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OLG Hamburg: Bloße Erkennbarkeit als Vorbild einer fiktiven Figur in einem Roman begründet allein noch keine Persönlichkeitsrechtsverletzung

OLG Hamburg
Beschluss vom 18.03.2025
7 W 23/25


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass die bloße Erkennbarkeit als Vorbild einer fiktiven Figur in einem Roman allein noch keine Persönlichkeitsrechtsverletzung begründet. Vielmehr sind Kunstfreiheit und eine etwaige Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuwägen.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei dem angegriffenen Werk „Innerstädtischer Tod“ um einen Roman und damit um ein Werk der Literatur handelt, das grundsätzlich den Schutz der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 III GG genießt; dies zweifeln auch die Antragsteller nicht an.

a. Deshalb ist hier zwischen den einschlägigen Grundrechten abzuwägen. Unterfallen inkriminierte Äußerungen, gegen die der Betroffene vorgehen möchte, nicht (lediglich) der Äußerungsfreiheit gemäß Art. 5 I GG, sondern (sogar) der Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit im Sinne des Art. 5 III GG, gelten für die Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen strengere Maßstäbe, da die Kunst- und die Wissenschaftsfreiheit nicht die Schranken des Art. 5 II GG, sondern lediglich verfassungsimmanente Schranken zu beachten haben (Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.1). Allerdings kann dabei keines der betroffenen Grundrechte einen generellen Vorrang beanspruchen, vielmehr zieht auch die Kunstfreiheit ihrerseits dem Persönlichkeitsrecht Grenzen. Das gilt im Verhältnis von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht auch deshalb, weil die Durchsetzung dieses Rechts gegenüber der Kunstfreiheit stärker als andere gegenüber einem Kunstwerk geltend gemachte private Rechte geeignet ist, der künstlerischen Freiheit inhaltliche Grenzen zu setzen, so dass die Gefahr besteht, dass unter Berufung auf das Persönlichkeitsrecht öffentliche Kritik und die Diskussion von für die Öffentlichkeit und Gesellschaft wichtigen Themen unterbunden werden (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.79]). Daher ist auch in diesem Spannungsverhältnis stets eine Abwägung im Einzelfall unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorzunehmen (vgl. Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.1 mit weiteren Nachweisen).

b. Auch die Antragsgegnerin als juristische Person kann sich auf die Kunstfreiheit berufen, obwohl sie nicht eigenschöpferisch an der Entstehung des Romans mitgewirkt hat. Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft neben dem Werkbereich auch den Wirkbereich künstlerischen Schaffens. Art. 5 III 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend. Soweit es zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.63, 65]).

2. Ebenfalls vorab ist zu beachten, dass eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch ein Kunstwerk naturgemäß nur dann in Betracht kommt, wenn der Betroffene in diesem Werk überhaupt erkennbar ist (Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.3). Der Senat hat indes – wie das Landgericht – keinen Zweifel daran, dass die Antragsteller als „Vorbilder“ für die Figuren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ im streitgegenständlichen Roman „Innerstädtischer Tod“ für eine Vielzahl von Lesern zu erkennen sind. Hierfür reichen schon die Tatsachen, dass – wie die Romanfiguren – auch die Antragsteller ihre international sehr erfolgreiche Galerie in einer ehemaligen Kirche in Berlin betreiben und dass wie im Roman gegen die Figur „Konrad Raspe“ auch in der Realität gegen den Antragsteller zu 1) im Jahr 2022 in einem Presseorgan Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe erhoben wurden, die sodann weite Kreise zogen. Hinzu kommt, dass die Romanfiguren dieselben, genau bezeichneten drei Kunstwerke besitzen wie die Antragsteller. Schon diese Merkmale dürften – vor allem in ihrer Kombination – in der Tat allein auf die Antragsteller zutreffen, so dass es auf die weiteren von den Antragstellern angeführten „Identifikationsmerkmale“ für die Frage der Erkennbarkeit nicht entscheidend ankommt. Die Antragsteller haben zudem durch Vorlage entsprechender Berichterstattungen glaubhaft gemacht, dass sie tatsächlich von mindestens zwei Rezensenten des Romans als die realen Vorbilder der genannten Romanfiguren „entschlüsselt“ worden sind (Anl ASt 42 und ASt 43).

3. Zutreffend weist das Landgericht darauf hin, dass deshalb im vorliegenden Fall die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Spannungsverhältnis zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten anzuwenden sind, wie sie in Bezug auf Romanveröffentlichungen insbesondere im Beschluss vom 13.6.2007 (Az. 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra“) weiterentwickelt und konkretisiert worden sind. Danach stellt indes die bloße Erkennbarkeit eines Betroffenen als Vorbild einer fiktiven Figur in einem Roman per se keine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts dar, die einen Unterlassungsanspruch zur Folge hätte (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.74]). Vielmehr bedarf es der Klärung, ob eine Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat. Die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts hängt dabei sowohl davon ab, in welchem Maß der Künstler es dem Leser nahelegt, den Inhalt seines Werks auf wirkliche Personen zu beziehen, wie von der Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, wenn der Leser diesen Bezug herstellt. (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.80f]). Erhebt ein Kunstwerk einen umfassenden Faktizitätsanspruch – beispielsweise bei einem fälschlicherweise als Roman etikettierten bloßen Sachbericht – kommt es nicht zu einer „kunstspezifischen Betrachtung“. In solchen Fällen reicht auch ein „Disclaimer“, wonach Übereinstimmungen mit realen Personen rein zufällig und nicht gewollt seien, nicht für die Annahme eines fiktiven Werkes aus (vgl. Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.10). Bei Kunstwerken, die – ausgesprochen oder unausgesprochen – keinen derartigen umfassenden Faktizitätsanspruch erheben, ist hingegen eine kunstspezifische Betrachtung vorzunehmen. Bestimmte Kunstformen, wie gerade der Roman oder auch das Theaterstück, knüpfen indes typischerweise häufig – wenn nicht gar regelmäßig – an die Realität an, schaffen davon ausgehend aber eine neue ästhetische Wirklichkeit, indem sie z.B. gerade mit einer Verschränkung von Wahrheit und Fiktion spielen (vgl. Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.6; BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.82]).

4. Das hier angegriffene Werk „Innerstädtischer Tod“ erhebt auch nach Ansicht des Senates keinen derartigen, umfassenden Faktizitätsanspruch.

a. In diese gedankliche Richtung wird der Leser bereits durch die Bezeichnung des Werkes als „Roman“ gelenkt. Hinzu kommt, dass dem eigentlichen Romantext folgender „Disclaimer“ vorangestellt ist:

„Dieses Buch ist ein Roman. Als literarisches Werk knüpft es in vielen Passagen an reales Geschehen und an Personen der Zeitgeschichte an. Es verbindet Anklänge an tatsächliche Vorkommnisse mit künstlerisch gestalteten, fiktiven Schilderungen sowie fiktiven Personen. Dies betrifft auch und insbesondere vermeintlich genaue Schilderungen von privaten Begebenheiten oder persönlichen Motiven und Überlegungen. Sie sollen die Motive und Intention der objektivierten Charaktere erhellen und sind deshalb künstlerisch geboten und erforderlich.“

Auch hierdurch wird dem Leser vermittelt, dass der Autor nicht den Anspruch erhebt, ausschließlich Fakten zu schildern, vielmehr erwartet der Rezipient danach ein vor allem literarisches Werk, das lediglich an reale Personen und Begebenheiten anknüpft. Zwar können weder die Bezeichnung eines Werkes als „Roman“ noch derartige Aussagen in einem „Disclaimer“ allein den Ausschlag für eine Einordnung eines Werkes als rein fiktiv geben, maßgeblich ist vielmehr – wie ausgeführt – stets die tatsächliche Gesamtwirkung des in Rede stehenden Werkes auf den Rezipienten. Anhaltspunkte für den Leser, welchen Anspruch ein Werk erhebt, können sich hieraus allerdings sehr wohl ergeben.

b. Tatsächlich und vor allem aber lässt die Gesamtanmutung das Werk „Innerstädtischer Tod“ unmissverständlich als einen Roman, also als ein Werk der Fiktion erscheinen, das lediglich an reale Gegebenheiten und Personen anknüpft.

Zwar ist das Geschehen erkennbar in die reale Welt eingebettet, was sich dem Leser nicht nur durch die exakte zeitliche Einordnung (9. November 2022), sondern vor allem durch die Nennung tatsächlicher Ereignisse, wie den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, und realer politischer Akteure erschließt. Vor diesem Hintergrund breitet der Autor aber ein Geflecht, einen „Reigen“, mehrerer Charaktere aus, die in verschiedener Weise aufeinander bezogen sind und im Laufe der Handlung in unterschiedlichen Konstellationen interagieren. In dieses Geflecht sind auch die Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ einbezogen; die gesamte Handlung bewegt sich kreisend auf die von ihnen organisierte Vernissage des Künstlers „Fabian Kolb“ hin, die der Höhe- und Schlusspunkt des Romans ist. Hierbei wechselt der Roman ständig die Perspektive und schildert nicht nur die Erlebnisse, sondern auch die Gedankenwelt zahlreicher Haupt- und Nebenfiguren, wie die des Künstlers „Fabian Kolb“, seiner in Bezug auf seine Kunstwerke etwas ratlosen Eltern, seines Onkels, des Abgeordneten „Hermann Carius“ von der fiktiven, aber erkennbaren Partei „Neue Rechte“, seines herablassenden Bruders, seiner hin- und hergerissenen Tante, seines Cousins, des zweifelnden Priesters „Martin Carius“, und sogar des Erzbischofs von Berlin. Hierbei wechselt der Autor nicht nur die Perspektive und Weltsicht, sondern auch den Tonfall, zum Teil bis in die Grammatik, um das Innenleben der jeweils im Fokus stehenden Figur für den Leser nachvollziehbar zu machen. Hierdurch werden, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, verschiedene Themen von gesellschaftlicher Relevanz aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, wie die #MeToo-Debatte, die Zunahme nationalistischer Denkweisen in der politischen Debatte, die Rolle des Glaubens in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft, die Mechanismen des Kunstgeschäfts oder auch die eingespielten Rollen bei der öffentlichen Diskussion kontroverser Themen. Diese anspruchsvolle und auffällige Konstruktion des Gesamtwerkes ist für den Leser erkennbar, für den es damit fernliegt, dass es sich bei dem Roman um einen „verkappten“ Tatsachenbericht handeln könne, in dem der Autor eigene Erlebnisse oder wenigstens vor allem tatsächliche Ereignisse beschreibt. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Lauf der Handlung die Ereignisse gerade nicht ausschließlich aus der Sicht eines Ich-Erzählers geschildert werden (wie es im Roman „Esra“ der Fall gewesen war), so dass es für den Leser auch deshalb nicht naheliegt, in den hier angegriffenen Schilderungen, die vor allem der Perspektive der Figur des Künstlers „Fabian Kolb“ entstammen (und als einzige in der Ich-Form verfasst sind), auf eigenen Erfahrungen des Autoren beruhen könnten.

5. Als Werk der Literatur genießt der Roman „Innerstädtischer Tod“ daher uneingeschränkt den Schutz der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 III GG. Diese überwiegt hier die persönlichkeitsrechtlichen Belange der Antragsteller.

a. Bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Grundrechte ist zu beachten, dass ein Kunstwerk eine gegenüber der „realen” Wirklichkeit verselbstständigte „wirklichere Wirklichkeit” anstrebt, in der die reale Wirklichkeit auf der ästhetischen Ebene in einem neuen Verhältnis zum Individuum bewusster erfahren wird. Die Zulässigkeit der künstlerischen Darstellung kann deshalb nicht am Maßstab der Welt der Realität, sondern nur an einem kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab gemessen werden (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.83]). Die Gewährleistung der Kunstfreiheit verlangt, den Leser eines literarischen Werks für mündig zu halten, dieses von einer Meinungsäußerung zu unterscheiden und zwischen der Schilderung tatsächlicher Gegebenheiten und einer fiktiven Erzählung zu differenzieren. Ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, ist daher zunächst einmal als Fiktion anzusehen, das keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Damit streitet eine Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes. Diese Vermutung gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als Urbilder erkennbar sind (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.84]; Korte, PresseR, 2. Aufl., § 3 Rz.7).

Diese Vermutung gilt auch hier und ist keineswegs entkräftet. Wie vorstehend ausgeführt versteht der Leser das Gesamtwerk vielmehr gerade als ein fiktives Werk der Literatur. Schon damit liegt eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Antragsteller eher fern, denn der Leser erkennt den fiktionalen Charakter der Handlung; dies gilt auch in Bezug auf solche Figuren, die – wie „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“, aber auch „Hermann Carius“ – reale Vorbilder haben.

b. Hinzu kommt Folgendes: Je stärker der Autor eine Romanfigur von ihrem Urbild löst und zu einer Kunstfigur verselbstständigt („verfremdet”), umso mehr wird ihm eine kunstspezifische Betrachtung zugutekommen. Dabei geht es bei solcher Fiktionalisierung nicht notwendig um die völlige Beseitigung der Erkennbarkeit, sondern darum, dass dem Leser deutlich gemacht wird, dass er nicht von der Faktizität des Erzählten ausgehen soll. (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.85]). Insgesamt besteht zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft, und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts eine Wechselbeziehung. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung die besonders geschützten Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen (vgl. BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.90]).

Auch dieser Aspekt streitet hier gegen ein Überwiegen der Belange der Antragsteller. Zwar sind die Antragsteller – wie ausgeführt – ohne jeden Zweifel für viele Leser als Vorbilder der Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ erkennbar. Andererseits weist das Landgericht aber zutreffend darauf hin, dass es auch eine ganze Reihe von „Merkmalen“ gibt, in denen die Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ gerade nicht mit den Antragstellern übereinstimmen. So ist der Altersunterschied dieser beiden Romanfiguren (neun Jahre) deutlich größer (und wird im Roman auch mehrfach herausgestellt) als der der Antragsteller (neun Monate). Auch die Tatsache, dass die Antragsteller Eltern zweier gemeinsamer Kinder sind, während die Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ kinderlos sind, bedeutet eine erhebliche Verfremdung. Die tatsächlich erheblich eingeschränkte Sehfähigkeit des Antragstellers zu 1), die für ihn unstreitig von Bedeutung ist, findet sich bei der Figur „Konrad Raspe“ nicht wieder. Das gewichtige „Identifikationsmerkmal Galerie in einer ehemaligen Kirche“ wird dadurch wiederum in nicht geringem Maße „verfremdet“, dass die von den Antragstellern angemietete Kirche im Stil des sog. Brutalismus errichtet wurde, während sich die Galerie der Romanfiguren „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“ in einem umgebauten Kirchenbau der Gründerzeit befindet (was im Roman ebenfalls mehrfach betont wird), mag sie nach dem Umbau auch zahlreiche Sichtbetonelemente aufweisen.

c. Auch das Gewicht der – möglichen – Eingriffe in persönlichkeitsrechtliche Belange der Antragsteller überwiegt im Rahmen der genannten Wechselbeziehung hier nicht die von der Kunstfreiheit geschützten Belange der Antragsgegnerin.

aa. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) gilt Folgendes:

Zwar kann das Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen auch dadurch verletzt werden, dass in einem Werk Handlungen mit sexuellem Gehalt geschildert oder gezeigt werden. Die realistische und detaillierte Erzählung derartiger Handlungen lebender Personen in einem literarischen Text kann die absolut geschützte Intimsphäre des Betroffenen beeinträchtigen und deshalb unzulässig sein. Eine Beeinträchtigung der Intimsphäre setzt dabei jedenfalls voraus, dass sich durch den Text die naheliegende Frage stellt, ob sich die geschilderten Handlungen als Berichte über tatsächliche Ereignisse begreifen lassen. Dies kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn es sich um eine aus vom Autor unmittelbar Erlebtem stammende, realistische und detaillierte Erzählung entsprechender Geschehnisse und die genaue Schilderung intimster Details einer Frau handele, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar ist (vgl. BVerfG, B. v. 19.12.2007 - 1 BvR 1533/07 - Theaterstück „Ehrensache” GRUR-RR 2008, 206 [Rz.15]; BVerfG, B. v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05 - Roman „Esra" = NJW 2008, 39 [Rz.102]). Ebenso kann auch die in einem Werk enthaltenen Darstellung sexueller Übergriffe auf einen Betroffenen, die eine erkennbar deutliche Übereinstimmung zu tatsächlich zu dessen Nachteil begangenen Missbrauchstaten aufweist, für sich genommen ohne Weiteres dem Kernbereich höchstpersönlicher, privater Lebensumstände zuzuordnen sein, der wegen seiner besonderen Nähe zur Menschenwürde absolut geschützt und einer Einschränkung durch Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zugänglich ist (vgl. BGH, U. v. 18.5.2021 - VI ZR 441/19 - GRUR 2021, 1222 [Rz.30] – Die Auserwählten [Odenwaldschule]).

Eine vergleichbare Situation liegt hier aber nicht vor: Zutreffend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass für die Romanfigur „Fabian Kolb“ kein vergleichbar naheliegendes Vorbild in der Realität existiert. Die Antragsteller selbst verweisen dementsprechend darauf, dass die Romanfigur des Künstlers „Fabian Kolb“ (wohl) aus zwei realen Künstlerpersönlichkeiten zusammengestellt sein dürfte. Es erscheint aber durchaus fernliegend, dass eine nennenswerte Zahl von Lesern diese komplizierte Entschlüsselung vornehmen wird. Vielmehr teilt der Senat die Ansicht des Landgerichts, dass diese Figur dem Leser als fiktive Schöpfung des Autoren erscheinen wird. Damit indes liegt es für den Leser auch fern, dass die geschilderte Affäre dieser Figur mit der Romanfigur „Eva-Kristin Raspe“ eine Entsprechung in der Wirklichkeit haben könnte; geschweige denn, dass die Schilderung der intimen Einzelheiten dieser Begegnung zutreffend sein könnte. Auch die Antragsteller behaupten zudem nicht, dass der Autor … … derartige Kenntnisse aus eigenem Erleben oder auch nur aus einer Bekanntschaft mit Personen haben könnte, die den Antragstellern näherstehen; unstreitig beschränken sich seine Verbindungen zu den Antragstellern auf einen Besuch in ihrer Galerie. Der Senat teilt vielmehr die Ansicht des Landgerichts, dass die geschilderte Affäre der Figur „Fabian Kolb“ mit der Figur „Eva-Kristin Raspe“ für den Leser erkennbar den literarischen „Zweck“ hat, die Figur „Fabian Kolb“ in moralische Verwirrung zu stürzen, die auch Auswirkungen auf seine innere Verurteilung der Figur „Konrad Raspe“ als „Täter“ und auf seine eigene Bewertung dessen auswirkt, was als „Missbrauch“ anzusehen sei. Nach allem wird in dem Roman der Anspruch des Autoren deutlich, eine künstlerische Wirklichkeit zu gestalten, so dass für den Zuschauer kein Zweifel daran besteht, dass trotz etlicher Parallelen zum Leben der Antragstellerin zu 2) keine Schilderung einer tatsächlichen Affäre der Antragstellerin zu 2) intendiert war, sondern dass es sich insoweit um eine reine Fiktion handelt.

bb. Hinsichtlich des Antragstellers zu 1) ist Folgendes zu beachten:

Ein Vorrang der persönlichkeitsrechtlichen Belange des Antragstellers zu 1) hinsichtlich aller Themen, die seine berufliche Tätigkeit und/oder gesellschaftliche Stellung betreffen, kommt schon im Ausgangspunkt nicht in Betracht, selbst wenn der Leser – was nach der Ansicht des Senates nicht der Fall ist – annehmen sollte, dass ihm insoweit durchweg Tatsachen geschildert würden. Hierbei handelt es sich um Bereiche, die zu seiner deutlich weniger geschützten Sozialsphäre gehören.

Soweit der Antragsteller zu 1) sich gegen die Schilderung von gegen die Romanfigur „Konrad Raspe“ erhobenen Vorwürfe sexueller Übergriffe wendet, ist festzuhalten, dass diese Vorwürfe im Roman zwar benannt werden, es für den Leser aber letztlich offen bleibt, ob und wieweit sie tatsächlich begründet sind. So erwägen die Romanfiguren, dass es immer wieder auch Frauen gebe, die sich dem Antragsteller zu 1) aufdrängten. Auch wird seine Selbstvergessenheit in bestimmten Situationen reflektiert, die dazu führen könne, dass er Grenzen übersehe. Tatsächlich steht die Frage der Berechtigung dieser Vorwürfe auch nicht im Mittelpunkt des Romans, sondern es werden vor allem die Reaktionen der Umwelt hierauf beschrieben, wie etwa das ausgesprochen gedämpfte Interesse der meisten Pressevertreter im Kontrast zur Empörung der aufgebrachten Demonstranten, die in einem dramatischen Auftritt bei der Ausstellungseröffnung gipfelt. Letztlich bleibt daher für den Leser des Gesamtwerkes durchaus offen, ob der Charakter der Figur „Konrad Raspe“ tatsächlich so verdammenswert ist, wie es bei isolierter Betrachtung in einigen der angegriffenen Passagen anklingt. Auch insoweit wiegen die – unterstellten – Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers zu 1) also keineswegs so schwer, dass dies die für die Antragsgegnerin streitende Kunstfreiheit überwiegen könnte. Im Übrigen greift das Argument des Antragstellers, dass über die damaligen Vorwürfe nicht berichtet werden dürfe, angesichts seiner großen Bekanntheit und des erheblichen öffentlichen Interesses nicht durch.

Den Volltextz der Entscheidung finden Sie hier:

OLG München: Ansprüche wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens

OLG München
Urteil vom 18.03.2025
18 U 4493/22 Pre


Das OLG München hat entschieden, dass Ansprüche eines Presseunternehmens wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens bestehen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die in eine rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung umzudeutende Anschlussberufung der Beklagten zu 3) ist zulässig und in der Sache begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1 BGB auf Unterlassung der Übermittlung von presserechtlichen Informationsschreiben, wie geschehen mit Schreiben vom 21.10.2020, nicht zu. Denn sie hat vor der Übersendung des streitgegenständlichen presserechtlichen Informationsschreibens nicht wirksam gegenüber der Beklagten zu 3) erklärt, Schreiben dieser Art nicht mehr erhalten zu wollen (sog. Opt-Out).

1. Zwar hat der Bundesgerichtshof in Übereinstimmung mit dem Senat entschieden, dass das streitgegenständliche Schreiben der Beklagten zu 1) und zu 2) von vorneherein ungeeignet ist, präventiven Rechtsschutz zu bewirken, weil es keine Informationen enthält, die der Klägerin die Beurteilung erlauben, ob Persönlichkeitsrechte durch eine etwaige Berichterstattung verletzt würden.

2. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 25.06.2024 – VI ZR 64/23 – Rn. 20 ff. jedoch darüber hinaus ausgeführt:

Die Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens an ein Presseunternehmen stellt grundsätzlich nur dann einen unmittelbaren Eingriff in dessen Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, wenn es zuvor durch ein sogenanntes Opt-Out zu verstehen gegeben hat, dass es die Zusendung solcher Schreiben nicht wünscht.

Der Schutz des § 823 Abs. 1 BGB wird gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährt, wenn die Störung einen unmittelbaren Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt. Durch den dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährten Schutz soll das Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und in seinem Funktionieren vor widerrechtlichen Eingriffen bewahrt bleiben. Die Verletzungshandlung muss sich gerade gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten und über eine bloße Belästigung oder eine sozial übliche Behinderung hinausgehen (vgl. Senat NJW 2020, 1587 Rn. 35; NJW 2020, 770 Rn. 47; NJW 2019, 781 Rn. 16; BGHZ 138, 311 (317 f.) Rn. 17 = NJW 1998, 2141; BGH NJW-RR 2014, 1508 Rn. 12 – Aufruf zur Kontokündigung; BGH NJW 2013, 2760 Rn. 16 – Vorbeugende Unterwerfungserklärung). Bei Presseunternehmen sind dabei durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG grundrechtlich gewährte Rechtspositionen zu berücksichtigen (Senat NJW 2019, 781 Rn. 16 mwN).

Die Übermittlung sogenannter presserechtlicher Informationsschreiben ist normalerweise betriebsbezogen, weil sie unmittelbar auf eine Beeinflussung der redaktionellen Tätigkeit des Presseunternehmens abzielt. Sie führt in der Regel auch nicht nur zu einer bloßen Belästigung, weil bereits die Sichtung des Schreibens unmittelbar nach dem Eingang und die Weiterleitung innerhalb des Verlags zusätzlichen Arbeitsaufwand verursachen kann und darüber hinaus nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist und daher der Prüfung bedarf, was Inhalt und Gegenstand des Schriftstücks ist (vgl. Senat NJW 2019, 781 Rn. 17). Für die Annahme eines unmittelbaren Eingriffs in den gewerblichen Tätigkeitskreis eines Presseunternehmens reicht dies jedoch nicht aus. Erforderlich ist vielmehr grundsätzlich zusätzlich, dass das Presseunternehmen zuvor erklärt hat, keine Schreiben dieser Art (mehr) erhalten zu wollen (sog. Opt-Out), so dass die Behinderung auch keine sozial übliche mehr ist.

Damit hat der Bundesgerichtshof gegenüber seiner früheren Rechtsprechung (Urteil vom 15.01.2019 – VI ZR 506/17) präzisiert, dass die Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens als solches selbst dann noch nicht stets allein deshalb einen Unterlassungsanspruch begründet, wenn das Schreiben wie das streitgegenständliche inhaltlich nicht die vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 15.01.2019 aufgestellten Anforderungen erfüllt.

3. Dies zugrunde gelegt lässt sich ein rechtswidriger Eingriff der Beklagten zu 3) in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht feststellen.

Die Klägerin hat mit dem Schreiben des Klägervertreters vom 27.09.2018 nicht wirksam gegenüber der Beklagten zu 3) erklärt, keine dem streitgegenständlichen presserechtlichen Informationsschreiben vergleichbaren Schreiben (mehr) erhalten zu wollen. Der Inhalt des als Anlage K5 vorgelegten Schreibens ist hierfür zu unbestimmt.

Eine empfangsbedürftige Willenserklärung – wie hier das sog. Opt-Out – ist gemäß §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste. Der Erklärungsempfänger ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände zu prüfen, was der Erklärende gemeint hat. Entscheidend ist dabei der durch normative Auslegung zu ermittelnde objektive Erklärungswert des Verhaltens des Erklärenden (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. bspw. Urteil vom 10.12.2014 – VIII ZR 25/14 m.w.N.).

a) Dies zugrunde gelegt lässt sich dem Schreiben vom 27.09.2018 schon nicht entnehmen, für welchen Erklärenden es Wirksamkeit beansprucht. Damit bleibt auch unklar, ob das Schreiben für die Klägerin gelten soll. Die Klägerin selbst hat das Schreiben nicht gefertigt. Es enthält auch keinen Hinweis darauf, dass es im Namen der Klägerin an die Beklagte zu 1) übermittelt wurde. Legt man den Wortlaut des Schreibens zugrunde, wird untersagt, „namens und im Auftrag unserer Mandantschaft“ sogenannte presserechtliche Informationsschreiben „an unsere Mandantin“ zu versenden. Ein Hinweis darauf, wer die „Mandantschaft“ bzw. die „Mandantin“ ist, findet sich in dem Schreiben an keiner Stelle. Eine Klarstellung ergibt sich vorliegend auch nicht aus den als Anlagen beigefügten presserechtlichen Informationsschreiben zu Joachim Löw vom 01.10.2018, die an die M. GmbH bzw. an die S. Verlags GmbH & Co KG (die ehemalige Klägerin zu 2) adressiert waren. Denn diese Schreiben richteten sich an mindestens zwei Verlagsgesellschaften, die Formulierung „Mandantin“ im Schreiben vom 27.09.2018 deutet dagegen durch die Verwendung des Singulars auf die Vertretung nur einer bestimmten Gesellschaft hin. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann selbst aus der Zusammenschau des Schreibens vom 27.09.2018 und der beigefügten Anlagen nicht geschlossen werden, dass mit „Mandantschaft“ bzw. „Mandantin“ sämtliche Verlagsgesellschaften des Medienhauses X., die von presserechtlichen Informationsschreiben der Beklagtenseite betroffen waren, und damit auch die ehemaligen Klägerinnen zu 1) und 2) gemeint waren. Selbst wenn man unterstellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) Kenntnis davon hatten, dass das Medienhaus X. im Jahr 2018 exklusiv durch die Kanzlei Y. vertreten wurde, war für sie nicht hinreichend bestimmbar, welche der Verlagsgesellschaften von dem Begriff der „Mandantschaft“ bzw. „Mandantin“ erfasst sein sollten. Die Beklagte zu 3) weist in ihrem Schriftsatz vom 03.01.2025 (dort Seite 3) zu Recht darauf hin, dass im vorliegenden Gesamtkontext eine Vielzahl möglicher Deutungen in Betracht kommt, ohne dass einzelne Deutungen von vorneherein als fernliegend ausgeschieden werden könnten.

b) Dem Schreiben vom 27.09.2018 lässt sich darüber hinaus nicht mit ausreichender Bestimmtheit entnehmen, dass es in Bezug auf die Beklagte zu 3) Wirkung entfalten sollte. Ausweislich des Adressfeldes ist es an die Beklagte zu 1) zu Händen Herrn RA S2. B. gerichtet, an den sich der Klägervertreter in der Folge mit der Formulierung „untersagen wir Ihnen hiermit“ auch direkt richtet. Auch im abschließenden Absatz richtet sich der Appell „Wir haben Sie also anzuhalten“ unmittelbar an die Beklagte zu 1) bzw. an Rechtsanwalt B.. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund verständlich, dass die Beklagte zu 1) im Vorfeld der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.01.2019 – VI ZR 506/17 unabhängig von einer Vertretung eines bestimmten Mandanten für sich selbst in Anspruch genommen hatte, in der von der Klägerin beanstandeten Weise vorgehen zu dürfen, sie hatte sogar ausdrücklich angeregt, nicht einen konkreten Mandanten, sondern sie selbst zu verklagen (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2019 – VI ZR 506/17 Rn. 25). Von daher war es aus Sicht der Beklagten zu 1) und 2) durchaus nicht fernliegend, das Schreiben nur auf sich selbst zu beziehen, zumal an keiner Stelle die Geltung gegenüber irgendeinem Mandanten der Beklagten zu 1) zum Ausdruck gebracht wird. Dass das Schreiben auch gegenüber der Beklagten zu 3) Wirkung haben soll, lässt sich auch den als Anlagen beigefügten presserechtlichen Informationsschreiben vom 01.10.2018 nicht entnehmen. Denn diese betrafen beide den Fall „Joachim Löw“, so dass beim Empfänger des Schreibens durchaus der Eindruck entstehen konnte, dass das sog. Opt-Out allenfalls zusätzlich gegenüber diesem Mandanten der Beklagten zu 1) erfolgen sollte. Eine allgemeine Geltung dahingehend, dass die Beklagten zu 1) und 2) die ausgesprochene Untersagung allen gegenwärtigen und künftigen Mandanten und damit auch der Beklagten zu 3) zur Kenntnis bringen sollten, kann dem Schreiben vom 27.09.2018 entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zugemessen werden.

4. Mangels Erstverstoßes gegen ein absolut geschütztes Recht der Klägerin fehlt es damit auch an der nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB notwendigen Wiederholungsgefahr.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Düsseldorf: Tchibo hat weder einen kartellrechtlichen noch einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen Aldi Süd wegen des Verkaufs von Kaffee zu günstigen Preisen

LG Düsseldorf
Urteil vom 156.01.2024
14d O 14/24


Das LG Düsseldorf hat entschieden, das Tchibo weder einen kartellrechtlichen noch einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen Aldi Süd wegen des Verkaufs von Kaffee zu günstigen Preisen hat..

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Unterlassungsanspruch aus § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB zu.

Gemäß § 33 Abs. 1 GWB ist u.a. bei Verstoß gegen eine Vorschrift des Teils 1 des GWB der Rechtsverletzer gegenüber dem Betroffenen zur Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 GWB dürfen Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht ihre Marktmacht nicht dazu ausnutzen, solche Wettbewerber unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern. Eine unbillige Behinderung im Sinne dieser Vorschrift liegt gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB insbesondere vor, wenn ein Unternehmen Lebensmittel unter Einstandspreis anbietet, es sei denn, dies ist jeweils sachlich gerechtfertigt. Das Anbieten von Lebensmitteln unter Einstandspreis ist gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 GWB sachlich gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, den Verderb oder die drohende Unverkäuflichkeit der Waren beim Händler durch rechtzeitigen Verkauf zu verhindern sowie in vergleichbar schwerwiegenden Fällen.

Vorliegend kann dahinstehen, ob Klägerin gegenüber den Beklagten eine „kleine oder mittlere Wettbewerberin“ ist und das Verbot des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB überhaupt anwendbar ist (dazu 1.). Jedenfalls liegt keine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagten vor (dazu 2.).

1. Es kann letztlich offenbleiben, ob die Beklagten über eine überlegene Marktmacht gegenüber der Klägerin als „kleine oder mittlere Wettbewerberin“ verfügt.

a) Allerdings kann die Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits deshalb aus dem Schutzbereich des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB ausgeschlossen werden, weil sie schon wegen ihrer absoluten Größe kein „kleiner oder mittlerer Wettbewerber“ sein könne.

Für die Abgrenzung, welche Wettbewerber auf dem relevanten Markt als kleine und mittlere Unternehmen anzusehen sind, kommt es allein auf das (horizontale) Verhältnis der Unternehmensgrößen der in Betracht stehenden Unternehmen an; die generelle Festlegung einer absoluten Obergrenze ist nicht möglich (Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 207; Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 140 f.). Das entspricht auch der Auffassung des BGH, der gegen die Einstufung als kleines oder mittleres Unternehmen nach absoluten Zahlen anführt, dass die Verhältnisse auf dem jeweils maßgeblichen Markt nicht ausgeblendet werden dürfen (BGH NJW 2003, 205, 206 – Konditionenanpassung). Deshalb sei eine unter funktionalen Gesichtspunkten vorzunehmende Prüfung erforderlich, die von den Besonderheiten des jeweils relevanten Marktes ausgeht.

b) Die Prüfung hat von dem Markt für Kaffeeprodukte auszugehen.

Die Feststellung einer überlegenen Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern lässt sich nur für die Tätigkeit von Unternehmen auf einzelnen, in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgegrenzten Märkten bestimmen (Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 204; Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 133).

Der sachliche Markt, auf dem die Klägerin und die Beklagten jeweils tätig sind und der hier betroffen ist, ist der Markt für Kaffeeprodukte. Dieser ist insbesondere von dem Sortimentsmarkt „Lebensmitteleinzelhandel“ abzugrenzen, bei dem es um die Nachfrage an einem Produktbündel geht. Auf diesem Markt ist die Klägerin aber gerade nicht tätig. Auch durch die Präsenz auf diesem Markt durch ihr Depot-Geschäft u.a. bei Lebensmitteleinzelhändlern wird sie gerade nicht selbst zur Anbieterin des Sortiments dieser Händler. Es kommt daher auf die Verhältnisse des Markts für Kaffeeprodukte und insofern insbesondere darauf an, welche Marktmacht ein großer Lebensmitteleinzelhändler wie V. auf dem Markt für dieses Produktsegment entfalten kann.

c) Der Vortrag der Parteien ist hier nicht ausreichend, um eine etwaige Überlegenheit der Beklagten gegenüber der Klägerin auf dem Markt für Kaffeeprodukte feststellen zu können. Die Parteien haben nur zum Gesamtumsatz der jeweiligen Unter-nehmensgruppen vorgetragen, ohne im Einzelnen auf die Umsätze, Marktanteile und die spezifischen Verhältnisse des Marktes für Kaffeeprodukte einzugehen.

Festgehalten werden soll dennoch Folgendes: Trotz des erforderlichen Einzelmarkt-bezuges kommt es in Betracht, die Ressourcenvorteile der Beklagten unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass sie diesen langfristig wirksame, erweiterte Verhaltensspielräume – auch auf dem Markt für Kaffeeprodukte – vermitteln könnten (vgl. dazu Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 135). Die finanziellen Ressourcen und das breite Sortiment der Beklagten könnten es diesen ermöglichen, auf die Marktverhältnisse im Markt für Kaffeeprodukte in einer stärkeren Weise einzuwirken, als es ihr Marktanteil auf diesem Markt grundsätzlich zuließe. Auch der BGH hat bei der Prüfung überlegener Marktmacht darauf abgestellt, dass die überragenden finanziellen Ressourcen eines in einen großen internationalen Handelskonzern eingebundenen Unternehmens dieses in die Lage versetzt, eine Verlustpreisstrategie für einzelne Produkte über einen längeren Zeitraum durchzustehen (vgl. BGH NJW 2003, 1736, 1737 – Wal-Mart). Das könnte allerdings ausgeschlossen sein, wenn die Klägerin über den langfristig gesicherten höheren Marktanteil verfügt (vgl. dazu erneut Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 135 m.w.N.). Außerdem könnten die Verhaltensspielräume der Beklagten dadurch begrenzt sein, dass auch die Klägerin, nicht zuletzt durch ihre Einbindung in den D.-Konzern, über ganz erhebliche finanzielle Ressourcen verfügt. Letztlich kann all dies aber dahinstehen.

2. Es liegt jedenfalls keine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagten vor.

Die Parteien gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, dass die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB hier nicht vorliegen (dazu a)). Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB liegen hier mangels Verdrängungsabsicht bzw. Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb ebenfalls nicht vor (dazu b)). Schließlich sind die Voraussetzungen der Generalklausel für die Fallgruppe des Anbietens von Lebensmitteln unter Herstellungskosten auch nicht aufgrund der Wertungen des Regelbeispiels zu modifizieren (dazu c)).

a) Das Regelbeispiel des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB greift hier mangels Vorliegen eines „Einstandspreises“ nicht.

Durch den Begriff des „Einstandspreises“, der in § 20 Abs. 3 S. 3 GWB legaldefiniert wird, ist das strenge Verbot des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB praktisch auf den Handel mit fremdbezogenen Waren und Dienstleistungen begrenzt und gilt nicht für selbst hergestellte Waren oder erbrachte Dienstleistungen (vgl. Bosch, in: Bechtold/Bosch, 11. Aufl. 2025, § 20 GWB Rn. 34 f.; Markert, in: Immenga/ Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 219). Das gilt auch für vertikal integrierte Unternehmen, bei denen zwar ein Preis an ein konzernzugehöriges Unternehmen zu zahlen ist, sich aber ein „Einstandspreis“ nicht anhand objektiver Kriterien ermitteln lässt (vgl. Westermann, in MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 96). Danach fehlt es auch bei dem hier vorliegenden Bezug der Kaffeeprodukte der Beklagten von der konzernzugehörigen J. an einem „Einstandspreis“.

b) Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB liegen nicht vor.

aa) Zur Beurteilung, ob die Ausnutzung einer überlegenen Marktmacht kleinere oder mittlere Wettbewerber unbillig behindert, ist eine Interessenabwägung unter Berück-sichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes vorzunehmen (BGH NJW 1995, 2293, 2294 – Hitlisten-Platten; auch zum Folgenden). Wettbewerbsmaßnahmen von Unternehmen mit überlegener Markt-macht sind nicht schon deshalb als unbillige Behinderung kleiner oder mittlerer Wettbewerber anzusehen, weil sie dazu beitragen können, die Lage von kleinen oder mittleren Unternehmen im Wettbewerb zu verändern oder einzelne Wettbewerber oder Gruppen von Wettbewerbern zu verdrängen; denn dem wirksamen Wettbewerb ist eine solche Wirkung eigen. Eine unbillige Behinderung liegt danach nur vor, wenn in Verdrängungsabsicht gehandelt wird oder kleine oder mittlere Wettbewerber in ihren wettbewerblichen Betätigungsmöglichkeiten derart behindert werden, dass daraus die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb – einschließlich des Wettbewerbs durch kleine oder mittlere Unternehmen – erwächst.

Bei der Beurteilung von Unter-Kosten-Verkäufen anhand des § 20 Abs. 3 GWB ist davon auszugehen, dass es dem Unternehmer grundsätzlich freisteht, seine Preisgestaltung in eigener Verantwortung vorzunehmen (BGH NJW 1995, 2293, 2294 – Hitlisten-Platten; auch zum Folgenden). Dementsprechend sind auch Unter-Kosten-Verkäufe und die Werbung für diese grundsätzlich zulässig. Der Kaufmann muss nicht auf einen Stückgewinn ausgehen. Es ist vielmehr jedenfalls in Handelsbetrieben mit breitem Sortiment zulässig, auf die Werbewirkung eines Unter-Kosten-Angebots zu setzen, um mit dem Absatz des gesamten Angebots ein möglichst günstiges Betriebsergebnis zu erzielen. Die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb kann nicht schon dann angenommen werden, wenn Unter-Kosten-Angebote nicht nur gelegentlich, sondern systematisch im Wettbewerb eingesetzt werden. Dies gilt schon deshalb, weil mit der Feststellung eines systematischen Vorgehens noch nichts über den Umfang und die Marktbedeutung der Maßnahmen ausgesagt ist.

bb) Nach diesen Maßstäben ist hier weder eine Verdrängungsabsicht der Beklagten, noch eine Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte festzustellen.

(1) Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass nach den zutreffenden Ausführungen des BGH grundsätzlich nichts gegen das im Lebensmitteleinzelhandel verbreitet vorzu-findende und auch hier von den Beklagten eingesetzte Konzept einer Mischkalku-lation einzuwenden ist. Bei diesem Ansatz zielt der Kaufmann nicht darauf ab, mit jedem einzelnen Produkt seines Sortiments einen größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Vielmehr setzt er die Werbewirkung von verlustbringenden Angebotspreisen für einzelne Produkte ein, um die Kunden dazu zu veranlassen, den Einkauf eines größeren Warenbündels bei ihm vorzunehmen. Da die Verbraucher ein „One-stop-shopping“ bevorzugen, ist es nachvollziehbar, dass ein solches Konzept dem Lebensmitteleinzelhändler ein besseres Betriebsergebnis verspricht und deshalb betriebswirtschaftlich vernünftig ist (vgl. dazu auch Monopolkommission, Sondergutachten „Preiskontrollen in Energiewirtschaft und Handel? Zur Novellierung des GWB“, 2007, Rn. 57; zuletzt abgerufen am 06.01.2025 unter https://www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s47_volltext.pdf; im Folgenden: Monopolkommission, 2007).

Auf dieser Grundlage hat der BGH ebenfalls zutreffend ausgeführt, dass auch der systematische Einsatz dieser Strategie diese noch nicht unzulässig macht.

(2) Eine Verdrängungsabsicht der Beklagten gegenüber kleinen und mittleren Wett-bewerbern auf dem Markt für Kaffeeprodukte kann hier nicht festgestellt werden, da ihre Strategie gerade den dauerhaften, nachvollziehbaren Zweck der Förderung des eigenen Absatzes im Rahmen einer Mischkalkulation verfolgt und ihre Preisgestaltung deshalb auf einer kaufmännisch vertretbaren Kalkulation beruht. Es ist gerade nicht ersichtlich, dass die Beklagten eine kaufmännisch eigentlich unvertretbare, nur kurz- bis mittelfristig durchzuhaltende Strategie einsetzen, mit der sie zeitweise Verluste in Kauf nehmen – was sie durch ihre Finanzkraft aushalten könnten –, um kleine und mittlere Wettbewerber von dem Markt für Kaffeeprodukte zu verdrängen und anschließend die Preise anheben zu können.

Eine solche Strategie verspräche auch keinen Erfolg. Denn zum einen bestehen Preiserhöhungsspielräume nur dann, wenn es auf einem Markt erhebliche Marktzutrittsbarrieren gibt (vgl. Monopolkommission, 2007, Rn. 58). Davon ist bei dem Markt für Kaffeeprodukte nicht auszugehen. Die Ausführungen der Klägerin zur Preisgestaltung im Markt für Kaffeeprodukte zeigen anschaulich, dass der mit Abstand größte Kostenfaktor der Einkauf des Rohkaffees ist und der Aufwand zur Röstung des Kaffees finanziell überschaubar ist. Deshalb ist von einer hohen Wirksamkeit potentiellen Wettbewerbs auf dem Markt für Kaffeeprodukte auszu-gehen, die einem Preiserhöhungsspielraum der Beklagten entgegensteht. Zum anderen findet der Preiswettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel primär zwischen den großen Unternehmen aus der Spitzengruppe statt (vgl. Monopolkommission, 2007, Rn. 59). Auch deshalb ließe eine Verdrängung kleiner und mittelständischer Wettbewerber auf dem Markt für Kaffeeprodukte nicht das Entstehen von Preiserhöhungsspielräumen für die Beklagten erwarten.

(3) Es ist auch keine Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte festzustellen.

Zum einen sind Intensität und Häufigkeit der Maßnahmen der Beklagten begrenzt.

Zwar ist der Grad der Unterschreitung der Herstellungskosten teilweise durchaus hoch, wie die Berechnungen der Klägerin – auch unter Berücksichtigung der mit diesen verbundenen Unsicherheiten und der Einwendungen der Beklagten – zeigen und wie indiziell auch schon dadurch deutlich wird, dass die Beklagten mit Reduktionen von bis zu 50 % auf die regulären Preise werben. Dem steht allerdings gegenüber, dass die Häufigkeit der Angebotswochen und der Umfang der jeweils betroffenen Produkte überschaubar sind. Obwohl sich der Antrag der Klägerin nur auf die drei Angebotswochen ab dem 11.12.2023, 18.12.2023 und 12.02.2024 bezieht, gehören auch die nachfolgenden Angebotswochen zum Streitstoff, soweit sie Rückschlüsse auf die Strategie der Beklagten und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb zulassen. Im Jahr 2024 waren insgesamt 7 von 52 Kalenderwochen von den Angeboten der Beklagten betroffen. Das entspricht einem Anteil von ca. 13,5 % bzw. durchschnittlich einer Angebotswoche alle ca. 7,5 Wochen. Von den Angeboten war jeweils nur ein kleiner Ausschnitt des insgesamt 25 Sorten umfassenden Kaffee-Sortiments der Beklagten betroffen, nämlich jeweils zwei bis fünf wechselnde Produkte. Wie die Übersicht der Klägerin über die Wiederholungen der betroffenen Produkte zeigt (Anlage K 59, S. 10), war im Jahr 2024 kein Produkt von mehr als drei Angebotswochen betroffen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es fernliegend, dass ein nennenswerter Anteil der Verbraucher seinen Kaffeebedarf alleine durch Nutzung der Angebotswochen der Beklagten zu decken vermag. Dies auch deshalb, weil die Anzahl und Staffelung der Angebotswochen für die Verbraucher nicht vorherzusehen sind. Das spricht dagegen, dass das Vorgehen der Beklagten die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte gefährdet.

Zum anderen fehlt es an einer solchen Gefahr hier aber selbst dann, wenn man im Hinblick auf Häufigkeit und Intensität der Maßnahmen der Beklagten eine Veränderung der Strukturen auf dem Markt für Kaffeeprodukte dahingehend für möglich hält, dass Fachhändler erhebliche Marktanteile gegenüber den Beklagten einbüßen könnten. Denn in einem auf die grundsätzliche Freiheit des Wettbewerbes ausgerichteten System kann nicht die Aufrechterhaltung einer bestimmten Marktstruktur verlangt werden, die zu einem gewissen Zeitpunkt vorgefunden wird. Das ist auch mit der Wendung der „Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb“ nicht gemeint. Selbst wenn dauerhaft kein Mitbewerber mit den Preisen der Beklagten für Kaffeeprodukte mithalten könnte, wären die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf diesem Markt nicht gefährdet, weil den Mitbewerbern die Möglichkeit bleibt, sich etwa durch ein differenziertes Sortiment, besondere Qualität oder Beratung hervorzuheben. Das unterscheidet den vorliegenden Fall von dem Unter-Kosten-Verkauf von standardisierten Lebensmitteln wie Zucker oder Milch, bei denen neben dem Preis keine solchen Möglichkeiten zur Differenzierung bestehen.

c) Schließlich sind die Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB für die Fallgruppe des Anbietens von Lebensmitteln unter Herstellungskosten auch nicht aufgrund der Wertungen des Regelbeispiels des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB zu modifizieren.

Mit dem Regelbeispiel hat der Gesetzgeber an das Angebot von Lebensmitteln unter Einstandspreis durch ein marktmächtiges Unternehmen die (unwiderlegliche) Vermutung geknüpft, dass dieses damit eine Strategie zu Lasten der geschützten Gruppe von kleinen und mittleren Wettbewerbern unter Einsatz seiner überlegenen Marktmacht betreibt (vgl. BGH NJW 2003, 1736, 1738 – Wal-Mart). Nach Auffassung der Klägerin muss die dahinterstehende Wertung des Gesetzgebers auch bei der Anwendung der Generalklausel berücksichtigt werden. Es wäre dann Raum dafür, in ähnlich gelagerten Fallgruppen wie womöglich dem Angebot von Lebensmitteln unter Herstellungskosten die Anforderungen der Generalklausel abzusenken.

Richtig ist jedoch, dass das Gesetz nur für Angebote unter Einstandspreis eine Vermutung der Unbilligkeit enthält und für andere Niedrigpreisstrategien an den anerkannten Voraussetzungen der Generalklausel festzuhalten ist (so auch Westermann, in MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 93). Es entzieht sich der gerichtlichen Bewertung, welche – auch politischen – Erwägungen den Gesetzgeber im Einzelnen dazu bewogen haben, einerseits das sehr strenge Verbot des Angebots unter Einstandspreis zu schaffen und dieses andererseits nicht auf Angebote produzierender Unternehmen unter Herstellungskosten zu erstrecken. Weitergehende Regelungsvorschläge lagen ihm vor (vgl. dazu Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 219 mit Nachweisen) und sind auch seither unterbreitet, aber bisher nicht umgesetzt, worden. Der „Kontrast zwischen der Aktivität des Gesetzgebers im Bereich der Regelbeispiele und seiner Passivität bezüglich der Generalklausel“ (Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 154) spricht dafür, dass über den Anwendungsbereich des Regelbeispiels hinaus eine bewusste Nichtregelung durch den Gesetzgeber vorliegt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es auch normativ jedenfalls nicht zwingend, die Fallgruppen der Angebote von Lebensmitteln unter Einstandspreis sowie unter Herstellungskosten gleich zu behandeln. Die vom Gesetzgeber mit dem Regelbeispiel in den Blick genommenen Händler kaufen Waren lediglich zu einem bestimmten Einstandspreis ein und verkaufen diese sodann zu einem bestimmten Verkaufspreis wieder. Eine Unterschreitung des Einstandspreises mag dabei für den Gesetzgeber bereits den starken Verdacht missbräuchlichen Verhaltens begründen. Demgegenüber sind die Hersteller von Waren an einer grundsätzlich komplexen Wertschöpfung beteiligt. Das mag es für den Gesetzgeber rechtfertigen, hinsichtlich ihrer Preisgestaltung eine größere Zurückhaltung an den Tag zu legen.

Nun wendet die Klägerin einerseits ein, dass die Wertschöpfung bei der Verarbeitung von Rohkaffee gerade nicht besonders komplex sei, und andererseits, dass die zunehmende vertikale Integration des Lebensmitteleinzelhandels in den letzten Jahren eine neue Bewertung dieser Zusammenhänge erfordern könnte. Das sind jedoch politische Forderungen, die an den Gesetzgeber zu richten wären. Ob und ggf. wie die von ihm bisher gegen (bloße) Lebensmittelhändler gerichtete Missbrauchsvermutung auch auf vertikal integrierte Händler, womöglich beschränkt auf zu definierende „wenig komplexe“ Produkte, ausgeweitet werden sollte, kann nur Gegenstand einer ergebnis-offenen, politischen Diskussion sein.

Auf dieser Grundlage kann auch aus der Verwendung der Regelbeispielstechnik durch den Gesetzgeber nichts Anderes abgeleitet werden. Zwar ist der Klägerin methodisch Recht zu geben, dass der Gesetzgeber mit der Verwendung eines Regelbeispiels regelmäßig zum Ausdruck bringt, die Voraussetzungen der Generalklausel seien in dem Regelbeispiel erfüllt. Dann wäre es folgerichtig, dass die Wertungen des Regelbeispiels auch auf die Generalklausel „zurückwirken“ können. Die Regelung des § 20 Abs. 3 GWB ist jedoch atypisch: Im Kern handelt es sich bei § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB um einen eigenständigen Verbotstatbestand, der lediglich rechtstechnisch als Regelbeispiel ausgestaltet wurde (Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 152). Das zeigt sich alleine daran, dass nach der Vorschrift bereits eine einmalige, wenig gewichtige Unterschreitung des Einstandspreises eines Lebensmittels etwa im Rahmen einer Werbeaktion zur Produkteinführung untersagt ist, bei der ein Zusammenhang mit der Ausnutzung überlegener Marktmacht sowie eine Verdrängungsabsicht bzw. Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb an sich nicht vorliegt.

Man mag es für dogmatisch unstimmig halten, dass diese einschränkenden Merkmale nach diesem Verständnis bei der Generalklausel Geltung beanspruchen, aber bei dem Regelbeispiel nicht (vgl. Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 152). Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts, diese Unstimmigkeit durch Auslegung zu beseitigen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber sie bewusst geschaffen hat. So liegt es hier.

Eine analoge Anwendung des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB scheidet nach alledem ebenfalls aus, da es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, aber auch die Vergleichbarkeit der Interessenlagen zweifelhaft erscheint.

II. Der Klägerin steht gegen die Beklagten auch aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. § 3 Abs. 1 UWG kein Unterlassungsanspruch zu.

Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 UWG kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer eine nach § 3 UWG oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt. Gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG stehen die Ansprüche jedem Mitbewerber zu, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Gemäß § 3 Abs. 1 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig.

Es kann dahinstehen, ob im Rahmen der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG an der Fallgruppe der allgemeinen Marktbehinderung festzuhalten ist. Dem ist entgegen-zuhalten, dass eine solche Fallgruppe erstens in jüngerer Zeit keinen praktischen Anwendungsbereich mehr erkennen lässt, zweitens in ihren inhaltlichen Kriterien ausgesprochen vage ist und drittens Gefahr läuft, mit spezialgesetzlichen Rege-lungen in Konflikt zu geraten (vgl. zum Ganzen Köhler/Alexander, in: Köhler/ Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 4 Rn. 5.1 ff.). Insbesondere dürfen die Wertungen der speziellen Tatbestände der §§ 19 ff. GWB nicht unterlaufen werden.

Jedenfalls liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 UWG – auch unter Berück-sichtigung dieser Gesichtspunkte – hier nicht vor. Der BGH hat einen Fall der allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Preisunterbietung angenommen, wenn die Preisunterbietung sachlich nicht gerecht-fertigt ist und dazu führen kann, dass Mitbewerber vom Markt verdrängt werden und der Wettbewerb dadurch auf diesem Markt völlig oder nahezu aufgehoben wird (BGH GRUR 2009, 416 – Küchentiefstpreis-Garantie). Es kann auf die Ausführungen zu den vergleichbaren Maßstäben des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB verwiesen werden (unter I. 2. b)). Es wäre widersprüchlich und systemwidrig, eine unbillige Behinderung i.S.d. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB zu verneinen, aber für das gleiche Verhalten jedoch eine unlautere geschäftliche Handlung in Form einer allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG anzunehmen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwältin: Anbieter muss Alleinvertriebshändler vor dem aktivem Verkauf in seinem Gebiet durch alle anderen Abnehmer des Anbieters schützen

EuGH-Generalanwältin
Schlussanträge vom 09.01.2025
C-581/23
Beevers Kaas


Die EuGH-Generalanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Erhebnis, dass der Anbieter einen Alleinvertriebshändler vor dem aktivem Verkauf in seinem Gebiet durch alle anderen Abnehmer des Anbieters schützen muss.

Die Pressemitteilung der EuGH-Generalanwältin:
Wettbewerbsrecht und Vertriebsvereinbarungen: Ein Alleinvertriebshändler muss vor aktivem Verkauf in seinem Gebiet durch alle anderen Abnehmer des Anbieters geschützt werden

Die bloße Feststellung, dass andere Abnehmer nicht aktiv in dem einem bestimmten Abnehmer ausschließlich zugewiesenen Gebiet verkaufen, reicht in diesem Zusammenhang nicht aus. Vielmehr i) muss der Anbieter die anderen Abnehmer aufgefordert haben, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, und ii) die Abnehmer müssen zumindest stillschweigend ihren Willen geäußert haben, dem Verbot des aktiven Verkaufs zuzustimmen, was aus mittelbaren Nachweisen abgeleitet werden kann („übereinstimmende Koinzidenzen oder Indizien“)

Beevers Kaas ist in Belgien die Alleinvertriebshändlerin des bekannten Beemster-Käse, den sie von der niederländischen Herstellerin Cono bezieht. Seit 1993 besteht zwischen Cono und Beevers Kaas eine Alleinvertriebsvereinbarung für den Vertrieb von Beemster-Käse in Belgien und Luxemburg.

Die Albert-Heijn-Gesellschaften (insbesondere die Supermarktketten Albert Heijn und Delhaize) sind u. a. in Belgien und in den Niederlanden tätig. Sie sind Abnehmer von Beemster-Käse, der von Cono für Märkte außerhalb Belgiens und Luxemburgs hergestellt wird.

Beevers Kaas wirft den Albert-Heijn-Gesellschaften jedoch vor, sie verstießen gegen die ehrlichen Marktpraktiken, indem sie Tätigkeiten ausübten, die unmittelbar oder mittelbar zur Folge hätten, dass ihre Alleinvertriebsrechte in Belgien verletzt würden. Die Albert-Heijn-Gesellschaften wenden sich gegen diesen Vorwurf und machen geltend, dass Beevers Kaas und Cono versuchten, ihnen ein Verbot des aktiven Verkaufs aufzuerlegen, was verboten sei („aktiver Verkauf“ bedeutet dabei die aktive Ansprache einzelner Kunden mit Werbung, Postwurfsendungen, Besuchen usw.).

Vor den belgischen Gerichten streiten die Parteien darüber, ob die Alleinvertriebsvereinbarung im Einklang mit den in der Verordnung Nr. 330/20101 der Europäischen Kommission aufgestellten Bedingungen steht, insbesondere mit der Bedingung der sogenannten „parallelen Auferlegung“. Danach muss der Anbieter seinen Alleinvertriebshändler vor aktivem Verkauf in dem ausschließlich zugewiesenen Gebiet durch alle seine anderen Vertriebshändler/Abnehmer schützen.

Der Appelationshof Antwerpen (Belgien) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union dazu Fragen vorgelegt.

In ihren Schlussanträgen analysiert Generalanwältin Medina, wie das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union auf Alleinvertriebsvereinbarungen anzuwenden is.

In Beantwortung der ersten Vorlagefrage schlägt sie dem Gerichtshof vor, erstmals in seiner Rechtsprechung anzuerkennen, dass Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 eine „Bedingung der parallelen Auferlegung“ enthält, obwohl dieser Artikel nicht ausdrücklich auf eine solche Bedingung Bezug nimmt.

Die Generalanwältin erläutert indessen, dass diese Bestimmung nur auf Alleinvertriebsvereinbarungen Anwendung findet, die den Alleinvertriebshändler tatsächlich dazu anhalten, in seine Vertriebstätigkeiten in dem ihm ausschließlich zugewiesenen Gebiet zu investieren. Um diesen Anreiz zu garantieren, muss der Alleinvertriebshändler vor aktivem Verkauf in seinem Gebiet durch alle anderen Abnehmer des Anbieters geschützt werden. Die Generalanwältin schlägt vor, diese Bedingung nur dann als erfüllt anzusehen, wenn die anderen Abnehmer das Verbot aktiven Verkaufs in dem ausschließlich zugewiesenen Gebiet ausdrücklich oder stillschweigend anerkennen.

Der Umstand, dass kein anderer Abnehmer des Anbieters aktiv verkauft, reicht nicht aus. Die Feststellung einer Untätigkeit der anderen Abnehmer reicht für den Nachweis einer Vereinbarung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht aus. Vielmehr muss ihre Zustimmung nachgewiesen werden („Zustimmung“ bedeutet dabei eine Annahme durch Handeln oder Unterlassen).

Mit seiner zweiten Frage wirft das vorlegende Gericht die Frage nach dem relevanten Zeitpunkt auf, zu dem die Zustimmung der anderen Abnehmer vorliegen muss. Insbesondere möchte es wissen, ob es ausreicht, dass der Anbieter dartut, dass seine anderen Abnehmer das Verbot aktiven Verkaufs akzeptiert haben, nur falls und wenn diese Abnehmer ihre Absicht erkennen lassen, aktiv in das ausschließlich zugewiesene Gebiet zu verkaufen.

Die Generalanwältin erläutert, dass die in Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 aufgestellten Bedingungen dafür, dass die Vereinbarung unter die Gruppenfreistellung fallen kann, nicht erfüllt sind, solange der Anbieter nicht die Zustimmung der anderen Abnehmer erhalten hat. Das ist demnach nur dann und ab dem Zeitpunkt der Fall, zu dem die anderen Abnehmer dem Verbot aktiven Verkaufs zugestimmt haben, nicht aber vor diesem Zeitpunkt. Mit anderen Worten muss der Anbieter nachweisen können, dass diese Bedingung für alle seine anderen Abnehmer während des gesamten Zeitraums, für den er den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung beansprucht, erfüllt ist.



Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

BGH: Veröffentlichung von Luftbildaufnahmen von Feriendomizilen Prominenter im Rahmen der Presseberichterstattung kann ohne Zustimmung zulässig sein

BGH
Urteil vom 05.11.2024
VI ZR 110/23
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1 § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat entschieden, dass die Veröffentlichung von Luftbildaufnahmen von Feriendomizilen Prominenter im Rahmen der Presseberichterstattung ohne deren Zustimmung zulässig sein kann.

Leitsatz des BGH:
Zu den Voraussetzungen, unter denen Luftbildaufnahmen von Feriendomizilen Prominenter ohne deren Zustimmung veröffentlicht werden dürfen.

BGH, Urteil vom 5. November 2024 - VI ZR 110/23 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamburg: Rechtswidriges X-Profil - Auf deutscher Norm beruhender Unterlassungsanspruch gilt nur in der Bundesrepublik Deutschland und nicht in der gesamten EU

OLG Hamburg
Beschluss vom 04.11.2024
7 W 119/24


Das OLG Hamburg hat in einem Rechtsstreit um ein rechtswidriges X-Profil entschieden, dass ein auf einer deutschen Norm beruhender Unterlassungsanspruch nur in der Bundesrepublik Deutschland und nicht in der gesamten EU gilt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 11.09.2024 der Antragsgegnerin bei Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt,

im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland den Namen „… G…" als Inhaber eines Profils und/oder als Verfasser von Posts zu veröffentlichen, zu verbreiten und/oder veröffentlichen oder verbreiten zu lassen,

wie in dem „X"- Profil „@ …" geschehen.

Es hat ausgeführt, dass dem Antragsteller ein Unterlassungsanspruch zustehe. Die angegriffene Nutzung des Namens des Antragstellers verletze dessen Namensrecht als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Antragsgegnerin habe die ihr obliegenden Pflichten als Hostproviderin verletzt. Die Untersagung sei jedoch auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu beschränken.

Hiergegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und verfolgt sein Begehren, dass das Verbot auch das übrige Gebiet der Europäischen Union zu erstrecken sei, weiter. Er beruft sich hierzu insbesondere auf das Urteil des EuGH vom 17.10.2017, C-194/16 (Bolagsupplysningen OÜ ua/Svensk Handel AB), NJW 2017, 3433.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet.

Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung eine Pflichtverletzung der Antragsgegnerin festgestellt. Das von ihr vorgenommene Geo-Blocking ist unzureichend. Der Antragsteller hat anwaltlich versichert, dass das in Rede stehende Profil weiterhin in Deutschland unter Verwendung eines VPN-Dienstes abrufbar ist. Die Antragsgegnerin hätte jedenfalls aufgrund einer sekundären Darlegungslast begründen müssen, warum ihr ein anderes Mittel als das vorgenommene Geo-Blocking nicht möglich und zumutbar ist (vgl. hierzu Urteil des Landgerichts Hamburg vom 30.04.2018, 324 O 51/18, AfP 2018, 543, 543).

Der Antragsteller hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass die Untersagung auf weitere Gebiete der EU erstreckt wird.

Die von ihm in Bezug genommene „eDate“-Entscheidung des EuGH, ZUM-RD 2011, 657, betrifft nach einhelliger Ansicht Schadensersatzansprüche und keinen Unterlassungsanspruch, wie er hier geltend gemacht wird.

Anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des EuGH vom 17.10.2017, C-194/16 (Bolagsupplysningen OÜ ua/Svensk Handel AB), NJW 2017, 3433.

Dieses hatte zwar u.a. die Entfernung von Äußerungen zum Gegenstand. Kläger waren auch eine natürliche Person – wie hier ebenfalls – und eine juristische Person. Der EuGH führt am Ende der Entscheidung zudem aus:

„In Anbetracht der umfassenden Abrufbarkeit der auf einer Website veröffentlichten Angaben und Inhalte und des Umstands, dass die Reichweite ihrer Verbreitung grundsätzlich weltumspannend ist (vgl. i. d. S. EuGH, ECLI:EU:C:2011:685 = EuZW 2011, 962 Rn. 46 – eDate Advertising ua), ist ein auf die Richtigstellung dieser Angaben und die Entfernung dieser Inhalte gerichteter Antrag jedoch einheitlich und untrennbar und kann somit nur bei einem Gericht erhoben werden, das nach der Rechtsprechung, die sich aus den Urteilen Shevill ua (EuGH, ECLI:EU:C:1995:61 = NJW 1995, 1881 Rn. 25 f. u. 32) und eDate Advertising ua (EuGH, ECLI:EU:C:2011:685 = EuZW 2011, 962 Rn. 42 u. 48) ergibt, für die Entscheidung über einen Antrag auf Ersatz des gesamten Schadens zuständig ist, und nicht bei einem Gericht, das nicht über eine solche Zuständigkeit verfügt.

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 7 Nr. 2 der VO Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass eine Person, deren Persönlichkeitsrechte durch die Veröffentlichung unrichtiger Angaben über sie im Internet und durch das Unterlassen der Entfernung sie betreffender Kommentare verletzt worden sein sollen, nicht vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die im Internet veröffentlichten Informationen zugänglich sind oder waren, eine Klage auf Richtigstellung der Angaben und Entfernung der Kommentare erheben kann.“.

Danach könnte das Begehren des Antragstellers, dessen Mittelpunkt seiner Interessen nach seinem Vorbringen in Deutschland liegt, eine Grundlage haben. Wenn er nur an einem Gerichtsstand seinen Anspruch geltend machen kann, spricht einiges dafür, dass das danach zuständige Gericht ein Verbot nicht auf seinen Bezirk beschränkt, da der Verletzte, dem kein anderer Gerichtsstand zur Verfügung steht, ansonsten weitestgehend schutzlos wäre.

Dem Senat ist auch die Entscheidung des supreme court of canada vom 28.06.2018, Google Inc..v. Equustek Solutions (2017 SCC 34) bekannt, welche ein weltweites Verbot betrifft, was allerdings nachfolgend von einem US-Bezirksgericht nicht akzeptiert wurde.

Gegen eine solche Konsequenz der Entscheidung des EuGH spricht jedoch, dass nach – soweit feststellbar – einhelliger Ansicht der EuGH mit seiner Ansicht die sog. Mosaiktheorie hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit nicht aufgegeben hat, sondern diese weiterhin anwendet (vgl. hierzu Stein/Schnichels/Lenzing, Die Entwicklung des Europäischen Zivilprozessrechts im Bereich der EuGVVO im Jahr 2021, EuZW 2022, 1094).

Der Generalstaatsanwalt hat außerdem in seinem Schlussantrag zum vor dem EuGH geführten Verfahren zum Az. C-194/16 für die Aufhebung der Mosaik-Theorie gerade mit dem Argument, dass die nationalen Staaten auf ihr Hoheitsgebiet beschränkt seien, geworben (Schlussantrag vom 13.07.2017, C-194-16, BeckRS 2017, 116694, Rn 80). Der EuGH hat indes an der Mosaik-Theorie letztlich festgehalten.

Es ist weiterhin zu berücksichtigen, dass die fragliche Entscheidung des EuGH die internationale Zuständigkeit betrifft und nicht welches Recht das danach zuständige Gericht anzuwenden hat. Dieses ist hier nach Art. 40 Abs. 1 EGBGB das deutsche Recht. Das deutsche Recht sieht jedoch bei den hier in Rede stehenden Normen für den Unterlassungsanspruch, nämlich das Namensrecht nach § 12 BGBG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Artt. 1 und 2 GG, keine über das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hinausgehende Geltung vor.

Anerkannt ist zwar im Rahmen der DSGVO ein Verbot, welches für das gesamte Gebiet der EU Wirkung entfaltet. Aber dieser europaweite Verbotsanspruch folgt unmittelbar aus der DSGVO und wird aus deren Vollharmonisierung innerhalb der EU abgeleitet (vgl. EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17).

An einer Vollharmonisierung fehlt es hier indes, und zwar auch dann, wenn der Antragsteller die Untersagung auf die EMRK stützen könnte, welche innerhalb des gesamten Gebietes der EU gilt. Denn ein solcher Anspruch folgt nicht unmittelbar aus der EMRK, sondern aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der EMRK, also wiederum einer deutschen (nicht harmonisierten) Norm.

Es erscheint auch zweifelhaft, dass der hier geltend gemachte Unterlassungsanspruch ein unteilbarer Anspruch ist, was nach der fraglichen EuGH-Entscheidung Voraussetzung wäre. Es ist vorstellbar, dass die Antragsgegnerin ihn nur in einzelnen Ländern der EU umsetzt.

Es kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass in anderen Rechtsgebieten wie dem Markenrecht, welches zum Teil harmonisiert ist, nur dann eine Untersagung für das gesamte Gebiet der EU ausgesprochen wird, wenn das Verbot auf einer harmonisierten Norm beruht.

Nach alledem kann dahinstehen, ob der Antragsteller zu dem in den anderen Staaten der EU geltendem Recht hätte vortragen müssen oder inwieweit sein Interesse auch diese Staaten berührt. Letzteres ist nicht ersichtlich, da der Inhalt auf Deutsch verfasst ist, sich mit deutschen Vorgängen befasst und nicht erkennbar ist, dass der Antragsteller außerhalb von Deutschland bekannt oder geschäftlich tätig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.


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BGH: Grundsätze der Haftung von Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen gelten auch für Haftung von Online-Marktplätzen

BGH
Urteil vom 23.10.2024 - I ZR 112/23
Manhattan Bridge
UrhG § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 2, § 16, § 19a; Richtlinie 2001/29/EG Art. 3 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass die Grundsätze der Haftung von Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen auch für die Haftung von Online-Marktplätzen gelten.

Leitsätze des BGH:
a) Die unionsrechtlichen Grundsätze der Haftung von Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen für eine öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Juni 2021 - C-682/18 und C-683/18, GRUR 2021, 1054 = WRP 2021, 1019 - YouTube und Cyando; BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 - I ZR 53/17, BGHZ 233, 373 [juris Rn. 17 f.] - uploaded II; BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 - I ZR 140/15, BGHZ 234, 56 [juris Rn. 70 f.] - Youtube II) sind auf die Haftung von Online-Marktplätzen übertragbar.

b) Der Betreiber eines Online-Marktplatzes ist - wie der einer Video-Sharing- und Sharehosting-Plattform - grundsätzlich verpflichtet, nach einem klaren Hinweis auf eine Rechtsverletzung die dort eingestellten Angebote im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren auf gleichartige Verletzungen zu überprüfen und rechtsverletzende Inhalte zu sperren oder zu löschen. Bei Übertragung der für Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen geltenden Rechtsprechung muss den Besonderheiten von Online-Marktplätzen jedoch Rechnung getragen werden. Soweit nicht der angebotene Gegenstand selbst urheberrechtsverletzend ist, sondern das Angebot lediglich in einer urheberrechtsverletzenden Weise präsentiert wird, erstreckt sich die Prüfungspflicht des Plattformbetreibers im Regelfall allein auf gleichartig präsentierte Angebote, nicht aber auf jegliche Darstellungen des urheberrechtlich geschützten Werks.

c) Die Grundsätze der Haftung von Plattformen für eine öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke sind nicht auf eine Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf den Servern einer solchen Plattform übertragbar. Es verbleibt insoweit bei einer Haftung nach den strafrechtlichen Grundsätzen der Täterschaft und Teilnahme.

BGH, Urteil vom 23. Oktober 2024 - I ZR 112/23 - OLG Nürnberg LG Nürnberg-Fürth

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BGH: Unterlassungsanspruch wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens

BGH
Urteil vom 25.06.2024
VI ZR 64/23
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens bestehen kann.

Leitsatz des BGH:
Die Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens an ein Presseunternehmen stellt grundsätzlich nur dann einen unmittelbaren Eingriff in dessen Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, wenn es zuvor durch ein sogenanntes Opt-Out zu verstehen gegeben hat, dass es die Zusendung solcher Schreiben nicht wünscht (Weiterführung Senatsurteil vom 15. Januar 2019 - VI ZR 506/17, AfP 2019, 40).

BGH, Urteil vom 25. Juni 2024 - VI ZR 64/23 - OLG München - LG München I

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OLG Frankfurt: Zur Kerngleichheit und einem Verstoß gegen Unterlassungstitel wenn untersagte Werbung vom Wortlaut her und inhaltlich geändert wurde

OLG Frankfurt
Beschluss vom 10.05.2024
6 W 44/24


Das OLG Frankfurt hat sich mit der Frage befasst, wann Kerngleichheit und ein Verstoß gegen einen Unterlassungstitel vorliegen kann, wenn die untersagte Werbung vom Wortlaut her und inhaltlich geändert wurde.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die gemäß § 793 ZPO i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und gemäß §§ 569, 571 ZPO auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin, über die der Senat zu entscheiden hat, da der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen kein Einzelrichter im Sinne von § 568 Satz 1 ZPO ist (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 20.10.2003 - II ZB 27/02, juris Rn. 10 ff.), ist unbegründet.

Das Landgericht hat den Ordnungsmittelantrag zu Recht zurückgewiesen. Zwar erstreckt sich ein tituliertes Verbot auf kerngleiche Verletzungshandlungen (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 26.09.2023 - VI ZB 79/21, GRUR 2023, 1788 Rn. 19 f. mwN - Reichweite eines Unterlassungstitels, DREAM TEAM). Allerdings fällt die mit dem Ordnungsmittelantrag beanstandete Werbung nach zutreffender Auffassung des Landgerichts nicht mehr in den Kernbereich des Unterlassungstitels.

1. Nach der sog. Kerntheorie umfasst das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der ursprünglichen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt. Dies gilt auch dann, wenn das Verbot - wie im Streitfall - auf die konkrete Verletzungsform beschränkt ist. Kern der konkreten Verletzungsform sind dabei die Elemente, die eine Verhaltensweise zur Verletzungshandlung machen, also das, was für den Unrechtsgehalt der konkreten Verletzungsform rechtlich charakteristisch ist und ihre Rechtswidrigkeit begründet (vgl. z.B. BGH, GRUR 2023, 1788 Rn. 20 mwN - Reichweite eines Unterlassungstitels, DREAM TEAM).

Das Charakteristische der Verletzungshandlung, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung maßgeblich ist, ist allerdings auf das beschränkt, was bereits Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen und in die Verurteilung einbezogen worden ist. Fehlt es hieran, muss die Zuordnung einer Handlung zum Kernbereich des Verbots unterbleiben. Die Kerntheorie beschränkt sich darauf, ein im Kern feststehendes und bei dessen sachgerechter Auslegung auch eine abweichende Handlung bereits umfassendes Verbot auf Letztere anzuwenden. Eine weitergehende Titelauslegung ist im Hinblick auf den Sanktionscharakter der Ordnungsmittel des § 890 ZPO und das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot unstatthaft (vgl. z.B. BGH, GRUR 2023, 1788 Rn. 21 mwN. - Reichweite eines Unterlassungstitels, DREAM TEAM).

2. Nach diesen Maßstäben fällt die im Ordnungsmittelverfahren streitgegenständliche Werbung nach zutreffender Ansicht des Landgerichts nicht mehr in den Kernbereich des Verbotstitels.

a) Die im Ausgangsverfahren beanstandeten drei Äußerungen in Anlage K4 zeichnen sich dadurch aus, dass sie den - nach dem Ausgangsurteil irreführenden - Eindruck eines sicher zu erwartenden Krankenkassenanteils erwecken („Jetzt Krankenkassenanteil sichern!“; „Fragen Sie hier direkt ihren Krankenkassenanteil an!“; „Sichern Sie sich hier schnell Ihren Krankenkassenanteil für bestes Hören“). Der angesprochene Verkehr geht insofern nicht nur wegen der Angabe „Deutschlands 1- Online-Hörakustiker“ unterhalb des weiß-roten Logos „X“, sondern auch wegen des Hinweises unter dem Foto in dem weiß umrandeten Kästchen auf grünem Grund:

„Perfekt in der aktuellen Corona-Situation: komplette Online-Abwicklung und Online-Service oder Rundum-Service vor Ort“

davon aus, dass der Krankenkassenanteil in gleicher Weise wie bei einem Präsenzerwerb gewährt wird, wenn eine „komplette[n] Online-Abwicklung“, einschließlich Hörakustik, erfolgt. Ein Hinweis auf das (mögliche) Erfordernis eines Ortstermins ist in Anlage K4 nicht enthalten. Die Werbung hat unter anderem wegen des Verweises auf die „Corona-Situation“, in der aus Infektionsschutzgründen Abstand gehalten werden sollte, den Eindruck erweckt, die Hörtechnologie und der Service der Schuldnerin sei in vollem Umfang online zu haben, ohne dass dies Auswirkungen auf den Krankenkassenanteil habe.

b) Davon unterscheidet sich die Werbung, die Gegenstand des Ordnungsmittelverfahrens ist.

Zwar wirbt die Schuldnerin weiterhin mit „Deutschlands 1. Online-Hörakustiker“. Bereits die Aufschrift auf dem anklickbaren dunkelblauen Kästchen „Jetzt Krankenkassenzuschlag anfragen“ deutet aber nicht darauf hin, dass ein Krankenkassenzuschuss sicher zu erwarten ist. Dieser Eindruck wird auch nicht durch den durch Fettdruck und große Schrift hervorgehobenen Hinweis erweckt: „Bis zu 1.690 Euro Zuschuss bekommen“, zumal nachfolgend in kleinerer Schrift lediglich die Rede davon ist, dass Krankenkassen bei der Anschaffung und dem Service der Hörgeräte „bis zu 1.690 Euro“ übernehmen „können“.

Ob jedenfalls ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs angesichts der abgebildeten Krankenkassen-Logos, dem Verweis der Schuldnerin auf die Zusammenarbeit mit den führenden Krankenkassen und ihres Angebots, von Montag bis Freitag von 08:00 Uhr bis 17:00 Uhr bei Fragen zur Krankenkasse des jeweiligen Adressaten und zu den notwendigen Unterlagen Hilfe zu leisten, gefolgt von einem anklickbaren Link auf blauem Grund mit der Aufschrift: „Wir helfen Ihnen beim Zuschuss“, dennoch annimmt, jedenfalls für die konkret abgebildeten Krankenkassen sei mit einem Zuschuss zu rechnen, kann nach zutreffender Ansicht des Landgerichts dahingestellt bleiben. Letzteres gilt auch für die Frage, ob jedenfalls ein erheblicher Teil des angesprochenen Adressatenkreises den oben wiedergegebenen Hinweis auf hellblauem Grund in kleiner Schrift am unteren rechten Rand der Internetseite der Schuldnerin zur Kenntnis nimmt.

Aufgrund der nicht nur im Wortlaut, sondern auch inhaltlich nicht übereinstimmenden Aussagen in der geänderten Online-Werbung der Schuldnerin kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass diese bereits - zumindest gedanklich - Gegenstand des ursprünglichen Erkenntnisverfahren waren und daher in die Ausgangsverbote einbezogen sind. Ob die geänderten Aussagen irreführend sind, kann daher nicht im Ordnungsmittelverfahren entschieden werden, sondern bleibt einer Prüfung im Erkenntnisverfahren vorbehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Der Festsetzung eines Streitwerts für die Gerichtskosten bedarf es nicht, da im Beschwerdeverfahren nach Nr. 2121 VV GKG eine Festgebühr anfällt.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO besteht kein Anlass (zur Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde im Ordnungsmittelverfahren, vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 21.12.2023 - I ZB 42/23, GRUR 2024, 486 Rn. 10). Die streitentscheidenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Vorliegend geht es nur um deren Anwendung auf den konkreten Fall.


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OLG Frankfurt: Bei Persönlicheitsrechtsverletzungen in Presse und Medien ist regelmäßig ein Streitwert zwischen 5.000 EUR und 15.000 EUR je selbständiger inhaltsverschiedener Äußerung angemessen

OLG Frankfurt
Beschluss vom 03.06.2024
16 W 18/24


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass bei Persönlicheitsrechtsverletzungen in Presse und Medien regelmäßig ein Streitwert zwischen 5.000 EUR und 15.000 EUR je selbständiger inhaltsverschiedener Äußerung angemessen ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der für die Streitwertfestsetzung gewählte Ausgangspunkt des Landgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden.

a) Bei der Abwehr von Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Äußerungen in der Presse oder anderen Medien ist der Streitwert gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Ermessen zu bestimmen. Abhängig vorwiegend davon, in welcher Sphäre seines Persönlichkeitsrechts der Betroffene durch die Äußerung berührt wird, welche Schwere ein hiermit verbundener Eingriff hat und welcher Verbreitungsgrad dem gewählten Medium zukommt, geht der Senat dabei unter Orientierung am Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG (vgl. BGH, Beschl. v. 17. Januar 2023 - VI ZB 114/21 -, Rn. 11; Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 3 ZPO, Rn. 16.57) von einem Streitwert zwischen etwa 5.000,00 EUR und 15.000,00 EUR je selbständiger, inhaltsverschiedener Äußerung aus. Höhere Beträge kommen regelmäßig nur bei der Betroffenheit von Prominenten oder bei besonders spektakulären Fällen in Betracht (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 2. Juni 2023 - 16 W 27/23 -, Rn. 21) bzw. dann, wenn statt einzelner Äußerungen die durch eine komplexere Schrift geschaffene Herabsetzung des Betroffenen insgesamt in Rede steht (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 21. September 1999 - 16 W 39/98 -, Rn. 5).

b) Wird um entsprechenden Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Verfügung nachgesucht, wird der Streitwert gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt. Er bleibt dann im Allgemeinen unter dem Streitwert der Hauptsache, weil das in diesem Verfahren verfolgte Sicherungsinteresse des Betroffenen im Regelfall nicht sein Befriedigungsinteresse erreicht. Da das Presserecht grundsätzlich von dem Erfordernis einer schnellen Reaktion geprägt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. März 2024 - 1 BvR 605/24 -, Rn. 16) und dem Sicherungsinteresse daher in äußerungsrechtlichen Sachverhalten häufig höheres Gewicht zukommt, erachtet der Senat einen Abschlag von mehr als 1/3 gegenüber dem Hauptsachewert allerdings regelmäßig für nicht angezeigt (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 2. Juni 2023 - 16 W 27/23 -, Rn. 22; vom 22. Dezember 2020 - 16 W 83/20 -, Rn. 31).

c) Mehrere Streitwerte werden gemäß § 39 GKG zusammengerechnet. Das gilt im Äußerungsrecht sowohl für die Beanstandung mehrerer selbständiger, inhaltsverschiedener Äußerungen, wie ebenso für die Inanspruchnahme mehrerer Unterlassungsschuldner. Denn diese schulden Unterlassung - hier aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG - nicht nur einmal, sondern jeder für sich (vgl. BGH, Urt. v. 27. November 2020 - V ZR 121/19 -, Rn. 35; v. 15. April 1975 - VI ZR 93/73 -, Rn. 19).

2. Dies zugrunde gelegt, ist die Festsetzung des Streitwerts auch in der Sache zu Recht mit 20.000 Euro erfolgt.

Die angegriffene Berichterstattung berichtet über das angebliche Angebot des Antragstellers, an seine Lebensgefährtin herangetragene Geldforderungen durch eine Einmalzahlung abzugelten, und betrifft damit Umstände, die auf Seiten des Antragstellers allenfalls dem äußeren Rand seiner Privatsphäre zuzurechnen sind. Zudem ist der Antragsteller - anders als seine Lebensgefährtin, die eine gewisse Boulevardprominenz genießt - einer breiteren Öffentlichkeit wenig bekannt. Bei dieser Sachlage war das verfolgte Unterlassungsbegehren unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien wie geschehen mit einem Streitwert von 10.000 Euro zu bewerten, ein am Sicherungsinteresse des Antragstellers ausgerichteter Abschlag von 1/3 vorzunehmen und mit der Anzahl der Antragsgegner zu multiplizieren.


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BGH: Ist nur das Organ einer juristischen Person Unterlassungsschuldner so können Ordnungsmittel nur gegen das Organ verhängt werden

BGH
Beschluss vom 18.04.2024
I ZB 55/23
ZPO § 542 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 und Satz 2, § 890 Abs.1 Satz 1; BGB § 31


Der BGH hat entschieden, dass für den Fall, dass nur das Organ einer juristischen Person Unterlassungsschuldner ist, Ordnungsmittel auch nur gegen das Organ nicht aber die juristische Person verhängt werden können.

Leitsatz des BGH:
Ist allein das Organ einer juristischen Person Titelschuldner, sind Ordnungsmittel im Falle einer schuldhaften Zuwiderhandlung des Organs gegen den Vollstreckungstitel (allein) gegen das Organ festzusetzen.

BGH, Beschluss vom 18. April 2024 - I ZB 55/23 - OLG Hamburg - LG Hamburg

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OLG Frankfurt: Wiedergabe eines Zitats ohne Mitteilung des Kontextes in Presseberichtserstattung kann unzulässiges Fehlzitat sein

OLG Frankfurt
Urteil vom 08.05.2024
16 U 169/22

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Wiedergabe eines Zitats ohne Mitteilung des Kontextes in der Presseberichtserstattung ein unzulässiges Fehlzitat sein kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kontextloses Zitat - Zitat ohne Kontext kann unzulässiges Fehlzitat sein

Ein Fehlzitat kann vorliegen, wenn in einer Berichterstattung nur ein Satz eines Facebook-Posts zitiert wird, ohne auch den weiteren Kontext wiederzugeben, in dem der zitierte Satz steht (hier: Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung). Eine an das Zitat anknüpfende Wertung der Aussage als „antisemitisch“ kann dagegen eine zulässige Meinungsäußerung sein. Mit heute veröffentlichter Entscheidung hat der für Presserecht zuständige 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) die landgerichtliche Entscheidung, mit der Unterlassungsansprüche des Klägers abgewiesen worden waren, im Wesentlichen bestätigt.

Der Kläger wendet sich gegen vier Aussagen im Rahmen zweier Berichterstattungen der Beklagten. Er ist stellvertretender Vorsitzender einer kleinen Partei und Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. In dem Bericht hieß es u.a., dass der Kläger auf Facebook geschrieben habe: „Während man nur noch von Corona redet, hat man den wahren Virus im Nahen Osten vergessen: Israel“.

Der Kläger ist der Ansicht, die Berichterstattung stelle ihn als Antisemiten dar und verletze ihn in seinen Persönlichkeitsrechten.

Das Landgericht hatte seine auf Unterlassung von vier Aussagen gerichtete Klage insgesamt abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte vor dem OLG nur hinsichtlich einer Aussage Erfolg.

Drei der angegriffenen Äußerungen enthielten zulässige Meinungsäußerungen, bestätigte der Senat die Entscheidung des Landgerichts. Soweit in den Berichten das Adjektiv „antisemitisch“ verwendet werde, liege eine zulässige Meinungsäußerung vor. Entgegen der Ansicht des Klägers werde nicht er als Person als Antisemit bezeichnet, sondern konkret aufgeführte Äußerungen als antisemitisch. Die Beklagte habe diese Bewertung auf einen objektiv tatsächlichen Anknüpfungspunkt in Form des vorausgegangenen Posts des Klägers auf Facebook zurückführen können. Der Post biete (noch) einen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte diesen Beitrag als antisemitisch habe beurteilen können. Der Kläger habe den Staat Israel durch den Begriff „Virus“ mit einem Krankheitserreger gleichgesetzt, der - vergleichbar mit dem Corona-Virus - bekämpft und ausgerottet werden müsse. Bei Abwägung der involvierten Interessen sei auch zu berücksichtigen, dass der Artikel einen Beitrag im geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage darstelle. Für die Öffentlichkeit seien sowohl die kleine Partei als Teil der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung als auch die von ihren Vertretern nach außen vertretenen Ansichten von wesentlichem Interesse.

Mit Erfolg wende sich der Kläger aber gegen die Aussage, dass er auf Facebook das oben wiedergegebene Zitat geschrieben habe. Das Zitat verfälsche die eigentliche Äußerung des Klägers. Im Ursprungspost habe die Äußerung im Kontext mit Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern gestanden. Durch das nicht gekennzeichnete Weglassen dieser Passage erhalte das Zitat eine andere Färbung und entspreche nicht mehr dem, was der Kläger tatsächlich gesagt habe. Mit der Bezeichnung Israels als „wahren Virus“ habe der Kläger Kritik an der Siedlungspolitik des israelischen Staats seit 1948 zum Ausdruck bringen wollen. Es mache einen „Unterschied, ob eine generell ablehnende Haltung gegenüber der Bevölkerung Israels geäußert wird, wie es die als Zitat des Klägers wiedergegebene Äußerung der Beklagten nahelege, oder ob hierfür ein sachlicher Bezug, nämlich die dortige Siedlungspolitik angeführt wird“, begründete der Pressesenat die Entscheidung.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann der Kläger die Zulassung der Revision beim BGH begehren.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 8.5.2024, Az.: 16 U 169/22

(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 28.4.2022, Az.: 2-03 O 367/21)


OLG Frankfurt: Streitwert von 500.000 EURO für Unterlassungsanspruch bei Anbieten unzulässiger Nachahmungen hochpreisiger Uhren in Online-Shop nicht übersetzt

OLG Frankfurt
Beschluss vom 08.03.2024
6 W 84/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, das ein Streitwert von 500.000 EURO für einen Unterlassungsanspruch, der sich gegen das Anbieten unzulässiger Nachahmungen hochpreisiger Uhren in einem Online-Shop richtet, nicht übersetzt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Streitwertbeschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Streitwert zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen auf 500.000 Euro festgesetzt.

1. Nach § 51 Abs. 2 GKG ist, soweit nichts Anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Die Festsetzung des Streitwerts kann nicht anhand von Regelstreitwerten erfolgen, weil dies mit den Vorschriften des § 3 ZPO und des § 51 Abs. 2 GKG nicht vereinbar ist, die eine Ermessensausübung des Gerichts vorsehen (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 08.11.2022 - I ZR 62/22, juris Rn. 6 mwN). Entscheidend ist bei Unterlassungsanträgen das Interesse des Klägers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße. Dieses wird maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für die Träger der maßgeblichen Interessen, bestimmt (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 15.09.2016 - I ZR 24/16, GRUR 2017, 212 Rn. 8 mwN - Finanzsanierung). Dabei sind unter anderem die Unternehmensverhältnisse des Verletzten und des Verletzers (etwa Art, Größe, Umsatz und Marktbedeutung), die Art, Intensität, Zielrichtung und Dauer der Verletzungshandlung, insbesondere deren Gefährlichkeit für den Wettbewerber oder Verbraucher unter Berücksichtigung der drohenden Schäden sowie der Grad des Verschuldens unter Bewertung auch des nachträglichen Verhaltens zu berücksichtigen (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30.11.2021 - 6 W 89/21, juris Rn. 8 mwN).

Ist die Bedeutung der Sache für den Beklagten erheblich geringer zu bewerten als der nach § 51 Abs. 2 GKG ermittelte Streitwert, ist der Streitwert angemessen zu mindern (§ 51 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Der sich aus § 51 Abs. 2 und 3 GKG ergebende Wert ist im Eilverfahren in der Regel unter Berücksichtigung der geringeren Bedeutung gegenüber der Hauptsache zu ermäßigen.

2. Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass für eine Herabsetzung des Streitwerts keine Grundlage besteht.

a) Das Landgericht hat den Streitwert gemäß § 51 Abs. 2 und 4 GKG ermessensfehlerfrei und zutreffend auf 500.000 Euro festgesetzt.

aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats kommt der Streitwertangabe des Klägers zu Beginn des Verfahrens erhebliche indizielle Bedeutung für den Wert des von diesem verfolgten Interesses zu. Da der Kläger bei Einreichung der Klage- bzw. Antragsschrift noch nicht sicher wissen kann, ob sein Antrag Erfolg haben wird, ist er von sich aus gehalten, sein wirtschaftliches Interesse an der Verfolgung des Wettbewerbsverstoßes realistisch einzuschätzen. Eine Abweichung von der Streitwertangabe kommt daher im Regelfall nur in Betracht, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass diese Angabe erheblich über- oder untersetzt ist. Dies gilt insbesondere im Anwendungsbereich von § 51 Abs. 2 GKG, da nach dieser Norm auf die sich aus dem Antrag des Klägers für diesen ergebende Bedeutung abzustellen ist (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.12.2022 - 6 W 77/22, WRP 2023, 358 Rn. 4 mwN - Penthouse in Erstbezug).

bb) Vorliegend besteht kein Anlass, von der Streitwertangabe der Antragstellerin im Eilantrag abzuweichen, zumal nach den zutreffenden Rechtsausführungen des Landgerichts nicht erkennbar ist, dass es sich dabei nicht um den bereits gemäß § 51 Abs. 4 GKG ermäßigten Wert des Eilverfahrens handelte.

Der Angriffsfaktor ist hoch.

Die Antragstellerin hat sich auf eine Nachahmung durch vermeidbare (unmittelbare, jedenfalls aber mittelbare) Herkunftstäuschung sowie auf eine Rufausbeutung gestützt. Sie hat substantiiert dargetan und mit eidesstattlichen Versicherungen unterlegt, dass sie zwischen 2018 und 2023 in Deutschland mit den „IWC Pilot’s Chronographen“ knapp 27 Millionen Euro umgesetzt und gut 3,5 Millionen Euro in Werbung investiert habe. Die von ihr hergestellten Uhren sind mit Verkaufspreisen mit zwischen 6.800 Euro und 13.700 Euro dem Luxussegment zuzuordnen. Nach Vortrag der Antragstellerin handelt es sich um eine der erfolgreichsten Uhrenmarken der Welt; die „IWC Pilotenuhren“ gehörten im Jahr 2019 zu den 10 beliebtesten Luxusuhren. Der Umstand, dass die Antragstellerin im Jahr 2022 von dem Uhrenmodell W377714 nur 191 Stück in Deutschland verkauft hat, reduziert den Angriffsfaktor entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht. Damit hat die Antragstellerin nach eigener Angabe 602.197 Euro Umsatz erwirtschaftet.

Die Antragsgegnerin bot das streitgegenständliche Uhrenmodell in verschiedenen Farben unter Hinweis auf ein „hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis“ für 1.200 Euro an (vgl. S. 2 ff., 12 des Eilantrags, GA 4 ff., 12). Dabei war (u.a.) das Logo mit dem Schweizer Wappen und dem Wortbestandteil „swiss made“ geeignet, auf eine besondere Qualität der Uhr hinzuweisen. Diese ist nach ihrer Behauptung nicht schlechter als der Chronograph der Antragstellerin, zumal er über das gleiche, für die Qualität einer Uhr maßgebliche Uhrwerk verfügt.

Soweit die Antragsgegnerin behauptet hat, „FESTINA“ sei in Deutschland mit 57 % dreimal so bekannt wie „IWC“ mit einem Anteil von 17,4 %, mag dies zwar zutreffen. Letzteres gilt auch, soweit sie geltend gemacht hat, die „FESTINA“-Uhren zeichneten sich durch ein außergewöhnliches Preis-Leistungsverhältnis und einen guten After-Sales-Service aus, zwischen dem Jahr 2000 und Ende 2022 seien rund 6 Millionen Uhren unter dieser Marke in Deutschland verkauft und rund 382 Millionen Umsatz damit erwirtschaftet worden. „FESTINA“ verkaufe unter dieser Marke 100.000 Uhren pro Jahr (teils auch schon 300.000). Auch ergreife „FESTINA“ Werbe- und Sponsoring-Maßnahmen und gebe allein für Erstere in Deutschland hohe sechs- bis siebenstellige Beträge pro Jahr aus. Allerdings erhöht dies - ebenso wie der große Preisunterschied zwischen den sich gegenüberstehenden Uhren - den für den Streitwert maßgeblichen Angriffsfaktor eher. Je attraktiver das Angebot der beanstandeten Nachahmung ist, desto mehr kann es die Wettbewerbsinteressen der Antragstellerin beeinträchtigen.

b) Nach zutreffender Auffassung des Landgerichts kommt eine Streitwertherabsetzung nach § 51 Abs. 3 GKG nicht in Betracht.

aa) Die Antragsgegnerin macht zu Recht nicht geltend, dass vom Auffangstreitwert von 1.000 Euro auszugehen sei (vgl. § 51 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 GKG; zu letzterer Norm, vgl. BT-Drucks. 19/12084 S. 40).

bb) Es besteht auch kein Anlass, den Streitwert nach § 51 Abs. 3 Satz 1 GKG angemessen zu mindern. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Bedeutung der Sache für die Antragsgegnerin erheblich geringer zu bewerten wäre als der vom Landgericht auf 500.000 Euro festgesetzte Streitwert.

Dafür besteht auch kein Anhaltspunkt. Bereits ausgehend von den unstreitig jedenfalls durch die Antragsgegnerin in Deutschland verkauften 95 Uhren des streitgegenständlichen Modells hat diese einen Bruttoumsatz von 114.000 Euro erzielt (95 x 1.200 Euro).

Der Umstand, dass das Landgericht Stadt1 den Streitwert im Hauptsacheverfahren mit umgekehrtem Rubrum entsprechend der Angabe der Antragsgegnerin vorläufig auf 100.000 Euro festgesetzt hat, führt entgegen deren Ansicht nicht dazu, dass vorliegend nur von einem Wert von 50.000 Euro auszugehen wäre. Wie oben dargetan wurde, kommt es im Streitfall maßgeblich auf den Wert des von der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Verfügung verfolgten Interesses an.

c) Für einen rechtsmissbräuchlich überhöhten Streitwert besteht kein Anhaltspunkt.

Zwar hat die Antragstellerin wegen desselben Uhrenmodells auch andere (jedenfalls indirekt mit der Antragsgegnerin verbundene) Vertriebsunternehmen abgemahnt und/oder im Wege der einstweiligen Verfügung in Anspruch genommen. Schon angesichts der unterschiedlichen Daten besteht aber kein Hinweis darauf, dass die gesonderten gerichtlichen Inanspruchnahmen allein im Kosteninteressen der Antragstellerin (aus einem überhöhten Streitwert) erfolgt wären.

d) Die Vorschrift des § 15 Abs. 2 RVG ist allenfalls im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aber bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen (vgl. insofern z.B. BGH, Beschluss vom 22.01.2019 - VI ZR 402/17, GRUR 2019, 763 Rn. 24 - Ermittlungen gegen Schauspielerin; Urteil vom 22.01.2019 - VI ZR 403/17, juris Rn. 24; Beschluss vom 15.05.2014 - I ZB 71/13, GRUR 2014, 1239 Rn. 15-18 - Deus Ex).

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Köln: Weitere Passagen aus dem Buch und dem Hörbuch "Vermächtnis Die Kohl-Protokolle" müssen gestrichen werden

OLG Köln
Urteil vom 06.02.2024
15 U 314/19


Das OLG Köln hat entschieden, dass weitere Passagen aus dem Buch und dem Hörbuch "Vermächtnis Die Kohl-Protokolle" gestrichen werden müssen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Oberlandesgericht Köln: Berufungsverfahren Dr. Kohl-Richter gegen Dr. Schwan u.a. - Urteilsverkündung im Verfahren 15 U 314/19

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat am heutigen Tag in dem vorbezeichneten Verfahren entschieden und die angefochtene landgerichtliche Entscheidung teilweise abgeändert.

In dem Verfahren (vgl. dazu bereits die Pressemitteilung vom 07.10.2022 - PM 10/22) nimmt die Klägerin im Nachgang zu einem früheren Unterlassungsverfahren (OLG Köln, Urteil vom 29.05.2018, Az.: 15 U 65/17, teilweise aufgehoben durch BGH, Urteil vom 29.11.2021, Az. VI ZR 248/18, sodann entschieden durch Teilurteil des Senats vom 22.06.2023, Az. 15 U 65/17, n.v.) die Beklagten zu 1) bis 3) auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung weiterer Passagen aus dem von den Beklagten zu 1) und 2) verfassten und im Verlag der Beklagten zu 3) erschienenen Buch mit dem Namen „Vermächtnis Die Kohl-Protokolle“ (bzw. einem gleichnamigen Hörbuch) in Anspruch. Ferner begehrt sie Auskunft mit dem - jedenfalls primären - Ziel einer Verfolgung von Ansprüchen auf Auskehrung des sogenannten Verletzergewinns wegen eines angeblichen Eingriffs (auch) in „vermögenswerte Bestandteile“ des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Erblassers. Infolge zwischenzeitlichen Versterbens des Beklagten zu 2) ist das Verfahren insoweit unterbrochen. Soweit zwei weitere Beklagte - ehemals Beklagte zu 4) und 5) - wegen eigener Presseberichterstattungen über das Buch von der Klägerin auf Unterlassung und Löschung mehrerer Äußerungen in Anspruch genommen werden, ist das Verfahren abgetrennt und zwischenzeitlich entschieden worden (Urteil des Senats vom 22.06.2023 - 15 U 135/22, n.v.; Nichtzulassungsbeschwerde anhängig: BGH, Az. VI ZR 226/23).

Das Landgericht hat der gegen den Beklagten zu 1) auf Unterlassung gerichteten Klage im Wesentlichen und der gegen diesen im Rahmen einer Stufenklage gerichteten Auskunftsklage vollumfänglich stattgegeben. Die gegen die Beklagte zu 3) auf Unterlassung und im Rahmen einer Stufenklage auf Auskunft und Schadensersatz gerichtete Klage hat das Landgericht vollumfänglich abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin als auch der Beklagte zu 1) Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte zu 1) im Rahmen einer gegen die Klägerin gerichteten sog. Zwischenfeststellungswiderklage die Feststellung begehrt, dass in Bezug auf die geführten Memoirengespräche keine vertraglichen Geheimhaltungspflichten zwischen dem Beklagten zu 1) und dem Erblasser begründet worden sind.

Der 15. Zivilsenat hat - nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen und nach Anhörung der Klägerin und des Beklagten zu 1) - die angefochtene Entscheidung mit Urteil vom heutigen Tage teilweise abgeändert. Danach haben sowohl die Berufung der Klägerin als auch die Berufung des Beklagten zu 1) teilweise Erfolg. In Bezug auf den gegen den Beklagten zu 1) gerichteten Unterlassungsantrag hat der Senat dem Grunde nach das Bestehen eines vertraglichen Unterlassungsanspruchs bejaht, aber einige geringfügige Abänderungen mit Blick auf den Umfang der Verurteilung zur Unterlassung der Veröffentlichung/Verbreitung bestimmter Passagen des Buches ausgesprochen. Den auf die Feststellung fehlender vertraglicher Geheimhaltungspflichten gerichteten Zwischenfeststellungsantrag des Beklagten zu 1) hat der Senat abgewiesen. In Bezug auf die Beklagte zu 3) hat der Senat der auf Unterlassung zahlreicher Passagen des Buches gerichteten Klage nur in geringem Umfang stattgegeben. Die weitergehende gegen die Beklagte zu 3) gerichtete Berufung der Klägerin ist zurückgewiesen worden.

Zur näheren Begründung der Entscheidung hat der Senat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Im Verhältnis zu dem Beklagten zu 1) stehe der Klägerin dem Grunde nach ein vertraglicher Unterlassungsanspruch zu. Zwar sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung der übrigen feststehenden Umstände nicht sicher davon auszugehen, dass der Erblasser und der Beklagte zu 1) im Zusammenhang mit den Arbeiten am "Memoirenprojekt" - unter dem Dach der von ihnen jeweils nur mit dem Verlag abgeschlossenen, insoweit keine eindeutige Verschwiegenheitsverpflichtung regelnden schriftlichen Verträge - unmittelbar eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung über eine (umfassende) Verschwiegenheitspflicht des Beklagten zu 1) trafen. Den Beklagten zu 1) treffe aber aufgrund einer zwischen ihm und dem Erblasser stillschweigend begründeten auftragsähnlichen Rechtsbeziehung als vertragliche Nebenpflicht eine umfassende Verschwiegenheitspflicht. Aufgrund der hier vorliegenden besonderen Gesamtumstände sei von einem Rechtspflichten begründenden Rechtsverhältnis auszugehen. Die insoweit bestehende (Neben-)Pflicht sei auch nicht durch spätere Ereignisse in Wegfall geraten.

Folge der vertraglichen Bindung sei u.a., dass der Beklagte zu 1) sich im Verhältnis zu dem Erblasser nicht mehr auf sein Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen könne. Die vertragliche Verschwiegenheitspflicht beziehe sich inhaltlich nicht nur auf die Wiedergabe etwaiger Äußerungen des Erblassers in Form einer wörtlichen oder sinngemäßen Wiedergabe von Zitaten. Vielmehr umfasse sie auch alle anderen Informationen und Umstände aus der gesamten Memoirenarbeit sowie alle hieran anknüpfenden Wertungen des Beklagten zu 1), welche einen Rückschluss auf Äußerungen des Erblassers und /oder sonstige Vorkommnisse während der Memoirenarbeiten zuließen. Eine Ausnahme gelte nur für die Wiedergabe öffentlich vorbekannter Tatsachen und für Umstände, mit denen der Beklagte zu 1) nur "detailarm" den äußeren Rahmen der Memoirengespräche sowie die Rechtsstreitigkeiten der Parteien zutreffend beschreibe. Nach umfassender Prüfung der im Buch enthaltenen Passagen sei das Verbot der Veröffentlichung und Verbreitung in Bezug auf die vom Senat als unzulässig erkannten einzelnen Passagen auszusprechen. Weitere, im Einzelnen als zulässig erachtete Passagen seien - insoweit unter Klageabweisung - vom Verbot auszunehmen. Die Voraussetzungen für ein "Gesamtverbot" des Buches und einen daraus ableitbaren Anspruch auf Unterlassung seien zu verneinen.

Der auf die Feststellung fehlender vertraglicher Geheimhaltungspflichten gerichtete Zwischenfeststellungsantrag des Beklagten zu 1) sei entsprechend unbegründet.

Der von der Klägerin gegen den Beklagten zu 1) geltend gemachte Auskunftsanspruch sei zu bejahen. Er sei zur Vorbereitung eines der Klägerin zustehenden (unstreitig vererblichen) deliktischen Schadensersatzanspruchs wegen eines Eingriffs (auch) in die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts des Erblassers gegeben. Dem Grunde nach bestehe auch bei - hier allein feststellbarer - Fahrlässigkeit des Beklagten zu 1), der seine ungeschriebene vertragliche Bindung verkannt habe, ein Anspruch auf den sogenannten Verletzergewinn als Teil der im Immaterialgüterbereich anerkannten sogenannten dreifachen Schadensberechnung.

Gegen die Beklagte zu 3) bestehe ein Unterlassungsanspruch nur in geringem Umfang in Bezug auf einzelne Passagen. Mangels Bestehens einer vertraglichen Beziehung zwischen dem Erblasser und der Beklagten zu 3) stünden der Klägerin nach dem Tod des Erblassers gegen diese Unterlassungsansprüche nur bei Annahme einer postmortalen Persönlichkeitsrechtsverletzung zu. Unter Berücksichtigung der dazu in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien sei dies hier nur in besonderen Fällen anzunehmen, u.a. soweit dem Erblasser als unwahre Tatsachenbehauptungen angebliche Eigenaussagen zugeschrieben worden seien, die er nicht, in abweichendem Kontext oder jedenfalls in anderer Stimmungslage, Lautstärke, Tonfall etc. getätigt habe, und wenn hierdurch jeweils auch das Lebensbild des Erblassers verfälscht, seine Menschenwürde berührt werde. Diese Voraussetzungen seien jedoch nur für wenige Buchpassagen von der im Grundsatz darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin prozessual ausreichend substantiiert dargetan worden, dies insbesondere im Kontext einiger im Vorverfahren bereits beanstandeter Fehlzitate sowie unwahrer bzw. bewusst unvollständiger Tatsachenbehauptungen, so etwa bezogen auf den Abschiedsbrief der ersten Ehefrau des Erblassers. Mit Blick auf die - dem Senat nicht vollständig vorliegenden - Tonbandaufnahmen aus den Memoirengesprächen bzw. digitalen Audiokopien seien im Übrigen verfahrensrechtlich keine weitergehenden gerichtlichen Vorlageanordnungen zu treffen gewesen. Dies sei auch nicht gegenüber dem materiell-rechtlich möglicherweise herausgabepflichtigen Beklagten zu 1) geboten. Es bestehe kein Anlass, das Verfahren bis zum Abschluss des - ebenfalls im Wege der Stufenklage geführten und derzeit wieder beim Landgericht Köln anhängigen - Herausgabeverfahrens u.a. wegen der vom Beklagten zu 1) im Besitz gehaltenen Audiokopien der Tonbänder (dazu BGH, Urteil vom 03.09.2020 - III ZR 136/18, abrufbar über die Datenbank www.bundesgerichtshof.de externer Link, öffnet neues Browserfenster / neuen Browser-Tab) auszusetzen.

Die Stufenklage habe das Landgericht insgesamt zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte zu 3) mangels rechtlicher Grundlage kein Auskunftsanspruch und kein Anspruch auf Auskehr des mit dem Buchverkauf erzielten Gewinns zu. Da sich die Beklagte zu 3) - anders als der Beklagte zu 1) - im Zusammenhang mit der Buchveröffentlichung auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen und ihr kein erheblicher Verschuldensvorwurf gemacht werden könne, kämen etwa deliktische Schadensersatzansprüche oder Ansprüche wegen angemaßter Eigengeschäftsführung hier nicht in Betracht.

Der Senat hat die Revision (nur) mit Blick auf die Verurteilung des Beklagten zu 1) zur Auskunftserteilung bzw. die Abweisung der Stufenklage im Verhältnis zur Beklagten zu 3) zur höchstrichterlichen Klärung diesbezüglicher Rechtsfragen zugelassen.




OLG Frankfurt: Kein Unterlassungsanspruch eines ehemaligen DFB-Schiedsrichters gegen Äußerungen in einem Gutachten aufgrund des Sachverständigenprivilegs

OLG Frankfurt
Urteil vom 30.11.2023
16 U 206/21


Das OLG Frankfurt hat vorliegend entschieden, dass ein ehemaliger DFB-Schiedsrichter keinen Unterlassungsanspruch gegen Äußerungen in einem Gutachten hat, da insoweit das Sachverständigenprivileg gilt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Sachverständigenprivileg: Ehemaliger DFB-Schiedsrichter kann nicht Unterlassen gutachterlicher Äußerungen über ihn verlangen

Schlussfolgerungen und Ergebnisse in einem privaten Gutachten unterfallen grundsätzlich dem sog. Sachverständigenprivileg und sind damit als Werturteil einzuordnen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute veröffentlichtem Urteil die Klage eines ehemaligen Schiedsrichters des DFB zurückgewiesen. Der Kläger wendete sich gegen Aussagen des Beklagten über ihn in einem im Auftrag des DFB erstellten Gutachten.

Der Kläger war Schiedsrichter beim DFB und leitete dort vor allem Spiele der ersten Bundesliga. Er nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Unterlassung und Widerruf von in einem Gutachten enthaltenen Äußerungen in Anspruch und begehrt eine Geldentschädigung in Höhe von 15.000,00 €. Der Kläger hatte 2005 den sog. Fußball-Wettskandal aufgedeckt. Danach hatten einzelne Schiedsrichter von Profifußballspielen gegen Geld das Ergebnis von Bundesligaspielen regelwidrig beeinflusst, um Fußballwettergebnisse zu beeinflussen. Hierüber hatte sich der Kläger im Rahmen eines Interviews 2017 öffentlich geäußert und aus seiner Sicht Verantwortliche namentlich benannt. Er behauptete u.a., dass es nicht nach den Leistungen der Schiedsrichter gegangen sei, sondern danach, ob diese auf „Wellenlänge“ mit der DFB-Führung gelegen hätten.

Daraufhin beauftragte der DFB den Beklagten mit einer internen und nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Untersuchung der vom Kläger erhobenen Vorwürfe. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass die Vorwürfe nicht zutreffen. Der Kläger behauptet, dass der Beklagte Zeugenaussagen in seinem Bericht unvollständig, falsch oder sinnentstellend wiedergegeben habe und deshalb unhaltbare Anschuldigungen gegen ihn erhoben habe.

Das Landgericht hatte seine Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger könne unter Berücksichtigung des sog. Sachverständigenprivilegs nicht Unterlassung der hier streitgegenständlichen Äußerungen verlangen. Äußerungen in Sachverständigengutachten, die Ergebnis der sachverständigen Entscheidungsfindung sind, seien nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich als Werturteil anzusehen. Dies gelte auch, wenn sie „äußerlich in die Form einer Tatsachenbehauptung gekleidet sind“, vertiefte das OLG. Dies beziehe sich auch auf die sog. Befundtatsachen. Es sei gerade die Aufgabe eines Gutachters, kraft seiner Sachkunde zu bestimmten Tatsachen Stellung zu nehmen, sie zu untersuchen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Dies rechtfertige die Einordnung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen als Werturteil.

Der Beklagte könne sich auch auf das Sachverständigenprivileg berufen. Private Gutachter würden öffentlich bestellten Sachverständigen gleichgestellt.

Die hier streitgegenständlichen Aussagen unterfielen alle dem Sachverständigenprivileg. Bei der erforderlichen kontextbezogenen Auslegung lägen durchgehend Schlussfolgerungen vor.

Soweit die Äußerungen die Berufsehre des Klägers verletzten, fehle es aber an einer schwerwiegenden Verletzung. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Gutachten des Beklagten nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei und der Kläger selbst durch seine Aussagen die Auseinandersetzung über die Arbeitsweise der Schiedsrichter eröffnet habe.

Bei Abwägung der betroffenen Interessen überwiege das Recht der Meinungsäußerung und der Berufsfreiheit seitens des Beklagten das Schutzinteresse des Klägers. Das Schutzinteresse des Klägers würde überwiegen, wenn der Beklagte etwa grob sorgfaltswidrig methodisch vorgegangen wäre und die Verletzung von Persönlichkeitsrechten des Klägers in Kauf genommen hätte. Dies sei hier nicht der Fall.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Kläger kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision begehren.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 30.11.2023, Az. 16 U 206/21

(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.09.2021, Az. 2-17 O 95/19)