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LG Köln: Sparkasse muss Kunden nach Phishing-Angriff per Call-ID Spoofing gemäß § 675u BGB Schaden durch nicht autorisierte Zahlungsvorgänge ersetzen

LG Köln
Urteil vom 20.11.2023
22 O 43/23


Das LG Köln hat entschieden, dass eine Sparkasse seinem Kunden nach einem Phishing-Angriff per Call-ID Spoofing gemäß § 675u BGB den Schaden durch nicht autorisierte Zahlungsvorgänge ersetzen muss.

Aus den Entscheidungsgründen;
Der Klageantrag zu 1.) ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte, das bei ihr geführte Girokonto des Klägers Nr. N01 auf den Stand zu bringen, auf dem es sich ohne die Belastungen durch die nicht autorisierten Zahlungsvorgänge in Höhe von insgesamt EUR 9.933,38 am 23.09.2022 befunden hätte.

1. Nach § 675u S. 1 BGB hat der Zahlungsdienstleister (hier die Beklagte) des Zahlers (hier des Klägers) im Fall eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs gegen diesen keinen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen. Er ist nach § 675u S. 2 BGB verpflichtet, dem Zahler den Zahlungsbetrag unverzüglich zu erstatten und, sofern der Betrag einem Zahlungskonto belastet worden ist, dieses Zahlungskonto wieder auf den Stand zu bringen, auf dem es sich ohne die Belastung durch den nicht autorisierten Zahlungsvorgang befunden hätte.

2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da die streitgegenständlichen Zahlungsvorgänge nicht durch den Kläger autorisiert waren. Dies ist bereits deshalb der Fall, weil sie nicht durch den Berechtigten, nämlich den Kläger, ausgeführt worden sind; eine Stellvertretung für den Kläger ist ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2016 – XI ZR 91/14, BGHZ 208, 331 Rn. 58 m.w.N.). Dass der Kläger die Zahlungsvorgänge mittels ApplePay nicht selbst autorisiert hat, steht nach dem Vortrag der Parteien fest. Während die Beklagte zunächst die Autorisierung jedenfalls konkludent bestritten hat („sofern er die Freigabe einer digitalen Debitkarte nicht wissentlich veranlasst hat“, Bl. 73 d. A.), ging sie zuletzt von „durch den Betrüger vorgenommenen Zahlungen“ (Bl. 157 d. A.) aus. Jedenfalls wäre auch ein einfaches Bestreiten der Beklagten, die nach Maßgabe des § 675w BGB vorrangig im Hinblick auf den Nachweis der Authentifizierung darlegungs- und beweisbelastet ist, nicht geeignet gewesen, um den substantiierten Ausführungen des Klägers entgegenzutreten (vgl. § 138 Abs. 3 ZPO).

Die Beklagte kann dem klägerischen Anspruch auch keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 675v BGB nach § 242 BGB entgegenhalten (sog. dolo-agit-Einwendung). Der Beklagten steht unter keinem erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt ein solcher Schadensersatzanspruch zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 675v Abs. 3 Nr. 2 BGB.

Nach § 675v Abs. 3 BGB ist der Zahler seinem Zahlungsdienstleister zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet, der infolge eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs entstanden ist, wenn der Zahler entweder in betrügerischer Absicht gehandelt hat (§ 675v Abs. 3 Nr. 1 BGB) oder er den Schaden durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung einer oder mehrerer Pflichten gemäß § 675l Abs. 1 BGB (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 a) BGB) oder einer oder mehrerer vereinbarter Bedingungen für die Ausgabe und Nutzung des Zahlungsinstruments nach § 675l Abs. 2 BGB (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 b) BGB) herbeigeführt hat.

Im Hinblick auf den allein in Betracht kommenden Anspruch gemäß § 675v Abs. 3 Nr. 2 BGB ist die Beklagte ihrer diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen.

Grobe Fahrlässigkeit erfordert einen in objektiver Hinsicht schweren und in subjektiver Hinsicht schlechthin unentschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der konkret erforderlichen Sorgfalt. Selbst ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich noch keinen zwingenden Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2016, XI ZR 91/44, Rn. 71 m.w.N.). Dabei kommt dem Zahlungsdienstleister auch kein Anscheinsbeweis zu Gute, dass bei einem Missbrauch des Online-Bankings, wenn die Nutzung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments korrekt aufgezeichnet worden und die Prüfung der Authentifizierung beanstandungsfrei geblieben ist, eine konkrete grob fahrlässige Pflichtverletzung des Zahlungsdienstnutzers nach § 675v Abs. 2 BGB vorliegt (BGH, a.a.O. Rn.68).

Schon nach dem Vortrag der Beklagten fehlt es hier allerdings beim Kläger an einer grob fahrlässigen Verletzung der Pflichten eines Zahlungsdienstnutzers. Das Verhalten des Klägers ist danach jedenfalls nicht als subjektiv schlechthin unentschuldbar zu werten.

Diese Einschätzung stützt das Gericht zum einen darauf, dass sich die Täter des sog. Call-ID Spoofings bedienten. Dem Kläger wurde infolgedessen die Nummer der Beklagten angezeigt, als die Täter ihn anriefen. Für einen verständigen, langjährigen Bankkunden ist die Nutzung einer ihm bekannten Nummer mit besonderem Vertrauen verbunden. Davon, dass die Möglichkeit besteht, eine fremde Nummer zu nutzen, dürfte der Durchschnittsbürger keine Kenntnis haben. Dass dem Kläger der angebliche Mitarbeiter der Beklagten nicht bekannt war, ist für sich genommen noch kein besonders verdächtiger Umstand. In einer großen Organisation wie der der Beklagten herrscht regelmäßig eine gewisse Fluktuation bzw. es findet eine Arbeitsteilung statt, sodass die Bankkunden nicht mehr zwingend nur mit einem Mitarbeiter in Kontakt stehen.

Etwas anderes gilt auch nicht aufgrund der Bezeichnung des Auftrags in der pushTAN App als „Registrierung Karte“. Zwar gab der Anrufer vor, er wolle die Karte des Klägers entsperren, nicht registrieren. Allerdings ist die Bezeichnung „Registrierung“ derart weit, dass für den Kläger – vor allem in der Überrumpelungssituation, in der er sich befand und auch bei der durch die Beklagte mit einem Sicherheitshinweis angemahnten sorgfältigen Prüfung – überhaupt nicht erkennbar war, dass es um die Einrichtung eines Zahlungssystems auf einem mobilen Endgerät der Herstellers Apple Inc. und damit die Freigabe einer Möglichkeit zu Kontoverfügungen geht, die nur von der Verfügungsgewalt über dieses mobile Endgerät abhängt. Dabei wäre es der Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, durch einen eindeutigen Text, insbesondere durch Verwendung eines Hinweises gerade auf ApplePay dem Kunden deutlich vor Augen zu führen, welcher Zahlungsdienst hier freigegeben werden soll, um so ersichtlich zu machen, dass es um Endgeräte eines bestimmten Herstellers und die Nutzung als Wallet, nicht einer Karte geht (vgl. LG Köln, Urteil vom 09.03.2023 - 15 O 267/22). Bei der hier vorliegenden Gestaltung konnte der Kläger den Text in der pushTAN App dem eigentlichen Vorgang nicht zuordnen. Im Übrigen ergibt sich aus der Formulierung des Warntextes, es sei „kein Auftrag“ freizugeben, der nicht „explizit beauftragt“ wurde, nach seinem natürlichen Wortsinn nicht, dass der Auftrag zwingend über die Online-Banking App erfolgt sein muss. Der Kläger durfte davon ausgehen, dass sein – vermeintlich − telefonisch erteilter „Auftrag“ diese Voraussetzungen ebenso erfülle. Der Vorgang und auch der Pflichtenverstoß des Klägers ist daher bereits nicht allein dessen Verantwortungsbereich anzulasten.
Auf die Fragen, ob eine starke Kundenauthentifizierung verlangt wurde (§ 675v Abs. 4 BGB) oder der Beklagten ein Mitverschulden anzulasten ist, kommt es insofern nicht mehr an.

II. Der Klageantrag zu 2.) ist ebenfalls begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 973,66 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit dem 23.05.2023.

Der Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB i.V.m. § 675u Satz 3 BGB. Die Beklagte befand sich mit der gemäß § 675u Sätze 2, 3 BGB „unverzüglich“ geschuldeten Erstattung in Verzug (vgl. OLG Celle Hinweisbeschluss v. 17.11.2020 – 3 U 122/20, BeckRS 2020, 33608 Rn. 44 ff.).

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB analog.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

KG Berlin: Auch gegen juristische Person kann unmittelbar DSGVO-Bußgeld verhängt werden - Deutsche Wohnen

KG Berlin
Beschluss vom 22.01.2024
3 Ws 250/21, 161 AR 84/21, 3 Ws 250/21 - 161 AR 84/21


Das KG Berlin hat entschieden, dass auch unittelbar gegen juristische Person ein DSGVO-Bußgeld verhängt werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Mit Bußgeldbescheid vom 30. Oktober 2019 hat die Berliner Beauftragte für den Datenschutz (im Folgenden: BlnBDI) gegen das betroffene Unternehmen (im Folgenden: Betroffene) Geldbußen festgesetzt. Mit dem Bußgeldbescheid ist der Betroffenen vorgeworfen worden, es zwischen dem 25. Mai 2018 und dem 5. März 2019 vorsätzlich unterlassen zu haben, die notwendigen Maßnahmen zur Ermöglichung der regelmäßigen Löschung nicht mehr benötigter oder in sonstiger Weise zu Unrecht gespeicherter Daten von Mietern zu treffen. Weiter hat der Bußgeldbescheid den Vorwurf enthalten, personenbezogene Daten von mindestens 15 näher bezeichneten Mietern fortgesetzt gespeichert zu haben, obwohl bekannt gewesen sei, dass dies nicht oder nicht mehr erforderlich war. Wegen des vorsätzlichen Verstoßes gegen Art. 25 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 a), c) und e) DS-GVO hat die Geldbuße 14.385.000 Euro betragen. Wegen Verstößen gegen Art. 6 Abs. 1 DS-GVO sind 15 weitere Geldbußen mit Beträge zwischen 3.000 und 17.000 Euro festgesetzt worden.

Auf den Einspruch der Betroffenen hat das Landgericht Berlin das Verfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 206a StPO durch den angefochtenen Beschluss eingestellt. Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, der Bußgeldbescheid habe unter so gravierenden Mängeln gelitten, dass er nicht Grundlage des Verfahrens sein könne. Namentlich ist das Landgericht der Auffassung gewesen, eine juristische Person könne nicht Betroffene eines Bußgeldverfahrens sein, auch nicht in einem solchen nach Art. 83 DS-GVO. Da einer juristischen Person lediglich ein Handeln ihrer Organmitglieder oder Repräsentanten zugerechnet werden könne, könne diese in einem Bußgeldverfahren nur als Nebenbeteiligte fungieren. Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person sei in § 30 OWiG abschließend geregelt, der über § 41 Abs. 1 BDSG auch für Verstöße nach Art. 83 Abs. 4 bis 6 DS-GVO Anwendung finde. Die in § 83 DS-GVO kodifizierte unmittelbare Unternehmenshaftung verstoße gegen das im deutschen Recht verankerte Schuldprinzip und könne daher nicht angewendet werden.

Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Berlin sofortige Beschwerde eingelegt. Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss vom 6. Dezember 2021 ausgesetzt und nach Art. 267 Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union u.a. zu der Frage eingeholt, ob Art. 83 Abs. 4-6 DS-GVO dahin auszulegen sei, „dass es den Art. 101 und 102 AEUV zugeordneten funktionalen Unternehmensbegriff und das Funktionsträgerprinzip in das innerstaatliche Recht mit der Folge inkorporiert, dass unter Erweiterung des § 30 OWiG zugrundeliegenden Rechtsträgerprinzips ein Bußgeldverfahren unmittelbar gegen ein Unternehmen geführt werden kann und die Bebußung nicht der Feststellung einer durch eine natürliche und identifizierte Person, gegebenenfalls volldeliktisch, begangenen Ordnungswidrigkeit bedarf“. Der EuGH hat durch Urteil vom 5. Dezember 2023 (C-807/21 – [juris]) wie folgt entschieden: „Art. 58 Abs. 2 Buchst. i und Art. 83 Abs. 1 bis 6 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach eine Geldbuße wegen eines in Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSG-VO genannten Verstoßes gegen eine juristische Person in ihrer Eigenschaft als Verantwortliche nur dann verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß zuvor einer identifizierten natürlichen Person zugerechnet wurde“. In einem weiteren Ausspruch desselben Urteils heißt es, dass „eine Geldbuße nur dann verhängt werden darf, wenn nachgewiesen ist, dass der Verantwortliche, der eine juristische Person und zugleich ein Unternehmen ist, einen in Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO genannten Verstoß vorsätzlich oder fahrlässig begangen hat“.

Mit Beschluss vom Folgetag hat der Senat angeordnet, dass das Verfahren fortgesetzt wird.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Nach Maßgabe des in dieser Sache ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs ist die Betroffene unbeschadet ihrer Eigenschaft als juristische Person taugliche Adressatin eines Bußgeldbescheids (1.). Das durch das Landgericht angenommene Verfahrenshindernis eines unwirksamen Bußgeldbescheids besteht nicht (2.).

1. Dass die Betroffene als juristische Person taugliche Adressatin eines Bußgeldbescheids sein kann und als solche zudem unmittelbar und nicht nur als Verfahrens- oder Nebenbeteiligte bebußt werden kann, ergibt sich aus dem in diesem Verfahren ergangenen Urteil des EuGH (Urteil vom 5. Dezember 2023 – C-807/21 – [juris]). Der Gerichtshof führt aus, es sei möglich, „die in Art. 83 DSG-VO für solche Verstöße vorgesehenen Geldbußen unmittelbar gegen juristische Personen zu verhängen, wenn diese als für die betreffende Verarbeitung Verantwortliche eingestuft werden können“ (Rn. 44). Dies folgt, so der EuGH weiter, daraus, dass Unternehmen „nicht nur für Verstöße haften, die von ihren Vertretern, Leitern oder Geschäftsführern begangen wurden, sondern auch für Verstöße, die von jeder anderen Person begangen wurden, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit und im Namen dieser juristischen Personen handelt“ (Rn. 44). Die hierdurch – und zwar unabhängig von einem individualisierbaren Organisationsdefizit oder einer Aufsichtspflichtverletzung – möglich gewordene unmittelbare Bebußung von juristischen Personen wird auch durch die Verteidigung, soweit aus ihrem Schriftsatz vom 15. Januar 2024 ersichtlich, nicht mehr in Frage gestellt.

2. Der Bußgeldbescheid der BlnBDI erfüllt die Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 OWiG und stellt eine ausreichende Verfahrensgrundlage dar. Ein Verfahrenshindernis besteht insoweit nicht.

a) Nach § 66 OWiG muss der Bußgeldbescheid „die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften“ enthalten. Der Bußgeldbescheid muss den Tatvorwurf nach gefestigtem Verständnis formal und sachlich umgrenzen (Umgrenzungsfunktion) und den Betroffenen ausreichend über den Tatvorwurf unterrichten (Informationsfunktion) (vgl. BGHSt 23, 336; Senat Verkehrsrecht aktuell 2019, 123 [Volltext bei juris]; OLG Celle ZfSch 2015, 649).

b) Hier ist rechtstechnisch zusätzlich zu beachten, dass die in § 66 OWiG niedergelegten verfahrensbezogenen Anforderungen an die Gestaltung des Bußgeldbescheids den durch den EuGH formulierten Grundsätzen des materiellen Rechts folgen. Die vom EuGH entwickelten sachlich-rechtlichen Grundzüge der Verbandsgeldbuße überformen, prägen und gestalten das diesbezügliche nationale Verfahrensrecht. Formuliert der EuGH etwa, die Bebußung erfordere nicht, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46), so folgt daraus zwingend, dass sich die Bezeichnung einer solchen natürlichen Person auch nicht aus dem nationalen Verfahrensrecht, hier § 66 OWiG, ergeben muss.

Der Auffassung der Verteidigung, die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids als Verfahrensvoraussetzung bemesse sich nach § 66 OWiG, trifft damit allgemein zu, denn eine Suspendierung der gesamten Vorschrift steht auch angesichts des nun anzuwendenden europarechtskonformen Verantwortungs- und Haftungsregimes nicht in Rede. Vielmehr sieht Art. 83 Abs. 8 DSG-VO vor, dass die „Ausübung der eigenen Befugnisse durch eine Aufsichtsbehörde“ unionsrechtskompatiblen Verfahrensgarantien „einschließlich wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelfe und ordnungsgemäßer Verfahren“ unterliegt. Daher verweist § 41 BDSG auf Verfahrensvorschriften des OWiG und der StPO, und auch § 66 OWiG ist als grundlegendes nationales Verfahrensrecht anwendbar. Seine Auslegung allerdings richtet sich hier nach den sachlich-rechtlichen Vorgaben des übergeordneten Europarechts in der durch den EuGH nun gegebenen Ausprägung.

c) Unter Zugrundelegung der Maßgaben aus der Vorabentscheidung des EuGH und ihrer Weiterungen auf das nationale Verfahrensrecht erfüllt der Bußgeldbescheid der BlnBDI die Voraussetzungen des § 66 OWiG. Ohne Weiteres grenzt der Bußgeldbescheid den Gegenstand des Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht ab, und die Betroffene kann mühelos erkennen, welcher konkrete Vorwurf gegen sie erhoben wird. Namentlich die durch § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG erforderten Essentialia, nämlich die „Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird“ sowie „Zeit und Ort ihrer Begehung“, sind bei der gebotenen funktional-normativen Betrachtung eingehalten.

Der Bußgeldbescheid wirft der Betroffenen vor, es zwischen dem 25. Mai 2018 und dem 5. März 2019 vorsätzlich unterlassen zu haben, die notwendigen Maßnahmen zur Ermöglichung der regelmäßigen Löschung nicht mehr benötigter oder in sonstiger Weise zu Unrecht gespeicherter Daten von Mietern zu treffen. Weiter wird ihr vorgeworfen, personenbezogene Daten von mindestens 15 näher bezeichneten Mietern fortgesetzt gespeichert zu haben, obgleich bekannt gewesen sei, dass dies nicht oder nicht mehr erforderlich war.

Diese – hier nur kursorisch zusammengefassten – Vorwürfe sind im Bußgeldbescheid ausgesprochen konkret und ausführlich dargestellt. Der Bußgeldbescheid bezeichnet die insgesamt 16 Tathandlungen auf mehr als 17 Seiten in einer ausdifferenzierten und nachgerade ziselierten Weise. Die Ausführungen vermitteln der Betroffenen präzise, was ihr vorgeworfen wird, und sie ermöglichen es ihr, sich hiergegen zu verteidigen. Dabei ist auch zu beachten, dass es sich bei den vorgeworfenen Handlungen (oder Unterlassungen) ersichtlich um keine Individualexzesse in einem Dunkelbereich des Unternehmens handelt. Gegenstand des Bußgeldverfahrens bildet die Speicherung bzw. Archivierung (oder Nichtlöschung) von Kundendaten. Es geht um einfach gelagerte und verständliche Sachverhalte und im Letzten um gewöhnliche Vorgänge in einem operativen Unternehmensbereich.

d) Nicht folgen kann der Senat der Überlegung der Betroffenen, der Bußgeldbescheid müsse konkretisieren, „welches Organ durch welche Handlung die Voraussetzungen des § 30 OWiG erfüllt hat“. Abgesehen davon, dass der Bußgeldbescheid die Rechtsverstöße auch in ihrer Entstehung („Handlung“) durchaus nachvollziehbar darstellt und umreißt, deduziert sich ein solches Erfordernis aus der überkommenen Vorstellung, eine Verbandshaftung erfordere das Verschulden eines Repräsentanten (§ 30 OWiG) oder eine Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG). Sie lässt die europarechtlichen Einflüsse auf das Verbandsanktionenrecht außen vor und missachtet die Rechtsprechung des EuGH im hiesigen Vorabentscheidungsverfahren. Wenn der EuGH ausdrücklich formuliert, die Bebußung erfordere nicht, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46), so stellt er klar, dass juristische Personen dafür verantwortlich sind, dass Daten im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit rechtmäßig verarbeitet werden (Rn. 44). Sanktioniert wird hiernach nicht (nur) eine fehlerhafte Organisation, sondern gerade die Pflichtverletzung des Verbands bzw. im Verband, als „genuine Verbandstat“ (vgl. als Kritik an der überkommenen nationalen Rechtslage: HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, 2. Aufl., § 30 Rn. 13). Nach der Vorabentscheidung des EuGH ist auch eine juristische Person schuldfähig, so dass es zu einem Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Haftbarkeit kommt (vgl. Grages/Strassemeyer, CR 2024, 10). Damit fallen alle Personen, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit handeln, in den abstrakten Verantwortungskreis der juristischen Person, und selbst eine normentsprechende Organisation führt – jedenfalls in aller Regel – nicht zur Exkulpation. Dies entspricht dem Effektivitätsgrundsatz des europäischen Rechts.

Dass der Verband (materiell-rechtlich) allein datenschutzrechtlich Verantwortlicher ist (vgl. Wünschelbaum, DSB 2024, 15), wirkt sich damit unmittelbar auf die verfahrensrechtlich gebotene Darstellungsdichte im Bußgeldbescheid aus. Insbesondere muss dieser gerade nicht bezeichnen, welchem Repräsentanten oder welchem „Organ“ welche konkrete Handlung oder welches konkrete Unterlassen zur Last fällt. Im Übrigen bleibt es aber auch insoweit dabei, dass der hier zu beurteilende Bußgeldbescheid die Tathandlungen bemerkenswert und – gemessen an den vom EuGH formulierten materiell-rechtlichen Haftungsvoraussetzungen ersichtlich – überobligatorisch konkret darstellt.

e) Auch kann sich der Senat der noch weitergehenden Überlegung der Verteidigung nicht anschließen, es sei sogar „unverzichtbar, dass ein Bußgeldbescheid die verfahrensmaßgeblichen Handlungen der natürlichen Person beschreibt“, um einen Vorwurf gegen den Verband „erkennen, abgrenzen, bewerten und sich gegen ihn verteidigen zu können“. Auch diese Auffassung verstößt eklatant gegen das im hiesigen Verfahren ergangene Urteil des EuGH. Das durch die Verteidigung erkannte Erfordernis geht darüber hinweg, dass eine Sanktionierung gerade nicht erfordert, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46). Dieses klare EuGH-Diktum ist mit der Forderung der Verteidigung, der Bußgeldbescheid müsse die „Handlung der natürlichen Person beschreiben“, ersichtlich unvereinbar. Allerdings gilt auch insoweit: Der Bußgeldbescheid beschreibt die vorgeworfenen Handlungen – zum großen Teil in der Form des Unterlassens der Löschung, teilweise als unterlassene Kennzeichnung von Daten – nachvollziehbar und deutlich. Der Betroffenen ist es möglich und unbenommen, im Bußgeldverfahren darzustellen, dass die Daten nicht gespeichert oder rechtmäßig gespeichert und ggf. rechtzeitig gelöscht wurden. Jedenfalls unter Zugrundelegung der vom EuGH umrissenen Grundzüge einer umfassenden Unternehmensverantwortung ist nicht ersichtlich, dass eine noch ausführlichere und noch „konkretere“ Darstellung der Tatvorwürfe im Bußgeldbescheid die Verteidigungsmöglichkeiten der Betroffenen substantiell erweitern könnte. Durch das EuGH-Judikat verringerte Exkulpationsmöglichkeiten sind nicht Folge eines unkonkret bleibenden Bußgeldbescheids, sondern einer dem Effektivitätsgrundsatz geschuldeten europarechtskonform erweiterten Verbandsverantwortung.

f) Folgerichtig ist der Verteidigung schließlich auch darin zu widersprechen, die Bezeichnung der dem Organ vorwerfbaren Tat sei unerlässliche Voraussetzung des Bußgeldbescheids. Dieses ehedem bestehende Erfordernis, das dem limitierten Haftungsregime des nationalen Rechts folgte, ist durch die im hiesigen Verfahren ergangene Vorabentscheidung des EuGH zu einer umfassenden Verbandsverantwortung nach kartellrechtlichem Vorbild obsolet. In dieser heißt es, „dass die Anwendung von Art. 83 DSG-VO keine Handlung und nicht einmal eine Kenntnis seitens des Leitungsorgans“ voraussetzt (Rn. 77).

3. Da kein Verfahrenshindernis besteht, war der angefochtene Beschluss aufzuheben, und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Funktional zuständig ist nicht die große Strafkammer (Wirtschaftskammer), sondern die Kammer für Bußgeldsachen (§ 47 Abs. 7 OWiG). Der Senat kann nachvollziehen, dass die Kammer entgegen einer analogen Anwendung des § 68 Abs. 1 Satz 2 OWiG nicht durch Einzelrichter entschieden hat, sondern – wohl entsprechend §§ 46 Abs. 1 OWiG, 76 Abs. 1 GVG – zuletzt eine Besetzung gewählt hat, die der einer großen Strafkammer entspricht (vgl. zur funktionalen Zuständigkeit und zur Besetzungsfrage Brodowski/Nowak in BeckOK Datenschutzrecht, 46. Edition, § 41 BDSG Rn. 16). Hierfür spricht, dass sich die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts (§ 41 Abs. 1 Satz 3 BDSG) aus dem Streben nach einer verbesserten Kontrolle ableiten dürfte, die sich jedenfalls im Leitbild aus der Beteiligung mehrerer (Berufs-) Richter ergibt.

4. Eine Kostenentscheidung ist in Bezug auf das Rechtsmittel nicht veranlasst (ex arg. BGH WuW 2020, 615). Über die Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens hat an sich das vorlegende Gericht zu entscheiden (Art. 102 EuGHVerfO). Das Vorabentscheidungsverfahren erweist sich aber lediglich als Zwischenverfahren des gleichfalls unselbständigen Beschwerdeverfahrens, durch dessen Entscheidung das Bußgeldverfahren nicht abgeschlossen wird. Da das Bußgeldverfahren beim Landgericht Berlin fortgesetzt und durch dieses entschieden wird, ist es angemessen, dass die Kammer für Bußgeldsachen in der abschließenden Kostengrundentscheidung über die Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens mitentscheidet (vgl. bei ähnlicher Konstellation BGH WM 1996, 1889 unter Bezug auf EuGH GRUR Int. 1996, 147).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Frankfurt: Kein Erstattungsanspruch gegen Bank nach Phishing-SMS wenn Kunde grob fahrlässig handelt - Mehrmalige Bestätigung per PushTAN auf Anforderung eines Anrufers

OLG Frankfurt
Urteil vom 06.12.2023
3 U 3/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass kein Erstattungsanspruch gegen die Bank nach einem Phishing-Angriff per SMS besteht, wenn der Kunde grob fahrlässig gehandelt hat (hier; Mehrmalige Bestätigung per PushTAN auf Anforderung eines Anrufers).

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Phishing-Angriff - Keine Haftung der Bank
Die Bank haftet nicht für einen aufgrund Phishing-Angriffs vom Kunden grob fahrlässig freigegebenen Überweisungsbetrag.

Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung frei, handelt er grob fahrlässig. Die Bank schuldet in diesem Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags, bestätigte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit heute veröffentlichter Entscheidung das klageabweisende Urteil des Landgerichts.

Der Kläger, Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät, führt bei der Beklagten ein Girokonto. Online-Transaktionen bestätigt er mit dem sog. PushTAN-Verfahren. Sobald in seinem Online-Banking ein Auftrag erteilt wird, erhält er über die auf seinem Smartphone installierte PushTAN-App eine Benachrichtigung und wird zur Freigabe des Auftrags aufgefordert. Zusätzlich hat er eingestellt, dass seine Identität über die Gesichtserkennung des Smartphones bestätigt werden muss. Sein Überweisungslimit lag bei 10.000 €.

Der Kläger erhielt im September 2021 eine SMS mit dem Hinweis, dass sein Konto eingeschränkt worden sei. Es solle sich für ein neues Verfahren anmelden und hierzu einem Weblink folgen, der das Wort „Sparkasse“ enthielt. Die im Absender der SMS genannte Telefonnummer hatte die Beklagte in der Vergangenheit bereits verwendet, um den Kläger über vorrübergehende Sperrungen nach Sicherheitsvorfällen zu informieren. Der Kläger folgte dem in der SMS angegebenen Link. Anschließend wurde er von einer männlichen Person angerufen und bestätigte auf Anweisung des Anrufers seinen Angaben nach „etwas“ in der PushTAN-App der Beklagten. Am selben Tag wurde das Konto des Klägers mit einer Überweisung i.H.v. 49.999,99 € belastet und als Empfänger eine männliche Person mit Vor- und Nachnamen angegeben.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Gutschrift dieses Betrags. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Die Beklagte schulde im Ergebnis nicht die Gutschrift des Betrags, da der Kläger grob fahrlässig seine Pflichten verletzt habe, bestätigte das OLG die landgerichtliche Entscheidung.

Für die Limitänderung fordere die Beklagte eine starke Kundenauthentifizierung mit PIN und PushTAN. Gemäß den Aufzeichnungen der Beklagten sei am Tag der Überweisung eine PushTAN-Freigabe für ein temporäres Tageslimit von 50.000 € angefordert worden, die per Gesichtserkennung auch erteilt worden sei. Von derselben IP-Adresse aus sei nachfolgend eine PushTAN-Freigabe für die streitgegenständliche Überweisung über 49.999,99 € angefordert und ebenfalls per Gesichtserkennung erteilt worden.

Damit sei der Vortrag des Klägers, nur einmal „etwas“ in seiner PushTAN-App mittels Gesichtskennung bestätigt zu haben, nicht glaubhaft. Aufgrund der beruflichen Qualifikation des Klägers könne unterstellt werden, dass er in geschäftlichen Dingen grundsätzlich erfahren sei. Er habe auch selbst berichtet, Online-und Telefonbanking bei mehreren Instituten zu nutzen und mit den grundlegenden Funktionen von Banking- bzw. TAN-Apps vertraut zu sein. Da die Erinnerung des Klägers an Nebendetails des Ablaufs sehr ungenau gewesen seien, spreche eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch seine Erinnerung an die Anzahl der von ihm abgegebenen PushTAN-Bestätigungen unzuverlässig sei.

Der Kläger habe durch die Bestätigung von PushTANs auf Anforderung des Anrufers hin gegen seine Verpflichtung, Sicherheitsmerkmale vor unbefugten Zugriff zu schützen, verstoßen und einem unbekannten Dritten Zugriff auf ein personalisiertes Sicherheits­merkmal gewährt. Dadurch habe er faktisch die Kontrolle über das Authentifizierungsinstrument PushTAN in die Hände des Anrufers gelegt.

Die Freigabe einer PushTAN auf telefonischen Zuruf hin begründe den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit in objektiver und subjektiver Hinsicht. Bei der Freigabeaufforderung werde dem Kunden grundsätzlich angezeigt, für welchen konkreten Vorgang – etwa eine Überweisung in konkreter Höhe – die TAN geschaffen wurde. “Beachtet ein Kunde diese deutlichen Hinweise nicht und erteilt die Freigabe, ohne auf die Anzeige zu achten, liegt hierin kein bloß einfach fahrlässiger Pflichtverstoß mehr“, betont das OLG, „Denn bei Nutzung einer App, die explizit der Freigabe von Finanztransaktionen dient, muss es im Allgemeinen jedem einleuchten, dass die Anzeige zur Kenntnis zu nehmen und gründlich zu prüfen ist“.

Soweit sich der Kläger auf einen atypischen Ablauf in der App berufe, auf die er durch den Klick auf den in der SMS angegebenen Link geraten sei, könne ihm nicht entgangen sein, dass sämtliche Banken seit Jahren vor so genannten Phishing-Nachrichten warnten. Diese erweckten den ersten Eindruck, von einem Zahlungsdiensteanbieter zu stammen, führten typischerweise aber zu gefälschten Websites. Dieses kriminelle Phänomen werde seit 2006 öffentlich breit diskutiert. Hier handele es sich offensichtlich um eine derartige Phishing-Nachricht. Dies habe der Kläger auch spätestens nach der Aufforderung, persönliche Sicherheitsmerkmale im Rahmen einer von ihm selbst als „atypisch“ wahrgenommenen Umgebung freizugeben, erkennen müssen. „Spätestens an diesem Punkt hätte die Überlegung ganz nahegelegen, dass er einem Betrugsversuch aufgesessen war.“

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger die Zulassung der Revision beim BGH begehrt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 06.12.2023, Az. 3 U 3/23
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 09.12.2022, Az. 2-25 O 41/22)


EuGH: DSGVO-Geldbuße gegen Unternehmen durch Datenschutzbehörde setzt schuldhaften Verstoß voraus - Höhe richtet sich nach dem Jahresumsatz des Konzerns

EuGH
Urteil vom 05.12.2023, C-683/21 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


Der EuGH hat entschieden, dass eine Geldbuße gegen ein Unternehmen durch die Datenschutzbehörde wegen eines DSGVO-Verstoßes einen schuldhaften Verstoß voraussetzt. Die Höhe richtet sich bei Unternehmen, die einem Konzern angehören, nach dem Jahresumsatz des Konzerns.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Nur ein schuldhafter Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung kann zur Verhängung einer Geldbuße führen

Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, bemisst sich die Geldbuße nach dem Jahresumsatz des Konzerns

Der Gerichtshof präzisiert die Voraussetzungen, unter denen die nationalen Aufsichtsbehörden eine Geldbuße gegen einen oder mehrere für die Datenverarbeitung Verantwortliche wegen Verstoßes gegen die DatenschutzGrundverordnung (DSGVO) verhängen können. Insbesondere stellt er fest, dass die Verhängung einer solchen Geldbuße ein schuldhaftes Verhalten voraussetzt, der Verstoß also vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sein muss. Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, ist bei der Berechnung der Geldbuße auf den Umsatz des Konzerns abzustellen

Ein litauisches und ein deutsches Gericht haben den Gerichtshof ersucht, die Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO)1 auszulegen, und zwar im Hinblick auf die Möglichkeit nationaler Aufsichtsbehörden, Verstöße gegen diese Verordnung durch Verhängung einer Geldbuße gegen den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen zu ahnden.

Im litauischen Fall wendet sich das Nationale Zentrum für öffentliche Gesundheit beim Gesundheitsministerium gegen eine Geldbuße in Höhe von 12 000 Euro, die ihm im Zusammenhang mit der Entwicklung (mit Unterstützung durch ein privates Unternehmen) einer mobilen Anwendung auferlegt wurde, die der Erfassung und Überwachung der Daten der dem Covid-19-Virus ausgesetzten Personen dienen sollte.

Im deutschen Fall wendet sich das Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen, das mittelbar rund 163 000 Wohneinheiten und 3 000 Gewerbeeinheiten hält, u. a. gegen eine Geldbuße von über 14 Mio. Euro, die ihm auferlegt wurde, weil es personenbezogene Daten von Mietern länger als erforderlich speicherte.

Der Gerichtshof entscheidet, dass gegen einen für die Datenverarbeitung Verantwortlichen nur dann eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen die DSGVO verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß schuldhaft – also vorsätzlich oder fahrlässig – begangen wurde. Dies ist dann der Fall, wenn sich der Verantwortliche über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein konnte, gleichviel, ob ihm dabei bewusst war, dass es gegen die Bestimmungen der DSGVO verstößt.

Handelt es sich bei dem Verantwortlichen um eine juristische Person, ist es nicht erforderlich, dass der Verstoß von ihrem Leitungsorgan begangen wurde oder dieses Organ Kenntnis davon hatte. Vielmehr haftet eine juristische Person sowohl für Verstöße, die von ihren Vertretern, Leitungspersonen oder Geschäftsführern begangen werden, als auch für Verstöße, die von jeder sonstigen Person begangen werden, die im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit in ihrem Namen handelt. Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person als Verantwortliche darf nicht der Voraussetzung unterliegen, dass zuvor festgestellt wurde, dass der Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde.

Außerdem kann gegen einen Verantwortlichen eine Geldbuße auch für Verarbeitungsvorgänge verhängt werden, die von einem Auftragsverarbeiter durchgeführt wurden, sofern diese Vorgänge dem Verantwortlichen zugerechnet werden können.

Zur gemeinsamen Verantwortlichkeit von zwei oder mehr Einrichtungen führt der Gerichtshof aus, dass diese sich allein daraus ergibt, dass die Einrichtungen an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung mitgewirkt haben. Die Einstufung als „gemeinsam Verantwortliche“ setzt keine förmliche Vereinbarung zwischen den betreffenden Einrichtungen voraus. Eine gemeinsame Entscheidung oder übereinstimmende Entscheidungen reichen aus. Handelt es sich jedoch tatsächlich um gemeinsam Verantwortliche, müssen diese in einer Vereinbarung ihre jeweiligen Pflichten festlegen.

Schließlich muss sich die Aufsichtsbehörde bei der Bemessung der Geldbuße, wenn der Adressat ein Unternehmen ist oder zu einem Unternehmen gehört, auf den wettbewerbsrechtlichen Begriff „Unternehmen“ stützen. Der Höchstbetrag der Geldbuße ist daher auf der Grundlage eines Prozentsatzes des gesamten Jahresumsatzes zu berechnen, den das betreffende Unternehmen als Ganzes im vorangegangenen Geschäftsjahr weltweit erzielt hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-683/12 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


Volltext BGH-Vorlagebeschluss an EuGH: Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß - Voraussetzungen und Höhe des Schadensersatzanspruchs aus Art. 82 DSGVO

BGH
Beschluss vom 26.09.2023
VI ZR 97/22
Verordnung (EU) 2016/679 Art. 17, Art. 18, Art. 79, Art. 82 Abs. 1, Art. 84; GG Art. 2 Abs. 1; BGB §§ 253, 823, § 1004 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH legt EuGH vor: Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO - Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Vorlagefragen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 17, Art. 18, Art. 79, Art. 82 Abs. 1 und Art. 84 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO, ABl. EU L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1) zur Frage des Bestehens eines unionsrechtlichen Unterlassungsanspruchs der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, bzw. zu der insoweit bestehenden Möglichkeit eines Rückgriffs auf das nationale Recht und zum Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO.

BGH, Beschluss vom 26. September 2023 - VI ZR 97/22 - OLG Frankfurt in Darmstadt - LG Darmstadt

Die Vorlagefragen:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DatenschutzGrundverordnung, DSGVO, ABl. EU L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a) Ist Art. 17 DSGVO dahingehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt?

b) Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art. 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben?

2. Falls Fragen 1a) und/oder 1b) bejaht werden:

a) Besteht der unionsrechtliche Unterlassungsanspruch nur dann, wenn künftig weitere Beeinträchtigungen der sich aus der DSGVO ergebenden Rechte der betroffenen Person zu besorgen sind (Wiederholungsgefahr)?

b) Wird das Bestehen der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls aufgrund des bereits vorliegenden Verstoßes gegen die DSGVO vermutet?

3. Falls Fragen 1a) und 1b) verneint werden:

Sind Art. 84 i.V.m. Art. 79 DSGVO dahingehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, neben dem Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO und den sich aus Art. 17 und Art. 18 DSGVO ergebenden Ansprüchen einen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen?

4. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass für die Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung bloße negative Gefühle wie z.B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Angst, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens sind, genügen? Oder ist für die Annahme eines Schadens ein über diese Gefühle hinausgehender Nachteil für die betroffene natürliche Person erforderlich?

5. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters bzw. seiner Mitarbeiter ein relevantes Kriterium darstellt? 6. Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden: Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

6. Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden:

Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Heilbronn: PushTAN-Verfahren weist erhöhtes Gefährdungspotential auf so dass kein Anscheinsbeweis für die Autorisierung einer Zahlungsanweisung im Sinne von § 675w BGB besteht

LG Heilbronn
Urteil vom 16.05.2023
Bm 6 O 10/23


Das LG Heilbronn hat entschieden, dass das PushTAN-Verfahren ein erhöhtes Gefährdungspotential aufweist, so dass kein Anscheinsbeweis für die Autorisierung einer Zahlungsanweisung im Sinne von § 675w BGB besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Anspruch des Klägers aus § 675u S.2 BGB ist zunächst entstanden.

DievomKlägererklärteKlageänderungnachHinweisdesGerichtsistgem.§264Nr. 2ZPOzulässig.AlsRechtsfolgegewährt § 675u S. 2 BGB einen Erstattungsanspruch. „Erstattung“ ist der Oberbegriff für die Auszahlung und die Stornobuchung,

d.h. die Wertstellung in Höhe der nicht autorisierten Zahlung. Der Anspruch ist in der Regel auf Wertstellung in Höhe der nicht autorisierten Zahlung gerichtet, nicht unmittelbar auf Zahlung.

Die streitgegenständlichen Überweisungen von den Konten des Klägers waren von diesen auch nicht autorisiert. Nach der Legaldefinition des § 675j Abs. 1 S. 1 BGB ist die Autorisierung die wirksame Zustimmung des Zahlers zum Zahlungsvorgang, welche nach § 675j Abs. 1 S. 2 BGB als Einwilligung oder, sofern zwischen dem Zahler und seinem Zahlungsdienstleister zuvor vereinbart, auch als Genehmigung erteilt werden kann. Selbst eine Stellvertretung ist insoweit grundsätzlich möglich (Jungmann in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl., § 675j Rz. 14; Berger in: Jauernig, BGB, 18. Aufl., § 675j Rz. 1; differenzierend Köndgen in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.04.2022, § 675j BGB Rz. 17 ff.; Schmalenbach in: BeckOK BGB, 62. Ed., Stand: 01.05.2022, § 675j Rz. 3).

Die vereinzelt vertretene Ansicht, dass in Fällen, in denen der Nutzer seine persönlichen Daten in die Eingabemaske einer manipulierten Webseite eingibt und sie somit unbewusst an den Angreifer weiterleitet, das Einverständnis des Nutzers zu den durch den Angreifer sodann durchgeführten Zahlungsvorgängen nach den Grundsätzen der Rechtscheinsvollmacht zuzurechnen sei (z.B. LG Darmstadt, Urteil v. 28.08.2014, Az. 28 O 36/14, juris Rz. 37 ff.), ist abzulehnen. Gleiches muss für die vorliegende Sonderform des telefonischen Abgreifens der TAN gelten. Die Grundsätze über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht finden in Bezug auf die Zustimmung i.S.v. § 675j BGB richtigerweise keine Anwendung (BGH, Urteil v. 26.01.2016, Az. XI ZR 91/14, Rz. 55 ff.; Urteil v. 16.06.2015, Az. XI ZR 243/13, Rz. 22 ff.; Köndgen in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.04.2022, § 675j BGB Rz. 20; Schulte-Nölke in: Schulze, BGB, 11. Aufl., § 675j Rz. 2;).

Der Kläger trägt vor, dass er keine der streitgegenständlichen Überweisungen veranlasste, sondern ein unbekannter Dritter ohne sein Wissen und Wollen mit der vermeintlich für andere Maßnahmen abgefragten TAN-Nummern, entgegen der Erwartung, diese TANs seien für die Rückgängigmachung der erfolgten Überweisungen erforderlich. Dies wird von der Beklagten letztlich zugestanden, so dass es auf die Frage der Darlegungs- und Beweislast für die Autorisierung der Überweisungen - welche gemäß § 675w S. 1 BGB bei der Beklagten läge - vorliegend nicht ankommt.

Abgesehen davon gilt nach Auffassung des Gerichts, dass nicht nur das klassische PIN/TAN-Verfahren, bei dem die jeweils zu verwendende TAN vom Zahlungsdienstnutzer selbst ausgewählt werden kann, die für einen Anscheinsbeweis erforderliche sehr hohe Wahrscheinlichkeit vermissen lässt (ähnlich LG Bonn 19.12.2003 - 2 O 472/03, MMR 2004, 179, 180 = CR 2004, 218), sondern auch das vorliegend zur Anwendung kommende pushTAN-Verfahren, in dem die TAN auf dem Mobiltelefon in einem anderen Programm (App) angezeigt wird, als demjenigen, das den Bankzugang ebenfalls mittels auf demselben Smartphone installierter BankApp (SecureGo-App) vermittelt. Denn die für die Sicherheit des smsTAN-Verfahrens wesentliche Trennung der Kommunikationswege (Übermittlung des Zahlungsauftrages übers Internet am Computer und Mitteilung der TAN per SMS ans Mobiltelefon) wird damit aufgegeben, wobei der besondere Komfort dieses Verfahrens (gesamter Zahlungsvorgang ohne Zusatzgerät mit nur einem einzigen Mobilgerät) deren Verbreitung gefördert hat (vgl. insoweit Ellenberger/Bunte/Maihold, Bankrechtshandbuch Band 1 6. Aufl. 2022 Rz. 34 f und Rz.391 mit Verweisen auf wissenschaftliche Untersuchungen zum hohen Gefährdungspotential bei Verwendung nur noch zweier Apps auf einem Gerät statt Nutzung getrennter Kommunikationswege sowie Hinweisen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik und der Schlussfolgerung, deshalb liege keine Authentifizierung aus wenigstens zwei voneinander unabhängigen Elementen i.S.v. § 1 Abs. 24 ZAG vor).

2. Der Anspruch des Klägers nach § 625u S. 2 BGB ist aber durch wirksame Aufrechnung der Beklagten wieder erloschen, § 389 BGB. Die Beklagte hat in der Klageerwiderung die Gegenforderung beziffert und in der mündlichen Verhandlung nach Hinweis des Gerichts die Aufrechnung ausdrücklich erklärt, § 388 BGB.

Die Beklagte hat nach § 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a), b) BGB Gegenansprüche auf Schadensersatz gegen den Kläger jeweils mindestens in Höhe dessen Erstattungsansprüche gemäß § 675u S. 2 BGB. Dabei gilt in rechtlicher Hinsicht, dass nach § 675 v Abs. 3 Nr. 2 BGB der Zahler seinem Zahlungsdienstleister zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet ist, der infolge eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs entstanden ist, wenn der Zahler den Schaden herbeigeführt hat durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung einer oder mehrerer Pflichten gemäß § 675 l Absatz 1 BGB oder einer oder mehrerer vereinbarter Bedingungen für die Ausgabe und Nutzung des Zahlungsinstruments. Eine grobe Fahrlässigkeit liegt nach allgemeinen Regeln vor bei einem objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbarem Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, wenn also das außer Acht gelassen wird, was jedem hätte einleuchten müssen.

Nach § 675l Abs. 1 S. 1 BGB ist der Zahler verpflichtet, unmittelbar nach Erhalt eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments alle zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um die personalisierten Sicherheitsmerkmale vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Personalisierte Sicherheitsmerkmale sind gemäß § 1 Abs. 25 ZAG - in der hier maßgeblichen, ab 1.7.2021 geltenden Fassung - personalisierte Merkmale, die der Zahlungsdienstleister einem Zahlungsdienstnutzer zum Zwecke der Authentifizierung bereitstellt. Darunter fallen insbesondere TAN, welche einmal für die Autorisierung einer ganz bestimmten Transaktion eingesetzt werden können, dem Zahlungsdienstnutzer erst im Zusammenhang mit der jeweiligen Transaktion übermittelt werden und nur für eine kurze Zeit gültig sind. Unbefugt ist namentlich jede Verwendung, die ohne oder gegen den Willen des Inhabers des Zahlungsinstruments erfolgt und dementsprechend auf die Auslösung eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs gerichtet ist (Jungmann in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl., § 675l Rz. 19). Der Kläger hatte allgemein dafür Sorge zu tragen, dass nicht dritte Personen die unkontrollierte Zugriffsmöglichkeit auf sein Online-Banking oder die Banking-App mittels Zugangsdaten und TAN bekommen und so ohne sein Wissen und Wollen Transaktionen von seinem Konto bei der Beklagten durchführen können (generell zum Sorgfaltsmaßstab beim Online-Banking und beim Mobile Banking ausführlich: Jungmann in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl., § 675l Rz. 42 m.w.N.; s. auch Hofmann in: beck-online GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.10.2021, § 675l Rz. 82 ff.). Die vom Zahlungsdienstnutzer geschuldeten Sorgfaltspflichten sind außerdem nach der Art des konkreten Angriffs zu bestimmen.

Beim Social Engineering wird von den Tätern die „Schwachstelle Mensch“ ausgenutzt, um auf diese Art und Weise personalisierte Sicherheitsmerkmale auszuspähen und in der Folge Zahlungen auszulösen. Diese Angriffe sind nicht ohne erhebliche Mitwirkung des Zahlungsdienstnutzers möglich. Die vom Zahlungsdienstnutzer zu erwartende angemessene Sorgfalt besteht darin, Zugangsdaten niemandem auf Nachfrage anzuvertrauen, sei es am Telefon, in E-Mails oder im Internet. Wenn sich jedem Zahlungsdienstnutzer in der entsprechenden Situation sowie dem betroffenen Zahlungsdienstnutzer ganz individuell geradezu aufdrängen musste, dass es sich nicht um einen regulären Vorgang handeln kann, ist von grober Fahrlässigkeit auszugehen. Ob der Zahlungsdienstnutzer erkennen muss, dass konkret ein Social-Engineering-Angriff stattfindet, ist stets Frage des Einzelfalls. Bezogen auf die Besonderheiten des Online-Banking liegt bei der telefonischen Weitergabe einer oder mehrerer TAN der Vorwurf einer groben Fahrlässigkeit nahe (LG Saarbrücken, Urteil vom 10.06.2022 - 1 O 394/21, BeckRS 2022, 14866; LG Köln, Urteil vom 10.09.2019 - 21 O 116/19, MMR 2020, 258; BeckOGK/Hofmann, 1.10.2021, BGB § 675l Rn. 93; Langenbucher/Bliesener/Spindler/Herresthal, 3. Aufl. 2020, 3. Kap. BGB § 675v Rn. 63; BeckOK BGB/Schmalenbach, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 675v Rn. 13). Insoweit ist die telefonische Weitergabe einer TAN nicht vergleichbar mit der Eingabe einer oder mehrerer TAN in eine gefälschte Eingabemaske (hierzu BGH, Urteil vom 24.04.2012 - XI ZR 96/11, NJW 2012, 2422), da sich die telefonische Weitergabe der TAN von dem üblichen Übermittlungsweg der TAN (Eingabe online) für jeden Nutzer offensichtlich unterscheidet (LG Saarbrücken, Urteil vom 9. Dezember 2022 – 1 O 181/20 –, Rn. 34 - 35, juris).

Unter Berücksichtigung aller Umstände des hiesigen Einzelfalls ist das Verhalten des Klägers nach Auffassung des erkennenden Gerichts als grob fahrlässig einzustufen.

So liegt schon ein Verstoß gegen Ziffer 7.1.(2) b 5. Spiegelstrich der vertraglich vereinbarten Sonderbedingungen für das Online-Banking vor: „Besitzelemente, wie z. B. die girocard mit TAN-Generator oder ein mobiles Endgerät, sind vor Missbrauch zu schützen, insbesondere…. – dürfen die Nachweise des Besitzelements (z. B. TAN) nicht außerhalb des Online-Banking mündlich (z. B. per Telefon) oder in Textform (z. B. per E-Mail, Messenger-Dienst) weitergegeben werden…“.

Im Ergebnis bestreitet der Kläger die von der Beklagten vorgelegten Protokolle nicht, wonach er insgesamt in einem Zeitraum von 6 Minuten telefonisch mindestens 3 unterschiedlich generierte TAN-Nummern telefonisch weitergegeben hat an eine ihm persönlich nicht bekannte Person, die noch nicht einmal unter einer dem Kläger bekannten Telefonnummer der Beklagten angerufen hat. Dabei leuchtet jedem ein, dass online-banking eben nur online erfolgt, gerade nicht telefonisch oder schriftlich, egal, wer sich am Telefon wegen angeblicher Maßnahmen meldet. Der Kläger, der eigenen Angaben zufolge schon langjährig Online-Banking bei der Beklagten nutzt, hat selbst auch keinen Fall geschildert, in dem er zuvor von einem Bankmitarbeiter telefonisch im Rahmen des Online-Bankings kontaktiert wurde. Ihm hätte also dieser Umstand besonders auffallen müssen, insbesondere aber auch der Umstand, dass ihm im Gespräch mehrere TAN abverlangt wurden, die er ja jeweils eigenständig kreieren musste. Aufgrund der in den letzten Jahren vielfach durch verschiedene Medien bekannt gewordenen Fälle ist die Erkenntnis, dass Kunden durch betrügerische Briefe und Anrufe vorgeblicher Bankmitarbeiter zur Preisgabe von Zugangsdaten zum Online-Banking veranlasst werden sollen, als allgemeines Wissen vorauszusetzen. Jedenfalls seit 2006 wurde das kriminelle Phänomen des Phishings öffentlich breit diskutiert. Der Kläger musste daher von der Möglichkeit solcher betrügerischen Vorgänge, wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung, jedenfalls allgemeine Kenntnis haben. Falls nicht, wäre dies zumindest als grob fahrlässige Unkenntnis einzustufen (OLG München, Beschluss vom 22. September 2022 – 19 U 2204/22 –, juris). Hinzu kommt der Umstand, dass ausweislich der Anlage B2 dem Kläger bei Mitteilung der generierten TAN deren Verwendungszweck auf dem Smartphone-Display mitangezeigt wurde, also u.a. auch der Überweisungsbetrag und die IBAN des Empfängers. Das Bestreiten des Vortrages der Beklagten durch den Kläger mit Nichtwissen in der Replik dahingehend, ob diese Anzeige auch schon im September 2021 erfolgte, ist prozessual unbeachtlich. Es handelt sich um eine eigene Wahrnehmung des Klägers, der eigenen Angaben zufolge schon jahrelang das Online-Banking der Beklagten und die SecureGo-App nutzt, weshalb ein Bestreiten mit Nichtwissen prozessual unbeachtlich bleibt. Letztlich hat der Kläger in seiner offenen und überzeugenden Schilderung anlässlich seiner Anhörung auch eingeräumt, dass die Angaben aus der Anlage B 2 tatsächlich in der SecureGo-App bei Mitteilung der jeweiligen TAN sichtbar waren. Dann aber ist es nicht mehr nachvollziehbar, bei Anzeige der Überweisungsbeträge und der Empfänger-IBAN bei der übermittelten TAN diese mündlich an einen Dritten telefonisch zu übermitteln im Glauben daran, damit würde eine Überweisung rückgängig gemacht. Das genaue Gegenteil ergibt sich aus der Ansicht in der SecureGo-App. Bei einer Gesamtschau dieser Umstände musste sich dem Kläger daher aufdrängen, dass es sich nicht um einen regulären Vorgang, sondern nur um einen Betrug handeln konnte.

3. Eine Kürzung des Aufrechnungsanspruchs wegen eines Mitverschuldens der Beklagten scheidet aus.

Soweit der Kläger behauptet, in zeitlich engem Zusammenhang zu dem streitgegenständlichen Tatvorgang sei es nach Mitteilung einer Mitarbeiterin zu weiteren Betrugsfällen mit ähnlichem bzw. identischen Tatmuster gekommen sei, was den Verdacht bestärke, dass es ein Sicherheitsleck auf Seiten der Beklagten gegeben habe, bleibt dieser Vortrag in der Sache und der zeitlichen Einordnung (schon vor 24.9.2021, wie lange davor und ab wann der Beklagten in wie vielen Fällen bekannt) ohne Substanz und damit als Behauptung ins Blaue rechtlich ohne Belang.

Auch die Tatsache, dass die TAN-Nummern des Klägers innerhalb von einigen Minuten verwendet wurden, um insgesamt zwei Auszahlungen i.H.v. 4.989,36 € sowie 3.444,36 € vorzunehmen und der doch relativ unübliche Empfängername und die Tatsache, dass dort keinerlei Verwendungszweck angegeben war, rechtfertigt keinen Mitverschuldenseinwand etwa dahingehend, dass die Mitarbeiter der Beklagten zumindest zur telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Kläger Veranlassung hätten sehen müssen. Im Zahlungsverkehr bestehen Warn- und Hinweispflichten der Kreditinstitute zum Schutz ihrer Kunden vor drohenden Schäden nur in Ausnahmefällen. So hat im Überweisungsverkehr ein Kreditinstitut, das aufgrund massiver Anhaltspunkte den Verdacht hegt, dass ein Kunde bei der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr durch eine Straftat einen anderen schädigen will, diesem gegenüber eine Warnpflicht (BGH Urteil v. 6. Mai 2008 - XI ZR 56/07, BGHZ 176, 281 Rn. 14,15). Die Bank muss aber weder generell prüfen, ob die Abwicklung eines Zahlungsverkehrsvorgangs Risiken für einen Beteiligten begründet, noch Kontobewegungen allgemein und ohne besondere Anhaltspunkte überwachen. Eine Warnpflicht besteht erst dann, wenn die Bank ohne nähere Prüfung im Rahmen der normalen Bearbeitung eines Zahlungsverkehrsvorgangs aufgrund einer auf massiven Verdachtsmomenten beruhenden objektiven Evidenz den Verdacht einer Veruntreuung schöpft (BGH, Urteil vom 24. April 2012 – XI ZR 96/11 –, Rn. 32, juris). Ohne besondere weitere Anhaltspunkte geben Überweisungen mit Auslandsberührung, der Einsatz glatter Beträge und dadurch eintretende Kontoüberziehungen einer Bank ohne nähere Prüfung keinen hinreichenden Anlass, den Verdacht einer Straftat zu schöpfen. Kreditinstitute werden im bargeldlosen Zahlungsverkehr nur zum Zweck der technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Abwicklung tätig und haben sich schon wegen dieses begrenzten Geschäftszwecks und der Massenhaftigkeit der Geschäftsvorgänge grundsätzlich nicht um die beteiligten Interessen ihrer Kunden zu kümmern.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH legt EuGH vor: Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO - Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß

BGH
Beschluss vom 26. 09.2023
VI ZR 97/22

Der BGH hat dem EuGH diverse sehr praxisrelevante Fragen zur Auslegung der DSGVO zur Entscheidung vorgelegt. Zunächst geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO besteht und welche Kriterien bei der Bemessung der Höhe des Schadens zu berücksichtigen sind. Ferner soll die Streitfrage geklärt werden, ob der Betroffene bei einem DSGVO-Verstoß einen Unterlassungsanspruch hat und ob dieser aus der DSGVO oder anderen Vorschriften außerhalb der DSGVO hergeleitet werden kann.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof legt dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zum Bestehen eines
unionsrechtlichen Unterlassungsanspruchs und zum Begriff des immateriellen Schadens nach der
Datenschutz-Grundverordnung vor

Der unter anderem für Ansprüche nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung zur Auslegung von Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hinsichtlich des Bestehens eines unionsrechtlichen Unterlassungsanspruchs der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, bzw. zu der insoweit bestehenden Möglichkeit eines Rückgriffs auf das nationale Recht und zum Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO vorgelegt.

Sachverhalt:

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Weitergabe persönlicher Daten auf Unterlassung und Ersatz immateriellen Schadens in Anspruch. Er befand sich bei der beklagten Privatbank in einem Bewerbungsprozess, der über ein Online-Portal stattfand. Im Zuge dessen versandte eine Mitarbeiterin der Beklagten über den Messenger-Dienst des Portals eine nur für den Kläger bestimmte Nachricht auch an eine dritte, nicht am Bewerbungsprozess beteiligte Person, die mit dem Kläger vor einiger Zeit in derselben Holding gearbeitet hatte und ihn deshalb kannte. In der Nachricht wird unter anderem mitgeteilt, dass die Beklagte die Gehaltsvorstellungen des Klägers nicht erfüllen könne.

Der Kläger macht geltend, sein - immaterieller - Schaden liege nicht im abstrakten Kontrollverlust über die offenbarten Daten, sondern darin, dass nunmehr mindestens eine weitere Person, die den Kläger und potentielle wie ehemalige Arbeitgeber kenne, über Umstände Kenntnis habe, die der Diskretion unterlägen. Es sei zu befürchten, dass der in der gleichen Branche tätige Dritte die in der Nachricht enthaltenen Daten weitergegeben habe oder sich durch ihre Kenntnis als Konkurrent auf etwaige Stellen im Bewerbungsprozess einen Vorteil habe verschaffen können. Zudem empfinde er das "Unterliegen" in den Gehaltsverhandlungen als Schmach, die er nicht an Dritte - vor allem nicht an potentielle Konkurrenten - weitergegeben hätte.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben, die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt und dem Kläger, der immateriellen Schadensersatz von mindestens 2.500 € fordert, einen Betrag in Höhe von 1.000 € zuerkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, mit der er seine Ansprüche in vollem Umfang weiterverfolgt. Die Beklagte begehrt mit ihrer Revision die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a)Ist Art. 17 DSGVO dahingehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt?

b)Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art. 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben?

2. Falls Fragen 1a) und/oder 1b) bejaht werden:

a)Besteht der unionsrechtliche Unterlassungsanspruch nur dann, wenn künftig weitere Beeinträchtigungen der sich aus der DSGVO ergebenden Rechte der betroffenen Person zu besorgen sind (Wiederholungsgefahr)?

b)Wird das Bestehen der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls aufgrund des bereits vorliegenden Verstoßes gegen die DSGVO vermutet?

3.Falls Fragen 1a) und 1b) verneint werden:

Sind Art. 84 i.V.m. Art. 79 DSGVO dahingehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, neben dem Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO und den sich aus Art. 17 und Art. 18 DSGVO ergebenden Ansprüchen einen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen?

4.Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass für die Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung bloße negative Gefühle wie z.B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Angst, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens sind, genügen? Oder ist für die Annahme eines Schadens ein über diese Gefühle hinausgehender Nachteil für die betroffene natürliche Person erforderlich?

5.Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters bzw. seiner Mitarbeiter ein relevantes Kriterium darstellt?

6.Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden:

Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

Vorinstanzen:

LG Darmstadt - Urteil vom 26. Mai 2020 - 13 O 244/19

OLG Frankfurt am Main - Urteil vom 2. März 2022 - 13 U 206/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Art. 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Recht auf Löschung ("Recht auf Vergessenwerden")

(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft:

a)

Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig.

b)

Die betroffene Person widerruft ihre Einwilligung, auf die sich die Verarbeitung gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a stützte, und es fehlt an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung.

c)

Die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 1 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein und es liegen keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vor, oder die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 2 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein.

d)

Die personenbezogenen Daten wurden unrechtmäßig verarbeitet.

e)

Die Löschung der personenbezogenen Daten ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten erforderlich, dem der Verantwortliche unterliegt.

f)

Die personenbezogenen Daten wurden in Bezug auf angebotene Dienste der Informationsgesellschaft gemäß Artikel 8 Absatz 1 erhoben.

(2) Hat der Verantwortliche die personenbezogenen Daten öffentlich gemacht und ist er gemäß Absatz 1 zu deren Löschung verpflichtet, so trifft er unter Berücksichtigung der verfügbaren Technologie und der Implementierungskosten angemessene Maßnahmen, auch technischer Art, um für die Datenverarbeitung Verantwortliche, die die personenbezogenen Daten verarbeiten, darüber zu informieren, dass eine betroffene Person von ihnen die Löschung aller Links zu diesen personenbezogenen Daten oder von Kopien oder Replikationen dieser personenbezogenen Daten verlangt hat.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, soweit die Verarbeitung erforderlich ist

a)

zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information;

b)

zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, die die Verarbeitung nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, erfordert, oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde;

c)

aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit gemäß Artikel 9 Absatz 2 Buchstaben h und i sowie Artikel 9 Absatz 3;

d)

für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1, soweit das in Absatz 1 genannte Recht voraussichtlich die Verwirklichung der Ziele dieser Verarbeitung unmöglich macht oder ernsthaft beeinträchtigt, oder

e)

zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen.

Art. 18 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Recht auf Einschränkung der Verarbeitung

(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen die Einschränkung der Verarbeitung zu verlangen, wenn eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist:

a)

die Richtigkeit der personenbezogenen Daten von der betroffenen Person bestritten wird, und zwar für eine Dauer, die es dem Verantwortlichen ermöglicht, die Richtigkeit der personenbezogenen Daten zu überprüfen,

b)

die Verarbeitung unrechtmäßig ist und die betroffene Person die Löschung der personenbezogenen Daten ablehnt und stattdessen die Einschränkung der Nutzung der personenbezogenen Daten verlangt;

c)

der Verantwortliche die personenbezogenen Daten für die Zwecke der Verarbeitung nicht länger benötigt, die betroffene Person sie jedoch zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen benötigt, oder

d)

die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung gemäß Artikel 21 Absatz 1 eingelegt hat, solange noch nicht feststeht, ob die berechtigten Gründe des Verantwortlichen gegenüber denen der betroffenen Person überwiegen.

(2) Wurde die Verarbeitung gemäß Absatz 1 eingeschränkt, so dürfen diese personenbezogenen Daten - von ihrer Speicherung abgesehen - nur mit Einwilligung der betroffenen Person oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder zum Schutz der Rechte einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats verarbeitet werden.

(3) …

Art. 79 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Verantwortliche
oder Auftragsverarbeiter

(1) Jede betroffene Person hat unbeschadet eines verfügbaren verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs einschließlich des Rechts auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde gemäß Artikel 77 das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf, wenn sie der Ansicht ist, dass die ihr aufgrund dieser Verordnung zustehenden Rechte infolge einer nicht im Einklang mit dieser Verordnung stehenden Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten verletzt wurden.

(2) …

Art. 82 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Haftung und Recht auf Schadenersatz

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

(2) …

Art. 84 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Sanktionen

(1) Die Mitgliedstaaten legen die Vorschriften über andere Sanktionen für Verstöße gegen diese Verordnung - insbesondere für Verstöße, die keiner Geldbuße gemäß Artikel 83 unterliegen - fest und treffen alle zu deren Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

(2) …


EuGH: DSGVO-Verstoß begründet nicht automatisch einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO - aber keine Erheblichkeitsschwelle

EuGH
Urteil vom 04.05.2023
C-300/21
Österreichische Post (Immaterieller Schaden im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten)


Der EuGH hat entschieden, dass ein DSGVO-Verstoß nicht automatisch einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO begründet. Es kommt aber nicht darauf an, dass ein Erheblichkeitsschwelle überschritten wird.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen,
dass der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Verordnung nicht ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen.

2. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen,
dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, die den Ersatz eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung davon abhängig macht, dass der der betroffenen Person entstandene Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat.

3. Art. 82 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen,
dass die nationalen Gerichte bei der Festsetzung der Höhe des Schadenersatzes, der aufgrund des in diesem Artikel verankerten Schadenersatzanspruchs geschuldet wird, die innerstaatlichen Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über den Umfang der finanziellen Entschädigung anzuwenden haben, sofern die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Der bloße Verstoß gegen die DSGVO begründet keinen Schadenersatzanspruch

Der Schadenersatzanspruch hängt jedoch nicht davon ab, dass der entstandene immaterielle Schaden eine gewisse Erheblichkeit erreicht.

Ab dem Jahr 2017 sammelte die Österreichische Post Informationen über die politischen Affinitäten der österreichischen Bevölkerung. Mit Hilfe eines Algorithmus definierte sie anhand sozialer und demografischer Merkmale „Zielgruppenadressen“. Aus den so gesammelten Daten leitete die Österreichische Post ab, dass ein bestimmter Bürger eine hohe Affinität zu einer bestimmten österreichischen politischen Partei habe. Die verarbeiteten Daten wurden jedoch nicht an Dritte übermittelt.

Der betroffene Bürger, der der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten nicht zugestimmt hatte, behauptet, er habe dadurch, dass ihm eine besondere Affinität zu der fraglichen Partei zugeschrieben worden sei, großes Ärgernis und einen Vertrauensverlust sowie ein Gefühl der Bloßstellung verspürt. Als Ersatz des ihm angeblich entstandenen immateriellen Schadens begehrt er vor den österreichischen Gerichten die Zahlung von 1 000 Euro.

Der österreichische Oberste Gerichtshof äußerte Zweifel in Bezug auf den Schadensersatzanspruch, den die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)1 für den Fall vorsieht, dass wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist. Dieses Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob der bloße Verstoß gegen die DSGVO ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen, und ob für den Ersatz der entstandene immaterielle Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreichen muss. Des Weiteren möchte es wissen, welche unionsrechtlichen Vorgaben für die Festsetzung der Höhe des Schadenersatzes bestehen.

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof als Erstes fest, dass der in der DSGVO vorgesehene Schadenersatzanspruch eindeutig an drei kumulative Voraussetzungen geknüpft ist: einen Verstoß gegen die DSGVO, einen materiellen oder immateriellen Schaden, der aus diesem Verstoß resultiert, und einen Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verstoß. Demnach eröffnet nicht jeder Verstoß gegen die DSGVO für sich genommen den Schadenersatzanspruch. Eine andere Auslegung liefe dem klaren Wortlaut der DSGVO zuwider. Zudem führt nach dem Wortlaut der Erwägungsgründe der DSGVO, die speziell den Schadenersatzanspruch betreffen, ein Verstoß gegen die DSGVO nicht zwangsläufig zu einem Schaden und muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem fraglichen Verstoß und dem entstandenen Schaden bestehen, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen. Somit unterscheidet sich die Schadenersatzklage von anderen in der DSGVO vorgesehenen Rechtsbehelfen – insbesondere von jenen, die die Verhängung von Geldbußen erlauben –, für die das Vorliegen eines individuellen Schadens nicht nachgewiesen werden muss. Als Zweites stellt der Gerichtshof fest, dass der Schadenersatzanspruch nicht auf immaterielle Schäden beschränkt ist, die eine gewisse Erheblichkeit erreichen. In der DSGVO wird ein solches Erfordernis nicht erwähnt, und eine solche Beschränkung stünde zu dem vom Unionsgesetzgeber gewählten weiten Verständnis des Begriffs „Schaden“ im Widerspruch. Würde der Ersatz eines immateriellen Schadens von einer Erheblichkeitsschwelle abhängig gemacht, könnte dies zudem die Kohärenz der mit der DSGVO eingeführten Regelung beeinträchtigen. Die graduelle Abstufung, von der die Möglichkeit, Schadenersatz zu erhalten, abhinge, könnte nämlich je nach Beurteilung durch die angerufenen Gerichte unterschiedlich hoch ausfallen.

Als Drittes und Letztes stellt der Gerichtshof zu den Regeln für die Bemessung des Schadenersatzes fest, dass die DSGVO keine Bestimmung enthält, die sich diesen Regeln widmet. Daher sind die Ausgestaltung von Klageverfahren, die den Schutz der dem Einzelnen insoweit aus der DSGVO erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, und insbesondere die Festlegung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des in diesem Rahmen geschuldeten Schadenersatzes Aufgabe des Rechts des einzelnen Mitgliedstaats, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind. In diesem Zusammenhang betont der Gerichtshof die Ausgleichsfunktion des in der DSGVO vorgesehenen Schadenersatzanspruchs und weist darauf hin, dass dieses Instrument einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden sicherstellen soll.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwalt: Unmittelbare Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Person nach Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO möglich - § 30 OWiG gilt nicht

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom
C-807/21


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträge zu dem Ergebnis, dass die unmittelbare Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Person nach Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO möglich ist. § 30 OWiG greift insoweit nicht.

Das Ergebnis der Schlussanträge:
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Kammergericht Berlin (Deutschland) wie folgt zu antworten:

Art. 58 Abs. 2 Buchst. i der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) in Verbindung mit Art. 4 Nr. 7 und Art. 83 dieser Verordnung

ist dahin auszulegen, dass

die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person, die für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortlich ist, nicht von der vorherigen Feststellung eines Verstoßes durch eine oder mehrere individualisierte natürliche Person(en), die im Dienst dieser juristischen Person stehen, abhängt.

Die Verwaltungsgeldbußen, die gemäß der Verordnung 2016/679 verhängt werden können, setzen voraus, dass festgestellt wird, dass das den geahndeten Verstoß begründende Verhalten vorsätzlich oder fahrlässig war.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

OLG Hamm: 100 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO für versehentliche Weiterleitung personenbezogener Daten per E-Mail-Verteiler an 1200 Personen durch Impfzentrum

OLG Hamm
Urteil vom 20.01.2023
11 U 88/22


Das OLG Hamm hat entschieden, dass 100 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO für die versehentliche Weiterleitung personenbezogener Daten per E-Mail-Verteiler an 1200 Personen durch ein Impfzentrum angemessen ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Soweit das Landgericht den dem Kläger zum Ausgleich des ihm entstandenen immateriellen Schadens zustehenden Betrag mit 100,00 Euro bemessen hat, ist hiergegen aus Sicht des Senats nichts zu erinnern.

Ausgehend von dem bereits dargestellten Schadensbegriff gelten bei der Bemessung der Schadenshöhe die im Rahmen von § 253 BGB entwickelten Grundsätze; der Schaden ist nach § 287 ZPO zu schätzen (OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2022 – 5 U 2141/21, juris Rn. 81). Hierbei ist der Erwägungsgrund 146 S. 3 und 6 zur DS-GVO zu berücksichtigen, wonach der Begriff des Schadens auf eine Art und Weise auszulegen ist, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht und die betroffene Person einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten sollen. Ergänzend können auch in Art. 83 Abs. 2 DS-GVO genannte Kriterien herangezogen werden, obwohl diese Vorschrift nicht die Geltendmachung individueller Entschädigungsansprüche sondern die Verhängung von Geldbußen betrifft; dies gilt insbesondere für Art, Schwere und Dauer des Verstoßes unter Berücksichtigung von Art, Umfang oder Zweck der betreffenden Verarbeitung, den Grad des Verschuldens, Maßnahmen zur Minderung des entstandenen Schadens, frühere Verstöße sowie die Kategorie der betroffenen personenbezogenen Daten (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021 – 16 U 275/20, juris Rn. 55 f.; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.04.2022 – 3 U 21/20, juris Rn. 56; Quaas, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 31).

aa) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die in der Excel-Datei enthaltenen personenbezogenen Daten des Klägers, nämlich vollständiger Name, Anschrift, Geburtsdatum, Telefonnummer und E-Mail-Adresse sowie der für die Impfung vorgesehene Impfstoff und das Datum der Impfung sowie Angaben zur Anzahl der Impfungen in ihrer Gesamtheit ein Datenbündel darstellen, welches problemlos die Identifizierung des Klägers ermöglicht. Auch sind hier nicht lediglich personenbezogene Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO betroffen, sondern auch Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 4 Nr. 15 DS-GVO, welche grundsätzlich besonders sensibel sind, wie auch Art. 9 DS-GVO deutlich macht.

Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass die Excel-Datei an eine Vielzahl von Personen übersandt wurde. Insoweit hat die Beklagte im Senatstermin klargestellt, dass der Versand an insgesamt 1.200 Personen erfolgte, wobei allerdings ein unmittelbar nach dem Versand erfolgter Rückruf der E-Mail in 500 Fällen Erfolg hatte. Damit haben 700 Personen die Datei erhalten und konnten deren Inhalt auch zur Kenntnis nehmen, da die Datei nicht vor einem einfachen Zugriff geschützt war. Auch ist zu berücksichtigen, dass dieser Versand und damit die Offenbarung der Daten nicht mehr rückgängig zu machen ist. Denn der Kläger hatte bzw. hat keine Möglichkeit, eine etwaige Weitergabe der Daten effektiv zu verhindern oder auch nur zu kontrollieren. Trotz des von der Beklagten unternommenen Versuches, die Empfänger der E-Mail zur Löschung der Datei zu veranlassen, kann eine Weitergabe dieser Dateien an Dritte nicht ausgeschlossen werden.

Damit besteht für den Kläger das Risiko des Erhalts unerwünschter Werbung insbesondere per E-Mail oder von Phishing-E-Mails mit dem Ziel, auf diese Art weitere Informationen vom Kläger zu erlangen. Auch die Möglichkeit eines Identitätsdiebstahls ist ebenso in Betracht zu ziehen wie die Auslösung kostenpflichtiger Bestellungen durch Dritte unter Verwendung der personenbezogenen Daten des Klägers.

Es ist aber auch zu beachten, dass es sich bei den offenbarten personenbezogenen Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO lediglich um solche Daten handelt, welche der Sozialsphäre des Klägers zuzuordnen sind. Die Sozialsphäre betrifft den Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht, also insbesondere das berufliche und politische Wirken des Individuums. Demgegenüber umfasst die Privatsphäre sowohl in räumlicher als auch in thematischer Hinsicht den Bereich, zu dem andere grundsätzlich nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird. Dies betrifft in thematischer Hinsicht Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als „privat“ eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöst (BGH, Urteil vom 20.12.2011 – VI ZR 261/10, juris Rn. 16). Nach dieser Maßgabe sind jedenfalls die personenbezogenen Daten des Klägers, die zur Beschreibung seiner Person dienen, der Sozialsphäre zuzuordnen. Demgegenüber waren von dem Verstoß nicht besonders sensible Daten wie etwa Bank- oder Steuerdaten, Zugangsdaten und Kennwörter oder ähnliche Daten betroffen. Soweit Gesundheitsdaten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 15 DS-GVO offenbart wurden, sind diese zwar der Privatsphäre zuzurechnen. Allerdings darf hier nicht außer Acht gelassen werden, dass insbesondere im Hinblick auf den weiten Begriff der Gesundheitsdaten auch hier deren konkreter Inhalt zu berücksichtigen ist. Aus den offenbarten Daten lässt sich allenfalls das Fehlen einer Kontraindikation in der Person des Klägers bezüglich einer zweiten Impfung nach erfolgter Erstimpfung ableiten, nicht aber konkrete Schlüsse auf eine Erkrankung des Klägers oder eine besondere gesundheitliche Disposition. Damit stellt sich die Offenbarung der Gesundheitsdaten hier als weit weniger schwerwiegend dar, als dies etwa bei der Offenbarung spezifischer Gesundheitsdaten wie eines medizinischen Befundes oder einer ärztlichen Diagnose der Fall wäre.

Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass der vom Kläger beanstandete Versand der die personenbezogenen Daten des Klägers enthaltenden Datei von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt bezweckt war. Denn im Zuge des Betriebs des Impfzentrums benötigte die Beklagte die Datei einmalig für kurze Zeit zum Zwecke der Organisation des Impfzentrums, namentlich um die von der Änderung der Öffnungszeiten betroffenen Personen hierüber zu informieren. Der Versand der Datei beruhte auf einem Versäumnis der handelnden Mitarbeiter im Zug des Versands der E-Mail an die von der Änderung der Öffnungszeiten betroffenen Personen, war aber zu keinem Zeitpunkt intendiert.

Auch ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte mit dem Betrieb des Impfzentrums und den damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen hat und insbesondere nicht mit der Absicht handelte, hierbei in irgendeiner Weise Gewinne zu erzielen. Auch der Versand der E-Mail vom 00.00.2021 stand in keinerlei Zusammenhang mit einer gewinnorientierten Tätigkeit.

Ferner ist der geringe Grad des Verschuldens auf Seiten der Beklagten zu berücksichtigen. Insoweit geht der Senat lediglich von einem fahrlässigen Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten aus, welche die E-Mail abgesandt haben. Soweit der Kläger hier von einem vorsätzlichen Verstoß ausgeht, hat er schon nicht dargelegt, welche Umstände die Annahme von Vorsatz rechtfertigen sollten. Auch soweit der Kläger meint, es greife insoweit ein Beweis des ersten Anscheins ein, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Beweiswürdigungsregel des Anscheinsbeweises ist nur bei regelmäßigen (typischen) Geschehensabläufen anwendbar, die nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweisen (vgl. Laumen, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 4. Auflage 2019, Kap. 17 Rn. 10). Es ist schon nicht erkennbar, welcher typischen Geschehensablauf hier aufgrund von Erfahrungssätzen den Schluss auf ein vorsätzliches Verhalten erlauben soll. Allein der Versand einer E-Mail mit einem zuvor nicht entfernten Anhang kann zur Überzeugung des Senats jedenfalls nicht die Annahme rechtfertigen, die Übersendung der angehängten Datei sei vorsätzlich erfolgt. Im Hinblick auf die Darstellung der Beklagten von den Abläufen, die zum Versand der E-Mail nebst angehängter Excel-Datei geführt haben und die der Kläger auch im Senatstermin nicht in Abrede gestellt hat, ist die Annahme vorsätzlichen Verhaltens fernliegend. Vielmehr ist davon auszugehen, dass den betroffenen Mitarbeitern der Beklagten und damit auch der Beklagten allenfalls Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass nicht ersichtlich ist, dass es bereits vor dem streitgegenständlichen Vorfall zu einem vergleichbaren Verstoß gekommen ist und sich dieser anlässlich des Versands der E-Mail vom 00.00.2021 wiederholt hätte.

Schließlich zu berücksichtigen, dass die Beklagte alles in ihrer Macht Stehende unternommen hat, um den infolge des Verstoßes aufgetretenen Schaden gering zu halten. So wurde unmittelbar nach dem Versand der Mail der Versuch des Rückrufs der E-Mail unternommen, was bei insgesamt 500 Adressaten auch erfolgreich war. Ferner hat die Beklagte auch die Empfänger der E-Mail aufgerufen, die Daten zu löschen. Darüber hinaus hat die Beklagte den Kläger – sowie alle anderen Betroffenen – bereits kurz nach dem Verstoß mit Schreiben vom 05.08.2021 über diesen und über die offenbarten Daten informiert. Nachdem die Beklagte zudem Kenntnis davon erlangt hatte, dass sich eine Europäische Zentrale für Verbraucherschutz per E-Mail an den Kläger und andere Betroffene gewandt hatte, kam es nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten auf deren Betreiben auch zu einem Abschalten der Internetseite Webseite01.

Darüber hinaus hat die Beklagte sich mit Schreiben vom 05.08.2021 beim Kläger entschuldigt und den Vorfall der Aufsichtsbehörde angezeigt.

bb) Die Tatsache, dass der Kläger auf Facebook als Befürworter der Impfung aufgetreten ist und sich aus dem Profil auch Tag und Monat seines Geburtsdatums ablesen lassen, ist für die Bemessung der dem Kläger zuzusprechenden immateriellen Entschädigung demgegenüber lediglich von untergeordneter Bedeutung. Dies insbesondere deshalb, da die so durch den Kläger offenbarten Daten lediglich einen kleinen Teil der infolge des der Beklagten zuzurechnenden Datenschutzverstoßes offenbarten Daten repräsentieren, damit auch nicht ohne weiteres eine Identifizierung der Person des Klägers ermöglichen und der Kläger zudem auch eine Kontrolle über diese Daten innehat, die er jederzeit löschen kann.

cc) Im Rahmen der Genugtuungsfunktion des Ersatzanspruchs wegen immaterieller Schäden ist die an den Kläger versandte E-Mail vom 18.08.2021 von Bedeutung. Denn insoweit geht es nicht mehr nur um die bloße Sorge des Klägers vor den Folgen eines Datenschutzverstoßes und des darauf beruhenden Kontrollverlusts; vielmehr hat sich das in dem Datenschutzverstoß liegende Risiko hier bereits verwirklicht. Allerdings ist zu sehen, dass es sich lediglich um eine E-Mail handelt. Weitere konkrete Beeinträchtigungen über den eingetreten Kontrollverlust hinaus, die sich als Folge der Offenbarung der personenbezogenen Daten des Klägers darstellen, hat der Kläger im Senatstermin am 09.12.2022 verneint, sie werden angesichts der seit dem Datenverstoß bereits verstrichenen Zeit auch zunehmend weniger wahrscheinlich. Soweit der Kläger mit seinem Hinweis auf militante Impfgegner auf eine von diesen ausgehende Gefahr körperlicher oder sonstiger Übergriffe aufgrund des Umstands hinweisen will, dass der Kläger selbst eine Impfung befürwortet, hat sich insoweit kein Anhaltspunkt für eine konkrete Beeinträchtigung aufgrund des Datenschutzverstoßes ergeben.

dd) Soweit der Kläger geltend macht, der vom Landgericht zuerkannte Betrag von 100,00 Euro sei eher symbolischer Natur und habe keinerlei Abschreckungseffekt, so vermag der Senat dem nicht beizutreten.
153
Im Hinblick auf Erwägungsgrund 146 S. 3 zur DS-GVO sollen Schadenersatzforderungen zwar abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv gemacht werden (Schaffland/Holthaus, in: Schaffland/Wiltfang, DS-GVO/BDSG, Stand: August 2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 10b). Auch vermag sich ein Abschreckungseffekt vielleicht nicht aus dem dem Kläger zuerkannten Betrag ergeben. Allerdings ist hier in den Blick zu nehmen, dass der der Beklagten zuzurechnende Verstoß gegen die DS-GVO hier nicht lediglich den Kläger betrifft, sondern eine Vielzahl weiterer Personen, deren personenbezogene Daten ebenfalls in der übermittelten Excel-Datei enthalten waren. Insoweit gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass die Datei Daten von insgesamt 13.000 Personen enthielt. Dieser Umstand bietet jedenfalls das Potenzial, das sich aus Ansprüchen vieler Betroffener ein durchaus messbarer finanzieller Schadensbetrag bei der Beklagten einstellt.

ee) Eine Erhöhung der Entschädigung ist auch nicht im Hinblick auf eine Sanktionswirkung der Entschädigung angezeigt.

Das für die konkrete Bemessung der Höhe maßgebliche deutsche Recht (vgl. Nemitz, in: Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Auflage 2018, Art. 82 Rn. 17) kennt – anders als die Rechtsordnungen anderer Staaten – keinen Strafschadensersatz. Eine wie auch immer geartete Sanktionswirkung neben dem Ausgleich eines konkret entstandenen immateriellen Schadens ist daher bei der Bemessung der dem Kläger zustehenden Entschädigung nicht in Betracht zu ziehen. Insoweit bestimmt Art. 83 DS-GVO, dass die zuständige Aufsichtsbehörde im Falle eines Verstoßes gegen die DS-GVO neben einem etwaigen individuellen Anspruch auf Schadenersatz nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO eine Geldbuße verhängen kann.

ff) Unter Beachtung der vorstehenden Erwägungen hält der Senat bei einer Gesamtbetrachtung des vorliegenden Falles und seiner Besonderheiten im Hinblick auf den eingetretenen dauerhaften Kontrollverlust und den Erhalt einer unerwünschten E-Mail den durch das Landgericht zuerkannten Betrag in Höhe von 100,00 Euro für angemessen, aber auch ausreichend, um den beim Kläger eingetretenen immateriellen Schaden nach Maßgabe des in der DS-GVO geregelten Schadensersatzanspruchs zu kompensieren.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Hamm: Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO wegen unzulässiger Speicherung personenbezogener Daten allenfalls in Höhe von 50 EURO gerechtfertigt

OLG Hamm
Beschluss vom 19.12.2022
11 W 69/22


Das OLG Hamm hat im vorliegenden Fall entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO wegen unzulässiger Speicherung personenbezogener Daten allenfalls in Höhe von 50 EURO gerechtfertigt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Unabhängig von den fehlenden Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs kommt ein Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß Art. 82 DSGVO infrage.

Dass die Bestimmungen dieser EU-Verordnung von der Beklagten zu beachten waren, ist zwischen den Parteien nicht im Streit. Ihr sachlicher Anwendungsbereich (Art. 2 DSGVO) ist eröffnet, nachdem die Beklagte personenbezogene Daten des Klägers gespeichert hat. Es liegt auch ein Verstoß gegen die Vorschriften dieser Verordnung vor, weil die Speicherung der Daten gem. Art. 17 Abs. 1a DSGVO unzulässig war.

Im Rahmen der europarechtlich auszulegenden Verordnung - diese verlangt aufgrund des Erwägungsgrundes 146 S. 3 eine weite Auslegung des Schadensbegriffs im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, die den Zielen der Datenschutzgrundverordnung in vollem Umfang entspricht, vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.1.2021, 1 BvR 2853/19, NJW 2021, S. 105 Rz. 19 - ist derzeit ungeklärt, ob immaterieller Schadensersatz zu versagen ist, wenn es an einer erheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzung fehlt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.1.2021, 1 BvR 2853/19, NJW 2021, S. 105 Rz. 20; auch Quaas in BeckOK Datenschutzrecht, Wolf/Brink, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DSGVO Rz. 33 m.w.Nachw.). Diese Frage ist in einem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren nicht zulasten der antragstellenden Partei zu beantworten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008, 1 BvR 1807/07, NJW 2008, S. 1060), sondern im Hauptsacheverfahren einer Klärung zuzuführen.

Deswegen kommt Prozesskostenhilfe für einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO im vorliegenden Fall grundsätzlich in Betracht.

Allerdings ergibt sich aus dem vorgetragenen Sachverhalt kein Gesichtspunkt, der eine Schmerzensgeldzahlung von über 50,00 € rechtfertigen könnte. Dies auch dann, wenn man zugunsten des Klägers eine weite, europarechtliche Auslegung des Schadensbegriffes zugrunde legt, die neben einem individuellen Ausgleich wegen der Schutzgutverletzung, eine den Verstoß feststellende Genugtuungsfunktion und letztendlich auch eine generalpräventive Einwirkung auf den Schädiger in die Betrachtung einbezieht, vgl. insoweit auch OLG Koblenz, Urteil vom 18. Mai 2022, 5 U 2141/21, juris Rz. 80. Zu bewerten sind in der Sache insoweit dieselben Gesichtspunkte, die im Rahmen der Amtshaftung die Bewertung rechtfertigen, dass eine dort zu berücksichtigende Bagatellgrenze nicht überschritten worden ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH legt EuGH vor: Wann liegt das Tatbestandsmerkmal "infolge einer Verarbeitung" im Sinne von Art. 80 Abs. 2 DSGVO vor

BGH
Beschluss vom 10.11.2022 - I ZR 186/17
App-Zentrum II
Verordnung (EU) 2016/679 Art. 80 Abs. 2; UWG § 8 Abs. 3 Nr. 3; UKlaG §§ 1, 2 Abs. 2 Satz 1
Nr. 11, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1


Der BGH hat dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt, wann das Tatbestandsmerkmal "infolge einer Verarbeitung" im Sinne von Art. 80 Abs. 2 DSGVO vorliegt.

Leitsatz des BGH:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 80 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO, ABl. L 119 vom 4. Mai 2016, S. 1) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Wird eine Rechtsverletzung "infolge einer Verarbeitung" im Sinne von Art. 80 Abs. 2 DSGVO geltend gemacht, wenn ein Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen seine Klage darauf stützt, die Rechte einer betroffenen Person seien verletzt, weil die Informationspflichten gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO über den Zweck der Datenverarbeitung und den Empfänger der personenbezogenen Daten nicht erfüllt worden seien ?

BGH, Beschluss vom 10. November 2022 - I ZR 186/17 - Kammergericht - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BFH: Für Schadenersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO gegen Finanzbehörden ist der Finanzrechtsweg eröffnet

BFH
Beschluss vom 28.06.2022
II B 92/21


Der BFH hat entschieden, dass für einen Schadenersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO gegen Finanzbehörden der Finanzrechtsweg eröffnet ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Einfachgesetzlich ist der Finanzrechtsweg für den Schadenersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO i.V.m. § 32i Abs. 2 Satz 1 AO eröffnet.

a) Nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO ‑‑Nrn. 1 bis 3 kommen ersichtlich nicht in Betracht‑‑ ist in anderen als den in den Nrn. 1 bis 3 bezeichneten öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten der Finanzrechtsweg gegeben, soweit er für diese durch Bundesgesetz oder Landesgesetz eröffnet ist. Nach § 32i Abs. 2 Satz 1 AO (vormals § 32i Abs. 2 AO) ist für Klagen der betroffenen Person hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten gegen Finanzbehörden oder gegen deren Auftragsverarbeiter wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DSGVO oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person der Finanzrechtsweg gegeben.

b) Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ‑‑mithin die DSGVO‑‑ ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

c) Eine Klage auf Schadenersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist eine Klage "hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten ... wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der [DSGVO]" i.S. des § 32i Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 AO.

aa) Die Wendungen in Art. 82 Abs. 1 DSGVO einerseits ("Verstoß gegen diese Verordnung") und in § 32i Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 AO andererseits ("Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DSGVO") sind gleichbedeutend, denn die DSGVO enthält nur datenschutzrechtliche Bestimmungen.

bb) Die Schadenersatzklage ist auch eine Klage "hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten ...", wie es der erste Satzteil des § 32i Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 AO erfordert. Nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO ist "Verarbeitung" jeder mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführte Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten. Der Begriff umfasst, wie die folgende beispielhafte Aufzählung verdeutlicht, jeglichen Umgang mit Daten. Ein Verstoß gegen die DSGVO, wie ihn Art. 82 DSGVO verlangt, ist deshalb ohne Verarbeitung nicht denkbar.

d) Aus § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO, der für Schadenersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, den ordentlichen Rechtsweg vorsieht, folgt einfachgesetzlich schon deshalb nichts Gegenteiliges, weil § 32i Abs. 2 AO nur als lex specialis zu dieser Vorschrift verstanden werden kann.

2. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ergibt sich keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für den streitigen Schadenersatzanspruch. Es handelt sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch i.S. des Art. 34 Satz 1 GG.

a) Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft nach Art. 34 Satz 1 GG die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Art. 34 Satz 3 GG verbietet es, für Amtshaftungsansprüche die Zuständigkeit der allgemeinen ordentlichen Gerichte auszuschließen (Dagtoglou in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 1. Aufl. 2021, Art. 34, Rz 359).

b) Der Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist auch dann, wenn er sich gegen eine Behörde richtet, kein Anspruch aus der Verletzung von Amtspflichten i.S. des Art. 34 Satz 1 GG, da es sich nicht um eine auf die Behörde übergeleitete Haftung des Amtsträgers, sondern um eine originäre Haftung der Behörde handelt.

aa) Die Rechtsweggarantie des Art. 34 Satz 3 GG hat, soweit sie den Anspruch gegen die Anstellungskörperschaft betrifft, allein die übergeleitete Haftung des Amtsträgers zum Gegenstand, nicht hingegen Ansprüche aus unmittelbarer Staatshaftung. Die in Art. 34 Satz 1 GG angesprochene Amtspflicht ist die Pflicht des Amtsträgers persönlich. Art. 34 GG leitet die durch § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) begründete persönliche Haftung des Beamten auf den Staat über. § 839 BGB ist die haftungsbegründende Vorschrift, während Art. 34 GG die haftungsverlagernde Norm darstellt. Der Staat wird durch die Übernahme der persönlichen Beamtenhaftung nach § 839 BGB zwar Haftungssubjekt, aber nicht Zurechnungssubjekt (Urteil des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 19.10.1982 - 2 BvF 1/81 "Amtshaftung", BVerfGE 61, 149, BGBl I 1982, 1493, unter C.I.2.b dd (1)). Das bedeutet, dass Art. 34 Satz 3 GG neben dem Rückgriffsanspruch gegen den Amtsträger auch nur die Ansprüche des Art. 34 Satz 1 GG erfasst, namentlich den Schadenersatzanspruch gegen den Amtsträger selbst sowie den übergeleiteten Haftungsanspruch gegen den Staat. Art. 34 GG verbietet es zwar nicht, unmittelbare Staatshaftungsansprüche einzuführen (BVerfG-Urteil in BVerfGE 61, 149, BGBl I 1982, 1493, unter C.I.2.b dd (1)), trifft dafür aber auch keine Regelung.

bb) Der Schadenersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO richtet sich gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Verantwortlicher ist nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Auftragsverarbeiter ist eine natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die personenbezogene Daten im Auftrag des Verantwortlichen verarbeitet. Sowohl der Begriff des Verantwortlichen als auch der des Auftragsverarbeiters ist mithin institutionell zu verstehen. Soweit in einer Behörde Daten verarbeitet werden, ist damit nicht der jeweilige Amtsträger persönlich Verantwortlicher i.S. der DSGVO und folglich auch nicht Adressat des Anspruchs. Der Anspruch richtet sich vielmehr unmittelbar gegen den Staat bzw. eine seiner Institutionen. Damit handelt es sich um einen gegenüber den in Art. 34 GG erfassten Amtshaftungsansprüchen grundlegend anders gearteten Anspruch.

cc) Der Schadenersatzanspruch nach der DSGVO kann in Anspruchskonkurrenz neben einen Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG treten (vgl. Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28.10.2021 - 16 U 275/20, Monatsschrift für Deutsches Recht 2022, 435, Rz 69; BeckOK DatenschutzR/Quaas, 39. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 82 Rz 8; Hans-Jürgen Schaffland; Gabriele Holthaus in: Schaffland/Wiltfang, Datenschutz-Grundverordnung/Bundesdatenschutzgesetz, Stand April 2022, Art. 82, Rz 34a; Gola DSGVO/Gola/Piltz, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82 Rz 28; Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 82 Rz 20). Davon geht die DSGVO ausweislich Erwägungsgrund 146 Satz 4 selbst aus (vgl. Ehmann/Selmayr/Nemitz, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82 Rz 7). Das entspricht dem Grundsatz, dass auch sonst zwischen einem Amtshaftungsanspruch und einem auf demselben Tatsachenkomplex beruhenden Entschädigungsanspruch Anspruchskonkurrenz bestehen kann (so zu einem enteignungsgleichen Eingriff Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.01.2007 - III ZR 302/05, BGHZ 170, 260, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 830, unter B.II.2.a; ausdrücklich für den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch BeckOK GG/Grzeszick, 51. Ed. 15.05.2022, GG Art. 34 Rz 4).

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Rechtswegzuweisung des Art. 34 Satz 3 GG sich auch auf den jeweils konkurrierenden Anspruch erstreckt. Ebenso wenig gilt die Rechtswegzuweisung nach § 32i Abs. 2 AO für den Amtshaftungsanspruch. Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG tritt vielmehr eine Rechtswegspaltung ein.

dd) Soweit das Hessische Landessozialgericht (LSG) in seinem Beschluss vom 26.01.2022 - L 6 SF 7/21 DS (juris, Beschwerde beim Bundessozialgericht anhängig unter B 1 SF 1/22 R) in dem Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO einen Amtshaftungsanspruch sieht, für den die Rechtswegzuweisung des Art. 34 Satz 3 GG der spezialgesetzlichen Zuweisung der DSGVO-Sachen zur Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 81b Abs. 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch, einer mit § 32i Abs. 2 Satz 1 AO weitgehend wortgleichen Vorschrift, vorgehe, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Das Hessische LSG geht davon aus, Art. 34 Satz 3 GG umfasse (jegliche) schadenersatzrechtliche Haftungsregelungen des Staates, wenn hoheitliches Handeln eines seiner Amtswalter rechtswidrig einen kompensationsfähigen Schaden verursacht habe (Rz 23). Der Senat erachtet dieses Verständnis sowohl angesichts des Wortlauts des Art. 34 Satz 3 GG als auch angesichts des Urteils des BVerfG in BVerfGE 61, 149, BGBl I 1982, 1493 für zu weitgehend. Es ist zwar zutreffend, dass Art. 34 GG für sich genommen kein Verschuldenserfordernis kennt, worauf das Hessische LSG abstellt. Damit allein wird die Amtspflicht jedoch nicht definiert. Die vom Hessischen LSG in diesem Zusammenhang zitierten Literaturauffassungen gehen in Übereinstimmung mit dem BVerfG davon aus, dass die Staatshaftung nach aktueller Rechtslage lediglich durch Überleitung der Eigenhaftung des Amtsträgers auf den Staat entsteht (Papier/Shirvani in Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 34 Rz 17, 218; BeckOK GG/Grzeszick, a.a.O., Rz 19 bis 20.1).

3. Eine Vorlage des Rechtsstreits an den EuGH nach Art. 267 AEUV ist nicht veranlasst. Es ist nicht im Ansatz erkennbar, warum Art. 82 DSGVO einer nationalen Regelung entgegenstehen könnte, die den Schadenersatzanspruch ebenso wie andere datenschutzrechtliche Ansprüche der Finanzgerichtsbarkeit zuweist. Ob umgekehrt unionsrechtliche Bedenken bestünden und deshalb ggf. eine Vorlage angezeigt wäre, wenn das nationale Recht die allgemeinen datenschutzrechtlichen Ansprüche einerseits und den Schadenersatzanspruch andererseits unterschiedlichen Gerichten zuwiese ‑‑so wie es der Auffassung des FG, aber auch des Hessischen LSG entspricht‑‑, muss nicht mehr entschieden werden.


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LG Ravensburg legt EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO vor - u.a. Bagatellgrenze für Anspruch aus Art. 82 DSGVO

LG Ravensburg
Beschluss vom 30.06.2022
1 S 27/22


Das LG Ravensburg hat dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO zur Entscheidung vorgelegt. U.a. geht es um die Frage, ob eine Bagatellgrenze / Erheblichkeitsschwelle für Ansprüche aus Art. 82 DSGVO besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 82 Abs. 1 DSGVO.

Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Klägern und der Beklagten. Die Kläger nehmen die Beklagte unter anderem auf Zahlung eines Schmerzensgeldes für die Verletzung der DSGVO in Anspruch. Die Beklagte hatte am 19.06.2020 ohne Einverständnis der Kläger im Internet eine Tagesordnung für eine Gemeinderatssitzung veröffentlicht, in der mehrfach die Namen der Kläger genannt wurden, und ein am 10.03.2020 vom Verwaltungsgericht Sigmaringen verkündetes Urteil veröffentlicht, in dessen Rubrum die Kläger ungeschwärzt mit Vor- und Nachname und ihrer Anschrift aufgeführt waren. Diese Unterlagen waren auf der Homepage der Beklagten bis zum 22.06.2020 einsehbar.

Artikel 82 Abs. 1 DSGVO lautet:

"Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter".

Erwägungsgrund Nr. 146 Satz 3 und Satz 6 der DSGVO hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Der Begriff des Schadens sollte im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden, die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht [...]. Die betroffenen Personen sollten einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten".

Die Kammer geht davon aus, dass die Beklagte durch die Veröffentlichung der personenbezogenen Daten der Kläger im Internet gegen Artikel 5 Abs. 1 a DSGVO verstoßen hat. Die Kammer hat daher darüber zu entscheiden, ob den Klägern ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zusteht. Die Kammer neigt zu der Annahme, der bloße Verlust der Datenhoheit genüge im vorliegenden Fall nicht aus, um einen immateriellen Schaden der Kläger gemäß Artikel 82 Abs. 1 DSGVO zu rechtfertigen. Die Kammer neigt zu der Annahme, für die Bejahung eines immateriellen Schadens müsse eine Bagatellgrenze überschritten sein, die bei einem lediglich kurzfristigen Verlust der Datenhoheit, der keinerlei spürbare Nachteile für die betroffenen Personen verursacht habe, nicht überschritten sei. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt daher von der Vorlagefrage ab.

Es besteht in der Literatur und Rechtsprechung weitgehend Einigkeit, dass die deutsche Rechtsprechung, die immateriellen Schadensersatz bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nur bei einer schwerwiegenden Verletzung zuerkennt, für die Auslegung von Artikel 82 Abs.1 DSGVO nicht herangezogen werden kann (Kühling/Buchner/Bergt, DSGVO, 3. Auflage, Artikel 82 Rn. 17 ff; Wolff/Brink/Quaas; BeckOK, Datenschutzrecht, Artikel 82 DSGVO Rn. 31 f; Gola/Piltz, Datenschutzgrundverordnung, 2. Auflage, Artikel 82 DSGVO, Rn. 12 f; Spittka, GRUR-Prax 2019, 475; LG Darmstadt, ZE 2020, 642; LG Frankfurt, ZE 2020, 639; einschränkend Wytibul, NJW 2019, 3265). Die Kammer hat in einem früheren Berufungsverfahren (Az. 1 S 108/20) die Auffassung vertreten, nicht jeder Verstoß gegen die DSGVO, insbesondere nicht jede unzulässige Verarbeitung personenbezogener Daten, führe automatisch zu einem Anspruch auf immateriellen Schadensersatz. Schmerzensgeld solle auch nach Artikel 82 Abs.1 DSGVO nicht für jeden Bagatellverstoß ohne ernsthafte Beeinträchtigung bzw. lediglich individuell empfundene Unannehmlichkeiten gewährt werden. Vielmehr müsse ein spürbarer Nachteil entstanden sein und es müsse eine objektiv nachvollziehbare Beeinträchtigung persönlichkeitsbezogener Belange vorliegen.

Will ein Gericht, wie vorliegend, infolge der Verneinung eines (immateriellen) Schadens eine Klage abweisen, weil es von dem Vorhandensein einer sog. "Bagatellgrenze" ausgeht, die für einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes überschritten sein muss, ist es zu einer eigenständigen Auslegung des Schadensbegriffs nicht berechtigt, sondern hat die Frage, wie der Schadensbegriff des Artikel 82 Abs. 1 DSGVO auszulegen ist, dem EuGH vorzulegen (BVerfG, Beschluss von 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19 = NJW 2021, 1005).

Bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlagefrage wird das Berufungsverfahren ausgesetzt.


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OLG Koblenz: Höhe des immateriellen Schadensersatzanspruchs aus Art 82 DSGVO ist unter Berücksichtigung seiner Funktion zum Ausgleich, zur Genugtuung und zur Generalprävention zu bestimmen

OLG Koblenz
Urteil vom 18.05.2022
5 U 2141/21


Das OLG Koblenz hat entschieden, dass die Höhe des immateriellen Schadensersatzanspruchs aus Art 82 DSGVO unter Berücksichtigung seiner Funktion zum Ausgleich, zur Genugtuung und zur Generalprävention zu bestimmen ist.

Leitsätze des Gerichts:

1. Der immaterielle Schadensersatzanspruch nach Art 82 DSGVO bestimmt sich der Höhe nach unter Berücksichtigung seiner Funktion zum Ausgleich, zur Genugtuung und zur Generalprävention.

2. Die Höhe muss berücksichtigen, dass der Einmeldung von Zahlungsstörungen auch im Verbraucherinteresse liegt, so dass die Verantwortlichen durch die Höhe des immateriellen Schadensersatzes nicht gänzlich davon abgehalten werden dürfen, Einmeldungen vorzunehmen.

Aus den Entscheidungsgründen:

a) Der Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist - europarechtlich autonom und die in den Erwägungsgründen zur DSGVO niedergelegten Zielsetzungen aufnehmend - weit auszulegen.

Bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass ein immaterieller Schadensersatzanspruch kausale Folge der Pflichtverletzung sein kann. Er ist allerdings von den materiellen Schäden, etwa wegen einer verweigerten oder nur zu ungünstigeren Bedingungen zustande gekommenen Kreditgewährung oder der Versagung bestimmter Zahlungsmethoden mit der Folge höherer Transaktionskosten, abzugrenzen und zu unterscheiden. Diese Trennung gelingt der Beklagten in ihren Erwägungen zur Höhe des Anspruches nicht immer.

Andererseits spricht der Wortlaut der Norm dafür, dass der europäische Gesetzgeber nicht davon ausgeht, dass schon allein die Pflichtverletzung den materiellen Schaden begründet (so auch Laoutoumai, K&R 2022, 25, 27; LG Saarbrücken v. 22.11.2021, 5 O 151/19 in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH). Ein Anspruch auf den Schadensersatz besteht nämlich nur, wenn „ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist“. Dieser Differenzierung im Wortlaut hätte es nicht bedurft, wenn bereits der Verstoß konstitutiv für den Anspruch wäre. Insoweit folgt der Senat nicht dem Bundesarbeitsgericht (26.08.2021, 8 AZR 253/20, Rn. 33 - juris), welches annimmt, dass „bereits die Verletzung der DSGVO selbst zu einem auszugleichenden immateriellen Schaden“ führt. Es muss mithin ein irgendwie gearteter immaterieller Schaden entstanden sein. Zwar geht der Anspruch dann in seiner Zielrichtung über einen erlittenen Schaden heraus, verzichtet aber aufgrund weitergehender Zielsetzungen hierauf nicht. Insoweit bleibt Grundlage des Anspruchs ein Individualrecht zu schützen. Art 82 DSGVO ist nicht Teil des kollektiven Rechtsschutzes. Das wirft die Frage auf, wann von einem erlittenen Schaden auszugehen ist.

Diese Fragestellung ist von der Annahme abzugrenzen, im Rahmen von Art. 82 Abs. 1 DSGVO sei eine Bagatellgrenze zu berücksichtigen. Eine Bagatellgrenze normiert Art. 82 Abs. 1 DSGVO seinem Wortlaut nach nicht und eine solche erscheint auch im Übrigen nicht angezeigt. Schon im nationalen Recht wurden einer solchen Grenze im Rahmen der Schuldrechtsreform 2002 verfassungsrechtliche Bedenken entgegengehalten (Ebert in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 253 BGB, Rn. 14a). Der Gesetzgeber verwarf solche Ansätze deshalb (BT-Drucks. 14/8780). Ist ein immaterieller Schaden entstanden, ist dessen Schwere im Rahmen der Höhe des Ersatzanspruches zu berücksichtigen, nicht aber bei einer notwendigerweise nur willkürlich zu setzenden Bagatellgrenze zu finden. Soweit der BGH eine Korrektur aus Gründen der Billigkeit angenommen hat (BGH NJW 1992, 1043, Rn. 8; BGH NJW 1993, 2173) beruhte dies einerseits auf einer heute nicht mehr gültigen Norm (§ 847 BGB) und knüpfte andererseits nicht an einer Bagatellgrenze an, sondern an dem Umstand, dass weder die Ausgleichs- noch die Genugtuungsfunktion derart tangiert waren, dass ein immaterieller Schaden überhaupt entstanden ist. Es fehlt also in der zuletzt genannten Konstellation an einem „erlittenen Schaden“.

Da der bisherige § 8 Abs. 2 BDSG, der den Ersatz immaterieller Schäden von einer schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen abhängig machte, nicht mehr anwendbar ist, kann auf die dazu ergangene Rechtsprechung zum Schadensbegriff nicht zurückgegriffen werden. Insoweit ist auch die nationale Rechtsprechung, die daran - teilweise bei nur verbaler Distanzierung - festhält (vgl. OLG Dresden v. 12.1.2021, 4 U 1600/20, Rn. 31 - juris; OLG Dresden v. 20.08.2020, 4 U 784/20, Rn. 32 - juris; AG Hannover v. 09.03.2020, 531 C 10952/19, Rn. 21 ff. - juris; AG Frankfurt a.M. v. 10.07.2020, 385 C 155/19, Rn. 28 - juris), abzulehnen.

Die Kategorien des nationalen Schadensersatzrechtes sind mithin nicht zielführend, um den Begriff des immateriellen Schadensersatzes im Sinne des Art. 82 DSGVO europarechtlich autonom auszulegen. Der Schadensbegriff des Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist ein europarechtlicher Begriff, bei dessen Ausfüllung nicht auf nationale Erheblichkeitsschwellen oder andere Einschränkungen abgestellt werden darf (vgl. Kühling/Buchner/Bergt, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 18a-18b).

Der Begriff des Schadens soll nach dem Erwägungsgrund 146 S. 3 EU-DSGVO „im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden, die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht.“ Daraus kann abgeleitet werden, dass der nach Abs. 1 bereits weite – weil Ansprüche aus § 253 BGB bereits umfassende – Schadensbegriff im Zweifel nicht begrenzend auszulegen sein wird (vgl. Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 10). Einen Ausschluss vermeintlicher Bagatellschäden sieht die DSGVO nicht vor.

Der immaterielle Schadensersatz ist mithin auch ein Instrument, um die Ziele der DSGVO, wie sie in deren Art. 1 niedergelegt sind, unter dem Schutzzweck des Individualrechtsschutzes zu verwirklichen. Kern ist danach der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Schutzbereich der Grundrechte und der Grundfreiheiten im konkreten Einzelfall.

Der Funktion eines immateriellen Schadensersatzanspruches dienend, sind deshalb verschiedene Aspekte in die Bemessung des immateriellen Schadensersatzes der Höhe nach einzube-

ziehen. Zunächst die immaterielle und individuelle Ausgleichsfunktion wegen der Schutzgutverletzung, sodann die den Verstoß feststellende Genugtuungsfunktion und letztlich die generalpräventive Einwirkung auf den Schädiger zur künftigen Beachtung des Datenschutzes. In diesem Sinne kommt Art. 82 DSGVO kein Strafcharakter zu - dieser ist vielmehr das staatliche Gewaltmonopol respektierend in Art. 84 DSGVO niedergelegt, sehr wohl aber eine Anreizfunktion für den Verantwortlichen, hinreichende Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der personenbezogenen Daten der betroffenen Person zu treffen.

Wegen der in Erwägungsgrund 146 S. 3 geforderten weiten Auslegung sieht der Senat mit Stimmen in der Literatur bereits in dem unguten Gefühl der Ungewissheit, ob personenbezogene Daten Unbefugten bekannt geworden sind, einen erlittenen immateriellen Schaden. Potentielle Schäden sind deshalb beispielsweise Ängste, Stress sowie Komfort- und Zeiteinbußen und die potentielle Stigmatisierung, die Diskriminierung, die Rufschädigung und der Verlust von Vertraulichkeit durch einen Negativeintrag bei einer Auskunftei, ohne dass dieser an Dritte übermittelt wird (vgl. hierzu auch Kühling/Buchner/Bergt, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 18a-18b; Quaas, BeckOK Datenschutzrecht, 39. Ed., Stand 01.11.2021, Rn. 24). Dieser immaterielle Schaden, auch, wenn er im Einzel- und Regelfall niederschwellig sein wird, ist auszugleichen. Einen Schaden erst dann anzunehmen, wenn es zu einer mit einer unrechtmäßigen Zugänglichmachung von Daten liegenden (öffentlichen) Bloßstellung, einem Identitätsdiebstahl, einer Weitergabe sensibler Informationen oder einer anderen ernsthaften Beeinträchtigung für das Selbstbild oder Ansehen einer Person kommt, und ein besonderes immaterielles Interesse zu verlangen, das über den allein durch die Verletzung an sich hervorgerufenen Ärger oder sonstige Gefühlsschäden hinausgeht, verkennt den autonom und nach Erwägungsgrund 146 ausdrücklich weit auszulegenden Begriff des Schadens (Kühling/Buchner/Bergt, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 18a-18b) und missachtet den individuellen Ausgleichsanspruch im Hinblick auf die aufgezeigten Folgen. Eine solche Sichtweise greift also zu kurz. Die vorgenannten Beschränkungen bleiben bei der Frage nach dem Schadensersatzanspruch dem Grunde nach außer Betracht, sondern sind erst im Kontext der Höhe des Ersatzanspruches zu berücksichtigen. Maßgeblich ist, ob die betroffene Person mit dem Beweismaß des § 286 ZPO die immaterielle Betroffenheit darlegen und nachweisen kann. Deren Intensität ist dann mit dem Beweismaß des § 287 ZPO bei der Höhe des Anspruches zu berücksichtigen. Erst hier kommen dann die weiter denkbaren immateriellen Beeinträchtigungen der Bloßstellung oder das notwendige Schutzniveau der betroffenen Daten zum Tragen.

Die Genugtuungsfunktion kommt dann - ergänzend - zum Tragen, wenn es zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung der Schutzgüter im Verhältnis zu Dritten im Sinne einer Verwendung der pflichtwidrig verarbeiteten personenbezogenen Daten gegenüber Dritten gekommen ist. Hier greift also nicht (nur) die Sorge vor der Stigmatisierung, Diskriminierung oder Rufschädigung, sondern das in dem Datenschutzverstoß liegende Risiko hat sich nun verwirklicht. Das steigert einerseits die Anforderungen an die Ausgleichsfunktion und begründet zugleich innerhalb des

einheitlich zu bestimmenden immateriellen Ersatzanspruchs die Genugtuung als Bestimmungsmerkmal für die Höhe. Genau diese Verarbeitung unter Beteiligung Dritter bewirkt die zu korrigierende Bloßstellung außerhalb dadurch verursachter materieller Schäden. Dies kann bei der Konfrontation mit Negativauskünften bei einer Kreditanfrage ebenso der Fall sein, wie bei der Bewerbung um eine Mietwohnung oder negativen Auskünften im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses. Auch die Verweigerung von Postpaid-Angeboten wegen negativer Scores kann hierzu gehören. Die betroffene Person hat auf der Grundlage der ihr zustehenden Auskunftsansprüche nach Art. 15 DSGVO regelmäßig keine Schwierigkeiten die Verarbeitung der Daten gegenüber Dritten nachzuweisen und auf dieser Grundlage die Genugtuungsfunktion geltend zu machen.

Nicht übersehen werden darf die generalpräventive Wirkung des immateriellen Schadensersatzanspruches. Im Spannungsfeld zwischen dem Risiko der entgeltlichen Sanktionierung von folgenlosen Verstößen gegen die DSGVO durch einen immateriellen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO, den Aufgaben des kollektiven Rechtsschutzes durch Aufsichtsbehörden mit den Sanktionsmöglichkeiten nach Art 84. DSGVO, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Grundsatz, die gleiche Pflichtverletzung mit der gleichen Zielsetzung nicht doppelt zu sanktionieren, muss dem Grundanliegen der DSGVO, schon die Verarbeitung der Daten im Kontext der Schutzzwecke zu gewährleisten, Rechnung getragen werden. Schon bei der Bestimmung der Zwecke, den angenommenen Rechtsfertigungsgründen und der ggfs. vorzunehmenden Datenschutzfolgeabwägung muss das Schutzniveau auch durch den immateriellen Schadensersatzanspruch effektiv gewahrt werden. Hier gilt es also im Lichte des immateriellen Schadensersatzanspruches nach Art. 82 DSGVO Anreize zu schaffen, dass das Schutzniveau so hoch ist, dass es zur Realisierung des Schadensersatzrisikos erst gar nicht kommt. Dabei muss die generalpräventive Wirkung sich nicht in besonders hohen immateriellen Schadensersatzansprüchen niederschlagen, sondern kann gerade in der Breitenwirkung - auch kleine Verstöße werden ohne Bagatellgrenze sanktioniert - ihre Funktion erfüllen. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Kommt es hierzu im Einzelfall, ist die geringere Sanktion verhältnismäßig und gleichwohl spürbar und damit effektiv. Kommt es dagegen zu vielfachen Pflichtverletzungen und Rechtsverstößen, wird sich aus vielen kleinen Ansprüchen - zumal diese auch sowohl kollektiv als im Rahmen von Legal-Tech-Angeboten sehr breit geltend gemacht werden -, schnell ein großer finanzieller Verlust bei dem betroffenen Unternehmen einstellen. Bei großer oder größerer Quantität der Pflichtverletzungen wird also auch eine höhere Effektivität kleinerer Schadensersatzansprüche im Einzelfall erreicht. Dabei muss auch das weiter in Art. 1 DSGVO formulierte Ziel gesehen werden, den freien Verkehr von Daten sehr wohl zu ermöglichen. Bonitätsprüfungen schützen nicht nur Wirtschaftsunternehmen vor leistungsunfähigen und leistungsunwilligen Kunden, sondern auch Verbraucher vor einer übermäßigen Verschuldung gerade im bargeldlosen Zahlungsverkehr. Die generalpräventive Wirkung darf in der Bemessung des immateriellen Schadensersatzes deshalb nicht dazu führen, dass wegen des Schadensersatzrisikos keine Einmeldungen bei Wirtschaftsauskunfteien mehr erfolgen, weil dann andere Schutzzwecke negativ tangiert werden. Der in seinen finanziellen Verhältnissen nicht gefestigte Verbraucher soll

durch Einmeldungen davor geschützt werden, schnell in die Verschuldung zu geraten. Die Warnfunktion durch die Beschränkung kreditierter Geschäfte ist ein Baustein, um dies zu gewährleisten. In diesem Kontext ist dann auch zu bewerten, dass die Zuerkennung immateriellen Schadensersatzes nicht die einzige Sanktionsform gegenüber dem pflichtwidrig handelnden Unternehmen darstellt, gerade dann, wenn über Beschwerden an Aufsichtsbehörden beharrliche Rechtsverstöße festzustellen sind. Auch darf am Ende keine Motivation bestehen, wegen hoher immaterieller Ersatzansprüche Datenschutzverstöße zu provozieren, insbesondere, wenn schon ein geringes Verschulden oder sogar nur der objektive Pflichtverstoß den Anspruch auslöst. Bei der Bewertung der generalpräventiven Wirkung in der Bemessung des immateriellen Schadensersatzanspruches der Höhe nach ist deshalb auch zu berücksichtigen, inwieweit im konkreten Einzelfall die verfolgten Ziele schon durch Ausgleich und Genugtuung erreicht sind oder es einer überschießenden Wirkung bedarf.


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