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OLG Celle: Bei Werken der Baukunst gehen die Interessen des Eigentümers an anderweitiger Nutzung oder Bebauung des Grundstücks den Interessen des Urhebers an der Erhaltung regelmäßig vor

OLG Celle
Urteil vom 27.02.2024
13 U 57/23


Das OLG Celle hat entschieden, dass bei Werken der Baukunst die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstücks den Interessen des Urhebers an der Erhaltung des Werkes regelmäßig vorgehen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Es besteht auch ein Verfügungsanspruch. Die Kläger haben derzeit einen Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1, § 14 UrhG.

1. Die in Rede stehende Brunnenanlage ("Wasserspiegel") ist als Teil der von Prof. Lange geschaffenen Platzgestaltung urheberrechtlich geschützt. Die Platzgestaltung ist ein Werk der bildenden Kunst i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG. Sie weist in der Gesamtschau - insbesondere im Hinblick auf die Brunnenanlage - die für urheberrechtlich geschützte Werke erforderliche Schöpfungshöhe (§ 2 Abs. 2 UrhG) auf. Dies ist nicht zweifelhaft und steht zwischen den Parteien auch nicht im Streit.

2. Die Kläger sind als Erben Gesamtrechtsnachfolger von Prof. Lange (§ 1922 BGB) und daher auch Inhaber von dessen urheberrechtlichen Ansprüchen geworden.

3. Der Schutzbereich von § 14 UrhG ist betroffen. Die Entfernung des Brunnens als ein wesentliches Element des Entwurfs von Prof. Lange stellt eine Beeinträchtigung seines Werkes "Platzgestaltung" dar.

Auch wenn man - wie das Landgericht - isoliert nur auf den Brunnen abstellte, wäre dies der Fall. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfasst § 14 UrhG auch die Vernichtung des Werks (BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - I ZR 98/17 - HHole (for Mannheim), BGHZ 221, 181-212, Rn. 31). Das Urheberpersönlichkeitsrecht kann durch die Vernichtung eines Werks in besonderer Weise betroffen sein, weil die Vernichtung das Fortwirken des Werks (als Ausdruck der Persönlichkeit seines Schöpfers) vereiteln oder erschweren kann. Durch die Vernichtung wird das geistige Band zwischen dem Urheber und seinem Werk durchschnitten (BGH, aaO Rn. 33).

4. Für das Interesse des Urhebers an dem Erhalt seines Werks streitet die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verbürgte Kunstfreiheit. Demgegenüber ist das Grundstückseigentum der Beklagten an dem Platz Gegenstand und Grundlage kommunaler Betätigung und genießt somit den verfassungsrechtlichen Schutz der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - I ZR 98/17 - HHole (for Mannheim), BGHZ 221, 181-212, Rn. 34 f.)

5. Es ist somit eine umfassende Abwägung zwischen dem Erhaltungsinteresse der Kläger als Rechtsnachfolger des Urhebers und dem Interesse der Beklagten an einer Umgestaltung ihres Platzes vorzunehmen.

Hierbei überwiegt zum derzeitigen Zeitpunkt das Interesse der Kläger an dem Erhalt des Brunnens.

a) Bei der Prüfung, ob die Beeinträchtigung geeignet ist, die berechtigten persönlichen und geistigen Interessen des Urhebers am Werk zu gefährden, ist eine umfassende Abwägung der Interessen des Urhebers und des Eigentümers des Werks nach den folgenden, durch den Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - I ZR 98/17 - HHole (for Mannheim), BGHZ 221, 181-212):

Bei der Interessenabwägung ist auf Seiten des Urhebers zu berücksichtigen, ob es sich bei dem vernichteten Werk um das einzige Vervielfältigungsstück des Werks handelte oder ob von dem Werk weitere Vervielfältigungsstücke existieren. Ferner ist zu berücksichtigen, welche Gestaltungshöhe das Werk aufweist und ob es ein Gegenstand der zweckfreien Kunst ist oder als angewandte Kunst einem Gebrauchszweck dient (aaO, Rn. 39).

Auf Seiten des Eigentümers können, wenn ein Bauwerk oder Kunst in oder an einem solchen betroffen ist, bautechnische Gründe oder das Interesse an einer Nutzungsänderung von Bedeutung sein. Bei Werken der Baukunst oder mit Bauwerken unlösbar verbundenen Kunstwerken werden die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstücks oder Gebäudes den Interessen des Urhebers am Erhalt des Werks in der Regel vorgehen, sofern sich aus den Umständen des Einzelfalls nichts anderes ergibt (aaO, Rn. 40).

Im Rahmen der Interessenabwägung kann sich auswirken, ob der Eigentümer dem Urheber Gelegenheit gegeben hat, das Werk zurückzunehmen oder - wenn dies aufgrund der Beschaffenheit des Werks nicht möglich ist - Vervielfältigungsstücke hiervon anzufertigen (aaO, Rn. 41).

b) Nach dieser Maßgabe überwiegt derzeit im Ergebnis das Erhaltungsinteresse der Kläger.

aa) Auf Seiten der Kläger ist zu berücksichtigen, dass die in Rede stehende Platzgestaltung eine vergleichsweise hohe Gestaltungshöhe aufweist und durch die Entfernung des Brunnens ihr wesentliches Element verlieren würde.

(1) Die Platzgestaltung weist eine - bezogen auf die Aufgabenstellung - vergleichsweise hohe Gestaltungshöhe auf. Die Relativierung durch das Landgericht überzeugt nicht. Insbesondere die Brunnenanlage trägt zu der besonderen Gestaltungshöhe bei, sie weist eine hohe Originalität auf. Die strenge, monumentale Geometrie der kreisrunden Brunneneinfassung wird "gestört" durch einen asymmetrisch kreuzenden Steg und geheimnisvoll wirkende, teilweise bepflanzte "Ruinen-Elemente", die die Phantasie des Betrachters dazu anregt, sich über die mögliche Funktion und Bedeutung Gedanken zu machen. Die Spiegelungen der geometrischen Naturstein-Elemente und der Bepflanzung in der Wasserfläche verstärken diesen Eindruck. Es ist verfehlt und verkennt die künstlerische Gestaltung, wenn das Landgericht darauf abstellt, dass ein Wasserspiegel ein nicht selten anzutreffendes Grundelement sei. Es ist künstlerischem Schaffen immanent, dass regelmäßig bekannte Grundelemente in neuer Weise kombiniert werden. Die Besonderheit liegt hier gerade darin, wie der Entwurf verhältnismäßig einfache geometrische Formen und das Element Wasser nutzt, um bestimmte Eindrücke zu erzeugen.

Darüber hinaus verkennt das Landgericht das zu beurteilende Werk, wenn es darauf abstellt, dass bei einem Brunnen vor allem Gebrauchszwecke zentral seien. Auch wenn der Platz als solches als Verkehrs- und Aufenthaltsfläche bestimmten Gebrauchszwecken dient, betrifft dies nicht den Brunnen als wesentliches Gestaltungselement des Platzes. Gerade der Brunnen beeindruckt dadurch, dass er mit seinen ungewöhnlichen Ausmaßen und seinen besonderen, spielerischen Elementen (Stege und Inseln) - außer der Möglichkeit, auf der gestuften Einfassung zu sitzen - weitgehend zweckfrei ist. Auch wenn der Entwurf Bezüge zu der in den 1980er Jahren aktuellen Architekturrichtung der Postmoderne aufweist, ist er stark durch eigenständige Merkmale geprägt.

Es trifft auch nicht zu, dass der Brunnen keine Bezüge zu seiner Umgebung aufweist. Der Entwurfsplan (Anlage Ast 2) veranschaulicht, dass die Platzgestaltung durchaus in Beziehung zu dem damaligen Neubau des Bankgebäudes tritt. Dies geschieht zum einen durch den das Gebäude durchquerenden Weg und die - wie der Brunnen - mit runden, gestuften Steinelementen eingefasste Baumreihe an der Berliner Allee, die an der dem Platz abgewandten Gebäudeseite im Bereich des Durchlasses des vorgenannten Weges beginnt, wodurch das Gebäude in die Platzgestaltung einbezogen wird. Zum anderen finden sich das Kreissegment des Grundrisses des Hauptgebäudes der Bank sowie der runde Aufbau des Nebengebäudes auch in der Geometrie des Brunnens wieder.

Ein bedeutendes Indiz für die besondere Gestaltungshöhe der Platzgestaltung ist schließlich auch, dass der Entwurf aus einem Architektenwettbewerb, an dem im Übrigen auch der damalige Stadtbaurat der Beklagten als Fachpreisrichter beteiligt war, als Sieger hervorging (s. Anlagen Ast 24 und 25).

(2) Im Grundsatz zur Recht beanstanden die Kläger auch, dass das Landgericht bei seiner Interessenabwägung von der Beseitigung des Brunnens als einem isolierten Werk ausgegangen sei und nicht die Platzgestaltung als Gesamtwerk berücksichtigt habe, das durch die Beseitigung des Brunnens eine gravierende Änderung erfahre.

Wenn infolge einer teilweisen Vernichtung eines Werkes Fragmente des Werkes erhalten bleiben, kann dies unter Umständen das Urheberpersönlichkeitsrecht stärker beeinträchtigen, als die vollständige Vernichtung des Werkes. Die Existenz des Fragments, das noch auf den Urheber hindeutet, stört dessen persönliche geistige Beziehung zu dem ursprünglichen, vollständigen Werk (Wandtke/Bullinger/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 14 Rn. 26). Die Interessen des Urhebers sind besonders dann beeinträchtigt, wenn Betrachter die verbliebenen Fragmente dem ursprünglichen Urheber zuordnen und dabei nicht erkennen, dass der Urheber das Werk so, wie es sich jetzt darstellt, nicht geschaffen hat.

Im Streitfall ist allerdings eher fernliegend, dass die nach einer Entfernung des Brunnens verbleibenden Teilelemente für einen interessierten Betrachter noch auf eine einheitliche Platzgestaltung als Gesamtwerk hinweisen. Der ursprüngliche Entwurf ist bereits durch die Entfernung der "Wasserwand" erheblich verändert worden. Nach einer Beseitigung des Brunnens würden nur noch wenige Gestaltungselemente verbleiben. Am Markantesten sind noch die Natursteineinfassungen der Bäume und Anpflanzungen an der Berliner Allee; diese sind aber durch den Hotelneubau von dem Platz deutlich getrennt worden, sodass sie auch von interessierten Betrachtern - wenn sie nicht über besonderes Hintergrundwissen über den früheren Zustand des Platzes verfügen - nach einer Entfernung des Brunnens kaum noch als Bestandteil einer einheitlichen Platzgestaltung wahrgenommen werden dürften. Auch der etwas abseits des eigentlichen Platzes gelegene Abgang zu der Unterführung wird unter Berücksichtigung der abweichenden Materialien (Sichtbeton und rote Klinkerpflasterung) kaum als Bestandteil der sonstigen Platzgestaltung wahrgenommen werden.

Wer hingegen die ursprüngliche Platzgestaltung kennt, wird auch erkennen, dass das ursprüngliche Werk verändert wurde und der beeinträchtigte Zustand nicht dem Urheber zugerechnet werden kann.

Dem Aspekt, dass die nach der Brunnenentfernung verbleibende Platzgestaltung auf ein Werk hindeuten würde, dass der Entwurfsverfasser so nicht geschaffen hat, kommt daher bei der Abwägung keine maßgebliche Bedeutung zu. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die bereits entfernte Wasserwand im Hinblick auf eine absehbare Bebauung von Anfang an nur als Provisorium konzipiert war oder - wie die Beklagte nach dem Schluss der Verhandlung näher vortragen hat - als wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzepts von Prof. Lange anzusehen war.

(3) Weil das Werk entscheidend durch das markante Brunnenbauwerk geprägt wird, reduziert es auf der anderen Seite das Erhaltungsinteresse der Kläger aber auch nicht wesentlich, dass die ursprünglich entworfene Platzgestaltung durch den Hotelneubau und die Entfernung der "Wasserwand" bereits eine Änderung erfahren hat, bei der das Hotel teilweise die Funktion der "Wasserwand" übernommen hat, den Platz gegenüber der Berliner Allee abzuschirmen.

(4) Der von der Beklagten angebotenen Überlassung von Brunnenbauteilen und einer Dokumentation ist bei der Abwägung kein entscheidendes Gewicht beizumessen. Die Aufbewahrung einzelner Bauteile könnte kaum dazu beitragen, eine Erinnerung an die Gestaltung des Brunnens zu bewahren. Dass die Kläger den Brunnen mit den Bauteilen andernorts wieder aufbauen könnten, erscheint schon angesichts der Dimensionen des Brunnens fernliegend und könnte auch die ursprüngliche Platzgestaltung nicht rekonstruieren. In dem gegenwärtigen sanierungsbedürftigen Zustand des Brunnens ist auch die Anfertigung einer Foto-Dokumentation - über bereits vorhandene Unterlagen hinaus - kaum geeignet, Urheberinteressen zu dienen.

bb) Auf Seiten der Beklagten ist entscheidend ihr Interesse an einer anderweitigen Nutzung der durch den Brunnen eingenommenen Fläche zu berücksichtigen.

(1) Allerdings existieren noch keine Planungen der Beklagten dazu, wie der Platz und insbesondere die bisherige Brunnenfläche nach der Entfernung des Brunnens dauerhaft gestaltet werden sollen. In der dem Stadtbezirksrat vorgelegten Beschlussdrucksache vom 21. August 2023 zum "Rückbau des Zierbrunnens Andreas-Hermes-Platz-Brunnen auf dem Andreas-Hermes-Platz" kündigte die Beklagte an, dass sie im Jahr 2024 mit den Planungen für ein neues dauerhaftes Gestaltungs- und Nutzungskonzept des Platzes beginnen und dieses den Ratsgremien vorschlagen werde (Bl. 141 LG-A). Es muss einem schutzwürdigen Interesse der Beklagten an einer Nutzungsänderung jedoch nicht entgegenstehen, dass noch keine Planung für die dauerhafte Gestaltung des Platzes vorliegt. Schutzwürdig kann auch das Interesse sein, während einer Zwischenphase neue Konzepte zu erproben und dafür auch bereits den Brunnen zu entfernen. Dem steht nicht grundsätzlich entgegen, dass die Beklagte dann im Verlauf dieser Zwischennutzung möglicherweise auch zu dem Ergebnis gelangen könnte, dass für die endgültige Platzgestaltung eine Entfernung des Brunnens, den Prof. Lange nach den im Architektenwettbewerb vom damaligen Stadtbaurat geäußerten Vorstellungen der Beklagten, insbesondere zur Unterstützung von mehr Sozialkontrolle, statt des ursprünglich vorgesehenen "Paradiesgartens" entworfen hatte (Anlage Ast 24, Bl. 78 f. OLG-A), gar nicht erforderlich gewesen wäre.

(2) Auch für die beabsichtigte Zwischennutzung liegt aber keine näher konkretisierte Planung vor.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bezirksrats war dazu nach der Beschlussvorlage angekündigt, dass die Projektgruppe der AG bahnhofsnahe Plätze zeitnah Ideen entwickeln werde. Die hierzu nunmehr in der Berufungsinstanz vorgelegte Planungsskizze hat erkennbar den Charakter einer ersten Ideensammlung. Sie wirft zahlreiche Fragen auf, die sich bei der konkreten Planung der Interimsnutzung stellen werden. Bei vielen der schlagwortartig aufgeführten Ideen ist noch nicht ersichtlich, wie die Umsetzung erfolgen soll. Es ist unklar, ob tatsächlich für eine nur dreijährige Interimsnutzung eine derart aufwändige Umgestaltung - mit Pflanzung zahlreicher Bäume ("Wald") und der Anlage großer Grünflächen ("Gärten") - erfolgen soll, wie es die Skizze nahelegt. Welchen Bezug die eingefügten Fotos zu der Planung haben, ob beispielsweise eine versiegelte Fläche zum Rollschuhfahren angelegt werden soll, ist nicht ersichtlich. Unklar ist auch der konkrete Stand der erforderlichen Abstimmungsprozesse mit den verschiedenen zu beteiligenden Fachbereichen der Beklagten und ihren politischen Gremien sowie mit den Anliegern und den für eine "soziale Kuratierung" vorgesehenen "vielen Partner*innen". Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit die Finanzierung für eine derart aufwändige Umgestaltung des Platzes zur Interimsnutzung gesichert ist. Der auf dem Plan unter "Die nächsten Schritte" aufgeführte Punkt "Konkretisierung der notwendigen Finanzmittel" verdeutlicht, dass mit hohen Kosten zu rechnen und die Finanzierung zu klären ist. Im Ergebnis bleibt unklar, welche Aussicht auf eine Umsetzung für die in der Planungsskizze dargestellte Zwischennutzung besteht.

(3) Auf den vorstehend dargestellten Planungsstand der Beklagten zu der endgültigen Platzgestaltung und der Zwischennutzung käme es nicht entscheidend an, wenn aus Sicht der Beklagten in jedem Fall - unabhängig von der konkreten Planung - schon mit der bloßen Entfernung des Brunnens eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation eintreten würde, die bei einem Erhalt des Brunnens nicht erreicht werden könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr geht auch die Beklagte davon aus, dass verschiedene Maßnahmen erforderlich sind, um nach einem Abriss des Brunnens die gewünschte Revitalisierung des Platzes zu erreichen. Auf der anderen Seite erscheint es auch nicht ganz fernliegend, dass auch bei dem Erhalt des Brunnens mit gewissen anderweitigen Änderungen, insbesondere bei Eröffnung einer Außengastronomie, die gewünschte Verbesserung der derzeitigen Situation zu erreichen wäre. Es kommt daher bei der Interessenabwägung entscheidend darauf an, inwieweit konkrete Planungen der Beklagten zur geänderten Nutzung und Umgestaltung des Platzes vorliegen und eine hinreichende Aussicht auf eine Realisierung besteht.

(4) Weiter ist bei dem Beseitigungsinteresse der Beklagten in den Blick zu nehmen, dass der Brunnen gegenwärtig sanierungsbedürftig ist und die Ertüchtigung mit - im Einzelnen zwar streitigen, jedenfalls aber erheblichen - Kosten verbunden wäre. Allerdings wären auch die Entfernung des Brunnens (geschätzte Kosten mit Herstellung einer Steinsandfläche: 368.000 €, Bl. 142 LG-A), die beabsichtigte Umgestaltung zur Zwischennutzung und die abschließende Neugestaltung des Platzes und sowie der laufende Unterhalt etwaiger Geräte, Bepflanzungen etc. mit hohen, möglicherweise deutlich höheren Kosten verbunden (vgl. auch Angaben auf der Planungsskizze der Beklagten). Um das Gewicht des Kosteninteresses der Beklagten abschätzen zu können, wären nachvollziehbare Kostenschätzungen für beide Szenarien erforderlich.

cc) Im Ergebnis überwiegt derzeit bei der umfassenden Interessenabwägung das von den Klägern wahrgenommene Interesse des Urhebers an der Erhaltung seines Werks gegenüber dem Interesse der Beklagten an einer Umgestaltung des Platzes. Zwar gehen die Interessen des Grundstückseigentümers in der Regel gegenüber dem Urheberinteresse vor. Vorliegend genügt jedoch der gegenwärtige Stand der Planung der Beklagten für eine - dauerhafte oder vorübergehende - Umgestaltung und Umnutzung des Platzes nicht, um das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des Urhebers an dem Erhalt seines Werks zurücktreten zu lassen. Es ist der Beklagten zuzumuten, zunächst ihre Nutzungsabsichten näher zu konkretisieren.

6. Auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen war der Verbotstenor abweichend von dem Wortlaut des Verfügungsantrags zu fassen. Dass die Beklagte gegenwärtig - auf der Grundlage des vorliegenden Planungsstandes als konkrete Verletzungsform - den Brunnen nicht beseitigen darf, schließt es nicht aus, dass sie weitere Planungen für eine Änderung der Platzgestaltung vornimmt, die den Abriss des Brunnens beinhalten und bei einer erneuten Interessenabwägung zu berücksichtigen wären.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Celle: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen die Marktverhaltensregel Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO durch Inverkehrbringen des Nahrungsergänzungsmittels "Cannabis-Öl"

OLG Celle
Beschluss vom 28.03.2023
13 U 67/22


Das OLG Celle hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die Marktverhaltensregel Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO durch Inverkehrbringen des Nahrungsergänzungsmittels "Cannabis-Öl" vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Kläger ist klagebefugt gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, was auch die Beklagte nicht in Abrede nimmt.

2. Der Kläger hat einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Abs. 3 Nr. 2 UWG, § 3 Abs. 1, § 3a i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO.

a) Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 3a Rn. 1.265, 1.271; bereits für die frühere Fassung der Novel-Food-VO: BGH GRUR 2015, 1140 [BGH 16.04.2015 - I ZR 27/14] Rn. 19).

b) Das Inverkehrbringen des Cannabis-Öls der Beklagten verstößt gegen Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO.

aa) Das Nahrungsergänzungsmittel der Beklagten ist ein neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 a) iv) Novel-Food-VO.

Nach dieser Bestimmung ist zunächst maßgeblich, ob das Lebensmittel vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde. Abzustellen ist dabei auf alle Merkmale des in Rede stehenden Lebensmittels und des hierfür verwendeten Herstellungsvorgangs (BGH, Urteil vom 16. April 2015 - I ZR 27/14, Rn. 21, Bohnengewächsextrakt, zu dem gleichen Tatbestandsmerkmal in der Vorgängerregelung, Art. 1 Abs. 2 VO (EG) 258/97). Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß Erwägungsgrund 17 der Novel-Food-VO Lebensmittel, die ausschließlich aus Lebensmittelzutaten hergestellt werden, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, insbesondere im Zuge einer Änderung der verwendeten Lebensmittelzutaten oder ihrer Anteile, nicht als neuartige Lebensmittel betrachtet werden sollen.

bb) Im Streitfall geht es um eine Kombination von Sesamöl und einem Hanfextrakt, der mit einem bestimmten Extraktionsverfahren hergestellt worden ist und Cannabidiol (CBD) enthält. Weil die Zutat Sesamöl als solche nicht neuartig ist, kommt es für die Beurteilung der Neuartigkeit des Cannabisöls auf den Hanfextrakt an.

Extraktion nennt man jedes Trennverfahren, bei dem mit Hilfe eines (festen, flüssigen oder gasförmigen) Extraktionsmittels eine oder mehrere Komponenten aus einem Stoffgemisch herausgelöst werden (vgl. Wikipedia). Maßgeblich für die Beurteilung der Neuartigkeit ist auch das von der Lieferantin der Beklagten für die Herstellung ihres Hanfextrakts konkret angewandte Extraktionsverfahren mit dem von ihr verwendeten spezifischen Extraktionsmittel. Denn von dem Extraktionsmittel hängt ab, welche Bestandteile herausgelöst werden.

Es ist davon auszugehen, dass der Hanfextrakt in dem von der Beklagten vertriebenen Cannabis-Öl vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde.

Diese Behauptung des Klägers hat die Beklagte nicht mit Substanz bestritten. Weil es sich um eine negative Tatsache handelt, trifft die Beklagte insoweit nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen eine sekundäre Darlegungslast (BGH, GRUR 2015, 1140 [BGH 16.04.2015 - I ZR 27/14] Rn. 22). Dieser ist die Beklagte nicht nachgekommen (s. nachfolgend Ziff. (1) und (2)).

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem - in der Vorgängerregelung noch nicht in dieser Form enthaltenen - Tatbestandsmerkmal "ausgenommen Fälle, in denen das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat" (Art. 3 Abs. 2 a) iv) eine einschränkende Bedeutung zukommen soll. In Betracht käme, dass Lebensmittel nicht als neuartig anzusehen sind, wenn sie vor dem Stichtag zwar nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden, aber trotzdem - etwa aufgrund regionaler Besonderheiten - in der Union Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel haben. Aber auch dies hat die Beklagte nicht dargetan.

(1) Das Landgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass es in der EU vor dem 15. Mai 1997 eine Verwendungsgeschichte für Produkte gegeben habe, die sich - wie das der Beklagten - aus Sesamöl und Hanfextrakt zusammensetzten. Auch für generell aus Hanfextrakt hergestellte Produkte habe sie eine Verwendungsgeschichte nicht dargelegt. Dass die Beklagte insoweit keinen Vortrag gehalten hat, steht gemäß § 314 ZPO fest. Die Beweiskraft des Tatbestandes gemäß § 314 ZPO erfasst auch diejenigen tatsächlichen Feststellungen, die in den Entscheidungsgründen enthalten sind und den Tatbestand insoweit ersetzen (BeckOK ZPO/Elzer, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 314 Rn. 8). Dem stünde nicht entgegen, wenn sich insoweit Vorbringen aus vorbereitenden Schriftsätzen der Beklagten ergäbe. Zwar wird in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils allgemein auf diese Schriftsätze Bezug genommen. Bei einem Widerspruch zwischen ausdrücklichen tatbestandlichen Feststellungen und dem allgemein in Bezug genommenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze geht der Tatbestand vor (BeckOK ZPO/Elzer, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 314 Rn. 27 mwN).

(2) Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte auch dann nicht ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen wäre, wenn Vorbringen aus ihren vorbereitenden Schriftsätzen berücksichtigt würde. Auch in den erstinstanzlichen Schriftsätzen der Beklagten ist nicht mit Substanz dargetan, dass das Lebensmittel der Beklagten oder der darin enthaltene Hanfextrakt vor dem Stichtag in der Union in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt wurde bzw. eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel hat. An den von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung genannten Fundstellen (Bl. 952 d.A.) hat sie vorgetragen, Blüten und Blätter von Cannabis sativa seien seit Jahrhunderten innerhalb der EU traditionell zum Verzehr verwendet worden. In gleicher Weise, wie Tee und Kaffee mit heißem Wasser als Extrakt hergestellt worden sei, seien auch Extrakte aus Cannabisblüten und -blättern zum Zwecke des Verzehrs hergestellt worden. Weiter hat sie vorgetragen, soweit ihr bekannt sei, sei der verwendete Hanfextrakt mit dem Extraktionsmittel Ethanol hergestellt worden (Bl. 446 d.A.). In einem italienischen Kochbuch aus dem 15. Jahrhundert finde sich ein Rezept, wonach man Hanfpflanzen in Öl aufgekocht und den Sud zum Verzehr verwendet habe (Bl. 447 d.A.). In Osteuropa sei in den 1970er und 80er Jahren Nutzhanf als Lebensmittelzutat verwendet worden, z.B. zur Herstellung von Hanftee oder beim Bierbrauen (Bl. 448 d.A.). Hanf werde bereits seit dem Jahr 400 in Deutschland angebaut (Bl. 534 d.A.). Die Nutzung von Ethanol als Extraktionsmittel für Lebensmittel und -zutaten sei ein übliches und zulässiges Verfahren (Bl. 609 d.A.).

Mit diesem Vortrag hat die Beklagte die sie treffende sekundäre Darlegungslast nicht erfüllt. Weder für das von ihr hergestellte Nahrungsergänzungsmittel, noch für den dabei verwendeten, im Wege der Ethanol-Extraktion hergestellten Hanfextrakt hat sie eine nennenswerte Nutzung als Lebensmittel vor dem maßgeblichen Stichtag vorgetragen. Der pauschale Vortrag zur jahrhundertelangen Verwendung von Hanf und die Verwendung zur Zubereitung von Tees und zum Bierbrauen genügen insoweit nicht. Es handelt sich nicht um die von der Beklagten verwendete Lebensmittelzutat, einen im Wege der Ethanol-Extraktion hergestellten Hanfextrakt. Darüber hinaus fehlte es selbst zu den von der Beklagten vorgetragenen - gänzlich anderen - Herstellungsmethoden (Aufkochen in Wasser oder Öl) an hinreichend konkretem Vortrag dazu, dass die Produkte in nennenswertem Umfang verzehrt wurden oder eine sichere Verwendungsgeschichte haben.

(3) Auch in der Berufungsbegründung hat die Beklagte hierzu keinen weiteren Tatsachenvortrag gehalten, sondern nur auf ihren "fragmentarischen" erstinstanzlichen Vortrag verwiesen.

(4) Ausweislich ihres Schriftsatzes vom 9. März 2023 meint die Beklagte, sie könne insoweit nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist noch weiteren berücksichtigungsfähigen Tatsachenvortrag halten (Bl. 975 d.A.). Dies trifft jedoch nicht zu (§ 520, § 530 ZPO). Wie die Beklagte selbst ausführt, konnte sie (spätestens) aus dem angefochtenen Urteil erkennen, dass sie hierzu hätte vortragen müssen.

Aus den vorstehenden Gründen kann der Kläger auch die Unterlassung der streitgegenständlichen Werbung verlangen. Denn es wird - unter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Lebensmittelinformations-VO - der unzutreffende Eindruck erweckt, es handele sich um ein verkehrsfähiges Lebensmittel.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Celle: Streitwertangabe für lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche in der Klageschrift hat bei eindeutiger Sach- und Rechtslage keine indizielle Bedeutung

OLG Celle
Beschluss vom 07.03.2023
13 W 3/23


Das OLG Celle hat entschieden, dass die Streitwertangabe für lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche in der Klageschrift bei eindeutiger Sach- und Rechtslage keine indizielle Bedeutung hat.

1. In Verfahren über Ansprüche aus dem UWG bestimmt sich der Streitwert nach der aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache (§ 51 Abs. 2 GKG). Bei der Unterlassungsklage eines Wirtschaftsverbandes (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG) ist dessen Interesse im Regelfall ebenso zu bewerten wie das eines gewichtigen Mitbewerbers (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 12 Rn. 4.8 mwN). Die Gefährlichkeit der zu unterbindenden Handlung für den Wettbewerber ist anhand des drohenden Schadens zu bestimmen und hängt von den Umständen ab (aaO, Rn. 4.6). Zu berücksichtigen sind insbesondere die Unternehmensverhältnisse beim Verletzer, die Intensität des Wettbewerbs zum Verletzten, Ausmaß, Intensität, Häufigkeit und Auswirkungen möglicher künftiger Verletzungshandlungen, die Intensität der Wiederholungsgefahr, die sich nach dem Verschuldensgrad beurteilt, sowie die Nachahmungsgefahr (aaO).

2. Nach dieser Maßgabe sieht der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände einen Streitwert von 5.000 € als angemessen an.

a) Das wirtschaftliche Interesse eines gewichtigen Mitbewerbers ist im Streitfall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände insgesamt als eher gering zu bewerten.

Es handelt sich um einen Verstoß von eher geringer Intensität. Die Beklagte hat nicht beachtet, dass aufgrund einer Änderung von § 3 Abs. 1 Satz 1 der Spielverordnung seit dem 10. November 2019 in Gaststätten nicht mehr drei, sondern nur noch höchstens zwei Geldspielgeräte zulässig sind. Für einen vorsätzlichen Verstoß ist insoweit nichts ersichtlich. Naheliegend ist vielmehr, dass die Beklagte die Änderung der Spielverordnung nicht bemerkt hatte. Zu Lasten der Beklagten ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie - trotz der Abmahnung durch den Kläger - das Gerät zum maßgeblichen Zeitpunkt der Klagerhebung noch nicht entfernt hatte. Die Abmahnfrist war allerdings kurz bemessen (unter Berücksichtigung der Postlaufzeiten etwa eine Woche), sodass diese Nachlässigkeit noch nicht die Annahme eines schwereren Verstoßes rechtfertigt.

Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass durch den Verstoß bei einem gewichtigen Mitbewerber - etwa einem örtlichen Spielhallenbetreiber - ein größerer Schaden entsteht. Es ist wenig wahrscheinlich, dass das übliche Publikum einer Spielhalle in nennenswertem Umfang nicht mehr dort die Geldspielautomaten nutzt, sondern dafür das Café der Beklagten aufsucht, wenn dort nicht nur zwei, sondern drei Automaten vorhanden sind.

Bei der Bemessung des Streitwerts kann außerdem auch eine durch den Verstoß begründete Nachahmungsgefahr in Bezug auf andere Gastwirte berücksichtigt werden. Diese ist hier allerdings ebenfalls als eher gering zu bewerten, weil es wenig wahrscheinlich war, dass andere Gastronomen den nicht sonderlich auffälligen Verstoß der Beklagten zum Anlass nehmen, ebenfalls ein drittes Geldspielgerät anzubringen.

Der mit der streitgegenständlichen Regelung verfolgte Zweck der Suchtprävention wäre für die Bemessung des Streitwerts nur dann maßgeblich, wenn er sich gleichzeitig - über die vorstehend bereits berücksichtigten Umstände hinaus - auf die wirtschaftlichen Interessen des Mitbewerbers auswirken würde. Dies hat der Kläger weder dargetan noch ist es sonst ersichtlich.

b) Die Streitwertangabe in der Klagschrift (§ 63 GKG) führt zu keiner anderen Beurteilung.

Zwar trifft es zu und entspricht auch der Rechtsprechung des Senats, dass der Streitwertangabe eine indizielle Bedeutung zukommen kann (BGH, Beschluss vom 24. November 2022 - I ZR 25/22 - Rn. 12 unter Verweis auf den Beschluss vom 20. Mai 1977 - I ZR 17/76 - juris Rn. 3). Dies ist insbesondere der Fall, wenn angenommen werden kann, dass der betreffende Kläger und sein Prozessbevollmächtigter sich bei der Einreichung der Klage um eine realistische Einschätzung des Streitwerts bemühen, weil die Erfolgsaussicht der Klage noch ungewiss ist und der Kläger sich bei einem Unterliegen durch eine überhöhte Streitwertangabe im Ergebnis selbst belasten könnte. Wenn hingegen - wie im Streitfall - die Sach- und Rechtslage eindeutig ist und für den Kläger kein erkennbares Prozessrisiko besteht, kann seiner Streitwertangabe nur eine entsprechend geringere indizielle Bedeutung zukommen.

Dies gilt insbesondere, wenn sich - wie hier - aus einer nachfolgenden Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten des Klägers ergibt, dass seine Streitwertangabe nicht auf einer zutreffenden Berücksichtigung der für die Streitwertbemessung geltenden Rechtslage beruht. Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers irrtümlich angenommen, bei der Bemessung des Streitwerts seien zusätzlich zu den wirtschaftlichen Interessen eines gewichtigen Wettbewerbers auch Suchtprävention und Spielerschutz zu berücksichtigen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Celle: Kein Anspruch auf Löschung von Wohnort und Geburtsdatum eines GmbH-Geschäftsführers aus dem Handelsregister nach der DSGVO - § 10a Abs. 3 HGB mit DSGVO vereinbar

OLG Celle
Beschluss vom 24.02.2023
9 W 16/23


Das OLG Celle hat entschieden, dass kein Anspruch auf Löschung von Wohnort und Geburtsdatum eines GmbH-Geschäftsführers aus dem Handelsregister nach der DSGVO besteht. § 10a Abs. 3 HGB ist mit der DSGVO vereinbar

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Für das Begehren des Antragstellers fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

a) Soweit der Antragsteller sich auf Art. 17, 18 und 21 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden: DSGVO) zu stützen sucht (vgl. Beschwerdebegründung vom 7. Februar 2023, dort S. 2, Bl. 59R d.A.), vermag er damit nicht durchzudringen.

aa) Ein Widerspruchsrecht nach Art. 21 Abs. 1 DSGVO steht dem Antragsteller gemäß § 10a Abs. 3 HGB nicht zu.

Dementsprechend ist auch Art. 18 Abs. 1 lit. d DSGVO nicht einschlägig, weil diese Bestimmung das Bestehen eines Widerspruchsrechts nach Art. 21 Abs. 1 DSGVO voraussetzt.

bb) Des Weiteren ergibt sich auch aus Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 DSGVO kein Löschungsanspruch zugunsten des Antragstellers, weil diese Bestimmungen gemäß Art. 17 Abs. 3 lit. b DSGVO nicht gelten, soweit die Datenverarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, die die Verarbeitung nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, erfordert, notwendig ist. Eben eine solche rechtliche Verpflichtung ist hier mit Blick auf § 387 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 43 Nr. 4b HRV gegeben.

b) Auch auf § 395 FamFG vermag sich der Antragsteller nicht zu stützen. Denn die Aufnahme seines Geburtsdatums und seines Wohnorts in das Handelsregister war mit Blick auf § 387 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 43 Nr. 4b HRV nicht unzulässig im Sinne dieser Bestimmung.

2. Zweifel an der Vereinbarkeit der dem Begehren des Antragstellers entgegenstehenden Bestimmung des § 10a Abs. 3 HGB mit Verfassungs- bzw. Europarecht hat der Senat weder generell noch bezogen auf den Streitfall.

a) Die in § 10a Abs. 3 HGB vorgenommene Einschränkung der Rechte aus § 21 DSGVO ist von Art. 23 Abs. 1 lit. e DSGVO gedeckt, wonach die Pflichten und Rechte gemäß den Art. 12 - 22 DSGVO zum Schutz sonstiger wichtiger Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaates beschränkt werden können (vgl. Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Ries, HGB, 5. Aufl. 2019, § 10a Rn. 2; Staub/Koch/Harnos, HGB, 6. Aufl. 2023, § 10a Rn. 5 f.). Dazu zählen funktionsfähige und verlässliche öffentliche Register, die für die Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs unerlässlich sind (vgl. BT-Drs. 18/12611, S. 67).

Vor diesem Hintergrund ist die Regelung des § 10a Abs. 3 HGB nach einhelliger Auffassung im Schrifttum, der sich der Senat anschließt, nicht zu beanstanden. Sie dient der Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Registerverkehrs (vgl. Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rn. 74a); ein Widerspruch gegen die Datenverarbeitung wäre mit den Publizitätsanforderungen des öffentlichen Registers nicht in Einklang zu bringen (vgl. MünchKomm/Krafka, HGB, 5. Aufl. 2021, § 10a Rn. 12; BeckOK/Müther, HGB, 39. Edition, Stand: 15. Januar 2023, § 10a Rn. 4; Oetker/Preuß, HGB, 7. Aufl. 2021, § 10a Rn. 7).

b) Dass das öffentliche Interesse an der Führung des Handelsregisters im Streitfall durch das Interesse des Antragstellers an einer Geheimhaltung seines Geburtsdatums und seines Wohnorts überwogen würde, ist weder hinreichend vorgetragen noch sonst ersichtlich.

aa) Ein derart überwiegendes Interesse folgt insbesondere nicht aus den vom Antragsteller in Bezug genommenen, ihn betreffenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Denn bei Auskünften aus dem Fahrzeugregister, die diese Entscheidungen zum Gegenstand haben, sind andere, deutlich weitergehende persönliche Daten als nur die - hier allein in Rede stehenden - Angaben zum Geburtsdatum und Wohnort betroffen (vgl. § 33 StVG).

bb) Des Weiteren ist, eine tatsächliche Gefährdung des Antragstellers - die er über allgemeine Angaben hinaus nicht konkretisiert hat - zu dessen Gunsten unterstellt, auch weder vorgetragen noch ersichtlich, in welcher Weise eine solche Gefährdung durch die Einsehbarkeit von Geburtsdatum und Wohnort im Handelsregister verursacht oder erhöht werden soll. Soweit es die Nennung des Wohnorts betrifft, ist insbesondere zu berücksichtigen, dass eine genaue Adressangabe nicht erfolgt und ein Ansatzpunkt zum Auffinden des Antragstellers auch bereits mit der Nennung der Geschäftsanschrift der betroffenen Gesellschaft gegeben ist, deren Löschung der Antragsteller indes nicht begehrt.

3. Vermag der Antragsteller sein Begehren nach alldem schon mangels einer dies tragenden Rechtsgrundlage im Registerverfahren nicht durchzusetzen, hat der Senat mit Blick auf den Verweis des Antragstellers auf die mit dem Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie vom 5. Juli 2021 (DiRUG) jedermann eröffnete Möglichkeit zur kostenfreien Einsichtnahme in das Handelsregister erwogen, inwieweit ein aus Rechtsnormen außerhalb des Registerverfahrens und datenschutzrechtlicher Bestimmungen, beispielsweise §§ 823, 839 BGB oder § 1004 BGB (analog), folgender Anspruch wegen Verfehlung datenschutzrechtlicher Vorgaben durch das DiRUG bestehen könnte.

a) Insoweit ist der Senat jedoch der Auffassung, dass die Prüfung eines etwaigen solchen Anspruchs nicht im Registerverfahren zu erfolgen hat. Das formalisierte Registerverfahren dient der korrekten Führung des Handelsregisters, zielt aber weder auf die inzidente Prüfung der dafür bestehenden Vorgaben noch gar auf die Behebung von dem Gesetzgeber etwa unterlaufenen Auslassungen beispielsweise im Hinblick auf datenschutzrechtliche Belange. Dies hat umso mehr zu gelten, als die Registergerichte nicht ihrerseits durch (Teil-) Löschungen von Einträgen in Einzelfällen womögliche, aus gesetzlichen Vorgaben resultierende generelle Probleme zu lösen in der Lage wären.

b) Im Übrigen bleibt der die Einschränkung datenschutzrechtlicher Ansprüche rechtfertigende Zweck des § 10a Abs. 3 HGB, der als solcher nicht zu beanstanden ist (s.o.), durch das DiRUG unangetastet. Dass allein die Möglichkeit zur kostenfreien Einsichtnahme in das Handelsregister eine Höherbewertung des Interesses am Schutz persönlicher Daten gebieten und einer Beschränkung der Rechte aus § 21 DSGVO durch § 10a Abs. 3 HGB entgegenstehen würde, vermag der Senat nicht zu erkennen.


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OLG Celle: Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO ist nicht zweckgebunden und muss nicht aus den in Erwägungsgrund 63 der DSGVO genannten Gründen geltend gemacht werden

OLG Celle
Urteil vom 14.12.2022
8 U 165/22


Das OLG Celle hat entschieden, dass der Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO nicht zweckgebunden ist und nicht aus den in Erwägungsgrund 63 der DSGVO genannten Gründen geltend gemacht werden muss.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Auskunftsklage ist auch begründet. Entgegen der vom Landgericht und der Beklagten vertretenen Auffassung steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DS-GVO zu.

Nach Erwägungsgrund 63 Satz 1 der DS-GVO dient das Auskunftsrecht der betroffenen Person hinsichtlich der sie betreffenden personenbezogenen Daten dem Zweck, sich der Verarbeitung (zum Begriff vgl. Art. 4 Nr. 2 DS-GVO; zu dem vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung erfassten Bereich der Verarbeitung vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Nr. 6 DS-GVO) bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19).

Entscheidend für das Bestehen eines Auskunftsanspruchs ist daher, ob die von der Beklagten dem Kläger anlässlich der Beitragsanpassungen übersandten Nachträge zum Versicherungsschein Informationen nach diesen Kriterien enthalten (vgl. BGH, a.a.O.).

Gemäß Art. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 DS-GVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Diese Definition besitzt einen weiten Anwendungsbereich. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, wenn sie denn nur die in Rede stehende Person betreffen. Letzteres ist der Fall, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - C-434/16 zu Art. 2 Buchst. a der RL 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995; BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19).

Schreiben des Versicherers an den Versicherungsnehmer sind grundsätzlich ihrem gesamten Inhalt nach als personenbezogene Daten gemäß Art. 4 Nr. 1 DS-GVO anzusehen. Die personenbezogene Information besteht bereits darin, dass sich die Beklagte dem Schreiben gemäß geäußert hat (vgl. BGH, a.a.O.).

Auch im vorliegenden Fall sind personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 DS-GVO Gegenstand des Auskunftsanspruchs. Die anlässlich der Beitragsanpassungen von der Beklagten an den Kläger übersandten Nachträge zum Versicherungsschein hatten den konkreten, zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag zum Gegenstand und gestalteten diesen inhaltlich teilweise neu. Auch die anlässlich der Beitragsanpassung übersandten Mitteilungsschreiben unterfallen in ihrer Gesamtheit dem Begriff der personenbezogenen Daten (vgl. BGH, a.a.O.).

Bei dem Auskunftsantrag des Klägers handelt es sich auch nicht um einen offenkundig unbegründeten oder exzessiven Antrag im Sinne von Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DS-GVO. In der Verordnung findet sich als Regelbeispiel für die Annahme eines exzessiven Antrags der Fall von häufiger Wiederholung. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil der Kläger mit seiner Klage die erstmalige Erteilung einer Kopie der maßgeblichen Unterlagen begehrt. Unmaßgeblich ist auch die Motivationslage des Klägers, weil die Verordnung den Auskunftsanspruch nicht von einer bestimmten Zielsetzung des Anspruchsinhabers abhängig macht und dementsprechend der Antrag auf Auskunftserteilung auch nicht begründet werden muss (vgl. BGH, EuGH-Vorlage vom 29. März 2022 - VI ZR 1352/20; OLG Köln, Urteil vom 13. Mai 2022 - 20 U 198/21; juris Simitis/Hornung/Spiecker, DS-GVO mit BDSG, Art. 15 DS-GVO, Rn. 11; Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022; DS-GVO Art. 15, Rn. 85).

Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren behauptet, der Kläger sei noch im Besitz der ihm ursprünglich übermittelten und nunmehr streitgegenständlichen Informationen (Bl. 143 d. A.), steht das einem Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DS-GVO nicht entgegen. Für den von ihr erhobenen Einwand hat die Beklagte bereits keinen Beweis angeboten. Unabhängig hiervon besteht der auf Art. 15 DS-GVO gestützte Auskunftsanspruch auch dann, wenn der Betroffene bereits über die geforderten Informationen verfügt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 - VI ZR 576/19; VG Schwerin, Urteil vom 29. April 2021 - 1 A 1343/19 SN; Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022; DS-GVO Art. 15, Rn. 52.3).

Einem auf Art. 15 DS-GVO gestützten Auskunftsanspruch steht auch nicht entgegen, dass die entsprechende Verordnung gemäß Art. 99 Abs. 2 DS-GVO erst am 25. Mai 2018 in Kraft getreten ist, während sich der Auskunftsanspruch des Klägers auf solche Informationen bezieht, die zu einem früheren Zeitpunkt erhoben und gespeichert wurden. Insoweit findet sich in der Verordnung bereits keine ausdrückliche zeitliche Begrenzung des Auskunftsanspruchs, was für einen unbeschränkten Auskunftsanspruch auch im Hinblick auf solche Informationen spricht, die vor dem 25. Mai 2018 erhoben und/oder gespeichert wurden. Darüber hinaus dient die Verordnung gemäß Art. 1 Abs. 2 DS-GVO dem Schutz der Grundrechte und der Grundfreiheiten natürlicher Personen und insbesondere deren Recht auf Schutz personenbezogener Daten. Ein solcher Schutz würde aber weitgehend leerlaufen, wenn er sich nur auf Informationen erstrecken würde, die nach dem 25. Mai 2018 erhoben wurden. Hierfür spricht auch, dass die Vorgängerverordnung 95/46/EG mit Wirkung vom 25. Mai 2018 aufgehoben wurde und etwaige Auskunftsansprüche hierauf nicht mehr gestützt werden können. Weiter handelt es sich jedenfalls bei dem Akt der Datenspeicherung um eine fortlaufende Datenverarbeitung, die unter der Voraussetzung einer nicht bereits zuvor erfolgten Löschung - auch über den 25. Mai 2018 hinaus andauert und damit spätestens ab diesem Zeitpunkt dem Anwendungsbereich von Art. 15 DS-GVO unterfällt (vgl. Kühling/Buchner; Datenschutz-Grundverordnung/BDSG, 2. Aufl., Art. 15, Rn. 8).

Der dem Kläger gegen die Beklagte zustehende Auskunftsanspruch ist nicht verjährt. Ob eine Verjährung des nebenvertraglichen Auskunftsanspruchs bzw. des Anspruchs gemäß Art. 15 DS-GVO überhaupt möglich ist und nach welchen Vorschriften sie sich ggf. richtet, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn selbst wenn der Auskunftsanspruch wie der auf § 242 BGB gestützte Auskunftsanspruch selbstständig und unabhängig nach der allgemeinen Frist des § 195 BGB verjähren sollte (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2020 - III ZR 136/18; BGH, Urteil vom 25. Juli 2017 - VI ZR 222/16), so könnte er aber jedenfalls nicht vor dem Hauptanspruch verjähren, dem er dient (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2020, a.a.O.; BGH, Urteil vom 25. Juli 2017, a.a.O.). Im vorliegenden Fall kann eine Verjährung sämtlicher, auf eine ggf. unwirksame Beitragsanpassung beispielsweise im Jahr 2013 gestützten Leistungsansprüche auch für die Zeit nach dem 1. Januar 2018 aber nicht festgestellt werden.

Inhaltlich ist der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO auf die Übersendung einer Datenkopie gerichtet. Dabei beschränkt sich der Anspruch nicht auf die Übermittlung von Informationen, die der von der Datenspeicherung betroffenen Person gemäß Art. 15 Abs. 1 DS-GVO zustehen. Der Senat folgt insoweit vielmehr der in der Rechtsprechung und der Literatur vertretenen extensiven Auslegung von Art. 15 DS-GVO (vgl. OLG München, Urteil vom 4. Oktober 2021 - 3 U 2906/20; OVG Munster, Urteil vom 8. Juni 2021 - 16 A 1582/20; LAG Baden-Württemberg, Urteile vom 17. März 2021 - 21 Sa 43/20 - und vom 20. Dezember 2018 - 17 Sa 11/18; Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022, DS-GVO Art. 15, Rn. 85; Schaffland/Holthaus, Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)/Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), Werkstand: 11. Ergänzungslieferung 2022; Artikel 15, Rn. 44b; a. A. Franzen in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 4. Aufl., EU (VO) 2016/679 Art. 15; Rn. 5; Paal in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., DS-GVO Art. 15, Rn. 33a). Danach hat der Auskunftspflichtige die personenbezogenen Daten grundsätzlich in der Rohfassung zu übermitteln, in der sie bei ihm gespeichert sind. Denn Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO stellt insoweit eine eigenständige und von Art. 20 DS-GVO unabhängige Anspruchsgrundlage dar (vgl. Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022, DS-GVO Art. 15, Rn. 85).

Hieraus folgt zugleich, dass der Kläger auch eine Kopie von Versicherungsscheinen und Nachträgen zum Versicherungsschein verlangen kann, wenn sie denn als solche (und nicht nur deren reiner Informationsinhalt) bei der Beklagten gespeichert sind.

Sollte der Inhalt etwa eines Versicherungsscheins sowohl in der Form des Versicherungsscheins als auch in Gestalt lediglich der im Versicherungsschein enthaltenen Informationen gespeichert sein, sind von der Beklagten grundsätzlich beide Datensätze in Gestalt einer Datenkopie herauszugeben. Denn anderenfalls kann der Kläger die mit dem Auskunftsanspruch bezweckte Überprüfung einer ordnungsgemäßen Verarbeitung (aller!) von der Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten nicht sinnvoll ausüben.

Demgegenüber kann Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO kein gegen den Auskunftspflichtigen gerichteter Anspruch entnommen werden, die übermittelten Rohdaten zusätzlich aufzubereiten, damit diese von der betroffenen Person verwendet werden können. Das folgt bereits aus der Zielrichtung des Auskunftsanspruchs, den Berechtigten von einer Verarbeitung der ihn betreffenden Daten zu informieren und ihm die Gelegenheit geben, die Verarbeitung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. VG Schwerin, Urteil vom 29. April 2021 - 1 A 1343/19 SN; Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022, DS-GVO Art. 15, Rn. 2). Dieses Informationsbedürfnis kann aber nur durch Übersendung der Dateien in der Gestalt erfüllt werden, in der sie beim Auskunftspflichtigen auch gespeichert sind. Anders verhält es sich lediglich dann, wenn der Auskunftsberechtigte nur durch eine entsprechende Aufbereitung den Inhalt der gespeicherten Informationen zur Kenntnis nehmen könnte (vgl. Schaffland/Holthaus, a.a.O.; Schmidt-Wudy, a.a.O., Rn. 85).

Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht gegen die extensive Auslegung von Art. 15 DS-GVO auch nicht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Juli 2014 - C-141/12 und C-372/12. Zwar hat das Gericht entschieden, dass die betroffene Person keinen Anspruch auf die Kopie eines Dokuments oder einer Originaldatei habe, wenn das mit dem Auskunftsrecht angestrebte Ziel durch eine andere Form der Mitteilung vollständig erreicht werden könne. Allerdings bezieht sich die Entscheidung des Gerichts nicht auf Art. 15 DS-GVO, sondern auf Art. 12 Lit. a) der RL 95/46/EG. Diese sah anders als Art. 15 Abs. 3 DS-GVO aber kein Recht auf eine Datenkopie vor, sondern lediglich einen Anspruch auf unter anderem eine "Mitteilung in verständlicher Form über Daten" (vgl. auch Schmidt-Wudy in: BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 01.08.2022, DS-GVO Art. 15, Rn. 85).

[...]

3. Der Senat hat zu D.2. die Revision sowohl wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 als auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zugelassen. Ob ein Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DS-GVO zweckgebunden ist oder unabhängig von der hiermit verbundenen Zielrichtung erhoben werden kann, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt. So wird teilweise die Auffassung vertreten, dass Zielrichtung der vom Versicherungsnehmer begehrten Auskunftserteilung gemäß Art. 15 DS-GVO ausschließlich sein dürfe, sich der Verarbeitung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten bewusst zu werden und die Rechtmäßigkeit dieser Verarbeitung überprüfen zu können (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 29. März 2022 - 4 U 1905/21; OLG Nürnberg, Urteil vom 14. März 2022 - 8 U 2907/21; OLG Hamm, Beschluss vom 15. November 2021 - 20 U 269/21).

Darüber hinaus besitzt die Frage einer Zweckgebundenheit des Auskunftsanspruchs gemäß Art. 15 DS-GVO aber auch grundsätzliche Bedeutung, weil sie sich über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (bzw. bereits stellt) und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2022 - 1 BvR 832/21, 1 BvR 1258/21). Ebenfalls von grundsätzlicher Bedeutung ist die Frage, welchen Umfang der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DS-GVO besitzt und ob der Anspruch auf Übermittlung einer Datenkopie die Übermittlung sämtlicher beim Versicherer gespeicherter Daten umfasst.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Celle: Vertagung und kein Versäumnisurteil wenn eine Partei aus ungeklärten technischen Gründen nicht an mündlicher Verhandlung per Videokonferenz nach § 128a ZPO teilnehmen kann

OLG Celle
Beschluss vom 14.09.2022
24 W 3/22


Das OLG Celle hat entschieden, dass das Gericht nach § 337 Satz 1 ZPO vertagen muss und kein Versäumnisurteil ergehen darf, wenn eine Partei aus nicht zuzurechnenden ungeklärten technischen Gründen nicht an mündlicher Verhandlung per Videokonferenz nach § 128a ZPO teilnehmen kann

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022 verkündeten Beschluss „Neuer Termin von Amts wegen“ hat das Landgericht die Verhandlung über den Erlass des Versäumnisurteils gemäß § 337 Satz 1 ZPO von Amts wegen vertagt. Die sofortige Beschwerde richtet sich vor diesem Hintergrund nicht nur gegen den Beschluss vom 12. April 2022, durch den das Landgericht den Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils zurückgewiesen hat, sondern auch gegen den Vertagungsbeschluss vom 8. Februar 2022.

a) Gemäß § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO muss die Beschwerdeschrift die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt werde. Wegen der geringen Formstrenge reicht es dabei aus, wenn die Schrift bei großzügiger Auslegung den Beschwerdeführer, die angefochtene Entscheidung und das Anliegen der Überprüfung derselben durch die höhere Instanz hinreichend klar erkennen lässt (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - IX ZB 369/02, NJW 2004, 1112, 1113). Bei der Auslegung ist der Grundsatz zu berücksichtigen, dass eine Partei mit ihrem Rechtsmittel im Zweifel dasjenige anstrebt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 1991 - XI ZB 6/91, NJW 1992, 243 und vom 22. September 2010 - IX ZB 195/09, WM 2010, 2122 Rn. 16).

b) Die Beschwerdeschrift vom 2. Mai 2022 ist dahingehend auszulegen, dass sie sich nicht nur gegen den in ihr ausdrücklich bezeichneten Beschluss vom 12. April 2022 richtet, sondern insgesamt gegen die Entscheidung des Landgerichts, das beantragte Versäumnisurteil nicht zu erlassen. Damit richtet sie sich auch gegen den Vertagungsbeschluss vom 8. Februar 2022. Denn durch diesen hat das Landgericht zwar den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils nicht förmlich zurückgewiesen, aber doch entschieden, ein Versäumnisurteil nicht zu erlassen, sondern von Amts wegen einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, in dem die Beklagten, wenn sie nicht erneut säumig sind, durch ihr Verhandeln zur Sache den Erlass eines Versäumnisurteils abwenden können (OLG Nürnberg, MDR 1963, 507; LAG Frankfurt, NJW 1963, 2046, 2047; Büscher in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 337 Rn. 26; Bartels in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 337 Rn. 14; Anders in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl., § 337 Rn. 8; aA OLG Dresden, Urteil vom 28. August 1995 - 2 U 921/95, BeckRS 1995, 12462; LAG Düsseldorf, NJW 1961, 2371, 2372). Daneben kommt der förmlichen Zurückweisung des Antrags auf Erlass des Versäumnisurteils durch den Beschluss vom 12. April 2022 in der Sache letztlich keine weitergehende eigenständige Bedeutung zu. Da ein Vertagungsbeschluss nach § 337 Satz 1 ZPO nach der in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Ansicht (OLG München, MDR 1956, 684; OLG Nürnberg aaO; OLG Hamm, NJW-RR 1991, 703; OLG Hamburg, NJW-RR 2022, 1073; Büscher aaO Rn. 28 mwN) mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist, ist unter Berücksichtigung der Interessenlage des Klägers anzunehmen, dass er auch diesen Beschluss einer Überprüfung durch das Beschwerdegericht unterstellen wollte.

c) Der Kläger hat die sofortige Beschwerde gegen den Vertagungsbeschluss vom 8. Februar 2022 rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist nach § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt.

aa) Nach § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die sofortige Beschwerde binnen einer Notfrist von zwei Wochen einzulegen. Die Frist beginnt nach § 569 Abs. 1 Satz 2 mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses. Auch in Fällen, in denen ein Beschluss durch Verkündung bekanntgegeben wird, beginnt die Beschwerdefrist erst mit der - nach § 329 Abs. 3 ZPO erforderlichen - Zustellung (MüKoZPO/Hamdorf, 6. Aufl., § 569 Rn. 4, 6; Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 24. November 2000, BT-Drucks. 14/4722, S. 112; aA Anders aaO Rn. 9 unter Hinweis auf die vor dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses ergangene Entscheidung OLG Braunschweig, MDR 1992, 292). Eine nur formlose Mitteilung setzt die Frist nicht in Lauf (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 1993 - XI ZB 14/93, WM 1993, 2078; MüKoZPO/Hamdorf aaO Rn. 6 mwN). Dass die Partei den Beschluss auf Grund seiner Verkündung auch ohne Zustellung kennt, ist insofern unerheblich (Bartels aaO § 336 Rn. 1; Begründung der Bundesregierung aaO). Wird ein verkündeter Beschluss nicht zugestellt, beginnt die Beschwerdefrist daher nach § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO erst mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

bb) Der in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022 verkündete Vertagungsbeschluss ist nicht zugestellt worden; vielmehr ist das Verhandlungsprotokoll, wie sich aus den Akten ergibt, den Parteivertretern lediglich formlos übermittelt worden (Bl. 234 Bd. II d. A.). Die Beschwerdefrist begann daher nach § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO erst am 9. Juli 2022 und ist somit durch die am 2. Mai 2022 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde gewahrt worden.

2. Ob die sofortige Beschwerde gegen den Vertagungsbeschluss vom 8. Februar 2022 statthaft ist (s. o. unter 1. b bb; vgl. Büscher aaO; Göbel in Prütting/Gehrlein, ZPO, 14. Aufl., § 337 Rn. 11; Toussaint in BeckOK ZPO, § 336 Rn. 5.1 [Stand: 1. Juli 2022]; jew. mwN zum Meinungsstand), kann offenbleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2006 - IX ZB 171/04, NJW-RR 2006, 1346 Rn. 4 mwN). Denn unabhängig von der Frage, ob die sofortige Beschwerde zulässig ist, ist sie jedenfalls, ebenso wie die sofortige Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss vom 12. April 2022, in der Sache nicht begründet. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagten und ihr Prozessbevollmächtigter ohne ihr Verschulden verhindert waren, im Wege der Bild- und Tonübertragung an der Verhandlung teilzunehmen, so dass diese gemäß § 337 Satz 1 ZPO zu vertagen war.

a) Nach § 337 Satz 1 ZPO vertagt das Gericht die Verhandlung über den Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils von Amts wegen, wenn es dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist.

aa) Die Frage, ob die Partei ein Verschulden trifft, ist im Rahmen des § 337 Satz 1 ZPO nicht anders zu beurteilen als bei § 233 ZPO (BGH, Urteil vom 16. Juli 1998 - VII ZR 409/97, NJW 1998, 3125 und Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 59/03, NJW 2004, 2309, 2311, insofern in BGHZ 159, 153 nicht abgedruckt). Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gebietet es dabei, die Sorgfaltsanforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, nicht zu überspannen (BGH, Urteil vom 25. November 2004 - VII ZR 320/03, NJW 2005, 678, 679 und Beschluss vom 22. November 2017 - VII ZB 67/15, FamRZ 2018, 281 Rn. 21). Entscheidend ist der Maßstab der üblichen, von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernden Sorgfalt (BGH, Urteil vom 19. November 1998 - IX ZR 152/98, NJW 1999, 724 mwN). Eröffnet das Gericht die Nutzung technischer Kommunikationsmedien und bedient sich ein Verfahrensbeteiligter derselben, so dürfen die aus deren technischen Gegebenheiten herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden (BGH, Urteil vom 25. November 2004 aaO zur Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax). Gleiches gilt für nicht vorhersehbare und nicht vermeidbare technische Störungen einer EDV-Anlage (BGH, Beschluss vom 22. November 2017 aaO Rn. 23 mwN).

bb) Die Beurteilung der Frage, ob die Säumnis der Partei unverschuldet ist, macht § 337 Satz 1 ZPO vom Dafürhalten des Gerichts abhängig. Entscheidend ist damit ein subjektiver Beurteilungsmaßstab (vgl. Loyal, ZZP 126 [2013], 491, 496 f). Eine Glaubhaftmachung wie in § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO verlangt das Gesetz bei der Entscheidung über die Vertagung nach § 337 Satz 1 ZPO nicht. Damit trägt es dem Umstand Rechnung, dass im Termin eine Beweisführung nicht möglich ist (MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl., § 337 Rn. 8; aA Anders aaO Rn. 5: Glaubhaftmachung wie bei Wiedereinsetzung erforderlich). § 337 Satz 1 ZPO eröffnet dem Gericht einen Beurteilungsspielraum (Bartels aaO § 337 Rn. 14; Göbel aaO Rn. 10; Loyal aaO S. 500). Bei plötzlich eintretenden Ereignissen können einseitige Angaben des verhinderten Verfahrensbeteiligten genügen, ohne dass es einer weitergehenden Glaubhaftmachung bedürfte (Büscher aaO Rn. 25).

b) Das Landgericht hat im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums zutreffend wegen unverschuldeter Säumnis der Beklagten die Verhandlung nach § 337 Satz 1 ZPO vertagt.

aa) Die Beklagten waren in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022 säumig, weil ihr Prozessbevollmächtigter weder im Gerichtssaal physisch zugegen war noch eine Verbindung zum Zwecke der Bild- und Tonübertragung hergestellt werden konnte. Wird die Verhandlung gemäß § 128a Abs. 1 ZPO im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführt, ist eine Partei säumig, wenn sie weder im Gerichtssaal physisch erscheint und verhandelt noch eine Bild- und Tonübertragung zustande kommt (Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 128a Rn. 4; Windau, NJW 2020, 2753, 2757). Allein die Anwesenheit des Verfahrensbeteiligten an dem anderen Ort, von dem aus Verfahrenshandlungen vorzunehmen das Gericht ihm gemäß § 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO gestattet hat, schließt als solche die Säumnis nicht aus, solange eine Bild- und Tonübertragung nicht zustande kommt (aA MüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl., § 128a Rn. 9). Dies entspricht dem Grundsatz, dass nach § 333 ZPO auch bei physischer Anwesenheit im Gerichtssaal das Nichtverhandeln einer Partei dem Nichterscheinen gleichsteht; dieser Grundsatz gilt auch für die Beurteilung der Säumnis im Rahmen des § 337 Satz 1 ZPO (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2016 - VIII ZB 25/15, NJW 2016, 3248 Rn. 14 ff).

bb) Ob die Säumnis eines Verfahrensbeteiligten, der an einer nach § 128a Abs. 1 ZPO durchgeführten Verhandlung nicht teilnimmt, weil aus technischen Gründen eine Bild- und Tonübertragung nicht zustande kommt, als schuldhaft anzusehen ist, hängt davon ab, ob ein aufgetretenes technisches Problem dem Beteiligten zugerechnet werden kann (Stadler aaO). Dies ist eine Wertungsfrage, bei deren Beurteilung der Zweck der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 128a Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen ist. Der Norm, die durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) eingeführt wurde und durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren vom 25. April 2013 (BGBl. I S. 935) ihre heutige Fassung erhielt, liegt das Bestreben zugrunde, durch die Nutzung moderner Kommunikationstechnik das Verfahren effektiver und prozessökonomischer zu gestalten (Kern in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 128a Rn. 1; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 15. Mai 2001, BT-Drucks. 14/6036 S. 116, 119). Dass Gerichte und Verfahrensbeteiligte von dieser Möglichkeit in der Praxis Gebrauch machen, ist im Interesse der Ersparnis von Zeit und Kosten wünschenswert (Gesetzentwurf des Bundesrates vom 24. März 2010, BT-Drucks. 17/1224 S. 10 f). Im Sinne der Akzeptanz dieser Verfahrensweise darf daher ihre Nutzung nicht derart erschwert werden, dass sie für den Verfahrensbeteiligten, der im Wege der Bild- und Tonübertragung an der Verhandlung teilzunehmen beabsichtigt, riskanter ist als das persönliche Erscheinen im Gericht (Mantz/Spoenle, MDR 2020, 637, 643; Windau aaO). Vorbehaltlich der im Rahmen des § 337 Satz 1 ZPO vorzunehmenden Würdigung des Einzelfalls (vgl. MüKoZPO/Prütting aaO Rn. 4) ist eine Partei daher regelmäßig ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert, wenn sie an der Verhandlung nicht teilnehmen kann, weil trotz Beobachtung der als erforderlich anzusehenden Sorgfalt (vgl. Windau aaO) auf Grund nicht mehr aufklärbarer technischer Umstände eine Bild- und Tonübertragung nicht zustande kommt (vgl. LG Bonn, Urteil vom 2. März 2022 - 1 O 347/20, juris Rn. 32; Zschieschack in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl., § 15 Rn. 87).

cc) Danach waren die Beklagten unverschuldet verhindert, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Die im einzelnen nicht mehr aufklärbaren technischen Gründe, aus denen eine Bild- und Tonübertragung nicht zustande kam, können ihnen nicht zugerechnet werden. Ein Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt kann ihnen nicht zur Last gelegt werden. Zwar mag es zur erforderlichen Sorgfalt eines Rechtsanwalts gehören, eine vom Gericht angebotene Testmöglichkeit wahrzunehmen (vgl. Windau aaO) und im Vorfeld erteilte technische Hinweise des Gerichts zu berücksichtigen. Das Landgericht hat vorliegend aber weder eine Testmöglichkeit angeboten noch Hinweise erteilt. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten durfte sich daher darauf verlassen, dass eine Bild- und Tonübertragung mit dem ihm vom Gericht zur Verfügung gestellten Einwahllink zustande kommen würde. Ob er das vom Gericht verwendete Videokonferenzprogramm zu ersten Mal nutzte, ist unerheblich, weil besondere technische Kenntnisse zur Teilnahme an der Verhandlung vermittels Videokonferenztechnik nicht gefordert werden können (Windau aaO). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Prozessbevollmächtigte mit dem Auftreten technischer Probleme rechnen musste, sind ebenso wenig ersichtlich wie Hinweise auf missbräuchliches Vorschieben einer technischen Panne.

Entgegen der Argumentation des Klägers (Schriftsatz vom 15. März 2022, S. 2, Bl. 256 Bd. II d. A.) war dem Beklagten und ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zuzumuten, sich vermittels eines oder mehrerer Mobiltelefone in die Videokonferenz einzuwählen. Auch wenn dies technisch möglich gewesen sein mag, hätte eine solche Verbindung für eine den Anforderungen des § 128a Abs. 1 ZPO genügende Bild- und Tonübertragung nicht genügt. Damit die Videokonferenz der Situation einer Verhandlung unter Anwesenden hinreichend nahekommt und das rechtliche Gehör aller Beteiligten sowie die Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Verhandlung gewahrt werden, ist es erforderlich, dass jeder Beteiligte zeitgleich alle anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen kann (MüKoZPO/Fritsche aaO Rn. 6; Windau aaO S. 2754). Dabei müssen verbale und nonverbale Äußerungen wie bei persönlicher Anwesenheit wahrnehmbar sein (Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 128a Rn. 6; Windau aaO). Dies wäre bei Verwendung der nur vergleichsweise kleinen Bildschirme von Mobiltelefonen nicht möglich gewesen, zumal außer den Prozessbevollmächtigten auch die Parteien im Wege der Bild- und Tonübertragung zugeschaltet sein sollten und der Termin der Beweisaufnahme einer Zeugenvernehmung diente, bei der es in besonderer Weise auf die Wahrnehmung von Details ankommen kann.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 ZPO ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Dieser Zulassungsgrund ist erfüllt, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen. Ein solcher Anlass besteht für die Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze nur dann, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 292). Das ist hier der Fall. Zu der - auf Grund des vermehrten Einsatzes von Videokonferenztechnik im Zivilprozess praktisch relevanten - Frage, ob die Säumnis einer Partei unverschuldet ist, wenn die Teilnahme an der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung aus ungeklärten technischen Ursachen scheitert, fehlt es an höchstrichterlichen Leitlinien. Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt, welcher Grad an Überzeugungsbildung für das „Dafürhalten“ des Gerichts im Sinne von § 337 Satz 1 ZPO erforderlich ist.


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OLG Celle: Keine Verfügungsgrund für einstweilige Verfügung wenn Facebook bereits Sperre aufgehoben und Beitrag wiederhergestellt hat

OLG Celle
Urteil vom 19.05.2022
5 U 152/21


Das OLG Celle hat entschieden, dass kein Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung besteht, wenn Facebook eine Kontosperre bereits aufgehoben und den gelöschten Beitrag wiederhergestellt hat.

Leitsätze des Gerichts:
1. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel der Untersagung der – erneuten – Löschung eines Beitrags in einem sozialen Netzwerk und der erneuten vorübergehenden Sperre des Nutzerkontos ist ein Verfügungsgrund im Regelfall gesondert darzulegen.

2. Dies gilt insbesondere, wenn der streitgegenständliche Beitrag vom Betreiber des sozialen Netzwerks wieder eingestellt worden ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Gemessen an diesen Maßstäben hat der Verfügungskläger keinen Verfügungsgrund dargelegt bzw. glaubhaft gemacht.

a. Der Verfügungskläger hat erstinstanzlich nicht substantiiert ausgeführt, dass und aus welchen Gründen er meint, den von ihm verfolgten Anspruch in einem einstweiligen Verfügungsverfahren verfolgen zu können, obwohl die Verfügungsbeklagte auf Seiten 19 f. ihres Schriftsatzes vom 29. Juni 2021 (Bl. 92 f. d. A.) auf diese rechtliche Problematik hingewiesen hat. Das Vorbringen des Verfügungsklägers ist nach Auffassung des Senats nicht geeignet, die Voraussetzung der besonderen Dringlichkeit zu belegen.

b. Der Hinweis des Verfügungsklägers, die Einschränkung seines Rechts auf Meinungsäußerung genüge für einen Verfügungsgrund, geht fehl. Es ist gerade nicht ersichtlich, warum es für den Verfügungskläger wegen besonderer Dringlichkeit unzumutbar sein soll, die vorliegenden Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren
zu klären. Er war nie daran gehindert, sich zu äußern, sondern nur für drei Tage, dies über „Facebook“ zu tun. Seit mehr als einem Jahr hat der Verfügungskläger wieder unbeschränkten Zugang zu seinem dortigen Nutzerkonto. Da der Verfügungskläger selbst darauf abhebt, der Hinweis des Senats auf ein einstweiliges
Verfügungsverfahren sei abwegig, weil die Verfügungsbeklagte gar nicht beabsichtige, das Nutzerkonto wieder zu sperren, wird deutlich, dass das vorliegende Begehren nicht tauglicher Gegenstand für einen einstweiligen Rechtsschutz darstellt.

c. Dies gilt umso mehr, als bereits vor Zustellung der Antragsschrift im einstweiligen Rechtsschutzverfahren am 21. Juli 2021 nicht nur die vorübergehende Kontosperrung von drei Tagen bereits abgelaufen war, sondern die Verfügungsbeklagte am 8. April 2021 auch den hier streitgegenständlichen Post von sich aus
nach einer internen Überprüfung anhand der „Gemeinschaftsstandards“ wieder eingestellt hatte. Danach war dem Verfügungskläger auch die ganz konkrete, streitbefangene Meinungsäußerung auf der Plattform der Verfügungsbeklagten wieder möglich. Der Senat braucht nicht zu bewerten, ob dies auch materiellrechtlich der Annahme einer Wiederholungsgefahr entgegensteht (was zweifelhaft sein dürfte vor dem Hintergrund, dass in der Regel der einmalige Verstoß die tatsächliche Vermutung der Wiederhoungsgefahr begründet, an deren Widerlegung hohe Anforderungen zu stellen sind, vgl. nur Herrler, in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 1004 Rn. 32 m.w.N.). Es hat jedoch erhebliche Bedeutung für die Frage, ob eine besondere Dringlichkeit für eine vorläufige Unterlassungsverfügung bis zur Entscheidung in der Hauptsache besteht. Insoweit ist zu beachten, dass die Frage der Dringlichkeit – wie sämtliche Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung – im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu beurteilen ist.

d. Der pauschal gehaltene Vortrag, es bedürfe wegen der Marktmacht der Verfügungsbeklagten grundsätzlich des Instruments des einstweiligen Rechtsschutzes, weil die Nutzer sonst gleichsam willkürlich der Entscheidung der Verfügungsbeklagten ausgesetzt seien, vorübergehend Beiträge zu löschen oder Konten zu sperren, wird dem konkreten Einzelfall nicht gerecht. Denn die Verfügungsbeklagte hat hier nicht unter dem Eindruck des Verfügungsverfahrens den Beitrag wieder eingestellt, sondern bereits (deutlich) vor Zustellung der Antragsschrift. Der Hinweis auf andere vom Bevollmächtigten des Verfügungsklägers gegen die Verfügungsbeklagte geführte Verfahren vermag einen Eilbedarf in diesem konkreten Rechtsstreit ebenfalls nicht zu begründen. Dies zeigt gerade auch der Hinweis des Verfügungsklägers auf die Entscheidung des Landgerichts Heilbronn vom 23. Juni 2021 (Wo 1 O 40/21). Danach differenziert die Verfügungsbeklagte erkennbar im Einzelfall, inwieweit sie auf von ihr (zunächst) beanstandete Äußerungen auf ihrer
Plattform reagiert.

e. Letztlich fehlt eine konkrete Auseinandersetzung des Verfügungsklägers mit der in den Schriftsätzen der Verfügungsbeklagten klar zum Ausdruck kommenden ursprünglichen Motivation der Verfügungsbeklagten, den Beitrag zu löschen. Im Laufe des Rechtsstreits ist hinreichend deutlich geworden, dass sich die Verfügungsbeklagte nicht an dem Textbeitrag stört („O. will in den Duden. Or else.“), sondern an dem sich hieran („anderenfalls“) anschließenden GIF, in dem eine männliche Person mit einer Pistole auf den Leser zielt. Mit seinem Antrag begehrt der Verfügungskläger jedoch gerade „isoliert“ nur eine Untersagung der Löschung des Textteils und einer darauf beruhenden Kontosperrung. Das Bild ist vom Streitgegenstand nicht umfasst. In seiner Antragsschrift erwähnt der Verfügungskläger das GIF nicht und geht auf die diesbezüglichen Einwände der Verfügungsbeklagten (zum Beispiel im Schriftsatz vom 29. Juni 2021 und in der Berufungsbegründung) nicht inhaltlich ein, sondern stellt allein darauf ab, in ihrer vorprozessualen Mitteilung über die Löschung habe die Verfügungsbeklagte nur den Textteil genannt. Letztlich geht auch der Verfügungskläger (so ausdrücklich im Schriftsatz vom 23. Januar 2022, S. 11 unter Buchstabe c = Blatt 393) davon aus, dass sich der vorliegende Einzelfall dadurch auszeichne, dass die Verfügungsbeklagte ihre rechtswidrige Löschung sogar eingeräumt habe und sich nicht gegen die Wiederherstellung des streitigen Inhalts wehre.


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OLG Celle: Zu den Ansprüchen eines Nutzers gegen Facebook bei rechtswidriger Sperrung und Löschung von Beiträgen

OLG Celle
Urteil vom 20.01.2022
13 U 84/19


Das OLG Celle hat sich in dieser Entscheidung mit den Ansprüchen eines Nutzers gegen Facebook bei rechtswidriger Sperrung und Löschung von Beiträgen befasst.

Leitsätze des Gerichts:

1. Zu den Ansprüchen des Nutzers eines sozialen Netzwerks, wenn dessen Anbieter - auf der Grundlage unwirksamer Klauseln seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen - einen Beitrag des Nutzers gelöscht und sein Nutzerkonto zeitweise gesperrt hat (im Anschluss an die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29. Juli 2021- III ZR 179/20 und III ZR 192/20).

2. Ist die Klausel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Anbieters eines sozialen Netzwerks, die ihn zur Löschung von Nutzerbeiträgen berechtigt, unwirksam, ergibt sich ein Recht zur Löschung nicht rechtswidriger Beiträge auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung.

3. Dem Anspruch des Nutzers auf Freischaltung eines vertragswidrig gelöschten Beitrages kann der Anbieter auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Geltendmachung des Anspruchs sei treuwidrig, weil der Beitrag gegen die Gemeinschaftsstandards des sozialen Netzwerks verstoße und der Nutzer daher seinerseits zur Löschung des wieder freigeschalteten Beitrags verpflichtet wäre (Rückgewähreinwand aus § 242 BGB - „Dolo-agit-Einwand“).


Aus den Entscheidungsgründen:
I. Internationale Zuständigkeit

Die deutschen Gerichte sind gemäß Art. 17 Abs. 1 Buchst. c), Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Var. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO) international zuständig (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20, Rn. 24).

II. 1. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB einen Anspruch darauf, die von ihr gelöschten Beiträge wieder freizuschalten.

a) Die Beklagte hat durch die vorgenommene Löschung der Posts ihre vertraglichen Pflichten aus dem Nutzungsvertrag verletzt. Sie war zur Löschung der Beiträge nicht berechtigt.

aa) Es besteht kein Recht der Beklagten zur Löschung der streitgegenständlichen Beiträge des Klägers gemäß Nr. 3.2 der Nutzungsbedingungen i.V.m. Teil III Nr. 12 der Gemeinschaftsstandards. Denn der dort bestimmte Entfernungsvorbehalt ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20, Rn. 30, 51 ff.). Der Senat folgt der Beurteilung des Bundesgerichtshofs in der vorgenannten Entscheidung.

bb) Die Beklagte war auch nicht deshalb zur Entfernung der Beiträge des Klägers berechtigt, weil diese einen strafbaren Inhalt enthielten.

Zwar ist die Beklagte gehalten, unverzüglich tätig zu werden, um strafbare Inhalte in ihrem sozialen Netzwerk zu entfernen oder zu sperren, sobald sie Kenntnis von Tatsachen oder Umständen erlangt hat, aus denen die Rechtswidrigkeit der Beiträge offensichtlich wird (BGH, aaO, Rn. 98).

Eine Strafbarkeit der streitgegenständlichen Beiträge ist jedoch nicht gegeben und wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.

cc) Ein Recht zur Löschung der Beiträge ergibt sich auch nicht aus dem sonstigen Vertragsrecht. Es kommt insbesondere nicht in Betracht, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an Stelle der unwirksamen AGB-Klausel ein grundrechtskonformes Löschungsrecht zu setzen.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine ergänzende Vertragsauslegung bei Verbraucherverträgen - im Anwendungsbereich der Klauselrichtlinie - überhaupt erfolgen darf (dagegen: BeckOK BGB/H. Schmidt, 59. Ed. 1.8.2021, § 306 Rn. 10). Denn jedenfalls kommt bei unwirksamen AGB eine ergänzende Vertragsauslegung - bei Fehlen gesetzlicher Vorschriften, die an die Stelle der unwirksamen Klausel treten (§ 306 Abs. 2 BGB) - nur ganz ausnahmsweise in Betracht, nämlich wenn die ersatzlose Streichung der Klausel zu einem Ergebnis führt, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Vertragspartners des Verwenders verschieben würde, so dass diesem ein Festhalten an dem lückenhaften Vertrag nicht zuzumuten wäre (BGH, Urteil vom 15. Februar 2019 – V ZR 77/18, Rn. 18).

Davon kann im Streitfall keine Rede sein. Die Beklagte kann weiterhin strafbare Nutzerbeiträge löschen (s.o.). Im Fall von Beiträgen, die lediglich gegen ihre Gemeinschaftsstandards verstoßen, kann sie den Nutzer außergerichtlich zur Löschung auffordern und ihn gegebenenfalls gerichtlich auf Löschung in Anspruch nehmen. Bei beharrlichen, schweren Verstößen kann sie auch den Nutzungsvertrag kündigen (§ 314, § 626 BGB).

Soweit die Beklagte in einem Parallelverfahren auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur ergänzenden Vertragsauslegung bei einer unwirksamen Zinsänderungsklausel eines Sparvertrages verwiesen hat (BGH, Urteil vom 06. Oktober 2021 – XI ZR 234/20), führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Lücke, die dort durch die unwirksame Zinsänderungsklausel - bei gleichzeitiger Wirksamkeit der Vereinbarung über die Variabilität der Zinshöhe - entstanden ist, musste zur Durchführung des Sparvertrags zwingend durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden (aaO Rn. 41). Eine vergleichbare Sachlage besteht im Streitfall nicht, weil der Nutzungsvertrag ohne weiteres auch ohne die unwirksamen Regelungen zur Löschung und Sperrung durchführbar ist.

b) Dem aus der vertragswidrigen Löschung folgenden Anspruch auf Wiederherstellung der Posts kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Kläger sich treuwidrig verhält (§ 242 BGB), weil er - wegen eines Verstoßes gegen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten - seinerseits zur Löschung der Beiträge verpflichtet sein könnte.

Zwar wird aus § 242 BGB der sog. Rückgewährseinwand hergeleitet. Wer etwas verlangt, was er sofort zurückgeben muss, handelt grundsätzlich treuwidrig („Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“) (BeckOGK/Kähler, 1.8.2021, BGB § 242 Rn. 1358). Jedoch gilt dieser Rückgewährseinwand nicht unbeschränkt, wie sich bereits aus § 863 BGB ergibt. So kann der Rückgewährseinwand keine Grundlage sein, um die Voraussetzungen einer Selbsthilfe nach § 229 BGB zu unterlaufen und den Eingriff in fremde Rechte mit der Begründung zu ermöglichen, im Ergebnis sei die auf diese Weise hergestellte Lage richtig (aaO, Rn. 1364). Setzt sich jemand absichtlich über ein fremdes Recht hinweg, um einen Anspruch durchzusetzen, reduziert sich sein Treueanspruch. Nach dem Rechtsgedanken des § 863 BGB ist ihm dann je nach Schwere des Treueverstoßes der Rückgewähreinwand zu versagen, auch wenn er damit den Rückgewähranspruch nicht endgültig verliert (aaO).

Im Streitfall ist die Klausel der Nutzungsbedingungen der Beklagten, mit der sie sich ein Löschungsrecht ausbedungen hat, unwirksam, weil sie dem Nutzer im Zuge der Löschung des Beitrags und der vorübergehenden Sperrung seines Accounts keine Verfahrensrechte einräumt, die - bei der gebotenen Abwägung der einander gegenüberstehenden Grundrechtspositionen der Parteien - der Meinungsäußerungsfreiheit der Nutzer und dem Gleichbehandlungsgebots hinreichend Rechnung tragen und zu einem interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen führen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20 –, Rn. 83 ff.). Mit dem gebotenen „Grundrechtsschutz durch Verfahrensrecht“ wäre es unvereinbar, wenn dem Anspruch des Nutzers auf Wiederherstellung des Beitrags der Rückgewährseinwand entgegengehalten werden könnte und die Beklagte somit im Ergebnis sanktionslos vertragswidrig Beiträge löschen könnte. Vielmehr muss der Rechtsgedanke des § 863 BGB entsprechend zum Tragen kommen, sodass die Beklagte darauf zu verweisen ist, etwaige Löschungsansprüche gegen ihre Nutzer zunächst außergerichtlich und dann ggf. auf dem Rechtsweg geltend zu machen.

2. Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 BGB auch ein Anspruch auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Löschung der Beiträge bei deren erneuter Einstellung zu.

a) Die Beklagte hat - wie ausgeführt - durch die Entfernung der Beiträge des Klägers gegen ihre Vertragspflichten verstoßen. Dasselbe gilt für die Sperrungen des Nutzerkontos des Klägers. Auch insofern war die Beklagte infolge der Unwirksamkeit des Entfernungs- und Sperrungsvorbehalts in Nr. 3.2 der Nutzungsbedingungen zu der von ihr ergriffenen Maßnahme nicht berechtigt (BGH, aaO, Rn. 101).

b) Ein vertraglicher Unterlassungsanspruch folgt jedenfalls dann aus § 280 Abs. 1 BGB, wenn die Beklagte bereits einmal ihre Pflichten aus dem - fortbestehenden - Vertragsverhältnis verletzt hat und die Vertragsverletzung - in Gestalt der Entfernung des Beitrags des Klägers - teilweise noch andauert (BGH, aaO, Rn. 102).

c) Für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr (vgl. zum Erfordernis:

BGH, aaO, Rn. 103) spricht aufgrund der bereits begangenen Pflichtverletzungen der Beklagten eine tatsächliche Vermutung. Anhaltspunkte für eine Widerlegung der Vermutung sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

3. Die Berufungsanträge zu 3 und 5 (Feststellung) sind als Zwischenfeststellungsanträge gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Die Anträge sind auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichtet. Ob die Beklagte nicht zu den Löschungen und Sperrungen berechtigt war, betrifft nicht bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses, sondern das Nichtbestehen eines Rechtverhältnisses (vgl. zur Abgrenzung BGH, Urteil vom 17. Juni 2016 – V ZR 272/15, Rn. 9 f.). Eines Feststellungsinteresses bedarf es gemäß § 256 Abs. 2 ZPO nicht, weil es sich um entscheidungserhebliche Vorfragen der Unterlassungsanträge handelt.

Aus den vorstehend genannten Gründen sind die Feststellungsanträge auch begründet.

III. Im Übrigen ist die Klage - unabhängig von der Zulässigkeit der Löschung und Sperrung - unbegründet.

1. Der Berufungsantrag zu 2 (Datenberichtigung) ist unbegründet.

Ein Anspruch auf Datenberichtigung besteht - unabhängig von der Zulässigkeit der Maßnahmen - nicht.

Gemäß Art. 16 DS-GVO kann der Betroffene die Berichtigung ihn betreffender unrichtiger personenbezogener Daten verlangen.

Soweit die Beklagte die vorgenommene Löschung und Sperrung in ihrem Datenbestand vermerkt hat, handelt es sich aber nicht um unrichtige Daten, denn die Löschung und die Sperrung sind unstreitig vorgenommen worden. Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Frage, ob die Löschung und Sperrung sich als rechtmäßig erwiesen haben, Gegenstand eines weiteren gespeicherten Datensatzes ist.

Jedenfalls kann auch insoweit keine Berichtigung verlangt werden, weil es sich nicht um eine dem Wahrheitsbeweis zugängliche Tatsache, sondern um eine rechtliche Bewertung handelt. Werturteile von Privaten sind grundsätzlich schon wegen des Schutzes der Meinungsfreiheit aus dem Anwendungsbereich der Berichtigungspflicht ausgenommen, soweit sie keine Tatsachenbestandteile enthalten (BeckOK DatenschutzR/Worms, 34. Ed. 1.8.2020, DS-GVO Art. 16 Rn. 54).

Der Beklagten kann es nicht verwehrt werden, ihre Auffassung zu vermerken, Löschung und Sperrung seien rechtmäßig gewesen. Mit einer solchen Speicherung ist allerdings kein Präjudiz für die Frage der Rechtmäßigkeit verbunden. Über diese Frage wird bereits durch die Feststellungsanträge verbindlich entschieden. Die Verurteilung zur Datenberichtigung hätte keine weiterreichende Bindungswirkung für die Beklagte, etwa wenn sie bei der Sanktionierung weiterer Verstöße für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auf die Zahl der zuvor begangenen Verstöße abstellt. Für eine solche Bindungswirkung, die über die materielle Rechtskraft des Urteils hinausgeht, besteht keine rechtliche Grundlage. Es existiert keine Regelung, dass die gespeicherten Daten verbindlich für die Beurteilung der Rechtslage sind.

2. Die geltend gemachten Auskunftsansprüche (Berufungsanträge zu 9 und 10) bestehen ebenfalls nicht.

a) Die unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben begründete Auskunftspflicht stellt eine Nebenverpflichtung dar und setzt daher im Regelfall einen dem Grunde nach feststehenden Leistungsanspruch voraus (MüKoBGB/Krüger, 8. Aufl. 2019, BGB § 260 Rn. 15). Die anspruchsbegründenden Merkmale des Anspruchs müssen also gegeben sein, lediglich der Anspruchsinhalt, den zu bestimmen die Auskunft benötigt wird, darf offen sein. Freilich muss die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass nach dem Ergebnis der Auskunft etwas zu fordern bleiben wird. Besteht der Leistungsanspruch z.B. in einem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, so müssen sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen dieses Anspruchs, einschließlich Verschulden, gegeben sein; nur für die Schadensentstehung genügt Wahrscheinlichkeit. Generell kann nur derjenige Auskunft verlangen, der durch das Verhalten desjenigen, von dem er Auskunft will, oder in sonstiger Weise bereits in seinem bestehenden Recht so betroffen ist, dass nachteilige Folgen für ihn ohne die Auskunftserteilung zu besorgen sind (aaO).

b) Im Streitfall ist von vornherein - unabhängig von der Zulässigkeit der Löschung und Sperrung - nichts für eine Haftung etwaiger, von der Beklagten beauftragter Dritter ersichtlich. Das Nutzungsverhältnis, aus dem sich die - vertraglichen - Ansprüche des Klägers ergeben, besteht nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits. Von der Beklagten beauftragte Dienstleister sind hieran nicht beteiligt. Auch ein deliktischer Anspruch kommt nicht in Betracht. Die angegriffenen Maßnahmen stellen keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers dar. Die Möglichkeit, auf F... Kommentare abzugeben, ist kein deliktsrechtlich geschützter Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Auch eine sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB ist nicht im Ansatz erkennbar.

c) Auch für einen Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland ist nichts ersichtlich. Es handelt sich bei der vermuteten Einflussnahme der Bundesregierung um reine Mutmaßungen des Klägers ohne jede Tatsachengrundlage. Die im Rahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vorgenommene Regulierung ist ohne Belang für die Frage, inwiefern die Beklagte Beiträge löscht und mit Sperrungen ahndet, die keine rechtswidrigen Inhalte nach § 1 Abs. 3 NetzDG darstellen.

3. Der Berufungsantrag zu 11 (Zahlung) ist unbegründet.

a) Der Zahlungsantrag ist nunmehr zulässig, nachdem der Kläger den Antrag in der Berufungsverhandlung mit der Maßgabe gestellt hat, dass in erster Linie der Schaden wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend gemacht wird, hilfsweise in zweiter Linie der Schaden wegen vertraglicher Ansprüche (fiktive Lizenzgebühr) und weiter hilfsweise in dritter Linie der Schaden wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutzgrundverordnung.

Der ursprüngliche Zahlungsantrag ist unzulässig, weil es sich um eine - unzulässige - alternative Klagehäufung handelt (vgl. MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 260 Rn. 22). Seinen Zahlungsantrag hat der Kläger alternativ auf verschiedene Gesichtspunkte gestützt (immaterielle Entschädigung für die Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch die Kontosperrung, Vermögensschaden durch die unberechtigte Verwertung seiner geposteten Inhalte sowie Entschädigung für die unberechtigte Datenverarbeitung). Damit liegen drei unterschiedliche Streitgegenstände (prozessuale Ansprüche) vor. Bei einem materiellen und einem immateriellen Schadensersatzanspruch handelt es sich stets um prozessual selbständige Streitgegenstände (BGH, Urteil vom 27. Mai 1993 – III ZR 59/92, BGHZ 122, 363-372, Rn. 8), nicht lediglich um unterschiedliche materielle Anspruchsgrundlagen für einen einheitlichen prozessualen Anspruch. Gleiches gilt für den Datenschutz-rechtlichen Entschädigungsanspruch, der ein gänzlich anderes Schutzgut betrifft.

Aufgrund der nachgeholten Angabe des Eventualverhältnisses - der Reihenfolge, in der der Kläger seinen Zahlungsantrag auf die verschiedenen prozessualen Ansprüche stützt - ist der Antrag jedoch nunmehr zulässig.

b) Der Zahlungsantrag ist allerdings sowohl im Hauptantrag als auch in den Hilfsanträgen unbegründet.

aa) Dem Kläger steht kein immaterieller Schadensersatzanspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung zu.

Die Rechtsprechung hat aus § 823 Abs. 1 BGB i.V. mit Art. 1 und 2 GG hergeleitet, dass dem Geschädigten im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung eine Geldentschädigung zuzubilligen ist, weil ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 – VI ZR 332/94, Rn. 13, juris).

Auch wenn die Meinungsfreiheit als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen wird, stellen die in Rede stehenden Maßnahmen keine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers dar. Auch unter Berücksichtigung der Bedeutung, die die Nutzungsmöglichkeit von F... für manche Menschen haben mag, betrifft eine vorübergehende Sperre keinesfalls einen Kern des Persönlichkeitsrechts.

bb) Es besteht auch kein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Nutzung der von dem Kläger generierten Inhalte.

Die Beklagte hat Inhalte des Klägers nicht unberechtigt genutzt; er hat der Nutzung bei Abschluss des Nutzungsvertrages zugestimmt. Auch wenn die Beklagte sich nicht vollständig vertragsgerecht verhalten hat, lässt dies nicht die Zustimmung des Klägers entfallen.

Darüber hinaus ist dem Kläger durch die Maßnahmen der Beklagten auch kein Vermögensschaden entstanden. Die Vermögenslage des Klägers hat sich hierdurch nicht verändert.

cc) Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 Abs. 2 Satz 1 DS-GVO zu. Die Maßnahmen der Beklagten stellen - unabhängig von ihrer Zulässigkeit - keinen Verstoß gegen die DS-GVO dar. Die Nutzung der Daten des Klägers erfolgte mit dessen Zustimmung. Daran ändert es nichts, dass sich die Beklagte bei der Löschung des Posts und der Sperrung pflichtwidrig verhalten hat.

4. Der Berufungsantrag zu 12 (Freistellungsanspruch in Bezug auf außergerichtliche Anwaltskosten) ist unbegründet.

a) Zwar kommt dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Betracht, soweit die Klage in der Hauptsache begründet ist. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass bei dem Kläger entsprechende außergerichtliche Anwaltskosten angefallen sind. Für die vorprozessuale Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers wäre nur dann eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV angefallen, wenn der Kläger diese außergerichtliche Tätigkeit beauftragt hat, ohne zugleich einen unbedingten Klagauftrag zu erteilen (vgl. BGH, Urteil vom 15. August 2019 – III ZR 205/17, Rn. 43). Der Kläger hat hierzu nichts vorgetragen, obwohl die Beklagte die außergerichtlichen Kosten in Abrede genommen hat.

Darüber hinaus ergibt sich aus der Anlage K 35, dass der Rechtsschutzversicherer etwaige außergerichtliche Kosten des Klägers beglichen hat. Daher bestünde ein etwaiger Freistellungsanspruch des Klägers nicht mehr, sondern ein Zahlungsanspruch aus abgetretenem Recht des Versicherers, den der Kläger jedoch nicht geltend macht.

b) Auch für die Einholung der Deckungszusagen seines Rechtsschutzversicherers kann der Kläger keinen Freistellungsanspruch geltend machen.

Die durch die Pflichtverletzung der Beklagten verursachten Rechtsverfolgungskosten sind nur zu ersetzen, soweit sie aus der Sicht des Klägers zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2011 – VIII ZR 132/10, Rn. 23 f., juris; Urteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 274/10, Rn. 20 f., juris). Dem Geschädigten ist in der Regel zuzumuten, die Deckungszusage selbst anzufordern (aaO). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen wäre, eine einfache Anfrage, ggf. unter Beifügung des von seiner Prozessbevollmächtigten gefertigten Entwurfs des Abmahnschreibens bzw. der Klage, an den Versicherer zu senden. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass von vornherein davon auszugehen war, dass der Versicherer den Deckungsschutz nur bei einer anwaltlichen Aufforderung gewähren würde. Dies ergibt sich auch nicht aus der vorgelegten Korrespondenz mit dem Versicherer (Anlagen K 36 - K 42).


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OLG Celle: Unterlassungsanspruch aber keine Geldentschädigung bei Veröffentlichung eines Fotos welches Polizisten im Dienst ohne Anonymisierung zeigt

OLG Celle
Urteil vom 23.09.2021
13 U 55/20


Das OLG Celle hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch bei Veröffentlichung eines Fotos, welches einen Polizisten im Dienst ohne Anonymisierung zeigt, besteht. Eine Geldentschädigung lehnte das Gericht in diesem Fall ab, da durch die Veröffentlichung des Fotos keine Gefahrenlage für den betroffenen Polizisten geschaffen worden sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass dem Kläger ein Anspruch zusteht, die Verbreitung und/oder Veröffentlichung des im Wesentlichen streitgegenständlichen, unter anderem als Anlage K1 (Blatt 17) vorgelegten Lichtbildes zu unterlassen, sofern es nicht so verändert ist, dass der Kläger nicht mehr identifizierbar ist (dazu unter 1.). Der Unterlassungsanspruch beschränkt sich allerdings auf die Veröffentlichung dieses einen Bildes in dem Zusammenhang mit der in Bezug genommenen Berichterstattung und umfasst nicht sämtliche Bildnisse des Klägers von diesem Polizeieinsatz in jeglicher Form (dazu unter 2.), was der Kläger nunmehr durch die Beschränkung seines Antrags auf die konkrete Verletzungsform auch klargestellt hat.

1. Das Landgericht hat bezogen auf das unter anderem als Anlage K1 vorgelegte unverpixelte Lichtbild zu Recht einen Unterlassungsanspruch des Klägers aus § 1004 Abs. 1 Satz 1, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, §§ 22, 23 KUG wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in sein Persönlichkeitsrecht bejaht.

a) Die Zulässigkeit von Bildnisveröffentlichungen ist nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen, das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben als auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2013 - VI ZR 125/12, juris Rn. 10; Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, juris Rn. 15, jew. m. w. N.). Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die Veröffentlichung des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. September 2010 - 1 BvR 1842/08, 1 BvR 2538/08, 1 BvR 6/09, juris Rn. 52, m. w. N.). Die nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2015 - VI ZR 245/14, juris Rn. 14; Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, juris Rn. 21 ff., jew. m. w. N.).

Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Er darf nicht zu eng verstanden werden und umfasst im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse. Der Begriff wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört es, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist, wobei unterhaltende Beiträge davon nicht ausgenommen sind (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2015, a. a. O., Rn. 17 m. w. N.). Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. Bildaussagen nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen (BGH, Urteil vom 9. April 2019 - VI ZR 533/16, juris Rn. 10; Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, juris Rn. 21, jew. m. w. N.)

Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt der Bildberichterstattung unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung zu ermitteln ist.

Entscheidend ist insbesondere, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen oder ob sie - ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis - lediglich die Neugier der Leser befriedigen (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2019 - VI ZR 504/18, juris Rn. 13 m. w. N.). Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2007, a. a. O.).

Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird (BGH, Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, juris Rn. 24 m. w. N.).

Bezogen auf die Abbildung einzelner im Einsatz befindlicher Polizeibeamten wird vertreten, dass diese nur dann zulässig ist, wenn bezogen auf eben diese Abbildung - und nicht nur auf das dem Einsatz zugrundeliegende Ereignis - § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG greift. Denn der einzelne Beamte sei nicht schon allein auf Grund seines Einsatzes eine Person der Zeitgeschichte, sondern erst dann, wenn er an besonderen Ereignissen oder Handlungen teilnimmt, insbesondere, wenn er sich pflichtwidrig verhält (vgl. Engels in: BeckOK UrhR, KUG § 23 Rn. 17; OLG Celle, Urteil vom 25. August 2010 - 31 Ss 30/10, juris Rn. 21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 2. Oktober 1979 - 4 Ss 200/79, juris). Alltägliche Einsätze zählten indes nicht zum Zeitgeschehen, über das unter Abbildung der beteiligten Polizisten berichtet werden dürfe (vgl. Fricke in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 5. Aufl., § 23 KUG Rn. 31 m. w. N.). Gezielte Aufnahmen von einzelnen Polizisten im Einsatz seien daher erst in dem Augenblick zulässig, in dem an ihnen ein besonderes öffentliches Informationsinteresse besteht (vgl. Soehring, in: Soehring/Hoehne, Presserecht, 5. Aufl., § 21 Rn. 13c), weshalb beispielsweise regelmäßig kein schützenswertes Informationsinteresse an einer Einzelabbildung der bei einer Personenkontrolle oder Demonstrationsüberwachung Mitwirkenden bestehe (Dreyer in: Dreyer/Kotthoff/ Meckel/Hentsch, Urheberrecht, 4. Aufl., § 23, Rn. 39).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen stellt sich die angegriffene Abbildung des Verfügungsklägers als rechtswidrig dar, weil seine Einwilligung unstreitig nicht vorlag und es sich - unter Abwägung der widerstreitenden Interessen - nicht um eine Berichterstattung über ein zeitgeschichtliches Ereignis handelt.

aa) Allerdings behandelt die Berichterstattung, deren Bebilderung das Bildnis des Klägers dient, durchaus eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse, so dass sie - und auch die Bebilderung - im Ausgangspunkt der Zeitgeschichte zugerechnet werden könnte. Ein entsprechendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist anzunehmen.

Indiziell spricht für ein solches Informationsinteresse bereits der Umstand, dass der Polizeieinsatz Gegenstand der Berichterstattung in verschiedenen Presseorganen war. Auch in der Sache bestand ein Informationsinteresse angesichts des erheblichen Aufwandes des Einsatzes - unter anderem auch im Hinblick auf Straßensperrungen sowie den Schusswaffeneinsatz. Selbst wenn die Berichterstattung insoweit auch einen unterhaltenden Charakter hatte und die Neugier der Öffentlichkeit befriedigte, stellte gerade die Diskussion dieser Umstände eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse dar. Der Presseartikel der Beklagten (vorgelegt als Anlage zur Berufungsbegründung vom 21. September 2020, Bl. 334) thematisierte die fragliche Verhältnismäßigkeit auch zumindest im Ansatz, insbesondere indem er herausstellte: „Es sah aus wie ein Anti-Terror-Einsatz - war aber nur eine Wildschwein-Jagd“. Er befriedigte damit ein Informationsbedürfnis, auch wenn eine eingehendere sachliche Auseinandersetzung unterblieb. Nicht zu verkennen ist allerdings im Rahmen der nachfolgend vorzunehmenden Abwägung, dass das öffentliche Interesse sowohl in regionaler Hinsicht als auch im Hinblick auf die gesellschaftspolitische Bedeutung nur eingeschränkt bestand und insbesondere etwa nicht mit dem Interesse an der Diskussion polizeilicher Einsätze beispielsweise bei Demonstrationen vergleichbar war.

Die Verwendung des infrage stehenden Bildnisses des Klägers zur Bebilderung dieses Presseartikels diente - unabhängig davon, dass ein konkretes Bedürfnis insoweit ohnehin nicht festgestellt werden müsste - ebenfalls dem öffentlichen Informationsinteresse. Sie war nicht nur geeignet, allgemein Interesse für diese Berichterstattung zu erwecken. Vielmehr unterstrich sie gerade auch aufgrund des entschlossenen und martialisch wirkenden Auftretens des Klägers und dessen Bewaffnung mit einer Maschinenpistole die Thematisierung der möglichen Unverhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes.

bb) Diesem Informationsinteresse stehen vorliegend aber überwiegende Interessen des Klägers gegenüber.

(1) Dabei spricht für die Zulässigkeit der Bebilderung zwar, dass das Lichtbild ohne Belästigung, Ausnutzung von Heimlichkeit oder beharrliche Nachstellung und nicht an Orten der Abgeschiedenheit aufgenommen wurde (zu diesen Gesichtspunkten: BGH, Urteil vom 9. April 2019 - VI ZR 533/16, juris Rn. 23).

Zudem zeigt die Abbildung den Kläger bei der in die Sozialsphäre fallenden Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit. Sie ist im unmittelbaren Kontext mit der zugehörigen Wortberichterstattung auch nicht geeignet, das soziale Ansehen des Klägers in erheblicher Weise nachteilig zu beeinflussen. Sie zeigt den Kläger bei der Ausübung seiner Dienstpflichten. Sie suggeriert in diesem Kontext kein Fehlverhalten des Klägers. Zwar lässt der Zusammenhang der Bebilderung mit der Wortberichterstattung es als möglich erscheinen, dass es der Kläger gewesen wäre, der die tödlichen Schüsse auf das Tier abgegeben hat, was tatsächlich nicht der Fall war. Dies stellt jedoch nur ein mögliches Verständnis dar, das durch die Berichterstattung nicht nahegelegt wird. Zudem stellt es zumindest objektiv keinen wesentlichen Unterschied dar, ob der Kläger nur an dem fraglichen Einsatz beteiligt war oder auch selbst - auf Anweisung - geschossen hat. Nicht zu verkennen ist dabei allerdings, dass absehbar war, dass sowohl der Einsatz als solcher als auch die Tötung des Tieres von einzelnen Dritten als kritikwürdig eingeschätzt werden würde.

In die Abwägung ist dabei auch einzustellen, dass der Kläger durch seine Abbildung gerade das „Gesicht“ des als unverhältnismäßig kritisierten Polizeieinsatzes wurde, ohne dass er diesen angeordnet oder sonst zu verantworten hätte, weshalb auch ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerade an der Identität des Klägers nicht bestand (zu diesem Gesichtspunkt: Senat, Urteil vom 20. April 2000 - 13 U 160/99, juris Rn. 9).

(2) Wesentlich gegen die Zulässigkeit der Abbildung des Klägers in der vorgenommenen Weise spricht zudem, dass es aufgrund ihrer Prägnanz nahelag, dass sie sich im Internet „verselbstständigte“ und als Symbol für unverhältnismäßige Polizeigewalt, möglicherweise auch für einen Polizeistaat, Verwendung finden würde. Die abgebildete Körperhaltung, Bewegung und Mimik des Klägers verleiht dem Bild eine martialische und militante Dynamik, die auch außerhalb des Kontextes zu der Wortberichterstattung eine plakative Wirkung entfaltete. Es lag daher nicht fern, dass sie gerade auch im Zusammenhang mit anderen kritischen oder gar feindlichen Meinungsäußerungen gegenüber der Polizei eingesetzt und den Kläger insoweit zur Zielscheibe verbaler, möglicherweise aber auch tätlicher Angriffe machen würde. Die Bebilderung hat insoweit durchaus einen mit einer Prangerwirkung vergleichbaren Effekt.

Bei der Gewichtung dieser Beeinträchtigung ist zwar zu berücksichtigen, dass der Kläger ausschließlich optisch und auch insoweit nur von einem vergleichsweise kleinen Kreis von Personen identifiziert werden kann und das Bild deshalb nicht geeignet ist, die Identität des Klägers einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen (dazu: BGH, Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 445/19, juris Rn. 32 f.). Bereits die nachteiligen Auswirkungen in seinem näheren Umfeld müssen dabei aber vom Kläger nicht hingenommen werden. Zudem ist auch seine Sorge nicht von der Hand zu weisen, im Zusammenhang mit der Wortberichterstattung identifizierbar zu sein, die seinen Einsatzbereich erkennen lässt.

Insoweit kann sich die Beklagte auch nicht darauf zurückziehen, dass die Berichterstattung nur an „lokale Leser“ gerichtet gewesen sei, weil der von ihr veröffentlichte Artikel und die dazugehörigen Fotos und Videos unstreitig weltweit im Internet abrufbar waren.

Nicht von wesentlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass eine tatsächliche, konkrete Gefährdung des Klägers auch unter Berücksichtigung der Aussage des als Zeugen vernommenen Vorgesetzten des Klägers, des Polizeibeamten B., nicht festzustellen ist.

Dass Abbildungen von Polizisten in großer Vielzahl im Internet abrufbar sind, steht der Schutzwürdigkeit der vorliegenden Interessen des Klägers ebenfalls nicht entgegen. Seine hier infrage stehende Abbildung hebt sich gerade durch ihre Prägnanz aus der Masse allgemeiner Abbildungen heraus.

43
Unerheblich ist auch, dass der Kläger gegen die Verwendung dieser oder vergleichbarer Abbildungen von ihm durch Dritte nicht vorgegangen sein mag. Die Beklagte kann sich auf eine mögliche Gleichheit im Unrecht nicht berufen. Zudem ist nicht zu verkennen, dass gerade die Verbreitung auf den Internetseiten der Beklagten eine besondere Breitenwirkung hat.

44
cc) In der Abwägung dieser widerstreitenden Interessen hat das Informationsinteresse der Öffentlichkeit insoweit zurückzutreten, dass eine unverpixelte und zur Identifizierung des Klägers geeignete Verwendung des fraglichen Bildes nicht zulässig war. Die schützenswerten Interessen des Klägers überwiegen die für eine Verwendung des unverpixelten Bildes streitenden Interessen.

Zwar ist das Bedürfnis, eine Berichterstattung zu bebildern, grundsätzlich nicht zu überprüfen. Es ist im Rahmen dieser Gesamtabwägung aber ergänzend zu berücksichtigen, dass die Verwendung des infrage stehenden Bildes nicht grundsätzlich, sondern nur insoweit unzulässig ist, als der Kläger darauf identifizierbar ist. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit betreffend „dramatische Jagdszenen“, insbesondere betreffend den Einsatz von Beamten mit Maschinenpistolen und Scharfschützengewehren, hätte unter Verwendung dies darstellender Bilder befriedigt werden dürfen. Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass der Aussagegehalt des infrage stehenden Bildes bei einer Verpixelung der Gesichtspartie insbesondere dadurch eingeschränkt wäre, dass die entschlossene Mimik des Klägers nicht mehr zum Ausdruck käme, wäre dies aufgrund der dargestellten Gesamtabwägung hinzunehmen.

c) Die Wiederholungsgefahr ist durch die Erstbegehung indiziert und von der Beklagten nicht widerlegt. Zwar hat sie - möglicherweise irrtümlich - in der Klageerwiderung (S. 43) behauptet, sich zur Unterlassung verpflichtet zu haben. Dieser Vortrag ist jedoch streitig. Die dort in Bezug genommene Anlage hat die Beklagte nicht vorgelegt. Hierauf hat der Kläger hingewiesen, ohne dass die Beklagte ihren Vortrag konkretisiert oder sonst unter Beweis gestellt hätte.

Auch der Zeitablauf als solcher ist nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr ohne eine entsprechende Unterlassungserklärung der Beklagten zu beseitigen.

d) Die Verwendung dieses unter anderem als Anlage K1 vorgelegten Bildes ist nicht in jeglichem Zusammenhang, sondern nur im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den fraglichen Polizeieinsatz zu untersagen (vgl. dazu allg. BGH, Urteil vom 13. November 2007 - VI ZR 265/06, juris Rn. 10). Entsprechend hat der Kläger seinen Klageantrag in der Berufungsinstanz durch die Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform auch klarstellend beschränkt.

2. Ein Unterlassungsanspruch besteht entgegen der Auffassung des Landgerichts demgegenüber nicht auch für die Verbreitung sonstiger Bildnisse des Klägers von dem fraglichen Polizeieinsatz. Dabei ist unerheblich, dass insoweit die maßgeblichen Interessen noch nicht konkret bewertet werden können. Vielmehr fehlt es insoweit bereits an einer Wiederholungsgefahr, weil die Beklagte solche anderen Abbildungen bislang nicht veröffentlicht hat. Auch hinreichende Anhaltspunkte einer Erstbegehungsgefahr fehlen insoweit. Auch insoweit hat der Kläger seinen Klageantrag nach Erörterung dieser Problematik im Termin zur mündlichen Verhandlung durch die Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform beschränkt.

Ob in dieser Beschränkung eine Teil-Rücknahme oder nur eine Klarstellung liegt, kann letztlich offenbleiben. Kostenrechtlich wäre auch eine Teil-Rücknahme nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unbeachtlich. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger konkret die Veröffentlichung anderer Bilder von ihm befürchtet hatte, so dass der formal ursprünglich weitergehende Klageantrag insoweit in der Sache nicht ins Gewicht fiel.

II. Im Hinblick auf die Verbreitung der unter anderem als Anlage K1 vorgelegten Abbildung des Klägers hat das Landgericht zutreffend eine Verpflichtung der Beklagten festgestellt, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Verbreitung dieser Abbildung entstanden ist und/oder noch entstehen wird. Bei Verletzung eines absoluten Rechtsgutes besteht ein Feststellungsinteresse bereits dann, wenn künftige Schadensfolgen (wenn auch nur entfernt) möglich, ihre Art und der Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind; ein Feststellungsinteresse ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 - VI ZR 133/06, juris Rn. 5). Diese Voraussetzungen für die Feststellung einer Ersatzpflicht liegen vor.

III. Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung besteht demgegenüber unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht.

1. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes begründet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann einen Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab. Ob ein derart schwerer Eingriff anzunehmen und die dadurch verursachte nicht vermögensmäßige Einbuße auf andere Weise nicht hinreichend ausgleichbar ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist ein erwirkter Unterlassungstitel zu berücksichtigen, weil dieser und die damit zusammenhängenden Ordnungsmittelandrohungen den Entschädigungsanspruch beeinflussen und im Zweifel sogar ausschließen können. Die Gewährung einer Geldentschädigung hängt demnach nicht nur von der Schwere des Eingriffs ab; es kommt vielmehr auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an, nach denen zu beurteilen ist, ob ein anderweitiger befriedigender Ausgleich für die Persönlichkeitsrechtsverletzung fehlt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 21. April 2015 - VI ZR 245/14, juris Rn. 33 m. w. N.).

2. Vorliegend spricht gegen eine Geldentschädigung bereits, dass die Zulässigkeit der Verwendung des Bildes letztlich aufgrund einer Abwägung zu beurteilen war, die im Ergebnis nicht derart eindeutig sein mag, dass dies den Rückschluss auf einen erheblichen Verschuldensgrad zulässt. Selbst die 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover hat die Veröffentlichung eines vergleichbaren Fotos durch eine andere Verlagsgesellschaft nicht als rechtswidrig eingeordnet (Urteil vom 21. Dezember 2020 - 18 O 167/20, vorgelegt als Anlage zum Schriftsatz vom 17. August 2021, Bl. 390 ff. d. A.). Insbesondere wird die Beklagte zwar eine mögliche Unzulässigkeit der Verwendung des Bildnisses und insoweit auch eine mögliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers billigend in Kauf genommen haben. Dass sie die Unzulässigkeit dieser Veröffentlichung aber positiv erkannt hätte, ist nicht festzustellen. Erst recht ist nicht anzunehmen, dass sie Angriffe auf den Kläger infolge der Veröffentlichung des Bildes billigend in Kauf genommen hätte.

Trotz des erheblichen Verbreitungsgrades des Bildes, der nicht fernliegenden Sorge des Klägers vor tätlichen Angriffen, des Umstandes, dass von einer Sensibilität der Beklagten hinsichtlich der Persönlichkeitsrechtsverletzung auszugehen ist, diese eine solche Persönlichkeitsrechtsverletzung jedenfalls billigend in Kauf genommen hat und angesichts der prominenten Veröffentlichung des infrage stehenden Bildes unter anderem auch als Titelbild unter der Rubrik „Top-Videos“ (vgl. Anlage K3, Bl. 19 d. A.) besteht im Hinblick auf den Grad des die Beklagte treffenden Verschuldens und den Umstand, dass sie sowohl im Wege der einstweiligen Verfügung als auch nunmehr im Hauptsacheverfahren unter Ordnungsmittelandrohung zu Unterlassung der Bildveröffentlichung verurteilt wurde, kein Bedürfnis zur Zahlung einer Geldentschädigung, um die Persönlichkeitsrechtsverletzung aufzufangen.

3. Es kommt hinzu, dass aufgrund der Prägnanz des Bildnisses und des Verbreitungsgrades seiner Veröffentlichung zwar nahelag, dass es sich - wie oben näher dargestellt - im Internet verselbstständigte und der Kläger insoweit zur Zielscheibe verbaler und möglicherweise auch tätlicher Angriffe werden konnte. Eine konkrete, auf die Veröffentlichung dieses Fotos durch die Beklagte zurückzuführende Gefährdung des Klägers, die einen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung begründete, kann aber nicht festgestellt werden.

Der als Zeuge vernommene Vorgesetzte des Klägers, der Polizeibeamte B., hat glaubhaft und auch glaubwürdig ausgesagt, dass nach der Beurteilung des Landeskriminalamts eine besondere Gefährdungslage für den Kläger nicht gegeben gewesen sei. Er, der Zeuge, habe zwar als Vorgesetzter des Klägers einen entsprechenden Antrag beim Landeskriminalamt gestellt, weil nach seiner eigenen Einschätzung eine besondere Gefährdungslage für den Kläger zwar nicht schon aufgrund des in Rede stehenden Fotos aber aufgrund der von einer Salafisten-Gruppe verbreiteten Bildmontage Anlage K 10 mit dem Foto bestanden habe. Der Antrag sei aber vom Landeskriminalamt abschlägig entschieden worden. Es sei zwar bestätigt worden, dass eine besondere Gefährdungslage für alle Polizeibeamten bestehe, nicht aber für den Kläger im Zusammenhang mit der Bildmontage. Dies deckt sich damit, dass das Landeskriminalamt Niedersachsen den Kläger nach der Aussage des Zeugen nicht im Hinblick auf eine etwaige Gefährdungslage über die Bildmontage in Kenntnis gesetzt hatte, sondern nur deshalb, weil dort ein möglicher Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz erkannt wurde.

IV. 1. Dem Kläger steht zunächst ein Anspruch auf Ersatz der in Vorbereitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens angefallenen Geschäftsgebühr nach einem Wert von 10.000 € zu. Hierauf ist die hälftige Verfahrensgebühr des einstweiligen Verfügungsverfahrens nach § 15a Abs. 1, 3 i. V. m. VV Vorb. 3 Abs. 4 RVG anzurechnen. Der Senat hat den Kläger insoweit darauf hingewiesen, dass er davon ausgeht, dass wegen der Verfahrensgebühr des einstweiligen Verfügungsverfahrens ein Kostenfestsetzungsbeschluss ergangen ist; dem ist der Kläger nicht entgegengetreten.

Die hiernach erstattungsfähige Geschäftsgebühr beläuft sich unter Ansatz einer 0,65-fachen Gebühr nebst Portopauschale und Mehrwertsteuer auf 455,41 €.

2. Dem Kläger steht darüber hinaus ein Anspruch auf Ersatz der Geschäftsgebühr für die Fertigung des Abschlussschreibens in Vorbereitung des Hauptsacheverfahrens zu. Das Abschlussschreiben gehört gebührenrechtlich zum Hauptsacheverfahren (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.73; Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., § 15 Rn. 30). Einen isoliert auf die Fertigung des Abschlussschreibens gerichteten Auftrag, der nicht zugleich mit einem Auftrag zur Führung des Hauptsacheverfahrens verbunden war, hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen. Die erforderlichen und erstattungsfähigen Kosten einer Abschlusserklärung bemessen sich nach dem Streitwert der Hauptsacheklage, welche vermieden werden soll, und nicht nach dem Streitwert des einstweiligen Verfügungsverfahrens (OLG Hamm, Urteil vom 02. Juli 2009 - 4 U 39/09, juris Rn. 7; Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, 4. Aufl., § 12 UWG (Stand: 09.04.2018), Rn. 184), hier mithin nach einem Streitwert von 25.000 €, der im Hinblick auf den Unterlassungsantrag anzusetzen ist.

Eine weitergehende Geschäftsgebühr zur Vorbereitung des Hauptsacheverfahrens ist bereits deshalb nicht angefallen, weil der Kläger eine weitergehende außergerichtliche Tätigkeit seines Anwalts insoweit nicht hinreichend dargelegt hat.

Ersatzfähig ist damit eine 1,3-fache Gebühr gemäß Nr. 2300 VV-RVG nach einem Streitwert von 25.000 € nebst Portopauschale und Mehrwertsteuer, insgesamt mithin 957,72 €


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Celle: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit "Eier von nachweislich salmonellenfreien Hühnern" wenn nur alle 2 Wochen ein Salmonellentest durchgeführt wird

OLG Celle
Urteil vom 11.11.2021
13 U 84/20


Das OLG Celle hat entschieden, eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit "Eier von nachweislich salmonellenfreien Hühnern" vorliegt, wenn tatsächlich nur alle 2 Wochen ein Salmonellentest durchgeführt wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Der Kläger hat insoweit einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3, § 3a UWG i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) bzw. § 5 Abs. 1 UWG, weil die Angabe „Eier von nachweislich salmonellenfreien Hühnern“ eine irreführende Information über die Eigenschafften der verkauften Bio-Eier darstellte.

a) Die Aktivlegitimation des Klägers gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ist gegeben. Sie steht auch nicht im Streit.

b) Die beanstandete Angabe „Eier von nachweislich salmonellenfreien Hühnern“ verstieß gegen eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG, weil sie eine irreführende Information über die in Verkehr gebrachten Eier gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV darstellte und mithin gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB verboten ist.

aa) Das vom Landgericht zugrunde gelegte Verständnis dieser Angabe ist zutreffend.

(1) Abzustellen ist auf den durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher, der der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 39. Aufl. 2021, UWG § 5 Rn. 1.76, mwN). Das Verbraucherleitbild des deutschen Lauterkeitsrechts entspricht dem des europäischen Rechts (aaO, mwN). Bei geringwertigen Gegenständen des täglichen Bedarfs ist die Aufmerksamkeit des Verbrauchers regelmäßig eher gering, so dass er die Werbung eher flüchtig zur Kenntnis nehmen wird (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2017 – I ZR 78/16 –, Rn. 27, juris).

Das Verbraucherverständnis kann der Senat, dessen Mitglieder zu den angesprochenen Verbrauchern zählen, aus eigener Sachkunde feststellen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht veranlasst.

(2) Die angesprochenen Verbraucher verstehen die Angabe dahin, dass die Eier, die sich in dem abgepackten Karton mit der streitgegenständlichen Angabe befinden, von Hühnern stammen, deren Salmonellenfreiheit zum Zeitpunkt des Eierlegens oder aber jedenfalls vor dem Inverkehrbringen der Eier durch die Beklagte jeweils durch einen entsprechenden Test nachgewiesen ist. Dieses Verständnis entspricht dem Wortlaut der Angabe. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Angabe sich nicht auf dem vorgedruckten Etikett befindet, sondern auf dem jeweils individuell hergestellten Etikett, dass die Packstelle mit dem jeweiligen Packdatum und einem Barcode ausweist. Dies bestärkt die schon durch den Wortlaut bedingte Vorstellung, dass diejenigen Hühner, die die in dem Karton befindlichen Eier gelegt haben, nachweislich salmonellenfrei sind. Für den Verbraucher bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich tatsächlich nur um regelmäßige - zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Verstoßes zweiwöchentliche - Salmonellentests handelt, bei der auch nicht die einzelnen Hühner, sondern Ausscheidungen aus der Herde getestet werden. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Vorbringen der Beklagten, dass eine solche Testung der einzelnen Hühner unmöglich zu realisieren sei und dies den Verbrauchern bekannt sei. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten hat der durchschnittlich informierte Verbraucher keine konkreten Kenntnisse darüber, welche Testverfahren in Bezug auf Salmonellen bei der Eierproduktion eingesetzt werden. Der Verbraucher wird sich daher auch - zumal in der konkreten Verkaufssituation im Lebensmittelgeschäft - keine Gedanken darüber machen, ob das Versprechen der Beklagten unrealistisch sein könnte und ihre Aussage daher in einem eingeschränkten, vom Wortlaut abweichenden Sinn gemeint sein könnte.

bb) Das Verständnis, das der durchschnittliche Verbraucher demnach von der beanstandete Aussage hat, stimmt nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen überein. Unstreitig war bei dem Inverkehrbringen der Eier - der Auslieferung an die Lebensmittelhändler - nicht durch einen Test nachgewiesen, dass die jeweiligen Hühner salmonellenfrei waren, als sie die in dem Karton befindlichen Eier legten.

Die Beklagte testet nach ihrem eigenen Vorbringen nicht die einzelnen Hühner zum Zeitpunkt des Eierlegens oder des Inverkehrbringens der Eier, sondern lediglich den Bestand in regelmäßigen Intervallen, zum Zeitpunkt der Produktion der streitgegenständlichen Bio-Eier zweiwöchentlich. Dabei erfolge die Beprobung nach Maßgabe der EU-Verordnung Nr. 517/2011.

Nach Nr. 2.2.1 b) des Anhangs zu dieser Verordnung wird die Beprobung wie folgt durchgeführt:

„In Scheunen- oder Bodenhaltungsställen sind zwei Paar Stiefelüberzieher oder Socken für die Probenahme zu verwenden.

Die verwendeten Stiefelüberzieher müssen aus saugfähigem Material bestehen, damit sie Feuchtigkeit aufnehmen können. Die Oberfläche des Stiefelüberziehers muss mit einem geeigneten Verdünnungsmittel befeuchtet werden.

Die Proben müssen im Rahmen einer Begehung so entnommen werden, dass sie für alle Teile des Stalls oder des entsprechenden Bereichs repräsentativ sind. Begangen werden auch Bereiche mit Einstreu oder Latten, falls diese sicher begehbar sind. Alle gesonderten Buchten eines Stalls müssen in die Beprobung einbezogen werden. Am Ende der Beprobung des gewählten Bereichs müssen die Stiefelüberzieher vorsichtig abgenommen werden, damit sich daran haftendes Material nicht löst.“

Mit dieser im Zweiwochenturnus durchgeführten Testmethode war bei dem Inverkehrbringen der Eier nicht nachgewiesen, dass jedes Huhn beim Legen eines Eies salmonellenfrei war.

Selbst wenn die einzelnen Hühner zum Nachweis ihrer Salmonellenfreiheit getestet würden, kann bei einem zweiwöchentlichen Testturnus nicht ausgeschlossen werden, dass Hühner zwischen zwei Testungen infiziert wurden und das zweite Testergebnis bei dem Inverkehrbringen der Eier noch nicht vorlag. Dies ergibt sich schon daraus, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten in ihrem nachgelassenen Schriftsatz die Eier in dem geschilderten Fall schon sechs Tage nach dem Legen ausgeliefert wurden und zwischen der Weiterleitung der Folgeprobe an das Labor und der Mitteilung des Testergebnisses drei Tage vergingen.

Darüber hinaus wird durch eine negative Testung der Herde aber auch nicht nachgewiesen, dass alle Hühner zum Testzeitpunkt salmonellenfrei waren. Durch die Entnahme „repräsentativer“ Proben soll eine Ausbreitung von Salmonelleninfektionen im Bestand entdeckt werden; sie ist ersichtlich nicht darauf ausgerichtet, die Salmonellenfreiheit jedes einzelnen Huhns nachzuweisen. Die Beklagte geht auch selbst nicht davon aus, dass eine Salmonelleninfektion einzelner Hühner, zu der es - unstreitig - trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bei freilaufenden Hühnern, insbesondere durch den Kontakt mit infizierten Wildvögeln, kommen kann, bei einem Test der Herde sofort entdeckt werden würde. Vielmehr trägt sie vor, wenn trotz negativer Testung der Herde einzelne Hühner unentdeckt mit Salmonellen infiziert sein sollten, würde sich die Infektion in den Folgewochen so stark im Bestand ausbreiten, bis ein Großteil oder alle Hühner der Herde infiziert seien, sodass spätestens „bei einer der Folgetestungen“ die Salmonelleninfektion zwangsläufig aufgedeckt würde (Bl. 150 d.A.).

Es mag sehr unwahrscheinlich sein, dass trotz der getroffenen Vorsichtsmaßnahmen Hühner zum Zeitpunkt des Eierlegens von Salmonellen befallen sind, obwohl die regelmäßigen Bestandstests negativ waren. Diese Schlussfolgerung ändert jedoch nichts daran, dass die Aussage, die Salmonellenfreiheit der einzelnen Hühner, die die Eier in der Packung gelegt haben, sei nachgewiesen, nicht zutrifft. Aus Sicht des Verbrauchers besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dieser plakativen und für ihn sehr eingängigen Werbeaussage und der von der Beklagten gezogenen Schlussfolgerung, dass eine unentdeckte Salmonelleninfektion von Hühnern sehr unwahrscheinlich sei, weil sie Schutzmaßnahmen gegen den Eintrag von Salmonellen treffe und alle zwei Wochen repräsentative Proben aus dem Stall der Herde getestet würden.

Einer Irreführung steht es entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht entgegen, dass der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. auf der von ihm betriebenen Internetseite lebensmittelklarheit.de, davon ausgeht, dass die Werbung zulässig sei (https://www.lebensmittelklarheit.de/forum/werbung-mit-salmonellenfreien-huehnern, Anlage B 4) . Diese Einschätzung beruht nicht auf einer abweichenden Beurteilung des Verbraucherverständnisses, sondern auf einer - ersichtlich unzutreffenden - rechtlichen Beurteilung. Dort wird ausgeführt:

„(…) In der Folge wurde eine EU-Verordnung erlassen, die dänische Anbieter dazu berechtigt, mit besonderen Garantien in Bezug auf die Salmonellenfreiheit ihrer Hühner zu werben. Die Werbung mit „nachweislich salmonellenfreien Hühnern“ ist daher aus unserer Sicht zulässig.“

Es existiert jedoch keine europarechtliche Regelung, die dänische Anbieter zu der Verwendung der streitgegenständlichen Aussage berechtigt.

cc) Der dargestellten Irreführung steht es auch nicht entgegen, wenn die Beklagte sich im Fall einer nachträglich festgestellten Salmonelleninfektion der Herde noch um eine Rückholung der an die Lebensmittelhändler ausgelieferter Eier bemüht hätte.

(1) Zum einen wäre die Werbeaussage auch dann unzutreffend und irreführend, wenn bei einem nachträglich festgestellten Salmonellenbefall noch verhindert werden könnte, dass bereits von der Beklagten ausgelieferte Eier an die Endkunden verkauft werden. Die Werbeaussage wird - wie ausgeführt - als Zusicherung der Beklagten verstanden, dass jedenfalls bei dem Inverkehrbringen der Eier durch die Beklagte ein Nachweis vorlag, dass die betreffenden Hühner beim Legen der Eier salmonellenfrei waren. Es macht aus Sicht des Verbrauchers einen erheblichen Unterschied, ob dieser Nachweis bei der Auslieferung der Eier durch die Beklagte tatsächlich vorlag oder die Beklagte lediglich versprechen will, dass sie bereits an Lebensmittelhändler ausgelieferte Eier bei einem nachträglich festgestellten Salmonellenbefall noch rechtzeitig zurückholen wird, bevor sie dem Endkunden zum Kauf angeboten werden. Denn bei einer nachträglichen Rückholung wäre die Beklagte auf die Mitwirkung ihrer Abnehmer angewiesen. Ob diese bei einem Rückruf unverzüglich und fehlerfrei reagieren, hat die Beklagte nicht in der Hand. Sie kann darüber keine verlässlichen Zusagen abgeben. Der Verbraucher geht nicht davon aus, dass die Beklagte lediglich eine solche Rückholung zusagen will.

(2) Darüber hinaus ist auch nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten davon auszugehen, dass der Verkauf salmonellenbelasteter Eier an Endkunden nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Auch die Beklagte hält es für möglich, dass eine Salmonelleninfektion von Hühnern bei der Herdentestung noch nicht entdeckt wird, sondern erst infolge der weiteren Ausbreitung bei einer der Folgetestungen festgestellt wird. Hingegen unterstellt sie in ihrem nachgelassenen Schriftsatz, dass ein Salmonellenbefall bereits bei der ersten Herdentestung nach dem Legedatum festgestellt worden wäre. Es ist aber nach ihrem eigenen Vortrag möglich, dass ein Salmonellenbefall erst bei einer der Folgetestungen - das heißt noch einmal zwei oder mehr Wochen später - bemerkt wird. In diesem Fall würden die Eier auch bei den von der Beklagten für den Beispielsfall vorgetragenen Abläufen in den Verkauf gelangen, bevor sie Rückrufmaßnahmen ergreifen kann. Im Beispielsfall lagen nach ihrem Vortrag nur 12 Tage zwischen dem Legedatum (3. November 2019) und dem Kauf der Eier (15. November 2019).

c) Der Verstoß gegen das lebensmittelrechtliche Irreführungsverbot ist auch zu seiner spürbaren Beeinträchtigung der Verbraucherinteressen im Sinne von § 3a UWG geeignet, weil die Kaufentscheidung des Verbrauchers hierdurch beeinflusst werden kann. Ein erheblicher Teil der angesprochenen Verbraucher wird großen Wert auf die zugesagte nachgewiesene Salmonellenfreiheit legen, daher die derart beworbenen Eier bei gleichem Preis bevorzugen und auch bereit sein, hierfür einen gewissen Preisaufschlag zu zahlen. Der Spürbarkeit des Verstoßes steht es nicht entgegen, dass das Risiko einer Salmonellenbelastung der verkauften Eier sehr gering sein mag. Aus Sicht des Verbraucher ist von Bedeutung, ob der Produzent klar und eindeutig zusagt, dass die Eier von nachweislich salmonellenfreien Hühnern stammen oder er - mit für den Verbraucher nicht im Einzelnen nachvollziehbaren und überprüfbaren Erwägungen - ausführt, dass das Risiko einer Salmonellenbelastung aufgrund verschiedener Maßnahmen äußerst gering sei.

d) Die gemäß § 8 Abs. 1 UWG erforderliche Wiederholungsgefahr wird vermutet. Die Vermutung ist nicht dadurch entkräftet, dass die Beklagte das zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Verstoßes praktizierte zweiwöchige Testintervall nach ihrem Vorbringen inzwischen weiter verkürzt hat. Dies bietet noch keine hinreichende Sicherheit dafür, dass die Beklagte nicht wieder zu dem zweiwöchigen Testintervall zurückkehrt. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob die Werbeaussage bei einer bestimmten Verkürzung des Testintervalls zulässig sein könnte, was allerdings bei dem vorgetragenen Wochenrhythmus zweifelhaft erscheint.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Celle: Je nach Formulierung der Versicherungsbedingungen kann Betriebsschließungsversicherung bei Schließung aufgrund der Corona-Pandemie greifen

OLG Celle
Urteil vom 01.07.2021
8 U 5/21


Das OLG Celle hat entschieden, dass je nach Formulierung der Versicherungsbedingungen eine Betriebsschließungsversicherung bei Schließung aufgrund der Corona-Pandemie greifen kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Betriebsschließungsversicherungen greifen bei einer Schließung aufgrund der Corona-Pandemie nicht immer ein

- OBERLANDESGERICHT CELLE: MASSGEBLICH IST DIE GENAUE FORMULIERUNG DER VERSICHERUNGSBEDINGUNGEN

CELLE. Unternehmer können sich mit sog. Betriebsschießungsversicherungen gegen Schäden absichern, die ihnen bei einer behördlich angeordneten Schließung ihres Betriebes aus Gründen des Infektionsschutzes drohen. Aber greifen diese Versicherungen auch in Fällen ein, in denen die Schließung wegen eines Krankheitserregers wie dem Corona-Virus erfolgt, der bei Abschluss des Versicherungsvertrages noch unbekannt war? Das hängt von der konkreten Formulierung der Versicherungsbedingungen ab, wie der für Rechtsstreitigkeiten über Versicherungsverhältnisse zuständige 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle jetzt mit Urteil vom 1. Juli 2021 entschieden hat (Az.: 8 U 5/21).

In diesem Fall betreibt der Kläger ein Restaurant in Schwanewede. Er hatte im Jahr 2018 eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen, die nach den Versicherungsbedingungen u.a. dann eine Entschädigung leistet, wenn der versicherte Betrieb beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger aufgrund des Infektionsschutzgesetzes geschlossen wird. Nach der sich anschließenden Klausel sind „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen […] die folgenden im Infektionsschutzgesetz […] namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: […]“ Im Anschluss sind verschiedene Krankheiten und Krankheitserreger ausdrücklich aufgelistet, nicht aber das – damals noch unbekannte – Coronavirus.

Nachdem der Landkreis Osterholz im März 2020 aufgrund der Corona-Epidemie u.a. Restaurants geschlossen hatte, möchte der Kläger von seiner Versicherung ihm hierdurch entstandene Schäden ersetzt haben. Die Versicherung verweigerte eine Zahlung, weil eine Schließung nur aufgrund derjenigen Krankheiten und Krankheitserreger versichert sei, die in den Versicherungsbedingungen abschließend aufgezählt seien.

Während das Landgericht Verden noch dem Kläger Recht gegeben hatte, wies der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts die Klage auf die Berufung der Versicherung hin ab. Die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in den Versicherungsbedingungen erfolgte abschließend. Sollte der Versicherungsfall – wie der Kläger meint – bei jeder Schließung aufgrund irgendeiner nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheit eintreten, wäre diese Aufzählung sinnlos. Einem verständigen Versicherungsnehmer sei deshalb klar, dass die Versicherung nur das Risiko der ausdrücklich bezeichneten Krankheiten und Erreger übernehme.

Der Senat hat weiter insbesondere geprüft, ob diese Einschränkung des Versicherungsschutzes auf ausdrücklich benannte Krankheiten und Erreger deshalb unwirksam sein könnte, weil sie im Gesamtkontext nicht ausreichend verständlich wäre, den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligte oder typischen Erwartungen an eine Betriebsschließungsversicherung zuwiderliefe. Er hat dies jeweils verneint. Die abschließende Aufzählung bestimmter Krankheiten und Erreger sei vielmehr eine typische Ausprägung einer solchen Versicherung.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.


OLG Celle: Klausel in Agenturvertrag mit langjähriger Bindung des Models an die Agentur unwirksam - 5 Jahre mit Verlängerungsklausel

OLG Celle
Urteil vom 01.04.2021
13 U 10/20


Das OLG Celle hat entschieden, dass eine Klausel in einem Agenturvertrag mit langjähriger Bindung des Models an die Agentur unwirksam ist (hier: 5 Jahre mit Verlängerungsklausel).

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Langjährige Bindung eines Models an eine Agentur unwirksam - OLG CELLE URTEILT ZU LANGJÄHRIGEN BEFRISTUNGEN IN VORFORMULIERTEN AGENTURVERTRÄGEN -

CELLE. Eine Model-Agentur schloss mit einem damals 18-jährigen Fotomodel einen sog. Agenturvertrag. Hiernach sollte die Agentur sich um die Förderung der Karriere des Models kümmern und hierfür 25 % aller Einnahmen erhalten. Der Agenturvertrag war auf fünf Jahre befristet und sollte sich anschließend um jeweils zwei Jahre verlängern, wenn er nicht spätestens neun Monate vor Ablauf gekündigt wird. Das Model kündigte den Vertrag nach einer Laufzeit von rund sechs Jahren und verweigerte danach weitere Zahlungen an die Agentur.

Das Landgericht Lüneburg hatte die Klage der Agentur abgewiesen, mit der diese eine weitere Vergütung bis zum Ende der vereinbarten Vertragslaufzeit begehrte. Mit Urteil vom 1. April 2021 hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts die hiergegen von der Agentur eingelegte Berufung zurückgewiesen (Az.: 13 U 10/20).

Nach § 627 BGB kann ein Dienstvertrag (der kein Arbeitsvertrag ist) grundsätzlich auch ohne wichtigen Grund und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn er auf einer besonderen Vertrauensstellung beruht und Dienste „höherer Art“ zum Inhalt hat. Diese Regelung erfasst etwa Dienstleistungen von Ärzten, Anwälten und Beratern, aber auch von Künstleragenturen. In dem vorliegenden Fall hatten die Parteien diese Regelung zwar durch die Vereinbarung von festen Vertragslaufzeiten ausgeschlossen. Dieser Ausschluss war nach Auffassung des Senats aber unwirksam, weil er in vorformulierten Vertragsbedingungen der Agentur enthalten war und das Model durch die langen Laufzeiten unangemessen benachteiligte. Die langfristige Förderung der Karriere von Künstlern könne es zwar rechtfertigen, die Kündigungsmöglichkeit für einen gewissen Zeitraum auszuschließen, weil sich Anfangsinvestitionen erst mit fortschreitender Karriereentwicklung rentierten. Sollten die Leistungen der Agentur aber nicht den Erwartungen des Models entsprechen, hätte dieses über einen langen Zeitraum faktisch keine Möglichkeit, die Agentur zu wechseln. Dies wog nach Auffassung des Senats umso schwerer, als gerade der Markt für Models mit zunehmendem Alter enger wird.



OLG Celle: Mündliche Auskunft durch Reisebüro geht Angaben in elektronischem oder gedrucktem Reiseprospekt vor

OLG Celle
Urteil vom 06.08.2020
11 U 113/19

Das OLG Celle hat entschieden, dass ein mündliche Auskunft durch eine Reisebüro Angaben in elektronischem oder gedrucktem Reiseprospekt vorgeht.

Aus den Entscheidungsgründen:

e) Die im Mittelpunkt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils stehende Tatsachenfrage, ob der Kläger den Reiseprospekt der Beklagten mitsamt der darin enthaltenen – inhaltlich ausreichenden und zutreffenden – Einreisebestimmungen (im Kapitel „Länderinformationen“, vgl. Bl. 24 d. A.) erhielt (oder eine inhaltlich entsprechende Digitaldatei per „Dropbox“), kann dahinstehen. Der Senat kann zugunsten der Beklagten unterstellen, dass diese Behauptung zutrifft. Die Beklagte würde dadurch nach der Auffassung des Senats nicht entlastet.

aa) Soweit es um die Festlegung des genauen Vertragsinhalts geht, ist anerkannt, dass der Reiseveranstalter für mündliche Äußerungen des mit ihm durch einen Handelsvertretervertrag verbundenen Reisebüros nach §§ 84 ff. HGB grundsätzlich einzustehen hat (vgl. nochmals BGH, Urteil vom 19. November 1981, a.a.O. Rn. 11 ff.; vgl. auch Staudinger/Ansgar Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2011, § 651c Rn. 19 m.w.N.):

„Sind demnach auch mündliche Erläuterungen des Reisewilligen für den Inhalt seines Vertragsangebots an den Reiseveranstalter maßgeblich, so trägt […] der Reiseveranstalter das Risiko einer fehlerhaften Weiterleitung des Angebots durch das vermittelnde Reisebüro. Diese Risikoverteilung ist sach- und interessengerecht.“

Die Instanzrechtsprechung hat diesen Grundsatz allerdings durchbrochen, wenn die mündliche Zusicherung des Reisebüros in erkennbarem Widerspruch zum Katalog des Reiseveranstalters steht (vgl. etwa OLG Frankfurt, Urteil vom 6. April 1995 – 16 U 47/94, juris Rn. 13). Zur Begründung wird ausgeführt, insoweit sei eine Vertrauenslage des Reisenden nicht gegeben, da er nicht davon ausgehen könne, dass die Prospektbeschreibung ohne weiteres durch eine mündliche Äußerung des Reisebüros außer Kraft gesetzt werden könne. Das soll auch gelten, wenn das Reisebüro zusichert, der Reiseveranstalter werde sich um die Besorgung der für die Reise erforderlichen Visa kümmern, und sich sowohl aus dem Reiseprospekt als auch einem ausdrücklichen nochmaligen Hinweis in der Reisebestätigung ergibt, dass dies die Aufgabe des Reisenden ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Dezember 2004 – 12 U 30/04, juris Rn. 10; vgl. auch Führich, Reiserecht, 7. Aufl. § 28 Rn. 34).

Ob das richtig ist, muss im Streitfall nicht abschließend erörtert werden. Die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung dürfte in denjenigen Fällen nachvollziehbar sein, in denen der Kataloginhalt tatsächlich Gegenstand des Beratungsgesprächs ist und der Kunde daher von sich aus bemerken kann und muss, dass der Reiseveranstalter nur einen bestimmten Vertragsinhalt anbieten möchte. Wenn das Reisebüro dann – insbesondere ohne vorherige Rücksprache mit dem Reiseveranstalter – einen deutlich abweichenden Vertragsinhalt anbietet, lässt sich gut vertretbar argumentieren, dass der Reisende erkennen muss, dass das Reisebüro seine Erklärungsbefugnis als Handelsvertreter offenkundig überschreitet und folglich in diesem Umfang nicht mehr für den Reiseveranstalter handelt kann. So mag es in dem vom OLG Frankfurt (a.a.O.) entschiedenen Fall gewesen sein. Ob es sich in dem „Visum-Fall“ des OLG Düsseldorf (a.a.O.) ebenso verhielt, lässt sich anhand der veröffentlichten Gründe jener Entscheidung nicht eindeutig klären. Allerdings wies der Reiseveranstalter den Kunden in dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall jedenfalls in der Reisebestätigung noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass er selbst die Visa nicht beschaffen werde, sondern sich der Kunde darum rechtzeitig kümmern müsse (a.a.O., Rn. 7). Angesichts dieses Hinweises war für den dortigen Kunden klar erkennbar, dass etwaige gegenteilige Äußerungen des Reisebüros nicht dem Willen des Reiseveranstalters entsprachen.

bb) Im Streitfall geht es indes nicht darum, dass die Zeugin K. als Mitarbeiterin des Reisebüros mit dem Kläger einen Vertragsinhalt vereinbarte, der ausweislich des Reiseprospekts erkennbar nicht dem Willen der Beklagten entsprach. Hier gab die Zeugin K. eine Erklärung ab, die mit den im Reiseprospekt abgedruckten Einreisebestimmungen nicht (vollständig) im Einklang stand. Die Beklagte hat auch weder behauptet noch die Zeugin K. bekundet, dass die im Prospekt der Beklagten enthaltenen „Länderinformationen“ Gegenstand der mündlichen Beratung im Reisebüro gewesen seien. Die Beklagte hat überdies nicht in der als Anlage K 3 vorgelegten Reisebestätigung vom 3. Januar 2018 ausdrücklich auf das Erfordernis hingewiesen, dass alle Reisenden einen Reisepass benötigten. Es heißt dort nur: „Sie haben eine Pauschalreise mit einem Linienflug gebucht – es gelten gesonderte Bedingungen gem. AGB Ziffer 8 – bitte beachten: – Überprüfen Sie bitte die korrekte Eingabe der Namen aller Mitreisenden und das Geburtsdaten analog des maschinenlesbaren Teils im Pass. […]“. Allein aus der Verwendung des Begriffs „Pass“ ergibt sich für einen durchschnittlichen Kunden nicht, dass eine Einreise mit einem Personalausweis nicht möglich ist, weil beide Begriffe umgangssprachlich nicht selten synonym benutzt werden.

(1) Bei einer solchen Fallgestaltung lässt sich nach Auffassung des erkennenden Senats nicht so argumentieren, wie es die Instanzrechtsprechung bei Abweichungen hinsichtlich des eigentlichen Vertragsinhalts, also der wechselseitigen Leistungspflichten der Parteien eines Pauschalreisevertrags mitunter tut. Dagegen spricht schon, dass die einschlägigen Informationen in den Reiseprospekten (wie im Streitfall die „Länderinformationen“ der Beklagten) aus der Sicht eines reisewilligen Kunden eher in die Rubrik „Kleingedrucktes“ gehören und deshalb im Regelfall nicht Gegenstand der Erörterung im Reisebüro sein werden. Deshalb ist die Abweichung für den Kunden nur erkennbar, wenn er sich diesen Informationen zuwendet, obwohl er zu dem Thema bereits zuvor mündlich eine Auskunft des Reisebüros erhalten hatte.

(2) Dazu ist der Kunde nach der Auffassung des Senats nicht verpflichtet, jedenfalls nicht ohne ausdrückliche Aufforderung von Seiten des Reisebüros. Vielmehr haben die vom Reisebüro mündlich erteilte Informationen grundsätzlich Vorrang gegenüber schriftlichen Hinweisen im Reiseprospekt, wenn diese nicht ausdrücklich Gegenstand der mündlichen Beratung waren.

Eine Obliegenheit des Reisekunden zur Nachprüfung von mündlich erteilten Informationen lässt sich nicht begründen. Der Bundesgerichtshof hat für den Bereich anderweitiger Beratungsleistungen, nämlich insbesondere für die Kapitalanlageberatung, ausdrücklich entschieden, dass eine solche Verpflichtung nicht besteht (vgl. etwa das Urteil vom 8. Juli 2010 – III ZR 249/09, juris Rn. 33) und dass allgemein der Umstand, dass ein Prospekt Chancen und Risiken einer Anlage hinreichend verdeutlicht, kein Freibrief für den Berater oder Vermittler ist, Risiken abweichend hiervon darzustellen und ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise und Erläuterungen im Prospekt entwertet oder für die Entscheidungsbildung des Anlegers mindert. Der Anleger, der bei seiner Entscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder -vermittlers in Anspruch nehme, messe den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Beraters oder Vermittlers, die dieser ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreitet, besonderes Gewicht bei. Die notwendig allgemein gehaltenen und mit zahlreichen Fachbegriffen versehenen Prospektangaben träten demgegenüber regelmäßig in den Hintergrund(vgl. auch BGH, Urteil vom 14. April 2011 – III ZR 27/10, juris Rn. 7 m.w.N.).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




OLG Celle: Online-Shop muss nicht über Herstellergarantie informieren mit der nicht geworben wird - zum Rechtsmissbrauch durch Abmahnverein IDO

OLG Celle
Urteil vom 26.03.2020
13 U 73/19


Das OLG Celle hat entschieden, dass ein Online-Shop nicht über eine Herstellergarantie und die dazugehörigen Garantiebedingungen informieren muss, wenn mit der Herstellergarantie nicht geworben wird. Ferner hat sich das Gericht zum Rechtsmissbrauch durch Abmahnungen des Abmahnvereins IDO (IDO - Interessenverband für das Rechts- und Finanzconsulting deutscher Online-Unternehmen e.V. ) geäußert.

Aus den Entscheidungsgründen:

"3. Die Klage könnte jedoch als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8 Abs. 3 UWG anzusehen sein.

Der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 8 Abs. 3 UWG), der bereits die Zulässigkeit der Unterlassungsklage betrifft (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2001 - I ZR 215/98 - Scanner-Werbung, Rn. 32, juris), könnte durchgreifen.

a) Allerdings ergibt sich ein Rechtsmissbrauch nicht bereits daraus, dass der Kläger offenbar allenfalls in eingeschränktem Umfang Rechtsverletzungen seiner Mitglieder verfolgt.

aa) Einem nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugten Verband ist es grundsätzlich nicht verwehrt, nur gegen bestimmte Verletzer gerichtlich vorzugehen (BGH, Urteil vom 17. August 2011 - I ZR 148/10- Glücksspielverband, Rn. 19, juris). Es kann jedoch als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein, wenn ein Verband gegen außenstehende Dritte vorgeht, den unlauteren Wettbewerb durch gleichartige Verletzungshandlungen der eigenen Mitglieder jedoch planmäßig duldet (aaO, Rn. 22). Es ist eine Frage der Gesamtumstände des Einzelfalls, ob das dauerhaft selektive Vorgehen eines Verbands ausschließlich gegen Nichtmitglieder als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist (aaO, Rn. 23). Dabei lassen sich allerdings bestimmte Fallgruppen bilden. So ist es insbesondere rechtsmissbräuchlich, wenn der Verband mit einem selektiven Vorgehen ausschließlich gegen Nichtmitglieder bezweckt, neue Mitglieder zu werben, denen er nach einem Beitritt Schutz vor Verfolgung verspricht (aaO). Es kann aber grundsätzlich noch nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, wenn ein Verband, der die Frage der Wettbewerbswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens höchstrichterlich klären lassen will, zunächst gegen einen Dritten und nicht gegen ein eigenes Mitglied gerichtlich vorgeht (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1996 - I ZR 7/94 - Lifting-Creme, Rn. 18, juris).

bb) Nach dieser Maßgabe bestehen im Streitfall keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein missbräuchliches selektives Vorgehen des Klägers. Insbesondere begründet es nicht den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs, dass der Kläger gegen den Beklagten vorgeht, obwohl auch Mitglieder des Klägers - nach dem Vorbringen des Beklagten - gegen entsprechende Informationspflichten verstoßen. Die Reichweite der Informationspflicht bei Herstellergarantien ist eine bislang höchstgerichtlich nicht geklärte Frage, sodass es dem Kläger unbenommen bleiben muss, zunächst gegen Nicht-Mitglieder vorzugehen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger die Verletzung von Informationspflichten durch seine Mitglieder im Zusammenhang mit einer beworbenen Garantie planmäßig duldet; der vorgetragene Verstoß einzelner Mitglieder genügt insoweit nicht. Auch wenn es dem Senat auf der Grundlage der insoweit rechten vagen Aussage der Zeugin fraglich erscheint, ob der Kläger in nennenswertem Umfang Rechtsverstöße seiner Mitglieder verfolgt, ist für eine planmäßige Duldung von Informationspflichtverletzungen durch die Mitglieder nichts ersichtlich.

b) Für einen Rechtsmissbrauch spricht jedoch, dass der Kläger die Unternehmen, deren Interessen er nach seiner Satzung fördern will, nach Aussage der Zeugin B. „typischerweise“ nur als passive Mitglieder aufnimmt und damit - ohne ersichtlichen sachlichen Grund - gezielt von der Willensbildung des Vereins ausschließt.

Nach § 3 Abs. 3 und 4 der Vereinssatzung (Anlage K 4) sind nur aktive Mitglieder berechtigt, in die Vereinsorgane gewählt zu werden. Nur sie haben ein Stimmrecht in der Mitgliederversammlung, während die passiven Mitglieder nicht stimmberechtigt sind. Nach Aussage der Zeugin B., entscheide der Vorstand, der aus zwei Rechtsanwälten, dem Geschäftsführer eines Inkassounternehmens und seiner - von einem Inkassounternehmen zum Kläger gewechselten - Vorsitzenden bestehe, im Einzelfall darüber, ob aktive Mitglieder aufgenommen werden. Die passiven Mitglieder würden auch nicht zu der Mitgliederversammlung geladen. Weiter hat die Zeugin bekundet, der Kläger habe auch einzelne aktive Mitglieder, sie könne jedoch nicht angeben, wie viele aktive Mitglieder er habe und nach welchen Kriterien aktive Mitglieder vom Vorstand aufgenommen würden. Es erscheint dem Senat wenig glaubhaft, dass die Zeugin - als Geschäftsführerin des Klägers - keine konkreten Angaben zur Zahl der aktiven Mitglieder und den Aufnahmekriterien machen konnte. Ein sachlicher Grund, warum die „Wettbewerbsunternehmen“, deren Interessen der Kläger fördern will, von der Willensbildung des Klägers ausgeschlossen werden, ist nicht ersichtlich. Insgesamt besteht für den Senat der Eindruck, dass der Vorstand den Kläger zu dem Zweck unterhält, durch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen Einnahmen zu generieren, und die zur Erlangung der Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG notwendigen Mitglieder gezielt von der Willensbildung ausgeschlossen werden, um diese Einnahmequelle nicht zu gefährden.

c) Die Frage des Rechtsmissbrauchs kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, weil die Klage jedenfalls unbegründet ist.

Ergibt - wie im Streitfall (siehe unten Ziffer II) - bereits eine Rechtsprüfung, dass ein wettbewerbsrechtlicher Anspruch jedenfalls als unbegründet abzuweisen ist, kann die Zulässigkeitsfrage, ob das Vorgehen des Klägers missbräuchlich ist, aber gleichwohl offenbleiben (BGH, Urteil vom 10. Dezember 1998 - I ZR 141/96 - Vorratslücken, juris, Rn. 13 f.).

II. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3a UWG bzw. § 5a Abs. 2, Abs. 4 UWG i.V.m. § 312d Abs. 1, Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB.

Es stellt keine unzulässige geschäftliche Handlung nach § 8 Abs. 1 UWG dar, dass der Beklagte nicht über die von dem Hersteller der Bohrmaschine gewährte Garantie informiert hat.

1. Die in Rede stehenden Informationspflichten, die nach § 312d Abs. 1, Art. 246a EGBGB bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen gelten, gehören gemäß § 5a Abs. 4 zu den wesentlichen Informationen im Sinne von § 5a Abs. 2 UWG, weil sie die EU-Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU) umsetzen (Köhler/Bornkamm/Feddersen/ Köhler, 38. Aufl. 2020, UWG § 5a Rn. 5.6). Zugleich handelt es sich um Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3a UWG (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 38. Aufl. 2020, UWG § 3a Rn. 1.295a, 1.314).

Es ist umstritten, ob insoweit ein Anwendungsvorrang des spezielleren Unlauterkeitstatbestands des § 5a Abs. 2, 4 UWG vor dem allgemeinen Rechtsbruchtatbestand des §3a UWG besteht (so die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur, vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 38. Aufl. 2020, UWG § 3a Rn. 1.19, § 5a Rn. 5.1a und Rn. 5.5; MüKoUWG/Alexander, 3. Aufl. 2020, UWG § 5a Rn. 85 jeweils mwN). Diese Frage kann im Streitfall dahingestellt bleiben, weil jedenfalls keine Informationspflicht des Beklagten in Bezug auf die Herstellergarantie bestand.

2. Der Unternehmer ist nicht verpflichtet, den Verbraucher bei einem Fernabsatzvertrag über eine vom Hersteller des Produktes gewährte Garantie zu informieren, wenn der Unternehmer weder in seinem Angebot noch in sonstiger Weise vor der Abgabe der Erklärung des Verbrauchers eine Herstellergarantie erwähnt hat.

Zu den Informationen, die der Verkäufer dem Verbraucher - vor dessen Vertragserklärung (Art. 246a § 4 EGBGB) - in klarer und verständlicher Weise zur Verfügung zu stellen hat, gehören „gegebenenfalls das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienst, Kundendienstleistungen und Garantien“ (Art. 246a § 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB).

Hiernach kann der Verkäufer zwar verpflichtet sein, auch über eine Garantie zu informieren, die nicht er selbst, sondern der Hersteller gewährt (Ziffer II. 2. a) ). Eine Informationspflicht besteht jedoch nur, wenn der Verkäufer sich - durch seine Werbung oder einen sonstigen Hinweis - auf die Herstellergarantie bezogen hat, bevor der Verbraucher seine Vertragserklärung abgibt (Ziffer II. 2. b) ).

a) Die Legaldefinition einer Garantie findet sich in § 443 Abs. 1 BGB. Danach kann nicht nur der Verkäufer, sondern auch ein Hersteller oder ein sonstiger Dritter Garantiegeber sein.

Im Streitfall bestand eine Herstellergarantie im Sinne der Legaldefinition. Hierfür ist unerheblich, ob es sich bei der Veröffentlichung der Herstellerin „Metabo“ bereits um eine Garantierklärung oder nur um „einschlägige Werbung“ handelte (zur für § 479 BGB maßgeblichen Unterscheidung vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 - I ZR 133/09 - Werbung mit Garantie).

b) Diese Herstellergarantie hat der Beklagte jedoch weder in seinem Angebot noch in sonstiger Weise erwähnt. In diesem Fall besteht keine Informationspflicht in Bezug auf die Herstellergarantie.

Zwar lässt der Wortlaut des Art. 246a § 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB es möglich erscheinen, dass die Informationspflicht des Verkäufers unbeschränkt für jegliche Garantie gilt, die der Hersteller oder ein Dritter für das Produkt gewährt. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung sowie ihrem Kontext ist jedoch davon auszugehen, dass die Informationspflicht erst dann besteht, wenn der Verkäufer sich durch seine Werbung oder eine sonstige Erwähnung auf die Herstellergarantie bezogen hat (aA LG Bochum, Urteil vom 27. November 2019 – I-15 O 122/19 –, Rn. 27, juris; offen gelassen durch das OLG Hamm, Urteil vom 26. November 2019 – 4 U 22/19, Rn. 30, juris, wonach eine Informationspflicht jedenfalls dann besteht, wenn das Warenangebot einen Hinweis auf das Bestehen einer Garantie enthält).

aa) Würde eine Informationspflicht des Verkäufers bereits dann angenommen, wenn der Hersteller der Kaufsache im Sinne der Legaldefinition eine Garantie gewährt, müsste der Verkäufer bei jedem verkauften Produkt recherchieren, ob und ggf. zu welchen Konditionen eine Herstellergarantie besteht. Dabei müsste er auch permanent überwachen, ob der Hersteller „einschlägige Werbung“ (§ 443 Abs. 1 BGB) veröffentlicht oder die Garantiebedingungen ändert, und entsprechende Änderungen umgehend in die Verbraucherinformation einarbeiten. Häufig wird der Verkäufer keine direkte Vertragsbeziehung zu dem Hersteller haben, sondern mit ihm nur über eine - mehr oder weniger lange - Lieferkette verbunden sein. In vielen Fällen kommt der Garantievertrag mit dem Hersteller erst durch ein Angebot des Herstellers in Form einer beigelegten Garantiekarte zustande. Wenn der Verkäufer wirklich sichergehen will, welche Garantiebedingungen des Herstellers derzeit gelten, müsste er jede Warenlieferung daraufhin durchsehen, ob und ggf. welche Garantiebedingungen beiliegen. Dies würde einen erheblichen Mehraufwand für den Verkäufer bedeuten, der sich letztlich auch in Preiserhöhungen niederschlagen dürfte, wenn dem Verkäufer insoweit eine Informationspflicht auferlegt würde.

Gleichzeitig geht der Verkäufer ein erhebliches Risiko ein, falls seine Informationen über die Herstellergarantie nicht mehr aktuell sind, wenn der Verbraucher seine Vertragserklärung abgibt. Denn das Bestehen einer Herstellergarantie stellt in der Regel ein Beschaffenheitsmerkmal der Kaufsache nach § 434 Abs. 1 BGB dar, dessen Fehlen - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift - einen Sachmangel begründet (BGH, Urteil vom 15. Juni 2016 – VIII ZR 134/15, Rn. 14, juris). Wenn der Verkäufer in seinem Angebot - sei es auch nur zur Erfüllung vermeintlicher Informationspflichten - eine Herstellergarantie erwähnt, die tatsächlich nicht (oder nicht mehr) oder nicht in dem genannten Umfang besteht, stellt dies grundsätzlich einen Sachmangel dar (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Satz 3 BGB).

Des Weiteren wäre der Verkäufer auch gezwungen, unklare und missverständliche Garantiebedingungen des Herstellers mitzuteilen, wodurch er sich dem Vorwurf aussetzen würde, sich an einer Irreführung der Verbraucher zu beteiligen.

Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für Garantien, die von sonstigen Dritten (Importeur, etc.) in Bezug auf die Kaufsache angeboten werden.

Die Frage der Informationspflicht des Verkäufers in Bezug auf eine Herstellergarantie stellt sich im Übrigen in gleicher Weise bei Verbraucherkaufverträgen im stationären Handel. Auch hier ist gemäß § 312a Abs. 2 BGB, Art. 246 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 EGBGB über Garantien zu belehren, wenn es sich nicht lediglich um Geschäfte des täglichen Bedarfs handelt. Im stationären Handel stellt sich erst recht die Frage, wie etwa ein Einzelhändler mit zumutbarem Aufwand über die verschiedenen Herstellergarantiebedingungen für jedes einzelne angebotene Produkt informieren sollte.

bb) Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Verkäufer derartig umfangreiche und kostentreibende Recherche- und Informationspflichten in Bezug auf eine Herstellergarantie auferlegt werden sollen, die sein Rechtsverhältnis zum Verbraucher in keiner Weise betrifft.

(1) Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung lässt sich dahin auslegen, dass über eine Herstellergarantie - ebenso wie über den Kundendienst und Kundendienstleistungen - nur dann zu informieren ist, wenn diese Leistungen Gegenstand des Angebotes des Unternehmers sind („gegebenenfalls“). Hierfür spricht insbesondere auch der sprachliche Kontext im Zusammenhang mit den Kundendienstleistungen. Es liegt auf der Hand, dass über Kundendienstleitungen nur zu informieren ist, wenn sie Gegenstand des Vertrages werden sollen oder jedenfalls von dem Verkäufer bei Vertragsschluss als kostenpflichtige Zusatzleistungen angeboten werden. Gleiches muss dann auch für Garantien gelten (dahingehend auch BeckOK BGB/Martens, 52. Ed. 1.11.2019, EGBGB Art. 246 Rn. 21; Koch in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 312a BGB, Rn. 14; Staudinger/Thüsing (2019) BGB § 312a, Rn. 30).

(2) Diese Auslegung der gesetzlichen Reglung ist auch sachgerecht. Es muss dem Verkäufer unbenommen bleiben, im Rahmen seiner Vertragsfreiheit die Kaufsache ohne Hinweis auf eine bestehende Herstellergarantie anzubieten. Der Verbraucherschutz gebietet in diesem Fall keine Information des Käufers durch den Verkäufer. Der Verbraucher kann sich dann darauf einstellen, dass im Zweifel keine Herstellergarantie besteht. Legt er auf eine Herstellergarantie Wert, kann er bei dem Verkäufer nachfragen und - bei einer erfolglosen Nachfrage - von dem

Kauf absehen. Schließt der Verbraucher gleichwohl einen Kaufvertrag, erleidet er keinen Nachteil, wenn ihm der Hersteller trotzdem eine Garantie gewährt, obwohl er hierüber vom Verkäufer nicht informiert worden ist.

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Hingegen erschiene es verfehlt, dem Verkäufer Informationspflichten in Bezug auf Rechtsverhältnisse aufzuerlegen, an denen er in keiner Weise beteiligt ist.

(3) Auch aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich nicht, dass sich die Informationspflicht des Verkäufers auch auf Herstellergarantien erstrecken sollte, die der Verkäufer vor der Vertragserklärung des Verbrauchers nicht erwähnt hat.

Die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen beruhen auf dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20. September 2013, mit dem die Verbraucherrechterichtlinie der EU (Richtlinie 2011/83/EU) umgesetzt wurde. In dem Gesetzentwurf wird lediglich von einmaligen Umstellungskosten für die Wirtschaft ausgegangen (Drucksache 17/12637, Seiten 37, 40 f.). Weiter heißt es: „Jährlicher Erfüllungsaufwand und Bürokratiekosten aus Informationspflichten fallen durch die neuen rechtlichen Regelungen nicht an“ (Seite 37).

Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn Verkäufer auch dann über Herstellergarantien informieren müssten, wenn sie diese nicht für ihre Werbung verwenden oder in sonstiger Weise erwähnen. Denn mit einer solch weitreichenden Informationspflicht wäre - wie vorstehend unter Ziffer II. 2. b) aa) dargestellt - ein ganz erheblicher jährlicher Erfüllungsaufwand verbunden.

(4) Ein anderes Verständnis der gesetzlichen Regelung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der richtlinienkonformen Auslegung geboten.

Wie ausgeführt, setzen die - insoweit im Wesentlichen gleich lautenden - gesetzlichen Regelungen die Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU) um. Auch aus der Richtlinie ergibt sich nicht, dass der Verkäufer über eine von ihm gar nicht erwähnte Herstellergarantie informieren soll.

Gemäß Art. 6 Abs. 1 m) der Richtlinie müssen die Informationen „gegebenenfalls den Hinweis auf das Bestehen und die Bedingungen von Kundendienst, Kundendienstleistungen und gewerblichen Garantien“ enthalten. Gemäß Art. 2 Nr. 14 der Verbraucherrechterichtlinie ist „gewerbliche Garantie“ „jede dem Verbraucher gegenüber zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung eingegangene Verpflichtung des Unternehmers oder eines Herstellers (Garantiegebers), den Kaufpreis zu erstatten oder die Waren auszutauschen oder nachzubessern oder Dienstleistungen für sie zu erbringen, falls sie nicht diejenigen Eigenschaften aufweisen oder andere als die Mängelfreiheit betreffende Anforderungen nicht erfüllen, die in der Garantieerklärung oder der einschlägigen Werbung, wie sie bei oder vor dem Abschluss des Vertrags verfügbar war, beschrieben sind“.

Auch die Richtlinie lässt sich - unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen - dahin auslegen, dass über eine Herstellergarantie nur dann zu informieren ist, wenn der Verkäufer sich durch Werbung oder einen sonstigen Hinweis auf sie bezogen hat."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




OLG Celle: Pflanzliches Produkt darf als Käse-Alternative bezeichnet werden - kein irreführende Werbung

OLG Celle
Beschluss vom 06.08.2019
13 U 35/19


Das OLG Celle hat entschieden, dass ein pflanzliches Produkt als Käse-Alternative bezeichnet werden darf. Durch den Begriff "Alternative" wird gerade herausgestellt, dass es sich nicht um ein Milcherzeugnis handelt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Rechtsache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Ferner ist auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten. Die Berufung hat nach derzeitigem Beratungsstand schließlich offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Unterlassung der Bezeichnung des Produktes der Beklagten als „vegane Käse-Alternative“ und/oder „gereifte Käse-Alternative“ aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. §§ 1, 3, 3a, 5 Abs. 1 UWG zu. Die Verwendung der Bezeichnung „Käse-Alternative“ stellt weder eine unlautere geschäftliche Handlung i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 3a UWG (dazu nachfolgend 1.) noch i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 5 Abs.1 UWG (dazu nachfolgend 2.) dar.

1. Nach § 3a UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, wenn der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

Diese Voraussetzungen liegen hier nach zutreffender Auffassung des Landgerichts nicht vor, da die Bezeichnung als „Käse-Alternative“ weder gegen Art. 78 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 i.V.m. Anhang VII Teil III Nr. 2 lit. a, viii) VO (EU) 1308/2013 verstößt – dazu a) – noch gegen Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 17 Abs. 1 VO 1169/2011 (Lebensmittelinformationsverordnung; im Folgenden: LMIV) – dazu b) –.

a) a) Gemäß Art. 78 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 i.V.m. Anhang VII Teil III Nr. 2 VO (EU) 1308/2013 sind „Milcherzeugnisse" ausschließlich aus Milch – d.h. dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug – gewonnene Erzeugnisse, wobei jedoch für die Herstellung erforderliche Stoffe zugesetzt werden können, sofern diese nicht verwendet werden, um einen der Milchbestandteile vollständig oder teilweise zu ersetzen. Dabei ist insbesondere die Bezeichnung „Käse“ nach lit. a, viii) ausschließlich Milcherzeugnissen vorbehalten.

Diese Bestimmungen sind nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil v. 14. Juni 2017, Az.: C-422/16) dahingehend auszulegen, dass die Bezeichnung „Milch“ und die nach dieser Verordnung ausschließlich Milcherzeugnissen vorbehaltenen Bezeichnungen bei der Vermarktung oder Werbung zur Bezeichnung eines rein pflanzlichen Produkts nicht verwendet werden dürfen, und zwar selbst dann nicht, wenn diese Bezeichnung durch klarstellende oder beschreibende Zusätze ergänzt wird, die auf den pflanzlichen Ursprung des in Rede stehenden Produkts hinweisen. Lebensmittel, die – wie hier das Produkt der Beklagten – aus rein pflanzlichen Produkten hergestellt werden, dürfen deshalb nicht als „Käse“ bezeichnet werden, da sie weder aus „Milch“ noch aus „Milcherzeugnissen“ gewonnen werden.

Der Senat teilt jedoch die Auffassung des Landgerichts, dass das Produkt der Beklagte mit dem Begriff „Käse-Alternative“ gerade nicht als „Käse“ bezeichnet wird. Vielmehr wird das Produkt lediglich in eine Beziehung zu dem Milchprodukt Käse gesetzt und dabei mit dem Zusatz „Alternative“ hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass es sich eben nicht um Käse, sondern um etwas Anderes – nämlich eine Alternative zu Käse – handelt.

Die Bezeichnung als „Alternative“ stellt weder einen klarstellenden noch einen beschreibenden Zusatz dar, der auf den pflanzlichen Ursprung des in Rede stehenden Produkts hinweist, wie es beispielsweise bei den – unzulässigen – Bezeichnungen „Tofubutter“, „Pflanzenkäse“, „Veggie-Cheese“ oder „Cashewkäse“ der Fall wäre. Solche Wortkombinationen sind auch nach Auffassung des Senats zur Irreführung geeignet, da sie dem Verbraucher suggerieren, es handele sich um ein Produkt, das jedenfalls auch aus tierischen Milcherzeugnissen besteht. Anders verhält es sich jedoch bei der Bezeichnung „Käse-Alternative“, von der für den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher keine vergleichbare Irreführungsgefahr ausgeht. Denn der Durchschnittsverbraucher versteht unter einer „Alternative“ weder eine klarstellende noch eine beschreibende Bezeichnung des Begriffs „Käse“, sondern vielmehr eine Klarstellung dahingehend, dass es sich bei dem Produkt gerade um keinen Käse, sondern um etwas Anderes handelt.

Insofern unterscheidet sich der Begriff „Käse-Alternative“ auch gerade von anderen vergleichenden Beschreibungen, die bereits Gegenstand untergerichtlicher Entscheidungen waren (vgl. Landgericht Hamburg, Urteil vom 13. Juli 2018 – 315 O 425/ 17 – „zu verwenden wie Crème fraîche“; Landgericht Heilbronn, Urteil vom 20. Dezember 2018 – 21 O 34/18 KfH – „wie Butter“; Landgericht Konstanz, Urteil vom 22. Juni 2017 – 7 O 25/16 KfH – „wie Frischkäse“). Während der Zusatz „wie“ oder „zu verwenden wie“ die Gefahr der Irreführung nicht ausräumt, da er nicht geeignet ist, den Verbraucher verlässlich darüber aufzuklären, dass es sich nicht um ein Milchprodukt handelt, hebt die Bezeichnung „Käse-Alternative“ gerade keine Ähnlichkeit zu einem Milchprodukt hervor, sondern weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich eben nicht um Käse handelt. Der Werbung der Beklagten sowohl auf ihrer Webseite als auch auf der Produktverpackung enthält – anders als in dem vom Landgericht Konstanz entschiedenen Fall – auch keine optische Hervorhebung des Wortes „Käse“, die unter Umständen eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnte.

b) Die Bezeichnung „Käse-Alternative“ verstößt auch nicht gegen Art. 7 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 17 Abs. 1 LMIV.

Nach Art. 7 Abs. 1 LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere (nach lit. a) in Bezug auf Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung. Die verpflichtende Angabe der Bezeichnung des Lebensmittels i.S.v. Art. 9 Abs. 1 lit. a LMIV wird in Art. 17 Abs. 1 LMIV dahingehend konkretisiert, dass ein Lebensmittel mit seiner rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung bezeichnet werden muss. Fehlt eine solche, so wird das Lebensmittel mit seiner verkehrsüblichen oder, falls es keine verkehrsübliche Bezeichnung gibt oder diese nicht verwendet wird, mit einer beschreibenden Bezeichnung bezeichnet. Art. 2 Abs. 2 lit. p LMIV definiert die „beschreibende Bezeichnung“ als eine Bezeichnung, die das Lebensmittel und erforderlichenfalls seine Verwendung beschreibt und die hinreichend genau ist, um den Verbrauchern zu ermöglichen, die tatsächliche Art des Lebensmittels zu erkennen und es von Erzeugnissen zu unterscheiden, mit denen es verwechselt werden könnte.

Diese gesetzlichen Vorgaben hat die Beklagte durch die Bezeichnung des streitgegenständlichen Cashewkern-Produkts als „Käse-Alternative“ nicht verletzt. Das Landgericht hat zunächst zutreffend festgestellt, dass es im Hinblick auf das Produkt der Beklagten sowohl an einer rechtlich vorgeschriebenen als auch an einer verkehrsüblichen Bezeichnung fehlt. Unter der nunmehr von der Beklagten verwendeten Produktbezeichnung „H… W…“ aus Cashews kann sich der durchschnittliche Verbraucher kein konkretes Lebensmittel vorstellen. Daher ist das Produkt mit einer beschreibenden Bezeichnung zu versehen, wie es die Beklagte hier zulässigerweise getan hat. Anders als die vom Kläger vorgeschlagenen Bezeichnungen als „Cashew-Taler“ oder als „Happy White (Cashew Asche gereift, Griechische Kräuter, Chakalaka usw.)“ verdeutlicht die Beschreibung als „Käse-Alternative“ den Verbrauchern, dass es sich bei dem Produkt zwar nicht um das Milcherzeugnis Käse, aber um ein Produkt aus Cashews handelt, das alternativ zu Käse beispielsweise als Brotbelag genutzt oder ohne weitere Zubereitung verzehrt werden kann. Eine Irreführung des Verbrauchers ist damit aus den unter a) genannten Gründen nicht verbunden.

2. In der Werbung mit der Bezeichnung „Käse-Alternative“ liegt schließlich auch keine unlautere geschäftliche Handlung i.S.v. § 5 Abs. 1 UWG.

Hiernach handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Der Regelungsgehalt des § 5 Abs. 1 UWG ist vergleichbar mit demjenigen des Art. 7 LMIV; beide Vorschriften sind nebeneinander anwendbar, wobei die spezialgesetzlichen Ziele der besonderen lebensmittelrechtlichen Regelungen die Auslegung des Wettbewerbsrechts beeinflussen (vgl. Grube in: Voit/Grube, LMIV, 2. Auflage 2016, Art. 7 Rn. 29 m.w.N.). Daher fehlt es auch im Rahmen der Prüfung einer unlauteren geschäftlichen Handlung nach § 5 Abs. 1 UWG aus den oben angeführten Gründen an der Eignung der Produktbezeichnung „Käse-Alternative“ zur Irreführung der Verbraucher.