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OLG Frankfurt: Schadensersatzanspruch gegen Bank oder Sparkasse wegen unrichtiger Geldwäscheverdachtsmeldung nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit

OLG Frankfurt
Hinweisbeschluss vom 15.4.2024 i.V.m. Zurückweisungsbeschluss vom 29.5.2024
3 U 192/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch gegen eine Bank oder Sparkasse wegen einer unrichtigen Geldwäscheverdachtsmeldung nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Haftung - Kein Schadensersatz wegen unrichtiger Geldwäscheverdachtsmeldung

Eine Bank haftet nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger unwahrer Erstattung einer Geldwäscheverdachtsmeldung.

Sowohl die Meldepflicht als auch die Haftungsfreistellung sind dabei nach dem GwG grundsätzlich weit auszulegen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit heute veröffentlichter Entscheidung Schadensersatzansprüche wegen einer unrichtigen Geldwäscheverdachtsmeldung (hier: Verdacht des Insiderhandels im Zusammenhang mit Wirecard-Aktien) zurückgewiesen.

Der Kläger war bis 2008 Aufsichtsratsvorsitzender der Wirecard AG. Die beklagte deutsche Großbank hatte dem Kläger im Juni 2020 telefonisch geraten, Aktien der Wirecard AG aus dem Depot seiner Ehefrau zu verkaufen, da sie die Aktien neu bewertet habe. Der Kläger platzierte daraufhin - in Vollmacht seiner Frau - eine Verkaufsorder für eine im unteren sechsstelligen Bereich liegende Anzahl an Aktien der Wirecard AG. Zwei Tage später veröffentlichte die Wirecard AG eine ad-hoc-Meldung über die Stellung eines Insolvenzantrags. Nachfolgend brach der Aktienkurs nochmals signifikant ein. Die Beklagte erstattete einen Monat später eine Geldwäscheverdachtsmeldung gegen den Kläger und seine Frau. Ein gegen das Ehepaar eingeleitetes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, nachdem die BaFin keine überwiegenden Anhaltspunkte für die Verwertung von Insiderinformationen bei der gemeldeten Transaktion festgestellt hatte.

Der Kläger nimmt die Beklagte nunmehr auf Schadensersatz wegen einer unrichtigen Verdachtsmeldung in Anspruch. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Zur Begründung wies der zuständige 3. Zivilsenat darauf hin, es könne offenbleiben, ob die Beklagte durch die Erstattung der Geldwäscheverdachtsmeldung und insbesondere die unterlassene Erwähnung der zuvor von ihr erfolgten Verkaufsempfehlung ihre vertraglichen Pflichten verletzt habe. Jedenfalls komme ihr der gesetzliche Haftungsausschluss nach § 48 Abs. 1 GwG zu gute. Gem. § 48 Abs. 1 GwG darf derjenige, der einen Sachverhalt meldet, deshalb nicht nach zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Vorschriften verantwortlich gemacht oder disziplinarrechtlich verfolgt werden, es sei denn, die Meldung oder Strafanzeige ist vorsätzlich oder grob fahrlässig unwahr erstattet worden.

Hier sei die Beklagte zur Abgabe der Meldung berechtigt gewesen. Die Meldung habe insbesondere an Tatsachen angeknüpft, die eine Meldepflicht auslösen. Der meldepflichtige Verdacht habe sich auf die Straftat des Insiderhandels und damit eine taugliche Vortat der Geldwäsche bezogen. Ausreichend sei dabei ein niedriger Verdachtsgrad. „Die Meldepflicht nach § 43 GwG und die Haftungsfreistellung nach § 48 Abs. 1 GwG sind grundsätzlich weit auszulegen, da die Beurteilung, wann Umstände so ungewöhnlich oder auffällig sind, nicht klar zu bestimmen sind“, führte das OLG vertiefend aus. Der geringe Verdachtsgrad sei hier objektiv erreicht gewesen. Der Verkauf einer großen Stückzahl von Aktien sei mit dem öffentlichen Bekanntwerden der dortigen Unregelmäßigkeiten und letztlich der Insolvenzantragstellung zeitlich eng zusammengetroffen, auch wenn dies dem Kläger nicht anzulasten sei. Vor dem Hintergrund der Verbindungen des Klägers zu dem Unternehmen habe damit eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Verwertung von Insiderkenntnissen gesprochen.

Die Meldung sei auch nicht unwahr gewesen, da die ihr zu Grunde liegenden Tatsachen der Wirklichkeit entsprachen. Dass die Beklagte ihre eigene Empfehlung zum Verkauf nicht in der Meldung erwähnt habe, mache diese nicht unwahr oder entstelle sie in einer maßgeblichen Weise. Im Übrigen hätte diese Mitteilung die weiteren den Verdacht stützenden Tatsachen nicht ausgeräumt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 15.4.2024 i.V.m. Zurückweisungsbeschluss vom 29.5.2024, Az. 3 U 192/23
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 11.10.2023, Az.: 2-12 O 181/23)

Erläuterungen:
§ 48 GwG Freistellung von der Verantwortlichkeit
(1) Wer Sachverhalte nach § 43 meldet oder eine Strafanzeige nach § 158 der Strafprozessordnung erstattet, darf deshalb nicht nach zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Vorschriften verantwortlich gemacht oder disziplinarrechtlich verfolgt werden, es sei denn, die Meldung oder Strafanzeige ist vorsätzlich oder grob fahrlässig unwahr erstattet worden.

(2) ....

§ 43 GwG Meldepflicht von Verpflichteten, Verordnungsermächtigung
(1) 1Liegen Tatsachen vor, die darauf hindeuten, dass ein Vermögensgegenstand, der mit einer Geschäftsbeziehung, einem Maklergeschäft oder einer Transaktion im Zusammenhang steht, aus einer strafbaren Handlung stammt, die eine Vortat der Geldwäsche darstellen könnte, ein Geschäftsvorfall, eine Transaktion oder ein Vermögensgegenstand im Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung steht oder der Vertragspartner seine Pflicht nach § 11 Absatz 6 Satz 3, gegenüber dem Verpflichteten offenzulegen, ob er die Geschäftsbeziehung oder die Transaktion für einen wirtschaftlich Berechtigten begründen, fortsetzen oder durchführen will, nicht erfüllt hat, so hat der Verpflichtete diesen Sachverhalt unabhängig vom Wert des betroffenen Vermögensgegenstandes oder der Transaktionshöhe unverzüglich der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen zu melden. 2Gibt der Verpflichtete zusätzlich zu der Meldung eines nach Satz 1 meldepflichtigen Sachverhalts auch eine Strafanzeige oder einen Strafantrag ab, so teilt er dies der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen mit Abgabe der Meldung mit.


LG Düsseldorf: Kein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung wenn Schutzrechtsinhaber auf Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts vertrauen durfte

LG Düsseldorf
Urteil vom 20.02.2024
4c O 6/23


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass kein Schadensersatzanspruch wegen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung besteht, wenn der Schutzrechtsinhaber auf die Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts vertrauen durfte.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Mangels schuldhaftem Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb steht der Klägerin auch keine Schadensersatzforderung aus Deliktsrecht zu, § 823 Abs. 1 BGB.

1. Die Beklagte hat mit dem Schreiben vom 28. Juni 2017, nicht jedoch bereits mit dem Schreiben vom 31. Mai 2017, in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Beklagten eingegriffen.

Ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist im Falle einer Schutzrechtsverwarnung dann anzunehmen, wenn der vermeintlich Berechtigte auf Grundlage eines objektiv unberechtigten gewerblichen Schutzrechtes an den Inhaber des Gewerbebetriebs ein ernsthaftes und endgültiges Unterlassungsbegehren richtet (BGH NJW-RR 1997, 1404; OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 2161; BeckOK BGB/Förster, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 823 Rn. 203; BeckOGK/Spindler, 1.12.2023, BGB § 823 Rn. 223).

a. Gemessen an diesem Maßstab stellt das Schreiben vom 31. Mai 2017 keinen solchen Eingriff dar. Es mangelt bereits an der Geltendmachung eines ernsthaften und endgültigen Unterlassungsbegehrens.

Eine Aufforderung zur Unterlassung spricht das Schreiben nicht aus. Vielmehr fordert es den Empfänger zu weiteren Erklärungen auf. So heißt es auf S. 2 des Schreibens: „We should be grateful if you would you [sic!] explain the apparent contradiction in X’s position“. Weiter wird auf S. 3 unter der Überschrift „Way forward“ die Bereitstellung verschiedener, näher spezifizierter Informationen binnen 14 Tagen verlangt.

Die anderweitige Auffassung der Klägerin kann nicht überzeugen. Soweit das Schreiben auf eine Kenntnis des Antrags auf Marktzulassung abstellt, lässt sich den Ausführungen insoweit noch kein eindeutiges Unterlassungsbegehren entnehmen. Gleiches gilt für die von der Klägerin herangezogene Formulierung: „As you are no doubt aware, our clients do not hesitate to enforce their intellectual property rights when they consider it appropriate for them to do so.“ Diese stellt zwar eine allgemeine Klagebereitschaft in den Raum. Gleichwohl ist sie weder auf ein konkretes beanstandetes Produkt noch auf ein bestimmtes Schutzrecht bezogen und enthält zudem die Einschränkung, dass ein gerichtliches Vorgehen im Einzelfall für angemessen gehalten wird, ohne dass für den Empfänger des Schreibens ersichtlich wäre, aufgrund welcher Kriterien dies im vorliegenden Fall beurteilt werden kann. Weiterer Erörterung des Schreibens vom 31. Mai 2017 bedarf es deswegen nicht.

b. Das Schreiben vom 28. Juni 2017 ist dahingegen – wie zwischen den Parteien auch unstreitig – als ein solcher Eingriff einzustufen.

Dieses zweite Schreiben fordert die Beklagte auf, von der Markteinführung von „E“-Generika-Produkten sofort Abstand zu nehmen und stellt im Falle der Nichtabgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung unmittelbar ein gerichtliches Vorgehen gegen die Beklagte in Aussicht. Die Beklagte hat dieses Unterlassungsbegehren auch auf ihre Inhaberschaft der Europäischen Patente EP X, EPXund EP X gestützt und an die Klägerin als Inhaberin eines entsprechenden auf den Vertrieb von Medikamenten gerichteten Gewerbebetriebs gerichtet.

2. Die mit Schreiben vom 28. Juni 2017 erfolgte Abmahnung ist auch rechtswidrig.

Zwar ist die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht durch das Vorliegen des Eingriffs als solchem indiziert, sondern muss stets im Rahmen einer Interessen- und Güterabwägung festgestellt werden (BeckOGK/Spindler, 1.12.2023, BGB § 823 Rn. 214; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn. 370). Indes ist kein legitimes Interesse eines Schutzrechtsinhabers ersichtlich, einem Wettbewerber bei nicht bestehendem Schutzrecht ernsthaft und endgültig zur – nicht geschuldeten – Unterlassung aufzufordern. Damit fällt die Interessenabwägung vorliegend zugunsten der Klägerin als zu Unrecht abgemahnter Wettbewerberin aus und die mit Schreiben vom 28. Juni 2017 erfolgte Abmahnung ist rechtswidrig.

3. Die Beklagte hat mit Erteilung der Abmahnung, also dem Schreiben vom 28. Juni 2017, nicht schuldhaft gehandelt.

Verschulden im Rahmen der deliktischen Haftung setzt Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus, § 823 Abs. 1 BGB. Bezugspunkt des Vorsatzes sind diejenigen Aspekte, welche die Eigenschaft der Abmahnung als rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb begründen. Vorliegend muss sich der Vorsatz demnach auch auf das spätere rückwirkende Wegfallen desjenigen Schutzrechtes, auf das die Abmahnung gestützt ist, erstrecken. Ein Vorsatz der Beklagten insoweit ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin bereits nicht behauptet. Die Beklagte hat indes hinsichtlich des mangelnden Rechtsbestandes der geltend gemachten Schutzrechte auch nicht fahrlässig gehandelt.

a. Auch fahrlässiges Handeln lässt sich nicht feststellen.

Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB. Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt aber ein (vermeintlicher) Gläubiger nicht schon dann, wenn er nicht erkennt, dass seine Forderung in der Sache nicht berechtigt ist (BGHZ 179, 238, 246). Dies würde dem Gläubiger die Durchsetzung seiner Rechte unzumutbar erschweren, da seine Berechtigung nur in einem Rechtsstreit sicher zu klären ist (BGHZ 179, 238, 246; BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht der Gläubiger vielmehr regelmäßig schon dann, wenn er sorgfältig prüft, ob der eigene Rechtsstandpunkt plausibel ist (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; vgl. BGHZ 179, 238, 246; BGH NJW 2011, 1063, 1065; NJW 2008, 1147, 1148). Dies gilt nicht nur hinsichtlich tatsächlicher Voraussetzungen des geltend gemachten Rechts, sondern auch bei einer unklaren Rechtslage (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; NJW 2011, 1063, 1065; Staudinger/Caspers (2019) BGB § 276, Rn. 58). Ein Schutzrechtsinhaber setzt sich deshalb im Falle einer unberechtigten Verwarnung nicht dem Vorwurf schuldhaften Handelns aus, wenn er sich seine Überzeugung durch gewissenhafte Prüfung gebildet oder wenn er sich bei seinem Vorgehen von vernünftigen und billigen Überlegungen hat leiten lassen (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh).

Art und Umfang der Sorgfaltspflichten desjenigen, der eine Abmahnung ausspricht, werden maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit er auf den Bestand seines Schutzrechtes vertrauen darf. Bei einem geprüften Schutzrecht kann vom Rechtsinhaber keine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt werden, als sie der Erteilungsbehörde möglich war (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II). Konkret hat der Bundesgerichtshof ein Verschulden im Falle der Abmahnung aus einem wegen des Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG im Ergebnis nicht rechtsbeständigen Markenrechts verneint, weil das DPMA dieses absolute Eintragungshindernis im Erteilungsverfahren zu prüfen hatte und der Rechtsinhaber deswegen insoweit von der Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts ausgehen konnte (BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II). Besondere Umstände mögen dem Abmahner im Einzelfall besondere Sorgfaltspflichten auferlegen (BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II).

Damit im Einklang stehen die Erwägungen des Bundesgerichtshofes (BGH GRUR 2006, 219, 222 – Detektionseinrichtung II), dass jedenfalls ein auf den Bestand des Patentes gestütztes Verhalten nicht stets schuldlos ist, sondern jedenfalls derjenige Patentinhaber, der weitergehende Erkenntnisse über den Stand der Technik als die Erteilungsbehörde hat, aber diese Kenntnisse entgegen § 34 Abs. 7 PatG zurückhält, sowie der Patentinhaber, dem möglicherweise der Schutzfähigkeit entgegenstehendes Material nachträglich bekannt geworden ist und der wusste, dass dieses Material der Schutzfähigkeit des Patents entgegensteht oder der sich diese Erkenntnis in vorwerfbarer Weise verschlossen hat, schuldhaft handeln kann.

Diese Fälle haben gemein, dass der Rechtsinhaber im fraglichen Zeitpunkt gegenüber der Erteilungsbehörde im Erteilungszeitpunkt einen Wissensvorsprung hat. Gerade dieser Wissensvorsprung als besonderer Umstand rechtfertigt es, dem Schutzrechtsinhaber im Einzelfall besondere Sorgfaltspflichten aufzuerlegen (vgl. BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II).

Ein Festhalten an vorstehendem Verschuldensmaßstab ist auch vor dem Hintergrund der zwischen den Parteien diskutierten neueren Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.10.2023 – 2 U 124/22, GRUR-RS 2023, 29941 Rz. 86 ff. – Glatirameracetat) geboten. Das Oberlandesgericht hatte ein fahrlässiges Handeln bereits dann angenommen, wenn der Schutzrechtsinhaber bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass ein Widerruf des geltend gemachten Patents möglich ist. Im dortigen Fall war ein Rechtsbestandsverfahren anhängig. Das Oberlandesgericht hat diese Passage nicht zur Begründung einer Haftung herangezogen. Im dort zu entscheidenden Fall ging es vielmehr um eine verschuldensunabhängige Haftung aus § 945 ZPO. Das Oberlandesgericht hat ein entsprechendes Verschulden nur deshalb geprüft und schließlich bejaht, um die Frage einer Europarechtskonformität der verschuldensunabhängigen Haftung nach § 945 ZPO vor dem Hintergrund der Enforcement-Richtlinie dahinstehenlassen zu können. Um einen solchen Sonderfall geht es hier nicht. Die entsprechenden Erwägungen sind zudem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 11. Januar 2024, Rs. C-473/22 – Mylan AB/Gilead Sciences Finlan Oy u. a.) überholt.

Ein Fahrlässigkeitsmaßstab im deutschen Recht, der einen Vorwurf bereits daran knüpft, dass ein Widerruf des geltend gemachten Patents möglich erscheint, überspannt jedenfalls die an den (vermeintlichen) Rechtsinhaber gestellten Anforderungen und ist abzulehnen. Dieser Maßstab würde auch eine deutliche Verschärfung der bisher in der Rechtsprechung vertretenen Verschuldensmaßstäbe darstellen, die im Ergebnis nicht gerechtfertigt ist. Vielmehr besteht insbesondere im Patentrecht, etwa aufgrund nachträglich aufgefundenen Standes der Technik, stets die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in einem Rechtsbestandsverfahren. Damit liefe das Verschuldenserfordernis letztlich in diesen Fällen weitestgehend leer. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht der Gläubiger vielmehr entsprechend den zuvor geschilderten Grundsätzen schon dann, wenn er sorgfältig prüft, ob der eigene Rechtsstandpunkt plausibel, mithin vertretbar, ist. Ob ihm eine Entscheidung zu seinen Ungunsten möglich erscheint, ist – bei sorgfältig geprüftem und vertretbarem eigenem Rechtsstandpunkt – ohne Belang. Ebenfalls als solches ohne Bedeutung bleibt, ob ein Rechtsbestandsverfahren gegen das erteilte Schutzrecht anhängig ist. Vielmehr ist in der Sache zu differenzieren. Ein im Rahmen des Rechtsbestandsverfahrens gegenüber dem Schutzrechtsinhaber erfolgter Vortrag, etwa hinsichtlich neu aufgefundenem und potentiell schädlichem Stand der Technik, kann ohne weiteres nach den vorstehend geschilderten Grundsätzen neue Pflichten des Rechtsinhabers zur sorgfältigen Prüfung seines Rechtsstandpunktes auslösen, bei deren Verletzung er ab diesem Zeitpunkt fahrlässig hinsichtlich des Rechtsbestandes seines Schutzrechts handelt.

Es bedarf im vorliegenden Fall keiner grundsätzlichen Ausführungen dazu, ob sich ein Patentinhaber stets auf die rechtliche Einschätzung der Erteilungsbehörde bezüglich der von ihr zu prüfenden Erteilungsvoraussetzungen verlassen darf (in diese Richtung deutet indes BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II) und im Falle einer nachfolgenden abweichenden Einschätzung – bei nach wie vor gleichem Kenntnisstand des Patentinhabers wie der Erteilungsbehörde im Zeitpunkt der Erteilung – schuldlos hinsichtlich der Fehleinschätzung des Rechtsbestandes seines Schutzrechtes ist. Denn jedenfalls wenn die Erteilungsbehörde sich konkret mit bestimmten Erteilungsvoraussetzungen beschäftigt und diese bejaht hat oder bestimmte Erteilungsvoraussetzungen gerügt wurden und die Erteilung trotzdem erfolgte, darf sich der Rechtsinhaber unter Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auf diesen Rechtstandpunkt als vertretbar berufen. Insoweit kann von ihm keine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt werden, als sie der Erteilungsbehörde möglich war.

b. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorgetragenen Anhaltspunkte, dass die Beklagte auf die Rechtsbeständigkeit ihres Schutzrechtes vertrauen durfte.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass im Erteilungsverfahren des EP X Dritte Einwendungen hinsichtlich der Patentierbarkeit gestützt auf einen Verstoß gegen Art. 76 Abs. 1 EPÜ erhoben haben. Der Gegenstand des EP X sei nicht unmittelbar und eindeutig in der Stammanmeldung offenbart. Dies betraf – zwischen den Parteien unstreitig – auch Aspekte, die letztlich im Einspruchsverfahren zum Widerruf des erteilten EP X wegen Verstoßes gegen Art. 76 Abs. 1 EPÜ führten.

Nichtsdestotrotz hat in Ansehung dieser Umstände die Erteilungsbehörde das EP X erteilt. Soweit die Klägerin vorträgt, die Einwendungen seien, obgleich Aktenbestandteil, inhaltlich nicht geprüft worden, so gibt es hierfür keinerlei Anhaltspunkte. Hierauf kommt es auch nicht an. Vielmehr darf sich der Schutzrechtsinhaber jedenfalls hinsichtlich im Erteilungsverfahren erhobener Einwände, die eine Erteilung nicht hinderten, auf die Rechtseinschätzung der Erteilungsbehörde verlassen.

Im Erteilungsverfahren der EPX und EP X sind zwar keine vergleichbaren Einwände erhoben worden. Indes sind die EP X, EPX und EP X sämtlich aus derselben Stammanmeldung abgezweigt. Schon mit Blick auf die im Erteilungsverfahren des EP X geltend gemachten Einwendungen konnte und musste die Beklagte damit rechnen, dass sich die Prüfungsabteilung auch hinsichtlich der von Amts wegen zu prüfenden Voraussetzungen des Art. 76 Abs. 1 EPÜ bei den EPX und EP X, die derselben Patentfamilie angehören, mit dem Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung auseinandersetzt, zumal eine Erteilung durch dieselben Personen erfolgte. Die Einwendungen im Erteilungsverfahren des EP X wurden auch zeitlich vor der Erteilung des EPX vorgetragen. Die Entscheidung zur Veröffentlichung des EP X datiert auf den 20. Oktober 2016, die der EPX und EP X jeweils auf den 13. April 2017. Gleiches gilt hinsichtlich des EP X. Die Gründe für den Widerruf sind, wie zwischen den Parteien unstrittig, beim EPX und EP X identisch. Darf die Beklagte als Schutzrechtsinhaberin darauf vertrauen, dass ihre Rechtsauffassung hinsichtlich des EPX– in Übereinstimmung mit der Erteilungslage – durchgreift, so gilt gleiches für sich beim EP X in identischer Weise stellenden Rechtsfragen.

Damit durfte die Beklagte vorliegend in Übereinstimmung mit der von der Erteilungsbehörde zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung auf den Bestand ihrer Schutzrechte vertrauen. Ein Verschulden ist soweit nicht gegeben.

Bestätigt wurde das Vertrauen der Beklagten in ihre Rechtsauffassung im vorliegenden Fall überdies dadurch, dass sie im Zeitpunkt der Abmahnung auch bereits zwei einstweilige Verfügungen mit den streitgegenständlichen Patenten erwirkt hatte.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

KG Berlin: Auch gegen juristische Person kann unmittelbar DSGVO-Bußgeld verhängt werden - Deutsche Wohnen

KG Berlin
Beschluss vom 22.01.2024
3 Ws 250/21, 161 AR 84/21, 3 Ws 250/21 - 161 AR 84/21


Das KG Berlin hat entschieden, dass auch unittelbar gegen juristische Person ein DSGVO-Bußgeld verhängt werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Mit Bußgeldbescheid vom 30. Oktober 2019 hat die Berliner Beauftragte für den Datenschutz (im Folgenden: BlnBDI) gegen das betroffene Unternehmen (im Folgenden: Betroffene) Geldbußen festgesetzt. Mit dem Bußgeldbescheid ist der Betroffenen vorgeworfen worden, es zwischen dem 25. Mai 2018 und dem 5. März 2019 vorsätzlich unterlassen zu haben, die notwendigen Maßnahmen zur Ermöglichung der regelmäßigen Löschung nicht mehr benötigter oder in sonstiger Weise zu Unrecht gespeicherter Daten von Mietern zu treffen. Weiter hat der Bußgeldbescheid den Vorwurf enthalten, personenbezogene Daten von mindestens 15 näher bezeichneten Mietern fortgesetzt gespeichert zu haben, obwohl bekannt gewesen sei, dass dies nicht oder nicht mehr erforderlich war. Wegen des vorsätzlichen Verstoßes gegen Art. 25 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 a), c) und e) DS-GVO hat die Geldbuße 14.385.000 Euro betragen. Wegen Verstößen gegen Art. 6 Abs. 1 DS-GVO sind 15 weitere Geldbußen mit Beträge zwischen 3.000 und 17.000 Euro festgesetzt worden.

Auf den Einspruch der Betroffenen hat das Landgericht Berlin das Verfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 206a StPO durch den angefochtenen Beschluss eingestellt. Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, der Bußgeldbescheid habe unter so gravierenden Mängeln gelitten, dass er nicht Grundlage des Verfahrens sein könne. Namentlich ist das Landgericht der Auffassung gewesen, eine juristische Person könne nicht Betroffene eines Bußgeldverfahrens sein, auch nicht in einem solchen nach Art. 83 DS-GVO. Da einer juristischen Person lediglich ein Handeln ihrer Organmitglieder oder Repräsentanten zugerechnet werden könne, könne diese in einem Bußgeldverfahren nur als Nebenbeteiligte fungieren. Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person sei in § 30 OWiG abschließend geregelt, der über § 41 Abs. 1 BDSG auch für Verstöße nach Art. 83 Abs. 4 bis 6 DS-GVO Anwendung finde. Die in § 83 DS-GVO kodifizierte unmittelbare Unternehmenshaftung verstoße gegen das im deutschen Recht verankerte Schuldprinzip und könne daher nicht angewendet werden.

Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Berlin sofortige Beschwerde eingelegt. Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss vom 6. Dezember 2021 ausgesetzt und nach Art. 267 Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union u.a. zu der Frage eingeholt, ob Art. 83 Abs. 4-6 DS-GVO dahin auszulegen sei, „dass es den Art. 101 und 102 AEUV zugeordneten funktionalen Unternehmensbegriff und das Funktionsträgerprinzip in das innerstaatliche Recht mit der Folge inkorporiert, dass unter Erweiterung des § 30 OWiG zugrundeliegenden Rechtsträgerprinzips ein Bußgeldverfahren unmittelbar gegen ein Unternehmen geführt werden kann und die Bebußung nicht der Feststellung einer durch eine natürliche und identifizierte Person, gegebenenfalls volldeliktisch, begangenen Ordnungswidrigkeit bedarf“. Der EuGH hat durch Urteil vom 5. Dezember 2023 (C-807/21 – [juris]) wie folgt entschieden: „Art. 58 Abs. 2 Buchst. i und Art. 83 Abs. 1 bis 6 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach eine Geldbuße wegen eines in Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSG-VO genannten Verstoßes gegen eine juristische Person in ihrer Eigenschaft als Verantwortliche nur dann verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß zuvor einer identifizierten natürlichen Person zugerechnet wurde“. In einem weiteren Ausspruch desselben Urteils heißt es, dass „eine Geldbuße nur dann verhängt werden darf, wenn nachgewiesen ist, dass der Verantwortliche, der eine juristische Person und zugleich ein Unternehmen ist, einen in Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO genannten Verstoß vorsätzlich oder fahrlässig begangen hat“.

Mit Beschluss vom Folgetag hat der Senat angeordnet, dass das Verfahren fortgesetzt wird.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Nach Maßgabe des in dieser Sache ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs ist die Betroffene unbeschadet ihrer Eigenschaft als juristische Person taugliche Adressatin eines Bußgeldbescheids (1.). Das durch das Landgericht angenommene Verfahrenshindernis eines unwirksamen Bußgeldbescheids besteht nicht (2.).

1. Dass die Betroffene als juristische Person taugliche Adressatin eines Bußgeldbescheids sein kann und als solche zudem unmittelbar und nicht nur als Verfahrens- oder Nebenbeteiligte bebußt werden kann, ergibt sich aus dem in diesem Verfahren ergangenen Urteil des EuGH (Urteil vom 5. Dezember 2023 – C-807/21 – [juris]). Der Gerichtshof führt aus, es sei möglich, „die in Art. 83 DSG-VO für solche Verstöße vorgesehenen Geldbußen unmittelbar gegen juristische Personen zu verhängen, wenn diese als für die betreffende Verarbeitung Verantwortliche eingestuft werden können“ (Rn. 44). Dies folgt, so der EuGH weiter, daraus, dass Unternehmen „nicht nur für Verstöße haften, die von ihren Vertretern, Leitern oder Geschäftsführern begangen wurden, sondern auch für Verstöße, die von jeder anderen Person begangen wurden, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit und im Namen dieser juristischen Personen handelt“ (Rn. 44). Die hierdurch – und zwar unabhängig von einem individualisierbaren Organisationsdefizit oder einer Aufsichtspflichtverletzung – möglich gewordene unmittelbare Bebußung von juristischen Personen wird auch durch die Verteidigung, soweit aus ihrem Schriftsatz vom 15. Januar 2024 ersichtlich, nicht mehr in Frage gestellt.

2. Der Bußgeldbescheid der BlnBDI erfüllt die Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 OWiG und stellt eine ausreichende Verfahrensgrundlage dar. Ein Verfahrenshindernis besteht insoweit nicht.

a) Nach § 66 OWiG muss der Bußgeldbescheid „die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften“ enthalten. Der Bußgeldbescheid muss den Tatvorwurf nach gefestigtem Verständnis formal und sachlich umgrenzen (Umgrenzungsfunktion) und den Betroffenen ausreichend über den Tatvorwurf unterrichten (Informationsfunktion) (vgl. BGHSt 23, 336; Senat Verkehrsrecht aktuell 2019, 123 [Volltext bei juris]; OLG Celle ZfSch 2015, 649).

b) Hier ist rechtstechnisch zusätzlich zu beachten, dass die in § 66 OWiG niedergelegten verfahrensbezogenen Anforderungen an die Gestaltung des Bußgeldbescheids den durch den EuGH formulierten Grundsätzen des materiellen Rechts folgen. Die vom EuGH entwickelten sachlich-rechtlichen Grundzüge der Verbandsgeldbuße überformen, prägen und gestalten das diesbezügliche nationale Verfahrensrecht. Formuliert der EuGH etwa, die Bebußung erfordere nicht, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46), so folgt daraus zwingend, dass sich die Bezeichnung einer solchen natürlichen Person auch nicht aus dem nationalen Verfahrensrecht, hier § 66 OWiG, ergeben muss.

Der Auffassung der Verteidigung, die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids als Verfahrensvoraussetzung bemesse sich nach § 66 OWiG, trifft damit allgemein zu, denn eine Suspendierung der gesamten Vorschrift steht auch angesichts des nun anzuwendenden europarechtskonformen Verantwortungs- und Haftungsregimes nicht in Rede. Vielmehr sieht Art. 83 Abs. 8 DSG-VO vor, dass die „Ausübung der eigenen Befugnisse durch eine Aufsichtsbehörde“ unionsrechtskompatiblen Verfahrensgarantien „einschließlich wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelfe und ordnungsgemäßer Verfahren“ unterliegt. Daher verweist § 41 BDSG auf Verfahrensvorschriften des OWiG und der StPO, und auch § 66 OWiG ist als grundlegendes nationales Verfahrensrecht anwendbar. Seine Auslegung allerdings richtet sich hier nach den sachlich-rechtlichen Vorgaben des übergeordneten Europarechts in der durch den EuGH nun gegebenen Ausprägung.

c) Unter Zugrundelegung der Maßgaben aus der Vorabentscheidung des EuGH und ihrer Weiterungen auf das nationale Verfahrensrecht erfüllt der Bußgeldbescheid der BlnBDI die Voraussetzungen des § 66 OWiG. Ohne Weiteres grenzt der Bußgeldbescheid den Gegenstand des Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht ab, und die Betroffene kann mühelos erkennen, welcher konkrete Vorwurf gegen sie erhoben wird. Namentlich die durch § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG erforderten Essentialia, nämlich die „Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird“ sowie „Zeit und Ort ihrer Begehung“, sind bei der gebotenen funktional-normativen Betrachtung eingehalten.

Der Bußgeldbescheid wirft der Betroffenen vor, es zwischen dem 25. Mai 2018 und dem 5. März 2019 vorsätzlich unterlassen zu haben, die notwendigen Maßnahmen zur Ermöglichung der regelmäßigen Löschung nicht mehr benötigter oder in sonstiger Weise zu Unrecht gespeicherter Daten von Mietern zu treffen. Weiter wird ihr vorgeworfen, personenbezogene Daten von mindestens 15 näher bezeichneten Mietern fortgesetzt gespeichert zu haben, obgleich bekannt gewesen sei, dass dies nicht oder nicht mehr erforderlich war.

Diese – hier nur kursorisch zusammengefassten – Vorwürfe sind im Bußgeldbescheid ausgesprochen konkret und ausführlich dargestellt. Der Bußgeldbescheid bezeichnet die insgesamt 16 Tathandlungen auf mehr als 17 Seiten in einer ausdifferenzierten und nachgerade ziselierten Weise. Die Ausführungen vermitteln der Betroffenen präzise, was ihr vorgeworfen wird, und sie ermöglichen es ihr, sich hiergegen zu verteidigen. Dabei ist auch zu beachten, dass es sich bei den vorgeworfenen Handlungen (oder Unterlassungen) ersichtlich um keine Individualexzesse in einem Dunkelbereich des Unternehmens handelt. Gegenstand des Bußgeldverfahrens bildet die Speicherung bzw. Archivierung (oder Nichtlöschung) von Kundendaten. Es geht um einfach gelagerte und verständliche Sachverhalte und im Letzten um gewöhnliche Vorgänge in einem operativen Unternehmensbereich.

d) Nicht folgen kann der Senat der Überlegung der Betroffenen, der Bußgeldbescheid müsse konkretisieren, „welches Organ durch welche Handlung die Voraussetzungen des § 30 OWiG erfüllt hat“. Abgesehen davon, dass der Bußgeldbescheid die Rechtsverstöße auch in ihrer Entstehung („Handlung“) durchaus nachvollziehbar darstellt und umreißt, deduziert sich ein solches Erfordernis aus der überkommenen Vorstellung, eine Verbandshaftung erfordere das Verschulden eines Repräsentanten (§ 30 OWiG) oder eine Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG). Sie lässt die europarechtlichen Einflüsse auf das Verbandsanktionenrecht außen vor und missachtet die Rechtsprechung des EuGH im hiesigen Vorabentscheidungsverfahren. Wenn der EuGH ausdrücklich formuliert, die Bebußung erfordere nicht, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46), so stellt er klar, dass juristische Personen dafür verantwortlich sind, dass Daten im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit rechtmäßig verarbeitet werden (Rn. 44). Sanktioniert wird hiernach nicht (nur) eine fehlerhafte Organisation, sondern gerade die Pflichtverletzung des Verbands bzw. im Verband, als „genuine Verbandstat“ (vgl. als Kritik an der überkommenen nationalen Rechtslage: HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, 2. Aufl., § 30 Rn. 13). Nach der Vorabentscheidung des EuGH ist auch eine juristische Person schuldfähig, so dass es zu einem Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Haftbarkeit kommt (vgl. Grages/Strassemeyer, CR 2024, 10). Damit fallen alle Personen, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit handeln, in den abstrakten Verantwortungskreis der juristischen Person, und selbst eine normentsprechende Organisation führt – jedenfalls in aller Regel – nicht zur Exkulpation. Dies entspricht dem Effektivitätsgrundsatz des europäischen Rechts.

Dass der Verband (materiell-rechtlich) allein datenschutzrechtlich Verantwortlicher ist (vgl. Wünschelbaum, DSB 2024, 15), wirkt sich damit unmittelbar auf die verfahrensrechtlich gebotene Darstellungsdichte im Bußgeldbescheid aus. Insbesondere muss dieser gerade nicht bezeichnen, welchem Repräsentanten oder welchem „Organ“ welche konkrete Handlung oder welches konkrete Unterlassen zur Last fällt. Im Übrigen bleibt es aber auch insoweit dabei, dass der hier zu beurteilende Bußgeldbescheid die Tathandlungen bemerkenswert und – gemessen an den vom EuGH formulierten materiell-rechtlichen Haftungsvoraussetzungen ersichtlich – überobligatorisch konkret darstellt.

e) Auch kann sich der Senat der noch weitergehenden Überlegung der Verteidigung nicht anschließen, es sei sogar „unverzichtbar, dass ein Bußgeldbescheid die verfahrensmaßgeblichen Handlungen der natürlichen Person beschreibt“, um einen Vorwurf gegen den Verband „erkennen, abgrenzen, bewerten und sich gegen ihn verteidigen zu können“. Auch diese Auffassung verstößt eklatant gegen das im hiesigen Verfahren ergangene Urteil des EuGH. Das durch die Verteidigung erkannte Erfordernis geht darüber hinweg, dass eine Sanktionierung gerade nicht erfordert, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46). Dieses klare EuGH-Diktum ist mit der Forderung der Verteidigung, der Bußgeldbescheid müsse die „Handlung der natürlichen Person beschreiben“, ersichtlich unvereinbar. Allerdings gilt auch insoweit: Der Bußgeldbescheid beschreibt die vorgeworfenen Handlungen – zum großen Teil in der Form des Unterlassens der Löschung, teilweise als unterlassene Kennzeichnung von Daten – nachvollziehbar und deutlich. Der Betroffenen ist es möglich und unbenommen, im Bußgeldverfahren darzustellen, dass die Daten nicht gespeichert oder rechtmäßig gespeichert und ggf. rechtzeitig gelöscht wurden. Jedenfalls unter Zugrundelegung der vom EuGH umrissenen Grundzüge einer umfassenden Unternehmensverantwortung ist nicht ersichtlich, dass eine noch ausführlichere und noch „konkretere“ Darstellung der Tatvorwürfe im Bußgeldbescheid die Verteidigungsmöglichkeiten der Betroffenen substantiell erweitern könnte. Durch das EuGH-Judikat verringerte Exkulpationsmöglichkeiten sind nicht Folge eines unkonkret bleibenden Bußgeldbescheids, sondern einer dem Effektivitätsgrundsatz geschuldeten europarechtskonform erweiterten Verbandsverantwortung.

f) Folgerichtig ist der Verteidigung schließlich auch darin zu widersprechen, die Bezeichnung der dem Organ vorwerfbaren Tat sei unerlässliche Voraussetzung des Bußgeldbescheids. Dieses ehedem bestehende Erfordernis, das dem limitierten Haftungsregime des nationalen Rechts folgte, ist durch die im hiesigen Verfahren ergangene Vorabentscheidung des EuGH zu einer umfassenden Verbandsverantwortung nach kartellrechtlichem Vorbild obsolet. In dieser heißt es, „dass die Anwendung von Art. 83 DSG-VO keine Handlung und nicht einmal eine Kenntnis seitens des Leitungsorgans“ voraussetzt (Rn. 77).

3. Da kein Verfahrenshindernis besteht, war der angefochtene Beschluss aufzuheben, und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Funktional zuständig ist nicht die große Strafkammer (Wirtschaftskammer), sondern die Kammer für Bußgeldsachen (§ 47 Abs. 7 OWiG). Der Senat kann nachvollziehen, dass die Kammer entgegen einer analogen Anwendung des § 68 Abs. 1 Satz 2 OWiG nicht durch Einzelrichter entschieden hat, sondern – wohl entsprechend §§ 46 Abs. 1 OWiG, 76 Abs. 1 GVG – zuletzt eine Besetzung gewählt hat, die der einer großen Strafkammer entspricht (vgl. zur funktionalen Zuständigkeit und zur Besetzungsfrage Brodowski/Nowak in BeckOK Datenschutzrecht, 46. Edition, § 41 BDSG Rn. 16). Hierfür spricht, dass sich die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts (§ 41 Abs. 1 Satz 3 BDSG) aus dem Streben nach einer verbesserten Kontrolle ableiten dürfte, die sich jedenfalls im Leitbild aus der Beteiligung mehrerer (Berufs-) Richter ergibt.

4. Eine Kostenentscheidung ist in Bezug auf das Rechtsmittel nicht veranlasst (ex arg. BGH WuW 2020, 615). Über die Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens hat an sich das vorlegende Gericht zu entscheiden (Art. 102 EuGHVerfO). Das Vorabentscheidungsverfahren erweist sich aber lediglich als Zwischenverfahren des gleichfalls unselbständigen Beschwerdeverfahrens, durch dessen Entscheidung das Bußgeldverfahren nicht abgeschlossen wird. Da das Bußgeldverfahren beim Landgericht Berlin fortgesetzt und durch dieses entschieden wird, ist es angemessen, dass die Kammer für Bußgeldsachen in der abschließenden Kostengrundentscheidung über die Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens mitentscheidet (vgl. bei ähnlicher Konstellation BGH WM 1996, 1889 unter Bezug auf EuGH GRUR Int. 1996, 147).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: DSGVO-Geldbuße gegen Unternehmen durch Datenschutzbehörde setzt schuldhaften Verstoß voraus - Höhe richtet sich nach dem Jahresumsatz des Konzerns

EuGH
Urteil vom 05.12.2023, C-683/21 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


Der EuGH hat entschieden, dass eine Geldbuße gegen ein Unternehmen durch die Datenschutzbehörde wegen eines DSGVO-Verstoßes einen schuldhaften Verstoß voraussetzt. Die Höhe richtet sich bei Unternehmen, die einem Konzern angehören, nach dem Jahresumsatz des Konzerns.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Nur ein schuldhafter Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung kann zur Verhängung einer Geldbuße führen

Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, bemisst sich die Geldbuße nach dem Jahresumsatz des Konzerns

Der Gerichtshof präzisiert die Voraussetzungen, unter denen die nationalen Aufsichtsbehörden eine Geldbuße gegen einen oder mehrere für die Datenverarbeitung Verantwortliche wegen Verstoßes gegen die DatenschutzGrundverordnung (DSGVO) verhängen können. Insbesondere stellt er fest, dass die Verhängung einer solchen Geldbuße ein schuldhaftes Verhalten voraussetzt, der Verstoß also vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sein muss. Gehört der Adressat der Geldbuße zu einem Konzern, ist bei der Berechnung der Geldbuße auf den Umsatz des Konzerns abzustellen

Ein litauisches und ein deutsches Gericht haben den Gerichtshof ersucht, die Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO)1 auszulegen, und zwar im Hinblick auf die Möglichkeit nationaler Aufsichtsbehörden, Verstöße gegen diese Verordnung durch Verhängung einer Geldbuße gegen den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen zu ahnden.

Im litauischen Fall wendet sich das Nationale Zentrum für öffentliche Gesundheit beim Gesundheitsministerium gegen eine Geldbuße in Höhe von 12 000 Euro, die ihm im Zusammenhang mit der Entwicklung (mit Unterstützung durch ein privates Unternehmen) einer mobilen Anwendung auferlegt wurde, die der Erfassung und Überwachung der Daten der dem Covid-19-Virus ausgesetzten Personen dienen sollte.

Im deutschen Fall wendet sich das Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen, das mittelbar rund 163 000 Wohneinheiten und 3 000 Gewerbeeinheiten hält, u. a. gegen eine Geldbuße von über 14 Mio. Euro, die ihm auferlegt wurde, weil es personenbezogene Daten von Mietern länger als erforderlich speicherte.

Der Gerichtshof entscheidet, dass gegen einen für die Datenverarbeitung Verantwortlichen nur dann eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen die DSGVO verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß schuldhaft – also vorsätzlich oder fahrlässig – begangen wurde. Dies ist dann der Fall, wenn sich der Verantwortliche über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein konnte, gleichviel, ob ihm dabei bewusst war, dass es gegen die Bestimmungen der DSGVO verstößt.

Handelt es sich bei dem Verantwortlichen um eine juristische Person, ist es nicht erforderlich, dass der Verstoß von ihrem Leitungsorgan begangen wurde oder dieses Organ Kenntnis davon hatte. Vielmehr haftet eine juristische Person sowohl für Verstöße, die von ihren Vertretern, Leitungspersonen oder Geschäftsführern begangen werden, als auch für Verstöße, die von jeder sonstigen Person begangen werden, die im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit in ihrem Namen handelt. Die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person als Verantwortliche darf nicht der Voraussetzung unterliegen, dass zuvor festgestellt wurde, dass der Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde.

Außerdem kann gegen einen Verantwortlichen eine Geldbuße auch für Verarbeitungsvorgänge verhängt werden, die von einem Auftragsverarbeiter durchgeführt wurden, sofern diese Vorgänge dem Verantwortlichen zugerechnet werden können.

Zur gemeinsamen Verantwortlichkeit von zwei oder mehr Einrichtungen führt der Gerichtshof aus, dass diese sich allein daraus ergibt, dass die Einrichtungen an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung mitgewirkt haben. Die Einstufung als „gemeinsam Verantwortliche“ setzt keine förmliche Vereinbarung zwischen den betreffenden Einrichtungen voraus. Eine gemeinsame Entscheidung oder übereinstimmende Entscheidungen reichen aus. Handelt es sich jedoch tatsächlich um gemeinsam Verantwortliche, müssen diese in einer Vereinbarung ihre jeweiligen Pflichten festlegen.

Schließlich muss sich die Aufsichtsbehörde bei der Bemessung der Geldbuße, wenn der Adressat ein Unternehmen ist oder zu einem Unternehmen gehört, auf den wettbewerbsrechtlichen Begriff „Unternehmen“ stützen. Der Höchstbetrag der Geldbuße ist daher auf der Grundlage eines Prozentsatzes des gesamten Jahresumsatzes zu berechnen, den das betreffende Unternehmen als Ganzes im vorangegangenen Geschäftsjahr weltweit erzielt hat.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-683/12 (Nacionalinis visuomenės sveikatos centras)
EuGH, Urteil vom 05.12.2023, C-807/21 (Deutsche Wohnen)


AG München: Bankkunde darf EC-Karte und ausreichend verschlüsselte Geheimzahl zusammen in der Geldbörse aufbewahren - Erstattungsanspruch gegen Bank bei EC-Kartenmissbrauch nach Diebstahl

AG München
Urteil vom 02.06.2023
142 C 19233/19


Das AG München hat entschieden, dass ein Bankkunde seine EC-Karte und die ausreichend verschlüsselte Geheimzahl zusammen in seiner Geldbörse aufbewahren darf. Das Gericht hat einen Erstattungsanspruch gegen die Bank bei EC-Kartenmissbrauch nach einem Diebstahl bejaht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Haftung bei EC-Kartenmissbrauch

Keine grobe Fahrlässigkeit bei gemeinsamer Aufbewahrung der EC-Karte mit hinreichend verschlüsselter Geheimzahl

In einem Streit um Erstattungsansprüche bei EC-Kartenmissbrauch gab das Amtsgericht München der Klage eines Bankkunden auf Zahlung von 1.011 EUR überwiegend statt und verurteilte die beklagte Bank zur Zahlung in Höhe von 861,00 EUR.

Der Münchner Kläger hat bei der Beklagten ein Girokonto, für welches ihm von dieser eine EC-Girokarte mit Maestro-Funktion zur Verfügung gestellt wurde. Unbekannte Trickdiebe entwendeten ihm im Oktober 2015 in Italien auf der Autobahnraststätte „Campogalliano Ovest“ den Geldbeutel samt EC-Karte und hoben bereits ca. 20 Minuten später an einem ca. 18 Fahrminuten von der Autobahnraststätte entfernten Ort unter im Einzelnen streitigen Umständen insgesamt 1.000 EUR von seinem Konto ab. Wenige Minuten später bemerkte der Kläger den Verlust der Karte und ließ diese sperren.

Die beklagte Bank belastete das Konto des Klägers daraufhin mit einem Betrag in Höhe von 1.000 EUR sowie Gebühren in Höhe von insgesamt 11,00 EUR für zwei Geldautomatenverfügungen im Ausland.

Der Kläger hatte die EC-Karte in seinem Geldbeutel gemeinsam mit einem kleinen, handgeschriebenen Zettel aufbewahrt, auf dem er diverse Telefonnummern sowie die für die Girokarte ausgegebene vierstellige Geheimzahl (PIN) in verschlüsselter Form notiert hatte. Der mathematisch versierte Kläger ging dabei so vor, dass er die PIN (4438) in zwei Schritten in Primzahlen zerlegte und so zu den Ziffern 2, 7 und 317 gelangte, die er zusammenhängend und ohne Bezug als „27317“ auf den Zettel übertrug.

Der Kläger machte mit seiner Klage die Erstattung des abgebuchten Betrages in Höhe von 1.011 EUR geltend. Er behauptete, seine PIN über die verschlüsselte Variante hinaus nicht in seinem Geldbeutel aufbewahrt und diese auch nicht auf der Karte vermerkt zu haben. Es dränge sich der Verdacht von Bandenkriminalität auf, die Täter müssten im Besitz einer Technik gewesen sein, mit der es gelänge, den Abhebevorgang auch ohne Kenntnis der PIN durchzuführen, die Verschlüsselung also auszuhebeln.

Das Amtsgericht München erachtete die Klage für überwiegend begründet und verurteilte die Beklagte zur Zahlung in Höhe von 861,00 EUR.

Das Gericht stellte in den Urteilsgründen zunächst fest, dass dem Kläger aufgrund der ohne seine Autorisierung erfolgten Abhebungen ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Erstattung des abgebuchten Betrages in voller Höhe zusteht, § 675u S. 2 Alt. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (in der bis 12. Januar 2018 geltenden Fassung, im Folgenden: alte Fassung).

Hiervon ist jedoch nach den Ausführungen des Gerichts ein Betrag in Höhe von 150 EUR in Abzug zu bringen, da der beklagten Bank auf Grund der Verwendung eines dem Kläger gestohlenen Zahlungsauthentifizierungsinstruments in dieser Höhe ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch zusteht, § 675v Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch alte Fas-sung.

Einen weitergehenden Anspruch der Bank auf Ersatz des gesamten Schadens verneinte das Gericht jedoch, da der Schaden weder durch eine vorsätzliche noch eine grob fahrlässige Pflichtverletzung durch den Kläger herbeigeführt worden sei, § 675v Abs. 2 Alt. 2 Nr. 1, 2 Bürgerliches Gesetzbuch alte Fassung.

Das Gericht begründete dies wie folgt:

„Entgegen der Ansicht der Beklagten greift der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mögliche Anscheinsbeweis, dass der Kläger die persönliche Geheimzahl (unverschlüsselt) auf seiner ec-Karte vermerkt oder sie zusammen mit dieser verwahrt hat (…) im vorliegenden Fall nicht ein. Die Annahme des Anscheinsbeweises setzt voraus, dass der Missbrauch unter Verwendung der Originalkarte und der zutreffenden Geheimzahl erfolgt ist (…).

Diese Umstände hat der Kläger bestritten, so dass die Beklagte hierfür den Beweis erbringen muss. Zwar kann nach den oben dargestellten Grundsätzen davon ausgegangen werden, dass die Originalkarte des Klägers zum Einsatz gekommen ist, der Beklagten ist jedoch der Nachweis nicht gelungen, dass die unbekannten Täter auch die korrekte Geheimzahl des Klägers in Erfahrung gebracht und zur Auszahlung verwendet haben. (…)

Die verschlüsselte Aufbewahrung der PIN des Klägers in dessen Portemonnaie gemeinsam mit der Zahlungskarte wertet das Gericht nicht als grob fahrlässige Verletzung der Pflichten des § 675l S. 1 BGB a.F.

Grob fahrlässig handelt nur, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, einfachste und nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und in der konkreten Situation das nicht beachtet, was sich jedem aufdrängt. (…)

Als grob fahrlässig wird daher in der Regel gewertet, wenn der Zahler die persönliche Geheimzahl gemeinsam mit der Karte und nicht räumlich von dieser getrennt mit sich führt. Erlaubt ist es dem Zahler jedoch nach ganz h.M. [Anm.: herrschender Meinung], die PIN verschlüsselt auch gemeinsam mit der Karte vorzuhalten, soweit die Verschlüsselung ausreichend komplex ist, um eine Kenntniserlangung Dritter nach menschlichem Ermessen auszuschließen.

Nach diesen Maßstäben war die verschlüsselte Vorhaltung der PIN durch den Kläger hinreichend sicher und verstößt noch nicht einmal gegen einfache Sorgfaltspflichten. Der Kläger hat seine Vorgehensweise in seiner persönlichen Anhörung durch das Gericht nachvollziehbar geschildert. Er hat eine komplexe, individuelle Verschlüsselungsmethode entwickelt, die - jedenfalls in Unkenntnis der Methode - auch dem Gericht als ausreichend sicher erscheint. Auch dem Sachverständigen ist es eigenen Angaben zufolge (…), obwohl er Kenntnis von der Rechenweise des Klägers hatte, zunächst nicht gelungen, die Zahlenfolge 27317 zu dechiffrieren und hieraus die PIN rückzuerrechnen.

Der Kläger hatte die Zahlenfolge zudem zusammenhanglos auf einem Zettel mit Telefonnummern notiert ohne zugehörigen Hinweis, dass es sich um eine PIN handelt. Wie den Tätern innerhalb von nur wenigen Minuten eine Decodierung hätte gelingen können ist selbst unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers, es habe sich um organisierte Bandenkriminalität gehandelt, für das Gericht nicht nachzuvollziehen.“


EuGH-Generalanwalt: Haftung und Höhe des Schadensersatzes nach Art. 82 DGVO richten sich nicht nach dem Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 25.05.2023
C‑667/21


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass sich Haftung und Höhe des Schadensersatzes nach Art. 82 DGVO nicht nach dem Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters richten.

Ergebnis des EuGH-Generalanwalts:
Art. 9 Abs. 2 Buchst. h und Abs. 3 sowie Art. 82 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung),

sind dahin auszulegen, dass

es einem Medizinischen Dienst einer Krankenkasse nicht untersagt ist, Gesundheitsdaten seines Arbeitnehmers, die Voraussetzung für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit dieses Arbeitnehmers sind, zu verarbeiten.

Sie lassen eine Ausnahme vom Verbot der Verarbeitung personenbezogener Gesundheitsdaten zu, wenn diese Verarbeitung zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers erforderlich ist; dabei sind die in Art. 5 genannten Grundsätze sowie eine der in Art. 6 der Verordnung 2016/679 genannten Bedingungen für die Rechtmäßigkeit einzuhalten.

Der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters ist weder für deren Haftung noch für die Bemessung der Höhe des nach Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 zu ersetzenden immateriellen Schadens von Bedeutung.

Die Beteiligung der betroffenen Person an dem Umstand, aus dem sich die Verpflichtung zum Schadenersatz ergibt, kann je nach Lage des Falles zu einer Befreiung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters von der Haftung gemäß Art. 82 Abs. 3 der Verordnung 2016/679 führen.

Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


Vorlagebeschluss liegt im Volltext vor - BAG legt EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO und Art. 88 DGSVO vor

BAG
Beschluss vom 22.09.2022
8 AZR 209/21


Wir hatten bereits in dem Beitrag "BAG legt EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO und Art. 88 DGSVO vor - Immaterieller Schadensersatz bei Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses" über die Entscheidung berichtet.

Tenor der Entscheidung:

I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Fragen ersucht:

1. Ist eine nach Art. 88 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung; im Folgenden DSGVO) erlassene nationale Rechtsvorschrift – wie etwa § 26 Abs. 4 Bundesdatenschutzgesetz, im Folgenden BDSG -, in der bestimmt ist, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten – einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten – von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses auf der Grundlage von Kollektivvereinbarungen unter Beachtung von Art. 88 Abs. 2 DSGVO zulässig ist, dahin auszulegen, dass stets auch die sonstigen Vorgaben der DSGVO – wie etwa Art. 5, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO – einzuhalten sind?

2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird:

Darf eine nach Art. 88 Abs. 1 DSGVO erlassene nationale Rechtsvorschrift – wie § 26 Abs. 4 BDSG – dahin ausgelegt werden, dass den Parteien einer Kollektivvereinbarung (hier den Parteien einer Betriebsvereinbarung) bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung im Sinne der Art. 5, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO ein Spielraum zusteht, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist?

3. Sofern die Frage zu 2. bejaht wird:

Worauf darf in einem solchen Fall die gerichtliche Kontrolle beschränkt werden?

4. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass Personen ein Recht auf Ersatz des immateriellen Schadens bereits dann haben, wenn ihre personenbezogenen Daten entgegen den Vorgaben der DSGVO verarbeitet wurden oder setzt der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens darüber hinaus voraus, dass die betroffene Person einen von ihr erlittenen immateriellen Schaden – von einigem Gewicht – darlegt?

5. Hat Art. 82 Abs. 1 DSGVO spezial- bzw. generalpräventiven Charakter und muss dies bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO zulasten des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters berücksichtigt werden?

6. Kommt es bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf den Grad des Verschuldens des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters an? Insbesondere, darf ein nicht vorliegendes oder geringes Verschulden auf Seiten des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters zu dessen Gunsten berücksichtigt werden?

II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BAG legt EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO und Art. 88 DGSVO vor - Immaterieller Schadensersatz bei Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses

BAG
Beschluss vom 22.09.2022
8 AZR 209/21


Der BAG hat dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO und Art. 88 DSGVO zur Entscheidung vorgelegt. Es geht dabei um die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses und möglichen Ansprüchen auf immateriellen Schadensersatz.

Die Vorlagefragen:

I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Fragen ersucht:

1. Ist eine nach Art. 88 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung; im Folgenden DSGVO) erlassene nationale Rechtsvorschrift – wie etwa § 26 Abs. 4 Bundesdatenschutzgesetz, im Folgenden BDSG – in der bestimmt ist, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten – einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten – von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses auf der Grundlage von Kollektivvereinbarungen unter Beachtung von Art. 88 Abs. 2 DSGVO zulässig ist, dahin auszulegen, dass stets auch die sonstigen Vorgaben der DSGVO – wie etwa Art. 5, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO – einzuhalten sind?

2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird:
Darf eine nach Art. 88 Abs. 1 DSGVO erlassene nationale Rechtsvorschrift – wie § 26 Abs. 4 BDSG – dahin ausgelegt werden, dass den Parteien einer Kollektivvereinbarung (hier den Parteien einer Betriebsvereinbarung) bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung im Sinne der Art. 5, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO ein Spielraum zusteht, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist?

3. Sofern die Frage zu 2. bejaht wird:
Worauf darf in einem solchen Fall die gerichtliche Kontrolle beschränkt werden?

4. Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass Personen ein Recht auf Ersatz des immateriellen Schadens bereits dann haben, wenn ihre personenbezogenen Daten entgegen den Vorgaben der DSGVO verarbeitet wurden oder setzt der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens darüber hinaus voraus, dass die betroffene Person einen von ihr erlittenen immateriellen Schaden – von einigem Gewicht – darlegt?

5. Hat Art. 82 Abs. 1 DSGVO spezial- bzw. generalpräventiven Charakter und muss dies bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO zulasten des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters berücksichtig werden?

6. Kommt es bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf den Grad des Verschuldens des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters an? Insbesondere, darf ein nicht vorliegendes oder geringes Verschulden auf Seiten des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters zu dessen Gunsten berücksichtigt werden?

II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.



LG Hannover: 5.000 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen unberechtigtem Negativeintrag in Auskunftei

LG Hannover
Urteil vom 14.02.2022
13 O 129/21


Das LG Hannover hat entschieden, dass dem Betroffenen 5.000 EURO immaterieller Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen eines unberechtigten Negativeintrags in einer Auskunftei zusteht. Der Betroffene hatte den Betreiber der Auskunftei verklagt.

Aus den Entscheidungsgründen:

A. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Hannover örtlich gemäß § 44 Abs. 1 BDSG zuständig.

B. Die Klage ist in Höhe eines Betrages von 5.000,00 € (nachfolgend zu 1.) nebst Verzugszinsen (nachfolgend zu 2.) sowie im Hinblick auf die Freistellung des Klägers von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 282,15 € (nachfolgend zu 3.) begründet. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen (nachfolgend zu 4.).

Im Einzelnen:

1. Der Kläger kann von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 5.000,00 € aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO verlangen.

a. Die von der Telekom veranlassten Negativeinträge vom 10.01.2018 haben den Kläger rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

Eine nicht von den Bestimmungen des zum Zeitpunkt des Negativeintrags insoweit noch maßgeblichen § 28a BDSG (Art 6 Abs. 1 Buchst, f DSGVO (i.V.m. § 31 BDSG n.F.) gilt gern, deren Art. 99 Abs. 2 ab dem 25.05.2018) gedeckte Übermittlung personenbezogener Daten stellt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, das als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB Schutz genießt (BGH, Urteil vom 07.07.1983- III ZR 159/82-, Rn. 14, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.09.2014- 1-16 U 7/14-, Rn. 5, juris). Nach §4 Abs. 1 BDSG a.F. ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig, soweit das BDSG oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder der Betroffene eingewilligt hat. Eine Einwilligung hat der Kläger nicht erteilt. Deswegen ist die Übermittlung der Daten aus dem Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Telekom an die Beklagte an § 28a BDSG a.F. zu messen. Vorliegend scheitert deren Zulässigkeit schon an der Voraussetzung des § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst, a) BDSG a.F., weil sich nicht feststellen lässt, dass die Telekom den Kläger mindestens zweimal schriftlich gemahnt hat.

Die Darlegungs- und Beweislast für die Zulässigkeit der Übermittlung von Daten trägt grundsätzlich die übermittelnde Stelle (vgl. OLG Köln, Urteil vom 21.10.2014 - 1-15 U 107/14-, Rn. 59, juris; OLG Düsseldorf a.a.O., Rn. 5; LG Lüneburg, Urteil vom 14.07.2020- 9 O 145/19-, Rn. 31, 47) resp. vorliegend die Beklagte als die die Daten verarbeitende Stelle i.S.v. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG a.F. Im Übrigen beruft sich die Beklagte auf die Mahnungen als ihr günstige - weil sie zur Aufnahme des Negativeintrags in ihre Auskunftei berechtigende - Tatsache und trägt damit auch nach allgemeinen Grundsätzen die Last des Beweises (vgl. Arnold in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 130 BGB, Rn. 33).

Soweit die Telekom Mahnungen an den Kläger unter dessen seinerzeit für ihn nicht mehr aktuelle Anschrift (nur noch) seiner Eltern gesandt hat, lässt sich deren Zugang beim Kläger unabhängig davon nicht feststellen, ob diese den Eltern des Klägers zugegangen sind. Der Kläger mag durch sein Verhalten, seine neue Adresse nicht an seine Vertragspartner mitgeteilt zu haben, eine Ursache dafür gesetzt haben, dass ihn die an ihn gerichtete Post und damit auch die Mahnungen nicht erreicht haben. Das ändert aber nichts daran, dass sich ein Zugang beim Kläger nicht feststellen lässt und ist für die Frage der Zulässigkeit der Datenverarbeitung zunächst ohne Belang. Nach dem Sinn und Zweck der in § 28 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst, a) bis c) BDSG aufgestellten Erfordernisse reicht eine bloße Versendung von Mahnungen nicht aus; vielmehr ist grundsätzlich ein Zugang beim Betroffenen erforderlich, um die beabsichtigte Warnfunktion zu erfüllen und diesem so entweder einen Ausgleich der Forderung zu ermöglichen oder ihn in die Lage zu versetzen, Einwendungen gegen die Forderung zu erheben (vgl. BR-Drs. 548/08, S. 25 f.); dabei obliegt auch allein dem Absender der Nachweis eines Zugangs von ihm versandter Schreiben, der das durch es ein geeignetes Versandverfahren sicher stellen könnte; das wäre im Hinblick auf die Folgen einer negativen Eintragung im Hinblick auf die Kreditwürdigkeit des Betroffenen auch ohne weiteres zumutbar und der Mahnende trägt das Risiko, wenn er sich so der Möglichkeit des Nachweises begibt; auch ein Anscheinsbeweis greift insofern grundsätzlich nicht ein, weil es vielfache Ursache dafür geben kann, dass ein Schreiben den Empfänger nicht erreicht (vgl. OLG Köln, a.a.O., Rn. 59, juris).

b. Die Beklagte hat gegen Art. 6 Abs. 1 DSGVO durch die nicht im Sinne der Vorschrift rechtmäßige Datenverarbeitung verstoßen, weil diese gemessen an §§ 28a Abs. 1 Nr. 4 Buchst, a), 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG a.F. bzw. § 31 Abs. 2 Nr. 4 Buchst, a) BDSG n.F. (auch wenn diese Neufassung nicht mehr die Übermittlungsvoraussetzungen definiert, sondern nur Anforderungen an den Datenkranz, der für die Ermittlung von Wahrscheinlichkeitswerten verwendet werden darf, so werden dadurch die Übermittlungsvoraussetzungen doch zumindest mittelbar bestimmt und in gewisserWeise durch den Gesetzgeber fortgeschrieben, vgl. Kamlah in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, §31 BDSG, Rn. 49) mangels (nachgewiesener) Mahnungen des Klägers durch die Telekom nicht rechtmäßig war.

c. Soweit der Kläger mithin in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt ist, bedarf es keiner Feststellung, dass es sich dabei um eine schwerwiegende handelt.

Anders als für die Zubilligung eines Schmerzensgeldes nach §§ 823 Abs. 1, 249, 253 BGB, Art 1 und 2 GG wird eine solche von Art. 82 GG nicht vorausgesetzt (vgl. (BeckOK DatenschutzR/Quaas, 38. Ed. 1.11.2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 32; Gola DS-GVO/Gola/Piltz, 2. Aufl. 2018, DS-GVO Art. 82 Rn. 13; LG Hamburg, Urteil vom 04.09.2020 - 324 S 9/19 -, Rn. 34, juris; LG Lüneburg, a.a.O., Rn. 55, juris).

d. Die Beklagte hat auch schuldhaft gehandelt.

Ein solches Verschulden ist - wie nach Auffassung der Kammer schon Art. 82 Abs. 3 DSGVO zeigt - auch im Rahmen einer Haftung nach Art. 82 DSGVO erforderlich und wird zunächst mit der Möglichkeit einer Exkulpation vermutet (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 31.03.2021 - 9 U 34/21 -, Rn. 43, juris; LG Karlsruhe, Urteil vom 02.08.2019- 8 O 26/19-, Rn. 15, juris; Gola DS-GVO, a.a.O., Rn. 9; BeckOK DatenschutzR, a.a.O., Rn. 17; a.A. wohl: BAG, EuGH-Vorlage vom 26.08.2021 - 8 AZR 253/20 (A) -, Rn. 39, juris).

Daran gemessen traf die Beklagte zunächst nicht der Vorwurf eines schulhaften Verhaltens, weil ihr die Prüfung der Voraussetzung der Übermittlung in § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst, a) BDSG a.F. zunächst nicht oblag (vgl. LG Stuttgart Urt. v. 15.05.2002 - 21 O 97/01, BeckRS 2002, 31212889, beck-online). Die Beklagte musste mithin nicht ohne irgendeinen Anhaltspunkt überprüfen, ob der Kläger nach Eintritt der Fälligkeit der Forderung der Telekom mindestens zweimal schriftlich gemahnt worden war, sondern durfte sich vielmehr darauf verlassen, dass die Telekom als übermittelnde Stelle das getan hatte.

Die Beklagte hatte dann aber Anlass zur Prüfung dieser Frage, nachdem ihr der Kläger im April 2019 mitgeteilt hatte, dass er nicht gemahnt worden sei, die Voraussetzungen für die Negativeinträge also - jedenfalls aus seiner Sicht - nicht Vorlagen. Soweit sie mangels der Kenntnis der Problematik der Mahnungen und ihres Zugangs beim Kläger deswegen bis dahin i.S.v. Art. 82 Abs. 3 DSGVO exkulpiert war und (noch) nicht schuldhaft handelte, gelingt ihr das für die Zeit ab April 2019 nicht mehr und das Verschulden der Beklagten seitdem ist zu vermuten. Die Beklagte hatte ab April 2019 Anlass, die Frage der Rechtmäßigkeit zu prüfen. Die ihr obliegende Sorgfalt hätte das auch erfordert und die Beklagte handelte seitdem mindestens fahrlässig, solange sie das nicht tat.

e. Der Kläger hat auch einen immateriellen Schaden erlitten.

Es kann dahinstehen, ob auch unter Berücksichtigung des weiten Schadensbegriffs (vgl. Erwägungsgrund 146) nicht bereits jeder Verstoß gegen die DSGVO zu einer Ausgleichspflicht führt, weil der Verpflichtung zum Ausgleich eines immateriellen Schadens eine benennbar und insoweit tatsächliche Persönlichkeitsverletzung gegenüberstehen muss (LG Hamburg, a.a.O.-, Rn. 33 f., juris). Denn jedenfalls eine in einer unrechtmäßigen Zugänglichmachung von Daten liegenden "Bloßstellung" stellt eine solche dar (vgl. LG Hamburg, a.a.O.; LG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 19, juris; LG Lüneburg, a.a.O., Rn. 55; Ehmann/Selmayr/Nemitz, DS-GVO, 2. Auflage, Art. 82 Rn. 13).

Die Beklagte hat daran gemessen, die mit den Negativeinträgen verbundenen Daten ihren Vertragspartnern zum Abruf bereit- und schon dadurch den Kläger "bloßgestellt". Bei der Beklagten handelt es sich um eine Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung, ein Warnsystem der Kreditwirtschaft, dessen Aufgabe es ist, ihren Vertragspartnern Informationen zur Verfügung zu stellen, um sie vor Verlusten im Kreditgeschäft mit natürlichen Personen zu schützen (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.02.2015- 1-16 U 41/14-, Rn. 28, juris). Innerhalb dieses Systems hat die Beklagte die Daten nicht nur zur Verfügung gestellt, sie wurden ausweislich der Auskunft vom 04.03.2021 auch mehrfach und sowohl im Kontext privater Anfragen als auch bezogen auf die Tätigkeit des Klägers als Inhaber einer Physiotherapiepraxis abgerufen. Darauf, ob die Negativeinträge auch dazu führten, dass dem Kläger kein Kredit oder ein solcher zu anderen (schlechteren) Bedingungen gewährt wurde als er ohne die Einträge gewährt worden wäre, kommt es indes für den immateriellen Ersatzanspruch nicht an.

f. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers rechtfertigt und erfordert die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000,00 €.

aa. Für den immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO gelten die im Rahmen von § 253 BGB entwickelten allgemeinen Grundsätze (BeckOK DatenschutzR/Quaas, a.a.O., Rn. 31; Gola DS-GVO, a.a.O., Rn. 9). Deswegen kann auch das Mitverschulden des Betroffenen analog § 254 BGB bei der Bemessung der Schadensersatzhöhe zu berücksichtigen sein (vgl. BeckOK DatenschutzR/Quaas, a.a.O., Rn. 28; Ehmann/Selmayr/Nemitz, a.a.O., Rn. 15; a.A. wohl Kühling/Buchner/Bergt, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82; BAG, a.a.O.).

bb. Vorliegend rechtfertigt der Verstoß der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 €.

(1) Die Daten zur Bonität des Klägers sind schützenswerte und sensible Daten, die sowohl seine berufliche Tätigkeit als auch seine Kreditwürdigkeit im privaten Rahmen betreffen. Sie können maßgeblichen negativen Einfluss auf die Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr in diesen Bereichen haben, indem Kredite versagt oder vom Kläger angestrebte Verträge mit ihm nicht abgeschlossen werden. Dass die Beklagte als Warnsystem der Kreditwirtschaft mit ihren Auskünften und dem ersichtlich zu diesem Zweck und auf der Grundlage der Einträge ja errechneten Basisscore (der -wenn auch die Algorithmen zu dessen Bildung nicht bekannt sind und der Wert damit nicht nachvollziehbar ist - sich am 25.04.2019 auf 55,2% (vgl. Anlage Kl), am 04.03.2021 auf 69,56 € (vgl. Anlage K7) und am 07.09.2021 und mithin nach Löschung der Negativeinträge auf 91,79% belief) auf derartiges keinen Einfluss ausübt, wird man nicht ernsthaft annehmen können. Dieser Einfluss - ohne dass es im Rahmen eines immateriellen Anspruchs der konkreten Feststellung der materiellen Nachteile bedarf - ist auch von einigem Gewicht; zutreffend weist das LG Lüneburg darauf hin, dass dadurch mittelbar Grundrechte wie die Berufsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit beeinträchtigt werden können (LG Lüneburg, a.a.O., Rn. 58).

(2) Für die Bemessung des Schmerzensgeldes sind die Negativeinträge sind April 2019 bis zur Löschung wohl kurz nach dem 04.03.2021 zu berücksichtigen und hatten damit ungefähr zwei Jahre Bestand.

(3) Sie fielen auch in einen Zeitraum, der aufgrund der Corona-Pandemie ohnehin für am Wirtschaftsleben Teilnehmende mit großen wirtschaftlichen Risiken und Probleme verbunden war, der Kläger war damit für die Folgen der Negativauskünfte in besonderem Maße anfällig.

(4) Weiter ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Beklagte zwar einerseits zunächst kein erhebliches Verschulden traf, mit zunehmender Dauer des rechtswidrigen Zustandes ab den ersten Hinweisen durch den Kläger im April 2019 über die Klageerhebung im Mai 2020 ihr die Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Handelns hätten immer stärker hätten aufkommen müssen. Das gilt ganz besonders für die Zeit nach Erlass des Anerkenntnisurteils vom 25.01.2021 und dem Umstand, dass die Negativeinträge auch am 04.03.2021 noch gespeichert waren.

(5) Gleichermaßen kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger eine zu den Negativeinträgen führende Ursache selbst gesetzt hat. Dadurch, dass er der Telekom die Änderung seiner Adresse nicht mitgeteilt hat, hat er ihr die Möglichkeit genommen, ihn mit ihren Mahnungen auf dem zwar im Hinblick auf den Nachweis des Zugangs riskanten, aber immerhin ganz üblichen Versandweg eines einfachen Briefs auch zu erreichen. Das Verhalten des Klägers nach Kenntnis von den Rückständen lässt vermuten, dass es dann sogleich zum Ausgleich der Forderungen der Telekom gekommen wäre und die Negativeinträge nicht lanciert worden wären.

cc. Nach alledem ist-wie geschehen - ein einheitliches Schmerzensgeld zu bilden.

Die vom Kläger vorgenommene Berechnung nach Zeitabschnitten ist mithin nicht vorzunehmen. Soweit eine Bemessung eines Schmerzensgeldes nach (zwei) Zeitabschnitten ausnahmsweise dann vorgenommen werden kann, wenn es einerseits um die Zahlung von Kapital und andererseits um Rente geht (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.1976 - VI ZR 216/74 -, juris), kommt eine solche im Übrigen und insbesondere bei einer Zahlung (nur) von Kapital nicht in Betracht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 11.02.2000 - 9 U 204/99 -, Rn. 17, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.04.2020 -15 W 18/20 -, Rn. 17 -18, juris; jeweils m.w.N.).

2. Der Kläger kann Verzugszinsen ab dem 10.04.2019 aufgrund des ablehnenden Schreibens der Beklagten vom 09.04.2019 gern. §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB verlangen, wobei entsprechend § 187 Abs. 1 BGB die Verzinsung erst an dem auf den Verzugseintritt folgenden Tag beginnt (vgl. Staudinger/Repgen (2019) BGB § 187, Rn. 5; Grünberg-Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 81. Aufl., Rn. 1 zu § 187 m.w.N.).

3. Schließlich hat der Kläger einen Anspruch auf Freistellung der zur Rechts Verfolgung erforderlichen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Bei einem Gegenstandswert von 5.000,00 € (maßgeblich ist der berechtigte Teils der außergerichtlich geltend gemachten Forderung (vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2017 -VI ZR 465/16 -, Rn. 7, juris; BGH, Urteil vom 12.12.2017 - VI ZR 611/16 -, Rn. 5, juris)) belaufen sich diese nach §§13 Abs. 1, i.V.m. Nrn. 2300, 7002, 7008 VV RVG auf die angemessene 1,3 Geschäftsgebühren nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer unter Anrechnung einer 0,65 Geschäftsgebühr gern. Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG, § 15a RVG, mithin auf (217,10 € + 20,00 € + 45,05 € =) 282,15 €.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Strafrechtlicher Verschuldensmaßstab bei Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB wenn Verstoß gegen Schutzgesetz unter Strafe gestellt ist

BGH
Urteil vom 16.05.2017
VI ZR 266/16
BGB § 823 Abs. 2; KWG § 1 Abs. 1, § 32 Abs. 1, § 54 Abs. 1; StGB § 17 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass ein strafrechtlicher Verschuldensmaßstab bei Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB gilt, auch wenn das Schutzgesetz selbst keine Strafnorm ist, der Verstoß gegen Schutzgesetz aber unter Strafe gestellt ist.

Leitsätze des BGH:

a) Ist das Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 Satz 1 StGB eine Strafnorm, so muss der Vorsatz nach strafrechtlichen Maßstäben beurteilt werden. Dies gilt auch, falls das verletzte Schutzgesetz selbst keine Strafnorm ist, seine Missachtung aber unter Strafe gestellt wird. Führt ein unvermeidbarer Verbotsirrtum gemäß § 17 Satz 1 StGB zur Schuldlosigkeit, so schließt dies
auch eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB aus (Anschluss Senat, Urteile vom 15. Mai 2012 - VI ZR 166/11, NJW 2012, 3177; vom 10. Juli 1984 - VI ZR 222/82, NJW 1985, 134).

b) Hält der Täter des § 54 KWG seine Geschäfte für rechtlich zulässig und nicht erlaubnispflichtig, so stellt dies aus strafrechtlicher Sicht einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB) dar (Anschluss Senat, Urteil vom 15. Mai 2012 - VI ZR 166/11,
NJW 2012, 3177).

c) Zur Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums (§ 17 Satz 1 StGB) bei anwaltlicher Beratung.

BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - VI ZR 266/16 - LG Berlin AG Berlin-Schöneberg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext BGH: Verdienstausfall - Schadensersatzanspruch von Eltern wegen fehlender Kita-Plätze - Mögliche Amtshaftungsansprüche gegen Gemeinde

BGH
Urteil vom 20.10.2016
III 303/15


Die zweite der drei Entscheidungen des BGH zur Frage, ob Eltern wegen fehlender Kita-Plätze ein Schadensersatzanspruch gegen die Gemeinde aus Amtshaftung zusteht, liegt nunmehr im Volltext vor.

Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Eltern haben Schadensersatz bei Verschulden der Gemeinde wegen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellter Kinderbetreuungsplätze im Wege der Amtshaftung über die Entscheidung berichtet.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH: Schadensersatzanspruch von Eltern wegen fehlender Kita-Plätze - Mögliche Amtshaftungsansprüche gegen Gemeinde

BGH
Urteil vom 20.10.2016
III 302/15


Die erste der drei Entscheidungen des BGH zur Frage, ob Eltern wegen fehlender Kita-Plätze ein Schadensersatzanspruch gegen die Gemeinde aus Amtshaftung zusteht, liegt nunmehr im Volltext vor.

Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Eltern haben Schadensersatz bei Verschulden der Gemeinde wegen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellter Kinderbetreuungsplätze im Wege der Amtshaftung über die Entscheidung berichtet.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Eltern haben Schadensersatz bei Verschulden der Gemeinde wegen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellter Kinderbetreuungsplätze im Wege der Amtshaftung

BGH
Urteile vom 20.10.2016
III ZR 278/15, III 302/15 und III 303/15


Der BGH hat zutreffend entschieden, dass Eltern wegen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellter Kinderbetreuungsplätze bei Verschulden der Gemeinde im Wege der Amtshaftung einen Anspruch auf Schadensersatz haben.

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof bejaht mögliche Amtshaftungsansprüche von Eltern wegen nicht rechtzeitig zur
Verfügung gestellter Kinderbetreuungsplätze – Verschulden der beklagten Kommune muss aber noch
geprüft werden

Der Bundesgerichtshof hat sich heute in mehreren Entscheidungen mit der Frage befasst, ob Eltern im Wege der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB* in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG) den Ersatz ihres Verdienstausfallschadens verlangen können, wenn ihren Kindern entgegen § 24 Abs. 2 SGB VIII ab Vollendung des ersten Lebensjahres vom zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe kein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt wird und sie deshalb keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können.

Der Sachverhalt:

Die Klägerinnen der drei Parallelverfahren beabsichtigten, jeweils nach Ablauf der einjährigen Elternzeit ihre Vollzeit-Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Unter Hinweis darauf meldeten sie für ihre Kinder wenige Monate nach der Geburt bei der beklagten Stadt Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab der Vollendung des ersten Lebensjahres an. Zum gewünschten Termin erhielten die Klägerinnen von der Beklagten keinen Betreuungsplatz nachgewiesen.

Für den Zeitraum zwischen der Vollendung des ersten Lebensjahres ihrer Kinder und der späteren Beschaffung eines Betreuungsplatzes verlangen die Klägerinnen Ersatz des ihnen entstandenen Verdienstausfalls (unter Anrechnung von Abzügen für anderweitige Zuwendungen und ersparte Kosten belaufen sich die Forderungen auf 4.463,12 €, 2.182,20 € bzw. 7.332,93 €).

Prozessverlauf:

Das Landgericht Leipzig hat den Klagen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Dresden die Klagen abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die beklagte Stadt zwar ihre aus § 24 Abs. 2 SGB VIII folgende Amtspflicht verletzt habe; die Erwerbsinteressen der Klägerinnen seien von dieser Amtspflicht aber nicht geschützt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Klägerinnen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten wegen Schadensersatzansprüchen aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB* in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG**) zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Urteile des Oberlandesgerichts Dresden aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Er hat im Einklang mit beiden Vorinstanzen das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung der beklagten Stadt bejaht. Eine Amtspflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt. Die betreffende Amtspflicht ist nicht durch die vorhandene Kapazität begrenzt. Vielmehr ist der verantwortliche öffentliche Träger der Jugendhilfe gehalten, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte - freie Träger der Jugendhilfe oder Tagespflegepersonen – bereitzustellen. Insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht.

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts bezweckt diese Amtspflicht auch den Schutz der Interessen der personensorgeberechtigten Eltern. In den Schutzbereich der Amtspflicht fallen dabei auch Verdienstausfallschäden, die Eltern dadurch erleiden, dass ihre Kinder entgegen § 24 Abs., 2 SGB VIII keinen Betreuungsplatz erhalten. Zwar steht der Anspruch auf einen Betreuungsplatz allein dem Kind selbst zu und nicht auch seinen Eltern. Die Einbeziehung der Eltern und ihres Erwerbsinteresses in den Schutzbereich des Amtspflicht ergibt sich aber aus der Regelungsabsicht des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck und der systematischen Stellung von § 24 Abs. 2 SGB VIII. Mit dem Kinderförderungsgesetz, insbesondere der Einführung des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII, beabsichtigte der Gesetzgeber neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zu Gunsten der Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit. Es ging ihm - auch - um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben und, damit verbunden, um die Schaffung von Anreizen für die Erfüllung von Kinderwünschen. Diese Regelungsabsicht hat auch im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden. Sie findet sich insbesondere in den Förderungsgrundsätzen des § 22 Abs. 2 SGB VIII bestätigt. Der Gesetzgeber hat hiermit zugleich der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Kindes- und Elternwohl sich gegenseitig bedingen und ergänzen und zum gemeinsamen Wohl der Familie verbinden.

Demnach kommt ein Schadensersatzanspruch der Klägerinnen aus Amtshaftung in Betracht, so dass die Berufungsurteile aufgehoben worden sind. Wegen noch ausstehender tatrichterlicher Feststellungen zum Verschulden der Bediensteten der Beklagten und zum Umfang des erstattungsfähigen Schadens hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die drei Verfahren nicht abschließend entschieden, sondern an das Berufungsgericht zurückverwiesen. In diesem Zusammenhang hat er auf Folgendes hingewiesen: Wird der Betreuungsplatz nicht zur Verfügung gestellt, so besteht hinsichtlich des erforderlichen Verschuldens des Amtsträgers zugunsten des Geschädigten der Beweis des ersten Anscheins. Auf allgemeine finanzielle Engpässe kann die Beklagte sich zu ihrer Entlastung nicht mit Erfolg berufen, weil sie nach der gesetzgeberischen Entscheidung für eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen grundsätzlich uneingeschränkt - insbesondere: ohne "Kapazitätsvorbehalt" - einstehen muss.

§ 839 BGB:

(1) 1Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. 2…



Artikel 34 Grundgesetz:

1Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. 2…



§ 24 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII):

(1) …

(2) 1Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. …



§ 22 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII):

(1) …

(2) Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege sollen

1.die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern,

2.die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen,

3.den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können.

(3) …

Vorinstanzen:

III ZR 278/15

Landgericht Leipzig – Urteil vom 2. Februar 2015 – 07 O 1928/14

Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 26. August 2015 – 1 U 320/15

und



III ZR 302/15

Landgericht Leipzig – Urteil vom 2. Februar 2015 – 07 O 1455/14

Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 26. August 2015 – 1 U 319/15

Und

III ZR 303/15

Landgericht Leipzig – Urteil vom 2. Februar 2015 – 07 O 2439/14

Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 26. August 2015 – 1 U 321/15



BGH: Wer den objektiven Tatbestand einer Urheberrechtsverletzung in eigener Person erfüllt haftet als Täter auch ohne Verschulden nach § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG auf Unterlassung

BGH
Urteil vom 05.11.2015
I ZR 88/13
Al Di Meola
UrhG § 77 Abs. 2 Satz 1 Fall 2, § 97 Abs. 1 Satz 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag "BGH: Bewerbung von urheberrechtlich geschützten Werken (hier: Designer Möbel / Designer-Leuchten) greift in das Urheberrecht ein" über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:


a) Das ausschließliche Recht des ausübenden Künstlers nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 UrhG, den Bild- oder Tonträger, auf den seine Darbietung aufgenommen worden ist, zu verbreiten, umfasst das Recht, diesen Bild- oder Tonträger der Öffentlichkeit
zum Erwerb anzubieten und gegenüber der Öffentlichkeit gezielt für den Erwerb dieses Bild- oder Tonträgers zu werben.

b) Wer den objektiven Tatbestand einer Urheberrechtsverletzung in eigener Person erfüllt, haftet als Täter auch ohne Verschulden nach § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG auf Unterlassung.

c) Wer als bloße unselbständige Hilfsperson tätig wird, haftet nicht als Täter einer Urheberrechtsverletzung. Unselbständige Hilfsperson ist, wer aufgrund seiner untergeordneten Stellung keine eigene Entscheidungsbefugnis und keine Herrschaft
über die Rechtsverletzung hat.

d) Wer eigene Angebote abgibt, ist für diese auch dann verantwortlich, wenn er sie von Dritten erstellen lässt und ihren Inhalt nicht zur Kenntnis nimmt und keiner Kontrolle unterzieht. Er kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Haftungsprivilegien eines Diensteanbieters nach §§ 8 bis 10 TMG berufen.

BGH, Urteil vom 5. November 2015 - I ZR 88/13 - LG Hamburg - AG Hamburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch Verwertungsgesellschaft bei Aufstellen oder Ändern des Verteilungsplans - Verrechnung von Musik in Werbefilmen

BGH
Urteil vom 2409.2013
I ZR 187/12
Verrechnung von Musik in Werbefilmen
BGB §§ 276, 286 Abs. 4; UrhWG § 7

Leitsatz des BGH:

Einer Verwertungsgesellschaft ist beim Aufstellen und Ändern der Regeln eines Verteilungsplanes nach § 7 Satz 1 UrhWG ein außerordentlich weiter, nur durch das Willkürverbot begrenzter Beurteilungsspielraum eingeräumt. Überschreitet sie diesen Beurteilungsspielraum, ist für die Frage, ob der Rechtsirrtum verschuldet ist, der übliche Haftungsmaßstab des § 276 BGB maßgeblich. Der Rechtsirrtum ist nicht allein deshalb unverschuldet, weil die Verwertungsgesellschaft ihre Entscheidung mit Sorgfalt gebildet hat.

BGH, Urteil vom 24. September 2013 - I ZR 187/12 - KG Berlin - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: