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OLG Frankfurt: Wettbewerbswidrige Werbung für Behandlung mit medizinischem Cannabis durch Online-Portal

OLG Frankfurt
Urteil vom 06.03.2025
6 U 74/24


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die die Werbung für Behandlungen mit medizinischem Cannabis durch ein Online-Portal wettbewerbswidrig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Medizinisches Cannabis - Wettbewerbswidrige Werbung wurde untersagt

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit gestern verkündeter Entscheidung dem beklagten Portalbetreiber u.a. sog. Laienwerbung für medizinisches Cannabis und die Durchführung eines Servicevertrages mit verdeckter Provision für die Vermittlung von Patienten untersagt.

Die Beklagte betreibt im Internet ein Vermittlungsportal, auf dem Kunden ihr Interesse an einer ärztlichen Behandlung mit medizinischem Cannabis anmelden können. Sie präsentiert dort den Kunden Ärzte, mit denen der einzelne Kunde einen Behandlungstermin vereinbaren kann. Die Serviceleistungen der Beklagten wurden von mindestens einem ihrer Kooperationsärzte entsprechend der von ihr vorgegebenen Vergütungsregelung mit einem zu hohen prozentualen Anteil des ärztlichen Honorars vergütet. Schon das Landgericht ging daher von einer verdeckten Vermittlungsprovision aus.

Der Kläger hält die Werbung und das Verhalten der Beklagten unter mehreren Aspekten für wettbewerbswidrig. Das Landgericht hat die Beklagte u.a. verurteilt, es zu unterlassen, bestimmte Werbeaussagen im Zusammenhang mit der medizinischen Cannabis-Behandlung zu tätigen und den Ärzten konkrete Raumnutzungs- und Serviceverträge zur Verfügung zu stellen.

Der Wettbewerbssenat des OLG hat den hiergegen eingelegten wechselseitigen Berufungen teilweise stattgegeben. Zu Recht habe das Landgericht die Beklagte verpflichtet, die Umsetzung von Raumnutzungs- und Serviceleistungsverträgen mit ihren Kooperationsärzten zu unterlassen, nach deren Vergütungsregelung ihr ein prozentualer Anteil am ärztlichen Honorar für die Behandlung jedes einzelnen Patienten zusteht. Da dieser Vergütungsanteil zumindest teilweise als Entgelt für die Zuweisung von Patienten zu den Ärzten über das Portal der Beklagten anzusehen sei, liege ein von der Beklagten unterstützter Verstoß gegen ärztliches Berufsrecht vor.

Das Landgericht habe der Beklagten auch zu Recht untersagt, für eine ärztliche Behandlung mit medizinischem Cannabis mit dem Slogan zu werben: „Ärztliches Erstgespräch vor Ort oder digital“. Diese Werbung verstoße gegen das Werbeverbot für Fernbehandlungen (§ 9 Satz 1 HWG). Sie sei nicht ausnahmsweise zulässig. Ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs verstehe die Werbung dahin, die Erstbehandlung mit medizinischem Cannabis könne alternativ bzw. gleichwertig digital erfolgen. Dies sei zum Zeitpunkt der Werbung nach dem seinerzeit noch geltenden Betäubungsmittelrecht nicht zulässig gewesen. Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe nicht aufgezeigt, dass ein persönlicher ärztlicher Erstkontakt nach heutigen fachlichen Standards nicht mehr geboten sei.

Schließlich seien - entgegen der Ansicht des Landgerichts - auch Teile der Werbung für eine Behandlung mit medizinischem Cannabis verboten. Zwar liege seit Anfang April 2024 kein Verstoß mehr gegen das Betäubungsmittelgesetz vor. Teile der Werbung verstießen aber gegen das sog. Laienwerbeverbot (§ 10 Abs. 1 HWG). Eine „Werbung für Arzneimittel“ stellten nämlich auch Maßnahmen dar, die die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder Verbrauch von unbestimmten Arzneimitteln fördern sollten. Die Werbung der Beklagten sei insoweit keine bloße Information zu Cannabis oder reine Unternehmenswerbung, sondern produktbezogene Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Dass die Beklagte medizinisches Cannabis dabei nicht selbst anbiete, sei unerheblich. Der Werbende müsse kein unmittelbares Eigeninteresse am Vertrieb des beworbenen Arzneimittels haben. Die Beklagte habe ersichtlich die Absicht gehabt, durch ihre Werbung (zumindest auch) die Verschreibung und den Absatz von medizinischem Cannabis zu fördern. Dass die Entscheidung, Cannabis zu verschreiben, ausschließlich bei den Kooperationsärzten der Beklagten liege, stehe der Annahme unzulässiger Arzneimittelwerbung nicht entgegen. Die Mitgliedstaaten der EU seien grundsätzlich kraft Richtlinie verpflichtet, Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel schlechthin zu verbieten. Außerdem ziele die streitgegenständliche Werbung gerade darauf ab, die Nachfrageentscheidung von Verbrauchern nach medizinischem Cannabis zu beeinflussen.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat hinsichtlich des Verstoßes gegen das Laienwerbeverbot die Revision zugelassen. Im Übrigen besteht ggf. die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 6.3.2025, Az. 6 U 74/24
(vorgehend LG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.2.2024, Az. 3-08 O 540/23)

Die Entscheidung ist in Kürze unter
www.rv.hessenrecht.hessen.de
Öffnet sich in einem neuen Fenster abrufbar.

Erläuterungen:
§ 31 MBO-Ä Unerlaubte Zuweisung

(1) Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, für die Zuweisung von Patientinnen und Patienten oder Untersuchungsmaterial oder für die Verordnung oder den Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder Medizinprodukten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern, sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren. (2) ...

§ 9 HWG [Werbeverbot für Fernbehandlung]

1Unzulässig ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung). 2Satz 1 ist nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

§ 10 HWG [Werbeverbote für verschreibungspflichtige Arzneimittel und Psychopharmaka]

(1) Für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden.

(2) 1Für Arzneimittel, die psychotrope Wirkstoffe mit der Gefahr der Abhängigkeit enthalten und die dazu bestimmt sind, bei Menschen die Schlaflosigkeit oder psychische Störungen zu beseitigen oder die Stimmungslage zu beeinflussen, darf außerhalb der Fachkreise nicht geworben werden. 2Dies gilt auch für Arzneimittel, die zur Notfallkontrazeption zugelassen sind.

LG München: Unzulässige Werbung einer Online-Apotheke für Abnehmspritze mit Verschreibung per Fragebogen ohne persönlichen Kontakt mit einem Arzt

LG München
Urteil vom 03.03.2025
4 HK O 15458/24


Das LG München hat entschieden, dass es unzulässig ist, wenn eine Online-Apotheke für eine Abnehmspritze mit Verschreibung per Fragebogen ohne persönlichen Kontakt mit einem Arzt wirbt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
"Abnehmspritze"
Die 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts München I hat heute im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden, dass einem Online-Apotheken-Anbieter die Bewerbung der sog. „Abnehmspritze“ gegenüber Endverbrauchern in ihrer konkreten Form untersagt ist (Az. 4 HK O 15458/24).

Eine Apothekerkammer wendete sich in ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung dagegen, dass eine in den Niederlanden ansässige Online-Apotheke gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland für Fernbehandlungen mit dem Ziel der Verschreibung von Arzneimitteln zur Gewichtsreduktion/Adipositas wirbt, wobei die Behandlung lediglich in der ärztlichen Überprüfung eines durch den Nutzer auf einer Plattform ausgefüllten Fragebogens besteht.

Für die Verschreibung des Medikaments durch die beklagte Online-Apotheke ist hierbei nach der Werbung zur Bestellung lediglich das Ausfüllen eines Fragebogens erforderlich, welcher nach Vortrag der Antragsgegnerin sodann von einem (nicht in Deutschland ansässigen) Arzt vor der Verschreibung überprüft wird.

Die beklagte Apotheke hatte gegen ein Verbot eingewandt, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verspätet sei. Die Antragsstellerin kenne das Geschäftsmodell der Antragsgegnerin bereits aus einem anderen Verfahren, dessen Gegenstand Medikamente zur Behandlung erektiler Dysfunktion waren. Beworben und umschrieben werde außerdem lediglich eine „Gewichtsverlustbehandlung“; dies lasse keinen zwingenden Schluss auf die Abnehmspritze zu. Dies sei zulässig und verstoße nicht gegen das Heilmittelwerbegesetz. Das Ausfüllen eines Fragebogens, der sodann von einem Arzt überprüft werde, sei auch eine zulässige Fernbehandlung unter Verwendung von Kommunikationsmedien, bei der ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem Patienten nicht erforderlich sei.

Dem folgte die Kammer nicht:

„Die Fernbehandlung von Adipositas mittels Ausfüllens eines Fragebogens entspricht nämlich nicht allgemein anerkannten fachlichen Standards. Vielmehr ist vor der Verschreibung einer Abnehmspritze ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen erforderlich.“, so die Kammer in ihrer Urteilsbegründung.

Dies ergebe sich letztendlich bereits aus den „Warnhinweisen“, welche die beklagte Apotheke dem Gericht selbst vorgelegt habe: In diesen werde auf zahlreiche Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Magenschmerzen, Hypoglykämie (bei Patienten mit Typ-2-Diabetes) und Schwindel, auf das Risiko der Unterzuckerung und darauf hingewiesen, dass die Behandlung eingestellt werden sollte, wenn man innerhalb von drei Monaten nach Behandlungsbeginn nicht mindestens 5 % seines Körpergewichts verliere.

Darüber hinaus werde in den von der Beklagten selbst vorgelegten Unterlagen ausgeführt, dass eine regelmäßige Nachsorge und Überwachung während einer Gewichtsreduktion unbedingt erforderlich sei. Gerade diese, von der beklagten Apotheke selbst für erforderlich gehaltene regelmäßige Nachsorge erfordere aber zwingend einen persönlichen ärztlichen Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen, welcher weder von der beklagten Apotheke noch von den verschreibenden Ärzten - schon aufgrund der räumlichen Distanz- geleistet werden könne.

Hinzu komme, dass ausweislich der Patientenleitlinie zur Diagnose und Behandlung der Adipositas der deutschen Adipositasgesellschaft zahlreiche Untersuchungen, u. a. des Bluts und des Urins, nötig seien, um Adipositas zu diagnostizieren und zu behandeln. Dies könne daher gerade nicht im Wege der Fernbehandlung erfolgen.

Es handele sich bei der Werbung der Beklagten ferner nicht um die Werbung für eine Behandlung als solche, wie diese vorgetragen habe, sondern um die Werbung für den Absatz von Medikamenten. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut der Werbung. Um welche Gruppe von Präparaten es sich hierbei handele, wüssten die angesprochenen Verkehrskreise, zu denen auch die Mitglieder der Kammer gehörten, bereits deshalb, weil „die Abnahmespritze“ in jüngster Zeit starke mediale Aufmerksamkeit erfahren habe.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Zum Hintergrund:

Nach der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG) darf für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden. Die angegriffene Internetwerbung wendet sich jedoch an die allgemeinen Verbraucherinnen und Verbraucher und verstößt daher nach Auffassung der Kammer gegen § 10 Abs. 1 HWG.

§ 9 HWG verbietet die Werbung für Fernbehandlungen. Zulässig ist sie nur ausnahmsweise nach § 9 Satz 2 HWG, wenn die Behandlung mittels Kommunikationsmedien ( z.B. in Form einer Videosprechstunde ) erfolgt und nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mir dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.



EuGH: Mitbewerber können DSGVO-Verstöße abmahnen - Art. 9 DSGVO gilt auch für Kundendaten bei Bestellung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Online-Apoheke

EuGH
Urteil vom 04.10.2024
C-21/23


Der BGH hat entschieden, dass Mitbewerber DSGVO-Verstöße abmahnen können. Ferner hat der EuGH entschieden, dass Art. 9 DSGVO auch für Kundendaten bei Bestellung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel in einer Online-Apoheke gilt.

Tenor der Entscheidung:
1. Die Bestimmungen des Kapitels VIII der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die – neben den Eingriffsbefugnissen der zur Überwachung und Durchsetzung dieser Verordnung zuständigen Aufsichtsbehörden und den Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen – Mitbewerbern des mutmaßlichen Verletzers von Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten die Befugnis einräumt, wegen Verstößen gegen die DSGVO gegen den Verletzer im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken vorzugehen.

2. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr sowie Art. 9 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 sind dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem der Betreiber einer Apotheke über eine Onlineplattform apothekenpflichtige Arzneimittel vertreibt, Daten, die seine Kunden bei der Onlinebestellung dieser Arzneimittel eingeben müssen (wie z. B. Name, Lieferadresse und für die Individualisierung der Arzneimittel notwendige Informationen), Gesundheitsdaten im Sinne dieser Bestimmungen darstellen, auch wenn der Verkauf dieser Arzneimittel keiner ärztlichen Verschreibung bedarf.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Karlsruhe: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG durch Gewährung von Payback-Punkten bei Vorbestellung rezeptpflichtiger Arzneimittel

OLG Karlsruhe
Urteil vom 12.10.2022
6 U 108/21

Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG durch Gewährung von Payback-Punkten bei der Vorbestellung rezeptpflichtiger Arzneimittel vorliegt. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

Aus den Entscheidungsgründen:
3. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass das beanstandete Verhalten der Beklagten den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG erfüllt.

a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 HWG ist es unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, es sei denn, es liegt einer der in § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 HWG gesetzlich geregelten Ausnahmefälle vor. Von dem Verbot des § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 HWG sind Zuwendungen oder Werbegaben ausgenommen, bei denen es sich um geringwertige Kleinigkeiten handelt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 1 HWG) oder die in einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag gewährt werden (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 2 Buchst. a HWG). Allerdings bleiben bei beiden Ausnahmen Zuwendungen oder sonstige Werbegaben für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes gelten (BGH, GRUR 2019, 203 Rn. 28 – Versandapotheke; GRUR 2019, 1071 Rn. 9 ff – Brötchen-Gutschein; vgl. auch Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/v. Jagow, 5. Aufl. 2021, UWG § 3a Rn. 81d).

Der Zweck der Regelung besteht vor allem darin, durch eine weitgehende Eindämmung der Wertreklame im Arzneimittelbereich der abstrakten Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung zu begegnen, die von einer Werbung mit Geschenken ausgehen kann (BGH, GRUR 2015, 504, 505 – kostenlose Zweitbrille; GRUR 2019, 1071 Rn. 16 – Brötchen-Gutschein; GRUR 2020, 659 Rn. 13 – Gewinnspiel). Soweit Zuwendungen und Werbegaben gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 HWG grundsätzlich – und damit unabhängig von ihrem Wert – unzulässig sind, wenn sie entgegen den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes (§ 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG) gewährt werden, soll dadurch ein ruinöser Preiswettbewerb zwischen den Apotheken verhindert und so eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt werden (BGH, GRUR 2019, 203 Rn. 45 – Versandapotheke; GRUR 2019, 1071 Rn. 12 – Brötchen-Gutschein).

b) Die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist im Streitfall anwendbar. Die in Rede stehende Gewährung von [X.]punkten weist den für die Anwendung des Heilmittelwerbegesetzes erforderlichen Produktbezug auf. Soweit die Berufung geltend macht, das beanstandete Verhalten stelle eine reine Unternehmens- und Imagewerbung dar, die nicht mit Bonussystemen von Apotheken vergleichbar sei, bei welchen die Werbegabe an den Erwerb (auch) verschreibungspflichtiger Arzneimittel gekoppelt ist, greift dieser Einwand nicht durch.

Zwar unterfällt nicht jede Werbung für Arzneimittel den Bestimmungen des Heilmittelwerbegesetzes. Einbezogen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes ist nur die produktbezogene Werbung (Produkt- und Absatzwerbung) und nicht die allgemeine Firmenwerbung (Unternehmens- und Imagewerbung), durch die ohne Bezugnahme auf bestimmte Arzneimittel für Ansehen und Leistungsfähigkeit des Unternehmens allgemein geworben wird.

Jedoch handelt es sich vorliegend um eine den Anwendungsbereich eröffnende produktbezogene Arzneimittelwerbung.

aa) Die Beantwortung der für die Anwendbarkeit des Heilmittelwerbegesetzes entscheidenden Frage, ob die zu beurteilende Werbung Absatz- oder Firmenwerbung ist, hängt maßgeblich davon ab, ob nach dem Gesamterscheinungsbild der Werbung die Darstellung des Unternehmens oder aber die Anpreisung bestimmter oder zumindest individualisierbarer Produkte im Vordergrund steht (BGH, Urteil vom 24. November 2016 - I ZR 163/15, GRUR 2017, 635 Rn. 30 – Freunde werben Freunde). Auch eine Werbung für das gesamte Warensortiment der Apotheke kann produktbezogen sein (st. Rspr.; vgl. BGH, GRUR 2017, 635 Rn. 31 – Freunde werben Freunde; GRUR 2019, 203 Rn. 19 – Versandapotheke; GRUR 2019, 1071 Rn. 22 – Brötchen-Gutschein). Es gibt keinen überzeugenden Grund, den vom Gesetzgeber im Bereich der Heilmittelwerbung als grundsätzlich unerwünscht angesehenen Anreiz einer Wertreklame gerade dann hinzunehmen, wenn diese Form der Reklame für eine besonders große Zahl von Heilmitteln eingesetzt wird (BGH, GRUR 2009, 1082 Rn. 16 – DeguSmiles & more).

bb) Gemessen hieran kommt der in Rede stehenden Werbung mit der Gewährung von 50 [X.]punkten für die (Vor-)Bestellung eines rezeptpflichtigen Arzneimittels ein hinreichender Produktbezug zu.

Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich hierbei nicht um eine reine Unternehmens-/Imagewerbung für Apotheken. Insoweit ist schon nicht ersichtlich, auf welches Unternehmen sich diese Unternehmens-/Imagewerbung beziehen soll. Vielmehr werden die Kunden zur Einlösung eines Rezepts in einer beliebigen, an der App der Beklagten teilnehmenden Apotheke aufgefordert, wobei die Vorbestellung eines (rezeptpflichtigen) Arzneimittels mit 50 [X.]-Punkten begünstigt wird. Letztlich geht es weder um die Anpreisung der Leistungen der teilnehmenden Apotheken noch um eine Zuwendung aus anderen unternehmensbezogenen Gründen. Vielmehr ist die Gewährung von 50 [X.]punkten einzig mit der Vorbestellung und der Einsendung der Fotografie eines Rezepts zum Zwecke der Vorbestellung an eine Apotheke verknüpft, die der Kunde zum Zeitpunkt der Wahrnehmung der Werbung in der Regel noch nicht kennt. Damit bezieht sich die Werbung auf sämtliche verschreibungspflichtige Arzneimittel und ist damit ohne Weiteres produktbezogen (vgl. BGH, GRUR 2020, 659 Rn. 22 – Gewinnspielwerbung).

Soweit die Berufung auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 15.07.2021, Az. C-190/20) verweist, folgt hieraus keine abweichende Beurteilung. Im Gegenteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Werbung für ein gesamtes Arzneimittelsortiment einer Apotheke europarechtlich nicht harmonisiert ist, so dass es den nationalen Gesetzgebern freistehe, nationale Vorschriften betreffend die Werbung für ein gesamtes Warensortiment an Arzneimitteln zu erlassen. In seinem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Vorabentscheidungsersuchen (BGH, GRUR 2020, 659) hat der Bundesgerichtshof indessen ausgeführt, dass eine Werbung im Sinne von § 1 HWG selbst dann als produktbezogene Arzneimittelwerbung zu gelten hat, wenn seitens einer Apotheke für ein Gewinnspiel geworben wird, dessen Teilnahme die Einsendung eines Arzneimittelrezepts voraussetzt und überdies keinen konkreten Bezug auf ein bestimmtes Arzneimittel aufweist. Nichts Anderes kann gelten, wenn für die Einsendung eines Arzneimittelrezepts im Rahmen einer Vorbestellung 50 [X.]punkte – und damit ein geldwerter Vorteil – gewährt werden. Soweit die Beklagte erneut anführt, die gewährten [X.]punkte sollten Verbraucher dazu motivieren, über die Nutzung der Vorbestellfunktion Unannehmlichkeiten, wie doppelte Apothekenbesuche aufgrund Nicht-Verfügbarkeit der Ware und unnötige, in Zeiten der Corona-Pandemie möglichst zu meidende Wartezeiten in vollen Geschäften zu umgehen, wodurch die Apotheken zugleich logistische und organisatorische Vorteile und den an sich selbst gesetzten Leistungsanspruch verwirklichen könnten, steht dies der Annahme der Produktbezogenheit nicht entgegen. Ein solcher Aussagegehalt lässt sich dem beanstandeten Werbeauftritt ohnehin nicht entnehmen. Zu Recht weist die Berufungsantwort in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese vermeintlichen Vorteile nicht einmal beiläufig erwähnt werden und vielmehr der Erhalt von [X.]punkten im Gegenzug für den Einkauf eines (rezeptpflichtigen) Arzneimittels im Vordergrund steht. Darüber hinaus kommt es nicht darauf an, welcher Zweck mit der Gewährung des den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes widersprechenden Vorteils verfolgt wird (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 28 – Brötchen-Gutschein). Soweit die Berufung offenbar allgemein der Kundenbindung dienende, kundenfreundliche Aufmerksamkeiten vom Verbot der Wertreklame bei preisgebundenen Arzneimitteln ausnehmen will, bietet die Regelung des § 7 HWG hierfür keine Grundlage mehr. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei der Ergänzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG mit Wirkung zum 13.8.2013 (BGBl. I 2013, 3108) abhängig von der Motivation des Werbenden bestimmte Werbegaben vom Verbot hat ausnehmen wollen (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 30 – Brötchen-Gutschein).

Ohne Erfolg wendet die Beklagte schließlich ein, dass die Gewährung der ausgelobten [X.]punkte nicht an den Erwerb eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels gekoppelt sei, da der Kaufvertrag über die rezeptpflichtigen Arzneimittel erst in einem späteren Schritt vor Ort vollzogen werde. Der Apothekenkunde, der sich mittels einer ärztlichen Verordnung über die streitgegenständliche App an eine ihm örtlich genehme Apotheke wendet und dort rezeptpflichtige Arzneimittel vorbestellt, wird diese im Regelfall dort erwerben. Der angesprochene Verbraucher, der durch seine Vorbestellung an die Apotheke einen Auftrag zur Bestellung eines rezeptpflichtigen Arzneimittels erteilt hat, wird bei lebensnaher Betrachtung regelmäßig davon ausgehen, dass er über die Nutzung der App bzw. durch Einsendung eines Rezepts eine Verpflichtung zum Kauf des so bestellten Arzneimittels eingegangen ist und dabei davon ausgehen, dass er die 50 [X.]punkte nicht allein deshalb erhält, weil er eine unverbindliche Vorbestellung aufgegeben hat, sondern weil er bei der betreffenden Apotheke einen Arzneimittelkauf tätigt. Dessen ungeachtet hat das Landgericht zudem zutreffend ausgeführt, dass auch ohne eine unmittelbare Koppelung der Punkte an einen späteren Erwerb der rezeptpflichtigen Arzneimittel von einem hinreichenden Produktbezug auszugehen ist, denn im Unterschied zu Zugaben im Sinn der früheren ZugabeV kommt es bei den Zuwendungen und Werbegaben des § 7 HWG nicht darauf an, ob sie zusammen mit einer Hauptware gewährt werden. Erfasst sind vielmehr alle Leistungen, die angeboten, angekündigt oder gewährt werden, um den Absatz zu fördern (Zipfel/Rathke in LebensmittelR/Sosnitza, 182. EL November 2021, HWG § 7 Rn. 19;Spickhoff/Fritzsche, 3. Aufl. 2018, HWG § 7 Rn. 10 f). Das Inaussichtstellen einer Vergünstigung für die Einsendung eines Rezeptes (per App) im Rahmen einer Vorbestellung genügt hierfür.

c) Das Landgericht hat ferner zutreffend angenommen, dass es sich bei der Gewährung von 50 [X.]punkten um eine nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG i.V.m. § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG unzulässige Werbegabe handelt.

aa) Das Landgericht hat zu Recht einen Verstoß gegen die arzneimittelrechtlichen Preisbestimmungen bejaht.

Ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung liegt nicht nur dann vor, wenn der Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem niedrigeren Preis abgibt. Die Bestimmungen der Arzneimittelpreisverordnung werden vielmehr auch dann verletzt, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der vorgeschriebene Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen (vgl. BGH, GRUR 2010, 1138 Rn. 17– UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE, mwN; GRUR 2017, 635 Rn. 37 – Freunde werben Freunde; GRUR 2019, 203 Rn. 29 – Versandapotheke; GRUR 2019, 1071 Rn. 27 – Brötchen-Gutschein).

So liegt der Fall hier. Die Beklagte gewährt Kunden beim Erwerb eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels mit der Zuwendung von 50 [X.]punkten einen Vorteil, der den Erwerb des Arzneimittels wirtschaftlich günstiger erscheinen lässt. Nach der Lebenserfahrung können – gerade wenn der Abgabepreis in allen Apotheken identisch ist – auch Zuwendungen von geringem Wert den Kunden veranlassen, bei nächster Gelegenheit ein preisgebundenes Arzneimittel in der Hoffnung auf weitere Vergünstigungen wieder in derselben Apotheke zu erwerben. Entscheidend ist dabei, dass der gewährte Vorteil nach der Verkehrsauffassung den Erwerb des Arzneimittels bei der fraglichen Apotheke wirtschaftlich günstiger erscheinen lässt. Dies ist bei der Gewährung von 50 [X.]punkten zweifelsfrei der Fall, da dieser geldwerte Vorteil nicht nur als Ausdruck von Kundenfreundlichkeit aufgefasst werden kann.

bb) Der Arzneimittelpreisbindung unterfällt im Übrigen jede Werbegabe nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG, die dem Kunden einen geldwerten Vorteil gewährt. Die Berufung rügt deshalb im Ergebnis auch in diesem Zusammenhang ohne Erfolg, die beanstandete Werbung stelle lediglich eine der Kundenbindung dienenden Maßnahme dar. Es kommt nicht darauf an, welcher Zweck mit der Gewährung des den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes widersprechenden Vorteils verfolgt wird (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 28 – Brötchen-Gutschein). Der Begriff der Werbegabe in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist mit Blick auf den Zweck der Regelung, durch eine weitgehende Eindämmung von Werbegeschenken im Heilmittelbereich der abstrakten Gefahr einer hiervon ausgehenden unsachlichen Beeinflussung zu begegnen, weit auszulegen. Er erfasst grundsätzlich jede aus der Sicht des Empfängers nicht berechnete geldwerte Vergünstigung (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2012 - I ZR 105/10, GRUR 2012, 1279 Rn. 22 = WRP 2012, 1517 - DAS GROSSE RÄTSELHEFT; Urteil vom 6. November 2014 - I ZR 26/13, GRUR 2015, 504 Rn. 14 = WRP 2015, 565 - Kostenlose Zweitbrille, jeweils mwN).

cc) Eine Werbegabe setzt schließlich voraus, dass die Zuwendung aus der Sicht des Empfängers unentgeltlich gewährt wird; er muss diese als ein Geschenk ansehen (vgl. BGH, GRUR 2012, 1279 Rn. 24 - DAS GROSSE RÄTSELHEFT; GRUR 2015, 504 Rn. 14 - Kostenlose Zweitbrille, jeweils mwN). Diese Voraussetzung ist ebenfalls gegeben, da die angesprochenen Verkehrskreise die Gewährung von 50 [X.]punkten als eine geldwerte Vergünstigung und als Geschenk verstehen. Soweit in der früheren Rechtsprechung die Unentgeltlichkeit von Zuwendungen verneint wurde, wenn sich der Empfänger der Vergünstigung dafür nicht unerheblichen Testanstrengungen unterziehen (OLG, Köln GRUR-RR 2008, 446, 447) oder beim Erwerb Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen musste (BGH, GRUR 2010, 1136 Rn. 18 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE; so auch die durch die Berufung wiederholt bemühte Entscheidung des OLG Hamburg, Urteil vom 26. Juli 2007 – 3 U 21/07 –, Rn. 35, juris – Saartaler), liegt der Fall hier anders. Die [X.]punkte sollen vielmehr gerade nicht als eine Kompensation für etwaige Unannehmlichkeiten gewährt werden. Insbesondere werden die [X.]punkte aus der Sicht des adressierten Verbrauchers nicht als Kompensation für den Aufwand gewährt, der mit der Nutzung der Vorbestellfunktion der App einhergeht. Dieser Aufwand in Gestalt der Übersendung eines Fotos des Rezepts im Rahmen der Vorbestellung steht vielmehr typischerweise im Interesse des Verbrauchers, um eigene Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Er wird die Vorbestellfunktion nutzen, um die Apotheke nicht (mehrfach) aufsuchen zu müssen und den mit der Vorbestellung verbundenen – nach Dafürhalten des Senats im Übrigen auch überschaubaren – Aufwand nur aus dieser Motivation heraus erbringen. Vor allem aber wird er die Nutzung der Vorbestellfunktion nicht als eine gegenüber dem Apothekenbetreiber zu erbringende Leistung begreifen und daher auch die Gewährung der [X.]punkte nicht als eine Entschädigung hierfür ansehen, sondern als eine unentgeltliche Zuwendung.

dd) Soweit die Berufung einwendet, das Landgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Gewährung der 50 [X.]punkte mit einem Gegenwert von 50 Cent für die Nutzung der Vorbestellfunktion eine abstrakte Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung der Verbraucher darstelle, erweist sich auch dieser Berufungsangriff als nicht durchgreifend.

Das in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG geregelte grundsätzliche Verbot von Werbegaben soll durch eine weitgehende Eindämmung der Wertreklame im Bereich der Heilmittel der abstrakten Gefahr begegnen, dass Verbraucher bei der Entscheidung, ob und gegebenenfalls welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, durch die Aussicht auf Werbegaben unsachlich beeinflusst werden. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Hs. 2 HWG verbietet entgegen den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes gewährte Werbegaben generell und soll damit einen ruinösen Preiswettbewerb zwischen den Apotheken verhindern und so eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherstellen. Auch dieses Ziel dient dem Interesse der Verbraucher (vgl. BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 12 – Brötchen-Gutschein; GRUR 2019, 203 Rn. 45 – Versandapotheke). Die Gewährung von geringwertigen Werbegaben ist jedenfalls dann, wenn preisgebundene Arzneimittel erworben werden, nicht mehr zulässig, es sei denn, es liegt eine der in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 HWG geregelten Ausnahmen vor (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 30 Brötchen-Gutschein). Hieraus folgt zugleich, dass vorliegend die abstrakte Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung des Werbeadressaten durch die Gewährung von 50 [X.]punkten im Rahmen der Vorbestellung über die streitgegenständliche App zu bejahen ist. Diese Zuwendung wird durch die Verbraucher als eine geldwerte Vergünstigung und als Geschenk verstanden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers (BT-Drs. 17/13770, 20 f.) führt der Verstoß gegen aufgrund des Arzneimittelrechts geltende Preisvorschriften indessen unabhängig davon, ob mittels Barrabatten und Zugaben oder Werbegaben in Form von geringwertigen Kleinigkeiten betriebenen Rabattaktionen für Arzneimittel zur Unzulässigkeit der Werbegabe. Eine Unterscheidung zwischen der Bewertung von Barrabatten und zu einem späteren Zeitpunkt einlösbaren geldwerten Rabatten ist sachlich nicht gerechtfertigt. Der Verbraucher soll in keinem Fall durch die Aussicht auf Zugaben und Werbegaben unsachlich beeinflusst werden. Entgegen der Auffassung der Berufung ist hierbei nicht erforderlich, dass aus der unsachlichen Beeinflussung eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit des Kunden folgen kann. Ein solches Erfordernis ist auch nicht der – in der Verhandlung vor dem Senat durch die Berufung hierfür angeführten – Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.11.2021 (I ZR 214/18, BGH, GRUR 2022, 391 – Gewinnspielwerbung II) zu entnehmen. In dem dortigen Fall wurde eine unsachliche Beeinflussung bejaht, weil der Kunde sich für die Einlösung des Rezepts bei einer Versandapotheke entscheiden könnte, ohne zu erwägen, dass der Erwerb des Arzneimittels bei einer stationären Apotheke seinen persönlichen Bedürfnissen mehr entspreche (vgl. Rn. 44). Dies steht indessen nicht der Annahme einer unsachlichen Beeinflussung entgegen, die – wie hier – darin begründet liegt, dass der Kunde beim Erwerb des Arzneimittels bei einer an dem [X.]programm teilnehmenden Apotheke den – nach den Vorstellungen des Gesetzgebers schon im Ansatz zu unterbindenden – Preiswettbewerb zwischen den Apotheken fördert, was dem letztlich auch in seinem Interesse stehenden Ziel einer flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln abträglich sein könnte (vgl. BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 12 – Brötchen-Gutschein).

ee) Es liegt auch keine der in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 HWG geregelten Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Wertreklame vor. Im Streitfall kommt von vornherein allenfalls eine Einordnung des Gutscheins als handelsübliches Zubehör oder handelsübliche Nebenleistung i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HWG in Betracht. Die Ausnahmebestimmung greift zwar auch bei preisgebundenen Arzneimitteln, da sie insoweit keine Einschränkung enthält (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 29 – Brötchen-Gutschein). Bei der Gewährung von 50 [X.]punkten handelt es sich aber ersichtlich weder um ein Zubehör noch um eine Nebenleistung i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HWG. Maßgeblich für die Eigenschaft als Zubehör ist eine funktionale Beziehung zur Hauptware (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 29 – Brötchen-Gutschein; GRUR 1968, 53, 55 – Probetube, zur ZugabeV), an der es im Streitfall fehlt. Eine Nebenleistung muss geeignet sein, die Durchführung der Hauptleistung sachlich zu ermöglichen oder zu fördern (vgl. BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 29 – Brötchen-Gutschein); auch dies trifft im Streitfall nicht zu. Soweit die Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz vorträgt, dass die Gewährung von [X.]punkten im Rahmen der Bestellung von Arzneimitteln über eine App handelsüblich sei, ist dieser Vortrag zudem als neues Angriffsmittel in der Berufungsinstanz nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.

d. Die Zuwiderhandlung der Beklagten ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern und Mitbewerbern i.S.d. § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen.

Die Werbung entgegen den Preisbindungsvorschriften führt nach der vom Gesetzgeber vorgenommenen Beurteilung des Sachverhalts zu einem Preiswettbewerb zwischen den Apotheken. Der Gesetzgeber ist bei der mit Wirkung vom 13.8.2013 vorgenommenen Änderung des Heilmittelwerbegesetzes davon ausgegangen, dass jede gesetzlich verbotene Abweichung vom Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel geeignet ist, einen unerwünschten Preiswettbewerb zwischen den Apotheken auszulösen. Für eine betragsmäßige Spürbarkeitsschwelle beim Erwerb preisgebundener Arzneimittel ist damit kein Raum mehr (BGH, GRUR 2019, 1071 Rn. 57 – Brötchen-Gutschein; OLG Hamm, Urteil vom 11.6.2015 – 4 U 12/15, BeckRS 2016, 3123; OLG München, GRUR-RR 2017, 451, 455 – Smiles®Plus Partnerprogramm). Die eindeutige gesetzliche Regelung, nach der jede Gewährung einer Zuwendung oder sonstigen Werbegabe i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG, die gegen die Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes verstößt, unzulässig ist, darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass ein solcher Verstoß als nicht spürbar eingestuft und damit als nicht wettbewerbswidrig angesehen wird.


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BGH: Verbot von DocMorris-Gewinnspiel zur Förderung des Verkaufs von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit Art 34 AEUV vereinbar

BGH
Urteil vom 18.11.2021
I ZR 214/18
Gewinnspielwerbung II
Richtlinie 2001/83/EG Art. 86 Abs. 1; UWG § 3a; HWG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 13; AMG § 78 Abs. 1 Satz 1; AMPreisV § 1, § 3; SGB V § 129 Abs. 3 Satz 2 und 3


Der BGH hat entschieden, dass das Verbot von DocMorris-Gewinnspielen zur Förderung des Verkaufs von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit Art 34 AEUV vereinbar.

Leitsätze des BGH:

a) Eine Werbung, die nicht auf ein bestimmtes Arzneimittel abzielt, sondern auf das gesamte Sortiment verschreibungspflichtiger Arzneimittel, das von einer Apotheke angeboten wird, fällt nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des Titels VIII der Richtlinie 2001/83/EG (Anschluss an EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-190/20, GRUR 2021, 1325 Rn. 21 und 22 - DocMorris).

b) Der Begriff der "Werbung für Arzneimittel" im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWG stimmt nicht mit dem Begriff der "Werbung für Arzneimittel" im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG überein (Aufgabe BGH, Urteil vom 13. März 2008 - I ZR 95/05, GRUR 2008, 1014 Rn. 21 - Amlodipin), sondern geht darüber hinaus und erfasst auch eine Werbung für das gesamte Warensortiment der Apotheke (Festhaltung BGH, Urteil vom 24. November 2016 - I ZR 163/15, GRUR 2017, 635 Rn. 31 - Freunde werben Freunde; Urteil vom 29. November 2018 - I ZR 237/16, GRUR 2019, 203 Rn. 19 - Versandapotheke; Urteil vom 6. Juni 2019 - I ZR 206/17, GRUR 2019, 1071 Rn. 22 - Brötchen-Gutschein).

c) Die Werbung mit der Veranstaltung eines Gewinnspiels zur Förderung des Verkaufs von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln kann sowohl als Ankündigung einer gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG unzulässigen Werbegabe als auch als Verstoß gegen das Arzneimittelpreisrecht (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AMG, §§ 1, 3 AMPreisV, § 129 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB V) verboten werden.

d) Das Verbot der Veranstaltung eines solchen Gewinnspiels kann auch gegenüber einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Versandapotheke verhängt werden, weil es sich dabei nicht um eine nach Art. 34 AEUV verbotene Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit handelt, sondern um eine Verkaufsmodalität, die nicht geeignet ist, den Zugang von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat zum inländischen Markt zu versperren oder stärker zu behindern als für inländische Erzeugnisse (Anschluss an EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-190/20, GRUR 2021, 1325 Rn. 35 - DocMorris, mwN).

BGH, Urteil vom 18. November 2021 - I ZR 214/18 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

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VGH Mannheim: Doc Morris darf apothekenpflichtige Arzneimittel nicht per Automat an Kunden ausgeben

VGH Mannheim
Urteil vom 21.10.2021
9 S 527/20


Der VGH Mannheim hat entschieden, dass Doc Morris apothekenpflichtige Arzneimittel nicht per Automat an Kunden ausgeben darf.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

DocMorris: Verbot der Ausgabe von Arzneimitteln durch einen Automaten rechtmäßig

Kurzbeschreibung: Das vom Regierungspräsidium Karlsruhe (Beklagter) gegenüber einer niederländischen Versandapotheke (Klägerin) ausgesprochene Verbot, in den Räumen einer ehemaligen Apotheke in Hüffenhardt apothekenpflichtige Arzneimittel mittels eines Automaten in den Verkehr zu bringen, ist rechtmäßig (zum Gegenstand des Verfahrens siehe Pressemitteilung des VGH vom 29. April 2021 zur Geschäftstätigkeit 2020, unter 4.). Dies hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2021 entschieden und damit die Berufung der Klägerin gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zurückgewiesen.

Zur Begründung seines Urteils führt der 9. Senat des VGH aus:

Die zulässigen Formen des Inverkehrbringens apotheken- bzw. verschreibungspflichtiger Arzneimittel für den Endverbrauch seien im Arzneimittelrecht abschließend normiert (numerus clausus). Danach dürften Arzneimittel nur in einer Apotheke oder im Wege des zulässigen Versandes in Verkehr gebracht werden. Da die Klägerin über keine Erlaubnis für den Betrieb einer Apotheke im Bundesgebiet verfüge, komme es darauf an, ob ihr Vertriebsmodell als zulässige Form des Versandhandels betrachtet werden könne, der von ihrer niederländischen Versandhandelserlaubnis gedeckt wäre. Dies sei indes nicht der Fall. Wesentliches Abgrenzungsmerkmal zwischen dem Versandhandel und der Abgabe von Arzneimitteln in einer Apotheke sei die Notwendigkeit der Beförderung bzw. des Transports und der Auslieferung der Ware (unmittelbar) an den Kunden. Danach könne das von der Klägerin praktizierte Vertriebsmodell nicht aufgrund des „antizipierten Medikamentenversands“ dem arzneimittelrechtlichen Versandbegriff zugeordnet werden. Denn der Versand der Arzneimittel aus den Geschäftsräumen der Klägerin in den Niederlanden an die Geschäftsräume in Hüffenhardt erfolge nicht unmittelbar an den Endverbraucher, sondern diene lediglich der Vorratshaltung. Der Sache nach stelle sich das Vertriebsmodell der Klägerin als eine durch die Einschaltung des „Videoberaters“ und des ferngesteuerten Ausgabeautomaten lediglich technisch modifizierte Abgabe apotheken- bzw. verschreibungspflichtiger Arzneimittel in einer (faktischen) Apotheke dar, für die sie über keine Erlaubnis verfüge und für die ihr eine Erlaubnis auch nicht erteilt werden könne.

Die Beschränkung der Abgabe apotheken- und rezeptpflichtiger Arzneimittel an Endverbraucher auf die Abgabe innerhalb einer Apotheke und den Versand aus einer in- bzw. ausländischen Apotheke sei auch mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Der damit verbundene Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) sei im Sinne des Art. 36 AEUV zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe bereits entschieden, dass die Mitgliedstaaten den Verkauf von Arzneimitteln im Einzelhandel grundsätzlich Apothekern vorbehalten könnten. Insoweit könne ein Mitgliedstaat im Rahmen des ihm eingeräumten Wertungsspielraums der Ansicht sein, dass der Betrieb einer Apotheke durch einen Nichtapotheker eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellen könne. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe ferner festgestellt, dass kein konkretes System ersichtlich geeignet sei, ebenso wirksam wie die Regel des Ausschlusses von Nichtapothekern zu gewährleisten, dass in der Praxis nicht gegen Rechtsvorschriften zur Sicherstellung der beruflichen Unabhängigkeit der Apotheker verstoßen werde würde. Ein solches alternatives System stelle auch das Vertriebsmodell der Klägerin nicht dar. Denn es vertraue die Einhaltung arzneimittelrechtlicher Einzelanforderungen zum Schutz einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung bzw. der Arzneimittelsicherheit abhängig beschäftigten - und damit weisungsabhängigen - Apothekern und pharmakologisch-technischen Assistenten an, die zudem regelmäßig mit der Betreuung einer Vielzahl von Abgabestationen betraut sein dürften.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden (Az.: 9 S 527/20).





EuGH: Verbot von DocMorris-Gewinnspiel unionsrechtskonform - Teilnahme durch Einsendung eines Rezepts zur Bestellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel

EuGH
Urteil vom 15.07.2021
DocMorris NV gegen Apothekerkammer Nordrhein

C‑190/20

Der EuGH hat entschieden, dass das Verbot eines DocMorris-Gewinnspiel, bei dem die Teilnahme durch Einsendung eines Rezepts zur Bestellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel erfolgt, unionsrechtskonform ist.

Tenor der Entscheidung:

1. Die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sie auf eine nationale Regelung, die es einer Apotheke, die Arzneimittel im Versandhandel verkauft, verbietet, eine Werbeaktion in Form eines Gewinnspiels durchzuführen, bei dem die Teilnehmer Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die keine Arzneimittel sind, gewinnen können und die Teilnahme die Einsendung der Bestellung eines verschreibungspflichtigen Humanarzneimittels und des entsprechenden Rezepts voraussetzt, nicht anwendbar ist.

2. Art. 34 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht.


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EuGH: Arzneimittel darf in anderem Mitgliedstaat nur dann vertrieben werden wenn dieser das Inverkehrbringen genehmigt hat

EuGH
Urteil vom 08.07.2021
C-178/20
Pharma Expressz


Der EuGH hat entschieden, dass ein Arzneimittel in einem anderen Mitgliedstaat nur dann vertrieben werden darf, wenn dieser das Inverkehrbringen genehmigt hat.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Ein in einem Mitgliedstaat nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegendes Arzneimittel darf in einem anderen Mitgliedstaat nur dann vertrieben werden, wenn auch dieser Mitgliedstaat sein Inverkehrbringen genehmigt

Ohne diese Genehmigung kann die Abgabe dieses Arzneimittels dort jedoch möglich sein, wenn es im Einklang mit dem Unionsrecht in besonderen medizinischen Bedarfsfällen verwendet wird Im März 2019 wiesen die ungarischen Behörden das ungarische Unternehmen Pharma Expressz an, seine Geschäftspraxis zu unterlassen, unter Missachtung der hierfür im ungarischen Recht vorgesehenen Formalitäten in Ungarn Arzneimittel zu vertreiben, deren Inverkehrbringen als nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegendes Arzneimittel durch einen anderen Mitgliedstaat genehmigt wurde. Nach ungarischem Recht dürfen nämlich Arzneimittel, die über keine von den ungarischen Behörden oder der Europäischen Kommission erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen verfügen, nur dann vertrieben werden, wenn ihre Verwendung zu therapeutischen Zwecken den ungarischen Behörden von einem verschreibenden Arzt mitgeteilt wird, der eine Stellungnahme dieser Behörden zu dieser Anwendung einholen muss. Pharma Expressz hat den Bescheid der ungarischen Behörden beim Fővárosi Törvényszék
(Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) angefochten, das den Gerichtshof um Klärung der Frage ersucht, ob es nicht gegen das Unionsrecht verstößt, die Einhaltung dieser Formalitäten für den in Ungarn erfolgenden Vertrieb von Arzneimitteln zu verlangen, deren Inverkehrbringen als nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegende Arzneimittel durch einen anderen Mitgliedstaat genehmigt wurde.

Mit Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach der Arzneimittelrichtlinie ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden darf, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats oder die Kommission in Anwendung des dafür vorgesehenen zentralisierten Verfahrens eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat.

Verfügt ein Arzneimittel also nicht über eine von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem es zum Verkauf angeboten wird, oder eine nach dem zentralisierten Verfahren erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen, darf es in diesem Staat nicht vertrieben werden, und zwar unabhängig davon, dass es in einem anderen Mitgliedstaat ohne ärztliche Verschreibung verkauft werden darf.

Zu dem in der Arzneimittelrichtlinie vorgesehenen Verfahren der gegenseitigen Anerkennung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen stellt der Gerichtshof fest, dass es unter strengen Voraussetzungen durchgeführt wird und davon abhängt, dass der Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines bestimmten Arzneimittels in einem Mitgliedstaat einen Antrag auf Anerkennung dieser Genehmigung in den anderen Mitgliedstaaten stellt, was nicht den Umständen der vorliegenden Rechtssache entspricht.

Folglich verlangt die Arzneimittelrichtlinie nicht nur nicht, dass ein Arzneimittel, dessen Inverkehrbringen als nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegendes Arzneimittel durch einen Mitgliedstaat genehmigt wurde, durch einen anderen Mitgliedstaat, der dessen Vertrieb nicht genehmigt hat, ebenfalls als nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegendes Arzneimittel anzusehen ist, sondern steht ganz im Gegenteil dieser Möglichkeit entgegen.

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass die sich aus den ungarischen Rechtsvorschriften ergebenden Formalitäten offenbar die Umsetzung einer in der Arzneimittelrichtlinie vorgesehenen Ausnahme in ungarisches Recht darstellen, die in besonderen medizinischen Bedarfsfällen das Inverkehrbringen von Arzneimitteln in einem Mitgliedstaat gestattet, selbst wenn keine von diesem Staat oder der Kommission erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen vorliegt. Da Ungarn mit der Einführung dieser Formalitäten eine ordnungsgemäße Umsetzung dieser Ausnahme vorgenommen hat, können sie jedoch nicht als mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahme gleicher Wirkung im Hinblick auf den Grundsatz des freien Warenverkehrs eingestuft werden.


Tenor der Entscheidung:

1. Die Art. 70 bis 73 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die in der durch die Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie, vorbehaltlich der Anwendung der in Art. 5 Abs. 1 vorgesehenen Ausnahme, dem entgegenstehen, dass ein Arzneimittel, das in einem Mitgliedstaat ohne ärztliche Verschreibung abgegeben werden darf, auch in einem anderen Mitgliedstaat als ein Arzneimittel anzusehen ist, das ohne ärztliche Verschreibung abgegeben werden darf, wenn dieses Arzneimittel in dem letztgenannten Mitgliedstaat über keine Genehmigung für das Inverkehrbringen verfügt und nicht eingestuft worden ist.

2. Eine nationale Maßnahme zur Umsetzung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2012/26 geänderten Fassung, die für die Abgabe eines Arzneimittels, das über keine Genehmigung für das Inverkehrbringen verfügt, eine ärztliche Verschreibung und eine Stellungnahme der für die Gesundheit zuständigen Behörde vorschreibt, um die Erfüllung der in dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzungen sicherzustellen, stellt weder eine mengenmäßige Beschränkung noch eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV dar.

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BGH: Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker kann nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 HWG unzulässig sein

BGH
Urteil vom 17.12.2020
I ZR 235/16
Apothekenmuster II
Richtlinie 2001/83/EG Art. 96 Abs. 1, Art. 94 Abs. 1; AMG § 47 Abs. 3; HWG § 7 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass die Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 HWG unzulässig sein kann.

Leitsätze des BGH:
a) Die unionsrechtskonforme Auslegung von § 47 Abs. 3 AMG im Lichte von Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG ergibt, dass es pharmazeutischen Unternehmen nicht erlaubt ist, Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abzugeben. Dagegen stehen diese Bestimmungen der Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker nicht entgegen (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 11. Juni 2020 - C-786/18, GRUR 2020, 764 = WRP 2020, 1004 - ratiopharm).

b) Die Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker kann jedoch nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 HWG als Zuwendung in Form einer Ware unzulässig sein.

BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - I ZR 235/16 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

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EuGH: Pharmaunternehmen dürfen keine Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abgeben - Gratismuster nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zulässig

EuGH
Urteil vom 12.06.2020
C-786/18
ratiopharm GmbH / Novartis Consumer Health GmbH


Der EuGH hat entschieden, dass Pharmaunternehmen keine Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abgeben dürfen. Die Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheken ist hingegen zulässig.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Pharmazeutische Unternehmen dürfen keine Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abgeben

Dagegen verbietet es das Unionsrecht nicht, Gratismuster nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abzugeben.

Das Pharmaunternehmen Novartis stellt das Arzneimittel Voltaren Schmerzgel mit dem Wirkstoff Diclofenac her. Vor den deutschen Gerichten beantragt Novartis, dem Generikahersteller ratiopharm die Abgabe von Gratismustern des Arzneimittels Diclo-ratiopharm-Schmerzgel, das ebenfalls den Wirkstoff Diclofenac enthält, an Apotheker zu untersagen. Nach Auffassung von Novartis verstößt eine solche Abgabe gegen das deutsche Arzneimittelgesetz. Dort seien unter den Personen, an die Gratismuster von Arzneimitteln abgegeben werden dürften, zwar Ärzte, nicht aber Apotheker genannt. Diese Abgabe sei daher eine unzulässige Gewährung von Werbegaben.

Der Bundesgerichtshof ersucht in diesem Zusammenhang den Gerichtshof um die Auslegung des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (im Folgenden auch: Kodex). Er möchte wissen, ob dieser Kodex es pharmazeutischen Unternehmen erlaubt, Gratismuster von Arzneimitteln an Apotheker abzugeben.

Mit seinem Urteil von heutigen Tag entscheidet der Gerichtshof, dass der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel es pharmazeutischen Unternehmen nicht erlaubt, Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abzugeben.

Dagegen verbietet es der Kodex nicht, Gratismuster von Arzneimitteln, die nicht der Verschreibungspflicht unterliegen, an Apotheker abzugeben.

Der Kodex ist nach Ansicht des Gerichtshofs dahin auszulegen, dass nur zur Verschreibung von
der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegenden Arzneimitteln berechtigte Personen, also
Ärzte, Gratismuster solcher Arzneimittel erhalten dürfen, was zur Folge hat, dass eine Abgabe an
Apotheker nicht zulässig ist. Diese Arzneimittel dürfen in Anbetracht der mit ihrem Gebrauch
verbundenen Gefahr oder der hinsichtlich ihrer Wirkungen bestehenden Unsicherheit nämlich nicht
ohne ärztliche Überwachung verwendet werden.

Allerdings wird den Apothekern durch den Kodex nicht die Möglichkeit genommen, im Rahmen des
nationalen Rechts Gratismuster von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu erhalten,
damit sie sich mit neuen Arzneimitteln vertraut machen und Erfahrungen mit deren Anwendung
sammeln können.


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BGH: § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG steht mit Art. 34 und 36 AEUV nicht in Einklang - Niederländiche Versandapotheke darf Sofortbonus gewähren

BGH
Urteil vom 20.02.2020
I ZR 5/19
Sofort-Bonus II
ZPO § 308 Abs. 1; UWG § 2 Abs. 1 Nr. 7, § 3 Abs. 1 und 2; §§ 3a, 5 Abs. 1; AMG § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a, § 78 Abs. 1 Satz 4; AEUV Art. 34 und 36; MB/KK 2009 § 1 Abs. 3 Buchst. a, § 4 Abs. 1 und 3, § 5 Abs. 4, § 9 Abs. 2 und 4; VVG § 200


Der BGH hat entschieden, dass § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG nicht mit Art. 34 und 36 AEUV in Einklang steht und eine niederländiche Versandapotheke einen Sofortbonus gewähren darf.

Leitsätze des BGH:

a) Die rechtliche Würdigung des durch den Vortrag der Klagepartei zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplexes ist Sache des Gerichts. Für die Frage des Streitgegenstands ist es daher unerheblich, ob die Klagepartei ihre Klage auf einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt gestützt hat; entscheidend ist vielmehr, dass sie einen Lebenssachverhalt vorgetragen hat, der sich rechtlich unter diesen Gesichtspunkt einordnen lässt.

b) Die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG, wonach die auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 Satz 1 AMG erlassene Arzneimittelpreisverordnung auch für Arzneimittel gilt, die gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG von einer Apotheke eines Mitgliedstaats der Europäischen Union an den Endverbraucher im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes verbracht werden, steht mit der Regelung in Art. 34 und 36 AEUV nicht in Einklang und ist daher gegenüber einer in den Niederlanden ansässigen Apotheke nicht anwendbar.

c) Die Werbung einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Versandapotheke gegenüber privatversicherten Verbrauchern mit einem diesen auf deren Kundenkonto gutgeschriebenen und mit dem Kaufpreis für nicht rezeptpflichtige Produkte zu verrechnenden Sofortbonus von bis zu 30 € pro Rezept stellt, falls der Bonus nicht auf der zur Vorlage beim privaten Krankenversicherer vorgesehenen Quittung vermerkt wird, keinen im Hinblick auf die von den Verbrauchern zu wahrenden Interessen ihrer Krankenversicherer begründeten Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt gemäß § 3 Abs. 2 UWG und, falls der Bonus auf dieser Quittung vermerkt wird, auch keine Irreführung des Kunden dar (Abgrenzung gegenüber BGH, Urteil vom 8. November 2007 - I ZR 60/05, GRUR 2008, 530 Rn. 14 bis 16 - Nachlass bei der Selbstbeteiligung; Urteil vom 8. November 2007 - I ZR 192/06, WRP 2008, 780 Rn. 16 bis 18; Versäumnisurteil vom 8. November 2007 - I ZR 121/06, juris Rn. 15 bis 17).

BGH, Urteil vom 20. Februar 2020 - I ZR 5/19 - OLG Stuttgart - LG Stuttgart

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




Volltext OLG Karlsruhe liegt vor: Apothekenautomaten mit Videoberatung und Arzneimittelabgabe von DocMorris sind unzulässig

OLG Karlsruhe
Urteil vom 29.05.2019
6 U 36/18


Wir hatten in dem Beitrag OLG Karlsruhe: Apothekenautomaten mit Videoberatung und Arzneimittelabgabe von DocMorris sind unzulässig über die Entscheidung berichtet.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Karlsruhe: Apothekenautomaten mit Videoberatung und Arzneimittelabgabe von DocMorris sind unzulässig

OLG Karslruhe
Urteile vom 29.05.2019
6 U 36/18, 6 U 37/18, 6 U 38/18, 6 U 39/18


Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass die Apothekenautomaten mit Videoberatung und Arzneimittelabgabe von DocMorris unzulässig sind.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Apothekenautomat in Hüffenhardt wettbewerbswidrig – Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigt Verbot

Die DocMorris N.V., eine europaweit tätige Versandapotheke, betrieb im Zeitraum vom 19.04.2017 bis 14.06.2017 in Hüffenhardt (Neckar-Odenwald Kreis) eine pharmazeutische Videoberatung mit Arzneimittelabgabe, einen sog. „Apothekenautomaten“. Das Landgericht Mosbach hatte sowohl DocMorris als auch der Mieterin der Räumlichkeiten den Betrieb des Apothekenautomaten in Hüffenhardt untersagt (zum bisherigen Verlauf der Verfahren vgl. Pressemitteilung vom 05.04.2019).

Der unter anderem für Wettbewerbssachen zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat in vier Verfahren die Berufungen gegen Urteile des Landgerichts Mosbach nunmehr zurückgewiesen und die Untersagung des Betriebs eines Apothekenautomaten, wie er in Hüffenhardt eingerichtet war, bestätigt.

Die von den Berufungen vertretene Ansicht, es handele sich bei der Verbringung der Arzneimittel von einer niederländischen Apotheke zum Lager in Hüffenhardt um einen erlaubten „antizipierten“ Versandhandel, hat der Senat zurückgewiesen. Der Senat führt aus, dass es keinen „Versand an den Endverbraucher von einer Apotheke“ (§ 73 Abs. 1 Nr. 1 a AMG) darstellt, wenn die Arzneimittel zunächst ohne konkrete Bestellung in Hüffenhardt gelagert und dann auf Kundenwunsch abgegeben werden. Ein Versandhandel setzt eine Bestellung des Endverbrauchers zeitlich vor der Bereitstellung, Verpackung und Absendung des Arzneimittels voraus.

Ebenso hat der Senat die Verurteilung zur Unterlassung des Verstoßes gegen Prüf- und Dokumentationspflichten bei der Bearbeitung von Rezepten und der Abgabe der Arzneimittel an Endverbraucher bestätigt. Die per Video erfolgenden Kontrollen und die erst nach Verbringung der Rezepte in die Niederlande vorgenommenen Vermerke genügen nach Ansicht des Senats den Vorschriften der deutschen Apothekenbetriebsordnung nicht. So ist unter anderem nicht gewährleistet, dass etwaige Änderungen auf der Verschreibung unmittelbar bei Abgabe des Arzneimittels vermerkt werden.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ist grundsätzlich möglich.

Oberlandesgericht Karlsruhe Urteile vom 29.05.2019 Az.: 6 U 36/18, 6 U 37/18, 6 U 38/18, 6 U 39/18 (Kläger dieser Verfahren sind zwei regionale Apotheker, ein in Köln ansässiger Apotheker, der eine Online-Apotheke betreibt, sowie der Landesapothekerverband Baden-Württemberg. Beklagte ist in den erstgenannten Fällen Doc Morris N.V., im vom Landesapothekerverband geführten und heute entschiedenen Verfahren die Mieterin der Räumlichkeiten in Hüffenhardt, ebenfalls eine niederländische Gesellschaft)

Zum Hintergrund:

Ein Verbot aus wettbewerbsrechtlichen Gründen kann von einem Mitbewerber oder auch von Berufsverbänden bei einem Verstoß gegen sog. Marktverhaltensregeln (§ 3 a UWG) verlangt werden. Die hier verletzten Bestimmungen des Arzneimittel- und Apothekenrechtes sind nach Auffassung des Senats solche Marktverhaltensregeln. Sie bezwecken den Gesundheitsschutz der Verbraucher und wirken sich unmittelbar auf den Wettbewerb zwischen Apotheken aus.

In zwei weiteren Verfahren zum selben Problemkreis, in denen der Senat in anderer Besetzung zu entscheiden hat, wurde der Verkündungstermin auf den 26. Juni 2019 verlegt, weil die Schlussberatung aus terminlichen Gründen noch nicht durchgeführt werden konnte.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 04.04.2019 betreffend denselben Apothekenautomaten (vgl. Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. und 25.04.2019) befasst sich mit der Frage, ob das vom Regierungspräsidium Karlsruhe gegen den Betreiber ausgesprochene Verbot rechtmäßig war.

Relevante Vorschriften (auszugsweise):

§ 3 a UWG – Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 73 Abs. 1 Ziff. 1 a AMG - Arzneimittelgesetz
Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung oder Genehmigung unterliegen, dürfen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes nur verbracht werden, wenn …
… im Falle des Versandes an den Endverbraucher das Arzneimittel von einer Apotheke eines Mitgliedstaates der Europäischen Union … entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel oder zum elektronischen Handel versandt wird …

§ 17 Abs. 5 ApoBetrO - Apothekenbetriebsordnung
… Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist. Der Apotheker hat jede Änderung auf der Verschreibung zu vermerken und zu unterschreiben.



VG Karlsruhe: Doc Morris darf apothekenpflichtige Arzneimittel nicht per Automat an Kunden ausgeben

VG Karlsruhe
04.04.2019
3 K 5393/17


Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat entschieden, dass Doc Morris apothekenpflichtige Arzneimittel nicht per Automat an Kunden ausgeben darf.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Verwaltungsgericht bestätigt Verbot eines Arzneimittelautomaten

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat mit einem Urteil vom gestrigen Tag das behördliche Verbot, apothekenpflichtige Arzneimittel mittels eines Automaten in den Verkehr zu bringen, bestätigt.

Die Klägerin, eine niederländische Versandapotheke, bot seit dem 19.04.2017 in der Gemeinde Hüffenhardt eine „pharmazeutische Videoberatung mit angegliederter Arzneimittelabgabe“ an. Dazu wurde der Kunde in den Räumen einer ehemaligen Apotheke in Hüffenhardt über ein Videoterminal mit einem in den Niederlanden befindlichen Apotheker bzw. Pharmazeutisch-Technischen-Assistenten verbunden. Dieser entschied dann unter anderem nach Kontrolle des eingescannten ärztlichen Rezepts über die Ausgabe des von dem Kunden gewünschten Medikaments durch den mit einem Medikamentenlager verbundenen Arzneimittelautomaten.

Mit Bescheid vom 21.04.2017 untersagte das Regierungspräsidium Karlsruhe der Klägerin die weitere Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel sowie mit sofortiger Wirkung die weitere Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel mittels des Automaten. Zur Begründung führte das Regierungspräsidium Karlsruhe im Wesentlichen aus, die Klägerin verstoße gegen das Arzneimittelgesetz, da sie apothekenpflichtige Arzneimittel außerhalb einer Apotheke und nicht im Rahmen ihres Versandhandels in den Verkehr bringe.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 26.04.2017 vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gestellt. Der Eilantrag wurde später wieder zurückgenommen. In der Begründung ihrer Klage vertrat die Klägerin insbesondere den Standpunkt, bei der Abgabe der Medikamente mittels Videochat handele es sich um eine Art des Versandhandels. Ihr Handeln sei deswegen von ihrer niederländischen Versandhandelserlaubnis gedeckt. Außerdem verstoße das behördliche Verbot gegen Europarecht.

Das Verwaltungsgericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom gestrigen Tag abgewiesen. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.

Das Urteil vom 04.04.2019 - 3 K 5393/17 - ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Zulassung der Berufung beantragen.



Neuer Beitrag in der Internet World Business von Rechtsanwalt Marcus Beckmann - Widerrufsrecht für Medikamente darf nicht pauschal in AGB ausgeschlossen werden

In Ausgabe 8/2018, S. 17 der Zeitschrift Internet World Business erschien ein Beitrag von Rechtsanwalt Marcus Beckmann mit dem Titel "Pillen als Retoure ? Widerrufsrecht für Medikamente darf nicht pauschal in AGB ausgeschlossen werden".

Siehe auch zum Thema OLG Karlsruhe: Versandapotheken dürfen Widerrufsrecht für verschreibungs- und apothekenpflichtige Medikamente nicht generell ausschließen und Pflicht zur kostenlosen Beratung.