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OLG Celle: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen die Marktverhaltensregel Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO durch Inverkehrbringen des Nahrungsergänzungsmittels "Cannabis-Öl"

OLG Celle
Beschluss vom 28.03.2023
13 U 67/22


Das OLG Celle hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die Marktverhaltensregel Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO durch Inverkehrbringen des Nahrungsergänzungsmittels "Cannabis-Öl" vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Kläger ist klagebefugt gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, was auch die Beklagte nicht in Abrede nimmt.

2. Der Kläger hat einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Abs. 3 Nr. 2 UWG, § 3 Abs. 1, § 3a i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO.

a) Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 3a Rn. 1.265, 1.271; bereits für die frühere Fassung der Novel-Food-VO: BGH GRUR 2015, 1140 [BGH 16.04.2015 - I ZR 27/14] Rn. 19).

b) Das Inverkehrbringen des Cannabis-Öls der Beklagten verstößt gegen Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO.

aa) Das Nahrungsergänzungsmittel der Beklagten ist ein neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 a) iv) Novel-Food-VO.

Nach dieser Bestimmung ist zunächst maßgeblich, ob das Lebensmittel vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde. Abzustellen ist dabei auf alle Merkmale des in Rede stehenden Lebensmittels und des hierfür verwendeten Herstellungsvorgangs (BGH, Urteil vom 16. April 2015 - I ZR 27/14, Rn. 21, Bohnengewächsextrakt, zu dem gleichen Tatbestandsmerkmal in der Vorgängerregelung, Art. 1 Abs. 2 VO (EG) 258/97). Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß Erwägungsgrund 17 der Novel-Food-VO Lebensmittel, die ausschließlich aus Lebensmittelzutaten hergestellt werden, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, insbesondere im Zuge einer Änderung der verwendeten Lebensmittelzutaten oder ihrer Anteile, nicht als neuartige Lebensmittel betrachtet werden sollen.

bb) Im Streitfall geht es um eine Kombination von Sesamöl und einem Hanfextrakt, der mit einem bestimmten Extraktionsverfahren hergestellt worden ist und Cannabidiol (CBD) enthält. Weil die Zutat Sesamöl als solche nicht neuartig ist, kommt es für die Beurteilung der Neuartigkeit des Cannabisöls auf den Hanfextrakt an.

Extraktion nennt man jedes Trennverfahren, bei dem mit Hilfe eines (festen, flüssigen oder gasförmigen) Extraktionsmittels eine oder mehrere Komponenten aus einem Stoffgemisch herausgelöst werden (vgl. Wikipedia). Maßgeblich für die Beurteilung der Neuartigkeit ist auch das von der Lieferantin der Beklagten für die Herstellung ihres Hanfextrakts konkret angewandte Extraktionsverfahren mit dem von ihr verwendeten spezifischen Extraktionsmittel. Denn von dem Extraktionsmittel hängt ab, welche Bestandteile herausgelöst werden.

Es ist davon auszugehen, dass der Hanfextrakt in dem von der Beklagten vertriebenen Cannabis-Öl vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde.

Diese Behauptung des Klägers hat die Beklagte nicht mit Substanz bestritten. Weil es sich um eine negative Tatsache handelt, trifft die Beklagte insoweit nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen eine sekundäre Darlegungslast (BGH, GRUR 2015, 1140 [BGH 16.04.2015 - I ZR 27/14] Rn. 22). Dieser ist die Beklagte nicht nachgekommen (s. nachfolgend Ziff. (1) und (2)).

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem - in der Vorgängerregelung noch nicht in dieser Form enthaltenen - Tatbestandsmerkmal "ausgenommen Fälle, in denen das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat" (Art. 3 Abs. 2 a) iv) eine einschränkende Bedeutung zukommen soll. In Betracht käme, dass Lebensmittel nicht als neuartig anzusehen sind, wenn sie vor dem Stichtag zwar nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden, aber trotzdem - etwa aufgrund regionaler Besonderheiten - in der Union Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel haben. Aber auch dies hat die Beklagte nicht dargetan.

(1) Das Landgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass es in der EU vor dem 15. Mai 1997 eine Verwendungsgeschichte für Produkte gegeben habe, die sich - wie das der Beklagten - aus Sesamöl und Hanfextrakt zusammensetzten. Auch für generell aus Hanfextrakt hergestellte Produkte habe sie eine Verwendungsgeschichte nicht dargelegt. Dass die Beklagte insoweit keinen Vortrag gehalten hat, steht gemäß § 314 ZPO fest. Die Beweiskraft des Tatbestandes gemäß § 314 ZPO erfasst auch diejenigen tatsächlichen Feststellungen, die in den Entscheidungsgründen enthalten sind und den Tatbestand insoweit ersetzen (BeckOK ZPO/Elzer, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 314 Rn. 8). Dem stünde nicht entgegen, wenn sich insoweit Vorbringen aus vorbereitenden Schriftsätzen der Beklagten ergäbe. Zwar wird in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils allgemein auf diese Schriftsätze Bezug genommen. Bei einem Widerspruch zwischen ausdrücklichen tatbestandlichen Feststellungen und dem allgemein in Bezug genommenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze geht der Tatbestand vor (BeckOK ZPO/Elzer, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 314 Rn. 27 mwN).

(2) Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte auch dann nicht ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen wäre, wenn Vorbringen aus ihren vorbereitenden Schriftsätzen berücksichtigt würde. Auch in den erstinstanzlichen Schriftsätzen der Beklagten ist nicht mit Substanz dargetan, dass das Lebensmittel der Beklagten oder der darin enthaltene Hanfextrakt vor dem Stichtag in der Union in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt wurde bzw. eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel hat. An den von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung genannten Fundstellen (Bl. 952 d.A.) hat sie vorgetragen, Blüten und Blätter von Cannabis sativa seien seit Jahrhunderten innerhalb der EU traditionell zum Verzehr verwendet worden. In gleicher Weise, wie Tee und Kaffee mit heißem Wasser als Extrakt hergestellt worden sei, seien auch Extrakte aus Cannabisblüten und -blättern zum Zwecke des Verzehrs hergestellt worden. Weiter hat sie vorgetragen, soweit ihr bekannt sei, sei der verwendete Hanfextrakt mit dem Extraktionsmittel Ethanol hergestellt worden (Bl. 446 d.A.). In einem italienischen Kochbuch aus dem 15. Jahrhundert finde sich ein Rezept, wonach man Hanfpflanzen in Öl aufgekocht und den Sud zum Verzehr verwendet habe (Bl. 447 d.A.). In Osteuropa sei in den 1970er und 80er Jahren Nutzhanf als Lebensmittelzutat verwendet worden, z.B. zur Herstellung von Hanftee oder beim Bierbrauen (Bl. 448 d.A.). Hanf werde bereits seit dem Jahr 400 in Deutschland angebaut (Bl. 534 d.A.). Die Nutzung von Ethanol als Extraktionsmittel für Lebensmittel und -zutaten sei ein übliches und zulässiges Verfahren (Bl. 609 d.A.).

Mit diesem Vortrag hat die Beklagte die sie treffende sekundäre Darlegungslast nicht erfüllt. Weder für das von ihr hergestellte Nahrungsergänzungsmittel, noch für den dabei verwendeten, im Wege der Ethanol-Extraktion hergestellten Hanfextrakt hat sie eine nennenswerte Nutzung als Lebensmittel vor dem maßgeblichen Stichtag vorgetragen. Der pauschale Vortrag zur jahrhundertelangen Verwendung von Hanf und die Verwendung zur Zubereitung von Tees und zum Bierbrauen genügen insoweit nicht. Es handelt sich nicht um die von der Beklagten verwendete Lebensmittelzutat, einen im Wege der Ethanol-Extraktion hergestellten Hanfextrakt. Darüber hinaus fehlte es selbst zu den von der Beklagten vorgetragenen - gänzlich anderen - Herstellungsmethoden (Aufkochen in Wasser oder Öl) an hinreichend konkretem Vortrag dazu, dass die Produkte in nennenswertem Umfang verzehrt wurden oder eine sichere Verwendungsgeschichte haben.

(3) Auch in der Berufungsbegründung hat die Beklagte hierzu keinen weiteren Tatsachenvortrag gehalten, sondern nur auf ihren "fragmentarischen" erstinstanzlichen Vortrag verwiesen.

(4) Ausweislich ihres Schriftsatzes vom 9. März 2023 meint die Beklagte, sie könne insoweit nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist noch weiteren berücksichtigungsfähigen Tatsachenvortrag halten (Bl. 975 d.A.). Dies trifft jedoch nicht zu (§ 520, § 530 ZPO). Wie die Beklagte selbst ausführt, konnte sie (spätestens) aus dem angefochtenen Urteil erkennen, dass sie hierzu hätte vortragen müssen.

Aus den vorstehenden Gründen kann der Kläger auch die Unterlassung der streitgegenständlichen Werbung verlangen. Denn es wird - unter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Lebensmittelinformations-VO - der unzutreffende Eindruck erweckt, es handele sich um ein verkehrsfähiges Lebensmittel.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: