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BMJ: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und des Justizkostenrechts - Wertgebühren steigen um 6 Prozent und Festgebühren um 9 Prozent

Das BMJ hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und des Justizkostenrechts vorgelegt. Wertgebühren um 6 Prozent und Festgebühren um 9 Prozent steigen.

Aus dem Entwurf:
A. Problem und Ziel

Die Gebühren des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) sind zuletzt am 1. Januar 2021 erhöht worden. Seither verzeichnen Rechtsanwaltskanzleien einen erheblichen Anstieg der Personal- und Sachkosten. Damit die Anwaltschaft ihren wichtigen Beitrag für den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zum Recht auch weiterhin leisten kann, sind die gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren an die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen.

Auch die Honorarsätze nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) für Sachverständige und Sprachmittler sind zuletzt im Januar 2021 an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst worden. Inzwischen sind die marktüblichen Vergütungen in diesen Bereichen deutlich gestiegen. Um die vergütungsrechtlichen Voraussetzungen dafür zu erhalten, dass den Gerichten und Staatsanwaltschaften weiterhin qualifizierte Sachverständige und Sprachmittler in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, sind die diesbezüglichen Vergütungssätze des JVEG anzupassen. Zudem sind die Entschädigungsregelungen des JVEG für Telekommunikationsunternehmen, die Anordnungen zur Überwachung der Telekommunikation umsetzen, aus technischer Sicht zum Teil überholt und bedürfen einer Aktualisierung.

Mit der Erhöhung der Rechtsanwaltsgebühren sowie der Anpassung der Vergütungen und Entschädigungen nach dem JVEG sind höhere Ausgaben des Staates in Rechtssachen verbunden. Gleichzeitig sind auch die Sach- und Personalkosten der Justiz gestiegen. Daher sind auch die Gerichtsgebühren sowie die Gerichtsvollziehergebühren anzupassen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen auch zur Erreichung des Nachhaltigkeitsziels 16 der UN-Agenda 2030 beitragen, leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und transparente Institutionen auf allen Ebenen aufzubauen und den gleichberechtigten Zugang aller zur Justiz zu gewährleisten.

Zur Anpassung der gesetzlichen Rechtsanwaltsvergütung wird eine Kombination aus strukturellen Verbesserungen im anwaltlichen Vergütungsrecht sowie einer linearen Erhöhung der Gebühren des RVG vorgeschlagen. Dabei sollen die Betragsrahmen- sowie die Festgebühren um 9 Prozent und die Wertgebühren um 6 Prozent steigen. Die Gerichtsgebühren sollen ebenfalls linear um 9 beziehungsweise 6 Prozent angehoben werden, die Gerichtsvollziehergebühren um 9 Prozent. Darüber hinaus sind einzelne weitere strukturelle Änderungen in den Justizkostengesetzen vorgesehen.

Auch die Honorarsätze der Sachverständigen und Sprachmittler sollen um 9 Prozent erhöht werden. Die Entschädigungstatbestände für die Telekommunikationsüberwachung sollen an die geänderten technischen Rahmenbedingungen und die Entschädigungssätze an die veränderten Personal- und Sachkosten angepasst werden.


Den vollständigen Entwurf finden Sie hier:


OLG Schleswig-Holstein: Wird eine im zentralen Schutzschriftregister hinterlegte Schutzschrift in mehreren Verfahren herangezogen fällt die Verfahrensgebühr auch mehrfach an

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 24.10.2023
9 W 7/23


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass die Verfahrensgebühr mehrfach anfällt, wenn eine im zentralen Schutzschriftregister hinterlegte Schutzschrift in mehreren Verfahren herangezogen wird.

LG Düsseldorf: Kein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung wenn Schutzrechtsinhaber auf Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts vertrauen durfte

LG Düsseldorf
Urteil vom 20.02.2024
4c O 6/23


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass kein Schadensersatzanspruch wegen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung besteht, wenn der Schutzrechtsinhaber auf die Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts vertrauen durfte.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Mangels schuldhaftem Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb steht der Klägerin auch keine Schadensersatzforderung aus Deliktsrecht zu, § 823 Abs. 1 BGB.

1. Die Beklagte hat mit dem Schreiben vom 28. Juni 2017, nicht jedoch bereits mit dem Schreiben vom 31. Mai 2017, in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Beklagten eingegriffen.

Ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist im Falle einer Schutzrechtsverwarnung dann anzunehmen, wenn der vermeintlich Berechtigte auf Grundlage eines objektiv unberechtigten gewerblichen Schutzrechtes an den Inhaber des Gewerbebetriebs ein ernsthaftes und endgültiges Unterlassungsbegehren richtet (BGH NJW-RR 1997, 1404; OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 2161; BeckOK BGB/Förster, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 823 Rn. 203; BeckOGK/Spindler, 1.12.2023, BGB § 823 Rn. 223).

a. Gemessen an diesem Maßstab stellt das Schreiben vom 31. Mai 2017 keinen solchen Eingriff dar. Es mangelt bereits an der Geltendmachung eines ernsthaften und endgültigen Unterlassungsbegehrens.

Eine Aufforderung zur Unterlassung spricht das Schreiben nicht aus. Vielmehr fordert es den Empfänger zu weiteren Erklärungen auf. So heißt es auf S. 2 des Schreibens: „We should be grateful if you would you [sic!] explain the apparent contradiction in X’s position“. Weiter wird auf S. 3 unter der Überschrift „Way forward“ die Bereitstellung verschiedener, näher spezifizierter Informationen binnen 14 Tagen verlangt.

Die anderweitige Auffassung der Klägerin kann nicht überzeugen. Soweit das Schreiben auf eine Kenntnis des Antrags auf Marktzulassung abstellt, lässt sich den Ausführungen insoweit noch kein eindeutiges Unterlassungsbegehren entnehmen. Gleiches gilt für die von der Klägerin herangezogene Formulierung: „As you are no doubt aware, our clients do not hesitate to enforce their intellectual property rights when they consider it appropriate for them to do so.“ Diese stellt zwar eine allgemeine Klagebereitschaft in den Raum. Gleichwohl ist sie weder auf ein konkretes beanstandetes Produkt noch auf ein bestimmtes Schutzrecht bezogen und enthält zudem die Einschränkung, dass ein gerichtliches Vorgehen im Einzelfall für angemessen gehalten wird, ohne dass für den Empfänger des Schreibens ersichtlich wäre, aufgrund welcher Kriterien dies im vorliegenden Fall beurteilt werden kann. Weiterer Erörterung des Schreibens vom 31. Mai 2017 bedarf es deswegen nicht.

b. Das Schreiben vom 28. Juni 2017 ist dahingegen – wie zwischen den Parteien auch unstreitig – als ein solcher Eingriff einzustufen.

Dieses zweite Schreiben fordert die Beklagte auf, von der Markteinführung von „E“-Generika-Produkten sofort Abstand zu nehmen und stellt im Falle der Nichtabgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung unmittelbar ein gerichtliches Vorgehen gegen die Beklagte in Aussicht. Die Beklagte hat dieses Unterlassungsbegehren auch auf ihre Inhaberschaft der Europäischen Patente EP X, EPXund EP X gestützt und an die Klägerin als Inhaberin eines entsprechenden auf den Vertrieb von Medikamenten gerichteten Gewerbebetriebs gerichtet.

2. Die mit Schreiben vom 28. Juni 2017 erfolgte Abmahnung ist auch rechtswidrig.

Zwar ist die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht durch das Vorliegen des Eingriffs als solchem indiziert, sondern muss stets im Rahmen einer Interessen- und Güterabwägung festgestellt werden (BeckOGK/Spindler, 1.12.2023, BGB § 823 Rn. 214; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn. 370). Indes ist kein legitimes Interesse eines Schutzrechtsinhabers ersichtlich, einem Wettbewerber bei nicht bestehendem Schutzrecht ernsthaft und endgültig zur – nicht geschuldeten – Unterlassung aufzufordern. Damit fällt die Interessenabwägung vorliegend zugunsten der Klägerin als zu Unrecht abgemahnter Wettbewerberin aus und die mit Schreiben vom 28. Juni 2017 erfolgte Abmahnung ist rechtswidrig.

3. Die Beklagte hat mit Erteilung der Abmahnung, also dem Schreiben vom 28. Juni 2017, nicht schuldhaft gehandelt.

Verschulden im Rahmen der deliktischen Haftung setzt Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus, § 823 Abs. 1 BGB. Bezugspunkt des Vorsatzes sind diejenigen Aspekte, welche die Eigenschaft der Abmahnung als rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb begründen. Vorliegend muss sich der Vorsatz demnach auch auf das spätere rückwirkende Wegfallen desjenigen Schutzrechtes, auf das die Abmahnung gestützt ist, erstrecken. Ein Vorsatz der Beklagten insoweit ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin bereits nicht behauptet. Die Beklagte hat indes hinsichtlich des mangelnden Rechtsbestandes der geltend gemachten Schutzrechte auch nicht fahrlässig gehandelt.

a. Auch fahrlässiges Handeln lässt sich nicht feststellen.

Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB. Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt aber ein (vermeintlicher) Gläubiger nicht schon dann, wenn er nicht erkennt, dass seine Forderung in der Sache nicht berechtigt ist (BGHZ 179, 238, 246). Dies würde dem Gläubiger die Durchsetzung seiner Rechte unzumutbar erschweren, da seine Berechtigung nur in einem Rechtsstreit sicher zu klären ist (BGHZ 179, 238, 246; BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht der Gläubiger vielmehr regelmäßig schon dann, wenn er sorgfältig prüft, ob der eigene Rechtsstandpunkt plausibel ist (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; vgl. BGHZ 179, 238, 246; BGH NJW 2011, 1063, 1065; NJW 2008, 1147, 1148). Dies gilt nicht nur hinsichtlich tatsächlicher Voraussetzungen des geltend gemachten Rechts, sondern auch bei einer unklaren Rechtslage (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; NJW 2011, 1063, 1065; Staudinger/Caspers (2019) BGB § 276, Rn. 58). Ein Schutzrechtsinhaber setzt sich deshalb im Falle einer unberechtigten Verwarnung nicht dem Vorwurf schuldhaften Handelns aus, wenn er sich seine Überzeugung durch gewissenhafte Prüfung gebildet oder wenn er sich bei seinem Vorgehen von vernünftigen und billigen Überlegungen hat leiten lassen (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh).

Art und Umfang der Sorgfaltspflichten desjenigen, der eine Abmahnung ausspricht, werden maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit er auf den Bestand seines Schutzrechtes vertrauen darf. Bei einem geprüften Schutzrecht kann vom Rechtsinhaber keine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt werden, als sie der Erteilungsbehörde möglich war (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II). Konkret hat der Bundesgerichtshof ein Verschulden im Falle der Abmahnung aus einem wegen des Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG im Ergebnis nicht rechtsbeständigen Markenrechts verneint, weil das DPMA dieses absolute Eintragungshindernis im Erteilungsverfahren zu prüfen hatte und der Rechtsinhaber deswegen insoweit von der Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts ausgehen konnte (BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II). Besondere Umstände mögen dem Abmahner im Einzelfall besondere Sorgfaltspflichten auferlegen (BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II).

Damit im Einklang stehen die Erwägungen des Bundesgerichtshofes (BGH GRUR 2006, 219, 222 – Detektionseinrichtung II), dass jedenfalls ein auf den Bestand des Patentes gestütztes Verhalten nicht stets schuldlos ist, sondern jedenfalls derjenige Patentinhaber, der weitergehende Erkenntnisse über den Stand der Technik als die Erteilungsbehörde hat, aber diese Kenntnisse entgegen § 34 Abs. 7 PatG zurückhält, sowie der Patentinhaber, dem möglicherweise der Schutzfähigkeit entgegenstehendes Material nachträglich bekannt geworden ist und der wusste, dass dieses Material der Schutzfähigkeit des Patents entgegensteht oder der sich diese Erkenntnis in vorwerfbarer Weise verschlossen hat, schuldhaft handeln kann.

Diese Fälle haben gemein, dass der Rechtsinhaber im fraglichen Zeitpunkt gegenüber der Erteilungsbehörde im Erteilungszeitpunkt einen Wissensvorsprung hat. Gerade dieser Wissensvorsprung als besonderer Umstand rechtfertigt es, dem Schutzrechtsinhaber im Einzelfall besondere Sorgfaltspflichten aufzuerlegen (vgl. BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II).

Ein Festhalten an vorstehendem Verschuldensmaßstab ist auch vor dem Hintergrund der zwischen den Parteien diskutierten neueren Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.10.2023 – 2 U 124/22, GRUR-RS 2023, 29941 Rz. 86 ff. – Glatirameracetat) geboten. Das Oberlandesgericht hatte ein fahrlässiges Handeln bereits dann angenommen, wenn der Schutzrechtsinhaber bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass ein Widerruf des geltend gemachten Patents möglich ist. Im dortigen Fall war ein Rechtsbestandsverfahren anhängig. Das Oberlandesgericht hat diese Passage nicht zur Begründung einer Haftung herangezogen. Im dort zu entscheidenden Fall ging es vielmehr um eine verschuldensunabhängige Haftung aus § 945 ZPO. Das Oberlandesgericht hat ein entsprechendes Verschulden nur deshalb geprüft und schließlich bejaht, um die Frage einer Europarechtskonformität der verschuldensunabhängigen Haftung nach § 945 ZPO vor dem Hintergrund der Enforcement-Richtlinie dahinstehenlassen zu können. Um einen solchen Sonderfall geht es hier nicht. Die entsprechenden Erwägungen sind zudem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 11. Januar 2024, Rs. C-473/22 – Mylan AB/Gilead Sciences Finlan Oy u. a.) überholt.

Ein Fahrlässigkeitsmaßstab im deutschen Recht, der einen Vorwurf bereits daran knüpft, dass ein Widerruf des geltend gemachten Patents möglich erscheint, überspannt jedenfalls die an den (vermeintlichen) Rechtsinhaber gestellten Anforderungen und ist abzulehnen. Dieser Maßstab würde auch eine deutliche Verschärfung der bisher in der Rechtsprechung vertretenen Verschuldensmaßstäbe darstellen, die im Ergebnis nicht gerechtfertigt ist. Vielmehr besteht insbesondere im Patentrecht, etwa aufgrund nachträglich aufgefundenen Standes der Technik, stets die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in einem Rechtsbestandsverfahren. Damit liefe das Verschuldenserfordernis letztlich in diesen Fällen weitestgehend leer. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht der Gläubiger vielmehr entsprechend den zuvor geschilderten Grundsätzen schon dann, wenn er sorgfältig prüft, ob der eigene Rechtsstandpunkt plausibel, mithin vertretbar, ist. Ob ihm eine Entscheidung zu seinen Ungunsten möglich erscheint, ist – bei sorgfältig geprüftem und vertretbarem eigenem Rechtsstandpunkt – ohne Belang. Ebenfalls als solches ohne Bedeutung bleibt, ob ein Rechtsbestandsverfahren gegen das erteilte Schutzrecht anhängig ist. Vielmehr ist in der Sache zu differenzieren. Ein im Rahmen des Rechtsbestandsverfahrens gegenüber dem Schutzrechtsinhaber erfolgter Vortrag, etwa hinsichtlich neu aufgefundenem und potentiell schädlichem Stand der Technik, kann ohne weiteres nach den vorstehend geschilderten Grundsätzen neue Pflichten des Rechtsinhabers zur sorgfältigen Prüfung seines Rechtsstandpunktes auslösen, bei deren Verletzung er ab diesem Zeitpunkt fahrlässig hinsichtlich des Rechtsbestandes seines Schutzrechts handelt.

Es bedarf im vorliegenden Fall keiner grundsätzlichen Ausführungen dazu, ob sich ein Patentinhaber stets auf die rechtliche Einschätzung der Erteilungsbehörde bezüglich der von ihr zu prüfenden Erteilungsvoraussetzungen verlassen darf (in diese Richtung deutet indes BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II) und im Falle einer nachfolgenden abweichenden Einschätzung – bei nach wie vor gleichem Kenntnisstand des Patentinhabers wie der Erteilungsbehörde im Zeitpunkt der Erteilung – schuldlos hinsichtlich der Fehleinschätzung des Rechtsbestandes seines Schutzrechtes ist. Denn jedenfalls wenn die Erteilungsbehörde sich konkret mit bestimmten Erteilungsvoraussetzungen beschäftigt und diese bejaht hat oder bestimmte Erteilungsvoraussetzungen gerügt wurden und die Erteilung trotzdem erfolgte, darf sich der Rechtsinhaber unter Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auf diesen Rechtstandpunkt als vertretbar berufen. Insoweit kann von ihm keine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt werden, als sie der Erteilungsbehörde möglich war.

b. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorgetragenen Anhaltspunkte, dass die Beklagte auf die Rechtsbeständigkeit ihres Schutzrechtes vertrauen durfte.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass im Erteilungsverfahren des EP X Dritte Einwendungen hinsichtlich der Patentierbarkeit gestützt auf einen Verstoß gegen Art. 76 Abs. 1 EPÜ erhoben haben. Der Gegenstand des EP X sei nicht unmittelbar und eindeutig in der Stammanmeldung offenbart. Dies betraf – zwischen den Parteien unstreitig – auch Aspekte, die letztlich im Einspruchsverfahren zum Widerruf des erteilten EP X wegen Verstoßes gegen Art. 76 Abs. 1 EPÜ führten.

Nichtsdestotrotz hat in Ansehung dieser Umstände die Erteilungsbehörde das EP X erteilt. Soweit die Klägerin vorträgt, die Einwendungen seien, obgleich Aktenbestandteil, inhaltlich nicht geprüft worden, so gibt es hierfür keinerlei Anhaltspunkte. Hierauf kommt es auch nicht an. Vielmehr darf sich der Schutzrechtsinhaber jedenfalls hinsichtlich im Erteilungsverfahren erhobener Einwände, die eine Erteilung nicht hinderten, auf die Rechtseinschätzung der Erteilungsbehörde verlassen.

Im Erteilungsverfahren der EPX und EP X sind zwar keine vergleichbaren Einwände erhoben worden. Indes sind die EP X, EPX und EP X sämtlich aus derselben Stammanmeldung abgezweigt. Schon mit Blick auf die im Erteilungsverfahren des EP X geltend gemachten Einwendungen konnte und musste die Beklagte damit rechnen, dass sich die Prüfungsabteilung auch hinsichtlich der von Amts wegen zu prüfenden Voraussetzungen des Art. 76 Abs. 1 EPÜ bei den EPX und EP X, die derselben Patentfamilie angehören, mit dem Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung auseinandersetzt, zumal eine Erteilung durch dieselben Personen erfolgte. Die Einwendungen im Erteilungsverfahren des EP X wurden auch zeitlich vor der Erteilung des EPX vorgetragen. Die Entscheidung zur Veröffentlichung des EP X datiert auf den 20. Oktober 2016, die der EPX und EP X jeweils auf den 13. April 2017. Gleiches gilt hinsichtlich des EP X. Die Gründe für den Widerruf sind, wie zwischen den Parteien unstrittig, beim EPX und EP X identisch. Darf die Beklagte als Schutzrechtsinhaberin darauf vertrauen, dass ihre Rechtsauffassung hinsichtlich des EPX– in Übereinstimmung mit der Erteilungslage – durchgreift, so gilt gleiches für sich beim EP X in identischer Weise stellenden Rechtsfragen.

Damit durfte die Beklagte vorliegend in Übereinstimmung mit der von der Erteilungsbehörde zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung auf den Bestand ihrer Schutzrechte vertrauen. Ein Verschulden ist soweit nicht gegeben.

Bestätigt wurde das Vertrauen der Beklagten in ihre Rechtsauffassung im vorliegenden Fall überdies dadurch, dass sie im Zeitpunkt der Abmahnung auch bereits zwei einstweilige Verfügungen mit den streitgegenständlichen Patenten erwirkt hatte.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Karlsruhe: Kein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten wenn entgegen § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG in der Abmahnung die Berechnung der Abmahnkosten fehlt

OLG Karlsruhe
Urteil vom 10.01.2024
6 U 28/23


Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass kein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten besteht, wenn entgegen § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG in der Abmahnung die Berechnung der Abmahnkosten fehlt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Auf die Berufung ist hingegen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung zu beseitigen und die Klage insoweit abzuweisen. Denn der vom Landgericht zugesprochene Anspruch auf Erstattung von Kosten ist unbegründet.

Es fehlt an den Voraussetzungen, von denen ein Anspruch nach § 13 Abs. 3 UWG mit Blick auf Anforderungen an die ihm zugrunde gelegte Abmahnung abhängt. Insoweit können die Anspruchsvoraussetzungen im Streitfall auch nicht durch Zubilligung eines Anspruchs nach der vom Kläger ergänzend angeführten Vorschrift in § 9 UWG oder nach §§ 670, 677, 683 Satz 1 BGB unterlaufen werden (vgl. BT-Drucks. 19/12084, S. 32; Sosnitza in Ohly/Sosnitza, UWG, 8. Aufl., § 13 Rn. 47), zumal ein ersatzfähiger Schaden oder eine ersatzfähige Aufwendung nur den Kosten solcher Maßnahmen liegen könnten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich waren (siehe BGH, GRUR 2011, 754 Rn. 15 ff - Kosten des Patentanwalts II), was auf eine die gesetzlichen Anforderungen verfehlende Abmahnung nicht zutrifft.

a) Nach § 13 Abs. 3 UWG kann der Abmahnende vom Abgemahnten Ersatz der erforderlichen Aufwendungen nicht schon dann verlangen, wenn und soweit die Abmahnung berechtigt ist; Voraussetzung des Ersatzanspruchs ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut zudem, dass die Abmahnung den Anforderungen des § 13 Abs. 2 UWG entspricht (Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 13 Rn. 99; MünchKommUWG/Schlingloff, 3. Aufl., UWG § 13 Rn. 241; Sosnitza in Ohly/Sosnitza, UWG, 8. Aufl., § 13 Rn. 47).


b) Entgegen der Ansicht der Beklagten verfehlt die Abmahnung allerdings nicht die Anforderungen an die Angaben zu Name oder Firma des Abmahnenden nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG. Ob dazu auch im Allgemeinen die Angabe der Anschrift des Abmahnenden gehört, kann dahinstehen. Sie war jedenfalls im Streitfall zur Angabe des Namens oder der Firma des Abmahnenden nicht erforderlich, der aus Sicht der früher bei diesem beschäftigten Beklagten zweifelsfrei identifiziert war. Abgesehen davon, dass der Beklagten aus dem früheren beruflichen Verhältnis zum Kläger zudem dessen Anschrift des Klägers bekannt gewesen sein musste, war dieser auf die Abmahnung hin über dessen in der Abmahnung mit Anschrift genannten Bevollmächtigten erreichbar.

c) Die Abmahnung war auch entgegen der Ansicht der Beklagten nicht unzureichend, soweit nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG die Voraussetzungen der Anspruchsberechtigung nach § 8 Abs. 3 UWG anzugeben sind. Diese ergaben sich ohnehin für jedermann klar und verständlich aus der Information im Abmahnschreiben, der Abmahnende sei Inhaber des Friseurbetriebs […] in […], wo er die typischen Dienstleistungen des Friseurhandwerks anbiete. Erst recht waren weitere Angaben nicht gegenüber der Beklagten erforderlich, der die geschäftliche handwerkliche Tätigkeit des Klägers aus ihrer früheren Beschäftigung zudem näher bekannt war.

d) Die Abmahnung ist auch nicht mit Blick auf die Anforderungen an die Bezeichnung der Rechtsverletzung unter Angabe der tatsächlichen Umstände (§ 13 Abs. 2 Nr. 4 UWG) und die im Abmahnschreiben des Klägers erhobene Unterlassungsforderung ungeeignet, einen Anspruch auf Kostenerstattung zu begründen.

Erforderlich ist (nur), den Sachverhalt, der den Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens begründen soll, genau anzugeben und den darin erblickten Verstoß so klar und eindeutig zu bezeichnen, dass der Abgemahnte die gebotenen Folgerungen ziehen kann (vgl. BGH, GRUR 2021, 752 Rn. 26 mwN - Berechtigte Gegenabmahnung). Der Abmahnende muss daher (nur) die begangene Verletzungshandlung in tatsächlicher Hinsicht so detailliert schildern, dass dem Abgemahnten deutlich wird, was der Abmahnende konkret beanstandet und was der Abgemahnte abstellen oder künftig unterlassen soll (BGH, GRUR 2021, 752 Rn. 26 mwN - Berechtigte Gegenabmahnung). Dem genügen die Darlegungen des Abmahnschreibens dazu, welches Verhalten beanstandet wurde. Dazu wies die Abmahnung im Übrigen im Kern rechtlich zutreffend auf die „marktverhaltensregelnden Normen“ zur Ausübung des Friseurhandwerks im stehenden Gewerbe und die Kriterien zur Abgrenzung vom Reisegewerbe hin, beanstandete (als die abgemahnte Handlung), dass die Beklagte im Internet herausstelle, dass sich Interessierte unter Zuhilfenahme der vorgegebenen Angaben an sie wenden sollten, um sie mit der Leistungserbringung zu beauftragen, und verlangte, dass die Beklagte sich stattdessen vielmehr werbemäßig an die Vorgaben des Reisegewerbes halten müsse. Dass die Abmahnung das beanstandete Verhalten rechtlich unzutreffend als Irreführung im Sinn von § 5 UWG durch Umgehung der Berufsausübungsregeln des Reisegewerbes einordnete, kennzeichnete die geltend gemachte Verletzungshandlung nicht und steht der Erfüllung der Anforderungen an eine ordnungsgemäße Abmahnung nicht entgegen.

Die Abmahnung war dabei auch nicht etwa deshalb (teilweise) unberechtigt, weil die darin für die Beklagte vorformulierte Unterlassungserklärung zu weit gefasst war. Eine Abmahnung ist zwar nur berechtigt, wenn sie dem Schuldner den Weg weist, wie er sich zu verhalten hat, damit ein Prozess vermieden wird. Dementsprechend muss die Abmahnung die Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung enthalten. Es ist aber unschädlich, wenn der Gläubiger mit der von ihm vorgeschlagenen Unterwerfungserklärung mehr fordert, als ihm zusteht; denn es ist Sache des Schuldners, aufgrund der Abmahnung die zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr erforderliche Erklärung abzugeben (BGH, GRUR 2019, 82 Rn. 35 mwN - Jogginghosen). Da die vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung eher sprachlich missglückt scheint, als dass sie offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausginge, ist auch kein Ausschluss von Ansprüchen wegen Rechtsmittbrauchs nach § 8c Abs. 1, 2 Nr. 5, Abs. 5 UWG zu erkennen.

d) Zu den Inhalten der Abmahnung, die für einen Erstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 UWG erforderlich sind, gehört aber nach § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG auch, dass in der Abmahnung klar und verständlich angegeben wird, ob und in welcher Höhe ein Aufwendungsersatzanspruch geltend gemacht wird und wie sich dieser berechnet. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.

aa) Die Abmahnung gibt zwar – entgegen der Rüge der Berufung – eine Höhe des geltend gemachten Aufwendungsersatzanspruchs und deren Einforderung an.

bb) Sie genügt aber nicht der Anforderung, diese Angabe klar und verständlich zu machen und dabei anzugeben, wie sich der Aufwendungsersatzanspruch berechnet. Die Abmahnung gibt nur an, die zu erstattenden Kosten machten aufgrund eines Streitwerts von 10.000 € einen Betrag von 1.192,86 € aus. Sie gibt weder an, welche Art von Gebühr(en) und welcher Gebührensatz der Berechnung zugrunde liegen, noch ob in dem geforderten Betrag Umsatzsteuer enthalten ist.

Dabei kann dahinstehen, ob eine Angabe des geforderten Betrags in Verbindung mit einer Angabe des Gegenstandswerts genügt, wenn der Abgemahnte aus diesen Angaben durch eigene Rück- oder Proberechnung erschließen kann, dass eine der Kostenforderung eine – regelmäßig angesetzte – 1,3-fachen Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV-RVG bei nebst Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen in Höhe von 20 % der Gebühren, höchstens 20 € zugrundeliegt, wobei sich aus dem angegeben Kostenbetrag ferner erschließen lässt, ob diese mit oder ohne Umsatzsteuer erstattet verlangt wird (siehe aber etwa MünchKommUWG/Schlingloff, 3. Aufl., UWG § 13 Rn. 255). Dies ist im Streitfall nämlich ebenso wenig möglich wie sonstige Berechnungen zur Feststellung, welche Parameter zu dem in der Abmahnung genannten Kostenbetrag führen konnten. Bei dem angegebenen Streitwert von 10.000 € würden sich Gebühren in Höhe einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr und einer Pauschale von 20 € selbst zuzüglich Umsatzsteuer lediglich auf 973,66 € belaufen. Es ist der Abmahnung nicht zu entnehmen, welche anderen (höheren) Ansätze eines Streitwerts und/oder Gebührensatzes mit oder ohne Umsatzsteuer zu dem von der Abmahnung genannten Betrag geführt haben könnten.

cc) Ob der Kläger seine – nun abweichend bezifferte – Klageforderung mit der darauf gerichteten Klageerweiterung vom 17. August 2022 (AS I 18) hinreichend erläutert hat, kann dahinstehen. § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG verlangt ausreichenden Angaben gerade in der Abmahnung. Eine nachvollziehbare Kostenberechnung in einer späteren Klagebegründung genügt zumindest nach den Umständen des Streitfalls nicht, um einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der Abmahnung (nachträglich) zu begründen.

Es kann offenbleiben, ob eine Heilung formaler Verstöße gegen § 13 Abs. 2 UWG ausnahmsweise möglich ist und dann auch zur Wahrung des Aufwendungsersatzanspruchs nach § 13 Abs. 3 UWG führt, solange dem Abgemahnten noch keine Aufwendungen für die Rechtsberatung oder -verteidigung entstanden sind (so Sosnitza in Ohly/Sosnitza, UWG, 8. Aufl., § 13 Rn. 59 unter Hinweis auf BT-Drucks. 19/12084 S. 33; siehe auch Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 13 Rn. 93a). Eine Heilung dadurch, dass die in § 13 Abs. 2 UWG aufgezählten Informationen vom Abmahnenden nachgereicht werden, wurde in der Begründung des Gesetzesentwurfs ohnehin nur im Hinblick auf die Grundlage für einen Gegenanspruch des Abgemahnten in Betracht gezogen und dort jedenfalls nicht für möglich gehalten, wenn die Informationen erst in einem Gerichtsverfahren nachgereicht werden (BT-Drucks. 19/12084 S. 33).

Im Übrigen hat der Kläger auch mit der Klageerweiterung keine Informationen dazu gegeben, die den im Abmahnschreiben geforderten Betrag nachvollziehen ließen, und zudem nicht angegeben, ob er die (außergerichtliche) Forderung in der im Abmahnschreiben angegebenen Höhe aufrechterhält. Letzteres scheint insbesondere deshalb unklar, weil der Kläger sich bei der Klageerweiterung ausdrücklich insbesondere die Geltendmachung weitergehender Schadensersatzansprüche vorbehalten hat. Daher lässt sich eine Heilung auch nicht damit rechtfertigen, dass die Beklagte außergerichtlich und bis zur (erst nach der Klageerweiterung) erfolgten Verteidigungsanzeige möglicherweise noch keinen Rechtsanwalt beauftragt haben mag und eine Kostenfolge womöglich durch sofortiges Anerkenntnis gemäß § 93 ZPO hätte vermeiden können. Im Übrigen wären ihr auch für ein Anerkenntnis im vorliegenden Anwaltsprozess vor dem Landgericht Rechtsverteidigungskosten entstanden und hätten darauf beruht, dass der Kläger seine Forderung erst im Prozess nachvollziehbar dargelegt hat. Die Beklagte hätte allenfalls einen Erstattungsanspruch gegen den Kläger gehabt und somit dessen Insolvenzrisiko getragen. Schon deshalb ist die Annahme einer allenfalls in engen Grenzen möglichen Heilung des Verstoßes der Abmahnung gegen § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG nicht gerechtfertigt. Denn der Grund dafür, dass nach § 13 Abs. 3 UWG schon bloße formale Verstöße gegen § 13 Abs. 2 UWG zum Nachteil des Abgemahnten führen sollen, liegt darin, den Abmahnenden dazu anzuhalten, die Abmahnung formal sorgfältig zu gestalten, um nicht durch fehlende Angaben (vermeidbare) Kosten bei dem Abgemahnten zu verursachen (vgl. BT-Drucks. 19/12084, S. 33). Eine unzureichende Angabe des Kostenerstattungsanspruchs ist geeignet, den Abgemahnten von der außergerichtlichen Erfüllung abzuhalten und dazu zu veranlassen, das damit einhergehende Risiko einer mit Kostenaufwand verbundenen gerichtlichen Inanspruchnahme einzugehen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Schuldner einer Beschlussverfügung muss binnen 2 Wochen über Entschluss zum Widerspruch informieren - andernfalls sind Kosten eines Abschlussschreibens erstattungsfähig

BGH
Urteil vom 09.02.2023
I ZR 61/22
Kosten für Abschlussschreiben III
BGB § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, §§ 677, 683 Satz 1; UWG § 13 Abs. 3


Der BGH hat entschieden, dass der Schuldner einer Beschlussverfügung den Gläubiger im Regelfall binnen 2 Wochen über seinen Entschluss zum Widerspruch informieren muss. Andernfalls sind die Kosten eines Abschlussschreibens erstattungsfähig.

Leitsatz des BGH:
Den Schuldner einer einstweiligen (Beschluss-)Verfügung trifft gegenüber dem Gläubiger mit Ablauf der Wartefrist von im Regelfall zwei Wochen, die der Gläubiger vor der Versendung eines Abschlussschreibens einzuhalten hat, eine Aufklärungspflicht über den Entschluss zur Erhebung eines Widerspruchs gegen die einstweilige (Beschluss-)Verfügung. Wird der pflichtwidrig unterlassene Hinweis des Schuldners adäquat kausal für die Kosten eines - objektiv nicht mehr erforderlichen - Abschlussschreibens des Gläubigers, kann das einen Schadensersatzanspruch des Gläubigers nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB auslösen.

BGH, Versäumnisurteil vom 9. Februar 2023 - I ZR 61/22 - OLG Düsseldorf - LG Wuppertal

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BGH: Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens im Markenlöschungsstreit im Regelfall 50.000 EURO

BGH
Beschluss vom 11.04.2023
I ZB 55/22


Der BGH hat abermals entschieden, dass der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens im Markenlöschungsstreit im Regelfall 50.000 EURO beträgt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Maßgeblich für die Festsetzung des Gegenstandswerts des Rechtsbeschwerdeverfahrens im Markenlöschungsstreit ist das wirtschaftliche Interesse des Markeninhabers an der Aufrechterhaltung seiner Marke.

Nach der Rechtsprechung des Senats entspricht eine Festsetzung des Gegenstandswerts auf 50.000 € für das Rechtsbeschwerdeverfahren in einem Markenlöschungsstreit im Regelfall billigem Ermessen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2017 - I ZB 45/16, WRP 2018, 349 [juris Rn. 1]; Beschluss vom 1. September 2020 - I ZB 101/19, juris Rn. 2 mwN). Mangels abweichender Anhaltspunkte ist hiervon im Streitfall auszugehen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens zwar nicht der Bestand der angegriffenen Marke insgesamt war, das Rechtsbeschwerdeverfahren jedoch den weit überwiegenden Teil der von ihr beanspruchten Waren betraf. Den hierauf entfallenden Wert bemisst der Senat im Hinblick darauf, dass die Marke Schutz für Waren der Klassen 10, 18 und 25 beansprucht hat und der Löschungsantrag vor dem Bundespatentgericht nur hinsichtlich eines Teils der Waren der Klasse 10 erfolglos geblieben ist, auf neun Zehntel von 50.000 €.


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OLG Karlsruhe: Abgemahnter hat Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Zahlung der Abmahnkosten solange keine Rechnungsstellung nach § 14 UStG erfolgt ist

OLG Karlsruhe
Urteil vom 14.12.2022
6 U 255/21


Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass ein Abgemahnter ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Zahlung der Abmahnkosten hat, solange keine Rechnungsstellung nach § 14 UStG erfolgt ist.

Aus den Entscheiodungsgründen:
Allerdings geht der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 21. Januar 2021 - I ZR 87/20, HFR 2021, 943 Rn. 10) von einer nunmehr gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFHE 201, 339; 257, 154; 263, 560; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2019 - 1 BvR 1327/19) aus, wonach Zahlungen, die an einen Unternehmer als Aufwendungsersatz aufgrund von urheberrechtlichen oder wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen zur Durchsetzung eines Unterlassungsanspruch geleistet werden, umsatzsteuerrechtlich als Entgelt im Rahmen eines umsatzsteuerbaren Leistungsaustauschs zwischen dem Unternehmer und dem von ihm abgemahnten Rechtsverletzer zu qualifizieren seien. Diese Rechtsprechung, die sich konkret nur auf das Wettbewerbs- und das Urheberrecht bezieht, wendet der Bundesgerichtshof auch im Kennzeichenrecht an und soll nach Auffassung des Bundesgerichtshofs auf den gesamten Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes auszudehnen sein (so BGH, HFR 2021, 943 Rn. 10 mwN; für die Abmahnung einer Patentverletzung auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. Januar 2020 - 2 U 13/19, juris Rn. 97). Der Bundesgerichtshof (HFR 2021, 943 Rn. 12 mwN) geht insoweit von folgender Situation und Rechtslage aus: Der Anwalt, der den Rechtsverletzer im Auftrag des Rechtsinhabers abgemahnt habe, rechne in eigenem Namen gegenüber dem Rechtsinhaber ab; dieser rechne sodann über seine eigene Leistung („Vermeidung eines Gerichtsverfahrens“) gegenüber dem Abgemahnten ab; die Rechnung weise dabei regelmäßig den Nettobetrag der anwaltlichen Rechnung zuzüglich Umsatzsteuer aus; die in der Rechnung an den Abgemahnten ausgewiesene Umsatzsteuer müsse der Rechtsinhaber an das Finanzamt abführen (mit der Möglichkeit des Vorsteuerabzugs).

(2) Im Streitfall besteht aber kein Anspruch auf Erteilung einer Rechnung, weil die vorliegende Abmahnung im Ergebnis zumindest faktisch keiner Umsatzsteuer unterworfen wird.

Es kann dahinstehen, ob (insbesondere) zum Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (noch) ernstlich zweifelhaft war, ob – ausgehend vom gesetzlichen Rahmen – die Abmahnung wegen Patent- und Wettbewerbsrechtsverletzung der Umsatzsteuer unterlag. Zwar hat das Bundesministerium der Finanzen mit Schreiben vom 1. Oktober 2021 (III C 2 - S 7100/19/10001:006, DOK 2021/0998752, MwStR 2021, 912) die – auch vom Bundesgerichtshof – der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entnommenen Grundsätze betreffend Abmahnungen bei Urheberrechtsverletzungen und bei unlauteren Wettbewerbshandlungen nachvollzogen, indem es den Umsatzsteuer-Anwendungserlass entsprechend geändert und ausgeführt hat, dass diese Grundsätze in allen offenen Fällen anzuwenden seien. Zugleich hat es indes bestimmt, dass es jedoch nicht beanstandet wird, wenn die Beteiligten bei der Zahlung für vor dem 1. November 2021 durchgeführte Abmahnleistungen übereinstimmend, d.h. auch hinsichtlich eines Vorsteuerabzugs beim Abgemahnten, von einem nicht steuerpflichtigen Entgelt ausgehen. Insbesondere Letzteres muss nach dem Zweck der Nichtbeanstandungsklausel entsprechend für Sachverhalte auf dem Gebiet sonstiger Rechte des geistigen Eigentums gelten, soweit dort ansonsten dieselben umsatzsteuerrechtlichen Grundsätze greifen würden (siehe auch Streit, GRUR-Prax 2021, 697, 700). Zumindest dies führt im Streitfall dazu, dass ein Anspruch auf Rechnungsstellung nach § 14 UStG ausscheidet.

Nach Auffassung des Senats besteht nämlich zumindest in einem Fall, in dem nach dem ministerialen Erlass die Behandlung der Abmahnung als nicht umsatzsteuerbare Leistung nicht beanstandet wird, auch kein Anspruch auf eine Rechnung nach § 14 UStG und kein Zurückbehaltungsrecht. Dann gilt erst Recht, was insoweit für den Fall gilt, wenn Zweifel an der Besteuerung bestehen. Es steht nämlich in unter die Nichtbeanstandungsklausel fallenden Fall sogar fest, dass eine – selbst nach dem Gesetz an sich vorgesehene – Erhebung der Umsatzsteuer auf die Leistung der Abmahnung nicht erfolgen wird. Dies schließt einen Anspruch auf Ausstellung einer Rechnung mit Umsatzsteuerausweis aus. Dessen Zweck liegt nämlich in dem Bedürfnis des Leistungsempfängers, die Rechnung als Ausübungsvoraussetzung für seinen Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) zu erhalten (vgl. Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Stand Juni 2022, § 14 Rn. 72; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. Januar 2020 - 2 U 13/19, juris Rn. 97). Behandelt der Abmahnende die Abmahnung nicht als steuerbare Leistung an den Abgemahnten, indem er vom Abgemahnten lediglich die Erstattung des Nettobetrags der verauslagten Anwaltsgebühren verlangt und Umsatzsteuer auf diesen vom Abgemahnten verlangten Betrag weder vom Abgemahnten fordert noch an das Finanzamt abführt und auch nicht auf eine etwaige Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers hinweist, und behandelt auch der Abgemahnte den Vorgang nicht anders, indem er weder über den geforderten Betrag hinaus Umsatzsteuer an den Abmahnenden oder das Finanzamt leistet noch solche gegenüber dem Finanzamt im Weg des Vorsteuerabzugs geltend macht, so ist nach dem ministerialen Erlass keine Erhebung von Umsatzsteuer zu erwarten und wird sich folglich auch keine Möglichkeit für einen Vorsteuerabzug durch den Abgemahnten ergeben, dem die Belastung mit dem Umsatzsteuerbetrag gerade erspart geblieben ist. Der Abgemahnte hätte wirtschaftlich keinen Vorteil dadurch und somit kein schützenswertes Interesse daran, sich die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug dadurch zu „erkaufen“, dass er den Abmahnenden dazu veranlasst, die Abmahnung als umsatzsteuerbare Leistung zu behandeln und dem Abgemahnten den sodann vorsteuerabzugsfähigen Umsatzsteuerbetrag unter entsprechender Rechnungstellung überhaupt erst (zusätzlich zum bisher wegen der Behandlung als nichtsteuerbarer Vorgang verlangten Nettobetrag) abzuverlangen (im Wesentlichen ebenso OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. Januar 2020 - 2 U 13/19, juris Rn. 97). Entsprechendes gilt, wenn der Abgemahnte sich nicht dazu entschließt, aufgrund seiner Steuerschuldnerschaft, von der auch der Abmahnende nicht erkennbar ausgeht, nach § 13b Abs. 2 UStG Umsatzsteuer abzuführen.


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OLG Frankfurt: Anspruch auf Schadensersatz wegen unberechtigter Abmahnung aufgrund angeblicher Markenrechtsverletzung durch Google Adwords

OLG Frankurt
Urteil vom 10.02.2022
6 U 126/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Anspruch auf Schadensersatz wegen unberechtigter Abmahnung aufgrund angeblicher Markenrechtsverletzung durch Google Adwords besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, da die unberechtigte Abmahnung des Beklagten vom 11.10.2019 einen Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Dabei kann sowohl dahinstehen, ob die Klägerin zu Unrecht als Täterin in Anspruch genommen worden ist, obwohl insoweit davon auszugehen ist, dass Google die Zuordnung zwischen dem Suchwort „Polzar“ und der Anzeige der Klägerin autonom hergestellt hat, als auch ob Google als Beauftragte nach § 15 Abs. 6 MarkenG haften würde, da sich die Abmahnung des Beklagten schon allein deshalb als rechtswidrig erweist, weil es der Anzeige an einer kennzeichenmäßigen Verwendung im Sinne von § 15 Abs. 2 MarkenG fehlt.

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in aller Regel keine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion vor, wenn die Werbeanzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheint und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthält (vgl. BGH GRUR 2014, 182, Rn 20 ff. - Fleurop; BGH GRUR 2013, 290 Rn 26 - MOST-Pralinen, m.w.N.).

Der verständige Internetnutzer erwartet in einem von der Trefferliste räumlich, farblich oder auf andere Weise deutlich abgesetzten und mit dem Begriff „Anzeigen“ gekennzeichneten Werbeblock nicht ausschließlich Angebote des Markeninhabers oder mit ihm verbundener Unternehmen. Ihm ist klar, dass eine notwendige Bedingung für das Erscheinen der Anzeige vor allem deren Bezahlung durch den Werbenden ist. Ihm ist zudem bekannt, dass regelmäßig auch Dritte bezahlte Anzeigen bei Suchmaschinen schalten. Er hat daher keinen Anlass zu der Annahme, eine bei Eingabe einer Marke als Suchwort in der Anzeigenspalte erscheinende AdWords-Anzeige weise allein auf das Angebot des Markeninhabers oder eines mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmens hin. Rechnet der Internetnutzer mit Angeboten, die nicht vom Markeninhaber oder von mit ihm verbundenen Unternehmen stammen, bedarf es daher keines Hinweises auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber, um eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion auszuschließen.

Für geschäftliche Bezeichnungen kann insoweit nichts anderes gelten.

Diese Voraussetzungen sind bei der streitgegenständlichen Anzeige erfüllt. Sie befand sich in einem vom generischen Suchergebnis abgetrennten Bereich und war mit „Anzeige“ gekennzeichnet.

Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Vorliegen besonderen Umstände ausnahmsweise auch für den Fall, dass die Werbeanzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheint und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthält, ein Hinweis auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion der Marke auszuschließen, liegen diese Umstände hier nicht vor.

(1) Der EuGH hat in der Sache „Interflora“ ausgeführt, es könne in Fällen, in denen das Vertriebsnetz des Markeninhabers aus zahlreichen Einzelhändlern zusammengesetzt sei, für den normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer besonders schwer sein, ohne Hinweis des Werbenden zu erkennen, ob dieser zu diesem Vertriebsnetz gehöre oder nicht (EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 52 - Interflora/M&S). Deshalb habe das nationale Gericht unter Berücksichtigung dieses Umstands und anderer Faktoren, die es als relevant erachte, zu beurteilen, ob ein solcher Internetnutzer, der in seinem Suchbegriff die Marke verwende, auf Grund der in der Werbeanzeige verwendeten Formulierungen erkennen könne, dass der Einzelhändler nicht zum Vertriebsnetz des Markeninhabers gehöre (EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 53). Die Rechtsprechung des EuGH ist zwar für das rein nationale Recht des Unternehmenskennzeichens nicht bindend; indes verlangt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kennzeichenrechte bei der Anwendung originär dem Schutz geschäftlicher Bezeichnungen gewidmeter Normen die Berücksichtigung originär markenrechtlicher Wertungen (vgl. BGH GRUR 2001, 344, 345 - DB Immobilienfonds).

(2) Der Senat hat in einer Parallelsache (…/19) - in der zwar nicht der Markeninhaber das Vertriebsnetz betrieb, sondern der Verantwortliche für die AdWords-Anzeige - eine kennzeichenmäßige Verwendung bejaht. Auch in dieser Konstellation komme es dazu, dass der Verkehr keinen Aufschluss darüber erhalte, ob eine wirtschaftliche Verbindung zwischen Markeninhaber und Nutzer der Marke besteht (vgl. EuGH GRUR 2011, 1124, Rn 49 - Interflora/M&S). Für eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion sei ausreichend, dass die Ad-Words-Anzeige hinsichtlich der Herkunft der fraglichen Ware oder Dienstleistung so vage gehalten sei, dass ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Internetnutzer auf Grund des Werbelinks und der ihn begleitenden Werbebotschaft nicht erkennen könne, ob der Werbende im Verhältnis zum Markeninhaber Dritter oder mit ihm wirtschaftlich verbunden ist (vgl. EuGH GRUR 2010, 445 Rn 89 f. - Google France und Google; EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 45 - Interflora/M&S). Dieser Effekt trete sowohl in der der Fleurop-Rechtsprechung zugrunde liegenden Konstellation eines Vertriebssystems auf der Markeninhaberseite als auch in einem gleichsam „umgedrehten“ Fall auf, indem der Markeninhaber einem Vertriebssystem zugeordnet werde, dem er tatsächlich nicht angehöre. Der Verkehr nehme an, der - offensichtlich mit dem Markeninhaber nicht identische - Werbende stehe mit diesem in wirtschaftlicher Verbindung.

Allerdings hat der Senat die Anwendung der „Fleurop“-Grundsätze nur für möglich gehalten, wenn der Verkehr auch Kenntnis von dem Vertriebssystem hat, zu dem fälschlich eine Zuordnung erfolgen soll. In der Fleurop-Entscheidung war dem Verkehr das Vertriebssystem „bekannt“; in der Senatsentscheidung ergab sich dies aus der Anzeige selbst, da dort das Vertriebssystem des Werbenden ausdrücklich erwähnt wurde und so für den Verkehr erkennbar war. Derartiges findet sich in der Anzeige der Klägerin nicht. Die Anzeige beschränkt sich auf eine allgemeine Bewerbung von „unsichtbaren Zahnspangen“, so dass eine Ausnahme von den Adwords-Grundsätzen ausscheidet und es dabei bleibt, dass hier eine kennzeichenmäßige Benutzung nicht vorliegt.

b) Es fehlt auch nicht an der erforderlichen Rechtswidrigkeit des Eingriffs in den Gewerbebetrieb der Klägerin.

Ein Schadensersatzanspruch setzt neben einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit eine Interessenabwägung voraus (BGH GRUR 2009, 878 - Fräsautomat; BGH GRUR 2006, 432 - Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH GRUR 2006, 433 - unbegründete Abnehmerverwarnung), da das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein offener Tatbestand ist, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben. Diese geht hier zu Lasten des Beklagten aus.

Zugunsten des Abgemahnten ist grundsätzlich sein Interesse zu berücksichtigen, davor geschützt zu werden, zur Vermeidung von Schadenersatzansprüchen wegen der vermeintlichen Verletzung der Schutzrechte einschneidende unternehmerische Entscheidungen zu treffen, wie etwa die Einstellung oder Modifizierung von Herstellung und Vertrieb. Hier hätte die Klägerin zur Einstellung der behaupteten Verletzungshandlung zwar lediglich das Wort „Polzar“ bei Google auf die Blacklist setzen lassen müssen, so dass die Interessen der Klägerin durch die unberechtigte Abmahnung nicht so schwerwiegend beeinträchtigt wurden, wie in Fällen, in denen es um die Einstellung von Produktion oder Vertrieb schlechthin geht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass derjenige, der fahrlässig zu Unrecht ein Ausschließlichkeitsrecht geltend macht und damit schuldhaft unberechtigterweise mit einschneidenden Rechtsfolgen droht, die das Gesetz zugunsten des Inhabers eines solchen vorsieht, „näher dran“ ist als derjenige, der - und sei es gleichfalls fahrlässig - nicht erkannt hat, dass das Ausschließlichkeitsrecht zu Unrecht geltend gemacht worden ist (BGH, NJW 2005, 3141, 3144 - Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung).

c) Schließlich hat der Beklagte auch schuldhaft, nämlich fahrlässig, gehandelt.

Für unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen gilt wegen der damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen ein strenger Verschuldensmaßstab (BGH GRUR 2006, 432, 433 - Verwarnung aus Kennzeichenrechten II). Darin liegt der Ausgleich für den strengen Sorgfaltsmaßstab, dem Dritte zur Vermeidung von Schutzrechtsverletzungen unterliegen. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Verwarners dürfen andererseits nicht so groß sein, dass er wegen des drohenden Haftungsrisikos von der Geltendmachung berechtigter Ansprüche abgehalten wird.

Art und Umfang der Sorgfaltspflichten eines Verwarners werden maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit er auf den Bestand und die Tragfähigkeit seines Schutzrechts vertrauen darf (BGH GRUR 2006, 432 Rn 25 - Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH WRP 2018, 950 Rn 89 - Ballerinaschuh). Bei geprüften wie ungeprüften Rechten handelt schuldhaft, wer bei sorgfältiger Prüfung zu der Erkenntnis gelangen muss, dass kein Eingriff in sein Schutzecht vorliegt. Allerdings gilt bei der Beurteilung, ob in den Schutzumfang des Rechts eingegriffen wird, ein etwas großzügigerer Maßstab als bei der Prüfung, ob überhaupt ein Schutzrecht besteht (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Omsels UWG, 5. Aufl. 2021, § 4 Rn 506 - 509).

Danach kann hier ein Verschulden nicht verneint werden. Die fehlende Berechtigung der Abmahnung ergibt sich nicht aus einem fehlenden Bestand des Schutzrechts, sondern aus der fehlenden markenmäßigen Benutzung. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur markenmäßigen Nutzung in Adword-Fällen ist seit Jahren bekannt und gefestigt. Soweit für Fälle von Vertriebssystemen Ausnahmen gemacht werden, liegt ein solcher Ausnahmefall ersichtlich nicht vor. Bei einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung wäre diese fehlende Rechtsverletzung zu erkennen gewesen.

Soweit nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1974 (BGH GRUR 1974, 290, 292 - Maschenfestser Strumpf) ein Verschulden zu verneinen sein kann, wenn sich der Abmahnende auf den Rat seiner fach- und rechtskundigen Berater verlassen hat, die nach eingehender Untersuchung die der Verwarnung zugrunde liegenden Schutzrechte für schutzfähig gehalten und die abgemahnte Handlungsweise als schutzrechtsverletzend angesehen habe, fehlt es hier an entsprechendem Vortrag zu Art und Umfang der fachkundigen Prüfung. Insbesondere ist nicht vorgetragen, ob und warum bei einer Prüfung durch einen Rechtsanwalt die Problematik der markenmäßigen Nutzung nicht erkannt worden wäre, die rechtlich hier nicht einmal als umstritten angesehen werden kann.

3. Im Hinblick auf die Gegenabmahnung vom 14.4.2020 sind die hierdurch entstandenen Kosten dem Grunde nach ebenfalls ersatzfähig.

a) Allerdings sind grundsätzlich die Kosten der Gegenabmahnung unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht ersatzfähig, da der Abgemahnte bei der Gegenabmahnung ausschließlich im eigenen Interesse handelt und nicht zugleich im Interesse des Abmahners (Harte/Henning/Brüning UWG, § 12 Rn 112.; MüKoUWG/Ottofülling UWG, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn 111 - 113).

Eine Gegenabmahnung kann jedoch vor Erhebung einer negativen Feststellungsklage ausnahmsweise dann erforderlich sein, wenn dafür ein besonderer Grund vorliegt. Ein solch besonderer Anlass für die Gegenabmahnung ist z.B. in Fällen bejaht worden, in denen der Abmahnende erkennbar von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen war (BGH GRUR 2004, 790, 792 - Gegenabmahnung; OLG München WRP 1996, 928, 929; OLG München WRP 1997, 979, 80) oder in denen seit der Abmahnung ein längerer Zeitraum verstrichen ist und der Abmahnende in diesem entgegen seiner Androhung keine gerichtlichen Schritte eingeleitet hat. Denn nur in solchen Fällen entspricht eine Gegenabmahnung dem mutmaßlichen Willen und dem Interesse des Abmahnenden und kann der Abgemahnte daher die Kosten der Gegenabmahnung erstattet verlangen (BGH GRUR 2004, 790).

b) Ein solcher Fall, in dem eine Abmahnung ausnahmsweise dem mutmaßlichen Willen und Interesse des Beklagten entsprach, lag hier vor.

Seit der Abmahnung durch den Beklagten war bereits ein längerer Zeitraum verstrichen (fünf Monate), ohne dass der Beklagten die angedrohte gerichtliche Geltendmachung vorgenommen hatte oder von der Abmahnung ausdrücklich Abstand genommen hatte. Die Klägerin musste daher davon ausgehen, dass es im Interesse des Beklagten lag, ihm durch eine Abmahnung den Weg zu weisen, von seiner Berühmung ohne Durchführung eines Gerichtsverfahrens Abstand zu nehmen.

Die Behauptung des Beklagten, sein Prozessbevollmächtigter hätte bereits direkt nach der Abmahnung mündlich erklärt, die Ansprüche nicht weiter geltend machen zu wollen, ist zum einen bestritten und nicht mit einem Beweisangebot unterlegt; zum anderen ist die allein mündliche Verzichtserklärung nicht geeignet, der Klägerin die nötige Rechtssicherheit zu verschaffen.

4. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch allerdings nur in Höhe von 2.348,94 €, basierend auf einer 1,3 Gebühr aus 100.000 € zu, da die Abmahnung vom 11.10.2019 und die Gegenabmahnung vom 14.4.2020 zwei Gegenstände anwaltlicher Tätigkeit, aber eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG darstellen.

a) Gemäß § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren „in derselben Angelegenheit nur einmal fordern“. Weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen sind in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 - Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 - Ermittlungen gegen Schauspielerin). Die Angelegenheit ist von dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit abzugrenzen, der das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis bezeichnet, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht. Eine Angelegenheit kann durchaus mehrere Gegenstände umfassen (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 - Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 - Ermittlungen gegen Schauspielerin). Für einen einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit reicht es grundsätzlich aus, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinn einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst oder in einem einheitlichen Vorgehen geltend gemacht werden können. Ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammengehören (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 - Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 - Ermittlungen gegen Schauspielerin).

Eine Angelegenheit kann auch vorliegen, wenn ein dem Rechtsanwalt zunächst erteilter Auftrag vor dessen Beendigung später ergänzt wird. Ob eine Ergänzung des ursprünglichen Auftrags vorliegt oder ein neuer Auftrag erteilt wurde, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 25 - Der Novembermann). Allerdings kann es an einem inneren Zusammenhang und damit einer einheitlichen Angelegenheit dann fehlen, wenn ein großer zeitlicher Abstand zwischen den einzelnen Abmahnungen liegt.

b) Nach diesen Grundsätzen ist hier von einer Angelegenheit auszugehen.

Der notwendige innere Zusammenhang besteht. Dem Betroffenen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung ist mit der Abwehr der Abmahnung allein nicht gedient. Vielmehr gewinnt er die nötige Rechtssicherheit nur dadurch, dass der Gegner entweder auf seinen Unterlassungsanspruch verzichtet oder im Wege der negativen Feststellungsklage rechtskräftig festgestellt wird, dass der begehrte Unterlassungsanspruch nicht besteht.

Die für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat jedenfalls nicht vorgetragen, dass abweichend hiervon zunächst nur ein Auftrag zur Abwehr der Abmahnung erteilt worden wäre und später die Klägerin erneut beauftragt hätte. Selbst in diesem Fall wäre aber eine nachträgliche Erweiterung des bereits bestehenden Auftrages anzunehmen, so dass auch in diesem Fall nur eine Angelegenheit vorliegen würde.

Der Annahme einer Angelegenheit steht auch nicht ein zu großer zeitlicher Abstand entgegen. Die Abwehr der Abmahnung erfolgte am 15.11.2019, die Gegenabmahnung am 14.4.2020. Der hierin liegende Abstand von fünf Monaten ist nicht geeignet, den notwendigen Zusammenhang aufzulösen.

c) Dies führt dazu, dass der Wert des Abwehrschreibens in Höhe von 50.000 € sowie der Gegenabmahnung in Höhe von 50.000 € zu addieren sind. Der sich hieraus ergebende Wert der Angelegenheit in Höhe von 100.000 € bildet die Grundlage für die Berechnung einer 1,3 Gebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer; dies führt zu einem Betrag in Höhe von 2.348,94 €.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Abmahnungen sind nicht nur im Urheberrecht und Wettbewerbsrecht sondern auch im gesamten gewerblichen Rechtsschutz umsatzsteuerpflichtig

BGH
Hinweisbeschluss vom 21.01.2021
I ZR 87/20


Der BGH hat entschieden, dass Abmahnungen nicht nur im Urheberrecht und Wettbewerbsrecht sondern auch im gesamten gewerblichen Rechtsschutz eine umsatzsteuerpflichtige Leistung an den Abgemahnten sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

aa) Nach der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind Zahlungen, die an einen Unternehmer als Aufwendungsersatz aufgrund von urheberrechtlichen oder wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen zur Durchsetzung eines Unterlassungsanspruch geleistet werden, umsatzsteuerrechtlich als Entgelt im Rahmen eines umsatzsteuerbaren Leistungsaustauschs zwischen dem Unternehmer und dem von ihm abgemahnten Rechtsverletzer zu qualifizieren (vgl. BFH, GRUR 2003, 718; GRUR 2017, 826; GRUR 2019, 825; die gegen die letzte Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27. Dezember 2019 - 1 BvR 1327/19 - nicht zur Entscheidung angenommen). Diese Rechtsprechung, die sich konkret nur auf das Wettbewerbs- und das Urheberrecht bezieht, ist auf den gesamten Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes auszudehnen und findet insbesondere auch im Kennzeichenrecht Anwendung (vgl. Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 13 Rn. 136a; Omsels, jurisPR-WettbR 6/2017 Anm. 1; Pustovalov/Johnen, WRP 2019, 848 Rn. 47; Voges, GRUR-Prax 2020, 254).

bb) Die Erstattungsfähigkeit der Umsatzsteuer im Rahmen des Anspruchs auf Ersatz der Abmahnkosten als Folge dieser Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht umstritten. Das Berufungsgericht zitiert keine abweichende obergerichtliche Rechtsprechung, sondern lediglich zwei zustimmende landgerichtliche Entscheidungen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf geht in einem Urteil vom 23. Januar 2020 (2 U 13/19, juris Rn. 96 f.), ohne dass dies allerdings entscheidungserheblich gewesen wäre, ebenfalls davon aus, dass zu Lasten des Abmahnenden die gesetzliche Umsatzsteuer anfällt, die er als Teil seines Schadens an den Verletzer weiterreichen, das heißt in seine Erstattungsforderung einbeziehen kann.

cc) In der Literatur ist die Frage - soweit ersichtlich - ebenfalls nicht umstritten. Auch wenn die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs teilweise auf Kritik gestoßen ist (vgl. Klute, NJW 2017, 1648, 1649 f.; BeckOK.UWG/Tavanti/Scholz, 10. Edition [Stand 15. Mai 2020], § 12 Rn. 136), wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass als Folge dieser Rechtsprechung künftig zwei Rechnungen geschrieben werden müssen: Die Rechtsanwältin, die den Rechtsverletzer im Auftrag des Rechtsinhabers abgemahnt hat, rechnet in eigenem Namen gegenüber dem Rechtsinhaber ab. Dieser rechnet sodann über seine eigene Leistung ("Vermeidung eines Gerichtsverfahrens") gegenüber dem Abgemahnten ab. Die Rechnung weist dabei regelmäßig den Nettobetrag der anwaltlichen Rechnung zuzüglich Umsatzsteuer aus. Die in der Rechnung an den Abgemahnten ausgewiesene Umsatzsteuer muss der Rechtsinhaber an das Finanzamt abführen; er kann aber die in der Rechnung seiner Bevollmächtigten enthaltene Umsatzsteuer im Wege des Vorsteuerabzugs geltend machen (vgl. Bacher in Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., Kap. 41 Rn. 96b; Thiering in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl., § 14 Rn. 595; Klute, NJW 2017, 1648, 1649 f.; Pörksen, jurisPR-ITR 13/2017 Anm. 5; Weymüller, jurisPRSteuerR 30/2019 Anm. 5; Pustovalov/Johnen, WRP 2019, 848 Rn. 62; Voges, GRUR-Prax 2020, 254, 255; vgl. auch J. B. Nordemann in Fromm/Nordemann, UrhG, 12. Aufl., § 97a Rn. 41a).

dd) Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die - höchstrichterlich ebenfalls geklärten - Voraussetzungen einer Vorteilsausgleichung aus dem Schadensersatzrecht nicht erfüllt sind.

(1) Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem

Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020
- VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 65 mwN).

(2) Diese Grundsätze finden unmittelbar zwar nur im Schadensersatzrecht Anwendung. Der Rechtsgedanke der Vorteilsausgleichung muss jedoch auch im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag berücksichtigt werden. So wie der
Geschädigte durch eine Schadensersatzleistung nicht bessergestellt werden soll, als wenn das zum Ersatz verpflichtende Ereignis nicht eingetreten wäre, so soll auch derjenige, der nach § 683 Satz 1, §§ 670, 677 BGB als Geschäftsführer ohne Auftrag Ersatz der ihm entstandenen Aufwendungen verlangen kann, durch den Aufwendungsersatz keinen Vorteil erlangen (zum Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2012 - V ZR 136/11, NJW 2012, 1080 Rn. 11).

(3) Die Voraussetzungen einer Vorteilsausgleichung liegen im Streitfall nicht vor. Insbesondere wird die Klägerin nicht bessergestellt, wenn der Beklagte ihr die Umsatzsteuer zu erstatten hat. Die Klägerin ist zwar vorsteuerabzugsberechtigt. Das führt aber lediglich dazu, dass sie die an ihre anwaltlichen Bevollmächtigten gezahlte Umsatzsteuer im Rahmen des Vorsteuerabzugs gegenüber dem Finanzamt geltend machen kann. Die vom Beklagten an sie zu zahlende Umsatzsteuer muss die Klägerin dagegen an das Finanzamt abführen, so dass sie insoweit keinen Vorteil hat, insbesondere die Umsatzsteuer nicht zweimal zurückerstattet bekommt. Ist der Beklagte ebenfalls vorsteuerabzugsberechtigt, kann er die von ihm - aufgrund einer die Umsatzsteuer ausweisenden Rechnung - an die Klägerin gezahlte Umsatzsteuer im Rahmen des Vorsteuerabzugs gegenüber dem Finanzamt ebenfalls geltend machen. Es sind mithin zwei steuerbare Leistungen zu unterscheiden: Anwalt - Klägerin/Rechtsinhaber" einerseits und "Klägerin/Rechtsinhaber - Beklagter/Abgemahnter" andererseits.

Der Fall der Abmahnkostenerstattung unterscheidet sich insoweit vom typischen schadensersatzrechtlichen Fall der Beschädigung einer Sache, für deren Reparatur dem Geschädigten eine Rechnung inklusive Umsatzsteuer gestellt wird. Ist der Geschädigte in einem derartigen Fall vorsteuerabzugsberechtigt, kann er vom Schädiger nur den Nettobetrag verlangen, weil ihm das Finanzamt die gezahlte Umsatzsteuer erstattet.

2. Nach dem Vorstehenden hat die Revision keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das landgerichtliche Urteil mit Recht abgeändert und die Umsatzsteuer im Rahmen des Abmahnkostenerstattungsanspruchs zugesprochen.


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BGH: Streitwert in einem Designnichtigkeitsverfahren beträgt im Regelfall 50.000 EURO

BGH
Beschluss vom 28.05.2020
I ZB 25/18
DesignG § 34a Abs. 5 Satz 2; RVG § 23 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1, § 33 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass der Streitwert in einem Designnichtigkeitsverfahren im Regelfall 50.000 EURO beträgt.

Leitsätze des BGH:

a) Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ist gemäß § 34a Abs. 5 Satz 2 DesignG in Verbindung mit § 23 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 und § 33 Abs. 1 RVG nach billigem Ermessen zu bestimmen.

b) Maßgeblich für die Festsetzung des Gegenstandswerts im Designnichtigkeitsverfahren ist das wirtschaftliche Interesse des Designinhabers an der Aufrechterhaltung seines Designs.

c) Im designrechtlichen Nichtigkeitsverfahren entspricht die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 50.000 € im Regelfall billigem Ermessen.

BGH, Beschluss vom 28. Mai 2020 - I ZB 25/18 - Bundespatentgericht

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BGH: Im Regelfall 50.000 EURO Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren in einem Markenlöschungsstreit

BGH
Beschluss vom 16.04.2020
I ZB 97/19


Der BGH hat entschieden, dass im Regelfall ein Streitwert in Höhe von 50.000 EURO für das Rechtsbeschwerdeverfahren in einem Markenlöschungsstreit anzusetzen ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Auf den Antrag des Prozessbevollmächtigten der Rechtsbeschwerdeführerin ist der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde gemäß § 33 Abs. 1 RVG festzusetzen.

Maßgeblich für die Festsetzung des Gegenstandswerts der Rechtsbeschwerde im Markenlöschungsstreit ist das wirtschaftliche Interesse der Markeninhaberin an der Aufrechterhaltung ihrer Marke. Nach der Rechtsprechung
des Senats entspricht eine Festsetzung des Gegenstandswerts auf 50.000 € für das Rechtsbeschwerdeverfahren in einem Markenlöschungsstreit im Regelfall billigem Ermessen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2017 - I ZB 45/16, WRP 2018, 349 Rn. 1 mwN). Mangels abweichender Anhaltspunkte ist hiervon im Streitfall auszugehen.

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LG München: Kosten für Abschlussschreiben nach einer einstweiligen Verfügung sind nicht erstattungsfähig wenn Gegenseite zuvor erklärt hat keine Abschlusserklärung abgeben zu wollen

LG München I
Urteil vom 10.03.2020
33 O 10414/18


Das LG München hat entschieden, dass die Kosten für ein Abschlussschreiben nach einer einstweiligen Verfügung dann nicht zu erstatten sind, wenn die Gegenseite zuvor erklärt hat, keine Abschlusserklärung abgeben zu wollen.

BGH: Unzulässige Klauseln gegenüber Verbrauchern in formularmäßiger Vergütungsvereinbarung eines Rechtsanwalts

BGH
Urteil vom 13.02.2020
IX ZR 140/19
BGB § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 675; GKG § 42 Abs. 2 Satz 1; RVG § 3a
BGB § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 675; RVG § 3a
RVG § 4 Abs. 3 Satz 2


Leitsätze des BGH:

1. Eine formularmäßige Vergütungsvereinbarung, welche eine Mindestvergütung des
Rechtsanwalts in Höhe des Dreifachen der gesetzlichen Vergütung vorsieht, ist jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern wegen unangemessener Benachteiligung des Mandanten unwirksam, wenn das Mandat die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Mandanten betrifft und die Vergütungsvereinbarung zusätzlich eine Erhöhung des Gegenstandswertes um die Abfindung vorsieht.

2. Die formularmäßige Vereinbarung eines Zeithonorars, welche den Rechtsanwalt berechtigt, für angefangene 15 Minuten jeweils ein Viertel des Stundensatzes zu berechnen, benachteiligt den Mandanten jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.

3. Sieht eine Vergütungsvereinbarung ein Zeithonorar für Sekretariatstätigkeiten vor
und eröffnet sie dem Rechtsanwalt die an keine Voraussetzungen gebundene Möglichkeit, statt des tatsächlichen Aufwandes pauschal 15 Minuten pro Stunde abgerechneter Anwaltstätigkeit abzurechnen, gilt insoweit die gesetzliche Vergütung als
vereinbart.

BGH, Urteil vom 13. Februar 2020 - IX ZR 140/19 - OLG München - LG München I

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OLG Köln: Wettbewerbsrechtliche Abmahnung bei offensichtlich fehlendem Wettbewerbsverhältnis rechtsmissbräuchlich - Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten für Abwehr der Abmahnung

OLG Köln
Urteil vom 28.02.2020
6 U 238/19


Das OLG Köln hat entschieden, dass eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung bei offensichtlich fehlendem Wettbewerbsverhältnis rechtsmissbräuchlich ist. Der Abgemahnte hat in einem solchen Fall auch einen Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten für die Abwehr der Abmahnung aus § 8 Abs. 4 S. 2 UWG.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Der Mensch ist mit dem Gecko nicht vergleichbar - Zur Rechtsmissbräuchlichkeit einer Abmahnung bei offensichtlich fehlendem Wettbewerbsverhältnis

Wer Nahrungsergänzungsmittel für Menschen verkauft, steht nicht im Wettbewerb mit Verkäufern von Nahrungsergänzungsmitteln für Geckos. Das hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln mit Urteil vom 28.02.2020 entschieden.

Der Kläger betreibt einen Onlinehandel u.a. mit Nahrungsergänzungsmitteln für Geckos, während der Beklagte ebenfalls im Onlineversand u.a. Nahrungsergänzungsmittel für Menschen verkauft. Der Kläger hatte in seinem Onlineshop eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung verwandt. Der Beklagte hatte ihn deswegen abgemahnt und die Erstattung seiner außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Der Kläger wiederum hatte seinerseits einen Anwalt zur Rechtsverteidigung beauftragt.

Der Kläger wollte mit der Klage den Ersatz seiner Rechtsanwaltskosten erreichen. Er hat die Ansicht vertreten, dass die Abmahnung nicht nur unberechtigt gewesen sei und deshalb keinen Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten begründet habe, sondern dass die Abmahnung auch rechtsmissbräuchlich gewesen sei, sodass ihm nach § 8 Abs. 4 S. 2 UWG die zur Verteidigung erforderlichen Anwaltskosten zu erstatten seien.

Das Landgericht Köln hatte die Klage auf Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten des Klägers in erster Instanz abgewiesen, weil es die Abmahnung zwar für unberechtigt, aber nicht für rechtsmissbräuchlich hielt. Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat mit Urteil vom 28.02.2020 das klageabweisende Urteil des Landgerichts Köln teilweise abgeändert und dem Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten aus einem Streitwert von 5.000 Euro zugesprochen.

Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte die Abmahnung auf einen Aspekt gestützt habe, der offensichtlich nicht geeignet sei, ein Wettbewerbsverhältnis zu begründen. Unternehmer, die Futter und Nahrungsergänzungsmittel für Geckos vertreiben, stünden offensichtlich nicht mit Unternehmern, die Nahrungsergänzungsmittel für Menschen vertreiben, im Wettbewerb. Aus dem offensichtlichen Fehlen des Wettbewerbsverhältnisses könne geschlossen werden, dass es dem Beklagten nicht - und erst recht nicht in erster Linie - auf das Abstellen des Wettbewerbsverstoßes angekommen sei. Der Beklagte habe sich offensichtlich nicht inhaltlich mit der Website des Klägers befasst, weil ihm dann aufgefallen wäre, dass das Abstellen auf Nahrungsergänzungsmitteln zur Begründung eines Wettbewerbsverhältnisses abwegig ist. Aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers konnte eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung des Klägers die wirtschaftlichen Interessen eines Shopbetreibers, der mit Geckos nichts zu tun hat, aber sonst eine Vielzahl diverser Produkte vertreibt, nicht berühren, vor allem nicht mit der Argumentation, dass beide Nahrungsergänzungsmittel vertreiben würden. Triebfeder und das beherrschende Motiv für die Abmahnung sei nicht die Unlauterkeit des gegnerischen Verhaltens und die eigene Betroffenheit als Mitbewerber gewesen, sondern es hätten offensichtlich andere sachfremde Motive im Vordergrund gestanden. Der Kläger erhalte daher gem. § 8 Abs. 4 S. 2 UWG Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.

Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 28.02.2020 - Az. 6 U 238/19.





AG Köln: Es fällt auch dann eine anwaltliche Geschäftsgebühr an wenn Legal-Tech-Anbieter ein Mahnschreiben durch einen Algorithmus generiert

AG Köln
Urteil vom 05.03.2020
120 C 137/19

Das AG Köln hat entschieden, dass auch dann eine anwaltliche Geschäftsgebühr anfällt, wenn ein Legal-Tech-Anbieter ein Mahnschreiben durch einen Algorithmus generiert. Vorliegend ging es um Geltendmachung von Ansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erstattung von weiteren 30 € gemäß Art. 7 VO (EG) 261/2004 (im Folgenden Fluggastrechteverordnung). Denn auf die unstreitig wegen Verspätung des von der Beklagten ausgeführten Fluges geschuldeten Ansprüche hat die U. GmbH bereits 30 € gezahlt. Diese Zahlung ist gemäß Art. 12 Fluggastrechteverordnung anzurechnen. Die Ansprüche des Fluggastes aus der Fluggastrechteverordnung stehen neben den Anspruchsgrundlagen aus anderen Gesetzen, wie etwa vertragliche Ansprüche aus nationalem Recht. Dem Fluggast verbleibt die Wahl, ob er die Ausgleichsleistungen gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen aus der Verordnung, die ihm zwar den Schadensnachweis ersparen, aber nur pauschalierten Ersatz gewähren, oder die regelmäßig schwieriger durchzusetzenden Ansprüche auf Ersatz der konkret entstandenen Schäden nach dem mitgliedstaatlichen Recht geltend macht. Er kann auch beides geltend machen. Doch darf dies nach Art. 12 Abs. 1 Fluggastrechteverordnung nicht zu einer Kumulierung von Ersatzleistungen ungeachtet des tatsächlich eingetretenen Schadens führen. Kompensiert der pauschale Ausgleich nach der Fluggastrechteverordnung auch den mit dem konkreten Schadensersatzanspruch kompensierten Nachteil, darf der Fluggast zwar den weitesten Anspruch geltend machen. Ersatz kann er aber nicht doppelt erlangen, sondern niemals mehr, als der betragsmäßig höchste der beiden Ansprüche gewährt. Art. 12 Abs. 1 S. 2 normiert damit ein Bereicherungsverbot oder ein Verbot der Überkompensation. Dieser Ausschluss der Kumulierung von Ersatzleistungen gilt allerdings nur, soweit die aus anderen Rechtsgrundlagen bestehenden Ansprüche die Ersatzleistungen an dieselben Haftungsgründe wie die Fluggastrechteverordnung (Nichtbeförderung, Annullierung, (Abflug-)Verspätung, Downgrading) knüpfen. Nur dann können sie weiter gehen. Wenn sie die Ersatzleistungen hingegen an andere Haftungsgründe (zB Personen- oder Gepäckschäden) knüpfen, sind sie anders und bleiben uneingeschränkt bestehen. Art. 12 regelt Letztere nicht. (Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-Verordnung, Fluggastrechte-VO Art. 12 Rn 13). Das war hier der Fall. Entgegen den Behauptungen der Kläger ergibt sich aus der vorgelegten Anlage K7 (Bl. 48 d.A.), dass die Entschädigung wegen der verspätet erbrachten Leistung „Flug“ geleistet wurde, nicht – wie die Kläger behaupten – wegen des ausgefallenen Abendessens. Dass die Entschädigung nicht von der Beklagten selbst, sondern von der Reisegesellschaft, der U. gewährt wurde, ist unschädlich. Ist das nach der Flugastrechteverordnung haftende ausführende Luftfahrtunternehmen nicht zugleich Vertragsschuldner des Fluggastes, wird Art. 12 Abs. 1 S. 2 durch Art. 3 Abs. 5 S. 2 ergänzt. Danach hat die Erfüllung von Ansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung durch das ausführende Luftfahrtunternehmen Wirkungen auch für und gegen den personenverschiedenen Vertragsschuldner (Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-Verordnung, Fluggastrechte-VO Art. 12 Rn 14).

Die Kläger können von der Beklagten auch nicht Erstattung der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren in Hohe von 147,56 € verlangen.

Dieser Anspruch ergibt sich insbesondere auch nicht aus §§ 280, 286 BGB. Denn den Klägern ist kein Verzugsschaden entstanden. Der Anspruch setzt voraus, dass dem Gläubiger nach Eintritt des Verzugs ein kausaler Schaden entstanden ist. Das war hier nicht der Fall. Denn die Geschäftsgebühr ist hier nicht erst mit Verfassen des Schriftsatzes vom 09.07.2019 entstanden, sondern bereits am 07.06.2019, also vor Eintritt des Verzugs am 22.06.2019. Die Geschäftsgebühr entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags (Vorbemerkung 2.3 (3) VV RVG 2300). Dazu gehören die anwaltliche Prüfung und Beratung über das Bestehen von Forderungen und das Verfassen eines Anspruchsschreibens unzweifelhaft dazu. Ob dies durch mündliche Besprechung mit dem Rechtsanwalt, der den Anspruch in seinem Kopf prüft, oder Nutzen eines vorher durch einen Rechtsanwalt programmierten und geprüften Algorithmus geschieht, ist aus Sicht des Gerichts nicht maßgeblich. Es handelt sich um das Betreiben eines Geschäfts im Sinne von VV RVG 2300. Am 07.06.2019 haben die Kläger eine anwaltliche Beratung in Anspruch genommen. Sie haben ihre Flugdaten und persönliche Daten einschließlich Kontoverbindung auf der homepage der Prozessbevollmächtigten eingegeben. Der dort installierte Algorithmus „berechnet“ das Bestehen eines Anspruchs und generiert ein Anspruchsschreiben an die Fluggesellschaft. Damit hat der Algorithmus genau dieselbe Dienstleistung erbracht, die ein Rechtsanwalt im mündlichen Gespräch und anschließend mit Verfassen eines Anspruchsschreibens erbringen würde. Der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung, das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und die Höhe der Entschädigungsansprüche werden durchgeprüft, genau wie ein Rechtsanwalt dies getan hätte, wenn er ein persönliches Gespräch mit den Klägern geführt hätte. Die anwaltliche Leistung mag hier zwar im Vorfeld beim Programmieren des Legal Tech-Algorithmus erbracht worden sein, sie wurde aber erbracht und von den Klägern genutzt. Der Fall entspricht dem, in dem der Rechtsanwalt etwa bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in Verkehrsunfallsachen Formulare vorbereitet und zur Verfügung stellt, die der Geschädigte ankreuzen und ausfüllen kann. Wenn der Rechtsanwalt in solchen Fällen die einzelnen Positionen addiert und daraus ein Anspruchsschreiben formuliert, hat er eine Geschäftsgebühr verdient. Dass es sich nur um einen „simplen Algorithmus“ handelt, bei der von einer anwaltlichen Beratung keine Rede sein könne, ist nicht dargelegt. Der Algorithmus prüft den Anwendungsbereich der Verordnung, das Vorliegen der Voraussetzungen der Entschädigungsansprüche (Annullierung oder Verspätung von mehr als 3 Stunden), das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände und die Höhe der Entschädigung. Das sind dieselben Tatbestandsvoraussetzungen, die das Gericht bei der Entscheidung der Fluggastrechtsfälle durchprüft. Es ist nicht ersichtlich, was ein Rechtsanwalt bei der anwaltlichen Beratung mehr prüft. Auch die Tatsache, dass die mail den Kläger als Absender benennt (allerdings von der emailadresse der Prozessbevollmächtigten abgeschickt wurde), steht der Entstehung der Geschäftsgebühr auch nicht entgegen. Denn inhaltlich ändert sich durch die Angabe des Absenders und seiner Kontoverbindung nichts. Wäre der Algorithmus anders programmiert worden und wäre der Rechtsanwalt als Absender aufgetreten, läge unzweifelhaft ein Betreiben des Geschäfts vor. Es bestünde kein Zweifel, dass die Prozessbevollmächtigten ihre Geschäftsgebühr verdient hätten, wie dies derzeit vielfach auch in anderen Rechtsgebieten, in denen Legal Tech zur Anwendung kommt, geschieht (vgl. Dieselskandal-Fälle, Mietpreisbremsenfälle, etc.). Schließlich ändert auch die Tatsache, dass die Leistung der Prozessbevollmächtigten für die Kläger kostenlos war, an dem Ergebnis nichts. Darin liegt nur ein Verzicht des Rechtsanwalts auf die Geltendmachung von Vergütungsansprüchen, der gemäß § 49b BRAO unwirksam ist. Es bleibt dabei, dass die Kläger am 07.06.2019 eine Leistung des Rechtsanwalts in Anspruch genommen haben, der für sie das Bestehen von Ansprüchen geprüft hat und für sie ein Anspruchsschreiben formuliert hat. Dass die Kläger am 28.06.2019 die Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung beauftragt haben, vermag aus Sicht des Gerichts keinen Unterschied zu machen. Denn bereits zuvor hatten sie – wie ausgeführt – die Prozessbevollmächtigten mit der Erbringung von Leistungen beauftragt. Dass sie in dem Moment glaubten, dies sei für sie kostenlos, ist nicht maßgeblich.

Der Anspruch der Kläger besteht auch nicht gemäß Art. 14 Abs. 2 Fluggastrechteverordnung. Danach hat das ausführende Luftverkehrsunternehmen jedem betroffenen Fluggast einen schriftlichen Hinweis auszuhändigen, in dem die Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß der Verordnung dargelegt werden. Die Kläger sind dem Vortrag der Beklagten, das Merkblatt sei ihnen beim Check-in ausgehändigt worden, nicht mehr entgegen getreten.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die Frage, ob die Geschäftsgebühr bei der Generierung eines Anspruchsschreibens auf der homepage von Rechtsanwälten ausgelöst wird, ist bisher – soweit ersichtlich und von den Parteien vorgetragen – nur im anders als hier entschiedenen Sinne entschieden worden. Eine Entscheidung des Berufungsgerichts liegt dazu noch nicht vor.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: