
Urteil vom 07.04.2022
I ZR 143/19
Knuspermüsli II
UWG § 3a, § 5a Abs. 2 Satz 1, Abs. 4; Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2, Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2


Der BGH hat entschieden, dass bei Verletzung einer Informationspflicht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation die Unlauterkeit allein nach § 5a Abs. 2 und 4 UWG und nicht nach § 3a UWG zu beurteilen ist.

Leitsätze des BGH:
a) In Fällen der Verletzung einer Informationspflicht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation ist die Unlauterkeit allein nach § 5a Abs. 2 und 4 UWG und nicht nach § 3a UWG zu beurteilen (Aufgabe von BGH, Urteil vom 31. Oktober 2013 - I ZR 139/12, GRUR 2014, 576 Rn. 15 = WRP 2014, 689 - 2 Flaschen GRATIS; Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 10. Februar 2022 - I ZR 38/21, GRUR 2022, 500 [juris Rn. 60 bis 66] = WRP 2022, 452 - Zufriedenheitsgarantie).

b) Die Gewährung einer Aufbrauchfrist setzt voraus, dass dem Schuldner eines Unterlassungsanspruchs durch ein sofort mit der Zustellung des Titels uneingeschränkt zu beachtendes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstehen und die Belange sowohl des Gläubigers als auch der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung des Wettbewerbsverstoßes nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. In der danach erforderlichen Interessenabwägung kann sich zu Lasten des Schuldners auswirken, dass er sich aufgrund einer Verurteilung in den Vorinstanzen oder aufgrund des Verlaufs des Revisionsverfahrens, etwa wegen einer vom Senat veranlassten Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, auf einen für ihn ungünstigen Ausgang des Revisionsverfahrens einstellen konnte und musste (Fortführung von BGH, Urteil vom 16. November 1973 - I ZR 98/72, GRUR 1974, 474, 476 [juris Rn. 23] = WRP 1974, 85 - Großhandelshaus; Urteil vom 24. September 2013 - I ZR 89/12, GRUR 2013, 1254 Rn. 44 = WRP 2013, 1596 - Matratzen Factory Outlet; Urteil vom 10. Mai 2016 - X ZR 114/13, GRUR 2016, 1031 Rn. 42 - Wärmetauscher).

BGH, Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 143/19 - OLG Hamm - LG Bielefeld

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Celle: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit "Eier von nachweislich salmonellenfreien Hühnern" wenn nur alle 2 Wochen ein Salmonellentest durchgeführt wird

OLG Celle
Urteil vom 11.11.2021
13 U 84/20


Das OLG Celle hat entschieden, eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit "Eier von nachweislich salmonellenfreien Hühnern" vorliegt, wenn tatsächlich nur alle 2 Wochen ein Salmonellentest durchgeführt wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Der Kläger hat insoweit einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3, § 3a UWG i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) bzw. § 5 Abs. 1 UWG, weil die Angabe „Eier von nachweislich salmonellenfreien Hühnern“ eine irreführende Information über die Eigenschafften der verkauften Bio-Eier darstellte.

a) Die Aktivlegitimation des Klägers gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ist gegeben. Sie steht auch nicht im Streit.

b) Die beanstandete Angabe „Eier von nachweislich salmonellenfreien Hühnern“ verstieß gegen eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG, weil sie eine irreführende Information über die in Verkehr gebrachten Eier gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV darstellte und mithin gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB verboten ist.

aa) Das vom Landgericht zugrunde gelegte Verständnis dieser Angabe ist zutreffend.

(1) Abzustellen ist auf den durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher, der der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 39. Aufl. 2021, UWG § 5 Rn. 1.76, mwN). Das Verbraucherleitbild des deutschen Lauterkeitsrechts entspricht dem des europäischen Rechts (aaO, mwN). Bei geringwertigen Gegenständen des täglichen Bedarfs ist die Aufmerksamkeit des Verbrauchers regelmäßig eher gering, so dass er die Werbung eher flüchtig zur Kenntnis nehmen wird (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2017 – I ZR 78/16 –, Rn. 27, juris).

Das Verbraucherverständnis kann der Senat, dessen Mitglieder zu den angesprochenen Verbrauchern zählen, aus eigener Sachkunde feststellen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht veranlasst.

(2) Die angesprochenen Verbraucher verstehen die Angabe dahin, dass die Eier, die sich in dem abgepackten Karton mit der streitgegenständlichen Angabe befinden, von Hühnern stammen, deren Salmonellenfreiheit zum Zeitpunkt des Eierlegens oder aber jedenfalls vor dem Inverkehrbringen der Eier durch die Beklagte jeweils durch einen entsprechenden Test nachgewiesen ist. Dieses Verständnis entspricht dem Wortlaut der Angabe. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Angabe sich nicht auf dem vorgedruckten Etikett befindet, sondern auf dem jeweils individuell hergestellten Etikett, dass die Packstelle mit dem jeweiligen Packdatum und einem Barcode ausweist. Dies bestärkt die schon durch den Wortlaut bedingte Vorstellung, dass diejenigen Hühner, die die in dem Karton befindlichen Eier gelegt haben, nachweislich salmonellenfrei sind. Für den Verbraucher bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich tatsächlich nur um regelmäßige - zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Verstoßes zweiwöchentliche - Salmonellentests handelt, bei der auch nicht die einzelnen Hühner, sondern Ausscheidungen aus der Herde getestet werden. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Vorbringen der Beklagten, dass eine solche Testung der einzelnen Hühner unmöglich zu realisieren sei und dies den Verbrauchern bekannt sei. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten hat der durchschnittlich informierte Verbraucher keine konkreten Kenntnisse darüber, welche Testverfahren in Bezug auf Salmonellen bei der Eierproduktion eingesetzt werden. Der Verbraucher wird sich daher auch - zumal in der konkreten Verkaufssituation im Lebensmittelgeschäft - keine Gedanken darüber machen, ob das Versprechen der Beklagten unrealistisch sein könnte und ihre Aussage daher in einem eingeschränkten, vom Wortlaut abweichenden Sinn gemeint sein könnte.

bb) Das Verständnis, das der durchschnittliche Verbraucher demnach von der beanstandete Aussage hat, stimmt nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen überein. Unstreitig war bei dem Inverkehrbringen der Eier - der Auslieferung an die Lebensmittelhändler - nicht durch einen Test nachgewiesen, dass die jeweiligen Hühner salmonellenfrei waren, als sie die in dem Karton befindlichen Eier legten.

Die Beklagte testet nach ihrem eigenen Vorbringen nicht die einzelnen Hühner zum Zeitpunkt des Eierlegens oder des Inverkehrbringens der Eier, sondern lediglich den Bestand in regelmäßigen Intervallen, zum Zeitpunkt der Produktion der streitgegenständlichen Bio-Eier zweiwöchentlich. Dabei erfolge die Beprobung nach Maßgabe der EU-Verordnung Nr. 517/2011.

Nach Nr. 2.2.1 b) des Anhangs zu dieser Verordnung wird die Beprobung wie folgt durchgeführt:

„In Scheunen- oder Bodenhaltungsställen sind zwei Paar Stiefelüberzieher oder Socken für die Probenahme zu verwenden.

Die verwendeten Stiefelüberzieher müssen aus saugfähigem Material bestehen, damit sie Feuchtigkeit aufnehmen können. Die Oberfläche des Stiefelüberziehers muss mit einem geeigneten Verdünnungsmittel befeuchtet werden.

Die Proben müssen im Rahmen einer Begehung so entnommen werden, dass sie für alle Teile des Stalls oder des entsprechenden Bereichs repräsentativ sind. Begangen werden auch Bereiche mit Einstreu oder Latten, falls diese sicher begehbar sind. Alle gesonderten Buchten eines Stalls müssen in die Beprobung einbezogen werden. Am Ende der Beprobung des gewählten Bereichs müssen die Stiefelüberzieher vorsichtig abgenommen werden, damit sich daran haftendes Material nicht löst.“

Mit dieser im Zweiwochenturnus durchgeführten Testmethode war bei dem Inverkehrbringen der Eier nicht nachgewiesen, dass jedes Huhn beim Legen eines Eies salmonellenfrei war.

Selbst wenn die einzelnen Hühner zum Nachweis ihrer Salmonellenfreiheit getestet würden, kann bei einem zweiwöchentlichen Testturnus nicht ausgeschlossen werden, dass Hühner zwischen zwei Testungen infiziert wurden und das zweite Testergebnis bei dem Inverkehrbringen der Eier noch nicht vorlag. Dies ergibt sich schon daraus, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten in ihrem nachgelassenen Schriftsatz die Eier in dem geschilderten Fall schon sechs Tage nach dem Legen ausgeliefert wurden und zwischen der Weiterleitung der Folgeprobe an das Labor und der Mitteilung des Testergebnisses drei Tage vergingen.

Darüber hinaus wird durch eine negative Testung der Herde aber auch nicht nachgewiesen, dass alle Hühner zum Testzeitpunkt salmonellenfrei waren. Durch die Entnahme „repräsentativer“ Proben soll eine Ausbreitung von Salmonelleninfektionen im Bestand entdeckt werden; sie ist ersichtlich nicht darauf ausgerichtet, die Salmonellenfreiheit jedes einzelnen Huhns nachzuweisen. Die Beklagte geht auch selbst nicht davon aus, dass eine Salmonelleninfektion einzelner Hühner, zu der es - unstreitig - trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bei freilaufenden Hühnern, insbesondere durch den Kontakt mit infizierten Wildvögeln, kommen kann, bei einem Test der Herde sofort entdeckt werden würde. Vielmehr trägt sie vor, wenn trotz negativer Testung der Herde einzelne Hühner unentdeckt mit Salmonellen infiziert sein sollten, würde sich die Infektion in den Folgewochen so stark im Bestand ausbreiten, bis ein Großteil oder alle Hühner der Herde infiziert seien, sodass spätestens „bei einer der Folgetestungen“ die Salmonelleninfektion zwangsläufig aufgedeckt würde (Bl. 150 d.A.).

Es mag sehr unwahrscheinlich sein, dass trotz der getroffenen Vorsichtsmaßnahmen Hühner zum Zeitpunkt des Eierlegens von Salmonellen befallen sind, obwohl die regelmäßigen Bestandstests negativ waren. Diese Schlussfolgerung ändert jedoch nichts daran, dass die Aussage, die Salmonellenfreiheit der einzelnen Hühner, die die Eier in der Packung gelegt haben, sei nachgewiesen, nicht zutrifft. Aus Sicht des Verbrauchers besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dieser plakativen und für ihn sehr eingängigen Werbeaussage und der von der Beklagten gezogenen Schlussfolgerung, dass eine unentdeckte Salmonelleninfektion von Hühnern sehr unwahrscheinlich sei, weil sie Schutzmaßnahmen gegen den Eintrag von Salmonellen treffe und alle zwei Wochen repräsentative Proben aus dem Stall der Herde getestet würden.

Einer Irreführung steht es entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht entgegen, dass der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. auf der von ihm betriebenen Internetseite lebensmittelklarheit.de, davon ausgeht, dass die Werbung zulässig sei (https://www.lebensmittelklarheit.de/forum/werbung-mit-salmonellenfreien-huehnern, Anlage B 4) . Diese Einschätzung beruht nicht auf einer abweichenden Beurteilung des Verbraucherverständnisses, sondern auf einer - ersichtlich unzutreffenden - rechtlichen Beurteilung. Dort wird ausgeführt:

„(…) In der Folge wurde eine EU-Verordnung erlassen, die dänische Anbieter dazu berechtigt, mit besonderen Garantien in Bezug auf die Salmonellenfreiheit ihrer Hühner zu werben. Die Werbung mit „nachweislich salmonellenfreien Hühnern“ ist daher aus unserer Sicht zulässig.“

Es existiert jedoch keine europarechtliche Regelung, die dänische Anbieter zu der Verwendung der streitgegenständlichen Aussage berechtigt.

cc) Der dargestellten Irreführung steht es auch nicht entgegen, wenn die Beklagte sich im Fall einer nachträglich festgestellten Salmonelleninfektion der Herde noch um eine Rückholung der an die Lebensmittelhändler ausgelieferter Eier bemüht hätte.

(1) Zum einen wäre die Werbeaussage auch dann unzutreffend und irreführend, wenn bei einem nachträglich festgestellten Salmonellenbefall noch verhindert werden könnte, dass bereits von der Beklagten ausgelieferte Eier an die Endkunden verkauft werden. Die Werbeaussage wird - wie ausgeführt - als Zusicherung der Beklagten verstanden, dass jedenfalls bei dem Inverkehrbringen der Eier durch die Beklagte ein Nachweis vorlag, dass die betreffenden Hühner beim Legen der Eier salmonellenfrei waren. Es macht aus Sicht des Verbrauchers einen erheblichen Unterschied, ob dieser Nachweis bei der Auslieferung der Eier durch die Beklagte tatsächlich vorlag oder die Beklagte lediglich versprechen will, dass sie bereits an Lebensmittelhändler ausgelieferte Eier bei einem nachträglich festgestellten Salmonellenbefall noch rechtzeitig zurückholen wird, bevor sie dem Endkunden zum Kauf angeboten werden. Denn bei einer nachträglichen Rückholung wäre die Beklagte auf die Mitwirkung ihrer Abnehmer angewiesen. Ob diese bei einem Rückruf unverzüglich und fehlerfrei reagieren, hat die Beklagte nicht in der Hand. Sie kann darüber keine verlässlichen Zusagen abgeben. Der Verbraucher geht nicht davon aus, dass die Beklagte lediglich eine solche Rückholung zusagen will.

(2) Darüber hinaus ist auch nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten davon auszugehen, dass der Verkauf salmonellenbelasteter Eier an Endkunden nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Auch die Beklagte hält es für möglich, dass eine Salmonelleninfektion von Hühnern bei der Herdentestung noch nicht entdeckt wird, sondern erst infolge der weiteren Ausbreitung bei einer der Folgetestungen festgestellt wird. Hingegen unterstellt sie in ihrem nachgelassenen Schriftsatz, dass ein Salmonellenbefall bereits bei der ersten Herdentestung nach dem Legedatum festgestellt worden wäre. Es ist aber nach ihrem eigenen Vortrag möglich, dass ein Salmonellenbefall erst bei einer der Folgetestungen - das heißt noch einmal zwei oder mehr Wochen später - bemerkt wird. In diesem Fall würden die Eier auch bei den von der Beklagten für den Beispielsfall vorgetragenen Abläufen in den Verkauf gelangen, bevor sie Rückrufmaßnahmen ergreifen kann. Im Beispielsfall lagen nach ihrem Vortrag nur 12 Tage zwischen dem Legedatum (3. November 2019) und dem Kauf der Eier (15. November 2019).

c) Der Verstoß gegen das lebensmittelrechtliche Irreführungsverbot ist auch zu seiner spürbaren Beeinträchtigung der Verbraucherinteressen im Sinne von § 3a UWG geeignet, weil die Kaufentscheidung des Verbrauchers hierdurch beeinflusst werden kann. Ein erheblicher Teil der angesprochenen Verbraucher wird großen Wert auf die zugesagte nachgewiesene Salmonellenfreiheit legen, daher die derart beworbenen Eier bei gleichem Preis bevorzugen und auch bereit sein, hierfür einen gewissen Preisaufschlag zu zahlen. Der Spürbarkeit des Verstoßes steht es nicht entgegen, dass das Risiko einer Salmonellenbelastung der verkauften Eier sehr gering sein mag. Aus Sicht des Verbraucher ist von Bedeutung, ob der Produzent klar und eindeutig zusagt, dass die Eier von nachweislich salmonellenfreien Hühnern stammen oder er - mit für den Verbraucher nicht im Einzelnen nachvollziehbaren und überprüfbaren Erwägungen - ausführt, dass das Risiko einer Salmonellenbelastung aufgrund verschiedener Maßnahmen äußerst gering sei.

d) Die gemäß § 8 Abs. 1 UWG erforderliche Wiederholungsgefahr wird vermutet. Die Vermutung ist nicht dadurch entkräftet, dass die Beklagte das zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Verstoßes praktizierte zweiwöchige Testintervall nach ihrem Vorbringen inzwischen weiter verkürzt hat. Dies bietet noch keine hinreichende Sicherheit dafür, dass die Beklagte nicht wieder zu dem zweiwöchigen Testintervall zurückkehrt. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob die Werbeaussage bei einer bestimmten Verkürzung des Testintervalls zulässig sein könnte, was allerdings bei dem vorgetragenen Wochenrhythmus zweifelhaft erscheint.


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EuGH: Kalorienangabe auf Vorderseite einer Müsliverpackung darf sich nicht auf Mischportion von Milch und Müsli beziehen - Dr. Oetker Vitalis Knuspermüsli

EuGH
Urteil vom 11.11.2021
C-388/20
Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. gegen Dr. August Oetker Nahrungsmittel


Der EuGH hat entschieden, dass sich die Kalorienangabe auf der Vorderseite einer Müsliverpackung nicht auf eine Mischportion von Milch und Müsli beziehen darf.

Tenor der Entscheidung:

Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung allein für Lebensmittel gilt, bei denen eine Zubereitung erforderlich und die Zubereitungsweise vorgegeben ist.

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BGH: Schutz geografischer Herkunftsangaben als Kollektivmarke nach MarkenG steht selbständig neben Schutz geografischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen nach EU-Verordnung 1151/2012

BGH
Urteil vom 29.07.2021
I ZR 163/19
Hohenloher Landschwein
MarkenG § 100 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass der Schutz geografischer Herkunftsangaben als Kollektivmarke nach dem MarkenG selbständig neben dem Schutz geografischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen nach der EU-Verordnung Nr. 1151/2012 steht.

Leitsatz des BGH:

Der Schutz geografischer Herkunftsangaben als Kollektivmarken nach dem Markengesetz besteht grundsätzlich selbständig neben dem Schutz geografischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen nach der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel. Ist eine nach deutschem Recht als Kollektivmarke eingetragene geografische Herkunftsangabe nicht nach der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 eingetragen und wurde auch kein Antrag auf eine Eintragung dorthin gestellt, wird die Anwendung des § 100 Abs. 1 MarkenG bei der Bestimmung der Grenzen zur Benutzung der Angabe seitens eines Dritten durch die Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 daher weder gesperrt noch eingeschränkt. Im Rahmen der Abwägung, ob die Benutzung durch einen Dritten den guten Sitten im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 1 MarkenG entspricht, kann demgemäß auch die Qualitätsfunktion der Marke Berücksichtigung finden.

BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - I ZR 163/19 - OLG Stuttgart - LG Stuttgart

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BGH: Schwarzwälder Schinken muss nicht zwingend im Schwarzwald geschnitten und verpackt werden - Erfordernis nicht produktspezifisch gerechtfertigt

BGH
Beschluss vom 03.09.2020
I ZB 72/19
Schwarzwälder Schinken II
VO (EU) Nr. 1151/2012 Art. 7 Abs. 1 Buchst. e


Der BGH hat in Umsetzung des Urteils des EuGH vom 19.12.2018 - C‑367/17 entschieden, dass Schwarzwälder Schinken nicht zwingend im Schwarzwald geschnitten und verpackt werden muss. Dieses Erfordernis ist - so der BGH - nicht produktspezifisch gerechtfertigt

Leitsätze des BGH:

a) Eine Änderung der Spezifikation, die die Zuerkennung einer geschützten geografischen Angabe an die Aufmachung im Erzeugungsgebiet knüpft, ist nur gerechtfertigt, wenn einer der drei in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 genannten Rechtfertigungsgründe - Qualitätswahrung oder Ursprungsgewährleistung oder Kontrollgewährleistung - vorliegt.

b) Bei der Prüfung, ob die Wahrung der Qualität des in Rede stehenden Erzeugnisses (hier: von der geschützten geografischen Angabe "Schwarzwälder Schinken" erfasster Schinken) das Erfordernis der Aufmachung (hier: das Schneiden und Verpacken) im Erzeugungsgebiet (hier: im Schwarzwald) erfordert, kommt es darauf an, ob dieses Erfordernis produktspezifisch gerechtfertigt ist. Eine produktspezifische Rechtfertigung liegt nur vor, wenn das betreffende Erzeugnis bei einer Verarbeitung außerhalb des Erzeugungsgebiets im Vergleich zu anderen vergleichbaren Erzeugnissen erhöhten Risiken ausgesetzt ist, denen mit den vorgesehenen Maßnahmen wirksam begegnet werden kann.

c) Das Erfordernis der Aufmachung im Erzeugungsgebiet ist unter dem Gesichtspunkt der Ursprungsgarantie und der Rückverfolgbarkeit des Erzeugnisses nur gerechtfertigt, wenn die Spezifikation zur Gewährleistung des Ursprungs des Erzeugnisses Kontrollen vorsieht, die innerhalb des Erzeugungsgebiets effektiver als außerhalb dieses Gebiets vorgenommen werden können.

d) Das Erfordernis der Aufmachung eines von einer geschützten geografischen Angabe erfassten Erzeugnisses im Erzeugungsgebiet ist gerechtfertigt, wenn es dem Ziel dient, eine wirksame Kontrolle der Spezifikation für diese geschützte geografische Angabe zu gewährleisten. Dabei muss es sich um Kontrollen handeln, die außerhalb des Erzeugungsgebiets weniger Garantien für die Qualität und Echtheit dieses Erzeugnisses geben als Kontrollen, die im Erzeugungsgebiet unter Einhaltung der in der Spezifikation vorgesehenen Verfahren durchgeführt werden.

BGH, Beschluss vom 3. September 2020 - I ZB 72/19 - Bundespatentgericht

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VG Karlsruhe: Verbot für Vertrieb von Sägemehlkeksen - Zutat Sägemehl für Verzehr durch den Menschen objektiv ungeeignet

VG Karlsruhe
Urteil vom 21.12.2020
3 K 2148/19

Das VG Karlsruhe hat ein Verbot für den Vertrieb von Sägemehlkeksen bestätigt. Diese Kekse mit der Zutat Sägemehl sind, wie das Gericht ausführt, für den Verzehr durch den Menschen objektiv ungeeignet.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Karlsruhe: Sägemehl kein zulässiger Bestandteil von Keksen

Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe hat die Klage des Inhabers eines Versandhandels (Kläger) gegen eine lebensmittelrechtliche Verfügung der Stadt Karlsruhe (Beklagte) abgewiesen, mit der ihm untersagt worden war, von ihm selbst hergestellte und auch so genannte Sägemehlkekse zu vertreiben.

Der Kläger hatte die Sägemehlkekse seit etwa 20 Jahren hergestellt und vertrieben und hierbei Sägemehl auch als Zutat angegeben. Er hatte sich schon 2004 in dieser Angelegenheit schriftlich an die Beklagte gewandt, aber keine Antwort erhalten. Im Jahr 2017 ließ die Beklagte eine Probe der Kekse untersuchen und untersagte ihm im weiteren Verlauf das Inverkehrbringen der Kekse. Hiergegen wandte sich der Kläger nach erfolglosem Widerspruchsverfahren mit der jetzt abgewiesenen Klage.

Der Kläger hat u.a. geltend gemacht, er verwende ausschließlich mikrobiologisch einwandfreies Holzmehl. Es handle sich um ein pflanzliches Produkt, das ähnlich wirke wie Getreidekleie. In Notzeiten sei in Lebensmitteln Mehl durch Sägemehl ersetzt worden. Backrezepte mit Sägemehl fänden sich aber auch zu normalen Zeiten.

Dem ist die 3. Kammer nicht gefolgt. Die Kekse dürften nicht in Verkehr gebracht werden, weil es sich dabei nicht um sichere, sondern zum Verzehr durch den Menschen objektiv ungeeignete Lebensmittel handle. Das konkret vom Kläger verwendete Sägemehl sei ein Füll- und Trägerstoff für technische Anwendungen und werde noch nicht einmal im Futtermittelbereich eingesetzt. Weiter sei das vom Kläger als Zutat verwendete Sägemehl als Lebensmittel neuartig, ohne aber auf der Positivliste für zugelassene neuartige Lebensmittel nach der sog. Novel-Food-Verordnung der Europäischen Union aufgeführt zu sein. So sei weder eine Verwendung von Sägemehl für den menschlichen Verzehr in nennenswertem Umfang in der Europäischen Union belegt noch eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel. Dies folge insbesondere nicht aus der Verwendung in Notzeiten oder im Rahmen einer speziellen Ernährungslehre.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten haben die Möglichkeit, hiergegen Antrag auf Zulassung der Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim zu stellen (3 K 2148/19)