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OLG Hamburg: Erteilung von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel über das Internet ohne vorherigen persönlichen Kontakt von Arzt und Patient unzulässig

OLG Hamburg
Beschluss vom 15.08.2023
5 U 93/22


Das OLG Hamburg hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass die Erteilung von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel über das Internet ohne vorherigen persönlichen Kontakt von Arzt und Patient unzulässig ist.

Aus dem Hinweisbeschluss:
Im Streitfall besteht - wie vom Landgericht zu Recht angenommen - der antragsgegenständliche Unterlassungsanspruch aus §§ 8, 3a UWG i.V.m. § 7 Abs. 3 der Berufsordnung für Ärzte in Hamburg.

aa. Die antragsgegenständliche Erteilung von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel durch Ärzte, die den Patienten zuvor nicht behandelt haben, verstößt - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - gegen ärztliche Berufspflichten, wie sie in § 7 Abs. 3 der Berufsordnung der Ärzte in Hamburg niedergelegt sind. Nach § 7 Abs. 3 der Berufsordnung der Ärzte in Hamburg beraten und behandeln Ärztinnen und Ärzte Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird. Danach verstößt die hier gegenständliche Erteilung eines „Folgerezeptes“ für das verschreibungspflichtige Medikament „C.“ gegen die ärztliche Sorgfalt, weil nicht sichergestellt ist, dass der Zweck der Verschreibungspflicht gewahrt wird. Insoweit kann bei einem Folgerezept zwar auch eine telefonische Rezeptanforderung ausreichen. Jedoch ist es hierbei notwendig, dass der das Rezept ausstellende Arzt den Patienten bereits zuvor behandelt hat und daher über seinen Gesundheitszustand und die Notwendigkeit der Verordnung dieses Arzneimittels orientiert ist. Der Arzt muss auch bei Folgeverordnungen in gewissen Abständen bestimmte Untersuchungen des Patienten veranlassen, wie etwa beim antragsgegenständlichen Medikament „C.“ Blutdruckmessungen. Gegen diese zutreffenden landgerichtlichen Wertungen bringt die Berufung der Beklagten spezifiziert nichts vor.

bb. Es liegt eine Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG vor, da sich in der vorgenannten Konstellation der Arzt nicht allein von medizinischen Erwägungen mit Blick auf das Patientenwohl, sondern von sachfremden wirtschaftlichen Eigeninteressen leiten lässt. Regelungen, die dieser Gefahr vorbeugen, sind Marktverhaltensregelungen im Interesse der Verbraucher (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 3a Rn. 1.132 m.w.N.)

cc. Soweit die Beklagte mit ihrer Berufung geltend macht, sie könne nicht gegen ärztliche Berufspflichten verstoßen, weil sie den Arztberuf nicht ausübe und lediglich eine Softwareplattform betreibe, so steht dies ihrer Passivlegitimation nicht entgegen. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte im Hinblick auf den wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch unmittelbar verantwortlich ist, indem sie in Kenntnis des Sachverhalts das antragsgegenständliche Geschäftsmodell über ihre Internetpräsenz angeboten und verbreitet hat. Auch wer selbst nicht Normadressat ist, aber gesetzesunterworfene Dritte dazu anstiftet oder sie dabei unterstützt, gegen Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 3a UWG zu verstoßen, um damit den Absatz seines eigenen Unternehmens zu fördern (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG), handelt unlauter i.S.v. § 3a UWG (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 3a Rn. 1.50 m.w.N.). Insoweit ist Vorsatz erforderlich (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 3a Rn. 1.50 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Beklagten ist zumindest bedingter Vorsatz anzulasten.

d. Entgegen dem Einwand der Berufung liegt in der antragsgegenständlichen Konstellation auch ein Verstoß gegen das Werbeverbot für Fernbehandlungen nach § 9 HWG vor und es besteht ein Unterlassungsanspruch gem. §§ 8, 3a UWG, 9 HWG.

aa. Die Regelung des § 9 HWG ist dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln i.S.v. § 3a UWG (Senat GRUR-RS 2020, 37127 Rn. 34 - Online-Erkältungsdiagnose; BGH GRUR 2022, 399 Rn. 20 – Werbung für Fernbehandlung).

bb. Nach § 9 Satz 1 HWG ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden unzulässig, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung). Gem. § 9 Satz 2 HWG ist Satz 1 nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

Dass die Ausstellung des Folgerezepts in der antragsgegenständlichen Konstellation eine Fernbehandlung i.S.v. § 9 Satz 1 HWG darstellt, nimmt auch die Beklagte nicht in Abrede. Eine persönliche Wahrnehmung des Patienten durch den behandelnden Arzt erfolgt nicht, weil eine solche nur dann vorliegt, wenn die bei gleichzeitiger physischer Präsenz von Arzt und Patient in einem Raum möglichen ärztlichen Untersuchungsmethoden angewandt werden können (vgl. BGH GRUR 2022, 399 Rn. 29 – Werbung für Fernbehandlung). Dies ist unstreitig vorliegend nicht der Fall.

cc. Entgegen der Ansicht der Beklagten greift im Streitfall der Ausnahmetatbestand von § 9 Satz 2 HWG nicht ein.

Dass in der antragsgegenständlichen Konstellation die Ausstellung eines Folgerezepts für „C.“ dem allgemeinen fachlichen Standard i.S.v. § 630a BGB entspricht, hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte auch im Berufungsverfahren schon nicht dargetan (vgl. zur Beweislast: BGH GRUR 2022, 399 Rn. 65 - Werbung für Fernbehandlung; OLG Köln GRUR 2022, 1353 Rn. 41ff.).

Soweit die Beklagte geltend macht, sie habe das Mittel „C.“ aus dem Programm genommen, so führt diese Änderung der tatsächlichen Verhältnisse entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zu einem Wegfall der Wiederholungsgefahr. Zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr genügen weder der bloße Wegfall der Störung noch die Zusage des Verletzers, von Wiederholungen künftig Abstand zu nehmen (Bornkamm in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 8 Rn. 1.49). Die Wiederholungsgefahr wird auch nicht dadurch beseitigt, dass der Gläubiger - wie hier - bereits eine gleichlautende einstweilige Verfügung erwirkt hat, solange der Schuldner nicht eine durch Vertragsstrafe gesicherte Unterlassungserklärung oder eine Abschlusserklärung abgegeben hat (Bornkamm in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 8 Rn. 1.49). Generell gilt, dass eine nur tatsächliche Veränderung der Verhältnisse die Wiederholungsgefahr nicht berührt, solange nicht auch jede Wahrscheinlichkeit für eine Aufnahme des unzulässigen Verhaltens durch den Verletzer beseitigt ist (Bornkamm in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 8 Rn. 1.51). Demgemäß ist der Umstand, dass die Beklagte - wie sie unwidersprochen behauptet - inzwischen „C.“ aus dem Programm genommen habe, nicht relevant, da die Beklagte einen entsprechenden Rezept-Service - wie das Landgericht zu Recht angenommen hat - jederzeit wieder anbieten könnte. Antragsgegenständlich ist das verschreibungspflichtige Medikament „C.“, so dass die Beklagte insoweit ein Handeln nach „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ darlegen und beweisen muss, woran es fehlt. Die Ausführungen der Berufung zu „Alltagskrankheiten“ sind für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Relevanz.

e. Offenbleiben kann, ob nach dem Vorgenannten auch ein Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt i.S.v. § 3 Abs. 2 UWG vorliegt und sich auch aus diesem Gesichtspunkt ein klägerischer Unterlassungsanspruch ergibt.

Nach § 3 Abs. 2 UWG sind geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen. Im Hinblick auf den vorliegenden Streitgegenstand liegt - wie ausgeführt - sowohl ein Verstoß gegen ärztliche Berufspflichten als auch gegen § 9 HWG vor. Von der Beklagten als Unternehmerin wird i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG erwartet, dass sie einen bestimmten „Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt“ in ihrem „Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern“ einhält (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 3 Rn. 3.21). Bezogen auf den hiesigen Streitgegenstand hat die Beklagte der ihr obliegenden unternehmerischen Sorgfalt nicht genügt.

f. Soweit die Beklagte einwendet, sie treffe keine Verantwortung (mehr), weil sie die streitgegenständlichen Internetseiten bereits im Dezember 2021 auf eine pakistanische Firma übertragen habe, so bleibt auch dieser Einwand ohne Erfolg. Es handelt sich um eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die nicht zu einem Wegfall der durch den Verstoß im November 2021 gegenüber der Beklagten begründeten Wiederholungsgefahr führt. Denn es ist nicht auch jede Wahrscheinlichkeit für eine (Wieder-)Aufnahme des unzulässigen Verhaltens durch die Beklagte beseitigt worden. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beklagte den gegenständlichen Rezept-Service in Zukunft wiederaufnehmen wird. Vielmehr muss jede Wahrscheinlichkeit für eine Aufnahme des unzulässigen Verhaltens durch den Verletzer beseitigt worden sein (Bornkamm in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 8 Rn. 1.51). Dies lässt sich vorliegend - ohne Abgabe einer hinreichend strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung bzw. ohne Abgabe einer Abschlusserklärung - nicht feststellen. Demnach fehlt es auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis des Klägers.

g. Der Abmahnkostenerstattungsanspruch ergibt sich - wie das Landgericht zu Recht angenommen hat - aus § 13 Abs. 3 UWG und der darauf bezogene Zinsanspruch aus §§ 286, 288, 291 BGB. Hiergegen bringt die Berufung der Beklagten auch spezifiziert nichts vor.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Augsburg: Keine unzulässige Werbung per E-Mail durch Angabe von URLs der Social-Media-Accounts und Unternehmenswebsite des Absenders in E-Mail-Signatur

LG Augsburg
Hinweisbeschluss vom 18.10.2023
044 S 2196/23


Das LG Augsburg führt in einem Hinweisbeschluss aus, dass die Angabe der URLs der Social-Media-Accounts und der Unternehmenswebsite des Absenders in der E-Mail-Signatur keine unzulässige Werbung per E-Mail darstellt. Damit bestätigt das LG Augsburg die Einschätzung der Vorinstanz.

Aus dem Beschluss:
Das Urteil des Amtsgerichts weist weder Rechtsfehler im Sinne des § 546 ZPO auf noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Feststellungen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).

Hierbei kann im Ergebnis offen bleiben, ob es sich bei den bloßen Links auf Social-Media-Auftritte der Beklagten in der streitgegenständlichen Auto-Reply-Email vom 12.12.2022 überhaupt um Werbung im Sinne des Art. 2 Buchst. a der RL 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 handelt.

Denn jedenfalls fehlt es an der Rechtswidrigkeit eines etwaigen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Klägers bzw. in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Das Einblenden eines bloßen Links auf Social-Media-Präsenzen stellt sich nicht als rechtswidrig dar. Dem Amtsgericht ist beizupflichten, dass insoweit zu berücksichtigen ist, dass es sich um eine E-Mail im Rahmen einer vom Kläger initiierten Kommunikation gehandelt hat und die Nachricht informativen Charakter hatte, da dem Kläger die Abwesenheit des von ihm kontaktierten Mitarbeiters mitgeteilt worden ist. Auch stellt die bloße Verlinkung auf Social-Media-Auftritte der Beklagten, wenn man sie überhaupt als Werbung ansieht, keine konkrete Beeinträchtigung für den Kläger dar. Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall zur Auto-Reply-Werbung (BGH BeckRS 2016, 2711) wird hier nicht für konkrete Produkte geworben, sondern nur ein Link eingeblendet, welcher für sich genommen keinen konkreten inhaltlichen Informationsgehalt hat. Daher musste sich der Kläger bei Lesen der E-Mail, anders als dies in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall gewesen ist, nicht gedanklich mit konkreten Angeboten der Beklagten auseinandersetzen. Wie das Amtsgericht vollkommen zutreffend ausgeführt hat, konnte der Kläger die Links einfach ignorieren. Ein zeitlicher Aufwand durch die Einblendung der Links entsteht für den Leser einer solchen Nachricht nicht. Links können bei Interesse angeklickt oder einfach nicht weiter beachtet werden. Eine gedankliche Auseinandersetzung mit einer derartigen Verlinkung erfolgt anders als bei konkreten Hinweisen auf bestimmte Servicedienstleistungen oder eine App, wie in dem vom BGH entschiedenen Fall, gerade nicht. Derartige Links sind mittlerweile als Teil der Signatur üblich, sodass für den Leser keinerlei Aufwand entsteht, um diese vom informatorischen Teil der Email zu trennen.

Die von der Klagepartei zitierte Rechtsprechung zu einer Kundenzufriedenheitsanfrage (BGH, Urteil vom 10.07.2018 – VI ZR 255/17) ist mit dem vorliegenden Fall schon deshalb nicht vergleichbar, da dort bereits die Nachricht als solche als Beeinträchtigung angesehen wurde.


Den Volltext des Hinweisbeschlusses finden Sie hier:

LG Berlin: Wettbewerbsverstoß durch Verkauf pfandpflichtiger Kunststoffflaschen ohne Pfand - § 31 Abs.1 Satz 1 VerpackG ist eine Marktverhaltensregel

LG Berlin
Urteil vom 27.04.2023
91 O 85/22


Das LG Berlin hat entschieden, dass der Verkauf pfandpflichtiger Kunststoffflaschen ohne Pfand gegen die Marktverhaltensregel § 31 Abs.1 Satz 1 VerpackG verstößt und somit wettbewerbswidrig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Beklagte hat mit dem Angebot pfandpflichtiger Kunststoffflaschen ohne Pfanderhebung gegen die Vorschrift des § 31 Abs.1 Satz 1 VerpackG verstoßen. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beklagte die im Antrag zu eins genannten Getränke mit jeweils 500 ml angeboten hat, ohne dass vorgeschriebene Pfand von mindestens 0,25 € brutto zu erheben. Sie können sich dabei auch entgegen ihrer Auffassung nicht auf die Übergangsvorschrift des § 38 Abs. 7 VerpackG berufen. Nach der genannten Vorschrift dürfen zwar Einwegkunststoffgetränkeflaschen, die ab dem 1. Januar 2022 erstmals der Pfandpflicht für Einweggetränkeverpackungen unterliegen und bereits vor dem 1. Januar 2022 vom Hersteller in den Verkehr gebracht wurden, bis zum 1. Juli 2022 von jedem weiteren Vertreiber auf allen Handelstagen bis an den Endverbraucher abgegeben werden, ohne dass das Pfand erhoben werden muss. Hierauf kann die Beklagte sich aber schon deswegen nicht berufen, weil sie die Herstellerin der genannten Produkte in den Einweggetränkeverpackungen ist und damit selbst die Produkte das erste Mal in den Verkehr bringt, so dass alle Produkte, die sie nach dem 1.Januar 2022 in den Verkehr bringt, worunter auch die streitgegenständlichen Produkte fallen, selbstverständlich der Pfandpflicht unterliegen. Hersteller im Sinne des Verpackungsgesetzes ist entsprechend der Legaldefinition in § 3 Abs. 14 VerpackG derjenige Vertreiber, der Verpackungen erstmals gewerbsmäßig in den Verkehr bringt. Das ist die Beklagte, die auf den streitgegenständlichen Produkten unstreitig als Herstellerin im Sinne des Art.8 Abs.1 LMIV als Lebensmittelverantwortlicher angegeben ist. Soweit die Beklagte behauptet hat, dass Hersteller im Sinne des VerpackG die produzierende Firma xxxxxxx. sei, so steht dem bereits § 3 Abs.9 Satz 2 VerpackG entgegen. Nach der genannten Vorschrift ist die Abgabe von im Auftrag eines Dritten befüllten Verpackungen an diesen Dritten, wenn die Verpackung ausschließlich mit dem Namen und der Marke des Dritten oder beidem gekennzeichnet ist, gerade kein Inverkehrbringen im Sinne des Verpackungsgesetzes. Ebenso bringt nicht der von der Beklagten beauftragte Logistikdienstleister die Produkte in den Verkehr, sondern die Beklagte. Schließlich handelt es sich bei der genannten Vorschrift des Verpackungsgesetzes auch um eine Marktverhaltensregel im Sinne des Paragrafen 3a UWG. Die Pfandvorschriften des Verpackungsgesetzes sind gesetzliche Vorschriften, die im Sinne von § 3a UWG auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Die Pfanderhebungspflicht für Einweggetränkeverpackungen gemäß § 31 VerpackG wirkt sich deutlich auf das Verhalten der Hersteller und Vertreiber auf dem Absatzmarkt aus (OLG Köln vom 19.Oktober 2012 zu 6 U 103/12 noch zur Verpackungsverordnung) und hat daher entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur reflexhafte Auswirkungen auf den Markt. Wer kein Pfand erhebt, verschafft sich erhebliche Wettbewerbsvorteile nicht nur wegen des deutlich günstigeren Preises, sondern auch wegen des ersparten Aufwandes auf Kosten der Umwelt.

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OLG Schleswig-Holstein: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Bewerbung eines Motoröls mit "O.E.M." wenn es sich nicht um ein Erstausrüsterprodukt handelt

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 14.09.2023
6 U 49/22


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Bewerbung eines Motoröls mit "O.E.M." vorliegt, wenn es sich nicht um ein Erstausrüsterprodukt handelt.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die im vorliegenden Fall beanstandete Verwendung der Buchstabenfolge O.E.M. ist als geschäftliche Handlung gem. § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG unlauter, da sie irreführend ist.

Die angesprochenen Verkehrskreise verstehen die Buchstabenfolge als Abkürzung für die englische Bezeichnung original equipment manufacturer, mithin als Behauptung, das Produkt werde als Erstausrüsterprodukt von einem Fahrzeug- oder Getriebehersteller verwendet.

a) Das Landgericht hat zutreffend herausgearbeitet, dass die Behauptung der Beklagten, sie verwende die Bezeichnung lediglich als Teil ihres Firmennamens, nicht überzeugt und zudem nicht der Verwendung auf der beanstandeten Produktverpackung entspricht. Ebenso sind keine Gründe ersichtlich, die angesprochenen Verkehrskreise würden die Bezeichnung anders als die Behauptung verstehen, es handele sich um ein Erstausrüsterprodukt. Die Bezeichnung ist nicht nur in der IT-Branche, sondern unstreitig auch seit langem im Bereich von Kfz-Teilen und Betriebsmitteln üblich.

b) Am Verständnis der Buchstabenfolge ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass sie durch Punkte getrennt ist, was bei englischsprachigen Abkürzungen unüblich ist. Insbesondere hat die Beklagte nicht darlegen können und es ist nicht ersichtlich, zu welchem anderen Verständnis die Verwendung der Punkte führen sollte.

c) Beizupflichten ist dem Landgericht auch insoweit, als es überzeugend dargelegt hat, dass die hier zu betrachtende Werbung nicht den Eindruck erweckt, es werde lediglich mit einer Qualität geworben, die der eines Erstausrüsterproduktes entspreche. Dies liegt jedenfalls fern, soweit die Buchstabenfolge ohne jeglichen Zusatz hervorgehoben im Blickfang dargestellt wird. Einen Hinweis auf eine Einschränkung oder nachfolgende Erläuterung enthält der Blickfang nicht (vgl. hierzu Bornkamm/Feddersen in Köhler u.a., UWG, 41. Aufl., § 5 Rn. 1.87; BGH GRUR 1999, 264 - Handy für 0,00 €).

Die auf der Produktverpackung ebenfalls zu findende Angabe „O.E.M. Quality“ in deutlich kleinerer Schrift im Verbund mit anderen Angaben ist so gestaltet, dass sie nicht am Blickfang teilhat, vielmehr übersehen wird und nicht zur Erläuterung der groß herausgehobenen Buchstabenfolge dient.

d) Unerheblich ist auch, dass kein Hersteller angegeben wird, für den ggf. eine Erstausrüstung behauptet würde. Dies ist einerseits für das Verständnis der Angabe unerheblich, da hierdurch auch der Eindruck vermittelt werden kann, es seien viele Hersteller, die das entsprechende Produkt verwenden. Zudem wird, wie das Landgericht herausgestellt hat, ein bestimmtes Getriebe des Herstellers Mercedes-Benz im Zusammenhang mit dem Begriff benannt (O.E.M. for 9G-Tronic 8221), so dass eindeutig der Zusammenhang mit zumindest einem spezifischen Getriebe hergestellt wird, für das der Eindruck erweckt wird, das Öl der Beklagten werde als Erstausrüsterbefüllung verwendet.

e) Die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen sind unproblematisch gegeben, insbesondere ist die Angabe, die den Eindruck einer besonderen Qualität des Produktes und des Vertrauens eines Fahrzeug- oder Getriebeherstellers in dieses Produkt erweckt, geeignet, die Entscheidung der angesprochenen Verkehrskreise im Sinne eines Anlockeffektes zu beeinflussen.


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LG Darmstadt: Wettbewerbswidrige Irreführung wenn Finanzvermittlerin die Geschäftsbezeichnung bzw. den Zusatz "Banka" verwendet

LG Darmstadt
Urteil vom 04.07.2023
20 O 49/22


Das LG Darmstadt hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung vorliegt, wenn ein Finanzvermittlerin die Geschäftsbezeichnung bzw. den Zusatz "Banka" verwendet. Es handelt sich bei "Banka" um den türkische Übersetzung für "Bank". Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

BGH legt EuGH Fragen zur Preistransparenz bei Tarifrechnern für Stromtarife von Energieversorgern vor

BGH
Beschluss vom 27.07.2023
I ZR 65/22
Doppeltarifzähler
Richtlinie 2005/29/EG Art. 7 Abs. 1, Abs. 4 Buchst. c; UWG § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 1 Nr. 3


Der BGH hat dem EuGH Fragen zur Preistransparenz bei Tarifrechnern für Stromtarife von Energieversorgern zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Leitsatz des BGH:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 7 Abs. 1 und 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 149 vom 11. Juni 2005, S. 22; Berichtigung ABl. L 253 vom 25. September 2009, S. 18) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Muss die vom Gewerbetreibenden nach Art. 7 Abs. 1 und 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29/EG zu erteilende Information über die Art der Preisberechnung bei einer vom Verbrauch abhängigen Preisgestaltung so beschaffen sein, dass der Verbraucher auf Grundlage der Information selbständig eine Preisberechnung vornehmen kann, wenn er den ihn betreffenden Verbrauch kennt?

BGH, Beschluss vom 27. Juli 2023 - I ZR 65/22 - OLG Düsseldorf - LG Mönchengladbach

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AG Augsburg: Keine unzulässige Werbung per E-Mail durch Angabe von URLs der Social-Media-Accounts und Unternehmenswebsite des Absenders in E-Mail-Signatur

AG Augsburg
Urteil vom 09.06.2023
12 C 11/23

Das AG Augsburg hat entschieden, dass die Angabe der URLs der Social-Media-Accounts und Unternehmenswebsite des Absenders in der E-Mail-Signatur keine unzulässige Werbung per E-Mail darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Kläger steht kein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte aufgrund eines rechtswidrigen Eingriffs in das allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK oder wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S.2 BGB zu.

Die Verwendung von unaufgeforderter elektronischer Post für die Zwecke der Werbung kann zwar grundsätzlich einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers darstellen.

Es handelt sich jedoch bei dem vorliegend seitens des Klägers monierten Verweis auf Internetpräsenzen der Beklagten durch die bloße Angabe der URL mit E-Mail vom 12.12.2022 bereits nicht um Werbung. Ein unterstellter Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch Werbung wäre zudem auch nicht rechtswidrig. Die insoweit erforderliche Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien geht zu Lasten des Klägers aus.

1) Keine Werbung

Die streitgegenständliche E-Mail der Beklagten hatte keinen werblichen Inhalt. Der Verweis auf die Internetpräsenzen der Beklagten durch die Angabe der URL stellt schon keine Werbung dar.

a) Der Begriff der Werbung umfasst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch alle Maßnahmen eines Unternehmens, die auf die Förderung des Absatzes seiner Produkte oder Dienstleistungen gerichtet sind. Damit ist außer der unmittelbar produktbezogenen Werbung auch die mittelbare Absatzförderung – z.B. in Form der Imagewerbung oder des Sponsoring – erfasst. Werbung ist deshalb in Übereinstimmung mit Art. 2 fit. a RL 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2006 über irreführende und vergleichende Werbung (ABI. EU L 376, S. 21) jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 134/15).

b) Nach diesen Grundsätzen stellt der bloße Verweis auf die Internetpräsenzen eines Unternehmens im Anschluss an Kontaktdaten des Mitarbeiters, ohne dass diese mit einem Produkt oder anderen werbenden Angaben verknüpft sind, keine Werbung dar. Denn dieser Verweis ist gerade nicht unmittelbar darauf gerichtet, die Förderung des Absatzes seiner Produkte oder Dienstleistungen zu erreichen. Er dient vielmehr Informationszwecken, ebenso wie die Angabe der weiteren Kontaktdaten, in deren Zusammenhang die Nennung der Internetpräsenzen als Teil der Signatur des Mitarbeiters zu sehen ist. Auch eine mittelbare Absatzförderung durch Imagewerbung kann das Gericht hierin gerade nicht erkennen.

2) Keine Rechtswidrigkeit

Der Kläger müsste eine unterstellte Beeinträchtigung überdies dulden, da sie nach § 1004 Abs. 2 BGB analog rechtmäßig wäre.

Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht bzw. in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers wäre nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seiner Privatsphäre bzw. der Schutz der geschäftlichen Sphäre, insb. die Ungestörtheit der Betriebsabläufe des Klägers die schutzwürdigen Belange der Beklagten, mit ihren Kunden zum Zwecke der Produktberatung zu kommunizieren, überwiegen würde Dies ist nicht der Fall. Die Interessenabwägung geht zu Gunsten der Beklagten aus.

Der Kläger erhielt die Abwesenheitsnachricht im Rahmen einer laufenden Produktberatung, zu welcher er selbst mehrfach mit dem Mitarbeiter der Beklagten Kontakt aufgenommen und bereits kommuniziert hat. Die in diesem Zusammenhang zugesandte Abwesenheits-E-Mail hatte für den Kläger als Kunden, welcher konkrete Produkte bei der Beklagten angefragt hatte, einen wesentlichen informatorischen Charakter, nämlich den Zweck zu verhindern, dass dieser wegen der Abwesenheit des Mitarbeiters keine Antwort auf seine Produktanfrage erhält. Unterstellt, der Verweis auf die Internetauftritte der Beklagten würde eine Werbung darstellen, wäre in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die unerwünschte Werbung durch Nennung der Mailadressen die Interessen des Klägers nur vergleichsweise geringfügig beeinträchtigt, zumal er diese einfach ignorieren konnte. Ein gedankliches Beschäftigen mit der Werbemail ist gerade nicht notwendig. Denn es handelte sich bei dem Hinweis der Beklagten offensichtlich nur um Internetauftritte derselben, Eine Trennung von anderen Informationen durch den Kläger ist nicht erforderlich. Vielmehr kann der Kläger es ohne jeden zeitlichen Aufwand unterlassen, die weiteren Internetpräsenzen der Beklagten anzuklicken. Ein Aussortieren eines werbenden Teils der E-Mail ist hierfür gerade nicht erforderlich. Die schutzwürdigen Belange des Klägers überwiegen vorliegend somit gerade nicht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


Volltext liegt vor - LG München: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Verleihung des Ärzte-Siegels „Top Mediziner“ bzw. „Focus Empfehlung“ durch das Magazin FOCUS Gesundheit

LG München
Urteil vom 13.02.2013
4 HKO 14545/21


Wir hatten bereits in dem Beitrag LG München: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Verleihung des Ärzte-Siegels „Top Mediziner“ bzw. „Focus Empfehlung“ durch das Magazin FOCUS Gesundheit mangels objektiver Kriterien über die Entscheidung berichtet.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der zulässigen Klage war in vollem Umfang stattzugeben, da dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3 Nr. 2 i.V.m. 5 Abs. 1 Satz 1 UWG zusteht.
Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Die Beklagte verstößt durch die Vergabe der Siegel, die nach ihrem eigenen Vortrag von den Ärzten werblich genutzt werden sollen, gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsgebot des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG.

Mit den Siegeln wird bei deren angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck erweckt, dass die betreffenden Ärzte, die als „TOP-Mediziner“ bezeichnet bzw. als … Empfehlung“ angepriesen werden, aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet wurden und dadurch eine Spitzenstellung unter den Ärzten gleicher Fachdisziplin einnehmen.

Die von der Beklagten gegen Bezahlung einer nicht unerheblichen sog. Lizenzgebühr vergebenen Siegel haben die Aufmachung eines Prüfzeichens und werden in den vorgelegten Medien auch als solche werbend verwendet (vgl. etwa die Warbung gemäß Anlage K 9, Seite 1 der Anlage K 1 und die Rückseiten der Anlagen K 1 und K 2). Dies wird letztendlich auch von der Beklagten so gesehen, die auf die als Anlage B 9 vorgelegte Pressemitteilung der Stiftung Warentest verweist. Die angesprochenen Verkehrskreise werden die Siegel, die von der Beklagten lizenziert werden, ähnlich wie Prüfsiegel der Stiftung Warentest auffassen und davon ausgehen, die betreffenden Ärzte seien aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet worden.

Nach der Lebenserfahrung hat der Hinweis auf ein Prüfzeichen für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers eine erhebliche Bedeutung. Der Verbraucher erwartet, dass ein mit einem Prüfzeichen versehenes Produkt oder eine Dienstleistung von einer neutralen und fachkundigen Stelle auf die Erfüllung von Mindestanforderungen anhand objektiver Kriterien geprüft wurde und bestimmte, von ihm für die Güte und Brauchbarkeit der Ware als wesentlich angesehener Eigenschaften aufweisen (vgl. GRUR 2016, 1398 bis 1400 – LGA tested).

Tatsächlich ist es aber selbst nach dem Vortrag der Beklagten so, dass sich die Qualität ärztlicher Dienstleistungen nicht mit Messgeräten im Testlabor ermitteln und vergleichen lässt.

Vielmehr sind von den Kriterien, die nach dem Vortrag der Beklagten bei ihren Empfehlungslisten berücksichtigt werden, Kriterien dabei, die auf ausschließlich subjektiven Elementen beruhen, wie z.B. die Kollegenempfehlung oder die Patientenzufriedenheit.

Dass Anwaltsranglisten (und gleiches muss für Ärztelisten geltend) schwerpunktmäßig Werturteile und gerade keine Tatsachenbehauptungen enthalten, war sogar der maßgebliche Grund dafür, dass das Bundesverfassungsgericht in der Juve-Handbuch-Entscheidung das Urteil des Bundesgerichtshofs, dass die entsprechenden Anwaltslisten als wettbewerbswidrig eingestuft hatte, aufgehoben hat (vgl. den ersten Leitsatz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts GRUR 2006, 1319)

Durch die gegen ein nicht unerhebliches Entgelt gewährte Lizenzierung von Gütesiegeln, die den Anschein eines objektiven Prüfzeichens erwecken, wird jedoch gerade der Bereich der von der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit gedeckten redaktionellen, bewertenden Beurteilung verlassen und der irreführende Eindruck erweckt, es gebe tatsächliche, objektiv nachprüfbare Kriterien, die zur Verleihung des Gütesiegels geführt haben.

Die von der Beklagten vergebenen Siegel erwecken gerade nicht den Eindruck, dass diesem eine mathematisch nicht nachvollziehbare Wertungsentscheidung zugrunde liegt. Das vermeintlich durch das Siegel objektivierte Qualitätsurteil ist in Wahrheit ein rein subjektives, das von vielen durch Ärzte und ihre Leistungen nicht beeinflussbare Faktoren abhängt. Dies gilt sowohl für das Siegel mit der Bezeichnung „TOP-Mediziner“ als auch für das regionale Siegel, das mit … Empfehlung“ galabelt ist. Auch dieses etwas weicher formulierte Siegel hat die optische Aufmachung eines Prüfzeichens und wird daher jedenfalls bei nicht unerheblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise die Erwartung wecken, die Prüfung sei anhand objektiv nachvollziehbarer Kriterien durchgeführt worden.

2. Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, die Lizenzierung sogenannter Siegel sei ein unselbständiger, nachgelagerter Akt der Ärztelisten, der ebenfalls von der Pressefreiheit umfasst sei. Zwar erstreckte sich die Pressefreiheit in dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts NJW 2003, 277, Juve-Handbuch zu Grunde lag, auch auf die Refinanzierung der redaktionellen Inhalte. Diese Aussage des Bundesverfassungsgerichts bezog sich jedoch allein darauf, dass in dem dort zu entscheidenden Fall nicht festgestellt werden konnte, dass durch die Veröffentlichung von Ranglisten in sittenwidriger Weise auf die Aufgabe von Inseraten hingewirkt wurde und dass anzeigenfinanzierte Medien regelmäßig darauf angewiesen sind, zur Schaltung von Anzeigen zu motivieren.

Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall jedoch grundlegend. Die Wettbewerbswidrigkeit der Prüfsiegel ergibt sich im vorliegenden Fall nicht daraus, dass irgendjemand in sittenwidriger Weise zum Erwerb dieses Prüfsiegels verleitet wurde, sondern daraus, dass in irreführender Weise der Bereich des redaktionellen, wertenden Beitrags verlassen und der Eindruck erweckt wird, es finde eine Bewertung nach objektiven Kriterien statt.

Hinzu kommt, dass Medien zwar regelmäßig darauf angewiesen sind, sich durch Anzeigen finanzieren, nicht jedoch durch die Vergabe von Prüfsiegeln gegen ein nicht unerhebliches Entgelt. Dass dies eine unübliche, nicht zwingend erforderliche Art der Finanzierung redaktioneller Beiträge ist, zeigt von der eigene Vortrag der Beklagten, wonach die Verteilung der Siegel erst eine Reaktion auf den vor etwa zehn Jahren eingetretenen sogenannten „Wildwuchs“ gewesen sei. Davor wurden die Magazine mit den Ärztelisten ganz offensichtlich anders finanziert.

3. Auch die von der Beklagten erhobene Einrede de: Verjährung greift nicht durch. Nach unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin enthält die Anlage K 10,nämlich die „Ärzteliste 2021“ weiterhin Werbeanzeigen von vermeintlichen „TOP-Medizinern“, die sowohl mit Siegeln betreffend das Jahr 2021 als auch das Jahr 2020 werben. Die von der Beklagten unter Wiedergabe des Siegels aus 2020 abgedruckten Anzeigen befinden sich auf Seiten 181, 218 und 219 des Hefts. Es liegt daher eine nicht abgeschlossene Dauerhandlung vor, bei der ein die Verjährung noch nicht begonnen hat.

4. Dass die im Klageantrag und Tenor abgebildeten Siegeln von der Beklagten jeweils mit dam entsprechenden Fachgebiet bzw. dem Landkreis zur Verfügung gestellt wurden und nicht in der verallgemeinernden Form des Klageantrags, ändert nichts an der hinreichenden Bestimmtheit und Begründetheit des Unterlassungsantrags. Die Verallgemeinerung umfasst sämtliche Fachrichtungen und sämtliche Landkreise. Die Hinzufügung dieser Kriterien in den Siegeln, die die Beklagte den Ärzten zur Verfügung stellt, ändert nichts an ihrem irreführenden Charakter.

5. Dem Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 Abs. 1 ZPO konnte nicht stattgegeben werden, da nicht hinreichend nachgewiesen wurde, dass der Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils ein unersetzbarer Nachteil entstehen würde. Die Beklagte hat keinerlei konkrete Zahlen vorgelegt, aus denen die Kammer schließen könnte, dass es ihr als Verlag ohne die Lizenzeinnahmen aus den irreführenden Siegeln nicht möglich wäre, die Ärztelisten weiter herauszugeben. Dies erscheint schon deshalb nicht wahrscheinlich, weil die Beklagte bis vor zehn Jahren genau dies getan hat, nämlich ihre Ärztelisten ohne die Einnahmen aus den Siegeln zu finanzieren. Im Übrigen überwiegen die Interessen der Gläubigerin vor Irreführung der Allgemeinheit (vgl. BGH WM 18, 2048). Eine Existenzgefährdung der gewerblichen Tätigkeit der Beklagten als Verlag ist weder ersichtlich noch wurde sie vorgetragen.

Die Fälle, in denen Feststellungen nach § 712 Abs. 1 ZPO zu einem für den Schuldner unersetzlichen Nachteil getroffen werden können, sind seiten. Es genügt nicht die bloße Wahrscheinlichkeit eines Nachteils; vielmehr muss das Gericht von dessen Eintritt überzeugt sein (vgl. Herget in Zöller, Kommentar zur ZPO, 30. Aufl., Rdn. 1 zu § 712 ZPO m.w.N.)

Der Klage war daher in vollem Umfang mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 Satz 1 ZPO. Dabei wurde die Sicherheitsleistung mit dem Doppelten des von der Klägerin angegebenen und von der Beklagten auch nicht in Frage gestellten Streitwerts, der ebenfalls entsprechend erhöht wurde, angegeben. Da die Beklagte auch keine konkreten Zahlen angegeben hat, aus denen sich schließen lassen könnte, welche Einnahmen ihr in Zukunft durch die Vergabe der Siegel entgehen, konnte die Sicherheitsleistung auch nicht höher angesetzt werden.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG München: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Verleihung des Ärzte-Siegels „Top Mediziner“ bzw. „Focus Empfehlung“ durch das Magazin FOCUS Gesundheit mangels objektiver Kriterien

LG München
Urteil vom 13.02.2013
4 HKO 14545/21


Das LG München hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Verleihung des Ärzte-Siegels „Top Mediziner“ bzw. „Focus Empfehlung“ durch das Magazin "FOCUS Gesundheit" mangels objektiver Kriterien vorliegt. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Ärzte-Siegel
Die 4. Kammer für Handelssachen hat heute der Unterlassungsklage eines Verbraucherschutzverbands hinsichtlich der Verleihung und Publizierung sog. „Ärzte-Siegel“ gegen einen Verlag stattgegeben (Az 4 HKO 14545/21).

Der Kläger beanstandete, dass die Beklagte gegen Entgelt an Ärztinnen und Ärzte Siegel verleiht, die sie als sogenannte „Top Mediziner“ bzw. „Focus Empfehlung“ auszeichnen.

Einmal im Jahr erscheint bei der Beklagten das Magazin „FOCUS Gesundheit“ unter dem Titel „Ärzteliste“. Gegen eine zu bezahlende Lizenz in Höhe von rund 2.000 EUR netto erhalten Ärzte ein Siegel unter der Rubrik „FOCUS EMPFEHLUNG“, das sie sodann werbend benutzen können und dies auch (unter Angabe der Fachrichtung bzw. des Landkreises) tun.

Die Beklagte verstößt durch die Vergabe der Siegel, die nach ihrem eigenen Vortrag von den Ärzten werblich genutzt werden sollen, gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsgebot.

Mit den Siegeln wird bei deren angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck erweckt, dass die betreffenden Ärzte, die als „TOP-Mediziner“ bezeichnet bzw. als „FOCUS-Empfehlung“ angepriesen werden, aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet wurden und dadurch eine Spitzenstellung unter den Ärzten gleicher Fachdisziplin einnehmen.

Die von der Beklagten gegen Bezahlung einer nicht unerheblichen sog. Lizenzgebühr vergebenen Siegel haben die Aufmachung eines Prüfzeichens und werden in den vorgelegten Medien auch als solche werbend verwendet.

Hierzu führt die Kammer Folgendes aus: Die angesprochenen Verkehrskreise würden die Siegel, die von der Beklagten lizenziert werden, ähnlich wie Prüfsiegel der Stiftung Warentest auf-fassen und davon ausgehen, die betreffenden Ärzte seien aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet worden.

Nach der Lebenserfahrung habe der Hinweis auf ein Prüfzeichen für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers eine erhebliche Bedeutung. Der Verbraucher erwarte, dass ein mit einem Prüfzeichen versehenes Produkt oder eine Dienstleistung von einer neutralen und fachkundigen Stelle auf die Erfüllung von Mindestanforderungen anhand objektiver Kriterien geprüft wurde und bestimmte, von ihm für die Güte und Brauchbarkeit der Ware als wesentlich angesehener Eigenschaften aufweisen.

Tatsächlich sei es aber selbst nach dem Vortrag der Beklagten so, dass sich die Qualität ärztlicher Dienstleistungen nicht mit Messgeräten im Testlabor ermitteln und vergleichen lasse.

Vielmehr seien von den Kriterien, die nach dem Vortrag der Beklagten bei ihren Empfehlungslisten berücksichtigt würden, Kriterien dabei, die auf ausschließlich subjektiven Elementen beruhten, wie z. B. die Kollegenempfehlung oder die Patientenzufriedenheit.

Die Beklagte könne auch nicht damit gehört werden, die Lizenzierung sogenannter Siegel sei ein unselbständiger, nachgelagerter Akt der Ärztelisten, der ebenfalls von der Pressefreiheit umfasst sei. Zwar erstreckte sich die Pressefreiheit in dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts NJW 2003, 277, Juve-Handbuch, zu Grunde lag, auch auf die Refinanzierung der redaktionellen Inhalte. Diese Aussage des Bundesverfassungsgerichts bezog sich jedoch allein darauf, dass in dem dort zu entscheidenden Fall nicht festgestellt werden konnte, dass durch die Veröffentlichung von Ranglisten in sittenwidriger Weise auf die Aufgabe von Inseraten hingewirkt wurde und dass anzeigenfinanzierte Medien regelmäßig darauf angewiesen sind, zur Schaltung von Anzeigen zu motivieren.

Hiervon unterscheide sich der vorliegende Fall jedoch grundlegend:

Die Wettbewerbswidrigkeit der Prüfsiegel ergibt sich im vorliegenden Fall daraus, dass in irreführender Weise der Bereich des redaktionellen, wertenden Beitrags verlassen und der Eindruck erweckt wird, es finde eine Bewertung nach objektiven Kriterien statt.

Hinzu kommt, dass Medien zwar regelmäßig darauf angewiesen sind, sich durch Anzeigen zu finanzieren, nicht jedoch durch die Vergabe von Prüfsiegeln gegen ein nicht unerhebliches Entgelt. Dass dies eine unübliche, nicht zwingend erforderliche Art der Finanzierung redaktioneller Beiträge ist, zeigt der eigene Vortrag der Beklagten, wonach die Verteilung der Siegel erst eine Reaktion auf den vor etwa zehn Jahren eingetretenen sogenannten „Wildwuchs“ gewesen sei. Davor wurden die Magazine mit den Ärztelisten ganz offensichtlich anders finanziert.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.



LG Darmstadt: Finanzvermittler darf nicht die Bezeichnung bzw. den Zusatz "Banka" verwenden - wettbewerbswidrige Irreführung

LG Darmstadt
Versäumnisurteil vom 22.11.2022
20 0 49/22


Das LG Darmstadt hat entschieden, dass dass ein Finanzvermittler nicht die Bezeichnung bzw. den Zusatz "Banka" verwenden darf. Es liegt eine wettbewerbswidrige Irreführung vor. Es handelt sich bei "Banka" um den türkische Übersetzung für "Bank". Der Zusatz darf nur von erlaubnispflichtigen Kreditinstituten geführt werden. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

OLG München: Wettbewerbswidrige Irrführung durch Weiterverkauf von Tischreservierungen auf dem Oktoberfest wenn AGB des Festzeltbetreibers gewerbliche Weiterveräußerung verbietet

OLG München
Urteil vom 07.07.2022
6 U 7831/21


Das OLG München hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irrführung vorliegt, wenn eine Eventagentur Tischreservierungen auf dem Oktoberfest weiterverkauft, wenn laut AGB des Festzeltbetreibers eine gewerbliche Weiterveräußerung bzw. die gewerbliche Abtretung der Tischreservierung untersagt ist. Insofern erhält der Käufer dann keine wirksame Reservierung, wenn er diese von der Eventagentur kauft.

OLG Köln: Energieversorger darf höhere Preise für Neukunden bei Grundversorgung und Ersatzversorgung verlangen - kein Verstoß gegen § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG

OLG Köln
Beschluss vom 02.03.2022
6 W 10/22


Das OLG Köln hat entschieden, dass ein Energieversorger höhere Preise für Neukunden bei Grundversorgung und Ersatzversorgung verlangen kann. Nach Ansicht des OLG Köln liegt kein Verstoß gegen § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG vor.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Grundversorgung mit Strom und Gas: Gesplittete Neukundentarife können zulässig sein

Ein Energieversorgungsunternehmen kann in seiner Preisgestaltung bei der Grund- und Ersatzversorgung im Sinne des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (EnWG) zulässigerweise zwischen Alt- und Neukunden unterscheiden. Das hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln mit Beschluss vom 02.03.2022 - 6 W 10/22 - entschieden und damit einen vorangegangenen Beschluss des Landgerichts Köln bestätigt.

Der klagende Verbraucherverband hatte im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Antragsgegnerin als Energieversorgungs-unternehmen, das die Grundversorgung von Haushaltskunden in bestimmten Gebieten u.a. in Köln vornimmt, wegen Unterlassung in Anspruch genommen. Die Vorgehensweise des Unternehmens, Haushaltskunden im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG zu unterschiedlichen Preisen zu beliefern und für die Unterscheidung allein auf das Datum des Vertragsschlusses abzustellen, stelle einen Verstoß gegen die Vorschriften des EnWG dar. Das Landgericht Köln hatte mit Beschluss vom 08.02.2022 (Az. 31 O 14/22) einen entsprechenden Unterlassungsanspruch abgelehnt und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Dieser Auffassung hat sich der Senat angeschlossen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Energieversorgungsunternehmen für Netzgebiete, in dem es die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführt, zwar nach § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG verpflichtet ist, Allgemeine Bedingungen und Preise öffentlich bekannt zu geben und jeden Haushaltskunden zu diesen Bedingungen und Preisen zu beliefern. Allerdings begründe dies keine Verpflichtung zur Belieferung sämtlicher Kunden zu gleichen Preisen. Vielmehr sei der in § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG normierte Grundsatz der Preisgleichheit dahingehend zu verstehen, dass die Lieferung der Energie zu den Allgemeinen Preisen, die veröffentlicht wurden, und nicht ohne Bezug dazu angeboten wird. Zwar würden damit im Ergebnis die Kunden benachteiligt, die zu einem späteren Zeitpunkt die Grundversorgung in Anspruch nehmen und dafür höhere Preise zahlen müssten. Allerdings erfolge diese Benachteiligung aus einem sachlichen Grund. Denn alternativ müssten die Kunden, die bereits (ggf. aus wirtschaftlicher Not) die Grundversorgung in Anspruch nehmen, erhöhte Preise bezahlen. Ein anderes Verständnis der genannten Norm - so wie von dem antragstellenden Verbraucherverband vertreten - führe darüber hinaus zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Versorgungsunternehmens.

Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 02.03.2022 - Az. 6 W 10/22. [...]

Auszug aus dem Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (EnWG):

"§ 36 Grundversorgungspflicht

(1) Energieversorgungsunternehmen haben für Netzgebiete, in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen und zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen. Die Veröffentlichungen im Internet müssen einfach auffindbar sein und unmissverständlich verdeutlichen, dass es sich um die Preise und Bedingungen der Belieferung in der Grundversorgung handelt. Die Pflicht zur Grundversorgung besteht nicht, wenn die Versorgung für das Energieversorgungsunternehmen aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist."



LG Frankfurt: Stromanbieter darf keine höheren Preise für Neukunden bei Grundversorgung oder Ersatzversorgung verlangen - wettbewerbswidriger Verstoß gegen §§ 36 Abs. 1 S. 1, 38 Abs. 1 EnWG

LG Frankfurt
Beschluss vom 14.02.2022
3-06 O 6/22


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass Stromanbieter keine höheren Preise für Neukunden bei Grundversorgung oder Ersatzversorgung verlangen dürfen. Es liegt ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen §§ 36 Abs. 1 S. 1, 38 Abs. 1 EnWG vor.

Die Entscheidung:

Den Antragsgegnern wird im Wege der einstweiligen Verfügung wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung bei Meidung von Ordnungsgeld bis 250.000,-- EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an ihrem Vorstand, für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,

für das Netzgebiet, in die Antragsgegnerin zu 1) die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführt,

a) Allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung öffentlich bekannt zu machen und / oder anzubieten, deren Höhe je nach Beginn der Grund- oder Ersatzversorgung unterschiedlich ist und / oder

b) für Kunden in der Grund- oder Ersatzversorgung in Niederspannung Arbeitspreise abzurechnen und /oder zu verlangen, die je nach Beginn der Grund- oder Ersatzversorgung abweichen von den Arbeitspreisen anderer Kunden in der Grund- oder Ersatzversorgung in Niederspannung.

Die Kosten des Eilverfahrens werden den Antragsgegnern auferlegt.

Der Streitwert wird auf EUR 35.000,- festgesetzt (Hauptsachestreitwert abzgl. 30%). Dieser Beschluss beruht auf den §§ 8 Abs. 1, 3 Nr. 1, 3 Abs. 1, 3a, 12 Abs. 1, 14 UWG in Verbindung mit §§ 36 Abs. 1 S. 1, 38 Abs. 1 EnWG, §§ 3,32, 91, 890, 935 ff. ZPO.

Die Schutzschrift vom 31.1.2022 lag vor und wurde bei der Entscheidung berücksichtigt.


Volltext BGH liegt vor: Widerrufsrecht des Verbrauchers nach § 312d BGB bei Vertrag über Treppenlift aus individuell angepassten Teilen

BGH
Urteil vom 20.10.2021
I ZR 96/20
Kurventreppenlift
Richtlinie 2011/83/EU Art. 2 Nr. 4, 5 und 6, Art. 9 Abs. 2 Buchst. a und b, Art. 14 Abs. 3, Art. 16 Buchst. a und c; UWG § 3 Abs. 1, §§ 3a, 8 Abs. 1 Satz 2; BGB § 312d Abs. 1, § 312g Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 355 Abs. 2, § 356 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4, § 357 Abs. 8, §§ 433, 474, 631, 650; EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Widerrufsrecht des Verbrauchers nach § 312d BGB bei Vertrag über Treppenlift aus individuell angepassten Teilen - Ausnahme in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB greift nicht über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Ein Vertrag über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts mit einer individuell erstellten, an die Wohnverhältnisse des Kunden angepassten Laufschiene ist ein Werkvertrag. Wird ein solcher Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen mit einem Verbraucher geschlossen, steht diesem ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB zu, weil der in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB vorgesehene Ausschluss dieses Rechts Werkverträge nicht erfasst.

b) Die werbliche Angabe eines Anbieters von Treppenliften, im Falle eines Kurventreppenlifts mit individuell geformten und an die Gegebenheiten vor Ort angepassten Laufschienen bestehe kein Widerrufsrecht des Verbrauchers, begründet Erstbegehungsgefahr für einen Verstoß gegen die Pflicht zur Information über das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB gemäß § 312d Abs. 1 und Art. 246a Abs. 2 Nr. 1 EGBGB.

BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 - I ZR 96/20 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Rostock: Direktvergabe der Luca-App durch das Land Mecklenburg-Vorpommern vergaberechtswidrig und Vertrag unwirksam

OLG Rostock
Urteil vom 11.11.2021
17 Verg 4/21


Das OLG Rostock hat entschieden, dass die Direktvergabe der Luca-App durch das Land Mecklenburg-Vorpommern vergaberechtswidrig war und der Vertrag somit unwirksam ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Direktvergabe der Luca-App durch das Land MV ist vergaberechtswidrig und damit unwirksam erfolgt

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts hat heute auf Antrag einer deutschen Softwarefirma entschieden, dass der am 08. März 2021 zwischen dem Land MV und der Firma Culture4life geschlossene Vertrag über die Beschaffung der sogenannten Luca-App unwirksam sei. In der Direktvergabe liege ein Wettbewerbsverstoß, der die Unwirksamkeit des Vertrages zur Folge habe. Ein Antrag auf Gestattung der Fortführung des Vertrages wurde zurückgewiesen.

Gründe:

Aufgrund der infolge der Corona-Pandemie bestehenden nicht vorhersehbaren1 Dringlichkeit der Beschaffung der Kontaktnachverfolgungs-App im März 2021 sei zwar eine Vergabe ohne vorherige europaweite Ausschreibung zulässig gewesen (gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VGV), dennoch dürfe der Wettbewerb nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Auch im Falle bestehender unvorhersehbarer Dringlichkeit und daraus folgender Nichteinhaltung der Mindestfristen müsse immer so viel Wettbewerb wie möglich geboten werden. Vorliegend sei es zumutbar gewesen, zumindest mehrere Angebote einzuholen. Jedenfalls hätten die eigeninitiativ durch die Antragstellerin im Oktober 2020 an den zentralen Eingang der Staatskanzlei und erneut am 04.03.2021 per E-Mail an die Adresse der Ministerpräsidentin des Landes MV eingereichten Angebote über die VIDA-App in die Auswahlentscheidung mit einbezogen werden müssen. Dem Land habe es oblegen, diese selbst eingerichteten elektronischen Eingangspostfächer so zu verwalten, dass die E-Mails dem entsprechenden Verwaltungsvorgang zugeordnet werden und bei der Auswahlentscheidung Berücksichtigung
finden können.
Die VIDA-App sei auch grundsätzlich konkurrenzfähig und erfülle die Mindestanforderungen der Antragsgegnerin. Insbesondere verfüge die App über eine Schnittstelle zur Fachanwendung SORMAS. Diese diene der elektronischen Datenerfassung durch die Gesundheitsämter, um aufwändige analoge Übermittlungen abzukürzen und zu vereinfachen.

Die Entscheidung ist rechtskräftig. Ein Rechtsmittel ist nicht eröffnet.

1 Zwar war bereits lange vor Februar/März 2021 abzusehen, dass Bedarf für eine effizientere Kontaktnachverfolgung bestand, das Land durfte aber berechtigt bis Ende Februar 2021 darauf vertrauen, dass der Bund eine einheitliche Lösung bereitstellen würde. Erst infolge der Absage des Bundes (Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums vom 26.02.2021) musste das Land selbst kurzfristig tätig werden.