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OLG Frankfurt: Kein Schmerzensgeldanspruch gegen Arzneimittelhersteller wegen Verunreinigung eines Medikaments bei übersteigerter Krebsangst ohne objektive Grundlage

OLG Frankfurt
Urteil vom 26.04.2023
13 U 69/22


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass kein Schmerzensgeldanspruch gegen einen Arzneimittelhersteller wegen der Verunreinigung eines Medikaments bei übersteigerter Krebsangst ohne objektive Grundlage besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Überzogene Krebsangst - Kein Schmerzensgeld bei Verunreinigung eines Medikaments

Die Klägerin kann kein Schmerzensgeld verlangen, soweit sie seit Kenntnis der Verunreinigung an der Angst leide, an Krebs zu erkranken.

Erhöht die Einnahme eines verunreinigten Arzneimittels das Risiko, an Krebs zu erkranken, um 0,02 %, ist es nicht generell geeignet, psychische Belastungen in Form von Ängsten und Albträumen zu verursachen. Das allgemeine Lebensrisiko einer Krebserkrankung liegt für Frauen in Deutschland bei 43,5%. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) bestätigte mit heute veröffentlichter Entscheidung, dass die Klägerin von der Arzneimittelherstellerin kein Schmerzensgeld verlangen kann, soweit sie seit Kenntnis der Verunreinigung an der Angst leide, an Krebs zu erkranken.

Die Klägerin erhielt seit vielen Jahren blutdrucksenkende Arzneimittel mit dem Wirkstoff Valsartan. Die Beklagte stellt Medikamente mit diesem Wirkstoff her. 2018 rief die Beklagte alle Chargen mit diesem Wirkstoff zurück, da es beim Wirkstoff-Hersteller produktionsbedingt zu Verunreinigungen mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) gekommen war. NDMA ist von der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO und der EU als „wahrscheinlich krebserregend“ bei Menschen eingestuft worden. Nach dem Beurteilungsbericht der Europäischen Arzneimittelagentur ist das theoretisch erhöhte Lebenszeit-Krebsrisiko aufgrund möglicher Verunreinigungen mit NDMA bei täglicher Einnahme der Höchstdosis über ein Zeitraum von 6 Jahren um 0,02 % erhöht. Das allgemeine Lebenszeitrisiko für Frauen, an Krebs zu erkranken, wird für Deutschland mit 43,5 % angegeben.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schmerzensgeld von mindestens 21.500 € in Anspruch. Sie behauptet, seit Kenntnis des Rückrufs unter der psychischen Belastung, an Krebs zu erkranken, zu leiden.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Die Klägerin habe bereits keine „erhebliche“ Verletzung ihrer Gesundheit nachgewiesen, bestätigte das OLG die Entscheidung des LG. Der sich aus den Angaben der Klägerin ergebende Krankheitswert liege unterhalb der Erheblichkeitsschwelle. Die Klägerin berufe sich darauf, dass sie bereits das Wort “krebserregend“ beunruhige. Tagsüber denke sie oft an die ungewisse gesundheitliche Zukunft; nachts plagten sie Albträume. Diese Schilderungen seien ungenau, pauschal und belegten keine behandlungsbedürftige Gesundheitsverletzung.

Die Haftung der Beklagten scheide auch aus, da die Gesundheitsbeeinträchtigung nicht „infolge“ der Arzneimitteleinnahme aufgetreten sei. Das Arzneimittel selbst sei - auch nach dem Vortrag der Klägerin - nicht geeignet, die hier beklagten Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form der Ängste und Albträume zu verursachen. Auslöser der psychischen Folgen sei vielmehr die Kenntnis von der Verunreinigung gewesen, wonach die Klägerin mit einem geringfügig erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Krebserkrankung rechnen müsse. Diese anzunehmende Risikoerhöhung verbleibe aber in einem Rahmen, „der nicht in relevanter Weise über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt und damit generell bei objektiver Betrachtung nicht geeignet ist, die behaupteten psychischen und physischen Folgen auszulösen“, begründet das OLG weiter, „die (...) nur ganz geringfügige Erhöhung des Krebsrisikos durch die Verunreinigung des Arzneimittels gegenüber dem allgemeinen Risiko, an Krebs zu erkranken, ist nicht per se als Schaden zu werden, ebenso wie eine Verunreinigung des Arzneimittels an sich, die auch folgenlos bleiben kann (...)“. Die individuelle Risikoeinschätzung der Klägerin sei hier nicht objektiv nachvollziehbar.

Darüber hinaus lägen auch andere schadensverursachende Umstände vor. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, dass ihre Ängste, an Krebs zu erkranken, dadurch verursacht würden, dass ihre Mutter, ihr Bruder und die Cousine an Krebs verstorben seien.

„Überzogene Reaktionen auf die Nachricht, dass ein eingenommenes Medikament möglicherweise Verunreinigungen enthält, die möglicherweise krebserregend sind, können (...) der Beklagten nicht zugerechnet werden“, schloss das OLG.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Klägerin die Zulassung der Revision begehren.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 26.04.2023, Az. 13 U 69/22
Landgericht Darmstadt, Urteil vom 03.02.2022, Az. 27 O 119/21




OLG Karlsruhe: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG durch Gewährung von Payback-Punkten bei Vorbestellung rezeptpflichtiger Arzneimittel

OLG Karlsruhe
Urteil vom 12.10.2022
6 U 108/21

Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG durch Gewährung von Payback-Punkten bei der Vorbestellung rezeptpflichtiger Arzneimittel vorliegt. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

Aus den Entscheidungsgründen:
3. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass das beanstandete Verhalten der Beklagten den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG erfüllt.

a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 HWG ist es unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, es sei denn, es liegt einer der in § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 HWG gesetzlich geregelten Ausnahmefälle vor. Von dem Verbot des § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 HWG sind Zuwendungen oder Werbegaben ausgenommen, bei denen es sich um geringwertige Kleinigkeiten handelt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 1 HWG) oder die in einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag gewährt werden (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 2 Buchst. a HWG). Allerdings bleiben bei beiden Ausnahmen Zuwendungen oder sonstige Werbegaben für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes gelten (BGH, GRUR 2019, 203 Rn. 28 – Versandapotheke; GRUR 2019, 1071 Rn. 9 ff – Brötchen-Gutschein; vgl. auch Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/v. Jagow, 5. Aufl. 2021, UWG § 3a Rn. 81d).

Der Zweck der Regelung besteht vor allem darin, durch eine weitgehende Eindämmung der Wertreklame im Arzneimittelbereich der abstrakten Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung zu begegnen, die von einer Werbung mit Geschenken ausgehen kann (BGH, GRUR 2015, 504, 505 – kostenlose Zweitbrille; GRUR 2019, 1071 Rn. 16 – Brötchen-Gutschein; GRUR 2020, 659 Rn. 13 – Gewinnspiel). Soweit Zuwendungen und Werbegaben gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 HWG grundsätzlich – und damit unabhängig von ihrem Wert – unzulässig sind, wenn sie entgegen den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes (§ 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG) gewährt werden, soll dadurch ein ruinöser Preiswettbewerb zwischen den Apotheken verhindert und so eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt werden (BGH, GRUR 2019, 203 Rn. 45 – Versandapotheke; GRUR 2019, 1071 Rn. 12 – Brötchen-Gutschein).

b) Die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist im Streitfall anwendbar. Die in Rede stehende Gewährung von [X.]punkten weist den für die Anwendung des Heilmittelwerbegesetzes erforderlichen Produktbezug auf. Soweit die Berufung geltend macht, das beanstandete Verhalten stelle eine reine Unternehmens- und Imagewerbung dar, die nicht mit Bonussystemen von Apotheken vergleichbar sei, bei welchen die Werbegabe an den Erwerb (auch) verschreibungspflichtiger Arzneimittel gekoppelt ist, greift dieser Einwand nicht durch.

Zwar unterfällt nicht jede Werbung für Arzneimittel den Bestimmungen des Heilmittelwerbegesetzes. Einbezogen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes ist nur die produktbezogene Werbung (Produkt- und Absatzwerbung) und nicht die allgemeine Firmenwerbung (Unternehmens- und Imagewerbung), durch die ohne Bezugnahme auf bestimmte Arzneimittel für Ansehen und Leistungsfähigkeit des Unternehmens allgemein geworben wird.

Jedoch handelt es sich vorliegend um eine den Anwendungsbereich eröffnende produktbezogene Arzneimittelwerbung.

aa) Die Beantwortung der für die Anwendbarkeit des Heilmittelwerbegesetzes entscheidenden Frage, ob die zu beurteilende Werbung Absatz- oder Firmenwerbung ist, hängt maßgeblich davon ab, ob nach dem Gesamterscheinungsbild der Werbung die Darstellung des Unternehmens oder aber die Anpreisung bestimmter oder zumindest individualisierbarer Produkte im Vordergrund steht (BGH, Urteil vom 24. November 2016 - I ZR 163/15, GRUR 2017, 635 Rn. 30 – Freunde werben Freunde). Auch eine Werbung für das gesamte Warensortiment der Apotheke kann produktbezogen sein (st. Rspr.; vgl. BGH, GRUR 2017, 635 Rn. 31 – Freunde werben Freunde; GRUR 2019, 203 Rn. 19 – Versandapotheke; GRUR 2019, 1071 Rn. 22 – Brötchen-Gutschein). Es gibt keinen überzeugenden Grund, den vom Gesetzgeber im Bereich der Heilmittelwerbung als grundsätzlich unerwünscht angesehenen Anreiz einer Wertreklame gerade dann hinzunehmen, wenn diese Form der Reklame für eine besonders große Zahl von Heilmitteln eingesetzt wird (BGH, GRUR 2009, 1082 Rn. 16 – DeguSmiles & more).

bb) Gemessen hieran kommt der in Rede stehenden Werbung mit der Gewährung von 50 [X.]punkten für die (Vor-)Bestellung eines rezeptpflichtigen Arzneimittels ein hinreichender Produktbezug zu.

Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich hierbei nicht um eine reine Unternehmens-/Imagewerbung für Apotheken. Insoweit ist schon nicht ersichtlich, auf welches Unternehmen sich diese Unternehmens-/Imagewerbung beziehen soll. Vielmehr werden die Kunden zur Einlösung eines Rezepts in einer beliebigen, an der App der Beklagten teilnehmenden Apotheke aufgefordert, wobei die Vorbestellung eines (rezeptpflichtigen) Arzneimittels mit 50 [X.]-Punkten begünstigt wird. Letztlich geht es weder um die Anpreisung der Leistungen der teilnehmenden Apotheken noch um eine Zuwendung aus anderen unternehmensbezogenen Gründen. Vielmehr ist die Gewährung von 50 [X.]punkten einzig mit der Vorbestellung und der Einsendung der Fotografie eines Rezepts zum Zwecke der Vorbestellung an eine Apotheke verknüpft, die der Kunde zum Zeitpunkt der Wahrnehmung der Werbung in der Regel noch nicht kennt. Damit bezieht sich die Werbung auf sämtliche verschreibungspflichtige Arzneimittel und ist damit ohne Weiteres produktbezogen (vgl. BGH, GRUR 2020, 659 Rn. 22 – Gewinnspielwerbung).

Soweit die Berufung auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 15.07.2021, Az. C-190/20) verweist, folgt hieraus keine abweichende Beurteilung. Im Gegenteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Werbung für ein gesamtes Arzneimittelsortiment einer Apotheke europarechtlich nicht harmonisiert ist, so dass es den nationalen Gesetzgebern freistehe, nationale Vorschriften betreffend die Werbung für ein gesamtes Warensortiment an Arzneimitteln zu erlassen. In seinem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Vorabentscheidungsersuchen (BGH, GRUR 2020, 659) hat der Bundesgerichtshof indessen ausgeführt, dass eine Werbung im Sinne von § 1 HWG selbst dann als produktbezogene Arzneimittelwerbung zu gelten hat, wenn seitens einer Apotheke für ein Gewinnspiel geworben wird, dessen Teilnahme die Einsendung eines Arzneimittelrezepts voraussetzt und überdies keinen konkreten Bezug auf ein bestimmtes Arzneimittel aufweist. Nichts Anderes kann gelten, wenn für die Einsendung eines Arzneimittelrezepts im Rahmen einer Vorbestellung 50 [X.]punkte – und damit ein geldwerter Vorteil – gewährt werden. Soweit die Beklagte erneut anführt, die gewährten [X.]punkte sollten Verbraucher dazu motivieren, über die Nutzung der Vorbestellfunktion Unannehmlichkeiten, wie doppelte Apothekenbesuche aufgrund Nicht-Verfügbarkeit der Ware und unnötige, in Zeiten der Corona-Pandemie möglichst zu meidende Wartezeiten in vollen Geschäften zu umgehen, wodurch die Apotheken zugleich logistische und organisatorische Vorteile und den an sich selbst gesetzten Leistungsanspruch verwirklichen könnten, steht dies der Annahme der Produktbezogenheit nicht entgegen. Ein solcher Aussagegehalt lässt sich dem beanstandeten Werbeauftritt ohnehin nicht entnehmen. Zu Recht weist die Berufungsantwort in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese vermeintlichen Vorteile nicht einmal beiläufig erwähnt werden und vielmehr der Erhalt von [X.]punkten im Gegenzug für den Einkauf eines (rezeptpflichtigen) Arzneimittels im Vordergrund steht. Darüber hinaus kommt es nicht darauf an, welcher Zweck mit der Gewährung des den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes widersprechenden Vorteils verfolgt wird (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 28 – Brötchen-Gutschein). Soweit die Berufung offenbar allgemein der Kundenbindung dienende, kundenfreundliche Aufmerksamkeiten vom Verbot der Wertreklame bei preisgebundenen Arzneimitteln ausnehmen will, bietet die Regelung des § 7 HWG hierfür keine Grundlage mehr. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei der Ergänzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG mit Wirkung zum 13.8.2013 (BGBl. I 2013, 3108) abhängig von der Motivation des Werbenden bestimmte Werbegaben vom Verbot hat ausnehmen wollen (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 30 – Brötchen-Gutschein).

Ohne Erfolg wendet die Beklagte schließlich ein, dass die Gewährung der ausgelobten [X.]punkte nicht an den Erwerb eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels gekoppelt sei, da der Kaufvertrag über die rezeptpflichtigen Arzneimittel erst in einem späteren Schritt vor Ort vollzogen werde. Der Apothekenkunde, der sich mittels einer ärztlichen Verordnung über die streitgegenständliche App an eine ihm örtlich genehme Apotheke wendet und dort rezeptpflichtige Arzneimittel vorbestellt, wird diese im Regelfall dort erwerben. Der angesprochene Verbraucher, der durch seine Vorbestellung an die Apotheke einen Auftrag zur Bestellung eines rezeptpflichtigen Arzneimittels erteilt hat, wird bei lebensnaher Betrachtung regelmäßig davon ausgehen, dass er über die Nutzung der App bzw. durch Einsendung eines Rezepts eine Verpflichtung zum Kauf des so bestellten Arzneimittels eingegangen ist und dabei davon ausgehen, dass er die 50 [X.]punkte nicht allein deshalb erhält, weil er eine unverbindliche Vorbestellung aufgegeben hat, sondern weil er bei der betreffenden Apotheke einen Arzneimittelkauf tätigt. Dessen ungeachtet hat das Landgericht zudem zutreffend ausgeführt, dass auch ohne eine unmittelbare Koppelung der Punkte an einen späteren Erwerb der rezeptpflichtigen Arzneimittel von einem hinreichenden Produktbezug auszugehen ist, denn im Unterschied zu Zugaben im Sinn der früheren ZugabeV kommt es bei den Zuwendungen und Werbegaben des § 7 HWG nicht darauf an, ob sie zusammen mit einer Hauptware gewährt werden. Erfasst sind vielmehr alle Leistungen, die angeboten, angekündigt oder gewährt werden, um den Absatz zu fördern (Zipfel/Rathke in LebensmittelR/Sosnitza, 182. EL November 2021, HWG § 7 Rn. 19;Spickhoff/Fritzsche, 3. Aufl. 2018, HWG § 7 Rn. 10 f). Das Inaussichtstellen einer Vergünstigung für die Einsendung eines Rezeptes (per App) im Rahmen einer Vorbestellung genügt hierfür.

c) Das Landgericht hat ferner zutreffend angenommen, dass es sich bei der Gewährung von 50 [X.]punkten um eine nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG i.V.m. § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG unzulässige Werbegabe handelt.

aa) Das Landgericht hat zu Recht einen Verstoß gegen die arzneimittelrechtlichen Preisbestimmungen bejaht.

Ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung liegt nicht nur dann vor, wenn der Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem niedrigeren Preis abgibt. Die Bestimmungen der Arzneimittelpreisverordnung werden vielmehr auch dann verletzt, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der vorgeschriebene Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen (vgl. BGH, GRUR 2010, 1138 Rn. 17– UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE, mwN; GRUR 2017, 635 Rn. 37 – Freunde werben Freunde; GRUR 2019, 203 Rn. 29 – Versandapotheke; GRUR 2019, 1071 Rn. 27 – Brötchen-Gutschein).

So liegt der Fall hier. Die Beklagte gewährt Kunden beim Erwerb eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels mit der Zuwendung von 50 [X.]punkten einen Vorteil, der den Erwerb des Arzneimittels wirtschaftlich günstiger erscheinen lässt. Nach der Lebenserfahrung können – gerade wenn der Abgabepreis in allen Apotheken identisch ist – auch Zuwendungen von geringem Wert den Kunden veranlassen, bei nächster Gelegenheit ein preisgebundenes Arzneimittel in der Hoffnung auf weitere Vergünstigungen wieder in derselben Apotheke zu erwerben. Entscheidend ist dabei, dass der gewährte Vorteil nach der Verkehrsauffassung den Erwerb des Arzneimittels bei der fraglichen Apotheke wirtschaftlich günstiger erscheinen lässt. Dies ist bei der Gewährung von 50 [X.]punkten zweifelsfrei der Fall, da dieser geldwerte Vorteil nicht nur als Ausdruck von Kundenfreundlichkeit aufgefasst werden kann.

bb) Der Arzneimittelpreisbindung unterfällt im Übrigen jede Werbegabe nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG, die dem Kunden einen geldwerten Vorteil gewährt. Die Berufung rügt deshalb im Ergebnis auch in diesem Zusammenhang ohne Erfolg, die beanstandete Werbung stelle lediglich eine der Kundenbindung dienenden Maßnahme dar. Es kommt nicht darauf an, welcher Zweck mit der Gewährung des den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes widersprechenden Vorteils verfolgt wird (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 28 – Brötchen-Gutschein). Der Begriff der Werbegabe in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist mit Blick auf den Zweck der Regelung, durch eine weitgehende Eindämmung von Werbegeschenken im Heilmittelbereich der abstrakten Gefahr einer hiervon ausgehenden unsachlichen Beeinflussung zu begegnen, weit auszulegen. Er erfasst grundsätzlich jede aus der Sicht des Empfängers nicht berechnete geldwerte Vergünstigung (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2012 - I ZR 105/10, GRUR 2012, 1279 Rn. 22 = WRP 2012, 1517 - DAS GROSSE RÄTSELHEFT; Urteil vom 6. November 2014 - I ZR 26/13, GRUR 2015, 504 Rn. 14 = WRP 2015, 565 - Kostenlose Zweitbrille, jeweils mwN).

cc) Eine Werbegabe setzt schließlich voraus, dass die Zuwendung aus der Sicht des Empfängers unentgeltlich gewährt wird; er muss diese als ein Geschenk ansehen (vgl. BGH, GRUR 2012, 1279 Rn. 24 - DAS GROSSE RÄTSELHEFT; GRUR 2015, 504 Rn. 14 - Kostenlose Zweitbrille, jeweils mwN). Diese Voraussetzung ist ebenfalls gegeben, da die angesprochenen Verkehrskreise die Gewährung von 50 [X.]punkten als eine geldwerte Vergünstigung und als Geschenk verstehen. Soweit in der früheren Rechtsprechung die Unentgeltlichkeit von Zuwendungen verneint wurde, wenn sich der Empfänger der Vergünstigung dafür nicht unerheblichen Testanstrengungen unterziehen (OLG, Köln GRUR-RR 2008, 446, 447) oder beim Erwerb Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen musste (BGH, GRUR 2010, 1136 Rn. 18 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE; so auch die durch die Berufung wiederholt bemühte Entscheidung des OLG Hamburg, Urteil vom 26. Juli 2007 – 3 U 21/07 –, Rn. 35, juris – Saartaler), liegt der Fall hier anders. Die [X.]punkte sollen vielmehr gerade nicht als eine Kompensation für etwaige Unannehmlichkeiten gewährt werden. Insbesondere werden die [X.]punkte aus der Sicht des adressierten Verbrauchers nicht als Kompensation für den Aufwand gewährt, der mit der Nutzung der Vorbestellfunktion der App einhergeht. Dieser Aufwand in Gestalt der Übersendung eines Fotos des Rezepts im Rahmen der Vorbestellung steht vielmehr typischerweise im Interesse des Verbrauchers, um eigene Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Er wird die Vorbestellfunktion nutzen, um die Apotheke nicht (mehrfach) aufsuchen zu müssen und den mit der Vorbestellung verbundenen – nach Dafürhalten des Senats im Übrigen auch überschaubaren – Aufwand nur aus dieser Motivation heraus erbringen. Vor allem aber wird er die Nutzung der Vorbestellfunktion nicht als eine gegenüber dem Apothekenbetreiber zu erbringende Leistung begreifen und daher auch die Gewährung der [X.]punkte nicht als eine Entschädigung hierfür ansehen, sondern als eine unentgeltliche Zuwendung.

dd) Soweit die Berufung einwendet, das Landgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Gewährung der 50 [X.]punkte mit einem Gegenwert von 50 Cent für die Nutzung der Vorbestellfunktion eine abstrakte Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung der Verbraucher darstelle, erweist sich auch dieser Berufungsangriff als nicht durchgreifend.

Das in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG geregelte grundsätzliche Verbot von Werbegaben soll durch eine weitgehende Eindämmung der Wertreklame im Bereich der Heilmittel der abstrakten Gefahr begegnen, dass Verbraucher bei der Entscheidung, ob und gegebenenfalls welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, durch die Aussicht auf Werbegaben unsachlich beeinflusst werden. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Hs. 2 HWG verbietet entgegen den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes gewährte Werbegaben generell und soll damit einen ruinösen Preiswettbewerb zwischen den Apotheken verhindern und so eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherstellen. Auch dieses Ziel dient dem Interesse der Verbraucher (vgl. BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 12 – Brötchen-Gutschein; GRUR 2019, 203 Rn. 45 – Versandapotheke). Die Gewährung von geringwertigen Werbegaben ist jedenfalls dann, wenn preisgebundene Arzneimittel erworben werden, nicht mehr zulässig, es sei denn, es liegt eine der in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 HWG geregelten Ausnahmen vor (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 30 Brötchen-Gutschein). Hieraus folgt zugleich, dass vorliegend die abstrakte Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung des Werbeadressaten durch die Gewährung von 50 [X.]punkten im Rahmen der Vorbestellung über die streitgegenständliche App zu bejahen ist. Diese Zuwendung wird durch die Verbraucher als eine geldwerte Vergünstigung und als Geschenk verstanden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers (BT-Drs. 17/13770, 20 f.) führt der Verstoß gegen aufgrund des Arzneimittelrechts geltende Preisvorschriften indessen unabhängig davon, ob mittels Barrabatten und Zugaben oder Werbegaben in Form von geringwertigen Kleinigkeiten betriebenen Rabattaktionen für Arzneimittel zur Unzulässigkeit der Werbegabe. Eine Unterscheidung zwischen der Bewertung von Barrabatten und zu einem späteren Zeitpunkt einlösbaren geldwerten Rabatten ist sachlich nicht gerechtfertigt. Der Verbraucher soll in keinem Fall durch die Aussicht auf Zugaben und Werbegaben unsachlich beeinflusst werden. Entgegen der Auffassung der Berufung ist hierbei nicht erforderlich, dass aus der unsachlichen Beeinflussung eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit des Kunden folgen kann. Ein solches Erfordernis ist auch nicht der – in der Verhandlung vor dem Senat durch die Berufung hierfür angeführten – Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.11.2021 (I ZR 214/18, BGH, GRUR 2022, 391 – Gewinnspielwerbung II) zu entnehmen. In dem dortigen Fall wurde eine unsachliche Beeinflussung bejaht, weil der Kunde sich für die Einlösung des Rezepts bei einer Versandapotheke entscheiden könnte, ohne zu erwägen, dass der Erwerb des Arzneimittels bei einer stationären Apotheke seinen persönlichen Bedürfnissen mehr entspreche (vgl. Rn. 44). Dies steht indessen nicht der Annahme einer unsachlichen Beeinflussung entgegen, die – wie hier – darin begründet liegt, dass der Kunde beim Erwerb des Arzneimittels bei einer an dem [X.]programm teilnehmenden Apotheke den – nach den Vorstellungen des Gesetzgebers schon im Ansatz zu unterbindenden – Preiswettbewerb zwischen den Apotheken fördert, was dem letztlich auch in seinem Interesse stehenden Ziel einer flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln abträglich sein könnte (vgl. BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 12 – Brötchen-Gutschein).

ee) Es liegt auch keine der in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 HWG geregelten Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Wertreklame vor. Im Streitfall kommt von vornherein allenfalls eine Einordnung des Gutscheins als handelsübliches Zubehör oder handelsübliche Nebenleistung i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HWG in Betracht. Die Ausnahmebestimmung greift zwar auch bei preisgebundenen Arzneimitteln, da sie insoweit keine Einschränkung enthält (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 29 – Brötchen-Gutschein). Bei der Gewährung von 50 [X.]punkten handelt es sich aber ersichtlich weder um ein Zubehör noch um eine Nebenleistung i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HWG. Maßgeblich für die Eigenschaft als Zubehör ist eine funktionale Beziehung zur Hauptware (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 29 – Brötchen-Gutschein; GRUR 1968, 53, 55 – Probetube, zur ZugabeV), an der es im Streitfall fehlt. Eine Nebenleistung muss geeignet sein, die Durchführung der Hauptleistung sachlich zu ermöglichen oder zu fördern (vgl. BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 29 – Brötchen-Gutschein); auch dies trifft im Streitfall nicht zu. Soweit die Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz vorträgt, dass die Gewährung von [X.]punkten im Rahmen der Bestellung von Arzneimitteln über eine App handelsüblich sei, ist dieser Vortrag zudem als neues Angriffsmittel in der Berufungsinstanz nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.

d. Die Zuwiderhandlung der Beklagten ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern und Mitbewerbern i.S.d. § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen.

Die Werbung entgegen den Preisbindungsvorschriften führt nach der vom Gesetzgeber vorgenommenen Beurteilung des Sachverhalts zu einem Preiswettbewerb zwischen den Apotheken. Der Gesetzgeber ist bei der mit Wirkung vom 13.8.2013 vorgenommenen Änderung des Heilmittelwerbegesetzes davon ausgegangen, dass jede gesetzlich verbotene Abweichung vom Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel geeignet ist, einen unerwünschten Preiswettbewerb zwischen den Apotheken auszulösen. Für eine betragsmäßige Spürbarkeitsschwelle beim Erwerb preisgebundener Arzneimittel ist damit kein Raum mehr (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 57 – Brötchen-Gutschein; OLG Hamm, Urteil vom 11.6.2015 – 4 U 12/15, BeckRS 2016, 3123; OLG München, GRUR-RR 2017, 451, 455 – Smiles®Plus Partnerprogramm). Die eindeutige gesetzliche Regelung, nach der jede Gewährung einer Zuwendung oder sonstigen Werbegabe i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG, die gegen die Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes verstößt, unzulässig ist, darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass ein solcher Verstoß als nicht spürbar eingestuft und damit als nicht wettbewerbswidrig angesehen wird.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH: Haben Mitbewerber wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche bei DSGVO-Verstößen - Verarbeitung von Gesundheitsdaten beim Online-Vertrieb von Arzneimitteln

BGH
Beschluss vom 12.01.2023
I ZR 223/10
Arzneimittelbestelldaten
Verordnung (EU) 2016/679 Art. 9 Abs. 1; Richtlinie 95/46/EG Art. 8 Abs. 1; UWG § 8 Abs. 3 Nr. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH legt EuGH vor: Haben Mitbewerber wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche bei DSGVO-Verstößen - Verarbeitung von Gesundheitsdaten beim Online-Vertrieb von Arzneimitteln über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO, ABl. L 119/1 vom 4. Mai 2016, S. 1) und der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Richtlinie, DSRL, ABl. 281 vom 23. November
1995, S. 31) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Stehen die Regelungen in Kapitel VIII der Datenschutz-Grundverordnung nationalen Regelungen entgegen, die - neben den Eingriffsbefugnissen der zur Überwachung und Durchsetzung der Verordnung zuständigen Aufsichtsbehörden und den Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen - Mitbewerbern die Befugnis einräumen, wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung gegen den Verletzer im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken vorzugehen?

2. Sind die Daten, die Kunden eines Apothekers, der auf einer Internet-Verkaufsplattform als Verkäufer auftritt, bei der Bestellung von zwar apothekenpflichtigen, nicht aber verschreibungspflichtigen Medikamenten auf der Verkaufsplattform eingeben (Name des Kunden, Lieferadresse und für die Individualisierung des bestellten apothekenpflichtigen Medikaments notwendige Informationen), Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO sowie Daten über Gesundheit im Sinne von Art. 8 Abs. 1 DSRL?

BGH, Beschluss vom 12. Januar 2023 - I ZR 223/19 - OLG Naumburg - LG Dessau-Roßlau

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH legt EuGH vor: Haben Mitbewerber wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche bei DSGVO-Verstößen - Verarbeitung von Gesundheitsdaten beim Online-Vertrieb von Arzneimitteln

BGH
Beschlüsse vom 12.01.2023
I ZR 222/19 und I ZR 223/19


Der BGH hat dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt, ob Mitbewerber wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche bei DSGVO-Verstößen zustehen und diese abgemahnt und gerichtlich geltend gemacht werden können. Ferner geht es um Fragen hinsichtlich der Verarbeitung von Gesundheitsdaten beim Online-Vertrieb von Arzneimitteln.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof legt dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zum Vertrieb von Arzneimitteln über eine Internet-Verkaufsplattform vor

Der für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob ein Apotheker, der auf einer Internet-Verkaufsplattform Arzneimittel vertreibt, gegen die für Gesundheitsdaten geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen verstößt, und ob ein solcher Verstoß von einem anderen Apotheker mit einer wettbewerbsrechtlichen Klage vor den Zivilgerichten verfolgt werden kann.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf im Verfahren I ZR 222/19

Die Parteien sind Apotheker. Der Beklagte vertreibt seine Produkte über die Plattform des Anbieters Amazon. Der Kläger rügt, der Vertrieb apothekenpflichtiger Arzneimittel über die Plattform verstoße einerseits gegen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG), des Heilmittelwerbegesetzes (HWG), der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und der Berufsordnung für Apotheker sowie andererseits gegen datenschutzrechtliche Regelungen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Verstöße gegen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes, des Heilmittelwerbegesetzes, der Apothekenbetriebsordnung und der Berufsordnung für Apotheker lägen nicht vor. Im Hinblick auf Verstöße gegen datenschutzrechtliche Regelungen der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutzgrundverordnung - DSGVO) sei der Kläger nicht klagebefugt. Die Datenschutzgrundverordnung enthalte ein abschließendes Sanktionssystem, das den Wettbewerber nicht einschließe.

Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Landgerichts abgeändert und der Klage teilweise stattgegeben. Es hat angenommen, die Regelungen der Datenschutzgrundverordnung seien in der konkreten Fallkonstellation als Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a UWG anzusehen. Der Beklagte verarbeite im Rahmen der Bestellungen Gesundheitsdaten seiner Kunden im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Hierfür fehle die im Streitfall erforderliche Einwilligung. Ein Verstoß gegen die weiteren vom Kläger angeführten Vorschriften scheide jedoch aus. Das Oberlandesgericht hat die Revision zugelassen. Beide Parteien haben Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts eingelegt.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf im Verfahren I ZR 223/19

Die Parteien sind Apotheker. Der Beklagte vertreibt seine Produkte über die Plattform des Anbieters Amazon. Der Kläger rügt, dass der Beklagte für die Erhebung und Verarbeitung personenbezogenen Daten im Rahmen des Bestellprozesses keine Einwilligung eingeholt hat. Der Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei nicht klagebefugt. Es liege auch keine Verarbeitung von Gesundheitsdaten vor. Zudem sei die Datenverarbeitung rechtmäßig.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat das Datenschutzrecht als Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG angesehen, weil es auch dem Schutz der Interessen der Mitbewerber diene. Die Veräußerung apothekenpflichtiger Produkte über die Plattform Amazon Marketplace verletze datenschutzrechtliche und berufsrechtliche Vorschriften.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Es hat angenommen, die Regelungen der Datenschutzgrundverordnung seien in der konkreten Fallkonstellation als Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a UWG anzusehen. Der Beklagte verarbeite im Rahmen der Bestellungen Gesundheitsdaten seiner Kunden im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Hierfür fehle die im Streitfall erforderliche Einwilligung. Der Beklagte hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt.

Bisheriger Prozessverlauf in beiden Verfahren

Der Senat hat beide Verfahren mit Beschluss vom 8. September 2020 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über sein Vorabentscheidungsersuchen vom 28. Mai 2020 (I ZR 186/17, GRUR 2020, 896 = WRP 2020, 1182 - App-Zentrum; vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 159/2022) ausgesetzt. Mit diesem Ersuchen hatte der BGH dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die in Kapitel VIII und insbesondere in Art. 80 Abs. 1 und 2 sowie Art. 84 Abs. 1 DSGVO getroffenen Bestimmungen nationalen Regelungen entgegenstehen, die einerseits Mitbewerbern und andererseits nach dem nationalen Recht berechtigten Verbänden, Einrichtungen und Kammern die Befugnis einräumen, wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte einzelner betroffener Personen und ohne Auftrag einer betroffenen Person gegen den Verletzer im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten vorzugehen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 28. April 2020 (C-319/20 - Meta Platforms Ireland) unter Hinweis darauf, dass das Ausgangsverfahren nicht die Frage der Klagebefugnis eines Mitbewerbers aufwerfe, nur den Teil der ihm vom Bundesgerichtshof vorgelegten Frage beantwortet, der sich auf die Klagebefugnis der nach dem nationalen Recht berechtigten Verbände, Einrichtungen und Kammern im Sinne von Art. 80 Abs. 2 DSGVO bezieht.

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren I ZR 223/19 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Regelungen in Kapitel VIII der Datenschutz-Grundverordnung nationalen Regelungen entgegenstehen, die - neben den Eingriffsbefugnissen der zur Überwachung und Durchsetzung der Verordnung zuständigen Aufsichtsbehörden und den Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen - Mitbewerbern die Befugnis einräumen, wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung gegen den Verletzer im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken vorzugehen. Außerdem hat der Bundesgerichtshof den Gerichtshof der Europäischen Union gefragt, ob die Daten, die Kunden eines Apothekers, der auf einer Internet-Verkaufsplattform als Verkäufer auftritt, bei der Bestellung von zwar apothekenpflichtigen, nicht aber verschreibungspflichtigen Medikamenten auf der Verkaufsplattform eingeben (Name des Kunden, Lieferadresse und die für die Individualisierung des bestellten apothekenpflichtigen Medikaments notwendigen Informationen), Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO sowie Daten über Gesundheit im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Richtlinie, DSRL) sind.

Das Verfahren I ZR 222/19 hat der Bundesgerichtshof bis zur Entscheidung über sein Vorabentscheidungsersuchen in der Sache I ZR 223/19 ausgesetzt.

Vorinstanzen im Verfahren I ZR 222/19:

LG Magdeburg, Urteil vom 18. Januar 2019 - 36 O 48/18

OLG Naumburg - Urteil vom 7. November 2019 - 9 U 6/19

Vorinstanzen im Verfahren I ZR 223/19:

LG Dessau-Roßlau - Urteil vom 27. März 2018 - 3 O 29/17

OLG Naumburg - Urteil vom 7. November 2019 - 9 U 39/18

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 3 Abs. 1 UWG

Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.

§ 3a UWG

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG

Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.

§ 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG

(3) Die Ansprüche aus Absatz 1 stehen zu:

1. jedem Mitbewerber, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt, […]

Art. 9 DSGVO

(1) Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt.

(2) Absatz 1 gilt nicht in folgenden Fällen:

a) Die betroffene Person hat in die Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten für einen oder mehrere festgelegte Zwecke ausdrücklich eingewilligt, […]

Art. 8 DSRL

(1) Die Mitgliedstaaten untersagen die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie von Daten über Gesundheit oder Sexualleben.

(2) Absatz 1 findet in folgenden Fällen keine Anwendung:

a) Die betroffene Person hat ausdrücklich in die Verarbeitung der genannten Daten eingewilligt, […]



LG Karlsruhe: Online-Markplatz für Apotheken nicht mit § 8 Satz 2, § 11 Abs. 1a ApoG vereinbar und wettbewerbswidrig

LG Karlsruhe
Urteil vom 08.12.2022
13 O 17/22 KfH


Das LG Karlsruhe hat entschieden, dass ein Online-Markplatz für Apotheken nicht mit § 8 Satz 2, § 11 Abs. 1a ApoG vereinbar und somit wettbewerbswidrig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Urteil über die Zulässigkeit eines Online-Marktplatzes für Apotheken

Kurzbeschreibung: Landgericht Karlsruhe entscheidet über die Zulässigkeit eines Online-Marktplatzes für Apotheken (LG Karlsruhe, Urteil vom 08.12.2022 - 13 O 17/22 KfH -)

Mit Urteil vom heutigen Tage hat das Landgericht Karlsruhe (Kammer für Handelssachen) in einem Rechtsstreit eines (von einem großen niederländischen Anbieter betriebenen) Online-Marktplatzes für Apotheken mit einer Apothekerkammer, deren Mitglieder niedergelassene Apotheker*innen sind, wie folgt entschieden:

Angesichts der Regelungen in § 8 Satz 2, § 11 Abs. 1a ApoG ist es nicht zulässig, für Apotheken eine Online-Plattform bereitzustellen, über welche Apotheken Arzneimittel an Patienten verkaufen können, wobei der Marktplatzbetreiber von den teilnehmenden Apotheken eine monatliche Grundgebühr und eine umsatzabhängige Transaktionsgebühr (letztere auf Verkäufe von rezeptfreien Arzneimitteln) verlangt. Die beklagte Apothekerkammer kann einen entgegen den Vorschriften des Apothekengesetzes erfolgten Betrieb eines solchen Online-Marktplatzes nach den Vorschriften des Wettbewerbsrechts (UWG) untersagen lassen.

Dies ergibt sich insbesondere aus dem vom Gesetzgeber mit den genannten Vorschriften verfolgten Zweck. Der Schutzzweck des § 11 Abs. 1a ApoG liegt im Allgemeininteresse an der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Dafür ist nach der Wertung des Gesetzes ein flächendeckendes Netz wohnortnaher Apotheken erforderlich. Die Versorgung der Bevölkerung mit wohnortnahen Apothekendienstleistungen kann gefährdet sein, wenn wirtschaftlicher Druck auf die niedergelassenen Apotheken entsteht. Sind solche Marktplätze wie derjenige der Klägerin erst einmal am Markt etabliert, stehen Apotheker*innen vor der Wahl, sich entweder an entsprechenden Geschäftsmodellen zu beteiligen oder Verschreibungen zu verlieren.

Der Gesetzeszweck des § 8 Satz 2 ApoG liegt darin, Rechtsverhältnisse zu vermeiden, in denen sich ein Dritter die beruflichen und wirtschaftlichen Fähigkeiten von Apotheker*innen zunutze macht und an den Früchten der Apotheke partizipiert. Apotheker*innen soll die eigenverantwortliche Führung und Leitung ihres Betriebs sowohl in fachlicher, also wissenschaftlich-pharmazeutischer, als auch in betrieblicher und wirtschaftlicher Hinsicht möglich sein, ohne (auch nur indirekt) bei ihren Entscheidungen von Dritten beeinflusst oder bestimmt zu werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Apotheker*innen ihrer öffentlichen Aufgabe, eigenverantwortlich an der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung mitzuwirken, in sachgerechter Weise nachkommen. Apotheken können, wenn sie sich dem Marktplatz der Klägerin angeschlossen haben, möglicherweise in einigen Jahren aufgrund gestiegener Marktmacht der Klägerin und sich ggf. ändernder Vertragsbedingungen in wirtschaftliche Abhängigkeit geraten, wie dies von anderen Marktplätzen, etwa booking.com, als allgemeinbekannt vorausgesetzt werden kann.

Das Urteil gewinnt zusätzliche Bedeutung vor dem Hintergrund des elektronischen Rezepts, welches seit 01.09.2022 schrittweise in Deutschland eingeführt wird. Dabei übermitteln Arztpraxen die Verordnungsdaten elektronisch an den e-Rezept-Server. Patient*innen erhalten einen Zugangscode, den sie (ggf. unter Nutzung einer e-Rezept-App) einer Apotheke ihrer Wahl bereitstellen. Die Apotheke kann sich damit die Daten vom Server laden und die Medikamente ausgeben. Indem die Abläufe im Gesundheitswesen aufgrund der Einführung des e-Rezepts in naher Zukunft weitaus digitaler sein werden, würden sich die aufgezeigten – möglichen – Entwicklungen am Markt, die der Gesetzgeber gerade verhindern will, nochmals beschleunigen.

Die Klägerin (Marktplatzbetreiberin) kann das Urteil durch Berufung zum Oberlandesgericht anfechten.

§ 8 Satz 2 ApoG lautet:

Beteiligungen an einer Apotheke in Form einer Stillen Gesellschaft und Vereinbarungen, bei denen die Vergütung für dem Erlaubnisinhaber gewährte Darlehen oder sonst überlassene Vermögenswerte am Umsatz oder am Gewinn der Apotheke ausgerichtet ist, insbesondere auch am Umsatz oder Gewinn ausgerichtete Mietverträge sind unzulässig.

§ 11 Abs. 1a ApoG lautet:

Es ist für die in Absatz 1 Satz 1 genannten Dritten unzulässig, Verschreibungen, auch Verschreibungen in elektronischer Form oder elektronische Zugangsdaten zu Verschreibungen in elektronischer Form, zu sammeln, an Apotheken zu vermitteln oder weiterzuleiten und dafür für sich oder andere einen Vorteil zu fordern, sich einen Vorteil versprechen zu lassen, anzunehmen oder zu gewähren.


BGH: Verbot von DocMorris-Gewinnspiel zur Förderung des Verkaufs von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit Art 34 AEUV vereinbar

BGH
Urteil vom 18.11.2021
I ZR 214/18
Gewinnspielwerbung II
Richtlinie 2001/83/EG Art. 86 Abs. 1; UWG § 3a; HWG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 13; AMG § 78 Abs. 1 Satz 1; AMPreisV § 1, § 3; SGB V § 129 Abs. 3 Satz 2 und 3


Der BGH hat entschieden, dass das Verbot von DocMorris-Gewinnspielen zur Förderung des Verkaufs von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit Art 34 AEUV vereinbar.

Leitsätze des BGH:

a) Eine Werbung, die nicht auf ein bestimmtes Arzneimittel abzielt, sondern auf das gesamte Sortiment verschreibungspflichtiger Arzneimittel, das von einer Apotheke angeboten wird, fällt nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des Titels VIII der Richtlinie 2001/83/EG (Anschluss an EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-190/20, GRUR 2021, 1325 Rn. 21 und 22 - DocMorris).

b) Der Begriff der "Werbung für Arzneimittel" im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWG stimmt nicht mit dem Begriff der "Werbung für Arzneimittel" im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG überein (Aufgabe BGH, Urteil vom 13. März 2008 - I ZR 95/05, GRUR 2008, 1014 Rn. 21 - Amlodipin), sondern geht darüber hinaus und erfasst auch eine Werbung für das gesamte Warensortiment der Apotheke (Festhaltung BGH, Urteil vom 24. November 2016 - I ZR 163/15, GRUR 2017, 635 Rn. 31 - Freunde werben Freunde; Urteil vom 29. November 2018 - I ZR 237/16, GRUR 2019, 203 Rn. 19 - Versandapotheke; Urteil vom 6. Juni 2019 - I ZR 206/17, GRUR 2019, 1071 Rn. 22 - Brötchen-Gutschein).

c) Die Werbung mit der Veranstaltung eines Gewinnspiels zur Förderung des Verkaufs von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln kann sowohl als Ankündigung einer gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG unzulässigen Werbegabe als auch als Verstoß gegen das Arzneimittelpreisrecht (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AMG, §§ 1, 3 AMPreisV, § 129 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB V) verboten werden.

d) Das Verbot der Veranstaltung eines solchen Gewinnspiels kann auch gegenüber einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Versandapotheke verhängt werden, weil es sich dabei nicht um eine nach Art. 34 AEUV verbotene Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit handelt, sondern um eine Verkaufsmodalität, die nicht geeignet ist, den Zugang von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat zum inländischen Markt zu versperren oder stärker zu behindern als für inländische Erzeugnisse (Anschluss an EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-190/20, GRUR 2021, 1325 Rn. 35 - DocMorris, mwN).

BGH, Urteil vom 18. November 2021 - I ZR 214/18 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: EuGH-Rechtsprechung zum Umverpacken von Arzneimitteln mangels grenzüberschreitendem Bezug bei reinen Inlandssachverhalten nicht anwendbar

OLG Frankfurt
Urteil vom 18.11.2021
6 U 173/20


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die EuGH-Rechtsprechung zum Umverpacken von Arzneimitteln mangels grenzüberschreitendem Bezug bei reinen Inlandssachverhalten nicht anwendbar ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus Art. 9 Abs. 2a UMV nicht zu, da die Klägerin sich dem weiteren Vertrieb der erschöpften Waren mangels berechtigter Gründe nicht nach Art. 15 Abs. 2 UMV widersetzen kann.

1. Gemäß Art. 15 Abs. 2 UMV kann sich ein Dritter nicht auf die Erschöpfung des Rechts des Markeninhabers aus der Gemeinschaftsmarke berufen, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist. Eine derartige Veränderung kann auch darin liegen, dass die Verpackung (z.B. durch Aufkleber) verändert wird. Zwar betrifft eine Veränderung der Umverpackung streng genommen nicht die „Ware“ selbst, sondern eben nur die Verpackung der Ware, sodass diese Veränderung vom Wortlaut des Abs. 2 nicht erfasst wäre. Änderungen der Verpackung können jedoch jedenfalls dann erhebliche Eingriffe sein, die die Erschöpfung entfallen lassen, wenn der Verkehr die Verpackung als für das Produkt wesentlich ansieht, es z.B. üblicherweise in einer verschlossenen Originalverpackung verkauft wird und der Verkehr gerade auf die Integrität der Verpackung Wert legt. Dies ist typischerweise bei Produktverpackungen von Arzneimitteln der Fall (vgl. EuGH GRUR 2002, 879 Rn 34 - Boehringer Ingelheim).

2. Die für das Umverpacken von Arzneimitteln durch den Europäischen Gerichtshof und den Bundesgerichtshof für Art. 15 Abs. 2 UMV entwickelten fünf Kriterien, die kumulativ für eine zulässige Veränderung der Produktverpackung von Arzneimitteln vorliegen müssen, sind hier nicht anwendbar, da es sich nicht um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handelt. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass es sich um parallelimportierte Ware gehandelt hat.

Grundlage für die Rechtsprechung des EuGH zu Fällen des Umverpackens von Arzneimitteln und Medizinprodukten bei Fällen des Parallelimports ist die Warnverkehrsfreiheit des Art. 34 AEUV. Die Geltendmachung der Marke gegenüber dem Vertrieb veränderter Ware kann zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten und damit zu einer verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 34 S. 2 AEUV beitragen (EuGH GRUR 2007, 586 Rn 37 - Boehringer Ingelheim/Swingward II; EuGH GRUR 2018, 736 Rn 25 - Debrisoft; BGH GRUR 2017, 71 Rn 15 - Debrisoft; OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2019, 426 Rn 16). Bei reinen Inlandssachverhalten ist eine solche Gefährdung ausgeschlossen.

3. Die danach nach Art. 15 Abs. 2 UMV vorzunehmende Gesamtbetrachtung führt hier dazu, dass die Klägerin keine berechtigten Gründe hat, sich der Erschöpfung der Ware zu widersetzen.

a) Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse daran, die PZN der Klägerin durch ihre eigene zu ersetzen. Ohne die von der Beklagten angebrachte eigene PZN sind die von der Beklagten angebotenen Packungen nicht mittels des Warenwirtschafts- und Abrechnungssystems von den Packungen der Klägerin zu unterscheiden. Andernfalls könne die Klägerin nämlich Wettbewerber von einem gleichwertigen Zugang zur elektronischen Warenwirtschaft ausschließen. Könnte die PZN nicht angebracht werden, würde kein Weitervertrieb möglich sein oder dieser zumindest erheblich erschwert, so dass im Endeffekt die Klägerin weiterhin Kontrolle über die Vertriebswege hätte, was mit dem Erschöpfungsgrundsatz unvereinbar wäre; zudem wäre auch der Preiswettbewerb erheblich behindert.

Damit unterstützt das Überkleben der PZN durch eine neue PZN der Beklagten den Normzweck der Erschöpfungsregelungen, der darin besteht, das Markenrecht angemessen zu begrenzen. Mit den Interessen des Wirtschaftsverkehrs - gleich ob auf nationaler oder europäischer Ebene - ist es unvereinbar, den weiteren Vertrieb von Waren, die mit Zustimmung des Zeicheninhabers gekennzeichnet und in den Verkehr gebracht worden sind, markenrechtlich zu behindern.

b) Aus der Tatsache, dass die Beklagte durch das Anbringen des eigenen PZN-Aufklebers die Klagemarke verdeckt hat, kann nichts Anderes folgen.

Allerdings kann das Überdecken der Marke grundsätzlich geeignet sein, die Herkunftsfunktion der Klagemarke zu beeinträchtigen. Indes kann nicht jedes Überkleben der Marke zwangsläufig zu einer derartigen Beeinträchtigung führen. Sonst hätte es der Markeninhaber in der Hand, durch eine mehrfache, großflächige Verteilung seiner Marke auf der Verpackung zu verhindern, dass die von in den Verkehr gebrachte Ware erschöpft und weitervertrieben werden kann. Vielmehr ist auf die konkrete Gestaltung im Einzelfall abzustellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich auch weder aus der Rechtsprechung des EuGH (EuGH GRUR 2018, 736 - Debrisoft) noch des BGH (GRUR 2019, 515, Rn 22 - Debrisoft II), dass jede Überdeckung der Marke zwangsläufig dazu führt, dass eine Erschöpfung ausgeschlossen ist. Vielmehr wurde dort eine Markenverletzung auch deshalb abgelehnt, weil das Nichtüberkleben der Marke eine Verletzung ausschließe. Der Umkehrschluss, damit sei jedes Überkleben als eine Markenverletzung anzusehen, ist jedoch weder durch die Rechtsprechung des EuGH und BGH gedeckt noch mit den Gesetzen der Logik vereinbar.

In der vorliegenden konkreten Gestaltung sieht der Senat keine Verletzung berechtigter Interessen der Markeninhaberin. Die überdeckte Marke ist auf dem Ursprungsaufkleber lediglich im Fließtext nicht herausgehoben wiedergegeben, so dass schon fraglich erscheint, ob das Zeichen überhaupt markenmäßig oder nicht vielmehr firmenmäßig benutzt wird. Jedenfalls hat die Marke an dieser Stelle für die Kennzeichnung des Produkts keine nennenswerte Bedeutung. Die Klagemarke findet sich weiterhin unverändert auf allen Verpackungsseiten an prominenter Stelle in deutlich größerer Form. Diese Kennzeichnungen hat die Beklagte nicht verändert. Bei dieser Sachlage liegt insbesondere kein Fall vor, in welchem im Sinne der Debrisoft-Entscheidung des EuGH „die Marke verdeckt“ wird (EuGH GRUR 2018, 736 Rn 35 - Debrisoft; vgl. schon OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2019, 426 Rn 26). Vielmehr liegt der Gedanke nahe, dass die Klägerin die Marke an dieser unauffälligen und ungewöhnlichen Stelle bewusst unter dem Barcode und neben der PZN angebracht hat, um zu provozieren, dass bei der nötigen (und zulässigen) Anbringung der PZN durch die Beklagte die Marke mit überdeckt wird. Ob dies die Absicht der Klägerin war, kann jedoch im Ergebnis dahinstehen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Frankfurt: Keine Irreführung durch Werbung für Hustensaft bei Erlaubnis des BfArM auch wenn Medizinprodukt als Arzneimittel präsentiert wird

OLG Frankfurt
Urteil vom 08.07.2021
6 U 126/20

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass keine wettbewerbswidrige Irreführung vorliegt, wenn für Hustensaft mit Erlaubnis des BfArM geworben wird, auch wenn ein Medizinprodukt als Arzneimittel präsentiert wird

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Trotz Präsentation als Arzneimittel ist Vertrieb eines Hustensafts als Medizinprodukt bei entsprechender Erlaubnis des BfArM keine Irreführung

Hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) festgestellt, dass ein Produkt (hier: Hustensaft) trotz seiner Präsentation nach einer Gesamtabwägung kein zulassungspflichtiges Arzneimittel ist, sind die Zivilgerichte daran grundsätzlich gebunden. Ein von einer Verwaltungsbehörde erlaubtes Verhalten stellt selbst dann keine Irreführung nach § 5 UWG dar, wenn tatsächlich die Voraussetzungen für die Erlaubnis nicht vorliegen. Die auf Unterlassen des Vertriebs gerichtete Berufung des Klägers hatte deshalb gemäß heute veröffentlichter Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) keinen Erfolg.

Die Parteien streiten um die Einordnung des von der Beklagten vertriebenen Produkts „Mucosolvan PHYTO Complete“ als (Präsentations-)Arzneimittel oder Medizinprodukt. Ein Präsentationsarzneimittel liegt vor, wenn die Präsentation des Produkts den Eindruck erweckt, dass es heilende Wirkung im Sinne eines Arzneimittels hat. Dies sei hier der Fall, meint die Klägerin. Mangels Arzneimittelzulassung habe die Beklagte den Vertrieb zu unterlassen. Das Produkt enthalte die zwei anerkannten und monographierten Arzneipflanzen Spitzwegerich und Thymian, die seit jeher bei der Behandlung von Husten eingesetzt würden und deren pharmakologische Wirkung unbestritten sei. Unter der Dachmarke „Mucosolvan“ vertreibe die Beklagte zudem zahlreiche als Arzneimittel zugelassen Hustensäfte.

Im vorausgegangenen Eilverfahren (Presseinformationen vom 22.05.2020, Nr. 40/2020) hatte der Senat der Beklagten den weiteren Vertrieb untersagt, da die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass der Vertrieb des Hustensaftes als Medizinprodukt von einer behördlichen Erlaubnis gedeckt sei. Vorgelegt worden sei allein ein hinsichtlich der maßgeblichen Passagen geschwärzter Bescheid des BfArM. Im nunmehrigen Hauptsacheverfahren hat die Beklagte den vollständigen ungeschwärzten Bescheid des BfArM vorgelegt. Demnach handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Präparat nicht um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel.

Das OLG hat deshalb die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Der Bescheid des BfArM entfalte Tatbestandswirkung. Der Senat sei an die dortige Feststellung gebunden, dass das Produkt kein zulassungspflichtiges Arzneimittel sei. Soweit der Kläger meine, die Bescheidsbegründung sei inhaltlich fehlerhaft, könne er damit nicht gehört werden. Es sei gerade Sinn der Tatbestandswirkung, dass die fachlich kompetente Verwaltungsbehörde eine abschließende Entscheidung treffe, die von den Zivilgerichten - unabhängig von der Rechtmäßigkeit - nicht nachprüfbar sei.

Der weitere klägerische Einwand, dass das BfArM nicht die streitgegenständliche Werbung, sondern nur die Produktverpackung der Beurteilung zugrundegelegt habe, greife ebenfalls nicht. Gegenstand der Prüfung sei das Produkt nebst der Produktverpackung und dem Informationsblatt gewesen. Bei der Prüfung sei jedoch auch berücksichtigt worden, dass das Produkt den äußeren Anschein eines Arzneimittels erwecke. Dies habe jedoch nicht für eine Einstufung als (Präsentations-) Arzneimittel ausgereicht.

Soweit die Tatbestandswirkung ihre Grenze in der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes finde, sei diese Grenze hier nicht erreicht. Das BfArM habe vertretbar ausgeführt, dass das Produkt zwar die objektiven Kriterien eines Präsentationsarzneimittels erfülle, im Rahmen einer Gesamtwürdigung aber aufgrund der physikalisch wirkenden bestimmungsgemäßen Hauptwirkung dennoch als Medizinprodukt einzuordnen sei.

Der Kläger könne sich auch nicht auf eine Irreführung nach § 5 UWG berufen. Ein von einer Verwaltungsbehörde durch Verwaltungsakt erlaubtes Verhalten stelle selbst dann keine Irreführung dar, wenn die Voraussetzung für die Erlaubnis tatsächlich nicht vorliegen würden. Im Rahmen einer Interessenabwägung könne ein Unterlassungsanspruch nicht wegen eines Verhaltens begründet werden, dass einer gesetzlichen Erlaubnis entspreche.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann der Kläger die Zulassung der Revision beim BGH begehren.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 08.07.2021, Az. 6 U 126/20

(vorausgehend LG Frankfurt am Main, Urteil vom 01.07.2020, Az. 3-08 O 118/19)




EuGH: Verbot von DocMorris-Gewinnspiel unionsrechtskonform - Teilnahme durch Einsendung eines Rezepts zur Bestellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel

EuGH
Urteil vom 15.07.2021
DocMorris NV gegen Apothekerkammer Nordrhein

C‑190/20

Der EuGH hat entschieden, dass das Verbot eines DocMorris-Gewinnspiel, bei dem die Teilnahme durch Einsendung eines Rezepts zur Bestellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel erfolgt, unionsrechtskonform ist.

Tenor der Entscheidung:

1. Die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sie auf eine nationale Regelung, die es einer Apotheke, die Arzneimittel im Versandhandel verkauft, verbietet, eine Werbeaktion in Form eines Gewinnspiels durchzuführen, bei dem die Teilnehmer Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die keine Arzneimittel sind, gewinnen können und die Teilnahme die Einsendung der Bestellung eines verschreibungspflichtigen Humanarzneimittels und des entsprechenden Rezepts voraussetzt, nicht anwendbar ist.

2. Art. 34 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Keine Abschläge nach § 1 Satz 1 AMRabG für Lifestyle-Arzneimittel

BGH
Urteil vom 25.03.2021
I ZR 247/19
Abschlagspflicht III
AMRabG § 1 Satz 1; SGB V § 130a Abs. 1 Satz 1, § 31 Abs. 1 Satz 1, § 34 Abs. 1

Leitsatz des BGH:


Unternehmen der privaten Krankenversicherung und Träger der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen können gegenüber pharmazeutischen Unternehmen keine Abschläge nach § 1 Satz 1 AMRabG in Verbindung mit § 130a Abs. 1 Satz 1 SGB V für solche Arzneimittel geltend machen, die nach § 34 Abs. 1, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V vom Leistungsanspruch der gesetzlich Krankenversicherten nicht umfasst sind (hier: sogenannte "Lifestyle"-Arzneimittel gemäß § 34 Abs. 1 Satz 7 und 8 SGB V).

BGH, Urteil vom 25. März 2021 - I ZR 247/19 - OLG München - LG München I

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker kann nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 HWG unzulässig sein

BGH
Urteil vom 17.12.2020
I ZR 235/16
Apothekenmuster II
Richtlinie 2001/83/EG Art. 96 Abs. 1, Art. 94 Abs. 1; AMG § 47 Abs. 3; HWG § 7 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass die Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 HWG unzulässig sein kann.

Leitsätze des BGH:
a) Die unionsrechtskonforme Auslegung von § 47 Abs. 3 AMG im Lichte von Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG ergibt, dass es pharmazeutischen Unternehmen nicht erlaubt ist, Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abzugeben. Dagegen stehen diese Bestimmungen der Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker nicht entgegen (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 11. Juni 2020 - C-786/18, GRUR 2020, 764 = WRP 2020, 1004 - ratiopharm).

b) Die Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker kann jedoch nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 HWG als Zuwendung in Form einer Ware unzulässig sein.

BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - I ZR 235/16 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

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BGH: Sinupret - Wettbewerbswidrige Irreführung durch Wirkversprechen wenn keine human-pharmakologischen Untersuchungen zur Wirksamkeit vorliegen

BGH
Urteil vom 05.11.2020
I ZR 204/19
Sinupret
UWG § 3a; HWG § 3 Satz 1 und 2 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass ein wettbewerbswidrige Irreführung nach § 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 HWG vorliegt, wenn Wirkversprechen für ein Arzneimittel gemacht werden, obwohl keine human-pharmakologischen Untersuchungen zur Wirksamkeit vorliegen^.

Leitsatz des BGH:

Eine Werbung, die einem Arzneimittel aus Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen bei einer Anwendung am Menschen beilegt (hier eine entzündungshemmende und antivirale Wirkung bei der Behandlung von Patienten mit akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen), ist nach § 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 HWG irreführend und unzulässig, wenn sie nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, weil sie allein auf Angaben in der Fachinformation gestützt wird, wonach sich diese Wirkungen zwar bei Tests an tierischen Organismen (hier einer Rattenpfote) und außerhalb lebender Organismen (in vitro) gezeigt haben, aber bisher keine human-pharmakologischen Untersuchungen zur klinischen Relevanz dieser Ergebnisse vorliegen.

BGH, Urteil vom 5. November 2020 - I ZR 204/19 - OLG Nürnberg - LG Nürnberg-Fürth

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EuGH: Pharmaunternehmen dürfen keine Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abgeben - Gratismuster nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zulässig

EuGH
Urteil vom 12.06.2020
C-786/18
ratiopharm GmbH / Novartis Consumer Health GmbH


Der EuGH hat entschieden, dass Pharmaunternehmen keine Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abgeben dürfen. Die Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheken ist hingegen zulässig.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Pharmazeutische Unternehmen dürfen keine Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abgeben

Dagegen verbietet es das Unionsrecht nicht, Gratismuster nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abzugeben.

Das Pharmaunternehmen Novartis stellt das Arzneimittel Voltaren Schmerzgel mit dem Wirkstoff Diclofenac her. Vor den deutschen Gerichten beantragt Novartis, dem Generikahersteller ratiopharm die Abgabe von Gratismustern des Arzneimittels Diclo-ratiopharm-Schmerzgel, das ebenfalls den Wirkstoff Diclofenac enthält, an Apotheker zu untersagen. Nach Auffassung von Novartis verstößt eine solche Abgabe gegen das deutsche Arzneimittelgesetz. Dort seien unter den Personen, an die Gratismuster von Arzneimitteln abgegeben werden dürften, zwar Ärzte, nicht aber Apotheker genannt. Diese Abgabe sei daher eine unzulässige Gewährung von Werbegaben.

Der Bundesgerichtshof ersucht in diesem Zusammenhang den Gerichtshof um die Auslegung des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (im Folgenden auch: Kodex). Er möchte wissen, ob dieser Kodex es pharmazeutischen Unternehmen erlaubt, Gratismuster von Arzneimitteln an Apotheker abzugeben.

Mit seinem Urteil von heutigen Tag entscheidet der Gerichtshof, dass der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel es pharmazeutischen Unternehmen nicht erlaubt, Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abzugeben.

Dagegen verbietet es der Kodex nicht, Gratismuster von Arzneimitteln, die nicht der Verschreibungspflicht unterliegen, an Apotheker abzugeben.

Der Kodex ist nach Ansicht des Gerichtshofs dahin auszulegen, dass nur zur Verschreibung von
der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegenden Arzneimitteln berechtigte Personen, also
Ärzte, Gratismuster solcher Arzneimittel erhalten dürfen, was zur Folge hat, dass eine Abgabe an
Apotheker nicht zulässig ist. Diese Arzneimittel dürfen in Anbetracht der mit ihrem Gebrauch
verbundenen Gefahr oder der hinsichtlich ihrer Wirkungen bestehenden Unsicherheit nämlich nicht
ohne ärztliche Überwachung verwendet werden.

Allerdings wird den Apothekern durch den Kodex nicht die Möglichkeit genommen, im Rahmen des
nationalen Rechts Gratismuster von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu erhalten,
damit sie sich mit neuen Arzneimitteln vertraut machen und Erfahrungen mit deren Anwendung
sammeln können.


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EuGH: Voraussetzungen für Verstoß gegen EU-Wettbewerbsrecht durch Vereinbarung zur gütlichen Beilegung eines Rechtsstreits zwischen Inhaber eines Arzneimittelpatents und Generikahersteller

EuGH
Urteil vom 30.01.2020
C-307/18
Generics (UK) Ltd, GlaxoSmithKline plc, Xellia Pharmaceuticals ApS, Alpharma LLC, formerly Zoetis Products LLC, Actavis UK Ltd, Merck KGaA
./.
Competition and Markets Authority,


Die Pressemitteilung des EuGH:

Der Gerichtshof stellt klar, unter welchen Voraussetzungen eine Vereinbarung zur gütlichen Beilegung eines Rechtsstreits zwischen dem Inhaber eines Arzneimittelpatents und einem Generikahersteller gegen das EU-Wettbewerbsrecht verstößt.

In dem Urteil Generics (UK) u. a. (C-307/18), das am 30. Januar 2020 verkündet wurde, hat der Gerichtshof klargestellt, unter welchen Voraussetzungen Vereinbarungen zur gütlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Inhaber von Arzneimittelpatenten und Generikaherstellern unter das Verbot von Verhaltensweisen und Vereinbarungen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Art. 101 AEUV), bzw. unter das Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV) fallen.

Das vom Competition Appeal Tribunal (Gericht für Wettbewerbssachen, Vereinigtes Königreich) beim Gerichtshof eingereichte Vorabentscheidungsersuchen betraf die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung über Vereinbarungen zur gütlichen Beilegung von Patentrechtsstreitigkeiten, die die Competition and Markets Authority (Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde, Vereinigtes Königreich) gegen verschiedene Generikahersteller und den Pharmakonzern GlaxoSmithKline (im Folgenden: GSK) erlassen hatte (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). GSK war Inhaberin eines Patents für den Wirkstoff des Antidepressivums Paroxetin sowie von Sekundärpatenten für bestimmte Verfahren zur Herstellung dieses Wirkstoffs. Als das Primärpatent 1999 auslief, erwogen mehrere Generikahersteller, mit generischem Paroxetin in den Markt des Vereinigten Königreichs einzutreten. Vor diesem Hintergrund erhob GSK gegen die Generikahersteller Klagen wegen Verletzung ihrer Patente. Diese wiederum fochten eines der Sekundärpatente von GSK an. Die Rechtsstreitigkeiten wurden schließlich durch Vereinbarungen, die GSK mit den betreffenden Generikaherstellern schloss, gütlich beigelegt. Die Generikahersteller erklärten sich gegen Zahlungen von GSK bereit, für einen bestimmten Zeitraum darauf zu verzichten, mit eigenen Generika in den Markt einzutreten (im Folgenden: streitige Vereinbarungen). Mit der angefochtenen Entscheidung stellte die Competition and Markets Authority fest, dass die streitigen Vereinbarungen gegen das Kartellverbot verstießen und dass GSK mit den Vereinbarungen auch ihre beherrschende Stellung auf dem relevanten Markt missbraucht habe, weshalb gegen die beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt wurden.

Der Gerichtshof hat zunächst darauf hingewiesen, dass eine Vereinbarung zwischen Unternehmen nur dann unter das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt, wenn sie den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts spürbar einschränkt, was voraussetzt, dass die betreffenden Unternehmen zumindest potenzielle Wettbewerber sind. Bei einem Generikahersteller, der zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung noch nicht in den Markt eingetreten war, muss hierzu nachgewiesen werden, dass für ihn tatsächlich konkrete Möglichkeiten bestanden, in den Markt einzutreten. Insoweit ist im Einzelfall zu prüfen, ob der betreffende Generikahersteller in Anbetracht der von ihm getroffenen Vorbereitungsmaßnahmen fest entschlossen war, in den Markt einzutreten, und hierzu auch aus eigener Kraft in der Lage war, und ob unüberwindliche Marktzutrittsschranken bestanden. Patente stellen, da sie angefochten werden können, für sich genommen keine unüberwindlichen Marktzutrittsschranken dar.

Zum Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Einstufung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung die Feststellung voraussetzt, dass die streitigen Vereinbarungen den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigen. Maßgeblich sind insoweit neben dem Inhalt der Vereinbarungen die mit ihnen verfolgten Ziele sowie der wirtschaftliche und der rechtliche Zusammenhang, in dem sie stehen. Da bei Arzneimitteln der Verkaufspreis nach dem Markteintritt von Generika erheblich sinkt, ist nach Auffassung des Gerichtshofs davon auszugehen, dass Vereinbarungen wie die streitigen den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigen, wenn sich die vorgesehenen Wertübertragungen in Anbetracht ihres Umfangs nur mit dem geschäftlichen Interesse der Vertragsparteien an der Vermeidung von Leistungswettbewerb erklären lassen und sie somit für die Generikahersteller einen Anreiz darstellen, auf den Eintritt in den betreffenden Markt zu verzichten. Bei der Einstufung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung sind, sofern sie erwiesen sind, auch wettbewerbsfördernde Auswirkungen der fraglichen Vereinbarungen zu berücksichtigen, jedoch allein im Rahmen der Prüfung der Frage, ob die betreffende Vereinbarung den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt. Es ist Sache des nationalen Gerichts, im Einzelfall zu prüfen, ob die festgestellten wettbewerbsfördernden Auswirkungen ausreichen, um begründete Zweifel daran aufkommen zu
lassen, dass die betreffende Vereinbarung den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt.

Zu der Frage, ob Vereinbarungen zur gütlichen Beilegung eines Rechtsstreits wie die streitigen Vereinbarungen als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden können, hat der Gerichtshof entschieden, dass, um festzustellen, ob die Vereinbarung potenzielle oder tatsächliche Auswirkungen auf den Wettbewerb hatte, zu prüfen ist, wie sich der Markt ohne die Absprachen wahrscheinlich verhalten hätte und welche Struktur er dann gehabt hätte, ohne dass ermittelt zu werden braucht, wie wahrscheinlich es war, dass der Generikahersteller obsiegt oder einen den Wettbewerb weniger einschränkenden Vergleich schließt.

Zu den Fragen betreffend den Begriff des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung hat der Gerichtshof als Erstes festgestellt, dass bei einem Arzneimittel, dessen Herstellungsverfahren nach wie vor durch ein Patent geschützt sind, auch Generika in den Produktmarkt einzubeziehen sind, sofern die betreffenden Generikahersteller nachweislich in der Lage sind, mit hinreichender Stärke in den Markt einzutreten, um ein ernst zu nehmendes Gegengewicht zu dem bereits auf dem Markt vertretenen Originalpräparatehersteller bilden zu können. Als Zweites hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Feststellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung einen Eingriff in die Wettbewerbsstruktur des Markts voraussetzt, der über die spezifischen Auswirkungen der einzelnen durch Art. 101 AEUV verbotenen Vereinbarungen hinausgeht. Da diese auch in ihrer Gesamtheit wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben können, kann ihr Abschluss, soweit er Teil einer entsprechenden Gesamtstrategie ist, auf dem Markt eine erhebliche abschottende Wirkung haben, indem den Verbrauchern die Vorteile des Markteintritts potenzieller Wettbewerber, die ihr eigenes Arzneimittel herstellen, vorenthalten werden und der Markt mithin unmittelbar oder mittelbar dem Hersteller des Originalpräparts vorbehalten wird. Schließlich hat der Gerichtshof als Drittes darauf hingewiesen, dass ein solches Verhalten gerechtfertigt sein kann, wenn das Unternehmen nachweist, dass dessen wettbewerbswidrige Auswirkungen durch Effizienzvorteile ausgeglichen oder sogar übertroffen werden, die auch dem Verbraucher zugutekommen. Bei der entsprechenden Abwägung sind die wettbewerbsfördernden Auswirkungen des betreffenden Verhaltens ohne Rücksicht auf die mit diesem verfolgten Ziele zu berücksichtigen.


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EuGH: Recht auf Zugang zu Dokumenten die in Akten zu Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln enthalten sind

EuGH
Urteil vom 22.01.2020
C-175/18 PTC Therapeutics International Ltd / Europäische Arzneimittelagentur (EMA)
und
C-178/18 P, MSD Animal Health Innovation und Intervet International / Europäische Arzneimittelagentur (EMA)


Der EuGH hat entschieden, dass ein Recht auf Zugang zu Dokumenten besteht, die in den Akten zu einem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln enthalten sind.

Die Pressemitteilung des EuGH:

"Der Gerichtshof bestätigt das Recht auf Zugang zu Dokumenten, die in den Akten zu einem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln enthalten sind

Ein Widerspruch gegen einen solchen Zugang muss Erläuterungen zu Art, Gegenstand und Tragweite der Daten enthalten, deren Verbreitung geschäftliche Interessen beeinträchtigen würde In den Urteilen PTC Therapeutics International/EMA (C-175/18 P) und MSD Animal Health Innovation und Intervet International/EMA (C-178/18 P) vom 22. Januar 2020 hatte der Gerichtshof erstmals über die Frage des Zugangs zu im Rahmen von Anträgen auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eingereichten Dokumenten der Europäischen Union zu entscheiden. Er hat die Rechtsmittel von zum einen PTC Therapeutics International und zum anderen MSD Animal Health Innovation und Intervet International gegen die Urteile des Gerichts1 zurückgewiesen, mit denen deren Klagen auf Nichtigerklärung von Beschlüssen2 abgewiesen wurden, mit denen die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) Zugang zu Dokumenten gewährt hatte, die Informationen enthielten, die im Rahmen des Verfahrens betreffend Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln vorgelegt worden waren.

Die beiden Rechtssachen betreffen die Rechtmäßigkeit von Beschlüssen der EMA, mit denen gemäß der Verordnung Nr. 1049/20013 Zugang zu mehreren Dokumenten, nämlich Berichten über toxikologische Prüfungen und einem Bericht über eine klinische Prüfung (streitige Berichte) gewährt wurde, die von den Rechtsmittelführerinnen im Rahmen ihrer Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen zweier Arzneimittel – eines davon ein Humanarzneimittel (Rechtssache C-175/18 P), das andere ein Tierarzneimittel (Rechtssache C-178/18 P) – vorgelegt worden waren.

In den vorliegenden Fällen beschloss die EMA, nachdem sie das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel genehmigt hatte, den Inhalt dieser Berichte Dritten vorbehaltlich einiger Schwärzungen zugänglich zu machen. Entgegen der Auffassung der Rechtsmittelführerinnen, die argumentierten, dass für diese Berichte in ihrer Gesamtheit eine Vermutung der Vertraulichkeit bestehen müsse, vertrat die EMA die Ansicht, dass die genannten Berichte mit Ausnahme der bereits unkenntlich gemachten Informationen keinen vertraulichen Charakter aufwiesen.

So hat sich der Gerichtshof als Erstes mit der Anwendung einer allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit durch ein Organ, eine Einrichtung oder sonstige Stelle der Union, bei dem bzw. der ein Antrag auf Zugang zu Dokumenten gestellt wird, befasst. Hierzu hat er darauf hingewiesen, dass es dem betreffenden Organ bzw. der betreffenden Einrichtung oder sonstigen Stelle zwar freisteht, sich auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten, um zu entscheiden, ob die Verbreitung dieser Dokumente grundsätzlich das Interesse beeinträchtigt, das durch eine oder mehrere der Ausnahmen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützt wird, dieses Organ bzw. diese Einrichtung oder sonstige Stelle jedoch nicht verpflichtet ist, seine bzw. ihre Entscheidung auf eine solche allgemeine Vermutung zu stützen. Somit stellt der Rückgriff auf eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit eine bloße Option für das betreffende Organ bzw. die betreffende Einrichtung oder sonstige Stelle dar, dem bzw. der stets die Möglichkeit bleibt, eine konkrete und individuelle Prüfung der fraglichen Dokumente vorzunehmen, um festzustellen, ob diese ganz oder teilweise durch eine der Ausnahmen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützt sind. Infolgedessen hat der Gerichtshof den Rechtsmittelgrund, mit dem die Rechtsmittelführerinnen geltend gemacht hatten, dass für die streitigen Berichte eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit gelte, mit dem Hinweis darauf zurückgewiesen, dass die EMA nicht verpflichtet war, eine solche Vermutung auf die genannten Berichte anzuwenden, und eine konkrete und individuelle Prüfung dieser Berichte durchgeführt hatte, die sie dazu veranlasste, bestimmte Passagen dieser Berichte unkenntlich zu machen.

Als Zweites hat sich der Gerichtshof der Frage zugewandt, ob der Beschluss der EMA, Zugang zu den streitigen Berichten zu gewähren, die geschäftlichen Interessen der Rechtsmittelführerinnen beeinträchtigte, und damit die Ausnahme nach Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 geprüft. Zunächst hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass eine Person, die beantragt, dass ein Organ, eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle, auf das bzw. die diese Verordnung Anwendung findet, eine der nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen anwendet, ebenso wie das betreffende Organ bzw. die betreffende Einrichtung oder sonstige Stelle, wenn dieses bzw. diese beabsichtigt, den Zugang zu Dokumenten zu versagen,
erläutern muss, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument das Interesse, das durch eine dieser Ausnahmen geschützt wird, konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte. Sodann hat der Gerichtshof geurteilt, dass das Vorliegen einer Gefahr der missbräuchlichen Verwendung von Daten, die in einem Dokument enthalten sind, zu dem Zugang beantragt wird, nachgewiesen werden muss und dass ein bloßer nicht belegter Hinweis auf ein allgemeines Risiko einer solchen Verwendung nicht dazu führen kann, dass diese Daten als von der Ausnahme zum Schutz geschäftlicher Interessen erfasst angesehen werden, wenn die Person, die die Anwendung dieser
Ausnahme beantragt, nicht, bevor das betreffende Organ bzw. die betreffende Einrichtung oder sonstige Stelle eine Entscheidung hierüber trifft, genauere Angaben zu Art, Gegenstand und Tragweite dieser Daten macht, die den Unionsrichter darüber aufklären können, wie die Verbreitung dieser Daten die geschäftlichen Interessen der Personen, auf die sie sich beziehen, konkret und bei vernünftiger Betrachtung absehbar beeinträchtigen kann. Schließlich hat der Gerichtshof die Erwägungen des Gerichts bestätigt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die
Abschnitte der streitigen Berichte, die verbreitet wurden, keine Daten darstellten, die unter die Ausnahme zum Schutz geschäftlicher Interessen fallen können. Was die Rechtsmittelführerin in der Rechtssache C-175/18 P betrifft, hat der Gerichtshof festgestellt, dass sie zum einen der EMA, bevor diese ihren Beschluss erließ, keine Erläuterungen zu Art, Gegenstand und Tragweite der fraglichen Daten vorgelegt hatte, die auf das Bestehen eines Risikos der missbräuchlichen Verwendung der in den streitigen Berichten enthaltenen Daten schließen ließen, und zum anderen die Passagen nicht ausdrücklich bezeichnet hatte, deren Verbreitung ihre geschäftlichen Interessen beeinträchtigen könnte. Was die Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache C-178/18 P anbelangt, hat der Gerichtshof festgestellt, dass sie vor dem Gericht weder solche Erläuterungen vorgelegt noch konkret und genau die Abschnitte der streitigen Berichte bezeichnet hatten, deren Verbreitung ihre geschäftlichen Interessen beeinträchtigen könnte.

Als Drittes hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass das Gericht bei einem nicht hinreichend klaren und bestimmten Vorbringen einer Partei eine implizite Begründung geben kann. In diesem Sinne hat er hervorgehoben, dass es Sache der Rechtsmittelführerinnen war, der EMA im dortigen Verwaltungsverfahren Art, Gegenstand und Tragweite der Daten zu erläutern, deren Verbreitung ihren geschäftlichen Interessen schaden würde, und dass das Gericht in Ermangelung dieser Erläuterungen implizit, aber notwendigerweise, feststellen durfte, dass die von den
Rechtsmittelführerinnen nach Erlass der Beschlüsse der EMA vorgelegten Zeugenaussagen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Beschlüsse nicht erheblich waren. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Beschlusses zur Verbreitung eines Dokuments kann nämlich nur anhand der Informationen beurteilt werden, die der EMA zur Verfügung standen, als sie den betreffenden Beschluss erließ.

Als Viertes schließlich hat der Gerichtshof die Ausnahme vom Recht auf Dokumentenzugang zum Schutz des Entscheidungsprozesses, wie sie in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehen ist, geprüft. Soweit die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vorhalten, dass die Verbreitung der streitigen Berichte während der Ausschließlichkeitsfrist für die Daten den Entscheidungsprozess hinsichtlich etwaiger Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Generika während dieses Zeitraums ernstlich beeinträchtige, hat der Gerichtshof geurteilt, dass sie auf andere Entscheidungsprozesse Bezug nehmen als auf denjenigen, der die
Genehmigung für das Inverkehrbringen der fraglichen Arzneimittel betrifft, der, wie bereits vom Gericht festgestellt, abgeschlossen war, als der Antrag auf Zugang zu den streitigen Berichten gestellt wurde."

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
C-175/18

C-178/18