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LG Düsseldorf: Tchibo hat weder einen kartellrechtlichen noch einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen Aldi Süd wegen des Verkaufs von Kaffee zu günstigen Preisen

LG Düsseldorf
Urteil vom 156.01.2024
14d O 14/24


Das LG Düsseldorf hat entschieden, das Tchibo weder einen kartellrechtlichen noch einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen Aldi Süd wegen des Verkaufs von Kaffee zu günstigen Preisen hat..

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Unterlassungsanspruch aus § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB zu.

Gemäß § 33 Abs. 1 GWB ist u.a. bei Verstoß gegen eine Vorschrift des Teils 1 des GWB der Rechtsverletzer gegenüber dem Betroffenen zur Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 GWB dürfen Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht ihre Marktmacht nicht dazu ausnutzen, solche Wettbewerber unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern. Eine unbillige Behinderung im Sinne dieser Vorschrift liegt gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB insbesondere vor, wenn ein Unternehmen Lebensmittel unter Einstandspreis anbietet, es sei denn, dies ist jeweils sachlich gerechtfertigt. Das Anbieten von Lebensmitteln unter Einstandspreis ist gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 GWB sachlich gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, den Verderb oder die drohende Unverkäuflichkeit der Waren beim Händler durch rechtzeitigen Verkauf zu verhindern sowie in vergleichbar schwerwiegenden Fällen.

Vorliegend kann dahinstehen, ob Klägerin gegenüber den Beklagten eine „kleine oder mittlere Wettbewerberin“ ist und das Verbot des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB überhaupt anwendbar ist (dazu 1.). Jedenfalls liegt keine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagten vor (dazu 2.).

1. Es kann letztlich offenbleiben, ob die Beklagten über eine überlegene Marktmacht gegenüber der Klägerin als „kleine oder mittlere Wettbewerberin“ verfügt.

a) Allerdings kann die Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits deshalb aus dem Schutzbereich des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB ausgeschlossen werden, weil sie schon wegen ihrer absoluten Größe kein „kleiner oder mittlerer Wettbewerber“ sein könne.

Für die Abgrenzung, welche Wettbewerber auf dem relevanten Markt als kleine und mittlere Unternehmen anzusehen sind, kommt es allein auf das (horizontale) Verhältnis der Unternehmensgrößen der in Betracht stehenden Unternehmen an; die generelle Festlegung einer absoluten Obergrenze ist nicht möglich (Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 207; Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 140 f.). Das entspricht auch der Auffassung des BGH, der gegen die Einstufung als kleines oder mittleres Unternehmen nach absoluten Zahlen anführt, dass die Verhältnisse auf dem jeweils maßgeblichen Markt nicht ausgeblendet werden dürfen (BGH NJW 2003, 205, 206 – Konditionenanpassung). Deshalb sei eine unter funktionalen Gesichtspunkten vorzunehmende Prüfung erforderlich, die von den Besonderheiten des jeweils relevanten Marktes ausgeht.

b) Die Prüfung hat von dem Markt für Kaffeeprodukte auszugehen.

Die Feststellung einer überlegenen Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern lässt sich nur für die Tätigkeit von Unternehmen auf einzelnen, in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgegrenzten Märkten bestimmen (Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 204; Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 133).

Der sachliche Markt, auf dem die Klägerin und die Beklagten jeweils tätig sind und der hier betroffen ist, ist der Markt für Kaffeeprodukte. Dieser ist insbesondere von dem Sortimentsmarkt „Lebensmitteleinzelhandel“ abzugrenzen, bei dem es um die Nachfrage an einem Produktbündel geht. Auf diesem Markt ist die Klägerin aber gerade nicht tätig. Auch durch die Präsenz auf diesem Markt durch ihr Depot-Geschäft u.a. bei Lebensmitteleinzelhändlern wird sie gerade nicht selbst zur Anbieterin des Sortiments dieser Händler. Es kommt daher auf die Verhältnisse des Markts für Kaffeeprodukte und insofern insbesondere darauf an, welche Marktmacht ein großer Lebensmitteleinzelhändler wie V. auf dem Markt für dieses Produktsegment entfalten kann.

c) Der Vortrag der Parteien ist hier nicht ausreichend, um eine etwaige Überlegenheit der Beklagten gegenüber der Klägerin auf dem Markt für Kaffeeprodukte feststellen zu können. Die Parteien haben nur zum Gesamtumsatz der jeweiligen Unter-nehmensgruppen vorgetragen, ohne im Einzelnen auf die Umsätze, Marktanteile und die spezifischen Verhältnisse des Marktes für Kaffeeprodukte einzugehen.

Festgehalten werden soll dennoch Folgendes: Trotz des erforderlichen Einzelmarkt-bezuges kommt es in Betracht, die Ressourcenvorteile der Beklagten unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass sie diesen langfristig wirksame, erweiterte Verhaltensspielräume – auch auf dem Markt für Kaffeeprodukte – vermitteln könnten (vgl. dazu Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 135). Die finanziellen Ressourcen und das breite Sortiment der Beklagten könnten es diesen ermöglichen, auf die Marktverhältnisse im Markt für Kaffeeprodukte in einer stärkeren Weise einzuwirken, als es ihr Marktanteil auf diesem Markt grundsätzlich zuließe. Auch der BGH hat bei der Prüfung überlegener Marktmacht darauf abgestellt, dass die überragenden finanziellen Ressourcen eines in einen großen internationalen Handelskonzern eingebundenen Unternehmens dieses in die Lage versetzt, eine Verlustpreisstrategie für einzelne Produkte über einen längeren Zeitraum durchzustehen (vgl. BGH NJW 2003, 1736, 1737 – Wal-Mart). Das könnte allerdings ausgeschlossen sein, wenn die Klägerin über den langfristig gesicherten höheren Marktanteil verfügt (vgl. dazu erneut Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 135 m.w.N.). Außerdem könnten die Verhaltensspielräume der Beklagten dadurch begrenzt sein, dass auch die Klägerin, nicht zuletzt durch ihre Einbindung in den D.-Konzern, über ganz erhebliche finanzielle Ressourcen verfügt. Letztlich kann all dies aber dahinstehen.

2. Es liegt jedenfalls keine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagten vor.

Die Parteien gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, dass die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB hier nicht vorliegen (dazu a)). Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB liegen hier mangels Verdrängungsabsicht bzw. Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb ebenfalls nicht vor (dazu b)). Schließlich sind die Voraussetzungen der Generalklausel für die Fallgruppe des Anbietens von Lebensmitteln unter Herstellungskosten auch nicht aufgrund der Wertungen des Regelbeispiels zu modifizieren (dazu c)).

a) Das Regelbeispiel des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB greift hier mangels Vorliegen eines „Einstandspreises“ nicht.

Durch den Begriff des „Einstandspreises“, der in § 20 Abs. 3 S. 3 GWB legaldefiniert wird, ist das strenge Verbot des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB praktisch auf den Handel mit fremdbezogenen Waren und Dienstleistungen begrenzt und gilt nicht für selbst hergestellte Waren oder erbrachte Dienstleistungen (vgl. Bosch, in: Bechtold/Bosch, 11. Aufl. 2025, § 20 GWB Rn. 34 f.; Markert, in: Immenga/ Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 219). Das gilt auch für vertikal integrierte Unternehmen, bei denen zwar ein Preis an ein konzernzugehöriges Unternehmen zu zahlen ist, sich aber ein „Einstandspreis“ nicht anhand objektiver Kriterien ermitteln lässt (vgl. Westermann, in MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 96). Danach fehlt es auch bei dem hier vorliegenden Bezug der Kaffeeprodukte der Beklagten von der konzernzugehörigen J. an einem „Einstandspreis“.

b) Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB liegen nicht vor.

aa) Zur Beurteilung, ob die Ausnutzung einer überlegenen Marktmacht kleinere oder mittlere Wettbewerber unbillig behindert, ist eine Interessenabwägung unter Berück-sichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes vorzunehmen (BGH NJW 1995, 2293, 2294 – Hitlisten-Platten; auch zum Folgenden). Wettbewerbsmaßnahmen von Unternehmen mit überlegener Markt-macht sind nicht schon deshalb als unbillige Behinderung kleiner oder mittlerer Wettbewerber anzusehen, weil sie dazu beitragen können, die Lage von kleinen oder mittleren Unternehmen im Wettbewerb zu verändern oder einzelne Wettbewerber oder Gruppen von Wettbewerbern zu verdrängen; denn dem wirksamen Wettbewerb ist eine solche Wirkung eigen. Eine unbillige Behinderung liegt danach nur vor, wenn in Verdrängungsabsicht gehandelt wird oder kleine oder mittlere Wettbewerber in ihren wettbewerblichen Betätigungsmöglichkeiten derart behindert werden, dass daraus die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb – einschließlich des Wettbewerbs durch kleine oder mittlere Unternehmen – erwächst.

Bei der Beurteilung von Unter-Kosten-Verkäufen anhand des § 20 Abs. 3 GWB ist davon auszugehen, dass es dem Unternehmer grundsätzlich freisteht, seine Preisgestaltung in eigener Verantwortung vorzunehmen (BGH NJW 1995, 2293, 2294 – Hitlisten-Platten; auch zum Folgenden). Dementsprechend sind auch Unter-Kosten-Verkäufe und die Werbung für diese grundsätzlich zulässig. Der Kaufmann muss nicht auf einen Stückgewinn ausgehen. Es ist vielmehr jedenfalls in Handelsbetrieben mit breitem Sortiment zulässig, auf die Werbewirkung eines Unter-Kosten-Angebots zu setzen, um mit dem Absatz des gesamten Angebots ein möglichst günstiges Betriebsergebnis zu erzielen. Die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb kann nicht schon dann angenommen werden, wenn Unter-Kosten-Angebote nicht nur gelegentlich, sondern systematisch im Wettbewerb eingesetzt werden. Dies gilt schon deshalb, weil mit der Feststellung eines systematischen Vorgehens noch nichts über den Umfang und die Marktbedeutung der Maßnahmen ausgesagt ist.

bb) Nach diesen Maßstäben ist hier weder eine Verdrängungsabsicht der Beklagten, noch eine Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte festzustellen.

(1) Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass nach den zutreffenden Ausführungen des BGH grundsätzlich nichts gegen das im Lebensmitteleinzelhandel verbreitet vorzu-findende und auch hier von den Beklagten eingesetzte Konzept einer Mischkalku-lation einzuwenden ist. Bei diesem Ansatz zielt der Kaufmann nicht darauf ab, mit jedem einzelnen Produkt seines Sortiments einen größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Vielmehr setzt er die Werbewirkung von verlustbringenden Angebotspreisen für einzelne Produkte ein, um die Kunden dazu zu veranlassen, den Einkauf eines größeren Warenbündels bei ihm vorzunehmen. Da die Verbraucher ein „One-stop-shopping“ bevorzugen, ist es nachvollziehbar, dass ein solches Konzept dem Lebensmitteleinzelhändler ein besseres Betriebsergebnis verspricht und deshalb betriebswirtschaftlich vernünftig ist (vgl. dazu auch Monopolkommission, Sondergutachten „Preiskontrollen in Energiewirtschaft und Handel? Zur Novellierung des GWB“, 2007, Rn. 57; zuletzt abgerufen am 06.01.2025 unter https://www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s47_volltext.pdf; im Folgenden: Monopolkommission, 2007).

Auf dieser Grundlage hat der BGH ebenfalls zutreffend ausgeführt, dass auch der systematische Einsatz dieser Strategie diese noch nicht unzulässig macht.

(2) Eine Verdrängungsabsicht der Beklagten gegenüber kleinen und mittleren Wett-bewerbern auf dem Markt für Kaffeeprodukte kann hier nicht festgestellt werden, da ihre Strategie gerade den dauerhaften, nachvollziehbaren Zweck der Förderung des eigenen Absatzes im Rahmen einer Mischkalkulation verfolgt und ihre Preisgestaltung deshalb auf einer kaufmännisch vertretbaren Kalkulation beruht. Es ist gerade nicht ersichtlich, dass die Beklagten eine kaufmännisch eigentlich unvertretbare, nur kurz- bis mittelfristig durchzuhaltende Strategie einsetzen, mit der sie zeitweise Verluste in Kauf nehmen – was sie durch ihre Finanzkraft aushalten könnten –, um kleine und mittlere Wettbewerber von dem Markt für Kaffeeprodukte zu verdrängen und anschließend die Preise anheben zu können.

Eine solche Strategie verspräche auch keinen Erfolg. Denn zum einen bestehen Preiserhöhungsspielräume nur dann, wenn es auf einem Markt erhebliche Marktzutrittsbarrieren gibt (vgl. Monopolkommission, 2007, Rn. 58). Davon ist bei dem Markt für Kaffeeprodukte nicht auszugehen. Die Ausführungen der Klägerin zur Preisgestaltung im Markt für Kaffeeprodukte zeigen anschaulich, dass der mit Abstand größte Kostenfaktor der Einkauf des Rohkaffees ist und der Aufwand zur Röstung des Kaffees finanziell überschaubar ist. Deshalb ist von einer hohen Wirksamkeit potentiellen Wettbewerbs auf dem Markt für Kaffeeprodukte auszu-gehen, die einem Preiserhöhungsspielraum der Beklagten entgegensteht. Zum anderen findet der Preiswettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel primär zwischen den großen Unternehmen aus der Spitzengruppe statt (vgl. Monopolkommission, 2007, Rn. 59). Auch deshalb ließe eine Verdrängung kleiner und mittelständischer Wettbewerber auf dem Markt für Kaffeeprodukte nicht das Entstehen von Preiserhöhungsspielräumen für die Beklagten erwarten.

(3) Es ist auch keine Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte festzustellen.

Zum einen sind Intensität und Häufigkeit der Maßnahmen der Beklagten begrenzt.

Zwar ist der Grad der Unterschreitung der Herstellungskosten teilweise durchaus hoch, wie die Berechnungen der Klägerin – auch unter Berücksichtigung der mit diesen verbundenen Unsicherheiten und der Einwendungen der Beklagten – zeigen und wie indiziell auch schon dadurch deutlich wird, dass die Beklagten mit Reduktionen von bis zu 50 % auf die regulären Preise werben. Dem steht allerdings gegenüber, dass die Häufigkeit der Angebotswochen und der Umfang der jeweils betroffenen Produkte überschaubar sind. Obwohl sich der Antrag der Klägerin nur auf die drei Angebotswochen ab dem 11.12.2023, 18.12.2023 und 12.02.2024 bezieht, gehören auch die nachfolgenden Angebotswochen zum Streitstoff, soweit sie Rückschlüsse auf die Strategie der Beklagten und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb zulassen. Im Jahr 2024 waren insgesamt 7 von 52 Kalenderwochen von den Angeboten der Beklagten betroffen. Das entspricht einem Anteil von ca. 13,5 % bzw. durchschnittlich einer Angebotswoche alle ca. 7,5 Wochen. Von den Angeboten war jeweils nur ein kleiner Ausschnitt des insgesamt 25 Sorten umfassenden Kaffee-Sortiments der Beklagten betroffen, nämlich jeweils zwei bis fünf wechselnde Produkte. Wie die Übersicht der Klägerin über die Wiederholungen der betroffenen Produkte zeigt (Anlage K 59, S. 10), war im Jahr 2024 kein Produkt von mehr als drei Angebotswochen betroffen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es fernliegend, dass ein nennenswerter Anteil der Verbraucher seinen Kaffeebedarf alleine durch Nutzung der Angebotswochen der Beklagten zu decken vermag. Dies auch deshalb, weil die Anzahl und Staffelung der Angebotswochen für die Verbraucher nicht vorherzusehen sind. Das spricht dagegen, dass das Vorgehen der Beklagten die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte gefährdet.

Zum anderen fehlt es an einer solchen Gefahr hier aber selbst dann, wenn man im Hinblick auf Häufigkeit und Intensität der Maßnahmen der Beklagten eine Veränderung der Strukturen auf dem Markt für Kaffeeprodukte dahingehend für möglich hält, dass Fachhändler erhebliche Marktanteile gegenüber den Beklagten einbüßen könnten. Denn in einem auf die grundsätzliche Freiheit des Wettbewerbes ausgerichteten System kann nicht die Aufrechterhaltung einer bestimmten Marktstruktur verlangt werden, die zu einem gewissen Zeitpunkt vorgefunden wird. Das ist auch mit der Wendung der „Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb“ nicht gemeint. Selbst wenn dauerhaft kein Mitbewerber mit den Preisen der Beklagten für Kaffeeprodukte mithalten könnte, wären die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf diesem Markt nicht gefährdet, weil den Mitbewerbern die Möglichkeit bleibt, sich etwa durch ein differenziertes Sortiment, besondere Qualität oder Beratung hervorzuheben. Das unterscheidet den vorliegenden Fall von dem Unter-Kosten-Verkauf von standardisierten Lebensmitteln wie Zucker oder Milch, bei denen neben dem Preis keine solchen Möglichkeiten zur Differenzierung bestehen.

c) Schließlich sind die Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB für die Fallgruppe des Anbietens von Lebensmitteln unter Herstellungskosten auch nicht aufgrund der Wertungen des Regelbeispiels des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB zu modifizieren.

Mit dem Regelbeispiel hat der Gesetzgeber an das Angebot von Lebensmitteln unter Einstandspreis durch ein marktmächtiges Unternehmen die (unwiderlegliche) Vermutung geknüpft, dass dieses damit eine Strategie zu Lasten der geschützten Gruppe von kleinen und mittleren Wettbewerbern unter Einsatz seiner überlegenen Marktmacht betreibt (vgl. BGH NJW 2003, 1736, 1738 – Wal-Mart). Nach Auffassung der Klägerin muss die dahinterstehende Wertung des Gesetzgebers auch bei der Anwendung der Generalklausel berücksichtigt werden. Es wäre dann Raum dafür, in ähnlich gelagerten Fallgruppen wie womöglich dem Angebot von Lebensmitteln unter Herstellungskosten die Anforderungen der Generalklausel abzusenken.

Richtig ist jedoch, dass das Gesetz nur für Angebote unter Einstandspreis eine Vermutung der Unbilligkeit enthält und für andere Niedrigpreisstrategien an den anerkannten Voraussetzungen der Generalklausel festzuhalten ist (so auch Westermann, in MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 93). Es entzieht sich der gerichtlichen Bewertung, welche – auch politischen – Erwägungen den Gesetzgeber im Einzelnen dazu bewogen haben, einerseits das sehr strenge Verbot des Angebots unter Einstandspreis zu schaffen und dieses andererseits nicht auf Angebote produzierender Unternehmen unter Herstellungskosten zu erstrecken. Weitergehende Regelungsvorschläge lagen ihm vor (vgl. dazu Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 219 mit Nachweisen) und sind auch seither unterbreitet, aber bisher nicht umgesetzt, worden. Der „Kontrast zwischen der Aktivität des Gesetzgebers im Bereich der Regelbeispiele und seiner Passivität bezüglich der Generalklausel“ (Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 154) spricht dafür, dass über den Anwendungsbereich des Regelbeispiels hinaus eine bewusste Nichtregelung durch den Gesetzgeber vorliegt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es auch normativ jedenfalls nicht zwingend, die Fallgruppen der Angebote von Lebensmitteln unter Einstandspreis sowie unter Herstellungskosten gleich zu behandeln. Die vom Gesetzgeber mit dem Regelbeispiel in den Blick genommenen Händler kaufen Waren lediglich zu einem bestimmten Einstandspreis ein und verkaufen diese sodann zu einem bestimmten Verkaufspreis wieder. Eine Unterschreitung des Einstandspreises mag dabei für den Gesetzgeber bereits den starken Verdacht missbräuchlichen Verhaltens begründen. Demgegenüber sind die Hersteller von Waren an einer grundsätzlich komplexen Wertschöpfung beteiligt. Das mag es für den Gesetzgeber rechtfertigen, hinsichtlich ihrer Preisgestaltung eine größere Zurückhaltung an den Tag zu legen.

Nun wendet die Klägerin einerseits ein, dass die Wertschöpfung bei der Verarbeitung von Rohkaffee gerade nicht besonders komplex sei, und andererseits, dass die zunehmende vertikale Integration des Lebensmitteleinzelhandels in den letzten Jahren eine neue Bewertung dieser Zusammenhänge erfordern könnte. Das sind jedoch politische Forderungen, die an den Gesetzgeber zu richten wären. Ob und ggf. wie die von ihm bisher gegen (bloße) Lebensmittelhändler gerichtete Missbrauchsvermutung auch auf vertikal integrierte Händler, womöglich beschränkt auf zu definierende „wenig komplexe“ Produkte, ausgeweitet werden sollte, kann nur Gegenstand einer ergebnis-offenen, politischen Diskussion sein.

Auf dieser Grundlage kann auch aus der Verwendung der Regelbeispielstechnik durch den Gesetzgeber nichts Anderes abgeleitet werden. Zwar ist der Klägerin methodisch Recht zu geben, dass der Gesetzgeber mit der Verwendung eines Regelbeispiels regelmäßig zum Ausdruck bringt, die Voraussetzungen der Generalklausel seien in dem Regelbeispiel erfüllt. Dann wäre es folgerichtig, dass die Wertungen des Regelbeispiels auch auf die Generalklausel „zurückwirken“ können. Die Regelung des § 20 Abs. 3 GWB ist jedoch atypisch: Im Kern handelt es sich bei § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB um einen eigenständigen Verbotstatbestand, der lediglich rechtstechnisch als Regelbeispiel ausgestaltet wurde (Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 152). Das zeigt sich alleine daran, dass nach der Vorschrift bereits eine einmalige, wenig gewichtige Unterschreitung des Einstandspreises eines Lebensmittels etwa im Rahmen einer Werbeaktion zur Produkteinführung untersagt ist, bei der ein Zusammenhang mit der Ausnutzung überlegener Marktmacht sowie eine Verdrängungsabsicht bzw. Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb an sich nicht vorliegt.

Man mag es für dogmatisch unstimmig halten, dass diese einschränkenden Merkmale nach diesem Verständnis bei der Generalklausel Geltung beanspruchen, aber bei dem Regelbeispiel nicht (vgl. Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 152). Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts, diese Unstimmigkeit durch Auslegung zu beseitigen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber sie bewusst geschaffen hat. So liegt es hier.

Eine analoge Anwendung des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB scheidet nach alledem ebenfalls aus, da es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, aber auch die Vergleichbarkeit der Interessenlagen zweifelhaft erscheint.

II. Der Klägerin steht gegen die Beklagten auch aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. § 3 Abs. 1 UWG kein Unterlassungsanspruch zu.

Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 UWG kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer eine nach § 3 UWG oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt. Gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG stehen die Ansprüche jedem Mitbewerber zu, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Gemäß § 3 Abs. 1 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig.

Es kann dahinstehen, ob im Rahmen der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG an der Fallgruppe der allgemeinen Marktbehinderung festzuhalten ist. Dem ist entgegen-zuhalten, dass eine solche Fallgruppe erstens in jüngerer Zeit keinen praktischen Anwendungsbereich mehr erkennen lässt, zweitens in ihren inhaltlichen Kriterien ausgesprochen vage ist und drittens Gefahr läuft, mit spezialgesetzlichen Rege-lungen in Konflikt zu geraten (vgl. zum Ganzen Köhler/Alexander, in: Köhler/ Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 4 Rn. 5.1 ff.). Insbesondere dürfen die Wertungen der speziellen Tatbestände der §§ 19 ff. GWB nicht unterlaufen werden.

Jedenfalls liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 UWG – auch unter Berück-sichtigung dieser Gesichtspunkte – hier nicht vor. Der BGH hat einen Fall der allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Preisunterbietung angenommen, wenn die Preisunterbietung sachlich nicht gerecht-fertigt ist und dazu führen kann, dass Mitbewerber vom Markt verdrängt werden und der Wettbewerb dadurch auf diesem Markt völlig oder nahezu aufgehoben wird (BGH GRUR 2009, 416 – Küchentiefstpreis-Garantie). Es kann auf die Ausführungen zu den vergleichbaren Maßstäben des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB verwiesen werden (unter I. 2. b)). Es wäre widersprüchlich und systemwidrig, eine unbillige Behinderung i.S.d. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB zu verneinen, aber für das gleiche Verhalten jedoch eine unlautere geschäftliche Handlung in Form einer allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG anzunehmen.


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BGH: Verfolgungsverjährung bei Submissionsabsprachen beginnt erst mit der vollständigen Vertragsabwicklung

BGH
Beschluss vom 17.09.2024
KRB 101/23
GWB §§ 1, 81 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 81g Abs. 1 OWiG § 31 Abs. 3


Der BGH hat entschieden, dass die Verfolgungsverjährung bei Submissionsabsprachen erst mit der vollständigen Vertragsabwicklung beginnt.

Leitsatz des BGH:
Bei einer Submissionsabsprache beginnt die nach nationalem Prozessrecht zu beurteilende Verfolgungsverjährung nicht schon mit dem sich aus der wettbewerbsbeschränkenden Absprache ergebenden Vertragsschluss, sondern erst mit der vollständigen Vertragsabwicklung; daran ist auch nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 14. Januar 2021 (C-450/19 - Eltel) festzuhalten (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 25. August 2020 - KRB 25/20, WuW 2020, 615 Rn. 17 - Unterlassenes Angebot, mwN).

BGH, Beschluss vom 17. September 2024 - KRB 101/23 - OLG Düsseldorf

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EU-Kommission: Geldbuße gegen Meta in Höhe von 797,72 Mio. EUR wegen missbräuchlicher Praktiken im Zusammennhang mit Facebook Marketplace

Die EU-Kommission hat eine Geldbuße gegen Meta in Höhe von 797,72 Mio. EUR wegen missbräuchlicher Praktiken im Zusammennhang mit Facebook Marketplace verhängt.

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:
Kommission verhängt Geldbuße in Höhe von 797,72 Mio. EUR gegen Meta wegen missbräuchlicher Praktiken zugunsten von Facebook Marketplace

Die Europäische Kommission hat eine Geldbuße in Höhe von 797,72 Mio. EUR gegen Meta verhängt, weil das Unternehmen gegen die EU-Kartellvorschriften verstößt, indem es seinen Online-Kleinanzeigendienst Facebook Marketplace mit seinem persönlichen sozialen Netzwerk Facebook verknüpft und anderen Anbietern von Online-Kleinanzeigendiensten unfaire Handelsbedingungen auferlegt hat.

Die Zuwiderhandlung

Meta ist ein multinationales Technologieunternehmen mit Sitz in den USA. Wichtigstes Geschäftsfeld ist sein persönliches soziales Netzwerk Facebook. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch den Online-Kleinanzeigendienst „Facebook Marketplace“ an, über den Nutzer Waren kaufen und verkaufen können.

Die Untersuchung der Kommission hat ergeben, dass Meta auf dem Markt für persönliche soziale Netzwerke, der zumindest den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) umfasst, sowie auf den nationalen Märkten für Online-Display-Werbedienste in sozialen Medien eine beherrschende Stellung innehat.

Konkret hat die Kommission festgestellt, dass Meta mit den folgenden Maßnahmen seine marktbeherrschende Stellung missbraucht und gegen Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstößt:

Verknüpfung seines Online-Kleinanzeigendienstes Facebook Marketplace mit seinem persönlichen sozialen Netzwerk Facebook: Aufgrund dieser Verknüpfung haben alle Facebook-Nutzer automatisch Zugang zu Facebook Marketplace, der ihnen – ob sie dies wünschen oder nicht – auch regelmäßig angezeigt wird. Die Kommission hat festgestellt, dass Wettbewerber von Facebook Marketplace auf diese Weise vom Markt ausgeschlossen werden könnten, da Facebook Marketplace durch die Verknüpfung von einem wesentlichen Vertriebsvorteil profitiert, den andere Anbieter nicht ausgleichen können.
Einseitiges Auferlegen unfairer Handelsbedingungen für andere Anbieter von Online-Kleinanzeigendiensten, die auf den Plattformen von Meta, insbesondere den sehr beliebten sozialen Netzwerken Facebook und Instagram, Werbung treiben: So kann Meta Werbedaten, die von anderen Werbetreibenden erzeugt werden, ausschließlich zugunsten von Facebook Marketplace nutzen.
Geldbuße

Die Kommission hat Meta angewiesen, diese Verhaltensweisen wirksam einzustellen und davon abzusehen, dieses missbräuchliche Verhalten in der Zukunft erneut aufzunehmen oder Praktiken mit gleichem Ziel bzw. gleicher Wirkung einzuführen.

Die Geldbuße in Höhe von 797,72 Mio. EUR wurde auf der Grundlage der Leitlinien der Kommission zur Festsetzung von Geldbußen aus dem Jahr 2006 (siehe Pressemitteilung und MEMO) festgesetzt.

Bei der Festsetzung der Geldbuße wurden die Dauer und die Schwere der Zuwiderhandlung sowie der mit den Zuwiderhandlungen in Zusammenhang stehende Umsatz von Facebook Marketplace, von dem ausgehend der Grundbetrag bestimmt wird, berücksichtigt. Die Kommission hat auch den Gesamtumsatz von Meta berücksichtigt, um eine ausreichende Abschreckungswirkung auf ein Unternehmen zu erzielen, das über so große Ressourcen wie Meta verfügt.

Hintergrund

Im Juni 2021 leitete die Kommission ein förmliches Verfahren wegen möglicher wettbewerbswidriger Verhaltensweisen von Facebook ein. Im Dezember 2022 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an Meta, auf die das Unternehmen im Juni 2023 antwortete.

Artikel 102 AEUV und Artikel 54 des EWR-Abkommens verbieten den Missbrauch einer beherrschenden Stellung.

Eine marktbeherrschende Stellung ist nach dem EU-Kartellrecht nicht grundsätzlich verboten. Allerdings tragen marktbeherrschende Unternehmen eine besondere Verantwortung, denn sie dürfen ihre starke Marktstellung nicht missbrauchen, indem sie den Wettbewerb auf dem beherrschten Markt oder auf anderen Märkten einschränken.

Geldbußen für Unternehmen, die gegen die EU-Kartellvorschriften verstoßen, werden in den Gesamthaushaltsplan der EU eingestellt. Diese Einnahmen sind nicht für bestimmte Ausgaben vorgesehen. Stattdessen werden die Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt für das Folgejahr entsprechend gekürzt. Somit tragen die Geldbußen zur Finanzierung der EU bei und entlasten die Steuerzahler.

Sobald alle Fragen im Zusammenhang mit dem Schutz vertraulicher Daten geklärt sind, werden weitere Informationen zu diesem Kartellfall unter der Nummer AT.40684 im öffentlich zugänglichen Register der Kommission auf der Website der Generaldirektion Wettbewerb veröffentlicht.



EuGH: Entscheidung der EU-Kommission über Bußgeld in Höhe von 1,06 Mrd. Euro gegen Intel teilweise nichtig

EuGH
Urteil vom 24.10.2024
C-240/22 P
EU-Kommission / Intel Corporation

Der EuGH hat entschieden, dass die Entscheidung der EU-Kommission über ein Bußgeld in Höhe von 1,06 Mrd. Euro gegen Intel teilweise nichtig ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Der Gerichtshof bestätigt die vom Gericht ausgesprochene Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission, mit der ein Missbrauch der beherrschenden Stellung durch Intel festgestellt und eine Geldbuße von 1,06 Mrd. Euro verhängt wurde

Im Mai 2009 verhängte die Kommission gegen den amerikanischen Mikroprozessorhersteller Intel eine Geldbuße in Höhe von 1,06 Mrd. Euro . Sie warf dem Unternehmen vor, seine beherrschende Stellung auf dem Markt für x86- Prozessoren u. a. dadurch missbraucht zu haben, dass es seinen Kunden und einem Computer-Einzelhändler Rabatte gewährte. 2014 wies das Gericht die Klage von Intel gegen die Entscheidung der Kommission insgesamt ab . Auf das von Intel eingelegte Rechtsmittel hob der Gerichtshof dieses Urteil auf und verwies die Sache an das Gericht zurück.

Das erneut befasste Gericht erklärte die Entscheidung der Kommission teilweise für nichtig und hob die Geldbuße von 1,06 Mrd. Euro in vollem Umfang auf. Gegen dieses Urteil4 legte die Kommission ein Rechtsmittel ein.

Der Gerichtshof weist das Rechtsmittel der Kommission zurück und bestätigt damit das Urteil des Gerichts.

Ihr Rechtsmittel hat die Kommission damit begründet, dass die Kontrolle, die das Gericht hinsichtlich der Feststellungen der Kommission zum As-Efficient-Competitor-Test (Kriterium des ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers) vorgenommen habe, an Verfahrensfehlern, Rechtsfehlern und einer Verfälschung von Beweisen leide.

In seinem Urteil weist der Gerichtshof sämtliche Rechtsmittelgründe der Kommission zurück. In Bezug auf den AsEfficient-Competitor-Test bestätigt er, dass es dem Gericht obliegt, jedes Vorbringen zu prüfen, das die Beurteilungen der Kommission in Frage stellen soll und die Schlussfolgerungen, zu denen die Kommission bei ihrer Prüfung gelangt ist, entkräften kann. Dieses Vorbringen kann sich sowohl auf die Vereinbarkeit dieser Beurteilungen mit den dem As-Efficient-Competitor-Test zugrunde liegenden Grundsätzen beziehen als auch auf die Beweiskraft der Sachverhaltselemente, auf die sich die Kommission gestützt hat. Der Gerichtshof bestätigt außerdem, dass das Gericht nicht zu prüfen hat, ob sich der verfügende Teil der Entscheidung der Kommission mit Erwägungen, die frei von den von ihm festgestellten Fehlern sind, rechtfertigen lässt, wenn diese Erwägungen in der Entscheidung nicht kohärent formuliert sind.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EU-Kommission: X / Twitter ist kein Gatekeeper im Sinne des Digital Markets Act (DMA) - kein wichtiges Gateway für Geschäftsnutzer um Endnutzer zu erreichen

Die EU-Kommission hat entschieden, dass X / Twitter kein Gatekeeper im Sinne des Digital Markets Act (DMA) ist, da der Onlinedienst kein wichtiges Gateway für Geschäftsnutzer ist, um Endnutzer zu erreichen.

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:
EU-Kommission: Onlinedienst X ist kein zentraler Plattformdienst nach dem DMA

Die EU-Kommission hat entschieden, dass der Onlinedienst X nicht als zentraler Plattformdienst nach dem Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) eingestuft werden sollte.

Die heutige Entscheidung folgt auf eine eingehende Marktuntersuchung, die am 13. Mai 2024 eingeleitet wurde, nachdem X seinen Status als potenzieller Gatekeeper angemeldet hatte.

Zusammen mit der Notifizierung reichte X auch Gegenargumente ein, in denen erläutert wurde, warum sein Onlinedienst für soziale Netzwerke seiner Ansicht nach nicht als wichtiges Gateway zwischen Unternehmen und Verbrauchern gelten sollte, selbst wenn davon ausgegangen wird, dass X die im DMA festgelegten quantitativen Schwellenwerte erfüllt.

Entscheidung der Kommission
Nach einer gründlichen Bewertung aller Argumente, einschließlich der Beiträge der relevanten Interessengruppen, und nach Rücksprache mit dem Beratungsausschuss für digitale Märkte kam die EU-Kommission zu dem Schluss, dass X in der Tat nicht als Gatekeeper in Bezug auf seinen Online-Dienst für soziale Netzwerke gilt, da die Untersuchung ergab, dass X kein wichtiges Gateway für Geschäftsnutzer ist, um Endnutzer zu erreichen.

Die Kommission wird die Entwicklungen auf dem Markt in Bezug auf diesen Dienst weiterhin beobachten, falls sich wesentliche Änderungen ergeben sollten.

Die nichtvertrauliche Fassung der Entscheidung wird auf der DMA-Website der Kommission veröffentlicht.

EuGH: Geldbuße von 2,4 Mrd EURO der EU-Kommission gegen Alphabet / Google wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung rechtmäßig - Preisvergleichsdienste / Google Shopping

EuGH
Urteil vom 10.09.2024
C-48/22 P
Google und Alphabet / EU-Kommission (Google Shopping)


Der EuGH hat entschieden, dass die Geldbuße von 2,4 Mrd EURO der EU-Kommission gegen Alphabet / Google wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung im Zusammenhang mit Google-Shopping bzw. Preisvergleichsdiensten rechtmäßig ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Der Gerichtshof bestätigt die Geldbuße von 2,4 Mrd. Euro, die gegen Google wegen Missbrauchs seiner beherrschenden Stellung durch Begünstigung des eigenen Preisvergleichsdiensts verhängt wurde

Das Rechtsmittel von Google und Alphabet wird zurückgewiesen.

2017 verhängte die Kommission eine Geldbuße von etwa 2,4 Mrd. Euro gegen Google, weil das Unternehmen seine beherrschende Stellung auf mehreren nationalen Märkten für Online-Suchdienste missbraucht habe, indem es den eigenen Preisvergleichsdienst gegenüber denjenigen der Wettbewerber begünstigt habe. Da das Gericht diesen Beschluss im Wesentlichen bestätigte, legten Google und Alphabet ein Rechtsmittel beim Gerichtshof ein. Dieser weist das Rechtsmittel zurück und bestätigt damit das Urteil des Gerichts.

Mit Beschluss vom 27. Juni 2017 stellte die Kommission fest, dass Google in 13 Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) auf seiner Seite für allgemeine Suchergebnisse die Ergebnisse seines eigenen Preisvergleichsdienstes gegenüber denjenigen konkurrierender Preisvergleichsdienste bevorzugt habe. Google präsentierte nämlich die Suchergebnisse seines Preisvergleichsdienstes an oberster Stelle und – mit attraktiven Bildund Textinformationen versehen – hervorgehoben in „Boxen“. Die Suchergebnisse konkurrierender Preisvergleichsdienste erschienen dagegen nur an nachrangiger Stelle in Form blauer Links und konnten deshalb – anders als die Ergebnisse des eigenen Preisvergleichsdienstes – von Ranking-Algorithmen auf den allgemeinen Suchergebnisseiten von Google herabgestuft werden.

Die Kommission gelangte zu dem Ergebnis, dass Google seine beherrschende Stellung auf den Märkten für allgemeine Online-Suchdienste und für spezielle Warensuchdienste missbraucht habe, und verhängte daher eine Geldbuße in Höhe von 2 424 495 000 Euro, für die Alphabet als Alleingesellschafterin von Google in Höhe von 523 518 000 Euro gesamtschuldnerisch haftet.

Google und Alphabet fochten den Beschluss der Kommission vor dem Gericht der Europäischen Union an. Mit Urteil vom 10. November 20213 wies das Gericht die Klage im Wesentlichen ab und bestätigte insbesondere die Geldbuße. Das Gericht hielt es dagegen nicht für erwiesen, dass das Verhalten von Google auch nur potenzielle wettbewerbswidrige Auswirkungen auf den Markt für allgemeine Suchdienste hatte. Daher erklärte es den Beschluss für nichtig, soweit die Kommission darin auch in Bezug auf diesen Markt eine Zuwiderhandlung gegen das Verbot des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung festgestellt hatte.

Google und Alphabet haben daraufhin ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt, mit dem sie beantragen, das Urteil des Gerichts aufzuheben, soweit ihre Klage abgewiesen wurde, und den Kommissionsbeschluss für nichtig zu erklären.

Mit seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof das Rechtsmittel zurück und bestätigt damit das Urteil des Gerichts.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass das Unionsrecht4 nicht das Vorliegen einer beherrschenden Stellung selbst beanstandet, sondern nur deren missbräuchliche Ausnutzung. Konkret sind Verhaltensweisen von Unternehmen in beherrschender Stellung verboten, die den Leistungswettbewerb beschränken und somit geeignet sind, einzelnen Unternehmen und Verbrauchern zu schaden. Dazu gehören Verhaltensweisen, die durch den Einsatz anderer Mittel als denen eines Leistungswettbewerbs die Aufrechterhaltung oder die Entwicklung des Wettbewerbs auf einem Markt behindern, auf dem der Grad des Wettbewerbs gerade wegen der Anwesenheit eines oder mehrerer Unternehmen in beherrschender Stellung bereits geschwächt ist.

Zwar kann, so der Gerichtshof, nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein beherrschendes Unternehmen, das seine eigenen Waren oder Dienstleistungen günstiger behandelt als diejenigen seiner Wettbewerber, unabhängig von den Umständen des Einzelfalls ein vom Leistungswettbewerb abweichendes Verhalten an den Tag legt. Im vorliegenden Fall hat das Gericht jedoch zu Recht festgestellt, dass das Verhalten von Google in Anbetracht der Merkmale des Marktes und der spezifischen Umstände des Falles diskriminierend ist und nicht dem Leistungswettbewerb entspricht
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Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH-Generalanwältin: Google / Alphabet kann verpflichtet sein anderen Unternehmen Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren

EuGH-Generalanwältin
Schlussanträge vom 05.09.2024
C-233/23
Alphabet u. a.


Die EuGH-Generalanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass Google / Alphabet verpflichtet sein kann, anderen Unternehmen Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren

Die Pressemitteilung des EuGH:
Generalanwältin Medina: Die Weigerung von Google, Dritten Zugang zur Plattform Android Auto zu gewähren, verstößt möglicherweise gegen das Wettbewerbsrecht

Google ist Urheberin und Entwicklerin von Android OS, eines Open-Source-Betriebssystems für AndroidMobilgeräte. 2015 brachte sie Android Auto auf den Markt, eine App für Mobilgeräte mit dem Betriebssystem Android, mit dem es Benutzern möglich ist, über einen in das Fahrzeug integrierten Bildschirm auf bestimmte Apps auf ihrem Smartphone zuzugreifen. Drittentwickler können mit Hilfe von Templates, die Google bereitstellt, Versionen eigener Apps erstellen, die mit Android Auto kompatibel sind.

Enel X, die zur Enel Group gehört, erbringt Dienstleistungen für das Laden von Elektrofahrzeugen. Im Mai 2018 brachte sie die App JuicePass auf den Markt, die eine Reihe von Funktionen für das Laden von Elektrofahrzeugen anbietet. Im September 2018 ersuchte Enel X Google, JuicePass mit Android Auto kompatibel zu machen. Google lehnte dies mit der Begründung ab, dass in Ermangelung eines speziellen Templates Medien- und Messaging-Apps die einzigen Apps von Drittanbietern seien, die mit Android Auto kompatibel seien. Sie rechtfertigte ihre Weigerung mit Sicherheitserwägungen und der Notwendigkeit, die für die Entwicklung eines neuen Templates notwendigen Ressourcen bereitzustellen

Die italienische Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass das Verhalten von Google gegen das Wettbewerbsrecht der Union verstoße. Mit der Behinderung und Verzögerung der Veröffentlichung der JuicePass-App auf der Plattform Android Auto habe Google ihre beherrschende Stellung missbraucht. Google focht diese Entscheidung vor dem italienischen Staatsrat an, der den Gerichtshof mit dem Fall befasst hat.

In ihren Schlussanträgen vom heutigen Tag prüft Generalanwältin Laila Medina, ob in dieser Rechtssache die ständige Rechtsprechung zur Zugangsverweigerung durch ein beherrschendes Unternehmen einschlägig ist, d. h., ob die sogenannten Bronner-Voraussetzungen2 gelten. Anschließend untersucht sie, ob Zugangsverpflichtungen im Hinblick auf die Interoperabilität für beherrschende Unternehmen bedeuten, dass sie ein aktives Verhalten an den Tag legen, also z. B. die erforderliche Software entwickeln müssen.

Generalanwältin Medina gelangt zu dem Schluss, dass die Bronner-Voraussetzungen nicht anwendbar seien, wenn die Plattform, zu der Zugang gefordert werde, von dem beherrschenden Unternehmen nicht zu dessen ausschließlicher Nutzung entwickelt, sondern so konzipiert und gestaltet worden sei, dass sie die Apps von Drittentwicklern aufnehme. In einem solchen Fall sei es nicht erforderlich, nachzuweisen, dass diese Plattform für den benachbarten Markt unentbehrlich sei. Dagegen missbrauche ein Unternehmen seine beherrschende Stellung, wenn es mit seinem Verhalten den Zugang einer von einem Drittanbieter entwickelten App zur Plattform ausschließe, behindere oder verzögere, vorausgesetzt, dass sein Verhalten geeignet sei, wettbewerbswidrige Wirkungen zum Nachteil der Verbraucher zu entfalten, und nicht objektiv gerechtfertigt sei.

Die Weigerung eines beherrschenden Unternehmens, einem Drittanbieter Zugang zu einer Plattform wie der in der vorliegenden Rechtssache fraglichen zu gewähren, könne objektiv gerechtfertigt sein, wenn der geforderte Zugang technisch nicht möglich sei oder wenn er in technischer Hinsicht die Leistung der Plattform beeinträchtigen könnte oder deren wirtschaftlichem Modell oder Zweck zuwiderlaufen würde. Der bloße Umstand, dass das beherrschende Unternehmen, um Zugang zu der Plattform zu gewähren, über die Erteilung der Einwilligung hinaus ein Software-Template entwickeln müsste, das den spezifischen Bedürfnissen des um Zugang ersuchenden Anbieters Rechnung trage, könne als solcher eine Zugangsverweigerung dann nicht rechtfertigen, wenn für die Entwicklung ein angemessener Zeitrahmen zur Verfügung stehe und dem beherrschenden Unternehmen eine angemessene Vergütung geleistet werde. Das beherrschende Unternehmen müsse dem um Zugang ersuchenden Anbieter auf das Ersuchen hin diese beiden Aspekte mitteilen.

Das Wettbewerbsrecht der Union erlege nicht ohne Weiteres eine Verpflichtung auf, objektive Kriterien für die Prüfung von Ersuchen um Zugang zu einer Plattform aufzustellen. Nur in dem Fall, dass gleichzeitig mehrere Ersuchen gestellt würden, könne das Fehlen solcher Kriterien einen Gesichtspunkt darstellen, der bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit des dem beherrschenden Unternehmen vorgeworfenen Verhaltens zu berücksichtigen ist, wenn dieses zu übermäßigen Verzögerungen bei der Zugangsgewährung oder zu einer diskriminierenden Behandlung der konkurrierenden, um Zugang ersuchenden Anbieter führe.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


EU-Kommission: Kartellverfahren gegen Delivery Hero und Glovo wegen kartellrechtswidrigen abgestimmten Verhaltensweisen im Bereich Online-Lieferdienste für Lebensmittel

Die EU-Kommission hat ein förmliches Kartellverfahren gegen Delivery Hero und Glovo wegen kartellrechtswidrigen abgestimmten Verhaltensweisen im Bereich Online-Lieferdienste für Lebensmittel eingeleitet.

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:
Kommission leitet Untersuchung wegen möglicher wettbewerbswidriger Vereinbarungen im Bereich der Online-Lieferung von Lebensmitteln ein

Die Europäische Kommission hat ein förmliches Kartellverfahren eingeleitet, um zu prüfen, ob Delivery Hero und Glovo durch Beteiligung an einem Kartell im Bereich der Online-Bestellung und -Lieferung von Mahlzeiten, Lebensmitteln und sonstigen Verbrauchergütern im Europäischen Wirtschaftsraum („EWR“) gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften verstoßen haben.

Delivery Hero und Glovo zählen zu den größten Lebensmittel-Lieferdiensten in Europa. Delivery Hero hielt ab Juli 2018 eine Minderheitsbeteiligung an Glovo, bis es im Juli 2022 die alleinige Kontrolle über das Unternehmen erwarb.

Die Kommission hat Bedenken, dass Delivery Hero und Glovo vor der Übernahme räumliche Märkte untereinander aufgeteilt und sensible Geschäftsinformationen (z. B. über Geschäftsstrategien, Preise, Kapazitäten, Kosten und Produkteigenschaften) ausgetauscht haben könnten. Ferner hegt die Kommission den Verdacht, dass die Unternehmen vereinbart haben könnten, keine Arbeitnehmer voneinander abzuwerben. Diese Verhaltensweisen könnten durch die Minderheitsbeteiligung von Delivery Hero an Glovo ermöglicht worden sein.

Wenn sich die Vermutungen bestätigen, könnte das Verhalten der Unternehmen gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften verstoßen, denen zufolge Kartelle und wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen verboten sind (Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“) und Artikel 53 des EWR-Abkommens).

Die Kommission wird dieser eingehenden Prüfung Vorrang einräumen. Das Verfahren wird ergebnisoffen geführt.

Hintergrund

Im Juni 2022 und im November 2023 führte die Kommission im Rahmen ihrer aus eigner Initiative eingeleiteten Untersuchung zu möglichen Absprachen im Bereich der Lieferdienste für Lebensmittel unangekündigte Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von Delivery Hero und Glovo durch.

Das in Deutschland ansässige Unternehmen Delivery Hero ist im Bereich der Bestellung und Lieferung von Lebensmitteln tätig. Das Unternehmen ist gegenwärtig in mehr als 70 Ländern weltweit vertreten und kooperiert mit mehr als 500 000 Restaurants. Delivery Hero ist an der Frankfurter Börse notiert.

Das in Spanien ansässige Unternehmen Glovo ist ebenfalls im Bereich der Bestellung und Lieferung von Lebensmitteln tätig und gegenwärtig in mehr als 1 300 Städten in 25 Ländern weltweit vertreten. Nachdem Delivery Hero im Juli 2022 die Mehrheit der Anteile an Glovo erwarb, wurde Glovo zur Tochtergesellschaft von Delivery Hero.

Mit der heute eingeleiteten Untersuchung verfolgt die Kommission ihre Bemühungen, im Bereich der Online-Lieferung von Mahlzeiten und Lebensmitteln für die Verbraucher für Auswahl zu angemessenen Preisen zu sorgen. Auf einem jungen und schnell wachsenden Markt wie dem in Rede stehenden können wettbewerbswidrige Vereinbarungen und wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen wie Marktaufteilungen im Rahmen von Kartellen zu einer versteckten Marktkonsolidierung führen, was negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben kann.

Die Untersuchung trägt auch den Bemühungen der Kommission Rechnung, einen fairen Arbeitsmarkt zu gewährleisten, auf dem Arbeitgeber keine Absprachen treffen, um Umfang und Qualität der Möglichkeiten für Arbeitnehmer einzuschränken, sondern um Talente konkurrieren. Es handelt sich um das erste förmliche Untersuchungsverfahren zu Abwerbeverzichtsvereinbarungen („No-Poach“-Vereinbarungen), das von der Kommission eingeleitet wurde.

Im Rahmen dieses Verfahrens untersucht die Kommission auch erstmals wettbewerbswidrige Vereinbarungen, die möglicherweise im Rahmen einer Minderheitsbeteiligung eines Marktteilnehmers an einem Wettbewerber getroffen wurden.

Nach Artikel 101 AEUV sind Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten, die geeignet sind, den Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verhindern oder einzuschränken. Wie diese Bestimmung umzusetzen ist, ist in der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegt. Artikel 101 AEUV kann auch von nationalen Wettbewerbsbehörden angewendet werden.

Nach Artikel 11 Absatz 6 der Verordnung Nr. 1/2003 entfällt mit der Verfahrenseinleitung durch die Kommission die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden für die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts in der jeweiligen Sache. Artikel 16 Absatz 1 dieser Verordnung besagt ferner, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten keine Entscheidungen erlassen dürfen, die einem Beschluss zuwiderlaufen, den die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt. Die Kommission hat die betroffenen Unternehmen und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten von der Einleitung eines Verfahrens in dieser Sache unterrichtet.

Für den Abschluss einer kartellrechtlichen Untersuchung gibt es keine verbindliche Frist. Die Dauer einer kartellrechtlichen Untersuchung hängt von mehreren Faktoren ab, so etwa von der Komplexität des jeweiligen Falles, der Bereitschaft der betroffenen Unternehmen zur Zusammenarbeit mit der Kommission sowie der Ausübung der Verteidigungsrechte.

Weitere Informationen über die Maßnahmen der Kommission gegen Kartelle, unter anderem Informationen darüber, wie Einzelpersonen oder Firmen mutmaßliches Kartellverhalten melden können, finden sich auf der eigens eingerichteten Website der Kommission zum Thema Kartelle. Die Website enthält auch Statistiken zur Kartellrechtsdurchsetzung. Aktuelle Informationen aus dem Kartellbereich finden sich in der wöchentlichen Zusammenstellung Competition Weekly News Summary.

Weitere Informationen zu diesem Kartellfall können auf der Website der Generaldirektion Wettbewerb über das öffentlich zugängliche Register unter der Nummer AT.40795 eingesehen werden



LG Düsseldorf: Facebook-Sperre ohne Anhörung und Begründung ist ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB - kartellrechtlicher Unterlassungsanspruch

LG Düsseldorf
Urteil vom 18.04.2024
14d O 1/23


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass die Sperrung eines Facbook-Accounts / einer Facebook-Seite ohne Anhörung und Begründung auch ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB durch Meta darstellt. Der Betroffene hat daher auch einen kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Das Landgericht Düsseldorf ist international zuständig.

a. Die Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 (nachfolgend: EuGVVO).

Der Kläger macht Ansprüche geltend, die er auf eine unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stützt. Er begehrt die Unterlassung eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Beklagte als Betreiberin des sozialen Netzwerks Facebook. Das Bestehen einer Vertragsbeziehung zwischen den Parteien schließt die Qualifikation des Klagebegehrens als deliktischen Anspruch nicht aus. In Abgrenzung zum vertraglichen Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ist für die Annahme des deliktischen Gerichtsstands nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vielmehr entscheidend, ob ein gesetzlicher Anspruch geltend gemacht wird, der unabhängig von einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Dies ist dann der Fall, wenn die Rechtsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Handlung des Anspruchsgegners nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, sondern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist (EuGH, Urteil vom 24.11.2020, C‑59/19, NJW 2021, 144, 146, Rn. 32 – Wikingerhof/Booking.com; BGH, Urteil vom 10.02.2021, Az. KZR 66/17, GRUR 2021, 991, 992, Rn. 11 – Wikingerhof).

Die Kartellrechtswidrigkeit der konkret beanstandeten Handlung hängt allein davon ab, ob die Beklagte Adressat des Missbrauchsverbots nach § 19 GWB ist und hiergegen verstoßen hat. Für die Beurteilung ist eine Auslegung des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages im Sinne der vom EuGH aufgestellten Abgrenzungsformel (EuGH, aaO., Rn. 37) auch nicht unerlässlich. Der Kläger begründet den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch vorrangig mit einem Verstoß gegen das Kartellrecht, namentlich mit dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Insoweit ist das Verhalten grundsätzlich allein an kartellrechtlichen Maßstäben zu messen. Denn der Kläger beruft sich im Kern auf ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Beklagten verbunden mit dem Vorwurf, die Sperrung seiner FacebookSeite sei ohne vorherige oder unverzüglich nach der Sperre erfolgte Begründung und Anhörung erfolgt. Hinsichtlich der Verfahrensgrundsätze für die Löschung bzw. Kontosperrung ist nicht allein der Inhalt der Nutzungsbedingungen maßgeblich. Vielmehr kann die Prüfung, ob die Beklagte zur Einhaltung der von der Klägerin begehrten Verfahrensgrundsätze verpflichtet ist, abstrakt allein anhand wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe erfolgen.

Dass die nach § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 GWB stets gebotene Interessenabwägung im Einzelfall bei einer Vertragsbeziehung der Parteien auch eine Betrachtung der vertragstypischen Rechte und Pflichten und der zwischen den Parteien getroffenen Regelungen erfordert, ist für die Qualifikation des Klageanspruchs als deliktischer Anspruch ohne Belang (BGH, aaO., Rn. 13).

Entgegen der Ansicht der Beklagten muss auch nicht zunächst der Umfang der Nutzungsberechtigung durch Auslegung des Nutzungsvertrages ermittelt werden. Im vorliegenden Streitfall wendet sich der Kläger gegen eine aus seiner Sicht willkürliche Löschung, ohne dass ein „abstraktes, unbegrenztes Recht auf Veröffentlichung auf Facebook“ geltend gemacht wird.

Auch soweit das Oberlandesgericht Düsseldorf in der von der Beklagten zitierten Entscheidung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.03.2023, Az. I-16 W 8/23, vorgelegt als Anlage B 1) für Fälle, in denen keine Verbrauchereigenschaft gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. c), Art. 18 Abs. 1 EuGVVO vorliegt, eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für deliktische Ansprüche auf Grundlage von Art. 7 Abs. 2 EuGVVO ablehnt, ist diese Rechtsprechung nach Auffassung der Kammer nicht auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar. Während sich die dortige Antragstellerin neben einem vertraglichen Unterlassungsanspruch auch auf kartellrechtliche Ansprüche (§§ 33 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB) berufen hat, ist die Klage im vorliegenden Verfahren vorrangig auf einen Kartellverstoß gestützt, der – wie vorstehend ausgeführt – unabhängig von Nutzungsvertrag – zu beurteilen ist. Anders als in dem Verfahren, dem die zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zugrunde lag, wird in kartellrechtlicher Hinsicht nicht der Vorwurf erhoben, „dass sich die missbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin darin zeige, wie sie eine Sperre des Business-Kontos auf der Grundlage des von den Parteien geschlossenen Nutzungsvertrags vornehme“ (OLG Düsseldorf, aaO., S. 11).

Auch wenn sich die Einstufung einer Klage als vertraglich im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVVO oder als deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht nach nationalem Recht richtet, sondern autonom unter Berücksichtigung der Systematik und der Ziele der EuGVVO zu entscheiden ist (EuGH, Urteil vom 13.03.2014, Az. C-548/12, NJW 2014, 1648, 1649, Rn. 18 – Brogsitter; Urteil vom 24.11.2020, Az. C-59/19, NJW 2021, 144, 146, Rn. 25 – Wikingerhof/Booking.com), erscheint es nach Auffassung der Kammer angezeigt, den vorliegenden Rechtsstreit angesichts des auf einen Marktmachtmissbrauch gerichteten Vorwurfs trotz der vertraglichen Verbindung der Parteien als deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu qualifizieren. Die daraus resultierende Annahme einer Zuständigkeit deutscher Gerichte als Gerichtsstand der unerlaubten Handlung steht im Einklang mit den Zielen der EuGVVO. Das nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zuständige Gericht – nämlich das des Marktes, der von dem geltend gemachten wettbewerbswidrigen Verhalten beeinträchtigt wird – ist am besten in der Lage, über die Hauptfrage der Begründetheit dieses Vorwurfs zu entscheiden (vgl. EuGH, Urteil vom 24.11.2020, Az. C‑59/19, NJW 2021, 144, 147, Rn. 37 – Wikingerhof/Booking.com).

b. Die nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO begründete internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist auch nicht aufgrund einer zwischen den Parteien getroffenen Gerichtsstandvereinbarung ausgeschlossen. Es kann dahinstehen, ob die Parteien einen irischen Gerichtsstand, wie in Ziffer 4.4. der Facebook-Nutzungsbedingungen vorgesehen, wirksam vereinbart haben. Sie führt als Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO jedenfalls für die hier geltend gemachten Ansprüche nicht zu einer Prorogation zu irischen Gerichten. Eine Anwendung dieser Gerichtsstandsklausel auf die geltend gemachten Ansprüche aus § 33 GWB ist zwar nach Art. 25 Abs. 1 EuGVVO nicht schlechthin ausgeschlossen. Ausgangspunkt ist hierbei das Erfordernis, dass die Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung zwar auf Rechtsstreitigkeiten beschränkt ist, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde, weil andernfalls eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (EuGH, Urteil vom 21.05.2015, Az. C-352/13, GRUR Int. 2015, 1176, 1182, Rn. 68 m.w.N. – CDC Hydrogen Peroxide). Insoweit nimmt der EuGH an, dass die Beteiligung eines Vertragspartners an einem rechtswidrigen Kartell für das geschädigte Unternehmen im Zeitpunkt der Zustimmung nicht hinreichend vorhersehbar war und die Klausel insoweit nicht zu einer wirksamen Derogation führt (EuGH aaO., Rn. 70). Im Unterschied dazu kann sich der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, in den von einem Unternehmen, das eine beherrschende Stellung innehat, geknüpften vertraglichen Beziehungen über die Vertragsbedingungen manifestieren, mit der Folge, dass eine solche Klausel auch dann nicht überraschend im Sinne von Art. 22 EuGVVO ist, wenn sie sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Wettbewerbsverstoß bezieht (EuGH, Urteil vom 24.10.2018, Az. C-595/17, NJW 2019, 349, 350, Rn. 28f. – Apple Sales; BGH, Urteil vom 10.02.2021, Az. KZR 66/17, GRUR 2021, 991, 992, Rn. 18 – Wikingerhof).

[…]

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Unterlassung gegen die Beklagte aus §§ 33 Abs.
1, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB.

[...]

In der von der Beklagten vorgenommenen Sperrung ohne vorherige oder unverzüglich nach der Sperrung erfolgte Begründung und Anhörung, liegt ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne einer Behinderung des Klägers gem. § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB

aa. Die Behinderung des Klägers hat auch kartellrechtliche Relevanz.

Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Vorfall nicht nur um eine Vertragsverletzung im Einzelfall. Als Behinderung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB ist jedes Verhalten zu verstehen, dass die wettbewerbliche Betätigungsfreiheit eines anderen Unternehmens nachteilig beeinflusst (Bunte, KartellR/Nothdurft, 14. Aufl., § 19 GWB, Rn. 319 m.w.N.). Erforderlich ist, dass die Position des beeinträchtigten Unternehmens im Wettbewerb berührt wird.

Demgegenüber begründen Verstöße gegen Rechtsnormen (wie z.B. des Vertragsrechts), welche nicht den Inhalt von Marktbeziehungen zum Gegenstand haben oder auf sie einwirken, keinen Verstoß gegen § 19 GWB (HansOLG, Beschluss vom 29. Juni 2022, Az. 15 W 32/22, S. 15 f., vorgelegt als Anlage B 2; Bechtold/Bosch, in: Bechtold/Bosch, 10. Aufl. 2021, § 19 GWB, Rn. 5).

Die Sperrung der Facebook-Seite des Klägers betrifft jedoch Marktbeziehungen und berührt die Position des Klägers im Wettbewerb. Auch wenn es sich beim Kläger um einen gemeinnützigen Verein handelt, steht dieser hinsichtlich seiner Angebote, insbesondere seinen Veranstaltungen, im Wettbewerb mit anderen Film- und Kultureinrichtungen. Die Facebook-Seite wird zur Bewerbung von Veranstaltungen genutzt, mit der Folge, dass dem Kläger infolge der Sperre ein Kommunikationskanal abgeschnitten worden ist, der u.a. zur Bewerbung seiner Veranstaltungen genutzt worden ist. Dass der Kläger, worauf die Beklagte hinweist, noch über weitere Kanäle, wie u.a. seine Homepage und sein Instagram-Profil verfügt, steht einer marktbezogenen Behinderung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB nicht entgegen.

Ferner ist auch ein Nachweis konkreter nachteiliger Marktfolgen für die Bejahung eines Behinderungsmissbrauchs nicht erforderlich (Bunte aaO., Rn. 322). Ausreichend ist vielmehr ein Nachweis konkreter Gefahrenlagen, die sich vorliegend bereits aus der Sperre und damit aus den Einschränkungen bei der Veröffentlichung und Bewerbung der Angebote des Klägers ergeben. Feststellungen zum konkreten Rückgang der Teilnehmerzahlen sind hingegen nicht erforderlich.

bb. Das Vorgehen der Beklagten ist auch sachlich nicht gerechtfertigt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und den insoweit aufgestellten Mindestanforderungen an das Verfahren zur Sperrung von Nutzerkonten, ist der Nutzer umgehend über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos zu informieren, ihm ist der Grund dafür mitzuteilen und ihm ist eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt (vgl. BGH, Urteil v. 29.07.2021, Az. III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, 3189, Rn 85). Zwar kann es nach Auffassung der Kammer in Ausnahmefällen auch gerechtfertigt sein, eine Löschung der Inhalte und gegebenenfalls eine Sperrung des Accounts unmittelbar und ohne vorherige Anhörung vorzunehmen, um etwa das bedeutsame Verbot der Nacktdarstellung von Minderjährigen effektiv durchzusetzen, sobald z.B. ein Algorithmus verbotene Inhalte erkennt. Eine solche Maßnahme entsprach auch den Anforderungen von § 3 Abs. 2 NetzDG in der bis 14.05.2024 geltenden Fassung. Allerdings muss eine effektive Möglichkeit bestehen, diese automatisierte Entscheidung zu überprüfen. Dies ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht erfolgt. Nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 5 UAbs. 1 Verordnung (EU) 2019/1150 (nachfolgend: P2BVO) hat ein Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten, will er die Geschäftsbeziehung einseitig beenden, die konkreten Tatsachen oder Umstände, einschließlich des Inhalts der Mitteilungen Dritter, die ihn zu seiner Entscheidung bewogen haben, und die für diese Entscheidung maßgeblichen Gründe anzugeben. Dabei können die Wertungen der P2B-VO mittelbar in der Kartellrechtsanwendung Berücksichtigung finden, da es sich dabei um marktbezogene Vorschriften handelt (LG München I, Urteil v. 12.05.2021, 37 O 32/21, MMR 2021, 995, 998, Rn. 75 m.w.N.). Dies wird nicht zuletzt in Erwägungsgrund 7 der P2B-VO deutlich, wonach der Zweck der Verordnung in der Sicherstellung eines fairen, vorhersehbaren, tragfähigen und vertrauenswürdigen Online-Geschäftsumfelds im Binnenmarkt liegt. Entsprechendes gilt auch für die Vorgaben nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) und d), Abs. 3, Abs. 4 der Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG (nachfolgend: „Digital Services Act“). Auch hiernach erfordert die Sperrung von Nutzerkonten eine klare, spezifische und umfassende Begründung, die den Nutzer in die Lage versetzt, die gegen die Sperrung zur Verfügung stehenden internen wie externen Rechtsbehelfe zu ergreifen. Wenngleich die Vorgaben des Digital Services Act erst seit Februar 2024 vollumfänglich gelten, ist die Verordnung bereits im November 2022 in Kraft getreten und bringt damit jedenfalls den Willen des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, Seitensperrungen u.a. nicht ohne Anhörung des Betroffenen vorzunehmen.

Zugunsten des Klägers sind auch dessen Grundrechte im Wege der mittelbaren Drittwirkung von der Kammer bei der Anwendung von § 19 GWB und der insoweit vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen. Dabei hängt die Reichweite der mittelbaren Grundrechtswirkung von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Maßgeblich ist, dass die Freiheitssphären der Bürgerinnen und Bürger in einen Ausgleich gebracht werden müssen, der die in den Grundrechten liegenden Wertentscheidungen hinreichend zur Geltung bringt. Dabei können insbesondere auch die Unausweichlichkeit von Situationen, das Ungleichgewicht zwischen sich gegenüberstehenden Parteien, die gesellschaftliche Bedeutung von bestimmten Leistungen oder die soziale Mächtigkeit einer Seite eine maßgebliche Rolle spielen (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018, Az. 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667, Rn. 33 m.w.N.). Insoweit berücksichtigt die Kammer, dass die Nutzung von Facebook“ eine hohe soziale Relevanz hat, mit der Folge, dass sich der Kläger auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG), Filmfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG), (Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 9 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) sowie das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) berufen kann.

Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung vorträgt, dass sie aufgrund von Ziff. 4.2 der Nutzungsbedingungen, ebenso wie nach §§ 314, 626 BGB, ohne Anhörung bzw. Abmahnung zur dauerhaften Kontosperrung aus wichtigem Grund berechtigt sein kann, ist dies für die Beurteilung des konkreten Vorfalls anhand von § 19 GWB ohne Bedeutung. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das konkret in Rede stehende Bild keinen strafrechtlich relevanten Inhalt hat und die Beklagte auch darüber hinaus keine Gründe vorbringt, die sie im streitgegenständlichen Fall zur Sperrung ohne Anhörung des Klägers berechtigt hätten.



BKartA: Bußgeld von fast 16 Millionen EURO gegen Fritzbox-Hersteller AVM wegen unzulässiger vertikaler Preisbindung mit sechs Elektronikfachhändlern

Das BKartA hat ein Bußgeld von fast 16 Millionen EURO gegen den Fritzbox-Hersteller AVM wegen unzulässiger vertikaler Preisbindung mit sechs Elektronikfachhändlern verhängt.

Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:
Bundeskartellamt verhängt Bußgeld gegen den Hersteller von Fritz!-Produkten AVM

2. Juli 2024: Das Bundeskartellamt hat gegen die AVM Computersysteme Vertriebs GmbH mit Sitz in Berlin sowie einen ihrer verantwortlich handelnden Mitarbeitenden Geldbußen in Höhe von insgesamt knapp 16 Mio. Euro wegen vertikaler Preisbindung mit sechs Elektronikfachhändlern verhängt. AVM ist ein deutscher Hersteller von Produkten aus dem Bereich der Telekommunikation und Netzwerktechnik. Unter der Marke „FRITZ!“ werden insbesondere Router und Repeater, aber auch Telefone und Smart-Home-Produkte vertrieben. AVM ist in Deutschland und Europa nach eigener Aussage einer der führenden Hersteller von Produkten für den Breitbandanschluss und das digitale Zuhause.

Eingeleitet wurde das Verfahren nach einer anonymen Eingabe im Hinweisgebersystem (BKMS) des Bundeskartellamtes und weiteren Hinweisen aus dem Markt mit einer Durchsuchung im Februar 2022.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Wir werfen AVM vor, über Jahre hinweg die freie Preisbildung beim Vertrieb seiner Produkte an Endverbraucherinnen und -verbraucher eingeschränkt zu haben. Durch Abstimmungen mit Elektronikfachhändlern über Anhebungen von Endverbraucherpreisen wurde darauf hingewirkt, den Preiswettbewerb gegenüber den Endverbraucherinnen und -verbrauchern einzuschränken. Das Bundeskartellamt sendet mit den verhängten Bußgeldern ein klares Signal, dass Verstöße gegen das Verbot der Preisbindung nicht toleriert werden.“

Mitarbeitende von AVM haben neben den üblichen Verhandlungen über Einkaufspreise mit den beteiligten Elektronikfachhändlern Abstimmungen über Endverbraucherpreise für AVM-Produkte getroffen. Diese Abstimmungen bezogen sich grundsätzlich auf eine Anhebung dieser Preise, teilweise wurden auch bestimmte Mindestverkaufspreise (sog. Zielpreise) gefordert, welche zwischen der unverbindlichen Preisempfehlung und dem Einkaufspreis der Händler lagen. Die Endverbraucherpreise der Händler wurden von AVM-Mitarbeitenden fortlaufend beobachtet, wobei neben Recherchen im stationären Handel und Preisvergleichsdiensten im Internet mindestens seit Mitte 2019 eine spezielle Software verwendet wurde. Die Abstimmungsmaßnahmen erfolgten in unterschiedlicher Intensität insbesondere dann, wenn Endverbraucherpreise in hohem Maße unter den sog. Zielpreisen lagen oder nach entsprechenden Beschwerden von Händlern über nicht auskömmliche Endverbraucherpreise. In vielen Fällen sagten die Händler nach Interventionen von AVM eine Erhöhung der von AVM beanstandeten Endverbraucherpreise zu bzw. passten ihre Endverbraucherpreise nach oben an.

Bei der Bußgeldfestsetzung wurde berücksichtigt, dass das Verfahren im Wege der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (sog. Settlement) abgeschlossen werden konnte. Die Bußgeldbescheide sind rechtskräftig. Gegen die beteiligten Händler sind keine Bußgeldbescheide ergangen.

Ein Fallbericht mit den Inhalten des § 53 Abs. 5 GWB wird auf der Internetseite des Bundeskartellamtes in Kürze veröffentlicht.


EU-Kommission: booking. com ist ein Gatekeeper im Sinn des Digital Markets Act (DMA)

Die EU-Kommission hat festgestellt, dass booking.com ein Gatekeeper im Sinn des Digital Markets Act (DMA) ist.

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:
Commission designates Booking as a gatekeeper and opens a market investigation into X

The European Commission has today designated under the Digital Markets Act (DMA), Booking as a gatekeeper for its online intermediation service Booking.com and decided not to designate X Ads and TikTok Ads. In parallel, the Commission has opened a market investigation to further assess the rebuttal submitted in relation to the online social networking service X.

Today's decisions follow a review process conducted by the Commission after receiving the notifications of the three companies regarding their potential status as gatekeepers on 1 March 2024.

On the basis of Booking's self-assessment submitted on 1 March 2024 that it meets the relevant thresholds, the Commission has established that this core platform service constitutes an important gateway between businesses and consumers.

In parallel, the Commission has opened a market investigation to further assess the rebuttal submitted on 1 March 2024 in relation to the online social networking service X. This rebuttal argues that, despite meeting the thresholds, X does not qualify as a important gateway between businesses and consumers. The investigation should be completed within five months.

Another rebuttal was submitted concerning the online advertising service X Ads. The Commission has concluded that, although X Ads meets the quantitative designation thresholds under the DMA, this core platform service does not qualify as an important gateway. Therefore, the Commission decided not to designate X Ads.

Lastly, the Commission received on 1 March 2024 the notification of ByteDance's online advertising service TikTok Ads, including a rebuttal request. The Commission has concluded that, although TikTok Ads meets the quantitative designation thresholds under the DMA, this core platform service does not qualify as an important gateway. Consequently, the Commission decided not to designate TikTok Ads either.

Next steps for the designated gatekeeper

Following its designation, Booking now has six months to comply with the relevant obligations under the DMA, offering more choice and freedom to end users and fair access of business users to the gatekeeper services. Booking has six months to submit a detailed compliance report in which it outlines how it complies with each of the obligations of the DMA. However, some of the DMA's obligations start applying with immediate effect, for example, the obligation to inform the Commission of any intended concentration in the digital sector.

The Commission will monitor the effective implementation and compliance with these obligations. In case a gatekeeper does not comply with the obligations laid down by the DMA, the Commission can impose fines up to 10% of the company's total worldwide turnover, which can go up to 20% in case of repeated infringements. In case of systematic infringements, the Commission is also empowered to adopt additional remedies such as obliging a gatekeeper to sell a business or parts of it or banning the gatekeeper from acquisitions of additional services related to the systemic non-compliance.

In the future, additional undertakings could submit notifications to the Commission under the DMA, based on their self-assessment with respect to the relevant thresholds. In this context, the Commission maintains constructive discussions with all relevant companies.

Background

The DMA aims to ensure contestable and fair markets in the digital sector. It regulates gatekeepers, which are large digital platforms that provide an important gateway between business users and consumers, whose position can grant them the power to act as bottlenecks in the digital economy.

Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta and Microsoft, the six gatekeepers designated by the Commission on 6 September 2023, had to fully comply with all DMA obligations by 7 March 2024. The Commission assessed the compliance reports setting out gatekeepers' compliance measures, and gathered feedback from stakeholders, including in the context of workshops.

On 25 March 2024, the Commission opened non-compliance investigations into Alphabet's rules on steering in Google Play and self-preferencing on Google Search, Apple's rules on steering in the App Store and the choice screen for Safari, and Meta's “pay or consent model”. The Commission announced additional investigatory steps to gather facts and information in relation to Amazon's self-preferencing and Apple's alternative app distribution and new business model.

On 29 April 2024, the Commission designated Apple's iPadOS, its operating system for tablets, as a gatekeeper under the DMA. Apple now has six months to bring iPadOS in line with the relevant DMA obligations.



BGH: Amazon hat eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb gemäß § 19a Abs. 1 GWB

BGH
Beschluss vom 23.04.2024
KVB 56/22
Amazon


Der BGH hat entschieden, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb gemäß § 19a Abs. 1 GWB hat.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof bestätigt Amazons überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. Erstmals hat der Kartellsenat damit in erster und letzter Instanz über eine Beschwerde gegen eine Feststellung nach § 19a Abs. 1 GWB entschieden. Die am 19. Januar 2021 in Kraft getretene Regelung des § 19a GWB dient der Modernisierung und Stärkung der wettbewerbsrechtlichen Missbrauchsaufsicht. Sie sieht ein zweistufiges Verfahren vor. Danach kann das Bundeskartellamt in einem ersten Schritt die überragende marktübergreifende Bedeutung des Unternehmens für den Wettbewerb feststellen (§ 19a Abs. 1 GWB) und dem betroffenen Unternehmen in einem zweiten Schritt bestimmte Verhaltensweisen untersagen (§ 19a Abs. 2 GWB).

Sachverhalt:

Amazon ist weltweit unter anderem im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27. Dezember 2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.

Das Bundeskartellamt hat mit Beschluss vom 5. Juli 2022 nach § 19a Abs. 1 GWB festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als Torwächter gemäß Art. 3 Digital Markets Act (DMA) benannt. Für die von Amazon betriebenen Vermittlungsplattformen Amazon Marketplace und Amazon Advertising gelten in der Europäischen Union seit dem 7. März 2024 die das Marktverhalten regelnden Vorschriften des DMA.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof ist für die Beschwerde gemäß § 73 Abs. 5 Nr. 1 GWB in erster und letzter Instanz zuständig. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. § 19a Abs. 1 GWB und der auf Grund dieser Vorschrift erlassenen Feststellungsverfügung stehen auch keine unionsrechtlichen Gründe entgegen. § 19a Abs. 1 GWB ist eine Vorschrift des nationalen Wettbewerbsrechts, deren Anwendung neben dem DMA zulässig ist. Da sich die Feststellungsverfügung nicht auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft bezieht, verstößt sie auch nicht gegen das sich aus der Richtlinie 2000/31/EG (E-Commerce-Richtlinie) ergebende Verbot der Einschränkung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat. § 19a Abs. 1 GWB musste ferner bei der Europäischen Kommission nicht nach der Richtlinie (EU) 2015/1535 notifiziert werden, weil es sich nicht um eine allgemein gehaltene Vorschrift betreffend Dienste der Informationsgesellschaft im Sinn dieser Richtlinie handelt. Danach bestand kein Anlass, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten.

Das Bundeskartellamt hat gemäß § 19a Abs. 1 GWB zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten gemäß § 18 Abs. 3a GWB tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.

Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Store) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt - auch in Deutschland - Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.

Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotential durch die Vorschrift adressiert wird. § 19a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen. Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potentiale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von AWS. Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben. Die nunmehrige Geltung der Regelungen des DMA und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

§ 18 Marktbeherrschung

(1) Ein Unternehmen ist marktbeherrschend, soweit es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt

1. ohne Wettbewerber ist,

2. keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder

3. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat.

[ …]

(3a) Insbesondere bei mehrseitigen Märkten und Netzwerken sind bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens auch zu berücksichtigen:

1. direkte und indirekte Netzwerkeffekte,

2. die parallele Nutzung mehrerer Dienste und der Wechselaufwand für die Nutzer,

3. seine Größenvorteile im Zusammenhang mit Netzwerkeffekten,

4. sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten,

5. innovationsgetriebener Wettbewerbsdruck.

[…]

§ 19a Missbräuchliches Verhalten von Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb

(1) Das Bundeskartellamt kann durch Verfügung feststellen, dass einem Unternehmen, das in erheblichem Umfang auf Märkten im Sinne des § 18 Absatz 3a tätig ist, eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Bei der Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung eines Unternehmens für den Wettbewerb sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. seine marktbeherrschende Stellung auf einem oder mehreren Märkten,

2. seine Finanzkraft oder sein Zugang zu sonstigen Ressourcen,

3. seine vertikale Integration und seine Tätigkeit auf in sonstiger Weise miteinander verbundenen Märkten,

4. sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten,

5. die Bedeutung seiner Tätigkeit für den Zugang Dritter zu Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie sein damit verbundener Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter.

Die Verfügung nach Satz 1 ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft zu befristen.

(2) Das Bundeskartellamt kann im Falle einer Feststellung nach Absatz 1 dem Unternehmen untersagen,

1. beim Vermitteln des Zugangs zu Beschaffungs- und Absatzmärkten die eigenen Angebote gegenüber denen von Wettbewerbern bevorzugt zu behandeln, insbesondere

a) die eigenen Angebote bei der Darstellung zu bevorzugen;

b) ausschließlich eigene Angebote auf Geräten vorzuinstallieren oder in anderer Weise in Angebote des Unternehmens zu integrieren;

2. Maßnahmen zu ergreifen, die andere Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit auf Beschaffungs- oder Absatzmärkten behindern, wenn die Tätigkeit des Unternehmens für den Zugang zu diesen Märkten Bedeutung hat, insbesondere

a) Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer ausschließlichen Vorinstallation oder Integration von Angeboten des Unternehmens führen;

b) andere Unternehmen daran zu hindern oder es ihnen zu erschweren, ihre eigenen Angebote zu bewerben oder Abnehmer auch über andere als die von dem Unternehmen bereitgestellten oder vermittelten Zugänge zu erreichen;

3. Wettbewerber auf einem Markt, auf dem das Unternehmen seine Stellung, auch ohne marktbeherrschend zu sein, schnell ausbauen kann, unmittelbar oder mittelbar zu behindern, insbesondere

a) die Nutzung eines Angebots des Unternehmens mit einer dafür nicht erforderlichen automatischen Nutzung eines weiteren Angebots des Unternehmens zu verbinden, ohne dem Nutzer des Angebots ausreichende Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Umstands und der Art und Weise der Nutzung des anderen Angebots einzuräumen;

b) die Nutzung eines Angebots des Unternehmens von der Nutzung eines anderen Angebots des Unternehmens abhängig zu machen;

4. durch die Verarbeitung wettbewerbsrelevanter Daten, die das Unternehmen gesammelt hat, Marktzutrittsschranken zu errichten oder spürbar zu erhöhen, oder andere Unternehmen in sonstiger Weise zu behindern, oder Geschäftsbedingungen zu fordern, die eine solche Verarbeitung zulassen, insbesondere

a) die Nutzung von Diensten davon abhängig zu machen, dass Nutzer der Verarbeitung von Daten aus anderen Diensten des Unternehmens oder eines Drittanbieters zustimmen, ohne den Nutzern eine ausreichende Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Umstands, des Zwecks und der Art und Weise der Verarbeitung einzuräumen;

b) von anderen Unternehmen erhaltene wettbewerbsrelevante Daten zu anderen als für die Erbringung der eigenen Dienste gegenüber diesen Unternehmen erforderlichen Zwecken zu verarbeiten, ohne diesen Unternehmen eine ausreichende Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Umstands, des Zwecks und der Art und Weise der Verarbeitung einzuräumen;

5. die Interoperabilität von Produkten oder Leistungen oder die Portabilität von Daten zu verweigern oder zu erschweren und damit den Wettbewerb zu behindern;

6. andere Unternehmen unzureichend über den Umfang, die Qualität oder den Erfolg der erbrachten oder beauftragten Leistung zu informieren oder ihnen in anderer Weise eine Beurteilung des Wertes dieser Leistung zu erschweren;

7. für die Behandlung von Angeboten eines anderen Unternehmens Vorteile zu fordern, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung stehen, insbesondere

a) für deren Darstellung die Übertragung von Daten oder Rechten zu fordern, die dafür nicht zwingend erforderlich sind;

b) die Qualität der Darstellung dieser Angebote von der Übertragung von Daten oder Rechten abhängig zu machen, die hierzu in keinem angemessenen Verhältnis stehen. Dies gilt nicht, soweit die jeweilige Verhaltensweise sachlich gerechtfertigt ist. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt insoweit dem Unternehmen. § 32 Absatz 2 und 3, die §§ 32a und 32b gelten entsprechend. Die Verfügung nach Absatz 2 kann mit der Feststellung nach Absatz 1 verbunden werden.

[….]

§ 73 Zulässigkeit, Zuständigkeit

[…]

(5) Der Bundesgerichtshof entscheidet als Beschwerdegericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten gegen Verfügungen des Bundeskartellamts

1. nach § 19a, auch in Verbindung mit §§ 19, 20 und Artikel 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie § 32 Absatz 1, 2 und 3,

2. […],

jeweils einschließlich aller selbständig anfechtbaren Verfahrenshandlungen.

Verordnung (EU) 2022/1925 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2022 über bestreitbare und faire Märkte im digitalen Sektor und zur Änderung der Richtlinien (EU) 2019/1937 und (EU) 2020/1828 (Gesetz über digitale Märkte/Digital Markets Act)

Artikel 1 Gegenstand und Anwendungsbereich

[…]

(5) Um eine Fragmentierung des Binnenmarkts zu vermeiden, erlegen die Mitgliedstaaten Torwächtern keine weiteren Verpflichtungen im Wege von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auf, um bestreitbare und faire Märkte zu gewährleisten. Diese Verordnung hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Unternehmen – einschließlich solcher, die zentrale Plattformdienste bereitstellen – für Angelegenheiten, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, Verpflichtungen aufzuerlegen, sofern diese Verpflichtungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind und nicht darauf zurückzuführen sind, dass die betreffenden Unternehmen den Status eines Torwächters im Sinne dieser Verordnung haben.

(6) Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV. Sie lässt auch die Anwendung der folgenden Vorschriften unberührt:

a) […]

b) nationaler Wettbewerbsvorschriften, mit denen andere Formen einseitiger Verhaltensweisen verboten werden, soweit sie auf andere Unternehmen als Torwächter angewandt werden oder Torwächtern damit weitere Verpflichtungen auferlegt werden, […]

Artikel 3 Benennung von Torwächtern

(1) Ein Unternehmen wird als Torwächter benannt, wenn es

a) erheblichen Einfluss auf den Binnenmarkt hat,

b) einen zentralen Plattformdienst bereitstellt, der gewerblichen Nutzern als wichtiges Zugangstor zu Endnutzern dient, und

c) hinsichtlich seiner Tätigkeiten eine gefestigte und dauerhafte Position innehat oder absehbar ist, dass es eine solche Position in naher Zukunft erlangen wird.

(2) Es wird davon ausgegangen, dass ein Unternehmen die jeweiligen Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt, wenn es

a) in Bezug auf Absatz 1 Buchstabe a in jedem der vergangenen drei Geschäftsjahre in der Union einen Jahresumsatz von mindestens 7,5 Mrd. EUR erzielt hat oder wenn seine durchschnittliche Marktkapitalisierung oder sein entsprechender Marktwert im vergangenen Geschäftsjahr mindestens 75 Mrd. EUR betrug und es in mindestens drei Mitgliedstaaten denselben zentralen Plattformdienst bereitstellt;

b) in Bezug auf Absatz 1 Buchstabe b einen zentralen Plattformdienst bereitstellt, der im vergangenen Geschäftsjahr mindestens 45 Millionen in der Union niedergelassene oder aufhältige monatlich aktive Endnutzer und mindestens 10 000 in der Union niedergelassene jährlich aktive gewerbliche Nutzer hatte, wobei die Ermittlung und Berechnung gemäß der Methode und den Indikatoren im Anhang erfolgt;

c) in Bezug auf Absatz 1 Buchstabe c die unter Buchstabe b des vorliegenden Absatzes genannten Schwellenwerte in jedem der vergangenen drei Geschäftsjahre erreicht hat.

[...]

Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr")

Artikel 3 Binnenmarkt

(1) Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen.

(2) Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.

[...]

(4) Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft von Absatz 2 abweichen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a) Die Maßnahmen

i) sind aus einem der folgenden Gründe erforderlich:

- Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen,

- Schutz der öffentlichen Gesundheit,

- Schutz der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen,

- Schutz der Verbraucher, einschließlich des Schutzes von Anlegern;

ii) betreffen einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft, der die unter Ziffer i) genannten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt;

iii) stehen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen.

b) Der Mitgliedstaat hat vor Ergreifen der betreffenden Maßnahmen unbeschadet etwaiger Gerichtsverfahren, einschließlich Vorverfahren und Schritten im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung,

- den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, und dieser hat dem nicht Folge geleistet oder die von ihm getroffenen Maßnahmen sind unzulänglich;

- die Kommission und den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat über seine Absicht, derartige Maßnahmen zu ergreifen, unterrichtet.

[…]

Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft

Artikel 1

(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

[…]

e) "Vorschrift betreffend Dienste" eine allgemein gehaltene Vorschrift über den Zugang zu den Aktivitäten der unter Buchstabe b genannten Dienste und über deren Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, unter Ausschluss von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer definierten Dienste abzielen.

Im Sinne dieser Definition

i) gilt eine Vorschrift als speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abzielend, wenn sie nach ihrer Begründung und ihrem Wortlaut insgesamt oder in Form einzelner Bestimmungen ausdrücklich und gezielt auf die Regelung dieser Dienste abstellt;

ii) ist eine Vorschrift nicht als speziell auf die Dienste der Informationsgesellschaft abzielend zu betrachten, wenn sie sich lediglich indirekt oder im Sinne eines Nebeneffekts auf diese Dienste auswirkt;

f) "technische Vorschrift" technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder de facto für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie - vorbehaltlich der in Artikel 7 genannten Bestimmungen - die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden.

[…]

Artikel 5

(1) Vorbehaltlich des Artikels 7 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.

Gegebenenfalls - sofern dies noch nicht bei einer früheren Mitteilung geschehen ist - übermitteln die Mitgliedstaaten gleichzeitig den Wortlaut der hauptsächlich und unmittelbar betroffenen grundlegenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften an die Kommission, wenn deren Wortlaut für die Beurteilung der Tragweite des Entwurfs einer technischen Vorschrift notwendig ist.

[…] Die Kommission unterrichtet die anderen Mitgliedstaaten unverzüglich über den Entwurf einer technischen Vorschrift und alle ihr zugegangenen Dokumente; sie kann den Entwurf auch dem nach Artikel 2 dieser Richtlinie eingesetzten Ausschuss und gegebenenfalls dem jeweils zuständigen Ausschuss zur Stellungnahme vorlegen. […]

Artikel 6

(1) Die Mitgliedstaaten nehmen den Entwurf einer technischen Vorschrift nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Eingang der Mitteilung gemäß Artikel 5 Absatz 1 bei der Kommission an.

[...]


EU-Kommission: Geldbuße gegen Apple über 1,8 Mrd. Euro wegen Kartellrechtsverstoß durch App-Store-Vorschriften für Musikstreaming-Anbieter

Die EU-Kommission hat eine Geldbuße gegen Apple über 1,8 Mrd. Euro wegen Kartellrechtsverstößen durch die App-Store-Vorschriften für Musikstreaming-Anbieter verhängt.

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:
Kommission verhängt Geldbuße in Höhe von 1,8 Mrd. EUR gegen Apple wegen kartellrechtswidriger App-Store-Vorschriften für Musikstreaming-Anbieter

Die Europäische Kommission hat gegen Apple wegen Missbrauchs seiner beherrschenden Stellung auf dem Markt für den über seinen App Store laufenden Vertrieb von Musikstreaming-Apps an iPhone- und iPad-Nutzer („iOS-Nutzer“) eine Geldbuße in Höhe von über 1,8 Mrd. EUR verhängt. Insbesondere stellte die Kommission fest, dass Apple App-Entwickler Beschränkungen auferlegte, die sie daran hinderten, iOS-Nutzer über alternative und billigere Musikabonnements zu informieren, die außerhalb der App zur Verfügung stehen. Das verstößt gegen das EU-Kartellrecht.

Zuwiderhandlung

Apple ist derzeit der einzige Anbieter eines App Store, in dem Entwickler ihre Anwendungen an iOS-Nutzer im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vertreiben können. Apple kontrolliert alle Aspekte der iOS-Nutzererfahrung und legt die Geschäftsbedingungen fest, die Entwickler einhalten müssen, wenn sie im App Store präsent sein und iOS-Nutzer im EWR erreichen möchten.

Die Untersuchung der Kommission hat ergeben, dass Apple es Entwicklern von Musikstreaming-Apps untersagt, iOS-Nutzer umfassend über alternative, billigere Musikabonnements zu informieren, die außerhalb der App verfügbar sind, und Hinweise dazu zu geben, wie solche Angebote abonniert werden können. Die entsprechenden Bestimmungen verbieten den App-Entwicklern u. a. Folgendes:

- Information der iOS-Nutzer in den Apps der Entwickler über die Preise von Abonnements, die außerhalb der App im Internet verfügbar sind

- Information der iOS-Nutzer in den Apps der Entwickler über die Preisunterschiede zwischen In-App-Abonnements (die über den „In-App“-Kaufmechanismus von Apple abgeschlossen werden) und anderswo abgeschlossenen Abonnements

- Einbau von Links in ihre Apps, die iOS-Nutzer zur Website des jeweiligen App-Entwicklers führen, auf der alternative Abonnements angeboten werden. App-Entwickler konnten sich auch nicht an eigene, neu geworbene Nutzer wenden (z. B. per E-Mail), um sie nach Einrichtung des Nutzerkontos über Preisalternativen zu informieren.

Die Kommission befindet in ihrem heutigen Beschluss, dass die in Rede stehenden Bestimmungen von Apple unlautere Handelsbedingungen darstellen und gegen Artikel 102 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen. Die Bestimmungen sind weder notwendig noch angemessen, um die geschäftlichen Interessen von Apple in Bezug auf den App Store auf intelligenten mobilen Apple-Geräten zu schützen. Sie wirken sich nachteilig für die iOS-Nutzer aus, da sie fundierte und effiziente Entscheidungen darüber verhindern, wo und wie die Nutzer Musikstreaming-Abonnements für ihr Gerät erwerben wollen.

Wegen des Verhaltens von Apple, das fast zehn Jahre andauerte, könnten viele iOS-Nutzer erheblich höhere Preise für Musikstreaming-Abonnements gezahlt haben, denn Apple verlangte von den Entwicklern hohe Provisionen, die über höhere Abopreise für ein und denselben Dienst im App Store von Apple letztlich an die Verbraucher weitergegeben wurden. Die in Rede stehenden Bestimmungen von Apple haben durch Beeinträchtigung der Nutzererfahrung auch nicht-monetären Schaden verursacht: iOS-Nutzer mussten entweder eine aufwendige Suche auf sich nehmen, um zu einschlägigen Angeboten außerhalb der App zu gelangen, oder sie haben nie ein Abo abgeschlossen, da sie ohne Hinweise nicht das richtige finden konnten.



BGH: Bundeskartellamt darf im Kartellverfahren gegen Google bestimmte von Google als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse klassifizierte Informationen an Verfahrensbeteilige weiterleiten

BGH
Beschluss vom 20.02.2024
KVB 69/23

Der BGH hat entschieden, dass das Bundeskartellamt im Kartellverfahren gegen Google / Alphabet bestimmte von Google als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse klassifizierte Informationen an andere Verfahrensbeteilige weiterleiten darf.

Die Pressemitteilung des BGH:
Google (Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bei Beteiligung von Wettbewerbern durch das
Bundeskartellamt)

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat gestern darüber entschieden, ob das Bundeskartellamt in einem Kartellverwaltungsverfahren bestimmte vertrauliche Informationen, die Google als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ansieht, gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten offenlegen darf.

Sachverhalt:

Das Bundeskartellamt versandte im Juni 2023 eine vorläufige rechtliche Einschätzung an Alphabet Inc., Mountain View, USA, und Google Germany GmbH, Hamburg, zu Googles Praktiken im Zusammenhang mit den Google Automotive Services (GAS). Das Bundeskartellamt beabsichtigt, Google unter Anwendung der neuen Vorschriften für Digitalkonzerne (§ 19a GWB), verschiedene wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen zu untersagen.

Die GAS sind ein Produktbündel, das Google Fahrzeugherstellern zur Lizenzierung anbietet. Es umfasst den Kartendienst Google Maps, eine Version des App-Stores Google Play und den Sprachassistenten Google Assistant. Google bietet Fahrzeugherstellern die Dienste grundsätzlich nur als Bündel an und macht nach Auffassung des Bundeskartellamts weitere Vorgaben für die Präsentation dieser Dienste im Infotainmentsystem des jeweiligen Fahrzeugherstellers, damit diese bevorzugt genutzt werden. Nach vorläufiger Einschätzung des Bundeskartellamtes erfüllt Googles Verhalten die Voraussetzungen mehrerer Tatbestände des § 19a Abs. 2 GWB, auf dessen Grundlage Unternehmen mit marktübergreifender Bedeutung gem. § 19a Abs. 1 GWB verpflichtet werden können, die jeweiligen Praktiken zu beenden, sofern sie nicht sachlich gerechtfertigt sind.

Das Bundeskartellamt beabsichtigt, seine vorläufige Einschätzung zu Googles Praktiken gegenüber zwei am Verfahren beteiligten Wettbewerbern Googles in teilgeschwärzter Fassung offenzulegen, damit diese zu den wettbewerblichen Bedenken Stellung nehmen können. Google beanstandet die Schwärzungen als unzureichend, weil damit Wettbewerber Kenntnis von Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Googles erhalten würden.

Bisheriger Prozessverlauf:

Google hat gegen die Offenlegung bestimmter im Einzelnen bezeichneter Textpassagen Beschwerde beim Bundeskartellamt eingelegt. Dieses hat die Beschwerde, nachdem es ihr nicht abgeholfen hat, dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung gemäß § 73 Abs. 5 GWB vorgelegt. Das Bundeskartellamt und Google haben sich hinsichtlich einiger Textpassagen bereits vor der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof und hinsichtlich weiterer, aber nicht aller in Streit stehender Textpassagen in der mündlichen Verhandlung geeinigt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat der Beschwerde hinsichtlich eines einzelnen aus internen Unterlagen Googles stammenden wörtlichen Zitats stattgegeben und sie im Übrigen zurückgewiesen. Die Zurückweisung betrifft insbesondere neben Bewertungen der Strategie Googles durch das Bundeskartellamt auch die wörtliche Wiedergabe einzelner Klauseln aus Verträgen Googles mit Fahrzeugherstellern. Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

Der Bundesgerichtshof ist für die vorbeugende Unterlassungsbeschwerde gegen die Offenlegung der geltend gemachten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als selbständig anfechtbarer Verfahrenshandlung gemäß § 73 Abs. 5 GWB erst- und letztinstanzlich zuständig.

Die Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gegenüber am Verfahren beteiligten Wettbewerbern zu Ermittlungszwecken sowie zur Wahrung ihrer Verfahrensrechte kommt in Betracht, wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wird. Die Offenlegung gegenüber den Wettbewerbern muss zur Sachaufklärung geeignet, erforderlich und angemessen sein. Angemessen ist sie, wenn bei der vorzunehmenden Interessenabwägung das Sachaufklärungsinteresse des Bundeskartellamts das Interesse an der Wahrung der grundrechtlich geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse überwiegt. Dabei ist zunächst zu ermitteln, welches Gewicht den konkreten Nachteilen, die durch die Offenlegung drohen, und dem Sachaufklärungsinteresse jeweils zukommt. Zu berücksichtigen ist ferner das Interesse des Bundeskartellamts und der am Verfahren beteiligten Wettbewerber an der Wahrung des rechtlichen Gehörs.

Bei den noch in Streit stehenden Textpassagen handelte es sich – mit der oben genannten Ausnahme - entweder bereits nicht um Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse Googles, oder das Sachaufklärungsinteresse des Bundeskartellamts überwog das Geheimhaltungsinteresse Googles.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 19a GWB

(1) Das Bundeskartellamt kann durch Verfügung feststellen, dass einem Unternehmen, das in erheblichem Umfang auf Märkten im Sinne des § 18 Absatz 3a (Mehrseitigen Märkten und Netzwerken) tätig ist, eine überragende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. …

(2) Das Bundeskartellamt kann im Falle einer Feststellung nach Absatz 1 dem Unternehmen untersagen,

1. beim Vermitteln des Zugangs zu Beschaffungs- und Absatzmärkten die eigenen Angebote gegenüber denen von Wettbewerbern bevorzugt zu behandeln, insbesondere

a) die eigenen Angebote bei der Darstellung zu bevorzugen;

b) ausschließlich eigene Angebote auf Geräten vorzuinstallieren oder in anderer Weise in Angebote des Unternehmens zu integrieren;

2. Maßnahmen zu ergreifen, die andere Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit auf Beschaffungs- oder Absatzmärkten behindern, wenn die Tätigkeit des Unternehmens für den Zugang zu diesen Märkten Bedeutung hat, insbesondere

a) Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer ausschließlichen Vorinstallation oder Integration von Angeboten des Unternehmens führen;



5. die Interoperabilität von Produkten oder Leistungen oder die Portabilität von Daten zu verweigern oder zu erschweren und damit den Wettbewerb zu behindern;



Dies gilt nicht, soweit die jeweilige Verhaltensweise sachlich gerechtfertigt ist. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt insoweit dem Unternehmen. …

§ 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB

(1) …

(2) An dem Verfahren vor der Kartellbehörde ist oder sind beteiligt:



3. Personen und Personenvereinigungen, deren Interessen durch die Entscheidung erheblich berührt werden und die die Kartellbehörde auf ihren Antrag zu dem Verfahren beigeladen hat; …

§ 56 GWB

(1)Die Kartellbehörde hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Über die Form der Anhörung entscheidet die Kartellbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. …



(4) Die Behörde hat die Einsicht in die Unterlagen zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Behörde sowie zur Wahrung des Geheimschutzes oder von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen oder sonstigen schutzwürdigen Interessen des Betroffenen, geboten ist. In Entwürfe zu Entscheidungen, die Arbeiten zu ihrer Vorbereitung und die Dokumente, die Abstimmungen betreffen, wird Akteneinsicht nicht gewährt.

§ 57 Abs. 1 GWB

(1) Die Kartellbehörde kann alle Ermittlungen führen und alle Beweise erheben, die erforderlich sind.

§ 73 Abs. 5 GWB

(5) Der Bundesgerichtshof entscheidet als Beschwerdegericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten gegen Verfügungen des Bundeskartellamts

1. nach § 19a, auch in Verbindung mit §§ 19, 20 und Artikel 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie § 32 Absatz 1, 2 und 3,

2. nach den §§ 32a und 32b, soweit diese Vorschriften auf Sachverhalte im Sinne des § 19a angewendet werden,

jeweils einschließlich aller selbständig anfechtbaren Verfahrenshandlungen.



Bundeskartellamt: Aufgrund veränderter Marktbedingungen keine No-Single-Buyer-Rule mehr bei Rechtevergabe für Spiele der Fußball-Bundesliga und der 2. Bundesliga durch die DFL

Das Bundeskartellamt kommt nach vorläufiger Prüfung zu dem Ergebnis, dass aufgrund veränderter Marktbedingungen keine No-Single-Buyer-Rule mehr bei der Rechtevergabe für die Spiele der Fußball-Bundesliga und der 2. Bundesliga durch die DFL ab der Saison 2025/26 erforderlich ist.

Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:
Bundeskartellamt billigt im vorläufigen Prüfungsergebnis Vermarktungsmodell der DFL für die Spiele der Bundesliga und der 2. Bundesliga ab der Saison 2025/26

Das Bundeskartellamt hat die Prüfung des Vermarktungsmodells weitgehend abgeschlossen, das die Deutsche Fußball Liga (DFL) für die Vergabe der Medienrechte an den Spielen der Bundesliga und der 2. Bundesliga ab der Saison 2025/26 umsetzen möchte. Die am Verfahren beteiligten Unternehmen erhalten nun die Gelegenheit zu der vorläufigen Bewertung des Bundeskartellamtes Stellung zu nehmen. Nach seiner vorläufigen Auffassung kann das Bundeskartellamt die Umsetzung des Modells in der ihm vorgelegten Form tolerieren und hat dies der DFL mitgeteilt.

Highlight-Berichterstattung

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Für die anstehende Vergabe der Medienrechte war uns wichtig, dass für die Zuschauerinnen und Zuschauer auch in Zukunft eine zeitnahe, frei empfangbare Highlight-Berichterstattung verfügbar ist. Diese Berichterstattung sorgt dafür, dass Fußballinteressierte, die für Live-Übertragungen nicht zahlen wollen oder können, trotzdem das Ligageschehen verfolgen können. Dabei haben wir auch darauf geachtet, dass die Highlights über die wesentlichen TV-Verbreitungswege verfügbar bleiben und nicht allein auf das Internet beschränkt werden. Damit ist sichergestellt, dass alle Bevölkerungsgruppen Zugang zu dieser Berichterstattung über die Höhepunkte des Spieltags haben.“

Nach dem von der DFL für die Spielzeiten 2025/26 bis 2028/29 vorgeschlagenen Vermarktungsmodell sollen die Pay-Live-Übertragungsrechte für die Spiele der Bundesliga im Rahmen einer Auktion in vier Paketen vergeben werden. Die Pakete sind (1.) Konferenz Samstagnachmittag, (2.) Einzelspiele am Samstagnachmittag sowie am Freitag, (3.) Top-Spiel am Samstagabend und (4.) Einzelspiele Sonntag. Diese Pakete umfassen jeweils alle Übertragungswege, d.h. Satellit, Kabel und Internet. Für sämtliche Bundesligaspiele sind zudem gesonderte Pakete für die zeitnahe Highlight-Berichterstattung im frei-empfangbaren Fernsehen vorgesehen. Die Highlights für die Spiele am Samstag um 15.30 Uhr sind dabei – je nach Ausgang der Vergabe – entweder für eine Verbreitung ab 18.30 Uhr oder ab 19.15 Uhr vorgesehen. Sollte die spätere Uhrzeit den Zuschlag bekommen, hätte der Rechteerwerber zusätzlich die Möglichkeit, seine Highlight-Sendung ab Sendungsende über eine eigene Online-Mediathek zu verbreiten.

No-single-buyer rule

Das Vergabemodell sieht nach den Planungen der DFL anders als in den beiden vergangenen Vergabeperioden kein Alleinerwerbsverbot mehr vor. Es ist also möglich, dass ein Anbieter die Live-Rechte an allen Spielen der Bundesliga exklusiv erwerben darf. Das Bundeskartellamt kann diese Änderung mit Blick auf die geänderten Marktverhältnisse im Bereich der Live-Übertragungen für den Zeitraum der anstehenden Vergabeperiode tolerieren.

Andreas Mundt: „Wir sehen in den letzten Jahren durch die Aktivitäten von Unternehmen wie DAZN, RTL und auch Amazon deutlich mehr Bewegung auf dem Markt für Live-Fußballübertragungen. Insbesondere machen sämtliche Anbieter nun auch attraktive und innovative internetbasierte Übertragungsangebote. Gerade der Wettbewerb um Innovation bei der Verbreitung der Inhalte war ein wichtiges Ziel der No-Single-Buyer-Rule. Damit ist es uns möglich, dem Vorschlag der DFL zu entsprechen, bei der aktuellen Vergabe auf die generelle Vorgabe zu verzichten, dass kein Unternehmen die Live-Rechte an Bundesligaspielen allein erwerben darf.“

Das Bundeskartellamt hat auch darauf Wert gelegt, dass die konkrete Ausgestaltung, der Ablauf und die Zuschlagsregeln der Auktion wichtige wettbewerbliche Elemente enthalten. Insbesondere ist sichergestellt, dass verschiedene und auch weniger finanzkräftige Interessenten eine Chance auf einen Rechteerwerb haben. Ein Erwerb der Live-Bundesligarechte durch mehrere Erwerber bleibt damit grundsätzlich möglich, auch wenn er nicht mehr vorgeschrieben ist.

Hintergrund

Die zentrale Vermarktung der Medienrechte an den einzelnen Bundesligaspielen durch die DFL stellt eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung dar. Nach deutschem und europäischem Kartellrecht kann eine solche Vereinbarung aber vom Kartellverbot freigestellt werden, wenn mit ihr bestimmte Vorteile einhergehen, für welche die Wettbewerbschränkung unerlässlich ist. In der bisherigen kartellbehördlichen Praxis in Deutschland – wie auch in Bezug auf andere nationalen Ligen und auf internationaler Ebene – ist anerkannt, dass die Zentralvermarktung durch einen Verband Vorteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher mit sich bringen kann und deshalb unter bestimmten Voraussetzungen kartellrechtlich akzeptiert werden kann. Ein Vorteil ist z.B. die Ermöglichung von qualitativ hochwertigen ligabezogenen Produkten. Das Bundeskartellamt stellt deshalb an die Vergabe der Rechte bestimmte wettbewerbliche Mindestanforderungen.

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil im Verfahren Super League (C-333/21) zuletzt auch zu Fragen der Zentralvermarktung von Fußballrechten Stellung genommen. Da das Urteil sehr spät im Verfahren erging, war eine umfassende und angemessen gründliche Berücksichtigung der dort aufgeworfenen Aspekte nicht mehr möglich. Es ist offen, ob das Urteil für die Zukunft eine Änderung der Praxis des Bundeskartellamtes bei der Bewertung der Zentralvermarktung erfordert. Für die Tolerierung der unmittelbar anstehenden Rechtevergabe war wichtig, dass sie für einen zeitlich begrenzten Zeitraum erfolgt, nach dem ggf. eine Neubewertung der Rechtslage möglich ist.

Das Schreiben des Bundeskartellamtes an die DFL sowie das geprüfte Vermarktungsmodell werden nach Abschluss des Verfahrens zeitnah auf der Webseite des Bundeskartellamtes veröffentlicht.