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ArbG Hamburg: Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Gestattung der Nutzung von ChatGPT und anderer KI-Lösungen

ArbG Hamburg
Beschluss vom 16.01.2024
24 BVGa 1/24


Das ArbG Hamburg hat entschieden, dass kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Gestattung der Nutzung von ChatGPT und anderer KI-Lösungen besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
b) Der Antrag ist unbegründet, denn es fehlt bereits an einem Verfügungsanspruch des Beteiligten zu 1. (§§ 935, 940 ZPO, § 85 Abs. 2 ArbGG).

aa) Es kann dabei dahinstehen, ob ein Anspruch aus § 23 Abs. 3 BetrVG im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht werden kann (bejahend: LAG Rheinland-Pfalz vom 24.01.2019 – 2 TaBVGa 6/18; Fitting, § 23 BetrVG, Rn.76, Oetker, in: GK-BetrVG, § 23 BetrVG, Rn. 262; ablehnend: Besgen, in: Beck-OK Arbeitsrecht, § 23 BetrVG, Rn. 35; Koch, in: ErfK, § 23 BetrVG, Rn. 23; Thüsing, in: Richardi, § 23 BetrVG, Rn. 105), denn die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG liegen nicht vor. Die Beteiligte zu 2. hat mit dem Einstellen von Guidelines, Handbuch und KI-Richtlinien ohne zuvor den Konzernbetriebsrat beteiligt zu haben, keine groben Verstöße gegen ihre Pflichten aus dem BetrVG begangen.

(1) Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers hat die Beteiligte zu 2. mit den vorgenannten Maßnahmen, die zur Gestattung der Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Konkurrenzprogramme durch die Mitarbeiter geführt haben, § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht verletzt.

Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Beschäftigten. Es beruht darauf, dass die Beschäftigten ihre vertraglich geschuldete Leistung innerhalb einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsorganisation erbringen und deshalb dessen Weisungsrecht unterliegen. Das berechtigt den Arbeitgeber dazu, Regelungen vorzugeben, die das Verhalten der Beschäftigten im Betrieb beeinflussen und koordinieren sollen. Solche Maßnahmen bedürfen der Zustimmung des Betriebsrats. Dies soll gewährleisten, dass die Beschäftigten gleichberechtigt an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens teilhaben können (BAG vom

Gemäß der ständigen Rechtsprechung des BAG hat der Betriebsrat entgegen dem überschießenden Wortlaut nur mitzubestimmen bei Maßnahmen, die das so genannte Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffen. Dieses ist berührt, wenn die Maßnahme auf die Gestaltung des kollektiven Miteinander oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt (BAG vom 27.09.2005 - 1 ABR 32/04). Mitbestimmungsfrei sind dagegen Maßnahmen, die das so genannte Arbeitsverhalten der Beschäftigten regeln. Darum handelt es sich, wenn der Arbeitgeber kraft seines arbeitsver-raglichen Weisungsrechts näher bestimmt, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Weise das geschehen soll. Mitbestimmungsfrei sind deshalb Anordnungen, mit denen lediglich die Arbeitspflicht konkretisiert wird (BAG vom 23.08.2018 – 2 AZR 235/18). Die Entscheidung, ob, wann und wie die vertraglich zugesagte Arbeit zu erledigen ist und wie deren Erbringung kontrolliert und gesichert wird, fällt nicht unter den Mitbestimmungstatbestand (BAG vom 15.04.2014 – 1 ABR 85/12).

Wendet man diese Grundsätze der ständigen BAG-Rechtsprechung an, so fallen die Vorgaben zur Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Tools unter das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten (so auch: Holthausen, RdA 2023, S. 261 ff.; Kalbfus/Schöberle, NZA 2023, S. 251 ff.; Witteler, ZD 2023, S. 377 ff.). Die Beteiligte zu 2. stellt ihren Arbeitnehmern ein neues Arbeitsmittel unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung. Richtlinien, Handbuch usw. sind somit Anordnungen, welche die Art und Weise der Arbeitserbringung betreffen, weshalb kein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht.

Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung den Einwurf erhoben, dass durch die Erlaubnis der Beteiligten zu 2., die Arbeitnehmer können entscheiden, ob sie ChatGPT einsetzen, letztlich zwei Gruppen von Arbeitnehmern geschaffen wer/den, nämlich die Gruppe der Arbeitnehmer, die Künstlicher Intelligenz aufgeschlossen und die Gruppe, die dieser Entwicklung skeptisch gegenüberstehen, weshalb das Zusammenleben der Belegschaft und damit das Ordnungsverhalten betroffen seien. Eine solche Ansicht hätte zur Konsequenz, dass die nicht flächendeckende Einführung neuer Arbeitsmittel für vergleichbare Arbeitnehmer stets zu einer Zweiteilung führt, nämlich der Gruppe, welche das neue Arbeitsmittel einsetzt und der Gruppe, die noch mit den alten Arbeitsmitteln ihre Arbeitspflicht erfüllt, so dass in diesen Fällen der Betriebsrat zu beteiligen wäre, obwohl der Arbeitgeber nur Anordnungen getroffen hat, wie die Arbeit zu leisten ist. Dies ist mit dem gesetzgeberischen Willen, warum § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein Beteiligungsrecht begründen soll, nicht vereinbar.

(2) Auch das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat die Beteiligte zu 2. nicht verletzt. Nach § § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat u.a. mitzubestimmen bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das Mitbestimmungsrecht ist darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schutzwerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind (BAG vom 03.12.2016 – 1 ABR 7/15). „Überwachung“ im Sinne des Mitbestimmungsrechts ist ein Vorgang, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern seitens des Arbeitgebers erhoben und – jedenfalls in der Regel – aufgezeichnet werden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Die Informationen müssen auf technische Weise ermittelt und dokumentiert werden, so dass sie zumindest für eine gewisse Dauer verfügbar bleiben und vom Arbeitgeber herangezogen werden können. Die Überwachung muss durch die technische Einrichtung selbst bewirkt werden. Dazu muss diese aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar die Überwachung vornehmen. Das setzt voraus, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge erhebt, speichert und/oder verarbeitet. Ausreichend ist, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt. Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, dass der Arbeitgeber Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer erheben und aufzuzeichnen kann. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an ((BAG vom 03.12.2016 – 1 ABR 7/15).

Vorliegend ist unstreitig, dass ChatGPT und die vergleichbaren Konkurrenzprodukte nicht auf den Computersystemen der Beteiligten zu 2. installiert wurden. Will ein Arbeitnehmer diese Tools nutzen, muss er diese wie jede andere Homepage auch, mittels eines Browsers aufrufen. Zwar wird der Browser die Einwahl regelmäßig aufzeichnen. Dies stellt aber keine Besonderheit von ChatGPT dar, sondern ergibt sich aus den Funktionsmöglichkeiten des Browsers, der den Surfverlauf des Nutzers abspeichert. Der Browser selbst ist somit eine technische Einrichtung, die geeignet ist, Leistungs- und Verhaltensinformationen der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Zur Nutzung von Browsern haben die Beteiligten eine Konzernbetriebsvereinbarung abgeschlossen, weshalb der Antragsteller sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG bereits ausgeübt hat.

Unstreitig ist, dass der Arbeitnehmer selbst einen Account bei ChatGPT anlegen und eventuell entstehende Kosten auch selbst tragen muss, weshalb die Beteiligte zu 2. keinerlei Meldung erhält, wann welcher Arbeitnehmer wie lange und mit welchem Anliegen ChatGPT genutzt hat. Dass der Hersteller etwa von ChatGPT die vorgenannten Daten aufzeichnet, ist zu unterstellen. Dies führt aber nicht zur Mitbestimmung, denn der dadurch entstehende Überwachungsdruck wird nicht vom Arbeitgeber ausgeübt. Die Beteiligte zu 2. kann auf die vom Hersteller gewonnenen Informationen nicht zugreifen. Mit der Nutzung von ChatGPT vergleichbar ist etwa „beck-online“ (Datenbank des Beck-Verlags), wenn der Nutzer seinen eigenen Account angelegt und die Kosten selber zu tragen hat.

Auch die Vorgabe der Beteiligten zu 2., dass Arbeitnehmer Arbeitsergebnisse, die mittels Unterstützung von Künstlicher Intelligenz entstanden sind, kennzeichnen müssen, führt nicht zu einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Wie ausgeführt muss die technische Einrichtung die Überwachung selbst bewirken, um eine Mitbestimmung auszulösen. Die Kennzeichnung und die damit verbundene Kontrollmöglichkeit der Beteiligten zu 2., wer Chatbots einsetzt, erfolgt aber hier durch den Arbeitnehmer selbst und nicht durch das Tool.

(3) Ebenfalls ist ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht ersichtlich. Voraussetzung für das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3a Abs. 1 S. 1 ArbStättV; § 3 Abs. 1 S. 1 ArbStättV ist eine vorliegende oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG festgestellte konkrete Gefährdung der Mitarbeiter (LAG Düsseldorf vom 09.01.2018 – 3 TaBVGa 6/17). Zu einer konkreten Gefährdung hat der Antragsteller nichts vorgetragen, sie sind auch sonst nicht erkennbar.

(4) Dahinstehen kann, ob die Beteiligte zu 2. die Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG hinreichend erfüllt hat, denn ein einmaliger Verstoß gegen § 90 BetrVG stellt noch keine grobe Pflichtverletzung i.S.d. § 23 Abs. 3 BetrVG dar.

bb) Ein Verfügungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 87 Abs. 1 BetrVG. Zwar steht dem Betriebsrat zum Schutz seiner in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgeführten Mitbestimmungsrechte ein negatorischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch zu (BAG vom 23.03.2021 – 1 ABR 31/19; Richardi/Maschmann, in: Richardi, § 87 BetrVG, Rn. 134 ff.). Wie dargelegt ist aber im vorliegenden Fall kein Mitbestimmungsrecht des Antragsstellers berührt, weshalb auch kein Beseitigungsanspruch besteht.

cc) Aus § 90 BetrVG kann sich ein Verfügungsanspruch nicht ergeben, denn § 90 BertVG gewährt lediglich Unterrichtungs- und Beratungsrechte, aber kein Mitbestimmungsrecht, das den Arbeitgeber an einer einseitigen Durchführung der Maßnahme hindert. Daher würde eine einstweilige Verfügung gerichtet auf Beseitigung oder Unterlassen einer Maßnahme über den Hauptanspruch hinausgehen (vgl. nur: Fitting, § 90 BetrVG, Rn. 48).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

AG München: Unterlassungsanspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Wildüberwachungskamera auf Nachbargrundstück wenn Kamera auch Grundstück des Betroffenen filmt

AG München
Urteil vom 01.02.2023
171 C 11188/22


Das AG München hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung besteht, wenn eine Wildüberwachungskamera auf dem Nachbargrundstück auch das Grundstück des Betroffenen filmt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Streit um Kamera auf Nachbargrundstück
In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und bestätigte mit Urteil vom 01.02.2023 eine einstweilige Verfügung, wonach der Antragsgegnerin dies untersagt wurde.

Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u.a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.

Am 12.08.2022 erließ das Amtsgericht München im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es der Antragsgegnerin untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.

Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das Amtsgericht München mit Urteil vom 01.02.2023 die einstweilige Verfügung und begründete dies wie folgt:

„Die vormals aufgestellte Kamera hat die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Die Antragstellerseite verweist insoweit mit Erfolg auf die Entscheidung des BGH vom 16.03.2010 (VI ZR 176/09). Das Gericht darf eine Passage aus dieser Entscheidung zitieren:

„Nach Ansicht des erkennenden Senats kommt es insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie auf Grund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit (vgl. OLG Köln, NJW 2009, 1827 = NZM 2009, 600) oder auf Grund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon auf Grund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. […].“

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs hatte die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder ist das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.

Weiterhin fehlte es auch nicht an einem Verfügungsgrund. Das Gericht schließt sich insoweit der überzeugenden Argumentation der Antragstellerseite an. Die Antragstellerin hatte sich von Anfang an gegen die Kamera zur Wehr gesetzt und die Antragsgegnerin war über diesen Umstand informiert.

Der Sachverhalt hat sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden ist. Weiterhin hat die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand alleine kann aber nicht ausreichen, die indizierte Wiederholungsgefahr aufzuheben.“

Urteil des Amtsgerichts München vom 01.02.2023
Aktenzeichen des AG München: 171 C 11188/22
Das Urteil ist rechtskräftig.



EuGH: Weinerzeuger darf seinen Weinbaubetrieb auch dann angeben wenn die Kelterung in fremden Betriebsräumern unter seiner Leitung und ständigen Überwachung erfolgt

EuGH
Urteil vom 23.11.2023
C-354/22


Der EuGH hat entschieden, dass ein Weinerzeuger seinen Weinbaubetrieb auch dann angeben darf, wenn die Kelterung in fremden Betriebsräumern aber unter seiner Leitung und ständigen Überwachung erfolgt.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Weinbereitung und -etikettierung: Ein Weinerzeuger darf seinen eigenen Weinbaubetrieb auch dann angeben, wenn die Kelterung in den Betriebsräumen eines anderen Weinerzeugers erfolgt

Dies setzt allerdings voraus, dass während der erforderlichen Zeit nur der namensgebende Weinerzeuger die angemietete Kelteranlage nutzt und die Kelterung unter seiner Leitung und seiner engen und ständigen Überwachung stattfindet.

Ein Weinerzeuger der deutschen Moselregion verwendet die Angaben „Weingut“ und „Gutsabfüllung“ für Wein, den er aus Trauben erzeugt, die von Rebflächen stammen, die er etwa 70 km von seinem eigenen Betrieb entfernt gepachtet hat. Aufgrund eines Vertrags werden die angepachteten Rebflächen von ihrem Eigentümer nach den Vorgaben des namensgebenden Weinerzeugers angebaut. Nach der Weinlese steht eine angemietete Kelteranlage für einen Zeitraum von 24 Stunden ausschließlich für die Verarbeitung der Trauben von den gepachteten Rebflächen nach den önologischen Vorgaben des namensgebenden Weinerzeugers zur Verfügung. Dieser befördert anschließend den hergestellten Wein zu seinen Betriebsräumen.

Nach Auffassung des Landes Rheinland-Pfalz darf der namensgebende Weinerzeuger die fraglichen Angaben nicht für den in den Betriebsräumen des anderen Weinerzeugers hergestellten Wein verwenden. Damit bestimmte Angaben, die wie beispielsweise „Weingut“ auf einen namensgebenden Weinbaubetrieb verweisen, verwendet werden dürfen, verlangt das Unionsrecht1 nämlich, dass das Weinbauerzeugnis ausschließlich aus Trauben gewonnen wird, die von Rebflächen dieses Betriebs stammen, und die Weinbereitung vollständig in diesem Betrieb erfolgt.

Das deutsche Verwaltungsgericht, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, hat den Gerichtshof zu der zuletzt genannten Voraussetzung befragt.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass nach dem Unionsrecht die fraglichen Angaben, die eine höhere Qualität gewährleisten sollen, Weinbauerzeugnissen mit geschützter Ursprungsbezeichnung (g. U.) oder geschützter geografischer Angabe (g. g. A.) vorbehalten sind. Das Verwaltungsgericht hat zu prüfen, ob die Rebflächen, die in 70 km Entfernung von dem namensgebenden Weinbaubetrieb angepachtet wurden, von dessen g. U. oder g. g. A. erfasst sind.

Des Weiteren stellt der Gerichtshof fest, dass der Begriff des Betriebs und damit die Verwendung der fraglichen Angaben nicht auf die Flächen beschränkt ist, die im Eigentum des namensgebenden Weinerzeugers stehen oder sich in deren Nähe befinden. Sie können sich auch auf Rebflächen erstrecken, die an einem anderen Ort gepachtet sind, sofern die Arbeiten der Bewirtschaftung und Ernte der Trauben unter der tatsächlichen Leitung, der engen und ständigen Überwachung und der Verantwortung des namensgebenden Weinerzeugers erfolgen.

Wenn diese Voraussetzungen bei der Kelterung in einer für einen kurzen Zeitraum bei einem anderen Betrieb angemieteten Kelteranlage erfüllt sind und diese Kelteranlage für die erforderliche Zeit ausschließlich dem namensgebenden Weinbaubetrieb zur Verfügung gestellt wird, dann kann davon ausgegangen werden, dass die Weinbereitung vollständig im namensgebenden Weinbaubetrieb erfolgt ist.

Dieselben Voraussetzungen gelten darüber hinaus dann, wenn Mitarbeiter des die Kelteranlage vermietenden Weinbaubetriebs die Kelterung durchführen. Dieser Vorgang muss nach den eigenen Vorgaben des namensgebenden Weinbaubetriebs erfolgen. Dieser Betrieb darf sich nicht darauf beschränken, auf etwaige Anweisungen des die Kelteranlage vermietenden Weinbaubetriebs zu verweisen

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 54 Abs. 1 Unterabs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2019/33 der Kommission vom 17. Oktober 2018 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf Anträge auf Schutz von Ursprungsbezeichnungen, geografischen Angaben und traditionellen Begriffen im Weinsektor, das Einspruchsverfahren, Einschränkungen der Verwendung, Änderungen der Produktspezifikationen, die Löschung des Schutzes sowie die Kennzeichnung und Aufmachung in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2021/1375 der Kommission vom 11. Juni 2021 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

der Umstand, dass die Kelterung der von gepachteten Rebflächen stammenden Trauben in einer Anlage stattfindet, die der namensgebende Weinbaubetrieb für einen kurzen Zeitraum bei einem anderen Weinbaubetrieb anmietet, nicht ausschließt, dass die Weinbereitung als im Sinne dieser Bestimmung vollständig im namensgebenden Weinbaubetrieb erfolgt anzusehen ist, sofern diese Anlage für die für den Keltervorgang erforderliche Zeit ausschließlich dem namensgebenden Weinbaubetrieb zur Verfügung gestellt wird und dieser zuletzt genannte Betrieb die tatsächliche Leitung, die enge und ständige Überwachung und die Verantwortung für diesen Vorgang übernimmt.

2. Art. 54 Abs. 1 Unterabs. 2 der Delegierten Verordnung 2019/33 in der durch die Delegierte Verordnung 2021/1375 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

eine Weinbereitung selbst dann vollständig im Sinne dieser Bestimmung im namensgebenden Weinbaubetrieb erfolgt, wenn der Vorgang der Kelterung von Mitarbeitern des dem namensgebenden Weinbaubetrieb die Kelteranlage vermietenden Weinbaubetriebs durchgeführt wurde, sofern der Inhaber des namensgebenden Weinbaubetriebs die tatsächliche Leitung, die enge und ständige Überwachung und die Verantwortung für diesen Vorgang übernimmt. Für die Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass die Weinbereitung im namensgebenden Weinbaubetrieb erfolgt, ist es irrelevant, dass der Weinbaubetrieb, der die Kelteranlage vermietet, ein Eigeninteresse an der Art und Weise der Durchführung der Kelterung hat, insbesondere aufgrund einer Vertragsklausel über einen ertrags- und qualitätsabhängigen Zuschlag je Hektoliter Wein.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OVG Schleswig-Holstein: Videoüberwachung von Trainingsfläche, Herrenumkleide und Sitzbereich durch Fitnessstudio unzulässig

OVG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 13.07.2022
4 LA 11/20


Das OVG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass die Videoüberwachung von Trainingsfläche, Herrenumkleide und Sitzbereich durch ein Fitnessstudio unzulässig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Ernstliche Zweifel an der angegriffenen Entscheidung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten zumindest insoweit infrage gestellt werden, dass der Erfolg des Rechtsmittels bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg. Ferner ist darzulegen, dass und aus welchen Gründen das verwaltungsgerichtliche Urteil auf diesen – aus Sicht der Klägerin fehlerhaften – Erwägungen beruht, d. h. die dargestellten Zweifel müssen im konkreten Fall entscheidungserheblich sein (stRspr des Senats, vgl. Beschl. v. 11.03.2021 – 4 LA 241/19 –, juris Rn. 4; Beschl. v. 27.01.2021 – 4 LA 165/19 –, juris Rn. 4 m. w. N.). Dies leistet das Zulassungsvorbringen nicht.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Verfügung des Beklagten vom 19. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Oktober 2017, mit dem er der Klägerin aufgab, es zu unterlassen, den Bereich der Herrenumkleide (Kamera CH-02 und CH-03), den Bereich der Trainingsfläche (Kamera CH-05 und CH-06) sowie den Aufenthaltsbereich und die Sitzgelegenheiten bei der Getränkezapfanlage (Kamera CH-07) während der Öffnungszeiten ihres Fitnessstudios in Pinneberg mittels optisch-elektronischer Einrichtungen zu beobachten und Bildaufzeichnungen anzufertigen, sowie gespeicherte Aufzeichnungen zu vernichten, seine rechtliche Grundlage in „§ 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG a.F.“ finde. Nach dieser Vorschrift habe die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, welche Maßnahmen sie ergreift, um den datenschutzrechtlich gebotenen Schutz personenbezogener Daten sicherzustellen. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung sinngemäß ferner zugrunde gelegt, dass die streitbefangene Anfertigung von Videoaufnahmen in den genannten Bereichen gegen § 4 Abs. 1 BDSG a.F. verstoße, wonach die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig sei, soweit das Bundesdatenschutzgesetz a.F. oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaube oder anordne oder der Betroffene eingewilligt habe. Bei den Videoaufzeichnungen, die hier der Identifikation der Personen dienten, handele es sich um personenbezogene Daten, die durch die Aufzeichnung verarbeitet und ggf. genutzt würden. Eine Einwilligung der Besucher des Fitnessstudios sei nicht gegeben.

Das Verwaltungsgericht hat des Weiteren ausgeführt, dass die hier in Streit stehende Datenverarbeitung auch nicht gemäß § 6b BDSG a.F. zulässig sei. Danach sei die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig, soweit sie 1. zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, 2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder 3. zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich sei und keine Anhaltspunkte bestünden, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Die sich daraus ergebenden Voraussetzungen für eine zulässige Videoüberwachung lägen nicht vor. Zwar seien hier schutzwürdige Interessen der Klägerin an der Videoüberwachung tangiert. Für den Bereich der Herrenumkleide bestünden allerdings Anhaltspunkte, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwögen. Hier sei die Intimsphäre der Betroffenen berührt. Dies stelle einen besonders intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Die Kameraüberwachung in Umkleidebereichen sei deshalb grundsätzlich unzulässig, weil sich Betroffene hier zum Teil unbekleidet zeigten und durch Kameraaufnahmen das Schamgefühl in erheblicher Weise berührt werde. Aber auch im Bereich der Trainingsfläche überwögen die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen. Hinsichtlich der Überwachung des Aufenthaltsbereichs habe der Beklagte in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Untersagungsverfügung nicht die Videoüberwachung der Automaten und der Getränkezapfanlage umfasse. Betroffen sei allein die Beobachtung des Aufenthaltsbereichs und der Sitzgelegenheiten. Hier ist von der Klägerin schon kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 6b Abs. 2 BDSG a.F. dargelegt worden.

a) Soweit die Klägerin vorträgt, dass sich nicht erschließe, warum die Videoüberwachung in einem Fitnessstudio unzulässig sein solle, weil man sich dort längere Zeit aufhalte, gleichzeitig aber eine ständige Videoüberwachung in einem Verkehrsmittel des Öffentlichen Personennahverkehrs zulässig sein solle, bleibt unklar, auf welche Prüfungspunkte der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sich dieses Vorbringen bezieht. Weder ordnet die Klägerin diesen Vortrag der Prüfung bestimmter Normen oder konkret bezeichneter Tatbestandsvoraussetzungen der herangezogenen Ermächtigungsgrundlage zu, noch lässt sich anderweitig erkennen, welchen tragenden Rechtssatz oder welche entscheidungsrelevante Tatsachenfeststellung sie insoweit beabsichtigt in Frage zu stellen. Das Vorbringen erscheint daher mehr als pauschale Kritik an dem Endergebnis der Entscheidung denn als Darlegung, die aufgrund einer intensiven Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung deren Richtigkeit in Frage zu stellen vermag. Auch im Übrigen fehlt es weitgehend an konkreten Bezugnahmen auf die angegriffene Entscheidung.

b) Es lässt sich insoweit nur vermuten, dass die Klägerin mit ihrem Vortrag zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung der im Rahmen der Prüfung des § 6b BDSG a.F. geäußerten Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen das berechtigte Interesse der Klägerin an der Videoaufzeichnung überwiegen, entgegentritt. Dies bleibt jedoch ohne Erfolg.

aa) Die Klägerin vermag zunächst nicht mit dem sinngemäßen Verweis darauf, dass die Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr zulässig sei, obwohl die Betroffenen dort auch längere Zeit beobachtet würden, dieser Beobachtung nicht ausweichen könnten und auch dort Personal (z.B. der Busfahrer) zur Abwehr von Gefahren zur Verfügung stünde, die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis ernstlich in Zweifel zu ziehen. Denn die Zulässigkeit einer Datenverarbeitung bei anderer Sachlage kann nicht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6b Abs. 1 BDSG a.F. im vorliegenden Fall begründen. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 6b Abs. 1 BDSG a.F. ist auf Seiten der verantwortlichen Stelle insbesondere die Zwecksetzung der Videoüberwachung zu beachten, während auf Seiten der von der Überwachung betroffenen Personen das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung, des Rechtes am eigenen Bild sowie des Schutzes der Privatsphäre von Bedeutung ist. Der Frage der Eingriffsintensität kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Das Gewicht des Eingriffs wird maßgeblich durch Art und Umfang der erfassten Informationen, durch Anlass und Umstände der Erhebung, den betroffenen Personenkreis und die Art und den Umfang der Verwertung der erhobenen Daten bestimmt (OVG Lüneburg, Urt. v. 07.09.2017 – 11 LC 59/16 –, juris Rn. 47 m.w.N.). Die Interessenabwägung ist damit abhängig von den konkreten Gegebenheiten des jeweils zu beurteilenden Falles (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 06.04.2017 – OVG 12 B 7.16 –, juris Rn. 32). Neben dem Umstand, dass die Zulässigkeit der Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr von der Klägerin im Zulassungsverfahren ohnehin nur ohne weitere Darlegungen behauptet wird, ist weder ersichtlich noch dargetan, dass die für eine Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr sprechenden berechtigten Interessen grundsätzlich identisch mit den hier von der Klägerin dargelegten berechtigten Interessen sind oder sein können. Gleiches gilt mit Blick auf die Interessen der Betroffenen. Vielmehr drängt sich hier insbesondere mit Blick auf die Videoüberwachung einer Umkleidekabine ein gewichtiger Unterschied zur Überwachung öffentlicher Verkehrsmittel auf. Daher ist nicht ersichtlich, dass die Interessenabwägung mit Blick auf den Öffentlichen Personennahverkehr zwingend identisch zu der hier vorzunehmenden Interessenabwägung auszufallen hat.

bb) Die Klägerin verweist außerdem darauf, dass das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt habe, dass die Betroffenen ihr Fitnessstudio trotz der Videoüberwachung freiwillig aufsuchten oder die Videoüberwachung möglicherweise gerade in deren Interesse läge, weil diese ihnen ein Gefühl von Sicherheit vermittelte und Straftaten vermeiden könnte. Insoweit kritisiert die Klägerin zwar die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung. Dies jedoch ohne darzulegen, ob und inwieweit die nach ihrer Auffassung begangenen Fehler hier ergebnisrelevant sind, d.h. die Interessenabwägung – trotz der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass hier die Intimsphäre der Besucher betroffen und die Interessen der Klägerin geringer zu bewerten seien bzw. es schon an der Darlegung eines berechtigten Interesses fehle – bei Berücksichtigung der genannten Aspekte zugunsten der Klägerin ausgefallen wäre. Dies ist auch nicht ohne weiteres zu erkennen.

2. Die Klägerin zeigt mit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache nur dann auf, wenn sie voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d. h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Im Tatsächlichen ist dies besonders bei wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen, im Rechtlichen bei neuartigen oder ausgefallenen Rechtsfragen der Fall (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 14.05.1999 – 2 L 244/98 –, juris Rn. 17; Beschl. d. Senats v. 02.10.2020 – 4 LA 141/18 –, juris Rn. 57). Zur Darlegung genügt nicht allein die Behauptung einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit, die problematischen Rechts- und Tatsachenfragen und die Schwierigkeit müssen vielmehr konkret bezeichnet werden. Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und aus welchen Gründen sie sich qualitativ von denjenigen eines Verwaltungsrechtsstreits „durchschnittlicher“ Schwierigkeit abheben (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 16.06.2021 – 3 LA 56/20 –, juris Rn. 23; Beschl. v. 05.03.2021 – 2 LA 214/17 –, juris Rn. 4, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt das Zulassungsvorbringen nicht.

Die Klägerin meint besondere Schwierigkeiten darin zu erkennen, dass das Verwaltungsgericht angenommen habe, dass ein Fitnessstudio ein „öffentlicher Raum“ im Sinne des § 6b BDSG a.F. sei, ohne sich gegebenenfalls mit den Unterschieden zu beispielsweise einem Bahnhofsplatz auseinanderzusetzen. Außerdem sei schwierig, welche Folgen eine Unanwendbarkeit der herangezogenen Rechtsgrundlage habe und dass das Verwaltungsgericht nicht weiter zwischen den rechtfertigenden Gründen einer Videoüberwachung, nämlich der Wahrnehmung des Hausrechts einerseits und der Wahrnehmung berechtigter Interessen andererseits, differenziert habe. Damit sind besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder gar tatsächlicher Art jedoch nicht dargelegt. In diesem Vorbringen ist lediglich eine Kritik an der rechtlichen Prüfung des Verwaltungsgerichts, insbesondere der Subsumtion des Sachverhalts unter die herangezogenen Vorschriften erkennbar. Dass die an die gerichtliche Prüfung zu stellenden Anforderungen ausgefallen oder neuartig und damit als überdurchschnittlich schwierig zu bewerten sind, ergibt sich daraus jedoch nicht.

3. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht. Eine solche erfordert u.a., dass eine konkrete Rechts-(oder Tatsachenfrage) aufgeworfen wird, die klärungsfähig und -bedürftig ist, mithin für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war und dies auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren sein wird, sowie, dass sie bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist. Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen, ist u.a. auszuführen, dass die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (stRspr. des Senats, vgl. Beschl. des v. 17.02.2021 – 4 LA 208/19 –, juris Rn. 67 m.w.N.).

Entsprechende Darlegungen lässt der Antrag auf Zulassung der Berufung vollständig vermissen. Es fehlt bereits an der Formulierung einer konkreten, grundsatzbedeutsamen Frage. Der bloße Verweis darauf, dass hier die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der in Streit stehenden Ordnungsverfügung bzw. die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Videoüberwachung im allgemeinen Interesse lägen, genügt insoweit nicht. Daneben ist im Übrigen auch nicht dargelegt, ob und inwieweit bereits Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Videoüberwachung ergangen ist und inwieweit sich die Zulässigkeit einer solchen allgemeingültig, d.h. losgelöst vom jeweiligen konkreten Sachverhalt, beantworten lässt.


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LG Saarbrücken: Kein Anspruch auf Entfernung einer Videokamera auf Nachbargrundstück wenn durch Neuausrichtung der Kamera unzulässige Videoüberwachung verhindert werden kann

LG Saarbrücken
Urteil vom 13.10.2023
13 S 32/23


Das LG Saarbrücken hat entschieden,, dass kein Anspruch auf Entfernung einer Videokamera auf einem Nachbargrundstück besteht, wenn durch Neuausrichtung der Kamera eine unzulässige Videoüberwachung verhindert werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Kläger steht schon deshalb kein Anspruch auf Entfernung der installierten Kameras aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zu, weil ein Störer nur dann zu einer konkreten Maßnahme verurteilt werden kann, wenn allein diese Maßnahme den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 98/03 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; LG Hamburg, Urteil vom 28. Dezember 2018 – 306 O 95/18 –, juris, Rn. 31). Hier sind neben der Entfernung als einschneidenste Maßnahme auch andere Abhilfemöglichkeiten denkbar, durch die der Kläger in gleicher Weise geschützt werden könnte. Es käme – sofern der klägerische Bereich betroffen wäre – insbesondere eine Neuausrichtung der Kameras dergestalt in Betracht, dass nur noch solche Grundstücksteile betroffen sind, welche nicht zu dem Bereich des Klägers gehören.

Dem Kläger steht auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung der Videoaufzeichnungen, soweit sie sein Grundstück betreffen, aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB nicht zu.

Der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als offenes Rahmenrecht entspricht es, dass sein Inhalt nicht abschließend umschrieben ist, sondern seine Ausprägungen jeweils anhand des zu entscheidenden Falls herausgearbeitet werden müssen (BGH, Urteil vom 26. November 2019 – VI ZR 12/19 –, juris, Rn. 13). In den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt u.a. das Recht der informationellen Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 –, juris, Rn. 37 m.w.N.; BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 11 m.w.N.). Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit wird gefährdet, wenn jederzeit mit der Beobachtung durch Personen gerechnet werden muss, die man selbst nicht sehen kann oder wenn die reproduzierbare Aufzeichnung des eigenen Verhaltens droht. Denn durch eine Video- und Tonaufzeichnung können Lebensvorgänge technisch fixiert und in der Folge abgerufen, aufbereitet und gegebenenfalls ausgewertet werden. Hierdurch können eine Vielzahl von Informationen über die Betroffenen, ihre Familienmitglieder, Freunde und Besucher gewonnen werden. Auch kann das durch die Überwachung gewonnene Material dazu genutzt werden, das Verhalten des Betroffenen zu beeinflussen, indem "belastendes" Material über ihn gesammelt wird (LG Essen, Urteil vom 30. Januar 2019 – 12 O 62/18 –, juris, Rn. 29). Bei der Installation von Anlagen der Videoüberwachung auf einem Privatgrundstück muss deshalb sichergestellt sein, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen von den Kameras erfasst werden, sofern nicht ein das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen überwiegendes Interesse des Betreibers der Anlage im Rahmen der Abwägung bejaht werden kann (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 11 m.w.N.).

Vorliegend ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers schon nicht betroffen. Hierbei kommt es jedoch auf die erstinstanzlichen Feststellungen des Amtsgerichts hinsichtlich des Erfassungsbereichs der damaligen Kameras in der Berufungsinstanz nicht mehr an. Demnach spielt es zweitinstanzlich auch keine Rolle, dass eine Verpixelung oder Schwärzung eines Bildausschnitts in einer App grundsätzlich nicht ausreicht, um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu verneinen (vgl. hierzu LG Berlin, Urteil vom 23. Juli 2015 – 57 S 215/14 –, juris, Rn. 5). Denn der Beklagte installierte während des laufenden Berufungsverfahrens zwei neue Kameras, nachdem der Kläger die noch erstinstanzlich vorhandene Kamera mit einem Stock abgeschlagen und beschädigt hat. Die beiden neuen Kameras können nun aber nur noch das eigene Grundstück des Beklagten sowie einen kleinen Teilbereich des Gartens des klägerischen Grundstücks erfassen. Hiervon konnte sich die Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2023 durch Einsichtnahme in die Videoübermittlungen des Beklagten auf dessen Mobiltelefon überzeugen. Da der teilweise erfasste Garten des klägerischen Grundstücks durch die Vermieterin des Klägers nicht an diesen mitvermietet wurde, hat der Kläger aber kein Recht, den von der Kamera betroffenen Bereich zu betreten. Schon deshalb ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht betroffen. Im Übrigen ist die Vermieterin des Klägers unstreitig mit einer etwaigen Aufnahme ihres Gartens einverstanden (vgl. Bl. 19 d.eAkte).

Die erstmals während der Berufung vorgetragenen Tatsachen betreffend den Wirkbereich der beiden neuen Kameras sowie den Umfang des an den Kläger vermieteten Teils des Grundstücks sind in der zweiten Instanz zuzulassen, da diese unstreitig sind. Unstreitige Tatsachen sind unabhängig von den Voraussetzungen des § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO stets zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 18. November 2004 – IX ZR 229/03 –, juris, Rn. 11 ff. und Beschluss vom 8. Mai 2018 – XI ZR 538/17 –, juris, Rn. 25; Heßler in: Zöller, 34. Auflage 2022, § 531 ZPO Rn. 20).

Auch mit Hilfe der Rechtsfigur des „Überwachungsdruckes“ kann der Kläger keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB herleiten. Ein solcher Anspruch kann bestehen, wenn eine Überwachung durch Kameras objektiv ernsthaft befürchtet werden muss (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 13; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 2011 – V ZR 265/10 –, juris, Rn. 9). Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon aufgrund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. Deshalb ist die Installation einer Überwachungsanlage auf einem privaten Grundstück nicht rechtswidrig, wenn objektiv feststeht, dass dadurch öffentliche und fremde private Flächen nicht erfasst werden, wenn eine solche Erfassung nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage möglich ist und wenn auch sonst Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden (BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 176/09 –, juris, Rn. 14; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 2011 – V ZR 265/10 –, juris, Rn. 9). Wie oben bereits dargelegt erfassen die neuen Kameras nur Bereiche, welche nicht dem Lebensbereich des Klägers zuzuordnen sind. Zudem hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass die jetzt installierte Kamera nicht per Fernbedienung, sondern nur manuell bewegt werden kann, sodass eine Veränderung des Wirkbereichs der Kamera nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage erfolgen kann. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist damit nicht berührt.

Ob die Voraussetzungen für die klägerseits begehrte Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vorliegen, kann aus den oben genannten Gründen dahinstehen.


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LAG Baden-Württemberg: 10.000 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen unautorisierter Verwendung von Video- und Fotoaufnahmen durch ehemaligen Arbeitgeber

LAG Baden-Württemberg
Urteil vom 27.7.2023
3 Sa 33/22

Das LAG Baden-Württemberg hat entschieden, dass ein ehemaliger Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber in Höhe von 10.000 EURO aus Art. 82 DSGVO wegen der unautorisierten Verwendung von Video- und Fotoaufnahmen hat..

Aus den Entscheidungsgründen:
Auf die Berufung des Klägers waren diesem wegen der unautorisierten Verwendung ihn betreffenden Bildmaterials in Video- und Fotoaufnahmen nicht nur 3.000,00 EUR, sondern 10.000,00 EUR als Schadensersatz zuzusprechen.

1. Wegen der Verpflichtung der Beklagten dem Grunde nach zur Zahlung von Schadensersatz wegen Verstoßes gegen Art. 17 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 82 Abs. 1 DSGVO bzw. zur Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers durch die Nutzung von Film- und Fotoaufnahmen, die den Kläger erkennbar über längeren Zeitraum zeigen, kann zunächst auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II. 2. lit. b der Entscheidungsgründe seines Urteils (Bl. 214 bis 217 d. ArbG-Akte) verwiesen werden. Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung liegen neben der Sache.

Wenn die Beklagte ausführt, dass „zwischen den Parteien abgestimmt gewesen“ sei, dass die Beklagte das Schulungsvideo auch nach Ausscheiden des Klägers vollumfänglich mit dem Bild des Klägers weiter nutzen könne, so ist nicht ansatzweise ersichtlich, wer - bei der Beklagten handelt es sich um eine juristische Person - mit wem wann welche konkrete Regelung vereinbart haben soll. Der Kläger hat eine entsprechende Abrede bestritten.

Auch wenn der Kläger im Zeitpunkt des Anfertigens des Bildmaterials hiermit und mit der Verwertung des Bildmaterials zu Werbezwecken für die Beklagte einverstanden war, so bedeutet dies nicht, dass dieses Einverständnis über den Zeitpunkt seines Ausscheidens bei der Beklagten hinaus fortbestand, zumal der Kläger in unmittelbarem zeitlichen Anschluss in vergleichbarer Position bei einem Wettbewerber tätig wurde. Vielmehr hätte die Beklagte sämtliche Bildnisse des Klägers von sich aus spätestens im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus ihren Werbemedien entfernen müssen (vgl. ArbG Neuruppin 14. Dezember 2021 - 2 Ca 554/21 - ZD 2022, 396). Dies hat die Beklagte jedoch nicht getan, sondern in der Folgezeit ein das Persönlichkeitsrecht des Klägers in erheblichem Maße beeinträchtigendes Verhalten an den Tag gelegt.

a) Im Ansatz zu Recht gibt die Beklagte an, dass nicht jedwede Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, also auch nicht jede Verletzung des Rechts am eigenen Bild, einen Anspruch des Betroffenen auf eine Geldentschädigung gegen den Urheber auslöst (BGH 12. Dezember 1995 - VI ZR 223/94 - NJW 1996, 984). Erforderlich ist vielmehr eine Bewertung aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also das Ausmaß der Verbreitung der Veröffentlichung, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen. Bei Verletzungen des Rechts am eigenen Bild sind im Regelfall geringere Anforderungen an die Zusprechung einer Geldentschädigung zu stellen, da die Rechtsverletzung, anders als bei das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigenden Äußerungen, regelmäßig nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (BGH 17. Dezember 2013 - VI ZR 211/12 - BGHZ 199, 237). Bei dieser Entschädigung steht regelmäßig der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Prävention dienen.

Im vorliegenden Fall liegt eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers vor. Auch wenn dieser zunächst mit der Anfertigung von Bildnissen einverstanden war und diese möglicherweise aktiv befördert hat, war für die Beklagte ohne Weiteres ersichtlich, dass dies jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers und seines Wechsels zu einem Konkurrenzunternehmen nicht mehr der Fall war. Die Beklagte hat dennoch weder von sich aus und zunächst auch nicht auf mehrmaliges Drängen des Klägers die Foto- und Videoaufnahmen mit dem Kläger aus ihren Werbemedien entfernt, sondern dies erst im Februar 2020 und somit über 9 Monate nach seinem Ausscheiden vollständig getan.

b) Nicht ausreichend berücksichtigt hat das Arbeitsgericht bei der Festsetzung der Höhe der Geldentschädigung, dass die Beklagte den Kläger über den Bestand des Arbeitsverhältnisses hinaus zur Verfolgung eigener kommerzieller Interessen eingesetzt hat. Dies bedeutet zwar nicht, dass eine „Gewinnabschöpfung“ vorzunehmen ist, wohl aber, dass die Erzielung von Gewinnen aus der Rechtsverletzung als Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung mit einzubeziehen ist. In solchen Fällen muss von der Höhe der Geldentschädigung ein echter Hemmungseffekt ausgehen; als weiterer Bemessungsfaktor kann die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung berücksichtigt werden (BGH 5. Dezember 1995 - VI ZR 332/94 - NJW 1996, 984).

Die Beklagte hat die Angaben des Klägers nicht substanziiert bestritten, wonach sie im Zeitraum vom 1. Mai 2019 bis 21. Februar 2020 viertägige Lehrgänge zum Erlernen von Foliertechniken angeboten habe, die zum Preis von 1.999,00 EUR von ca. 6 Personen je Lehrgang besucht worden seien. Dabei habe die Beklagte etwa 7.000,00 EUR Gewinn je Lehrgang vereinnahmt. Wie die Erörterungen in den mündlichen Verhandlungen vor der Berufungskammer ergeben haben, kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass die Teilnehmer des Lehrgangs aufgrund des den Kläger zeigenden Werbematerials speziell wegen der Person des Klägers bei der Beklagten gebucht haben. Die Beklagte hat nicht mit dem Namen des Klägers geworben, der auch selbst nicht behauptet hat, in der Branche bekannt gewesen zu sein, weshalb Teilnehmer gezielt Schulungen mit ihm besucht haben könnten. Andererseits hat die Beklagte selbst vorgetragen, dass der Kläger seine jetzige Position bei Mitbewerbern auch deshalb bekleide, weil er durch die entsprechenden Schulungen und Veröffentlichungen bekannt geworden sei. Somit hat die Beklagte einen gewissen Werbeeffekt ausgenutzt, was bei der Bemessung des Entschädigungsbetrags zu berücksichtigen ist ebenso wie der Umstand, dass sie vermeiden wollte, das mit viel Aufwand und Kosten angefertigte Schulungsvideo nicht mehr unverändert verwerten zu können.

c) Unter Abwägung dieser Umstände hält die Kammer einen Entschädigungsbetrag von 10.000,00 EUR für angemessen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Prävention nicht anspruchserhöhend wirkt sich die anwaltliche Vertretung der Beklagten spätestens seit Anfang Februar 2020 aus (vgl. BAG 5. Mai 2022 - 2 AZR 263/21 - NZA 2022, 1191).


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Volltext BVerwG liegt vor: Social Media-Auftritte der öffentlichen Verwaltung mit Kommentarfunktion können mitbestimmungspflichtig sein

BVerwG
Beschluss vom 04.05.2023
5 P 16.21


Wir hatten bereits in dem Beitrag BVerwG: Social Media-Auftritte der öffentlichen Verwaltung mit freigeschalteter Kommentarfunktion können mitbestimmungspflichtige Überwachungseinrichtungen sein über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des Bundesverwaltungsgerichts:
Betreibt eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien eigene Seiten oder Kanäle, kann wegen der für alle Nutzer bestehenden Möglichkeit, dort eingestellte Beiträge zu kommentieren, eine technische Einrichtung zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung von Beschäftigten vorliegen, deren Einrichtung oder Anwendung der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt. Diese Frage entzieht sich einer generellen Beantwortung, sondern ist nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen.

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EU-Kommission: EU-US Data Privacy Framework - Angemessenheitsbeschluss für sicheren und vertrauenswürdigen Datenverkehr zwischen der EU und den USA

Die EU-Kommission hat einen neuen Angemessenheitsbeschluss für den sicheren und vertrauenswürdigen Datenverkehr zwischen der EU und den USA erlassen (EU-US Data Privacy Framework).

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:
Datenschutz: Europäische Kommission erlässt neuen Angemessenheitsbeschluss für einen sicheren und vertrauenswürdigen Datenverkehr zwischen der EU und den USA

Die Europäische Kommission hat heute ihren Angemessenheitsbeschluss für den Datenschutzrahmen EU-USA angenommen. In dem Beschluss wird festgelegt, dass die Vereinigten Staaten ein angemessenes Schutzniveau – vergleichbar mit dem der Europäischen Union – für personenbezogene Daten gewährleisten, die innerhalb des neuen Rahmens aus der EU an US-Unternehmen übermittelt werden. Auf der Grundlage des neuen Angemessenheitsbeschlusses können personenbezogene Daten sicher aus der EU an US-Unternehmen übermittelt werden, die am Rahmen teilnehmen, ohne dass zusätzliche Datenschutzgarantien eingeführt werden müssen.

Mit dem Datenschutzrahmen EU-USA werden neue verbindliche Garantien eingeführt, um allen vom Europäischen Gerichtshof geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen; so ist vorgesehen, dass der Zugang von US-Nachrichtendiensten zu EU-Daten auf ein notwendiges und verhältnismäßiges Maß beschränkt ist und ein Gericht zur Datenschutzüberprüfung (Data Protection Review Court, DPRC) geschaffen wird, zu dem Einzelpersonen in der EU Zugang haben. Der neue Rahmen bringt erhebliche Verbesserungen gegenüber dem im Rahmen des Datenschutzschilds bestehenden Mechanismus mit sich. Stellt das Gericht zur Datenschutzüberprüfung beispielsweise fest, dass bei der Datenerhebung gegen die neuen Garantien verstoßen wurde, kann es die Löschung der Daten anordnen. Die neuen Garantien im Bereich des staatlichen Zugriffs auf Daten werden die Pflichten ergänzen, denen US-Unternehmen, die Daten aus der EU einführen, nachkommen müssen.

Präsidentin Ursula von der Leyen erklärte: „Der neue Datenschutzrahmen EU-USA wird einen sicheren Datenverkehr für die Europäerinnen und Europäer gewährleisten und den Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks Rechtssicherheit bieten. Nach der grundsätzlichen Einigung, die ich im vergangenen Jahr mit Präsident Biden erzielt habe, haben die USA beispiellose Zusagen zur Schaffung des neuen Rahmens gemacht. Heute kommen wir einen wichtigen Schritt dabei voran, den Bürgerinnen und Bürgern Vertrauen in die Sicherheit ihrer Daten zu geben, unsere wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und den USA zu vertiefen und gleichzeitig unsere gemeinsamen Werte zu stärken. Der Rahmen zeigt, dass wir durch Zusammenarbeit die komplexesten Fragen angehen können.“

US-Unternehmen können sich dem Datenschutzrahmen EU-USA anschließen, indem sie sich zur Einhaltung detaillierter Datenschutzpflichten verpflichten, darunter beispielsweise die Pflichten, personenbezogene Daten zu löschen, wenn sie für den Zweck, für den sie erhoben wurden, nicht mehr erforderlich sind, und den Fortbestand des Schutzes zu gewährleisten, wenn personenbezogene Daten an Dritte weitergegeben werden.

Den EU-Bürgerinnen und -Bürgern werden mehrere Rechtsbehelfe offen stehen, falls ihre Daten von US-Unternehmen nicht ordnungsgemäß behandelt werden. Dazu gehören kostenlose unabhängige Streitbeilegungsmechanismen und eine Schiedsstelle.

Darüber hinaus sieht der US-Rechtsrahmen bestimmte Garantien in Bezug auf den Zugang von US-Behörden zu innerhalb des Rahmens übermittelten Daten vor, insbesondere für Datenzugriffe zum Zwecke der Strafverfolgung und der nationalen Sicherheit. Der Zugang zu Daten ist auf das zum Schutz der nationalen Sicherheit notwendige und verhältnismäßige Maß beschränkt.

Einzelpersonen in der EU werden im Zusammenhang mit der Erhebung und Verwendung ihrer Daten durch US-Nachrichtendienste auf ein unabhängiges und unparteiisches Rechtsbehelfsverfahren zurückgreifen können, das auch die Befassung eines neu geschaffenen Gerichts zur Datenschutzüberprüfung einschließt. Dieses Gericht soll etwaige Beschwerden unabhängig untersuchen und beilegen, unter anderem durch die Anordnung verbindlicher Abhilfemaßnahmen.

Die von den Vereinigten Staaten eingeführten Garantien werden zudem den transatlantischen Datenverkehr generell erleichtern, da sie auch für die Übermittlung von Daten unter Verwendung anderer Instrumente wie Standardvertragsklauseln und verbindliche unternehmensinterne Vorschriften gelten.

Nächste Schritte

Die Funktionsweise des Datenschutzrahmens EU-USA soll regelmäßig gemeinsam von der Europäischen Kommission und Vertretern der europäischen Datenschutzbehörden sowie der zuständigen US-Behörden überprüft werden.

Die erste Überprüfung soll binnen eines Jahres nach dem Inkrafttreten des Angemessenheitsbeschlusses erfolgen, um zu ermitteln, ob alle einschlägigen Elemente vollständig im US-Rechtsrahmen umgesetzt wurden und in der Praxis wirksam funktionieren.

Hintergrund

Gemäß Artikel 45 Absatz 3 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) kann die Kommission im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließen, dass ein Drittland ein „angemessenes Schutzniveau“ bietet, das heißt einen Schutz personenbezogener Daten, der dem in der EU gebotenen Schutz der Sache nach gleichwertig ist. Angemessenheitsbeschlüsse haben zur Folge, dass personenbezogene Daten aus der EU (sowie aus Norwegen, Liechtenstein und Island) in ein Drittland übermittelt werden können, ohne dass es weiterer Schutzmaßnahmen bedarf.

Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union den vorherigen Angemessenheitsbeschluss zum Datenschutzschild EU-USA für ungültig erklärt hatte, nahmen die Europäische Kommission und die US-Regierung Gespräche über einen neuen Rahmen auf, in dem die vom Gerichtshof erhobenen Bedenken angegangen wurden.

Im März 2022 gaben Präsidentin von der Leyen und Präsident Biden bekannt, dass sie im Anschluss an die Verhandlungen zwischen Kommissionsmitglied Reynders und US-Handelsministerin Raimondo eine grundsätzliche Einigung über einen neuen transatlantischen Rahmen für den Datenverkehr erzielt haben. Im Oktober 2022 unterzeichnete Präsident Biden ein einschlägiges Dekret („Executive Order on Enhancing Safeguards for United States Signals Intelligence Activities“), das durch Verordnungen des US-Generalstaatsanwalts Garland ergänzt wurde. Mit diesen beiden Instrumenten wurden die von den Vereinigten Staaten im Rahmen dieser grundsätzlichen Einigung eingegangenen Verpflichtungen in US-amerikanisches Recht umgesetzt und die Pflichten der US-amerikanischen Unternehmen innerhalb des Datenschutzrahmens EU‑USA ergänzt.

Ein wesentliches Element des US-Rechtsrahmens, in dem diese Garantien verankert sind, ist das US-Dekret zur Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen für nachrichtendienstliche Tätigkeiten der Vereinigten Staaten im Bereich Fernmelde- und elektronische Aufklärung („Enhancing Safeguards for United States Signals Intelligence Activities“), in dem die vom Gerichtshof der Europäischen Union im „Schrems II“-Urteil vom Juli 2020 angeführten Kritikpunkte aufgegriffen werden.

Der Rahmen wird vom US-Handelsministerium verwaltet und überwacht. Die US-amerikanische Federal Trade Commission wird die Einhaltung der Vorschriften durch US-Unternehmen durchsetzen.


Den Angemessenheitsbeschluss finden Sie hier:

BVerwG: Social Media-Auftritte der öffentlichen Verwaltung mit freigeschalteter Kommentarfunktion können mitbestimmungspflichtige Überwachungseinrichtungen sein

BVerwG
Beschluss vom 04.05.2023
5 P 16.21


Das BVerwG hat entschieden, dass Social Media-Auftritte der öffentlichen Verwaltung mit freigeschalteter Kommentarfunktion mitbestimmungspflichtige Überwachungseinrichtungen sein können.

Die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts:
Soziale Medien mit Kommentarfunktion können mitbestimmungspflichtige Überwachungseinrichtungen sein

Betreibt eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien eigene Seiten oder Kanäle, kann wegen der für alle Nutzer bestehenden Möglichkeit, dort eingestellte Beiträge zu kommentieren, eine technische Einrichtung zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung von Beschäftigten vorliegen, deren Einrichtung oder Anwendung der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund unterhält (teilweise zusammen mit anderen Rentenversicherungsträgern) im Rahmen ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und zur Personalgewinnung bei Facebook, Instagram und Twitter eigene Seiten und Kanäle. Von ihr dort eingestellte Beiträge können Nutzer nach eigenem Belieben kommentieren und dabei auch Verhalten oder Leistung einzelner Beschäftigter thematisieren. Beiträge und Kommentare werden von den sozialen Medien gespeichert, aber dort nicht für die Dienststelle ausgewertet. Während das Verwaltungsgericht ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats bejaht hat, hat das Oberverwaltungsgericht dessen Bestehen verneint.

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Frage, ob die Einrichtung oder Anwendung von Seiten oder Kanälen mit Kommentarfunktion, die eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien unterhält, der Mitbestimmung durch den Personalrat unterliegen, nicht generell, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles beantwortet werden kann. Nach der einschlägigen Regelung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG) hat der Personalrat mitzubestimmen bei der Einrichtung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen (§ 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG in der bis zum 14. Juni 2021 und inhaltsgleich nunmehr § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG in der seither geltenden Fassung). Dieses Mitbestimmungsrecht dient dem Schutz der Persönlichkeit der Beschäftigten am Arbeitsplatz und soll gewährleisten, dass Beschäftigte nicht durch eine technische Einrichtung eine ständige Überwachung befürchten müssen und dadurch unter einen Überwachungsdruck geraten. Dieser Schutzzweck gebietet es entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts, bereits das Speichern von Nutzerkommentaren mit verhaltens- oder leistungsbezogenen Angaben als selbstständige (Überwachungs-)Leistung einer technischen Einrichtung anzusehen. Denn es birgt grundsätzlich die Gefahr in sich, dass die Dienststelle diese Daten auch auswertet, wodurch ein Überwachungsdruck bei den Beschäftigten erzeugt werden kann. Das Speichern der in Rede stehenden Kommentare kann zudem zur Überwachung der Beschäftigten "bestimmt" sein. Für ein solches Bestimmtsein reicht es aus, dass die Datenspeicherung objektiv zur Überwachung geeignet ist.

Ob das der Fall ist, hängt beim Betreiben der in Rede stehenden sozialen Medien wegen der ungewissen, nur möglichen Eingabe entsprechender Verhaltens- oder Leistungsdaten durch Dritte in tatsächlicher Hinsicht davon ab, ob bei objektiver Betrachtung im konkreten Fall eine nach Maßgabe des Schutzzwecks des Mitbestimmungstatbestandes hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Einstellen entsprechender Nutzerkommentare gegeben ist. Hierfür ist zunächst die Konzeption des von der Dienststellenleitung verantworteten Auftritts der Dienststelle in den sozialen Medien von Bedeutung. Berichtet die Dienststellenleitung beispielsweise selbst über konkrete Beschäftigte und ihr Tätigkeitsfeld und lenkt damit den Blick des Publikums auf das dienstliche Verhalten und die Leistung von Beschäftigten, können hierauf bezogene Nutzerkommentare erwartet werden. Demgegenüber wird von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit für die Anbringung entsprechender Kommentare in der Regel nicht auszugehen sein, wenn Auftritte der Dienststelle in sozialen Medien sachbezogen in allgemeiner Form lediglich über Aufgaben der Dienststelle oder etwa ohne Bezüge zu bestimmten Beschäftigten in Form von Pressemitteilungen über die Tätigkeit der Dienststelle informieren. Darüber hinaus ist das tatsächliche Verhalten der Nutzer in eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Kommt es insbesondere erst im Verlaufe des Betriebs zu einer nennenswerten Zahl verhaltens- oder leistungsbezogener Nutzerkommentare, kann die Überwachungseignung eine gegenüber der ursprünglichen Prognose andere Relevanz erhalten und zu bejahen sein. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Betrachters das Entstehen eines Überwachungsdrucks deshalb nicht anzunehmen ist, weil die Dienststellenleitung derartige Kommentare ohne vorherige Auswertung schnellstmöglich löscht.

Da das Oberverwaltungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – die danach erforderlichen tatsächlichen Feststellungen bislang nicht getroffen hat, war der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuverweisen.


BVerwG 5 P 16.21 - Beschluss vom 04. Mai 2023

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, OVG 62 PV 5/20 - Beschluss vom 04. August 2021 -

VG Berlin, VG 72 K 7.19 PVB - Beschluss vom 29. Mai 2020 -


OVG Münster: Gegenvorstellungsverfahren nach § 3b NetzDG gilt nicht für Anbieter sozialer Netzwerke die in anderen EU-Staaten ansässig sind - Meta

OVG Münster
Beschluss vom 21.03.2023
13 B 381/22


Das OVG Münster hat entschieden, dass das Gegenvorstellungsverfahren nach § 3b NetzDG nicht für Anbieter sozialer Netzwerke gilt, die nicht in Deutschland, sondern in einem anderen EU-Staat ansässig sind (siehe zur Vorinstanz: VG Köln: Neuregelungen im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) teilweise unionsrechtswidrig - Eilanträge von Google und Meta / Facebook).

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Gegenvorstellungsverfahren nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz teilweise nicht anwendbar

Die in § 3b des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz - NetzDG) vorgesehene Pflicht, ein Gegenvorstellungsverfahren vorzuhalten, ist auf in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässige Anbieter sozialer Netzwerke teilweise nicht anwendbar. Das hat das Oberverwaltungsgericht heute vorläufig festgestellt und damit einen Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Köln teilweise geändert.

Die in Irland ansässige Antragstellerin ist ein Unternehmen des Meta-Konzerns und bietet die sozialen Netzwerke Facebook und Instagram für Nutzer in Deutschland an. Sie hatte im Wege des Eilrechtsschutzes gegenüber der Bundesrepublik Deutschland die vorläufige Feststellung begehrt, dass sie den Pflichten nach § 3a und § 3b NetzDG nicht unterliegt. § 3a NetzDG verpflichtet Anbieter sozialer Netzwerke, ihnen gemeldete rechtswidrige Inhalte auf das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für bestimmte Straftatbestände zu prüfen und die fraglichen Inhalte zusammen mit bestimmten Nutzerangaben gegebenenfalls an das Bundeskriminalamt zu melden. § 3b NetzDG verlangt von Anbietern sozialer Netzwerke, ein wirksames und transparentes Gegenvorstellungsverfahren vorzuhalten. Das soll Nutzern ermöglichen, eine Entscheidung des Anbieters des sozialen Netzwerks darüber, ob er einen bestimmten Inhalt entfernt bzw. den Zugang zu ihm sperrt, durch den Anbieter überprüfen zu lassen. Das Verwaltungsgericht Köln hat dem Eilantrag am 1. März 2022 hinsichtlich der Verpflichtungen nach § 3a NetzDG stattgegeben; insoweit ist der Beschluss nicht angegriffen worden. Im Übrigen, also in Bezug auf das Gegenvorstellungsverfahren nach § 3b NetzDG, hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag abgelehnt. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde.

Die Beschwerde war teilweise erfolgreich. Die Antragstellerin ist vorläufig nicht verpflichtet, Gegenvorstellungsverfahren zu Entscheidungen über die Löschung oder Sperrung strafrechtlich relevanter Inhalte bei sogenannten NetzDG-Beschwerden vorzuhalten (§ 3b Abs. 1 und 2 NetzDG). Der 13. Senat hat dazu ausgeführt, dass die Anwendung dieser Vorschrift auf Anbieter sozialer Netzwerke, die wie die Antragstellerin in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässig sind, gegen das in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce-Richtlinie) verankerte Herkunftslandprinzip verstoßen dürfte. Das unionsrechtliche Herkunftslandprinzip dient dem freien Dienstleistungsverkehr und bestimmt, dass Dienste der Informationsgesellschaft, zu denen auch soziale Netzwerke gehören, grundsätzlich nur dem Recht des Mitgliedstaats unterliegen, in dem der Anbieter niedergelassen ist (hier also Irland). Soweit die E-Commerce-Richtlinie den Mitgliedstaaten die Befugnis einräumt, Verfahren für die Löschung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festzulegen, dürfte sie nur Regelungen für in dem jeweiligen Mitgliedstaat ansässige Anbieter erlauben. Eine Abweichung vom Herkunftslandprinzip wäre daher nur unter den dafür ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen zulässig. Diese dürften hier aber schon deshalb nicht erfüllt sein, weil die Bundesrepublik Deutschland die maßgeblichen verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht eingehalten hat. Vor der Einführung von § 3b NetzDG hat sie die EU-Kommission sowie die betroffenen Sitzmitgliedstaaten der Anbieter sozialer Netzwerke nicht informiert bzw. letztere nicht erfolglos dazu aufgefordert, selbst Maßnahmen zu ergreifen. Davon durfte sie auch nicht im Rahmen eines sogenannten Dringlichkeitsverfahrens abweichen.

Hinsichtlich der Pflicht zur Vorhaltung eines Gegenvorstellungsverfahrens zu Entscheidungen über die Löschung oder Sperrung sonstiger Inhalte (§ 3b Abs. 3 NetzDG) - dies betrifft etwa gegen die Gemeinschaftsstandards bzw. -richtlinien von Facebook oder Instagram verstoßende Inhalte - hatte die Beschwerde hingegen keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den auf vorbeugenden Rechtsschutz gerichteten Eilantrag insoweit zu Recht als unzulässig abgelehnt. Anders als die Pflicht nach § 3b Abs. 1 und 2 NetzDG ist die Pflicht zu einem Gegenvorstellungsverfahren nach § 3b Abs. 3 NetzDG nicht bußgeldbewehrt. Der Antragstellerin ist es daher insoweit zuzumuten, sich gegen etwaige Maßnahmen der zuständigen Aufsichtsbehörde (Bundesamt für Justiz) im Wege des nachträglichen Rechtsschutzes zur Wehr zu setzen.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: 13 B 381/22 (I. Instanz: VG Köln 6 L 1354/21)

Weitere Hinweise:

§ 3b NetzDG (Gegenvorstellungsverfahren)

(1) 1Der Anbieter eines sozialen Netzwerks muss ein wirksames und transparentes Verfahren nach Absatz 2 vorhalten, mit dem sowohl der Beschwerdeführer als auch der Nutzer, für den der beanstandete Inhalt gespeichert wurde, eine Überprüfung einer zu einer Beschwerde über rechtswidrige Inhalte getroffenen Entscheidung über die Entfernung oder die Sperrung des Zugangs zu einem Inhalt (ursprüngliche Entscheidung) herbeiführen kann; ausgenommen sind die Fälle des § 3 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 Buchstabe b. 2Der Überprüfung bedarf es nur, wenn der Beschwerdeführer oder der Nutzer, für den der beanstandete Inhalt gespeichert wurde, unter Angabe von Gründen einen Antrag auf Überprüfung innerhalb von zwei Wochen nach der Information über die ursprüngliche Entscheidung stellt (Gegenvorstellung). 3Der Anbieter des sozialen Netzwerks muss zu diesem Zweck ein leicht erkennbares Verfahren zur Verfügung stellen, das eine einfache elektronische Kontaktaufnahme und eine unmittelbare Kommunikation mit ihm ermöglicht. 4Die Möglichkeit der Kontaktaufnahme muss auch im Rahmen der Unterrichtung nach § 3 Absatz 2 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe b eröffnet werden.

(2) Das Verfahren nach Absatz 1 Satz 1 muss gewährleisten, dass der Anbieter des sozialen Netzwerks

1. für den Fall, dass er der Gegenvorstellung abhelfen möchte, im Fall einer Gegenvorstellung des Beschwerdeführers den Nutzer und im Fall einer Gegenvorstellung des Nutzers den Beschwerdeführer über den Inhalt der Gegenvorstellung unverzüglich informiert sowie im ersten Fall dem Nutzer und im zweiten Fall dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist gibt,

2. darauf hinweist, dass der Inhalt einer Stellungnahme des Nutzers an den Beschwerdeführer sowie der Inhalt einer Stellungnahme des Beschwerdeführers an den Nutzer weitergegeben werden kann,

3. seine ursprüngliche Entscheidung unverzüglich einer Überprüfung durch eine mit der ursprünglichen Entscheidung nicht befasste Person unterzieht,

4. seine Überprüfungsentscheidung dem Beschwerdeführer und dem Nutzer unverzüglich übermittelt und einzelfallbezogen begründet, in den Fällen der Nichtabhilfe dem Beschwerdeführer und dem Nutzer jedoch nur insoweit, wie diese am Gegenvorstellungsverfahren bereits beteiligt waren, und

5. sicherstellt, dass eine Offenlegung der Identität des Beschwerdeführers und des Nutzers in dem Verfahren nicht erfolgt.

(3) 1Sofern einer Entscheidung über die Entfernung oder die Sperrung des Zugangs zu einem Inhalt keine Beschwerde über rechtswidrige Inhalte zugrunde liegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. 2Liegt der Entscheidung eine Beanstandung des Inhalts durch Dritte zugrunde, tritt an die Stelle des Beschwerdeführers diejenige Person, welche die Beanstandung dem Anbieter des sozialen Netzwerks übermittelt hat. 3Abweichend von Absatz 2 Nummer 3 ist es nicht erforderlich, dass die Überprüfung durch eine mit der ursprünglichen Entscheidung nicht befasste Person erfolgt. 4Abweichend von Absatz 1 Satz 2 bedarf es der Überprüfung nach Satz 1 dann nicht, wenn es sich bei dem Inhalt um erkennbar unerwünschte oder gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Anbieters verstoßende kommerzielle Kommunikation handelt, die vom Nutzer in einer Vielzahl von Fällen mit anderen Nutzern geteilt oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und die Gegenvorstellung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.


BVerwG: Kein vorbeugender Rechtsschutz für Verein Reporter ohne Grenzen auf Unterlassung der Überwachung seiner Kommunikation durch BND mittels Quellen-TKÜ

BVerwG
Urteil vom 25.02.2023
6 A 1.22


Das BVerwG hat entschieden, dass dem Verein Reporter ohne Grenzen kein vorbeugender Rechtsschutz auf Unterlassung der Überwachung seiner Kommunikation durch BND mittels Quellen-TKÜ zusteht.

Die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts:

Kein vorbeugender Rechtsschutz des Vereins Reporter ohne Grenzen auf Unterlassung der Überwachung seiner Kommunikation mittels Quellen-TK

Die vorbeugende Klage des Vereins Reporter ohne Grenzen gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Unterlassung, dass seine mit Dritten über Messenger-Dienste oder auf andere Weise geführte Telekommunikation von dem Bundesnachrichtendienst (BND) mittels Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) überwacht wird, ist unzulässig. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am gestrigen Tage entschieden.

§ 11 Abs. 1a des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G10) enthält die Befugnis für die Nachrichtendienste, in Endgeräte (Telefone, Computer etc.) von Personen einzugreifen, um deren laufende und ruhende Kommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen. Es handelt sich bei dieser Quellen-TKÜ um eine besondere Durchführungsform von individuellen Maßnahmen der Beschränkung des Telekommunikationsgeheimnisses nach § 3 G10, die an einem bestimmten Endgerät einer Person und nicht an einem Übertragungsweg wie im Rahmen der strategischen Überwachung nach § 5 G10 ansetzt.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der sich als Teil eines internationalen Netzwerks die Dokumentation von Verstößen gegen die Presse- und Informationsfreiheit sowie die Hilfe für Journalisten in Notlagen zum Ziel gesetzt hat. Er hat nach eigenen Angaben vor allem Kontakt mit ausländischen Journalisten, die in denjenigen Themenbereichen und Gebieten recherchieren, in denen auch der BND seine Aufklärungsarbeit leistet. In Einzelfällen stehe er auch direkt in Kontakt zu Personen, die sich im Umfeld von extremistischen Vereinigungen und Organisationen im In- und Ausland bewegten, welche ebenfalls im Fokus des BND stünden. Er gehe daher davon aus, dass seine Kommunikation unmittelbar durch die Quellen-TKÜ auf seinen vereinseigenen Geräten überwacht werden könnte. Jedenfalls bestehe die Gefahr, dass seine Kommunikationspartner mithilfe der Quellen-TKÜ überwacht werden und im Zuge dessen mittelbar seine Kommunikation erfasst werden könnte. Da der BND erklärt habe, von den Befugnissen des § 11 Abs. 1a G10 Gebrauch machen zu wollen, erhebe er vorbeugend Klage auf Unterlassung der unmittelbaren und mittelbaren Überwachung seiner Kommunikation im Wege der Quellen-TKÜ.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die auf Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen. Soweit sich das Unterlassungsbegehren auf die befürchtete Überwachung der laufenden Kommunikation bezieht, ist bereits nach § 13 G10 die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes ausgeschlossen. Darüber hinaus ist die Klage unstatthaft. Die Statthaftigkeit setzt voraus, dass das Gericht in der Lage ist, das drohende Verwaltungshandeln, dessen Unterlassen der Kläger begehrt, einer Rechtmäßigkeitsprüfung zu unterziehen. Hierzu müsste sich die befürchtete Überwachung der Kommunikation des Klägers mit Dritten über Messenger-Dienste etc. mittels der Quellen-TKÜ hinreichend konkret in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht abzeichnen. Dies ist nicht der Fall.

Die Durchführung der Quellen-TKÜ auf vereinseigenen Geräten des Klägers ist nicht hinreichend konkret. Der Kläger trägt selbst nicht vor, dass seine Mitarbeiter im Verdacht stehen könnten, Straftaten im Sinne von § 3 Abs. 1 G10 zu begehen. Ebenso wenig zeichnet sich hinreichend konkret ab, unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen die ausländischen Kommunikationspartner des Klägers derartigen Maßnahmen wegen des Verdachts der Begehung solcher Straftaten mit Inlandsbezug ausgesetzt sein könnten.

Schließlich erweist sich die Klage auch deshalb als unzulässig, weil der Kläger sich nicht vor Klageerhebung mit seinem Unterlassungsbegehren an den BND gewandt hat. Das Erfordernis der behördlichen Vorbefassung gebietet es, sich vor einer Inanspruchnahme der Gerichte mit einem Begehren zunächst an die Verwaltung zu richten. Dies hat der Kläger unterlassen und damit dem BND die Möglichkeit genommen, das Unterlassungsbegehren vorprozessual zu prüfen.

BVerwG 6 A 1.22 - Urteil vom 25. Februar 2023



EU-Kommission: Draft Adequacy decision for the EU-US Data Privacy Framework - Entwurf Angemessenheitsbeschluss für Datenübermittlung in die USA

Die EU-Kommission hat einen Entwurf des Angemessenheitsbeschluss für Datenübermittlung in die USA (Draft Adequacy decision for the EU-US Data Privacy Framework) vorgelegt.


LG Hamburg: Kein Anspruch Dritter gegen Hamburger Datenschutzbeauftragten auf Herausgabe des teilweise anonymisierten datenschutzrechtlichen Bußgeldbescheids gegen H&M

LG Hamburg
Beschluss vom vom 28.10.2021
625 Qs 21/21 OWi


Das LG Hamburg hat entschieden, dass Dritte keinen Anspruch gegen den Hamburger Datenschutzbeauftragten (HmbBfDI ) auf Herausgabe des teilweise anonymisierten datenschutzrechtlichen Bußgeldbescheids gegen H&M haben.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Auf die mit Bescheid des HmbBfDI vom 28. Januar 2021 beabsichtigte umfassende Herausgabe des teilweise anonymisierten Bußgeldbescheids vom 30. September 2020 haben die vier Antragssteller keinen Anspruch. Ihnen ist lediglich hinsichtlich der Passage „Zumessung der Geldbuße“, Seite 9 des Bußgeldbescheids bis Seite 10, 3. Absatz, 1. Halbsatz „Anknüpfungspunkt ist daher der gesamte Umsatz im Onlinehandel“ Auskunft zuzubilligen.
[...]
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat in der Sache überwiegend Erfolg. Den vier auskunftssuchenden Antragsstellern steht kein Anspruch auf die Übermittlung des Bußgeldbescheids vom 30. September 2020 in der vom HmbBfDI teilanonymisierten Form, die dem angegriffenen Bescheid vom 28. Januar 2021 als Anlage 1 beigefügt war, und des Dokuments „ 2./2020 – Bußgeldzumessung unter Anwendung des DSK-Konzepts“ gemäß Anlage 2 des Bescheids vom 28. Januar 2021nach § 475 Abs. 1 und 4 StPO zu.

Gemäß § 475 Absatz 1 und 4 StPO können Privatpersonen Auskünfte aus Akten erteilt werden, soweit diese hierfür ein berechtigtes Interesse darlegen. Sie sind zu versagen, wenn der hiervon Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung hat. Im Übrigen soll Akteneinsicht grundsätzlich nur in dem Umfang erfolgen, als dies zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses der Privatperson erkennbar erforderlich ist (vgl. LG Bochum, Beschluss vom 10.11.2004 – 1 AR 16/04).

Zwar haben alle auskunftssuchenden Antragssteller ein berechtigtes Interesse darlegt; deren Auskunftsinteresse der Antragsteller stehen aber die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen an der Versagung der Auskünfte jedenfalls in Form der Übersendung des vom HmbBfDI lediglich geringfügig geschwärzten Bußgeldbescheids gemäß Anlage 1 und des Dokuments „ 2./2020 – Bußgeldzumessung unter Anwendung des DSK-Konzepts“ gemäß Anlage 2 zum Bescheid vom 28. Januar 2021 entgegen.

a. Berechtigtes Interesse der Antragssteller

Das „berechtigte Interesse“ i. S. d. § 475 StPO wird weit ausgelegt. Darunter fällt grundsätzlich jedes verständige, durch die Sachlage gerechtfertigte Interesse tatsächlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, sofern es von dem jeweiligen Antragssteller schlüssig dargelegt wird; eine Glaubhaftmachung oder gar ein Beweis sind nicht erforderlich (BeckOK StPO/Wittig, 40. Ed. 1. Juli 2021, § 475 Rn. StPO, Rn. 9 f.).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe habe alle vier Antragssteller ihr berechtigtes Interesse hinreichend dargelegt. Die Antragsteller 2 bis 4 haben angegeben, dass sie als (Syndikus-) Anwälte im Bereich Datenschutzrecht tätig sind. Antragssteller 2 und 3 haben ausgeführt, dass sie die Entscheidung für ihre berufliche Tätigkeit, d. h. in der Beratung ihrer Mandanten im Datenschutzrecht, nutzen wollen. Der Antragsteller zu 2 hat ferner ein Interesse daran dargelegt, zu erfahren, anhand welcher Kriterien die Adressatenauswahl und die Bußgeldberechnung erfolgt sei. Die Antragssteller 1, 3 und 4 haben weiter erklärt, dass sie beabsichtigten, einen wissenschaftlichen Aufsatz zu schreiben, der unter anderem den Bußgeldbescheid zum Gegenstand hat.

Diese Interessen sind grundsätzlich als ein berechtigtes Interesse anzuerkennen, denn dabei handelt es sich um verständige und durch die Sachlage gerechtfertigte Interessen.

b. Schutzwürdigen Interessen der Betroffenen

Dem Auskunftsinteresse der Antragssteller an der Übersendung des Bußgeldbescheids in der vom HmbBfDI teilgeschwärzten Fassung gemäß Anlage 1 zum Bescheid vom 28. Januar 2021 stehen jedoch die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen an der Versagung der Auskunft entgegen (§ 475 Abs. 1 S. 2 StPO).

Im Unterschied zur ähnlich gelagerten Regelung des § 406e Abs. 2 StPO kommt es im Rahmen des § 475 StPO nicht auf ein „Überwiegen” der einer Auskunft entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen an. Es genügt, dass ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung besteht (LG Bochum, Beschluss vom 10.11.2004 – 1 AR 16/04, NJW 2005, 999). Ob die Interessen der Betroffenen i.S.d. § 475 Abs. 1 Satz 2 StPO schutzwürdig sind, ist dabei im Wege einer umfassenden Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Antragsteller und den entgegenstehenden Interessen der Betroffenen zu ermitteln. Entscheidend ist dabei, wie hoch das Informationsinteresse der Antragsteller an der begehrten Auskunft zu bewerten und wie stark der Eingriff in die Rechte der Betroffenen durch die Offenlegung der begehrten Informationen im Einzelfall zu gewichten ist. Je geringer der Eingriff in das Recht des Betroffenen, desto geringere Anforderungen sind an das Informationsinteresse der Antragsteller zu stellen; je intensiver und weitergehend die begehrte Auskunft reicht, desto gewichtiger muss das Informationsinteresse sein (vgl. VGH Baden-Württemberg DVBl 2014, 101 m.w.Nw, LG München, Beschluss vom 24.03.2015 – 7 Qs 5/15, ZD 2015, 483).

Ob eine Verletzung schutzwürdiger Interessen vorliegt, ist daher anhand des zu beurteilenden Einzelfalls festzustellen. Diese Abwägung geht hier zugunsten der Betroffenen aus:

Wie der HmbBfDI in dem angefochtenen Bescheid vom 28. Januar 2021 zutreffend ausführt, unterliegen die einzelnen Bestandteile des Bußgeldbescheids vom 30. September 2020 für sich bereits dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Betroffenen. Dies betrifft sämtliche in dem Bescheid vom 30. September 2020 enthaltenen Unternehmenskennzahlen (insb. Kennzahlen zur Mitarbeiterstruktur, Umsatzzahlen und sonstigen finanziellen Kennziffern) sowie Inhalte zu Arbeitsabläufen- und –organisation, die überwiegend bereits in der dem angegriffenen Bescheid vom 28. Januar 2021 als Anlage 1 beigefügten Fassung des Bußgeldbescheides geschwärzt worden waren. Insoweit wird ergänzend auf die diesbezüglichen Ausführungen des Bescheids vom 28. Januar 2021 Bezug genommen, denen sich die Kammer anschließt.

bb. Darüber hinaus steht dem Auskunftsinteresse der Antragsteller auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Betroffenen entgegen.

Art. 12 Abs. 1 GG gewährt das Recht der freien Berufswahl und -ausübung und ist gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar, soweit sie - wie hier die Betroffenen - eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offensteht. In der bestehenden Wirtschaftsordnung umschließt das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. GG das berufsbezogene Verhalten der Unternehmen am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs (Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21. März 2018 - 1BVF113 1 BvF 1/13 - BVerfGE 148, Seite 40 = juris, Rn. 26 und vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 558/91 -, BVerfGE 105, Seite 252 = juris, Rn. 41; OVG Münster Beschl. v. 17.5.2021 – 13 B 331/21, BeckRS 2021, 11654 Rn. 11).

Die in dem Bußgeldbescheid vom 30. September 2020 enthaltenen Informationen sind inhaltlich überwiegend geeignet, die Markt- und Wettbewerbssituation mittelbar-faktisch zum wirtschaftlichen Nachteil der Betroffenen zu verändern. Aus dem Bußgeldbescheid geht das konkret der Betroffenen zu 1 vorgeworfene Fehlverhalten der Führungskräfte aus dem C. S. C. in N. hervor. Dabei handelt es – auch aus Laiensphäre – um schwerwiegende Verstöße gegen die BSDG, deren Veröffentlichung geeignet ist, den Ruf von H. als Unternehmen zu schädigen und eine Prangerwirkung zu entfalten. Die Gefahr einer Prangerwirkung für das gesamte Unternehmen besteht dabei insbesondere, weil sich aus dem Bußgeldbescheid erstmals eine vollständige Offenlegung der Firma der Betroffenen zu 2 als weitere Beteiligte des Bußgeldverfahrens ergibt, obwohl sie selbst – wie sich aus dem Inhalt des Bußgeldbescheides ergibt und auch vom HmbBfDI selbst vorgetragen wird – die Verstöße nicht begangen hat. Eine solche Nennung der Betroffenen zu 2 im Zusammenhang mit den vorgeworfenen Datenschutzverstößen birgt erstmals die Gefahr einer erheblichen Rufschädigung für den gesamten Konzern der Betroffenen zu 2 und nicht nur für die in N. ansässige Betroffene zu 1. Dies ist auch geeignet, sich auf den Unternehmenswert insgesamt auszuwirken. Soweit der Inhalt des Bußgeldbescheides veröffentlicht wird, können bisherige Geschäftspartner der Betroffenen die mitgeteilten Informationen zum Anlass nehmen, aus Sorge vor einer eigenen Rufschädigung von einer weiteren Zusammenarbeit mit den Betroffenen Abstand zu nehmen. Potentielle neue Geschäftspartner können durch die mitgeteilten Informationen verschreckt werden und sich vorsorglich für die Inanspruchnahme anderer „unbelasteter“ Geschäftspartner entscheiden. Zudem können den Betroffenen die eigene Tätigkeit dadurch erschwert werden, dass zum einen ihr Ruf im Kreis der Verbraucher in Mitleidenschaft gezogen wird und sich dies auf deren Kaufverhalten auswirken kann, obwohl der Bußgeldbescheid nicht unmittelbar das Verhalten gegenüber den Kunden selbst betrifft. Dafür spricht, dass viele Konsumenten Wert darauf legen, dass Unternehmen bestimmte Wertestandards einhalten, und zwar auch betreffend den Umgang mit ihren eigenen Mitarbeitern. Zum anderen könnte die Veröffentlichung des Bußgeldbescheids auch potentielle Arbeitnehmer von einer Bewerbung bei H. abhalten.

Diese Erwägungen gelten auch unter Berücksichtigung der Art des geltend gemachten Interesses der Antragssteller und der grundsätzlichen Beschränkung der Verwendung der durch Akteneinsicht erlangten personenbezogenen Daten lediglich für die Zwecke, für die Akteneinsicht gewährt wurde, §§ 46, 49b OWIG i.V.m. § 479 Abs. 6 StPO i.V.m. § 32f Abs. 5 S. 2 StPO. Zwar haben die Antragssteller 2 und 3 geltend gemacht, den Bußgeldbescheid vorrangig für die Mandantenberatung nutzen zu wollen. Dies beinhaltet jedoch nicht ausschließbar auch, wesentliche Inhalte des Bescheids, insbesondere im Zusammenhang mit der Herleitung der Haftung der Betroffenen zu 2 für Verstöße der Betroffenen zu 1, im Rahmen eines Kanzlei-Newsletters über die Internetseite einer unbestimmten Anzahl an Personen zugänglich zu machen. Soweit die Antragsteller 1, 3 und 4 den Bußgelbescheid zudem in Publikationen bzw. Fachaufsätzen verarbeiten zu wollen, begehren die Antragssteller die Übermittlung des Bußgeldbescheids – entgegen der anderweitigen Auffassung des HmbBfDI – sehr wohl zum Zweck der (wissenschaftlichen) Veröffentlichung. Diese Veröffentlichungsform ist auch geeignet, die oben beschriebenen Verletzungen der Rechte der Betroffenen zu intensivieren. Auch hier erlangt eine unbekannte Anzahl Dritter Kenntnis über den Inhalt des Bußgeldbescheids. Zudem ist zu erwarten, dass die Publikationen in anderen Printmedien zitiert werden oder sonst wie weiterverbreitet werden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Übermittlungen zu wissenschaftlichen oder beruflichen Zwecken auch keine konkreten Vorgaben beinhalten, wie mit dem Bußgeldbescheid umzugehen ist. Auch eine Veröffentlichung zu wissenschaftlichen Zwecken könnte demnach freizugänglich im Internet erfolgen. Daneben ist zu erwarten, dass der Bußgeldbescheid oder dessen Inhalt auf anderen Medien – und wahrscheinlich auch unabhängig von einer etwaigen Publikation – öffentlich verbreitet werden. Dafür spricht auch, dass – so von den Betroffenen vorgetragen und anhand eines Screenshots belegt – der Antragssteller 1, S. H. auf seinem Twitter-Account bereits seine bisherige Kommunikation mit dem HmbBfDI betreffend den Bußgeldbescheid gegen die Betroffenen im Internet veröffentlicht hat (vgl. Tweet des Twitter Accounts @ s. h. vom 24. Februar 2021; https:// t..com/ s._ h./status/ ). In der Gesamtschau ist daher bei der Herausgabe des Bußgeldbescheids von einem Eingriff bzw. einer Intensivierung des Eingriffs (siehe nachfolgend, cc) in die Rechte der Betroffenen auszugehen.

cc. Das schutzwürdige Interesse der Betroffenen entfällt auch nicht dadurch, dass bereits Informationen über den Bußgeldbescheid in der Pressemitteilung vom 01. Oktober 2020 veröffentlicht wurden und die Vorgänge sowohl vor als auch nach Veröffentlichung der Pressemitteilung mehrfach Gegenstand von Presseberichterstattungen in Deutschland waren.
[...]
Insgesamt ist daher von einem Überwiegen der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen aus Art. 12 GG auszugehen.

3. Daraus folgt, dass weite Teile des Bußgeldbescheids von der Akteneinsicht auszunehmen wären. Durch die Herausgabe eines geschwärzten Bußgeldbescheids in der bislang vom HmbBfDI vorgesehenen Form würde den schutzwürdigen Interessen der Betroffenen nicht hinreichend Rechnung getragen werden. Eine die Interessen der betroffenen wahrende Schwärzung des Bußgeldbescheides vom 30. September 2020 würde dazu führen, dass der Rest des Bußgeldbescheides überwiegend aus abstrakten Rechtssätzen, Normenketten und allgemeinen Ausführungen bestünde, die einer Nichtübermittlung des Bußgeldbescheides gleichkommen würden.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EU-Kommission und USA haben sich auf Trans-Atlantic Data Privacy Framework verständigt - Privacy-Shield-Nachfolger

EU-Kommission und USA haben sich auf ein neues Trans-Atlantic Data Privacy Framework verständigt, welches die Nachfolge des des EU-US-Privacy-Shield antreten soll (dazu: EuGH: EU-US Privacy Shield genügt nicht den Vorgaben der DSGVO und ist ungültig).

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:

The European Commission and the United States announce that they have agreed in principle on a new Trans-Atlantic Data Privacy Framework, which will foster trans-Atlantic data flows and address the concerns raised by the Court of Justice of the European Union in the Schrems II decision of July 2020.

The new Framework marks an unprecedented commitment on the U.S. side to implement reforms that will strengthen the privacy and civil liberties protections applicable to U.S. signals intelligence activities. Under the Trans-Atlantic Data Privacy Framework, the United States is to put in place new safeguards to ensure that signals surveillance activities are necessary and proportionate in the pursuit of defined national security objectives, establish a two-level independent redress mechanism with binding authority to direct remedial measures, and enhance rigorous and layered oversight of signals intelligence activities to ensure compliance with limitations on surveillance activities.

The Trans-Atlantic Data Privacy Framework reflects more than a year of detailed negotiations between the U.S. and E.U. led by Secretary of Commerce Gina Raimondo and Commissioner for Justice Didier Reynders. It will provide a durable basis for trans-Atlantic data flows, which are critical to protecting citizens' rights and enabling trans-Atlantic commerce in all sectors of the economy, including for small and medium enterprises. By advancing cross-border data flows, the new framework will promote an inclusive digital economy in which all people can participate and in which companies of all sizes from all of our countries can thrive.

The announcement is another demonstration of the strength of the U.S.-EU relationship, in that we continue to deepen our partnership as a community of democracies to ensure both security and respect for privacy and to enable economic opportunities for our companies and citizens. The new Framework will facilitate further U.S.-EU cooperation, including through the Trade and Technology Council and through multilateral fora, such as the Organisation for Economic Cooperation and Development, on digital policies.

The teams of the U.S. Government and the European Commission will now continue their cooperation with a view to translate this arrangement into legal documents that will need to be adopted on both sides to put in place this new Trans-Atlantic Data Privacy Framework. For that purpose, these U.S. commitments will be included in an Executive Order that will form the basis of the Commission's assessment in its future adequacy decision.


Fact Sheet:

The European Commission and the United States reached an agreement in principle for a Trans-Atlantic Data Privacy Framework.

Key principles
• Based on the new framework, data will be able to flow freely and safely between the EU and participating U.S. companies

• A new set of rules and binding safeguards to limit access to data by U.S. intelligence authorities to what is necessary and proportionate to protect national security; U.S. intelligence agencies will adopt procedures to ensure effective oversight of new privacy and civil liberties standards

• A new two-tier redress system to investigate and resolve complaints of Europeans on access of data by U.S. Intelligence authorities, which includes a Data Protection Review Court

• Strong obligations for companies processing data transferred from the EU, which will continue to include the requirement to self-certify their adherence to the Principles through the U.S. Department of Commerce

• Specific monitoring and review mechanisms

Benefits of the deal

• Adequate protection of Europeans’ data transferred to the US, addressing the ruling of the European Court of Justice (Schrems II)

• Safe and secure data flows

• Durable and reliable legal basis

• Competitive digital economy and economic cooperation

• Continued data flows underpinning €900 billion in cross-border commerce every year

Next steps: The agreement in principle will now be translated into legal documents. The U.S.
commitments will be included in an Executive Order that will form the basis of a draft adequacy
decision by the Commission to put in place the new Trans-Atlantic Data Privacy Framework.



AG Pforzheim: 1.500 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen unberechtigter Weitergabe von Name und Adresse

AG Pforzheim
Urteil vom 27.01.2022
2 C 381/21


Das AG Pforzheim hat in diesem Fall dem Betroffenen 1.500 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen der unberechtigten Weitergabe von Name und Adresse zugesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Durch die Weitergabe des Namens und der Adresse des Klägers ohne dessen Einwilligung an das Abrechnungszentrum Dr. G. hat die Beklagte gegen Art. 6 Abs. 1 DS-GVO verstoßen und des weiteren pflichtwidrig den Kläger hierüber nicht nach Art. 14 Abs. 1 DSGVO informiert. Aufgrund dessen steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO zu, wobei das Gericht einen Betrag in Höhe von 1.500,- € (zuzüglich 4,- € für Mahnkosten) für angemessen, aber auch ausreichend hält. Hierbei wurde zum einen berücksichtigt, dass sich der von der Beklagten begangene Verstoß nicht als besonders schwerwiegend darstellt, insbesondere keinerlei Anhaltspunkte für ein systematisches Vorgehen oder gar eine Schädigungs- oder Bereicherungsabsicht erkennen lassen. Andererseits sieht das Gesetz einen Ausschluss vermeintlicher Bagatellschäden nicht vor (s. hierzu sowie zum folgenden Kühling-Buchner, DS-GVO, Art. 82, Rd.-Nr. 18 a ff.). Vielmehr ist der Schadensbegriff der DS-GVO weit auszulegen und, da es sich um einen europarechtlichen Anspruch handelt, nicht mit den bisher in Deutschland üblichen Beträgen für einen Immateriellen Schadensersatz zu vergleichen. Um die geforderte Abschreckung zu erreichen, muss der zuzusprechende Schadensersatz über einen rein symbolischen Betrag hinaus gehen. Unter Berücksichtigung all dessen erachtet das Gericht einen Betrag in Höhe von 1.500,- € für insgesamt angemessen.

Weitergehende Ansprüche stehen dem Kläger nicht zu. Insbesondere kann er sich nicht darauf berufen, die Beklagte hätte auch im Folgenden unerlaubt seine geschützten personenbezogenen Daten weitergegeben bzw. verarbeitet, so dass ihm auch aufgrund dessen ein (höherer) Schadensersatzanspruch zustünde bzw. ein weiterer, über das Schreiben der Beklagten vom 21.04.2020 hinausgehender, Auskunftsanspruch. Denn die DSGVO gilt gem. Art. 2 Abs. 1 nur für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Die Voraussetzungen für diesen sachlichen Anwendungsbereich der DS-GVO sind im Übrigen jedoch weder ersichtlich noch hinreichend vorgetragen. Die Beklagte mag weitere Daten des Klägers an dessen geschiedene Ehefrau mitgeteilt haben; dies alleine - nämlich ohne automatisierte Verarbeitung oder Speicherung in einem Dateisystem - fällt jedoch eben nicht in den Anwendungsbereich der DS-GVO. Eine Weitergabe von Daten an ihren Prozessbevollmächtigten läge darüber hinaus in ihrem anerkennungswerten berechtigten Interesse, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 f DS-GVO.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: