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EuGH: Weinerzeuger darf seinen Weinbaubetrieb auch dann angeben wenn die Kelterung in fremden Betriebsräumern unter seiner Leitung und ständigen Überwachung erfolgt

EuGH
Urteil vom 23.11.2023
C-354/22


Der EuGH hat entschieden, dass ein Weinerzeuger seinen Weinbaubetrieb auch dann angeben darf, wenn die Kelterung in fremden Betriebsräumern aber unter seiner Leitung und ständigen Überwachung erfolgt.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Weinbereitung und -etikettierung: Ein Weinerzeuger darf seinen eigenen Weinbaubetrieb auch dann angeben, wenn die Kelterung in den Betriebsräumen eines anderen Weinerzeugers erfolgt

Dies setzt allerdings voraus, dass während der erforderlichen Zeit nur der namensgebende Weinerzeuger die angemietete Kelteranlage nutzt und die Kelterung unter seiner Leitung und seiner engen und ständigen Überwachung stattfindet.

Ein Weinerzeuger der deutschen Moselregion verwendet die Angaben „Weingut“ und „Gutsabfüllung“ für Wein, den er aus Trauben erzeugt, die von Rebflächen stammen, die er etwa 70 km von seinem eigenen Betrieb entfernt gepachtet hat. Aufgrund eines Vertrags werden die angepachteten Rebflächen von ihrem Eigentümer nach den Vorgaben des namensgebenden Weinerzeugers angebaut. Nach der Weinlese steht eine angemietete Kelteranlage für einen Zeitraum von 24 Stunden ausschließlich für die Verarbeitung der Trauben von den gepachteten Rebflächen nach den önologischen Vorgaben des namensgebenden Weinerzeugers zur Verfügung. Dieser befördert anschließend den hergestellten Wein zu seinen Betriebsräumen.

Nach Auffassung des Landes Rheinland-Pfalz darf der namensgebende Weinerzeuger die fraglichen Angaben nicht für den in den Betriebsräumen des anderen Weinerzeugers hergestellten Wein verwenden. Damit bestimmte Angaben, die wie beispielsweise „Weingut“ auf einen namensgebenden Weinbaubetrieb verweisen, verwendet werden dürfen, verlangt das Unionsrecht1 nämlich, dass das Weinbauerzeugnis ausschließlich aus Trauben gewonnen wird, die von Rebflächen dieses Betriebs stammen, und die Weinbereitung vollständig in diesem Betrieb erfolgt.

Das deutsche Verwaltungsgericht, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, hat den Gerichtshof zu der zuletzt genannten Voraussetzung befragt.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass nach dem Unionsrecht die fraglichen Angaben, die eine höhere Qualität gewährleisten sollen, Weinbauerzeugnissen mit geschützter Ursprungsbezeichnung (g. U.) oder geschützter geografischer Angabe (g. g. A.) vorbehalten sind. Das Verwaltungsgericht hat zu prüfen, ob die Rebflächen, die in 70 km Entfernung von dem namensgebenden Weinbaubetrieb angepachtet wurden, von dessen g. U. oder g. g. A. erfasst sind.

Des Weiteren stellt der Gerichtshof fest, dass der Begriff des Betriebs und damit die Verwendung der fraglichen Angaben nicht auf die Flächen beschränkt ist, die im Eigentum des namensgebenden Weinerzeugers stehen oder sich in deren Nähe befinden. Sie können sich auch auf Rebflächen erstrecken, die an einem anderen Ort gepachtet sind, sofern die Arbeiten der Bewirtschaftung und Ernte der Trauben unter der tatsächlichen Leitung, der engen und ständigen Überwachung und der Verantwortung des namensgebenden Weinerzeugers erfolgen.

Wenn diese Voraussetzungen bei der Kelterung in einer für einen kurzen Zeitraum bei einem anderen Betrieb angemieteten Kelteranlage erfüllt sind und diese Kelteranlage für die erforderliche Zeit ausschließlich dem namensgebenden Weinbaubetrieb zur Verfügung gestellt wird, dann kann davon ausgegangen werden, dass die Weinbereitung vollständig im namensgebenden Weinbaubetrieb erfolgt ist.

Dieselben Voraussetzungen gelten darüber hinaus dann, wenn Mitarbeiter des die Kelteranlage vermietenden Weinbaubetriebs die Kelterung durchführen. Dieser Vorgang muss nach den eigenen Vorgaben des namensgebenden Weinbaubetriebs erfolgen. Dieser Betrieb darf sich nicht darauf beschränken, auf etwaige Anweisungen des die Kelteranlage vermietenden Weinbaubetriebs zu verweisen

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 54 Abs. 1 Unterabs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2019/33 der Kommission vom 17. Oktober 2018 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf Anträge auf Schutz von Ursprungsbezeichnungen, geografischen Angaben und traditionellen Begriffen im Weinsektor, das Einspruchsverfahren, Einschränkungen der Verwendung, Änderungen der Produktspezifikationen, die Löschung des Schutzes sowie die Kennzeichnung und Aufmachung in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2021/1375 der Kommission vom 11. Juni 2021 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

der Umstand, dass die Kelterung der von gepachteten Rebflächen stammenden Trauben in einer Anlage stattfindet, die der namensgebende Weinbaubetrieb für einen kurzen Zeitraum bei einem anderen Weinbaubetrieb anmietet, nicht ausschließt, dass die Weinbereitung als im Sinne dieser Bestimmung vollständig im namensgebenden Weinbaubetrieb erfolgt anzusehen ist, sofern diese Anlage für die für den Keltervorgang erforderliche Zeit ausschließlich dem namensgebenden Weinbaubetrieb zur Verfügung gestellt wird und dieser zuletzt genannte Betrieb die tatsächliche Leitung, die enge und ständige Überwachung und die Verantwortung für diesen Vorgang übernimmt.

2. Art. 54 Abs. 1 Unterabs. 2 der Delegierten Verordnung 2019/33 in der durch die Delegierte Verordnung 2021/1375 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

eine Weinbereitung selbst dann vollständig im Sinne dieser Bestimmung im namensgebenden Weinbaubetrieb erfolgt, wenn der Vorgang der Kelterung von Mitarbeitern des dem namensgebenden Weinbaubetrieb die Kelteranlage vermietenden Weinbaubetriebs durchgeführt wurde, sofern der Inhaber des namensgebenden Weinbaubetriebs die tatsächliche Leitung, die enge und ständige Überwachung und die Verantwortung für diesen Vorgang übernimmt. Für die Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass die Weinbereitung im namensgebenden Weinbaubetrieb erfolgt, ist es irrelevant, dass der Weinbaubetrieb, der die Kelteranlage vermietet, ein Eigeninteresse an der Art und Weise der Durchführung der Kelterung hat, insbesondere aufgrund einer Vertragsklausel über einen ertrags- und qualitätsabhängigen Zuschlag je Hektoliter Wein.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Celle: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen die Marktverhaltensregel Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO durch Inverkehrbringen des Nahrungsergänzungsmittels "Cannabis-Öl"

OLG Celle
Beschluss vom 28.03.2023
13 U 67/22


Das OLG Celle hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die Marktverhaltensregel Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO durch Inverkehrbringen des Nahrungsergänzungsmittels "Cannabis-Öl" vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Kläger ist klagebefugt gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, was auch die Beklagte nicht in Abrede nimmt.

2. Der Kläger hat einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Abs. 3 Nr. 2 UWG, § 3 Abs. 1, § 3a i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO.

a) Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 3a Rn. 1.265, 1.271; bereits für die frühere Fassung der Novel-Food-VO: BGH GRUR 2015, 1140 [BGH 16.04.2015 - I ZR 27/14] Rn. 19).

b) Das Inverkehrbringen des Cannabis-Öls der Beklagten verstößt gegen Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO.

aa) Das Nahrungsergänzungsmittel der Beklagten ist ein neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 a) iv) Novel-Food-VO.

Nach dieser Bestimmung ist zunächst maßgeblich, ob das Lebensmittel vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde. Abzustellen ist dabei auf alle Merkmale des in Rede stehenden Lebensmittels und des hierfür verwendeten Herstellungsvorgangs (BGH, Urteil vom 16. April 2015 - I ZR 27/14, Rn. 21, Bohnengewächsextrakt, zu dem gleichen Tatbestandsmerkmal in der Vorgängerregelung, Art. 1 Abs. 2 VO (EG) 258/97). Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß Erwägungsgrund 17 der Novel-Food-VO Lebensmittel, die ausschließlich aus Lebensmittelzutaten hergestellt werden, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, insbesondere im Zuge einer Änderung der verwendeten Lebensmittelzutaten oder ihrer Anteile, nicht als neuartige Lebensmittel betrachtet werden sollen.

bb) Im Streitfall geht es um eine Kombination von Sesamöl und einem Hanfextrakt, der mit einem bestimmten Extraktionsverfahren hergestellt worden ist und Cannabidiol (CBD) enthält. Weil die Zutat Sesamöl als solche nicht neuartig ist, kommt es für die Beurteilung der Neuartigkeit des Cannabisöls auf den Hanfextrakt an.

Extraktion nennt man jedes Trennverfahren, bei dem mit Hilfe eines (festen, flüssigen oder gasförmigen) Extraktionsmittels eine oder mehrere Komponenten aus einem Stoffgemisch herausgelöst werden (vgl. Wikipedia). Maßgeblich für die Beurteilung der Neuartigkeit ist auch das von der Lieferantin der Beklagten für die Herstellung ihres Hanfextrakts konkret angewandte Extraktionsverfahren mit dem von ihr verwendeten spezifischen Extraktionsmittel. Denn von dem Extraktionsmittel hängt ab, welche Bestandteile herausgelöst werden.

Es ist davon auszugehen, dass der Hanfextrakt in dem von der Beklagten vertriebenen Cannabis-Öl vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde.

Diese Behauptung des Klägers hat die Beklagte nicht mit Substanz bestritten. Weil es sich um eine negative Tatsache handelt, trifft die Beklagte insoweit nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen eine sekundäre Darlegungslast (BGH, GRUR 2015, 1140 [BGH 16.04.2015 - I ZR 27/14] Rn. 22). Dieser ist die Beklagte nicht nachgekommen (s. nachfolgend Ziff. (1) und (2)).

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem - in der Vorgängerregelung noch nicht in dieser Form enthaltenen - Tatbestandsmerkmal "ausgenommen Fälle, in denen das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat" (Art. 3 Abs. 2 a) iv) eine einschränkende Bedeutung zukommen soll. In Betracht käme, dass Lebensmittel nicht als neuartig anzusehen sind, wenn sie vor dem Stichtag zwar nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden, aber trotzdem - etwa aufgrund regionaler Besonderheiten - in der Union Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel haben. Aber auch dies hat die Beklagte nicht dargetan.

(1) Das Landgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass es in der EU vor dem 15. Mai 1997 eine Verwendungsgeschichte für Produkte gegeben habe, die sich - wie das der Beklagten - aus Sesamöl und Hanfextrakt zusammensetzten. Auch für generell aus Hanfextrakt hergestellte Produkte habe sie eine Verwendungsgeschichte nicht dargelegt. Dass die Beklagte insoweit keinen Vortrag gehalten hat, steht gemäß § 314 ZPO fest. Die Beweiskraft des Tatbestandes gemäß § 314 ZPO erfasst auch diejenigen tatsächlichen Feststellungen, die in den Entscheidungsgründen enthalten sind und den Tatbestand insoweit ersetzen (BeckOK ZPO/Elzer, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 314 Rn. 8). Dem stünde nicht entgegen, wenn sich insoweit Vorbringen aus vorbereitenden Schriftsätzen der Beklagten ergäbe. Zwar wird in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils allgemein auf diese Schriftsätze Bezug genommen. Bei einem Widerspruch zwischen ausdrücklichen tatbestandlichen Feststellungen und dem allgemein in Bezug genommenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze geht der Tatbestand vor (BeckOK ZPO/Elzer, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 314 Rn. 27 mwN).

(2) Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte auch dann nicht ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen wäre, wenn Vorbringen aus ihren vorbereitenden Schriftsätzen berücksichtigt würde. Auch in den erstinstanzlichen Schriftsätzen der Beklagten ist nicht mit Substanz dargetan, dass das Lebensmittel der Beklagten oder der darin enthaltene Hanfextrakt vor dem Stichtag in der Union in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt wurde bzw. eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel hat. An den von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung genannten Fundstellen (Bl. 952 d.A.) hat sie vorgetragen, Blüten und Blätter von Cannabis sativa seien seit Jahrhunderten innerhalb der EU traditionell zum Verzehr verwendet worden. In gleicher Weise, wie Tee und Kaffee mit heißem Wasser als Extrakt hergestellt worden sei, seien auch Extrakte aus Cannabisblüten und -blättern zum Zwecke des Verzehrs hergestellt worden. Weiter hat sie vorgetragen, soweit ihr bekannt sei, sei der verwendete Hanfextrakt mit dem Extraktionsmittel Ethanol hergestellt worden (Bl. 446 d.A.). In einem italienischen Kochbuch aus dem 15. Jahrhundert finde sich ein Rezept, wonach man Hanfpflanzen in Öl aufgekocht und den Sud zum Verzehr verwendet habe (Bl. 447 d.A.). In Osteuropa sei in den 1970er und 80er Jahren Nutzhanf als Lebensmittelzutat verwendet worden, z.B. zur Herstellung von Hanftee oder beim Bierbrauen (Bl. 448 d.A.). Hanf werde bereits seit dem Jahr 400 in Deutschland angebaut (Bl. 534 d.A.). Die Nutzung von Ethanol als Extraktionsmittel für Lebensmittel und -zutaten sei ein übliches und zulässiges Verfahren (Bl. 609 d.A.).

Mit diesem Vortrag hat die Beklagte die sie treffende sekundäre Darlegungslast nicht erfüllt. Weder für das von ihr hergestellte Nahrungsergänzungsmittel, noch für den dabei verwendeten, im Wege der Ethanol-Extraktion hergestellten Hanfextrakt hat sie eine nennenswerte Nutzung als Lebensmittel vor dem maßgeblichen Stichtag vorgetragen. Der pauschale Vortrag zur jahrhundertelangen Verwendung von Hanf und die Verwendung zur Zubereitung von Tees und zum Bierbrauen genügen insoweit nicht. Es handelt sich nicht um die von der Beklagten verwendete Lebensmittelzutat, einen im Wege der Ethanol-Extraktion hergestellten Hanfextrakt. Darüber hinaus fehlte es selbst zu den von der Beklagten vorgetragenen - gänzlich anderen - Herstellungsmethoden (Aufkochen in Wasser oder Öl) an hinreichend konkretem Vortrag dazu, dass die Produkte in nennenswertem Umfang verzehrt wurden oder eine sichere Verwendungsgeschichte haben.

(3) Auch in der Berufungsbegründung hat die Beklagte hierzu keinen weiteren Tatsachenvortrag gehalten, sondern nur auf ihren "fragmentarischen" erstinstanzlichen Vortrag verwiesen.

(4) Ausweislich ihres Schriftsatzes vom 9. März 2023 meint die Beklagte, sie könne insoweit nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist noch weiteren berücksichtigungsfähigen Tatsachenvortrag halten (Bl. 975 d.A.). Dies trifft jedoch nicht zu (§ 520, § 530 ZPO). Wie die Beklagte selbst ausführt, konnte sie (spätestens) aus dem angefochtenen Urteil erkennen, dass sie hierzu hätte vortragen müssen.

Aus den vorstehenden Gründen kann der Kläger auch die Unterlassung der streitgegenständlichen Werbung verlangen. Denn es wird - unter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Lebensmittelinformations-VO - der unzutreffende Eindruck erweckt, es handele sich um ein verkehrsfähiges Lebensmittel.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerwG: Süßwarenhersteller müssen nach der LMIV Füllgewicht und Stückzahl bei vorverpackten Süßwaren angeben - dies gilt auch für einzeln verpackte Bonbons

BVerwG
Urteil vom 09.03.2023
3 C 15.21


Das BVerwG hat entschieden, dass Süßwarenhersteller nach der LMIV Füllgeweicht und Stückzahl bei vorverpackten Süßwaren angeben müssen und dies auch für einzeln verpackte Bonbons gilt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Pflicht zur Angabe von Gewicht und Stückzahl bei vorverpackten Süßwaren

Auf der zum Verkauf bestimmten Verpackung eines Lebensmittels, in der sich mehrere Einzelpackungen befinden, müssen nach der EU-Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) auch dann sowohl das Füllgewicht als auch die Anzahl der enthaltenen Einzelpackungen angegeben werden, wenn es sich bei den Einzelpackungen um kleinteilige Einzelstücke - wie etwa einzeln umwickelte Bonbons - handelt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Klägerin bringt die von ihr hergestellten Bonbons und Schokoladen-Spezialitäten unter anderem in Beuteln in den Verkehr, in denen sich mehrere einzeln mit Bonbonpapier umwickelte oder auf ähnliche Weise umhüllte Stücke befinden. Bei einer amtlichen Kontrolle stellte das Landesamt für Mess- und Eichwesen des beklagten Landes Rheinland-Pfalz fest, dass auf mehreren der auf diese Weise im Handel angebotenen Produkte zwar das Gesamtgewicht der Süßigkeiten angegeben war, nicht hingegen die Zahl der enthaltenen Stücke. Es bemängelte das Fehlen der Angabe und leitete gegen einen Mitarbeiter der Klägerin ein Ordnungswidrigkeitenverfahren ein. Die Klägerin wandte sich daraufhin an das Verwaltungsgericht mit dem Antrag festzustellen, dass sie nicht gegen die maßgeblichen Regelungen der LMIV verstoße, wenn sie bestimmte Produkte ihres Sortiments ohne Angabe der Zahl der enthaltenen Stücke in den Handel bringe. Die Klage blieb erfolglos; die hiergegen eingelegte Berufung wies das Oberverwaltungsgericht zurück.


Auch die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Nach Art. 23 Abs. 1 und 3 i.V.m. Anhang IX Nr. 4 LMIV sind auf einer Vorverpackung, die aus zwei oder mehr Einzelpackungen besteht, die nicht als Verkaufseinheiten anzusehen sind, die Gesamtnettofüllmenge und die Gesamtzahl der Einzelpackungen anzugeben. Die Produkte der Klägerin unterfallen dieser Vorschrift. Für ihre Annahme, die Vorschrift sei auf Vorverpackungen nicht anzuwenden, die kleinere, einzeln verpackte Stücke enthalten, findet sich im maßgeblichen Unionsrecht kein Anhaltspunkt. Die Pflicht zur Angabe der Anzahl der in der Verpackung enthaltenen Stücke greift nicht unverhältnismäßig in die Grundrechte der Lebensmittelunternehmer ein. Die Angabe hat für die Verbraucherinnen und Verbraucher einen zusätzlichen Informationswert und fördert den durch die LMIV verfolgten Zweck, sie bei ihrer Kaufentscheidung in die Lage zu versetzen, das für ihre Bedürfnisse passende Lebensmittel auszuwählen. Durch diese Pflicht werden die Lebensmittelunternehmer nicht unangemessen belastet. Insbesondere ist es ihnen nach den zugrunde zu legenden Feststellungen des Berufungsgerichts auch angesichts produktionsbedingter Schwankungen des Gewichts der Einzelstücke möglich, Gesamtgewicht und Stückzahl so anzugeben, dass sie nicht gegen die Vorschriften über die maximal zulässigen Füllmengenabweichungen verstoßen.

BVerwG 3 C 15.21 - Urteil vom 09. März 2023

Vorinstanzen:

OVG Koblenz, OVG 6 A 10695/21 - Urteil vom 02. November 2021 -

VG Koblenz, VG 2 K 511/20.KO - Urteil vom 28. April 2021 -



LG München: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 LMIV wenn "Caramel Pudding" kein Karamell sondern nur Karamell Aroma enthält

LG München
Urteil vom 11.10.2022
33 O 13261/21


Das LG München hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 LMIV vorliegt, wenn ein als "Caramel Pudding" bzw. "Karamellpudding" bezeichnetes Produkt kein Karamell sondern nur Karamell-Aroma enthält. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

OVG Münster: Ein als "Geflügel Salami" bezeichnetes Produkt darf kein Schweinefleisch bzw. keinen Schweinespeck enthalten

OVG Münster
Beschuss vom 15.08.2022
9 A 517/20


Das OVG Münster hat entschieden, dass ein als "Geflügel Salami" bezeichnetes Produkt kein Schweinefleisch bzw. keinen Schweinespeck enthalten darf.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Bezeichnung „Geflügel Salami“ irreführend bei Schweinespeck als Zutat

Die Bezeichnung „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite einer fertigverpackten Sa­lami, die neben Putenfleisch auch Schweinespeck enthält, ist irreführend, weil dadurch der falsche Eindruck erweckt wird, die Salami enthalte ausschließlich Geflü­gel. Dies hat das Oberverwaltungsgericht mit heute versandtem Beschluss vom 15.08.2022 in einem Fall aus dem Kreis Gütersloh ent­schieden und damit im Ergeb­nis ein Urteil des Verwaltungsgerichts Minden bestätigt.

Die Klägerin ist ein Unternehmen mit Sitz im Kreis Gütersloh, das Fleischerzeugnisse herstellt und bundesweit über den Einzelhandel vertreibt, unter anderem die streitge­genständliche Salami. Auf der Vorderseite der Folienverpackung befindet sich die An­gabe „Geflügel Salami“. Auf der Rückseite der Verpackung steht unter der fettge­druckten Bezeichnung „Geflügel Salami“ in kleinerer Schrift „mit Schweinespeck“, im Zutatenverzeichnis ist nach Putenfleisch Schweinespeck aufgeführt. Ferner wird dort angegeben, dass 100 g Salami aus 124 g Putenfleisch und 13 g Schweinespeck her­gestellt werden. Der Kreis Gütersloh als für die Lebensmittelüberwachung zuständige Behörde sah in der Bezeichnung bzw. Aufmachung des Produkts einen Verstoß ge­gen die Lebensmittelinformationsverordnung, wonach Informationen über Lebensmit­tel nicht irreführend sein dürfen. Die Klage des Unternehmens auf Feststellung, dass das Produkt „Geflügel Salami“ nicht gegen das lebensmittelrechtliche Irreführungs­verbot verstößt, blieb beim Verwaltungsgericht Minden ohne Erfolg. Den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung begründete die Klägerin unter ande­rem damit, eine Verbrauchererwartung, wonach die Salami ausschließlich Geflügel enthalte, bestehe nur bei der Bezeichnung als „rein Geflügel“. Bei der „Geflügel Sa­lami“ werde nur Ge­flügelfleisch verwendet, nicht aber Fleisch anderer Tierarten. Schweinespeck sei kein Fleisch, sondern werde als verkehrsübliche, technologisch erforderliche Fettquelle verwendet und von den Verbrauchern als Zutat bei der Her­stellung einer Salami er­wartet.

Dem folgte das Oberverwal­tungsgericht nicht und lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Zur Begründung hat der 9. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die Angabe „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite der Verpackung lässt beim Verbrau­cher einen falschen Eindruck in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels ent­stehen, nämlich dass die Salami ausschließlich Geflügel und nicht auch Schwein ent­hält. Die Verbrauchererwartung bezieht sich dabei auf alle Teile vom Schwein. Der falsche Eindruck, die Geflügelsalami enthalte keine Bestand­teile vom Schwein, wird auch durch die Angaben auf der Rückseite der Verpackung zur Verwendung (auch) von Schweinespeck nicht berichtigt. Die Verbrauchererwar­tung wird unter Berück­sichtigung der Aufmachung des Produkts insgesamt maßgeb­lich durch die Angabe „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite der Verpackung beein­flusst.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: 9 A 517/20 (I. Instanz: VG Minden 7 K 9935/17)



LG Berlin: Traubensaftmischung darf nicht als alkoholfreier Wein angeboten werden - Zera Chardonnay Alcohol Free

LG Berlin
Urteil vom 19.05.2022
52 O 273/21


Das LG Berlin hat entschieden, dass eine Traubensaftmischung nicht als alkoholfreier Wein angeboten werden darf ("Zera Chardonnay - Alcohol Free"). Es liegt ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 7 LMIV vor. Ein klarstellender Hinweis auf der Rückseite der Flasche reicht nicht, um die Irreführung auszuräumen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Bei Verletzung einer Informationspflicht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation ist die Unlauterkeit allein nach § 5a Abs. 2 und 4 UWG und nicht § 3a UWG zu beurteilen

BGH
Urteil vom 07.04.2022
I ZR 143/19
Knuspermüsli II
UWG § 3a, § 5a Abs. 2 Satz 1, Abs. 4; Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2, Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2


Der BGH hat entschieden, dass bei Verletzung einer Informationspflicht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation die Unlauterkeit allein nach § 5a Abs. 2 und 4 UWG und nicht nach § 3a UWG zu beurteilen ist.

Leitsätze des BGH:
a) In Fällen der Verletzung einer Informationspflicht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation ist die Unlauterkeit allein nach § 5a Abs. 2 und 4 UWG und nicht nach § 3a UWG zu beurteilen (Aufgabe von BGH, Urteil vom 31. Oktober 2013 - I ZR 139/12, GRUR 2014, 576 Rn. 15 = WRP 2014, 689 - 2 Flaschen GRATIS; Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 10. Februar 2022 - I ZR 38/21, GRUR 2022, 500 [juris Rn. 60 bis 66] = WRP 2022, 452 - Zufriedenheitsgarantie).

b) Die Gewährung einer Aufbrauchfrist setzt voraus, dass dem Schuldner eines Unterlassungsanspruchs durch ein sofort mit der Zustellung des Titels uneingeschränkt zu beachtendes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstehen und die Belange sowohl des Gläubigers als auch der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung des Wettbewerbsverstoßes nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. In der danach erforderlichen Interessenabwägung kann sich zu Lasten des Schuldners auswirken, dass er sich aufgrund einer Verurteilung in den Vorinstanzen oder aufgrund des Verlaufs des Revisionsverfahrens, etwa wegen einer vom Senat veranlassten Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, auf einen für ihn ungünstigen Ausgang des Revisionsverfahrens einstellen konnte und musste (Fortführung von BGH, Urteil vom 16. November 1973 - I ZR 98/72, GRUR 1974, 474, 476 [juris Rn. 23] = WRP 1974, 85 - Großhandelshaus; Urteil vom 24. September 2013 - I ZR 89/12, GRUR 2013, 1254 Rn. 44 = WRP 2013, 1596 - Matratzen Factory Outlet; Urteil vom 10. Mai 2016 - X ZR 114/13, GRUR 2016, 1031 Rn. 42 - Wärmetauscher).

BGH, Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 143/19 - OLG Hamm - LG Bielefeld

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Koblenz: Wettbewerbsverstoß durch Bezeichnung Rohkost und Werbung mit Rohkostqualität sowie "rohköstlich" wenn Ausgangsprodukt über 60 Grad C erhitzt wird

LG Koblenz
Urteil vom 15.03.2022,
3 HK O 16/22


Das LG Koblenz hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung und ein Verstoß gegen Art. 7 LMIV und § 11 Abs. 1 LFGB vorliegt, wenn ein Ausgangsprodukt (hier Kokosprodukte) als Rohkost bezeichnet und mit Rohkostqualität sowie "rohköstlich" beworben wird, wenn sie über 60 Grad C erhitzt wurden. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.


LG Stuttgart: Wettbewerbsverstoß durch Verwendung der Produktbezeichnungen „Pflanzenmilck“, „Milckprodukte“ und „hemp milck“ für Milchersatzproduke

LG Stuttgart
Urteil vom 10.02.2022
11 O 501/21


Das LG Stuttgart hat entschieden, dass ein nach § 3a UWG wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 78 Abs. 1 lit. c), Abs. 2 i.V.m. Anhang VII Teil III Nr. 6 Abs. 1 der EU-Verordnung Nr. 1308/2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse vorliegt, wenn Michersatzprodukte mit „Pflanzenmilck“, „Milckprodukte“ und „hemp milck“ bezeichnet werden. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

LG München: Überwiegend Wasser statt Mandeln - Wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 18, 22 LMIV i.V.m. § 3a UWG durch "Mandelerzeugnis" an erster Stelle der Zutatenliste

LG München
Urteil vom 21.12.2021
33 O 3572/21


Das LG München hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 18, 22 LMIV i.V.m. § 3a UWG vorliegt, wenn mit "Mandelerzeugnis" an erster Stelle der Zutatenliste geworben wird, dass Mandelerzeugnis aber ganz überwiegend ( zu 98 %) aus Wasser besteht. Der Begriff "Mandelerzeugnis" ist keine verkehrsübliche oder gesetzlich vorgeschriebene Bezeichnung. Insofern ist hinsichtlich der Positionierung in der Zutatenliste auf den Gewichtsanteil der Mandeln zum Gesamtprodukt abzustellen. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.


OVG Rheinland-Pfalz: Auf Verpackung die mehrere einzeln verpackte Süßigkeiten enthält ist auch die Gesamtzahl der Einzelpackungen neben der Gesamtnettofüllmenge anzugeben

OVG Rheinland-Pfalz
Urteil vom 02.11.2021
6 A 10695/21


Das OVG Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass auf einer Verpackung, die mehrere einzeln verpackte Süßigkeiten enthält, auch die Gesamtzahl der Einzelpackungen neben der Gesamtnettofüllmenge anzugeben ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Stückzahlangabe auf Süßigkeitenpackung

Auf einer Verpackung, in der mehrere einzeln verpackte Süßigkeiten enthalten sind, ist neben der Gesamtnettofüllmenge auch die Gesamtzahl der Einzelpackungen anzu­geben. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz.

Die Klägerin stellt Süßigkeiten wie Bonbons und Schokoladen-Spezialitäten her. Das Landesamt für Mess- und Eichwesen des Landes Rheinland-Pfalz beanstandete anlässlich einer Prüfung mehrere Produkte der Klägerin wegen fehlender Stückzahl­angaben auf der Verpackung, in der sich mehrere einzeln verpackte Süßigkeiten befanden, und leitete deswegen ein Ordnungswidrigkeitenverfahren ein. Daraufhin erhob die Klägerin Klage und beantragte die Feststellung, dass sie nicht gegen die Lebensmittelinformationsverordnung verstoße, wenn sie diese Produkte ohne die Angabe einer Stückzahl der in der Vorverpackung befindlichen Einzelpackungen in Ver­kehr bringe. Das Verwaltungsgericht Koblenz lehnte die Klage ab. Das Oberverwal­tungsgericht bestätigte diese Entscheidung und wies die Berufung der Klägerin zurück.

Die Klägerin verstoße mit der fehlenden Angabe der Gesamtzahl der Einzelpackungen gegen die Lebensmittelinformationsverordnung der Europäischen Union. Jedem Lebensmittel, das für die Lieferung an Endverbraucher bestimmt sei, seien Informatio­nen nach Maßgabe der Lebensmittelinformationsverordnung beizufügen. Für Produkte der hier in Rede stehenden Art, bei denen es sich um Vorverpackungen mit zwei oder mehr Einzelpackungen handele, sehe die Verordnung die Angabe der Gesamtnettofüll­menge und die Gesamtzahl der Einzelpackungen vor. Die Stückzahlkennzeichnungs­pflicht verstoße auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Entgegen der Ansicht der Klägerin führe sie nicht zu einem nicht zu rechtfertigenden oder gar sinn­losen Informationsüberschuss. Der Angabe der Stückzahl zusätzlich zur Gesamtnetto­füllmenge könne ein ergänzender Informationswert nicht abgesprochen werden. In Fällen, in denen der Endverbraucher abschätzen müsse, wie viele Vorverpackungen (Verkaufseinheiten) er für bestimmte Anlässe erwerben müsse, sei die Angabe der ent­haltenen Stückzahl – beispielsweise bei einer feststehenden Anzahl an Gästen – häufig hilfreicher als der Informationswert, der aus der Gesamtnettofüllmenge resultiere. Das Informationsbedürfnis an der Kenntnis der enthaltenen Stückzahl könne sich auch darauf erstrecken, in Erfahrung zu bringen, wie viele Einzelverpackungen in einer äußeren Verpackung enthalten seien, um damit die Kaufentscheidung auch anhand von umweltbezogenen Aspekten treffen zu können.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.

Urteil vom 2. November 2021, Aktenzeichen: 6 A 10695/21.OVG


EuGH: Kalorienangabe auf Vorderseite einer Müsliverpackung darf sich nicht auf Mischportion von Milch und Müsli beziehen - Dr. Oetker Vitalis Knuspermüsli

EuGH
Urteil vom 11.11.2021
C-388/20
Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. gegen Dr. August Oetker Nahrungsmittel


Der EuGH hat entschieden, dass sich die Kalorienangabe auf der Vorderseite einer Müsliverpackung nicht auf eine Mischportion von Milch und Müsli beziehen darf.

Tenor der Entscheidung:

Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung allein für Lebensmittel gilt, bei denen eine Zubereitung erforderlich und die Zubereitungsweise vorgegeben ist.

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LG Bremen: Milka Schmunzelhase - Darstellung der Zutatenliste in kleiner li­la­far­be­ner Schrift auf etwas hel­le­rem li­la­far­be­nem Grund unzureichend und wettbewerbswidrig

LG Bremen
Urteil vom 28.04.2021
12 O 177/20


Das LG Bremen hat im Rechtsstreit um die Darstellung der Zutatenliste auf der Produktverpackung des Milka Schmunzelhasen entschieden, dass die Zutatenliste auf Verpackungen von Lebensmitteln gut lesbar sein müssen. Die Darstellung in kleiner li­la­far­be­ner Schrift auf etwas hel­le­rem li­la­far­be­nem Grund ist dabei unzureichend und wettbewerbswidrig.

VG Stade: Irreführung nach Art. 7 Abs. 1 LMIV durch Werbung mit Selbstverständlichkeiten und Angabe des Eiweißgehalts von Bio-Quark

VG Stade
Beschluss vom 05.02.2021
6 B 54/21


Das VG Stade hat entschieden, dass eine Irreführung nach Art. 7 Abs. 1 LMIV durch Werbung mit Selbstverständlichkeiten zum Produkt und Angabe des Eiweißgehalts von Bio-Quark vorliegen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:

Hier bedarf es zunächst einer eingehenden Prüfung, ob ein lebensmittelrechtlicher Verstoß vorliegt. Bei summarischer Prüfung ist nicht abschließend zu klären, ob bzw. inwieweit die Produktbezeichnung des Produktes „Bio-Speisequarkzubereitung, Magerstufe“ irreführende Informationen im Sinne des Artikel 7 Absatz 1 LMIV enthält und damit dem Verbot nach § 11 Absatz 1 Nummer 1 LFGB unterfiele und ob der Antragsgegner sein Auswahlermessen rechtmäßig ausgeübt hat.

Gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung. Gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe c LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere indem zu verstehen gegeben wird, dass sich das Lebensmittel durch besondere Merkmale auszeichnet, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Merkmale aufweisen, insbesondere durch besondere Hervorhebung des Vorhandenseins oder Nicht-Vorhandenseins entweder bestimmter Zutaten oder bestimmter Nährstoffe oder beidem.

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Zur Begründung seiner Verfügung unter Ziffer 1 des Bescheides vom 6. Januar 2021 hat der Antragsgegner angeführt, dass der von der Antragstellerin verwendete Zusatz:

„Alle Produkte sind frei von künstlichen Zusatzstoffen und Geschmacksverstärkern. Unsere frische Bio-Speisequarkzubereitung ist cremig-mild im Geschmack und lässt sich perfekt verarbeiten.“

eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten darstellt und dadurch gegen Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe c LMIV verstößt. Denn das Produkt unterscheide sich bezüglich der Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen bzw. Geschmacksverstärkern nicht von anderen Speisequarks, anderen Speisequarkzubereitungen oder Frischkäse(-zubereitungen) ohne geschmacksgebende Zutaten (S. 3 des Bescheides). Ob dadurch zu verstehen gegeben wird, dass sich das Lebensmittel, hier also die Speisequarkzubereitung, durch besondere Merkmale auszeichnet, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel, hier nach Ansicht des Antragsgegners andere Speisequarks, andere Speisequarkzubereitungen oder Frischkäse(-zubereitungen) ohne geschmacksgebende Zutaten, dieselben Merkmale aufweisen, ist unter Beachtung der Dringlichkeit und der Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfragen mit einer summarischen Prüfung im Eilverfahren nicht zu klären. Bedenken bestehen deshalb, weil die Antragstellerin nicht nur damit wirbt, dass „das Produkt“, also die Speisequarkzubereitung, frei von künstlichen Zusatzstoffen und Geschmacksverstärkern sei. Der Zusatz steht vielmehr in einem Zusammenhang, der sich auf den Betrieb der Antragstellerin im Allgemeinen bezieht („Wir sind Ihre Bio-Hofmolkerei“, „10 km Garantie“, „Verantwortung“, „Hergestellt von“) und sagt aus, dass dies auf „alle Produkte“, also nicht nur den Bio-Magerquark, sondern insbesondere auch die von ihr hergestellten Produkte mit geschmacksgebenden Zutaten, zutreffe. Der Zusatz steht dagegen nicht im Zusammenhang mit den Angaben zu den Nährwerten oder Inhaltsstoffen.

Zur Begründung seiner Verfügung unter Ziffer 2 Satz 1 des Bescheides vom 6. Januar 2021 hat der Antragsgegner angeführt, dass der von der Antragstellerin angegebene Nährwert: „Eiweiß: 10,2 g“ eine irreführende Information in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, nämlich in Bezug auf die Zusammensetzung, darstellt und dadurch gegen Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a LMIV verstößt.

Ob diese Angabe irreführend ist, ist unter Beachtung der Dringlichkeit und der Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfragen mit einer summarischen Prüfung im Eilverfahren nicht zu klären. Wie der Antragsgegner selbst anführt, unterliegt der Eiweißgehalt des Produktes gewissen Schwankungen. Aus diesem Grund billigt er, unter Berufung auf Ziffer 3 Tabelle 2 Zeile 4 des „Leitfadens für die zuständigen Behörden – Kontrolle der Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission und Richtlinie 90/496/EWG des Rates vom 24. September 1990 über die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln und Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel in Bezug auf die Festlegung von Toleranzen für auf dem Etikett angegebene Nährwerte vom Dezember 2012“, dass der deklarierte Nährwert um 20 % gegenüber dem tatsächlich gemessenen Nährwert abweicht. Es ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner den Leitfaden für zuständige Behörden - Kontrolle der Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 […] in Bezug auf die Festlegung von Toleranzen für auf dem Etikett angegebenen Nährwerte zur Auslegung der Lebensmittelinformations-Verordnung heranzieht (Nds. OVG, Beschl. v. 13. Juli 2015 – 13 ME 80/15 –, juris Rn. 6). Das streitgegenständliche Produkt, auf dem ein Eiweißgehalt von 10,2 g pro 100 g ausgewiesen ist, dürfte demnach tatsächlich 8,1 bis 12,3 g Eiweiß pro 100 g enthalten. In einer Überprüfung am 18. September 2020 ist das Produkt aus diesem Toleranzbereich gefallen. In Überprüfungen vom 12. November, 25. November und 15. Dezember 2020 befand sich der Eiweißgehalt des Produktes jedoch innerhalb des Toleranzbereichs. Ob ein Einschreiten auch bei einer solchen „dauerhaften Unterschreitung um 16 %“ geboten ist, insbesondere wenn der Eiweißgehalt gleichzeitig erhöht wurde, vermag das Gericht bei summarischer Prüfung nicht abschließend zu beurteilen.

Zur Begründung seiner Verfügung unter Ziffer 2 Satz 2 bis 4 des Bescheides vom 6. Januar 2021 hat der Antragsgegner angeführt, dass die Anordnungen gemäß Artikel 34 Satz 4 Satz 1 Buchstabe a LMIV zur Verifizierung des Analyseergebnisses erforderlich und insgesamt verhältnismäßig seien. Artikel 34 Satz 4 Satz 1 Buchstabe a LMIV stellt aber keine Ermächtigungsgrundlage für den Antragsgegner dar. Ob der Antragsgegner das ihm nach Artikel 138 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe b VO (EU) 625/2017 und § 39 Absatz 2 Satz 1, 2. Teilsatz in Verbindung mit § 39 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a LFGB zustehende Auswahlermessen erkannt und ausgeübt hat, vermag das Gericht aufgrund der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen.

Die daher zu treffende Folgenabwägung fällt vorliegend zu Gunsten der Antragstellerin aus. Eine Stattgabe des Antrags trotz Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hat weniger einschneidende Folgen für die mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung verfolgten öffentlichen Schutzinteressen als eine Ablehnung des Antrags trotz Rechtswidrigkeit des Bescheides es für die Interessen der Antragstellerin hätte. Denn in der Gesamtschau überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das vom Antragsgegner geltend gemachte öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verbots des Inverkehrbringens des Produktes „Bio Speisequarkzubereitung, Magerstufe“, wie er es in seinem Bescheid vom 6. Januar 2021 angeordnet hat. Die Folgen für Gesundheit und Schutz der Verbraucher sind auch bei Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verbotsanordnung als gering zu bewerten, während insbesondere die wirtschaftlichen Folgen für die Antragstellerin bei einer sofortigen Untersagung trotz des möglicherweise rechtswidrigen Verbots durch den Antragsgegner als erheblich einzuschätzen sind.

Dabei berücksichtigt das Gericht, dass eine besondere Dringlichkeit der sofortigen Vollziehung zum Zwecke des Gesundheitsschutzes nicht gegeben ist. Eine Gesundheitsgefährdung der Verbraucher ist der Sache nach ausgeschlossen.

Eine besondere Dringlichkeit zum Zwecke des Schutzes der Verbraucher vor Täuschungen liegt nach Einschätzung des Gerichts ebenfalls nicht vor. Dabei ist der Auffassung nicht zu folgen, dass eine Täuschungsgefahr stets so erheblich ist, dass sie eine sofortige Vollziehung erfordert (so aber OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2010 - 3 M 419/10 -, juris). Für eine solche Bewertung spricht insbesondere nicht, dass das Inverkehrbringen eines Lebensmittels unter einer irreführenden Bezeichnung nach § 59 Absatz 1 Nummer 7 LFGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet wird. Wenn der Gesetzgeber deshalb die sofortige Vollziehbarkeit stets für zwingend geboten gehalten hätte, hätte er die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen entsprechende Ordnungsverfügungen von Gesetzes wegen ausgeschlossen. Dass das nicht geschehen ist, belegt, dass die Ordnungsbehörde insoweit den Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen soll. Daher ist zu berücksichtigen, ob die beanstandeten Angaben tatsächlich falsch oder ob und in welchem Grad sie missverständlich sind, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich die Gefahr der Täuschung verwirklichen wird, insbesondere, welchen Umfang der Handel hat, an welches Publikum sich die Angaben richten und welcher Schaden über die bloße Täuschung hinaus entstehen kann (VG Stade, Beschl. v. 10. Februar 2017- 6 B 3482/16 - n.v.).

Die vom Antragsgegner beanstandete Bewerbung des Produkts mit dem Zusatz: „Alle Produkte sind frei von künstlichen Zusatzstoffen und Geschmacksverstärkern“ ist hinsichtlich des streitbefangenen Quarks zwar möglicherweise missverständlich oder irreführend, weil das Nicht-Vorhandensein von Lebensmittelzusatzstoffen bzw. Geschmacksverstärkern bei anderen (Bio-) Speisequarks, anderen Speisequarkzubereitungen oder Frischkäse(-zubereitungen) ohne geschmacksgebende Zutaten eine Selbstverständlichkeit ist. Tatsächlich falsch dürften die Angaben in Bezug auf das Produkt insoweit aber nicht sein. Den einzigen, überhaupt nur denkbaren Schaden, den ein Verbraucher nehmen könnte, sieht das Gericht darin, dass ein Verbraucher das Produkt in dem Glauben erwerben könnte, er erhalte ein besonderes bzw. ein besonders hochwertiges Produkt, welches sich durch das Nicht-Vorhandensein von künstlichen Zusatzstoffen und Geschmacksverstärkern von vergleichbaren Produkten abhebt. Aber selbst in diesem Fall ist nicht ersichtlich, dass den Käufern des Produktes der Antragstellerin über eine mögliche Täuschung hinaus ein Schaden entsteht, der über die für das Produkt aufgewendeten Geldmittel hinausreicht. Der mögliche „finanzielle Schaden“ beim Verbraucher ist bei einem Verkaufspreis von 1,25 Euro pro 500 g Speisequarkzubereitung auch als relativ gering anzusehen. Dabei ist hier auch zu berücksichtigen, dass der Verbraucher für diesen Geldbetrag eine Ware (ein Lebensmittel) erhalten hat, deren Wert dazu nicht außer Verhältnis steht.

Diesen Folgen sind der Eingriff in die grundrechtlich geschützte Gewerbefreiheit der Antragstellerin und ihre Verluste gegenüberzustellen, welche sie bei einer Ablehnung ihres Antrags trotz Rechtswidrigkeit des Bescheides erlitte. Dabei berücksichtigt das Gericht in erster Linie die Verluste, die der Antragstellerin dadurch entstehen, dass sie de facto daran gehindert ist, ihr Produkt „Bio-Speisequarkzubereitung, Magerstufe“ in den Verkehr zu bringen. Die Verluste bestehen in den bereits produzierten 2.000 fertigen Quarkbechern im Wert von ca. 3.000 Euro sowie in einem wöchentlichen Ausfall von ca. 4.000 Quarkbechern im Wert von ca. 6.000 Euro. Die Verluste stuft das Gericht durchaus als erheblich ein, zumal das streitgegenständliche Produkt 10 – 20 % des Absatzes der Antragstellerin ausmacht. Das Gericht hat keinen Anlass, an den Angaben der Antragstellerin zu zweifeln. Das Gericht teilt nicht die Auffassung des Antragsgegners, dass die wirtschaftlichen Folgen nicht hinreichend dargelegt seien. Die Antragstellerin hat den Umfang und den Wert mitgeteilt, in dem sie den streitbefangenen Quark herstellt. Dass sich dieser Quark nicht länger lagern lässt und deshalb nicht auf Vorrat hergestellt werden kann, bedarf keiner weiteren Darlegung. Die Antragstellerin hat auch dargelegt, in welchem Umfang sie Verpackungen bereits erhalten oder bestellt hat und welchen Wert diese Verpackungen haben.

Ebenso wenig hat das Gericht durchgreifende Zweifel an dem Vortrag der Antragstellerin, es sei ihr in absehbarer Zeit nicht möglich, den beanstandeten Zusatz auf ihren Verpackungen unkenntlich zu machen. Die Antragstellerin hat zwar zur Unverhältnismäßigkeit der getroffenen Anordnungen zunächst vorgetragen, man hätte ihr auch aufgeben können, die beanstandete Formulierung zu „überkleben“. Im Laufe des Verfahrens hat sie jedoch glaubhaft vorgetragen, dass auch die Unkenntlichmachung der beanstandeten Formulierung nicht sofort ohne wirtschaftliche Einbußen, sondern nur mit einem gewissen Zeitablauf und hohen Aufwand verwirklicht werden könne. Dazu hat sie dargelegt, dass das „Überkleben“ des Zusatzes auf der Verpackung eines feuchtigkeitsresistenten Aufklebers bedürfe, welcher nur im Rahmen einer bestimmten Übergangszeit beschafft werden könne. Auch an diesen Angaben hat das Gericht hat keine Zweifel.

Demgegenüber berücksichtigt das Gericht nicht den der Antragstellerin durch die bereits in Auftrag gegebenen Verpackungen mit dem beanstandeten Zusatz entstandenen Schaden. Dem Antragsgegner ist insoweit zuzugeben, dass es sich dabei um das unternehmerische Risiko der Antragstellerin handelt, die bereits seit Januar 2020 über die Beanstandungen des Antragsgegners informiert war. Außerdem hat die Antragstellerin bereits den Entwurf neuer Verpackungen ohne den beanstandeten Zusatz von dem Antragsgegner abnehmen lassen. Sie hat zu erkennen gegeben, dass sie im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Übergangslösung, bis zum Eintreffen der neuen Verpackungen begehrt.

Ausgehend von diesen Erwägungen, insbesondere der letztgenannten, war die hier getroffene Maßgabeentscheidung geboten. Nach § 80 Absatz 5 Satz 4 VwGO kann die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann nach Satz 5 der Vorschrift auch befristet werden. Hiervon hat das Gericht Gebrauch gemacht. Denn das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage besteht nur solange, wie ihr durch die verfügte Untersagung des Inverkehrbringens ihres Produktes ein finanzieller Schaden entsteht. Da die Antragstellerin bereits eine neue Verpackung entworfen hat, die die Beanstandungen des Antragsgegners ausräumt, entstünde ihr ein finanzieller Verlust nur bis zum Eintreffen dieser neuen Verpackungen, welches nach den Angaben der Antragstellerin in acht Wochen der Fall ist. Das Gericht sieht auch für diese Angabe der Antragstellerin keinen Anlass zu Zweifeln. Innerhalb von acht Wochen produziert die Antragstellerin nach eigenen Angaben ca. 32.000 Becher Speisequark. Die aufschiebende Wirkung der Klage war daher längstens für einen Zeitraum von acht Wochen – also bis einschließlich 2. April 2021 – und höchstens für eine Produktion von 34.000 Bechern (2.000 bereits produzierte zuzüglich 32.000 durchschnittlich zu produzierende Quarks) anzuordnen. Die Antragstellerin hat dem Antragsgegner unverzüglich mitzuteilen, wann die neue Verpackung eintreffen. Für den Fall, dass die Antragstellerin bereits vor Eintreffen der neuen Verpackungen die wöchentliche Menge an Quark bereits produziert hat, gilt, dass die Antragstellerin diese bereits produzierten Quarks noch in den Verkehr bringen darf.


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BGH: Schwarzwälder Schinken muss nicht zwingend im Schwarzwald geschnitten und verpackt werden - Erfordernis nicht produktspezifisch gerechtfertigt

BGH
Beschluss vom 03.09.2020
I ZB 72/19
Schwarzwälder Schinken II
VO (EU) Nr. 1151/2012 Art. 7 Abs. 1 Buchst. e


Der BGH hat in Umsetzung des Urteils des EuGH vom 19.12.2018 - C‑367/17 entschieden, dass Schwarzwälder Schinken nicht zwingend im Schwarzwald geschnitten und verpackt werden muss. Dieses Erfordernis ist - so der BGH - nicht produktspezifisch gerechtfertigt

Leitsätze des BGH:

a) Eine Änderung der Spezifikation, die die Zuerkennung einer geschützten geografischen Angabe an die Aufmachung im Erzeugungsgebiet knüpft, ist nur gerechtfertigt, wenn einer der drei in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 genannten Rechtfertigungsgründe - Qualitätswahrung oder Ursprungsgewährleistung oder Kontrollgewährleistung - vorliegt.

b) Bei der Prüfung, ob die Wahrung der Qualität des in Rede stehenden Erzeugnisses (hier: von der geschützten geografischen Angabe "Schwarzwälder Schinken" erfasster Schinken) das Erfordernis der Aufmachung (hier: das Schneiden und Verpacken) im Erzeugungsgebiet (hier: im Schwarzwald) erfordert, kommt es darauf an, ob dieses Erfordernis produktspezifisch gerechtfertigt ist. Eine produktspezifische Rechtfertigung liegt nur vor, wenn das betreffende Erzeugnis bei einer Verarbeitung außerhalb des Erzeugungsgebiets im Vergleich zu anderen vergleichbaren Erzeugnissen erhöhten Risiken ausgesetzt ist, denen mit den vorgesehenen Maßnahmen wirksam begegnet werden kann.

c) Das Erfordernis der Aufmachung im Erzeugungsgebiet ist unter dem Gesichtspunkt der Ursprungsgarantie und der Rückverfolgbarkeit des Erzeugnisses nur gerechtfertigt, wenn die Spezifikation zur Gewährleistung des Ursprungs des Erzeugnisses Kontrollen vorsieht, die innerhalb des Erzeugungsgebiets effektiver als außerhalb dieses Gebiets vorgenommen werden können.

d) Das Erfordernis der Aufmachung eines von einer geschützten geografischen Angabe erfassten Erzeugnisses im Erzeugungsgebiet ist gerechtfertigt, wenn es dem Ziel dient, eine wirksame Kontrolle der Spezifikation für diese geschützte geografische Angabe zu gewährleisten. Dabei muss es sich um Kontrollen handeln, die außerhalb des Erzeugungsgebiets weniger Garantien für die Qualität und Echtheit dieses Erzeugnisses geben als Kontrollen, die im Erzeugungsgebiet unter Einhaltung der in der Spezifikation vorgesehenen Verfahren durchgeführt werden.

BGH, Beschluss vom 3. September 2020 - I ZB 72/19 - Bundespatentgericht

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