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Volltext BGH: Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH kann im VW-Dieselskandal aufgrund deutscher Inkassolizenz für schweizer Kläger tätig werden

BGH
Urteil vom 13.06.2022
VIa ZR 418/21
financialright
RDG § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3


Wir hatten bereits in dem Beitrag "BGH: Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH kann Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz nach Abtretung einklagen" über die Entscheidung berichten.

Leitsatz des BGH:
Die Inkassoerlaubnis umfasst den Einzug von Forderungen, die ausländischem Sachrecht unterfallen.

BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 418/21 - OLG Braunschweig - LG Braunschweig

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH kann Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz nach Abtretung einklagen

BGH
Urteil vom 13.06.2022
VIa ZR 418/21


Der BGH hat entschieden, dass der Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz nach Abtretung einklagen kann

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof entscheidet über die Zulässigkeit eines "Sammelklageninkassos" für Schweizer
Erwerber im sogenannten Dieselskandal

Der vom Präsidium des Bundesgerichtshofs vorübergehend als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat (vgl. Pressemitteilung Nr. 141/2021 vom 22. Juli 2021) hat heute entschieden, dass ein Inkassodienstleister sich wirksam Schadensersatzforderungen abtreten lassen kann, deren sich Schweizer Erwerber von Kraftfahrzeugen gegen die beklagte Volkswagen AG berühmen.

Sachverhalt:

Einer dieser Erwerber, ein Schweizer mit Wohnsitz in der Schweiz, kaufte – so im Revisionsverfahren zu unterstellen – im Februar 2015 in der Schweiz von einer Schweizer Vertragshändlerin der beklagten Fahrzeugherstellerin einen VW Tiguan mit Erstzulassung 2015. In das Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 189 eingebaut. Der Motor war mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde. In diesem Fall schaltete sie vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in einen Stickoxid-optimierten Abgasrückführungsmodus 1 (Prüfstanderkennungssoftware). Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Das Kraftfahrt-Bundesamt bewertete diese Software als unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete für die betroffenen Fahrzeuge einen Rückruf an. In der Schweiz erließ das Bundesamt für Straßen (ASTRA) im Oktober 2015 ein vorläufiges Zulassungsverbot für bestimmte Fahrzeuge mit Dieselmotoren der Baureihe EA 189, von dem das Fahrzeug des Zedenten nicht betroffen war. Der Erwerber ließ Ende 2016 ein Software-Update aufspielen.

Am 18. Dezember 2017 trat der Erwerber – so wiederum im Revisionsverfahren zu unterstellen – seine Forderungen gegen die Beklagte an die Klägerin, eine nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) registrierte Inkassodienstleisterin in der Rechtsform einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, treuhänderisch zur Einziehung ab. Die Klägerin sollte die Forderung zunächst außergerichtlich geltend machen. Im Falle des Scheiterns der außergerichtlichen Geltendmachung sollte die Klägerin die Ansprüche im eigenem Namen gerichtlich geltend machen, wobei ihr im Erfolgsfall eine Provision zukommen sollte. Der Erwerber sollte für etwaige Kosten der Rechtsverfolgung nicht aufkommen müssen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Klägerin, die sich in über 2000 Fällen in entsprechender Weise Forderungen von Schweizer Erwerbern treuhänderisch zur Einziehung hat abtreten lassen, hat bei dem Landgericht 2019 eine Klage erhoben, in der sie sämtliche Forderungen zum Gegenstand von Feststellungsbegehren gemacht hat. Das Landgericht hat das Verfahren die Ansprüche des einen Erwerbers betreffend abgetrennt. Auf richterlichen Hinweis hat die Klägerin sodann ihren Antrag umgestellt und die Beklagte auf Zahlung eines der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrags, mindestens jedoch CHF 5.394 (15% des Kaufpreises als Minderwert) zuzüglich Zinsen ab Übergabe des Fahrzeugs, in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin fehle für die Geltendmachung der Schadensersatzforderung des Erwerbers die Aktivlegitimation. Die Klägerin habe für die Geltendmachung der Forderung, die Schweizer Recht unterfalle, einer Erlaubnis nicht nur – wie vorhanden – nach § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG, sondern nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG bedurft, über die sie nicht verfüge. Folge des Fehlens der Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG sei, dass die Klägerin durch ihr Tätigwerden gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstoßen habe. Dieser Verstoß führe nicht nur zur Nichtigkeit des der Abtretung zugrundeliegenden schuldrechtlichen Dienstleistungsvertrags mit dem Zedenten, sondern auch zur Nichtigkeit der Forderungsabtretung.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Der Bundesgerichtshof hat anhand einer am Wortlaut, an der Systematik und an Sinn und Zweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes sowie an der Gesetzgebungsgeschichte orientierten Auslegung klargestellt, dass ein nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG registrierter Inkassodienstleister auch dann keiner weiteren Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG bedarf, wenn er eine ihm treuhänderisch übertragene und einem ausländischen Sachrecht unterfallende Forderung außergerichtlich geltend macht. Dabei hat der Bundesgerichtshof die Entscheidungen des VIII. Zivilsenats vom 27. November 2019 (VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89, vgl. Pressemitteilung Nr. 153/2019) und des II. Zivilsenats vom 13. Juli 2021 (II ZR 84/20, BGHZ 230, 255, vgl. Pressemitteilung Nr. 127/2021) berücksichtigt. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Abhängigmachen der Tätigkeit der Klägerin von einer zusätzlichen Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG zur Erreichung des Schutzzwecks des Rechtsdienstleistungsgesetzes nicht erforderlich ist.

Weil sich schon deshalb die Auffassung des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft erwies, der Klägerin fehle wegen einer aus einem Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz folgenden Nichtigkeit der Abtretung die Aktivlegitimation, hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird sich nunmehr mit der inhaltlichen Berechtigung der Forderung des Zedenten zu befassen haben.

Vorinstanzen:

Landgericht Braunschweig – Urteil vom 30. April 2020 – 11 O 3092/19

Oberlandesgericht Braunschweig – Urteil vom 7. Oktober 2021 – 8 U 40/21

Die maßgeblichen Vorschriften des Rechtsdienstleistungsgesetzes lauten:

§ 10 Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde

(1) Natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die bei der zuständigen Behörde registriert sind (registrierte Personen), dürfen aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in folgenden Bereichen erbringen:

1. Inkassodienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1),

2. […]

3. Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht; ist das ausländische Recht das Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, darf auch auf dem Gebiet des Rechts der Europäischen Union und des Rechts des Europäischen Wirtschaftsraums beraten werden.

Die Registrierung kann auf einen Teilbereich der in Satz 1 genannten Bereiche beschränkt werden, wenn sich der Teilbereich von den anderen in den Bereich fallenden Tätigkeiten trennen lässt und der Registrierung für den Teilbereich keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses entgegenstehen.




OLG Braunschweig: Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH kann Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal nicht auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz einklagen kann

OLG Braunschweig
Urteil vom 07.10.2021
8 U 40/21


Das OLG Braunschweig hat entschieden, dass der Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal nicht auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz einklagen kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Berufung der financialright GmbH in dem Verfahren gegen die VW AG abgewiesen

Der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat mit Urteil vom 07. Oktober 2021 (8 U 40/21) die Berufung der Klägerin, die financialright GmbH, gegen die Entscheidung des Landgerichts Braunschweig (11 O 3092/19) zurückgewiesen. Der Senat hat – wie bereits das Landgericht Braunschweig zuvor – entschieden, dass der Klägerin, die aus abgetretenem Recht gegen die beklagte VW AG vorgegangen ist, die dafür notwendige Aktivlegitimation fehle.

Die Klägerin, eine nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) registrierte Inkassodienstleisterin, ließ sich im Zuge des sog. Diesel-Abgasskandals europaweit von Käufern von Dieselfahrzeugen Ansprüche abtreten, um diese gegenüber der Beklagten, der VW AG, im eigenen Namen durchzusetzen. So auch in dem vorliegenden Berufungsverfahren, in dem sie mit einem in der Schweiz ansässigen Käufer eines Fahrzeuges VW Tiguan, das über einen Dieselmotor vom Typ EA 189 verfügt, eine entsprechende Abtretungsvereinbarung getroffen hatte. Die Klägerin machte diese Forderung zunächst „gebündelt“ im Wege einer objektiven Klagehäufung mit ca. 2.000 weiteren Ansprüchen beim Landgericht anhängig. Das Landgericht trennte den streitgegenständlichen Anspruch ab, verhandelte über ihn in einem gesonderten Verfahren und wies ihn mit Urteil vom 30.04.2020 wegen fehlender Aktivlegitimation zurück. Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass die Klägerin mit dem streitgegenständlichen Geschäftsmodell die Befugnisse zur Erbringung von Inkassodienstleistungen überschreite, weshalb die Abtretung nichtig sei.

Diese rechtliche Bewertung ist nach Auffassung des 8. Zivilsenats zutreffend. Bei der Abtretungsvereinbarung handele es sich um eine Inkassodienstleistung in Form einer Rechtsdienstleistung gem. § 2 Abs. 2 RDG, da die Klägerin die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäftsmodell betreibe. Damit unterfällt die Tätigkeit dem Rechtsdienstleistungsgesetz, dessen Schutzzweck darin besteht, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen. § 3 RDG sieht daher für die selbstständige Erbringung von außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen eine Erlaubnispflicht vor. Einen solchen Erlaubnistatbestand enthält § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG. Danach dürfen registrierte Personen, die - wie vorliegend die Klägerin - im Rechtsdienstleistungsregister eingetragen sind, aufgrund nachgewiesener Sachkunde grundsätzlich Rechtsdienstleistungen in dem Bereich der Inkassodienstleistungen erbringen.

In der vorliegenden Konstellation habe die Klägerin aber die ihr danach erteilte Befugnis überschritten, da sie die Einziehung einer Forderung übernommen habe, deren Berechtigung sich nach einem ausländischen (hier dem schweizerischen) Recht beurteile. Zwar dürfen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 RDG auch Rechtsdienstleistungen „in einem ausländischen Recht“ aufgrund besonderer Sachkunde erbracht werden. Eine solche habe die Klägerin jedoch nicht nachgewiesen. Auch könne sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass der Rechtsdienstleister bei einer Einziehung einer Forderung deren Bestand nicht rechtlich zu prüfen habe. Das Inkassounternehmen übernehme nämlich - so der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - vielmehr die Verantwortung für die wirkungsvolle Durchsetzung fremder Rechte oder Vermögensinteressen. Daraus folge aber auch, dass die rechtliche Bewertung von solchen Forderungen durchaus zum Kernbereich der Inkassotätigkeit gehöre. In dem vorliegenden Fall wäre die Klägerin zudem ohne diese rechtliche Bewertung und materielle Prüfung des behaupteten Schadensersatzanspruchs gar nicht in der Lage gewesen, diesen zu beziffern. Aufgrund des Verstoßes gegen die Erlaubnispflicht sei die Abtretung nach § 134 BGB nichtig und die Klägerin in dem Verfahren daher nicht befugt, die Rechte des Käufers geltend zu machen.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision zugelassen und damit die Überprüfung der Entscheidung durch den Bundesgerichtshof ermöglicht.


Volltext BGH liegt vor: Online-Vertragsgenerator des Legal Tech Anbieters smartlaw verstößt nicht gegen Rechtsdienstleistungsgesetz

BGH
Urteil vom 09.09.2021
I ZR 113/20
Vertragsdokumentengenerator
UWG § 3a; RDG § 2 Abs. 1, § 3

Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Online-Vertragsgenerator des Legal Tech Anbieters smartlaw verstößt nicht gegen Rechtsdienstleistungsgesetz über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:

Die Erstellung eines Vertragsentwurfs mithilfe eines digitalen Rechtsdokumentengenerators, bei dem anhand von Fragen und vom Nutzer auszuwählenden Antworten standardisierte Vertragsklauseln abgerufen werden, stellt keine Rechtsdienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG dar.

BGH, Urteil vom 9. September 2021 - I ZR 113/20 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Online-Vertragsgenerator des Legal Tech Anbieters smartlaw verstößt nicht gegen Rechtsdienstleistungsgesetz

BGH
Urteil vom 09.09.2021
I ZR 113/20
Vertragsdokumentengenerator


Der BGH hat entschieden, dass der Online-Vertragsgenerator des Legal Tech Anbieters smartlaw nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstößt.

Die Pressemitteilung des BGH:

Zulässigkeit eines digitalen Vertragsdokumentengenerators

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass ein juristischer Fachverlag einen digitalen Rechtsdokumentengenerator betreiben darf, mit dem anhand eines Frage-Antwort-Systems und einer Sammlung abgespeicherter Textbausteine Vertragsdokumente erzeugt werden.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist eine Rechtsanwaltskammer. Die Beklagte ist ein juristischer Fachverlag. Sie stellt im Internet einen digitalen Generator zur Erstellung von Verträgen und anderen Rechtsdokumenten bereit, die Kunden im Rahmen eines Abonnements oder im Wege des Einzelkaufs erwerben können. Hierzu werden dem Kunden verschiedene Fragen gestellt, die er - überwiegend im Multiple-Choice-Verfahren - beantworten muss. Anhand der Antworten werden mithilfe einer Software aus einer Sammlung von Textbausteinen Vertragsklauseln generiert, die zu einem Vertragsentwurf zusammengestellt werden.

Die Klägerin sieht in der digitalen Erstellung eines individuellen Vertragsdokuments eine wettbewerbswidrige Rechtsdienstleistung und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht den Unterlassungsantrag abgewiesen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Die Erstellung eines Vertragsentwurfs mithilfe des digitalen Rechtsdokumentengenerators ist keine nach § 3a UWG unlautere Handlung, weil sie keine unerlaubte Rechtsdienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 1, § 3 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) darstellt. Die Tätigkeit der Beklagten besteht darin, mithilfe der programmierten und im Internet bereitgestellten Software Vertragsdokumente anhand der Vorgaben der Nutzer zu erstellen. Dabei wird sie nicht in einer konkreten Angelegenheit des Nutzers tätig. Sie hat die Software auf der Grundlage von denkbaren typischen Sachverhaltskonstellationen programmiert, zu denen sie im Vorgriff auf die vorgegebenen Antworten standardisierte Vertragsklauseln entwickelt hat. Die über den üblichen Fall hinausgehenden individuellen Verhältnisse des Anwenders finden - ähnlich wie bei einem Formularhandbuch - bei der Erstellung des Vertragsdokuments keine Berücksichtigung. Der Nutzer erwartet daher auch keine rechtliche Prüfung seines konkreten Falls.

Vorinstanzen:

LG Köln - Urteil vom 8. Oktober 2019 - 31 O 35/19

OLG Köln - Urteil vom 19. Juni 2020 - 6 U 263/19

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 3a UWG

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 2 Abs. 1 RDG

Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.

§ 3 RDG

Die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen ist nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch dieses Gesetz oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird.



OLG München: Unzulässige und wettbewerbswidrige Beratung über die Möglichkeit des Widerrufs von Lebensversicherungsverträgen durch Legal-Tech-Anbieter auf Grundlage einer Inkassoerlaubnis

OLG München
Urteil vom 03.12.2020
29 U 7047/19


Das OLG München hat entschieden, dass es unzulässig und damit wettbewerbswidrig ist, wenn ein Legal-Tech-Anbieter auf Grundlage einer Inkassoerlaubnis ihre Kunden über die Möglichkeit des Widerrufs von Lebensversicherungen berät. Insofern handelt es sich um Versicherungsberatung, die eine entsprechende Erlaubnis nach der Gewerbeordnung erfordert.

Die dazugehörige Meldung der Wettbewerbszentrale finden Sie hier:

LG Augsburg: Schadensersatzklagen im Dieselskandal des Legal-Tech-Anbieters myRight abgewiesen - Abtretungen wegen Verstoßes gegen Rechtsdienstleistungsgesetz nichtig

LG Augsburg
Urteil vom 27.10.2020
011 O 3715/18


Auch das LG Augsburg hat entschieden, dass Schadensersatzklagen im Dieselskandal des Legal-Tech-Anbieters myRight mangels Aktivlegitimation abzuweisen sind. Die Abtretungen sind wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz nichtig.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Die Klage ist zulässig; insbesondere kann dahinstehen, ob die vom Gericht mit Verfügung vom 08.07.2019 angesprochenen Bedenken an seiner Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO hinsichtlich der Klageanträge 1, 3, 5-10, 15, 17-18, 20, 23, 25-26 und 28-30 (Bl. 436/437 d.A.) sich als durchgreifend erweisen, da die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Augsburg nach entsprechendem Rügeverzicht der Beklagten (Bl. 451 d.A.) jedenfalls nach § 39 ZPO begründet ist.

2. Die Klage erweist sich jedoch als unbegründet. Der Klägerin fehlt es an der erforderlichen Aktivlegitimation für die gegen die Beklagte geltend gemachten vertraglichen und deliktischen Schadensersatzansprüche.

Dabei kann dahinstehen, ob die o.g. 30 Fahrzeugerwerber tatsächlich ihre entsprechenden Ansprüche an die Klägerin abgetreten und insbesondere die von ihr vorgelegten Abtretungserklärungen unterschrieben haben oder nicht, da diese Abtretungen sich jedenfalls gemäß § 134 BGB in Verbindung mit den §§ 3,4 RDG als nichtig erweisen.

Die diesbezügliche Tätigkeit der Klägerin als registrierter Inkassodienstleisterin hält sich nämlich nicht mehr im Rahmen der ihr nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG erteilten Inkassodienstleistungsbefugnis. Zwar darf dieser Begriff nach dem LexFox-Urteil des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung der Inkasso-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu eng ausgelegt werden, sondern innerhalb des mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz verfolgten Zwecks des Schutzes der Rechtssuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen ist eine eher großzügige Betrachtung geboten (BGH VIII ZR 285/18, Urteil vom 27.11.2019, Rn. 141). Daraus folgt jedoch nicht automatisch die Zulässigkeit des seitens der Klägerin vorliegend praktizierten Geschäftsmodells. Vielmehr hält der Bundesgerichtshof eine am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes orientierte Würdigung der Umstände des Einzelfalles einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen stets für erforderlich, wobei die Wertentscheidungen des Grundgesetzes in Gestalt der Grundrechte der Beteiligten sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen sind und den Veränderungen der Lebenswirklichkeit Rechnung zu tragen ist (BGH, a.a.O., Rn. 110). Im Zuge einer solchen Abwägung ist das Gericht vorliegend indes zu der Überzeugung gelangt, dass eine Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis der Klägerin vorliegt.

Nach § 2 Abs. 2 S. 1 RDG ist eine Inkassodienstleistung die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird. Ist eine Person - wie vorliegend die Klägerin - gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG bei der zuständigen Behörde für den Bereich der Inkassodienstleistungen registriert, darf sie aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in diesem Bereich erbringen, so dass ihre Inkassotätigkeit keine bloße Nebenleistung im Sinne des § 5 RDG darstellt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 107). Den somit allein durch die §§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 RDG bestimmten Rahmen hat die Klägerin indes vorliegend überschritten.

Als registrierter Inkassodienstleisterin ist der Klägerin nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Anschluss an die Inkasso-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Zuge der Einziehung der an sie abgetretenen Forderungen zwar auch eine umfassende rechtliche Forderungsprüfung und substantielle Beratung ihrer Kunden über den Bestand der Forderung gestattet (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 116 ff.). Dementsprechend sieht der Bundesgerichtshof auch keine Überschreitung der Befugnis nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG darin, dass ein Inkassodienstleister bei Erfolglosigkeit seiner außergerichtlichen Bemühungen um die Durchsetzung der treuhänderisch an ihn abgetretenen Forderungen im Zuge des Interesses seiner Kunden an einer möglichst einfachen und raschen Durchsetzung ihrer Ansprüche die Möglichkeit hat, diese unter Beauftragung eines Rechtsanwalts in einem streitigen gerichtlichen Verfahren als eigene Rechte einzuklagen (BGH, a.a.O., Rn. 225 f.).

Vor diesem Hintergrund erscheint das unter Ziffer 1.3 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Abgasskandal erläuterte Vorgehen der Klägerin, die Durchsetzung der Entschädigungsansprüche, soweit zweckdienlich, im außergerichtlichen Verfahren zu betreiben und im Fall des Nichtausreichens der außergerichtlichen Bemühungen in Zusammenarbeit mit der … oder anderen Rechtsanwälten deren gerichtliche Durchsetzung zu versuchen, auf den ersten Blick vielleicht als unproblematisch. Tatsächlich ist es aber nicht mehr durch § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG gedeckt, da die Tätigkeit der Klägerin entgegen der in Ziffer 1.3 gewählten Formulierung von vorneherein auf eine gerichtliche Rechtsdurchsetzung in Form einer Sammelklage abzielte. So bot sie den Betroffenen des Abgasskandals auf der Intemetseite … ausdrücklich an, mit einer Sammelklage dafür zu sorgen, dass ihr Fall rechtzeitig vor Gericht kommt (Anlage B1). Auch in ihrer Pressemitteilung vom 15.06.2018 pries die Klägerin die „Sammelklage, die … anbietet,“ als die „für Menschen ohne Rechtsschutzversicherung optimale Lösung, um VW-Schadensersatz einzuklagen“, an (Anlage B39). Die in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen erwähnten außergerichtlichen Bemühungen hat die Klägerin indes vorliegend niemals entfaltet; vielmehr verneinte ihr Prozessbevollmächtigter auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020 selbst die Existenz außergerichtlicher Mahnschreiben (Bl. 677 d.A.).

Damit unterfällt die ausschließlich auf ein gerichtliches Vorgehen gerichtete Tätigkeit der Klägerin bereits vom Wortlaut her nicht dem Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen, das laut § 1 Abs. 1 S. 1 RDG die Befugnis regelt, in der Bundesrepublik Deutschland außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Auch die Erweiterung der Inkassotätigkeit durch § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO auf gerichtliche Maßnahmen in Bezug auf das Mahnverfahren und die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen erweist sich nicht als einschlägig. Vielmehr zeigt die letztgenannte Regelung, dass der Gesetzgeber das gerichtliche Handeln von Inkassodienstleistern als Ausnahme gesehen hat, wenngleich er mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz die Entwicklung neuer Berufsbilder erlauben wollte (BT-Drucks. 16/3655 S. 30). Dabei hatte er vor allem die Bereiche, in denen die anwaltliche Versorgung die Nachfrage der Rechtssuchenden nicht decken kann, insbesondere weil die Tätigkeit nicht ausschließlich juristischer Natur ist, im Blick (BT-Drucks. 16/3655 S. 40). Der Gesetzgeber beabsichtigte aus Gründen des Verbraucherschutzes jedoch gerade keinen allgemeinen Rechtsleistungsberuf unterhalb der Rechtsanwaltschaft einführen, da es ansonsten zu einem Nebeneinander zweier auf die gleiche Tätigkeit ausgerichteten Rechtsberatungsberufe mit völlig unterschiedlicher Qualifikation kommen würde (BT-Drucks. 16/3655 S. 31).

Genau darauf liefe die Anerkennung des Geschäftsmodells der Klägerin indes hinaus, die sich nicht auf die unproblematisch zulässige rechtliche Prüfung der Forderung und substantielle Beratung ihrer Kunden über deren Bestand beschränkte, sondern vielmehr die strategische Entscheidung darüber traf, welche der Ansprüche aus abgetretenem Recht gegen die Beklagte sie in Einzelverfahren, in Verfahren mit Anspruchsbündelung in geringerem Umfang - wie hier - und in Verfahren mit mehreren 1.000 gebündelten Ansprüchen geltend macht (Bl. 609/610 d.A.). Diese auch in ihrem Internetauftritt besonders hervorgehobene Tätigkeit der Klägerin stellt sich angesichts der Vielzahl der Fallgestaltungen im Abgasskandal und der Komplexität der damit verbundenen durchaus streitigen Rechtsfragen indes als über den Bereich der einzelnen Forderungseinziehung weit hinausgehende Rechtsberatung dar. Gerade bei den Sammelklagen, in denen sich die überwiegende Mehrzahl der 45.000 Kunden der Klägerin befindet (Bl. 677 d.A.), stellt sich der Aufgabenbereich der Klägerin vielmehr als vollkommen identisch mit dem eines Rechtsanwaltes dar.

Vor diesem Hintergrund erscheint es indes nicht gerechtfertigt, sich hier mit der geringeren Sachkunde der Klägerin als Inkassodienstleisterin zufrieden zu geben. Vielmehr hat der Gesetzgeber den Grund für die deutlich geringeren Anforderungen an die Sachkunde des registrierten Inkassodienstleisters darin gesehen, dass dessen Tätigkeit allein auf die außergerichtliche Forderungseinziehung beschränkt ist, bei der die Gefahr einer rechtlichen Fehlberatung in deutlich geringerem Maße als bei einer über den Bereich der bloßen Forderungseinziehung hinausgehenden Rechtsberatung besteht (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 219), die hier in der strategischen Auswahl und Bündelung der 30 streitgegenständlichen Forderungen zur ausschließlich gerichtlichen Geltendmachung in Form der vorliegenden Sammelklage zu sehen ist.

Die darin liegende Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis der Klägerin kann auch durch die Hinzuziehung der Klägervertreter nicht beseitigt werden. So kam es bereits für den Erlaubnisvorbehalt nach dem Rechtsberatungsgesetz nicht darauf an, ob der Vertragspartner des Rechtssuchenden sich zur Erfüllung seiner Beratungspflichten eines zugelassenen Rechtsberaters als Erfüllungsgehilfen bedient (BGH III ZR 260/07, Urteil vom 03.07.2008). Nichts anderes kann jedoch unter Berücksichtigung des in § 1 Abs. 1 S. 2 RDG normierten Schutzzweckes des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, gelten. Vielmehr bekommt der einzelne Kunde von der Klägerin infolge der geringeren Anforderungen an ihre Sachkunde, die im Bereich der Inkassodienstleistungen nach § 4 Abs. 1 RDV in einem Lehrgang mit 120 Zeitstunden vermittelt wird, eine weniger qualifizierte Rechtsdienstleistung als von einem Rechtsanwalt mit Jurastudium und Referendariat von jeweils mehreren Jahren, während die eingeschalteten Prozessbevollmächtigten auch nicht ihm selbst, sondern allein dem Interesse ihrer Mandantin verpflichtet sind. Aus dieser Konstellation ergibt sich somit eine Gefährdung der von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG erfassten schuldrechtlichen Forderungen der rechtssuchenden Kunden, die auch unter Berücksichtigung des Grundrechtes der Klägerin als Inkassodienstleisterin auf Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigt ist.

Anders als im LexFox-Fall, wo die außergerichtlichen Schreiben mit der Rüge nach § 556 g Abs. 2 BGB erst zur Entstehung des Anspruchs auf Rückzahlung zu viel gezahlter Miete führten, hat die Klägerin nämlich vorliegend überhaupt keine vorgerichtlichen Bemühungen zur Forderungseinziehung entfaltet und sich damit gar nicht erst im Bereich der Inkassodienstleistung bewegt. Der diesbezüglich seitens der Klägerin erhobene Einwand, die Begriffe „außergerichtlich“ und „vorgerichtlich“ könnten nicht gleichgesetzt werden, erweist sich insofern als unzutreffend. Zum einen hat der Bundesgerichtshof im LexFox-Urteil eindeutig diese Gleichsetzung vorgenommen, indem er formulierte, dass eine Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis nicht darin zu sehen ist, dass - wenn außergerichtliche Bemühungen nicht zum Erfolg führen - die Möglichkeit besteht, treuhänderisch abgetretene Ansprüche unter Beauftragung eines Rechtsanwalts in streitigen gerichtlichen Verfahren als eigene Rechte einzuklagen (BGH VIII ZR 285/18, Urteil vom 27.11.2019, Rn. 225). Zum anderen hat auch die Klägerin selbst den Begriff „außergerichtlich“ in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Abgasskandal unter Ziffer 1.3 im Sinne von „vorgerichtlich“ verwandt, indem sie formulierte: „Sollten die außergerichtlichen Bemühungen nicht ausreichen (…), werden wir versuchen, die Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.“

Hier hat die Klägerin sich indes von vorneherein ausschließlich auf die gerichtliche Geltendmachung der 30 streitgegenständlichen Forderungen in Form der vorliegenden Sammelklage beschränkt, bei deren strategischer Auswahl und Bündelung sie eine über den Bereich der einzelnen Forderungseinziehung weit hinausgehende Rechtsberatung vornahm, die eigentlich für das Berufsbild des Rechtsanwaltes prägend ist. Da ein Rechtsanwalt insoweit aber im identischen Aufgabenbereich den Berufspflichten nach den §§ 43 ff. BRAO unterliegt, würde es einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG darstellen, wenn die Klägerin trotz geringerer Sachkunde im identischen Aufgabenbereich die gleiche Tätigkeit ausüben könnte, ohne beispielsweise an die Verbote der Erfolgsprovision und der Prozessfinanzierung gebunden zu sein.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof im LexFox-Urteil eine Überschreitung der Inkassobefugnis weder in der Vereinbarung eines Erfolgshonorars noch in der Prozesskostenübernahme durch den Inkassodienstleister gesehen hat (BGH, a.a.O., Rn. 170 ff.). Eine Interessenkollision im Sinne des § 4 RDG schloss er nämlich unter Hinweis darauf aus, dass die Vereinbarung des Erfolgshonorars bei der von ihm zu beurteilenden Forderungseinziehung ein beträchtliches eigenes Interesse der Klägerin an einer möglichst erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche bewirkte (BGH, a.a.O., Rn. 196). Diese Erwägung kann indes aufgrund zweier erheblicher Unterschiede im Sachverhalt nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden: Zum einen handelt es sich hier nicht um eine Einzel-, sondern um eine Sammelklage, und zum anderen ist keine Zustimmung der Zedenten zu einem abzuschließenden Vergleich erforderlich, sondern nur dessen Widerruf möglich. So hat die Klägerin nach Ziffer 6.1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Abgasskandal die Möglichkeit, einen Vergleich mit einer Widerrufsfrist von zwei Wochen abzuschließen, „wenn die Vergleichssumme nach gewissenhafter Beurteilung eines sorgfältig handelnden Kaufmanns als ausreichend erscheint.“; nach unverzüglicher Benachrichtigung davon kann der Kunde den Vergleichsabschluss dann zwar widerrufen, doch schuldet er der zur Kündigung des Vertrages berechtigten Klägerin in dem Fall die bei Bestand des Vergleiches angefallene Vergütung.

Vor dem Hintergrund dieser Regelung ergibt sich vorliegend eine strukturelle Kollision der Interessen der Klägerin mit denen ihrer Kunden, die eine ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung derart gefährdet, dass eine auch vom Bundesgerichtshof für möglich gehaltene analoge Anwendung des § 4 RDG (BGH, a.a.O., Rn. 213) geboten erscheint (LG Ingolstadt 41 O 1745/18, Urteil vom 07.08.2020, S. 253 ff.). So steht dem Interesse des einzelnen Kunden an der optimalen Durchsetzung seiner Rechte das Eigeninteresse der Klägerin an einem für sie möglichst guten Kosten-Nutzen-Verhältnis des Verfahrens entgegen, das sie am besten durch einen schnellen Vergleichsschluss erreichen kann. Wegen der Erforderlichkeit zur detaillierten Auseinandersetzung des Gerichts mit jedem einzelnen der 30 streitgegenständlichen Ansprüche müsste die Klägerin ansonsten nämlich mit einer überdurchschnittlich langen Verhandlungsdauer mit einer Vielzahl von Sitzungstagen rechnen, die ihre Tätigkeit angesichts der mit ihren Prozessbevollmächtigten vereinbarten Vergütung auf der Basis von Stundensätzen zunehmend als immer weniger lukrativ erscheinen lässt. Dies gilt umso mehr, als sich mit fortschreitender Verfahrensdauer die letztlich maximal zu erreichende Vergütung aufgrund der im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigenden Nutzungsentschädigung immer weiter verringert.

Demgegenüber hat die Klägerin hier ohnehin schon von daher kein eigenes Interesse an einer möglichst erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche, als sie - anders als LexFox-Fall - ihre Erfolgsprovision nicht nur im Fall des Zustandekommens des Vergleichs, sondern selbst im Fall dessen Widerrufs durch den Kunden in voller Höhe erhält. Insoweit stellt auch die nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschuldete Bindung an die „gewissenhafte Beurteilung eines sorgfältig handelnden Kaufmanns“ letztlich kein Korrektiv dar, da zum Zeitpunkt der Abtretung noch vollkommen unklar ist, ob man für jeden einzelnen Kunden einen Vergleichsbetrag auswirft oder eine Pauschalsumme, die dann aufgeteilt wird (Bl. 677 d.A.), obwohl die Beurteilungsüberlegungen sich in beiden Fällen als vollkommen unterschiedlich darstellen und daher für die Zedenten weder vorhersehbar noch nachprüfbar sein dürften. Vielmehr kann der jeweilige Kunde der Klägerin hier anders als im LexFox-Fall nicht einfach frei über die Erteilung seiner Zustimmung zum Vergleich entscheiden, sondern ist dadurch einem erheblichen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt, dass er im Fall dessen Widerrufs die geschuldete Vergütung in Höhe von 35 % der Vergleichssumme zahlen muss, ohne hierfür letztlich einen Gegenwert zu erhalten. Gerade für die nicht rechtsschutzversicherten Zedenten, die laut Internetausdruck und Pressemitteilung gezielt für die Sammelklage angeworben wurden (Anlagen B1 und B39), besteht damit kein kostenneutraler Ausweg, sondern sie sind faktisch gezwungen, sich einer von der Klägerin im Eigeninteresse geringer Verfahrenskosten getroffenen Vergleichsentscheidung zu beugen, was dem mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz verfolgten Zweck des Schutzes der Rechtssuchenden klar widerspricht.

An dieser Bewertung ändert auch die zwischenzeitliche Beteuerung der Klägerin nichts, sich angesichts der Unwirksamkeit von Ziffer 6.1 Satz 4 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 7 BGB gegenüber den Zedenten nicht auf diese Regelung berufen zu wollen (Bl. 614 d.A.). Zum einen mutet es schon seltsam an, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin im Abgasskandal, insbesondere auch die Regelungen über den Vergleichsschluss, auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020 immer noch im wesentlichen gleich geblieben sind (Bl. 677 d.A.), obwohl die identische Problematik bereits am 29.05.2020 vor dem Landgericht Ingolstadt thematisiert wurde (LG Ingolstadt 41 O 1745/18, Urteil vom 07.08.2020, S. 10 u. 236). Zum anderen ist davon auszugehen, dass gerade der Kunde, der sich des vermeintlich kostenlosen Angebotes der Klägerin als Inkassodienstleisterin bedient, keinerlei Kenntnis von der Unwirksamkeit dieser Bestimmung haben und deswegen durch die für ihn negative Kostenfolge vom Widerruf des Vergleichs abgeschreckt werden dürfte, zumal völlig unklar bleibt, was in diesem Fall mit dem anhängigen Prozessverhältnis passieren würde (LG Ingolstadt, a.a.O., S. 256).

Angesichts dieser Unklarheit erscheint auch eine geltungserhaltende Reduktion in Form eines Entfalls der Vergütungspflicht bei Widerruf des Vergleichs weder möglich noch geboten (vgl. hierzu ausführlich LG Ingolstadt, a.a.O., S. 260 ff.). Vielmehr hätte es der Klägerin freigestanden, im Rahmen ihrer Berufsausübung den gesetzlichen Vorschriften entsprechende wirksame vertragliche Regelungen zur fiduziarischen Abtretung und Geltendmachung fremder Forderungen im eigenen Namen zu treffen (LG Ingolstadt, a.a.O., S. 259). So aber hat sie den durch die §§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 RDG bestimmten Rahmen nicht nur eindeutig überschritten, sondern angesichts der in Ziffer 6.1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen vollen Vergütungsverpflichtung im Fall des Vergleichswiderrufs auch erheblich, so dass die streitgegenständlichen Abtretungen sich jedenfalls gemäß § 134 BGB in Verbindung mit den §§ 3, 4 RDG als nichtig erweisen.

Schließlich erscheint die Zulassung einer entsprechenden Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis der Klägerin im vorliegenden Fall auch aus Gründen des Verbraucherschutzes nicht erforderlich. Dem Vertrauen der Zedenten auf deren Registrierung als Inkassodienstleisterin wird nämlich bereits durch die für sie bestehende Möglichkeit Rechnung getragen, bei der Klägerin Regress zu nehmen, die nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 RDG über eine Berufshaftpflichtversicherung mit einer Mindestversicherungssumme von 250.000 € für jeden Versicherungsfall verfügen muss (BGH, a.a.O., Rn. 93). Davon abgesehen hat der Gesetzgeber bereits die kostenfreie Möglichkeit der Musterfeststellungsklage geschaffen, so dass hier keinerlei Veranlassung für das Gericht besteht, die vorliegende Sammelklagetätigkeit der Klägerin über den Wortlaut und Regelungsgehalt des Rechtsdienstleistungsgesetzes hinaus unter Missachtung des Gleichheitssatzes zuzulassen. In diesem Bereich wäre vielmehr der Gesetzgeber gefordert, der sich ausweislich der Drucksache 19/22807 des Deutschen Bundestages vom 24.09.2020 bereits mit der entsprechenden Thematik beschäftigt.

Mangels Aktivlegitimation der Klägerin war ihre Klage daher voll umfänglich abzuweisen."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Frankfurt: Irreführende Werbung eines Legal-Tech-Anbieters durch Slogan "Kein Kostenrisiko die Entschädigung dürfen Sie in jedem Fall behalten“ wenn Servicegebühr anfällt

LG Frankfurt
Urteil vom 17.4.2020
3-12 O 8/19


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass eine irreführende Werbung vorliegt, wenn ein Legal-Tech-Anbieter mit dem Slogan "Kein Kostenrisiko die Entschädigung dürfen Sie in jedem Fall behalten“, da durch den Anbieter eine Servicegebühr anfällt, die von der Entschädigung abgezogen wird. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

LG Ingolstadt: Schadensersatzklage des Legal-Tech-Anbieters Financialright Gmbh - myRight gegen VW und Audi wegen Verstoßes gegen Rechtsdienstleistungsgesetz abgewiesen

LG Ingolstadt
Urteil von 07.08.2020
41 O 1745/18


LG Ingolstadt hat die Schadensersatzklage des Legal-Tech-Anbieters Financialright Gmbh - myRight gegen VW bzw. Audi wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz abgewiesen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

In Sachen Financialright GmbH gegen Audi AG/Volkswagen AG

Die Klägerin hatte als Inkassodienstleisterin aus abgetretenem Recht Ansprüche von über 2.800 Fahrzeugkäufern gegenüber der Audi AG und der Volkswagen AG in Höhe von insgesamt über 77 Millionen Euro geltend gemacht. Es handelt sich um eines der umfangreichsten Verfahren im Rahmen der sogenannten Dieselklagewelle.

Mit Urteil vom 07.08.2020 hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt die Klage nun abgewiesen.
Im Wesentlichen ging die Kammer davon aus, dass zwar im Lichte der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der sog. "Lexfox-Entscheidung" vom 27.11.2019 – VIII ZR 285/18 – die klageweise Geltendmachung von abgetretenen Ansprüchen durch Rechtsdienstleister wie der Klägerin grundsätzlich zulässig sei. Abweichend zu dieser Entscheidung seien aber im vorliegenden Fall bereits die einzelnen Abtretungsvereinbarungen nichtig, da sie aufgrund einer die Käufer benachteiligenden Regelung nicht mehr von der Inkassodienstleistungsbefugnis der Klägerin nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz gedeckt seien. Dies beruhe vor allem auf der vertraglichen Regelung der Klägerin, nach der im Falle eines Vergleichswiderrufs eines Käufers dessen gesamte Rechtsverfolgung für diesen nicht mehr kostenfrei sei. Hieraus resultiere sowohl ein unzulässiger wirtschaftlicher Druck für den jeweiligen Käufer als auch ein Interessenskonflikt zwischen dem Käufer und der Klägerin. Hierin liege eine unzumutbare Benachteiligung des Käufers, die zur Nichtigkeit der Abtretungsvereinbarung führe. Ohne wirksame Abtretung könne die Klägerin aber die Ansprüche der Käufer nicht selbst geltend machen, so dass die Klage abzuweisen gewesen sei.


Volltext OLG Köln liegt vor: Kein Verstoß gegen Rechtsdienstleistungsgesetz durch Vertragsgenerator des Legal Tech Anbieters smartlaw - Werbung mit "Anwaltsqualität" wettbewerbswidrig

OLG Köln
Urteil vom 19.06.2020
6 U 263/19


Das OLG Köln hat entschieden, dass kein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) durch den Vertragsgenerator des Legal Tech Anbieters smartlaw vorliegt. Die Werbung mit "Anwaltsqualität" ist hingegen wettbewerbswidrig. Die Beklagte hatte die Berufung nach Hinweis durch das OLG insoweit zurückgenommen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

"Legal Tech: Vertragsgenerator zulässig

Computerprogramm zur Erstellung von Rechtsdokumenten verstößt nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz

Ein elektronischer Generator von Rechtsdokumenten verstößt nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz. Das hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln mit Urteil vom 19.06.2020 entschieden und ein anderslautendes Urteil des Landgerichts Köln abgeändert.

Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg hatte gegen das von einem juristischen Verlag vertriebene Produkt geklagt. Das Programm richtet sich an fachfremdes Publikum. Mit seiner Hilfe können Verbraucher in unterschiedlichen Rechtsgebieten Rechtsdokumente, insbesondere Verträge, erstellen, nachdem sie durch einen Frage-Antwort-Katalog geführt worden sind. Der Verlag hatte das Produkt u.a. mit der Aussage beworben, es erzeuge "Rechtsdokumente in Anwaltsqualität" und sei "günstiger und schneller als der Anwalt". Die Rechtsanwaltskammer hatte sich sowohl gegen die Werbung als auch gegen das Produkt gewandt. Sie war der Auffassung, dass das Programm der Rechtsanwaltschaft vorbehaltene Rechtsdienstleistungen erbringe (§§ 2, 3 RDG). Dagegen hatte der Verlag argumentiert, dass der Vertragsgenerator ähnlich wie die seit vielen Jahren etablierten Programme zur Erstellung der Steuererklärung wirke. Zielgruppe seien Personen, die ihre Verträge ohne anwaltliche Hilfe selbst erstellen würden und bisher auf gedruckte Formulare und Muster zurückgegriffen hätten.

Der 6. Zivilsenat des Oberlandegerichts Köln hat die Klage abgewiesen und ein anderslautendes Urteil des Landgerichts Köln abgeändert. Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, dass sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte von § 2 Abs. 1 RDG ein Verbot ableiten lasse. Auch der Bundesgerichtshof habe sich in seiner "wenigermiete.de"-Entscheidung vor dem Hintergrund der Deregulierung und Liberalisierung des Rechtsdienstleistungsmarktes für eine großzügige Betrachtung ausgesprochen. Der vom Rechtsdienstleistungsgesetz bezweckte Schutz vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen erfordere das Verbot des Programms nicht. Vertragsgestaltung möge im Einzelfall eine Königsdisziplin der anwaltlichen Beratung sein. Ein Dokumentengenerator erweitere aber lediglich das bestehende Hilfsangebot von Vorstücken oder Formularhandbüchern zur Erledigung der eigenen Rechtsangelegenheiten in eigener Verantwortung um eine naheliegende digitale Möglichkeit. Ein Schutz vor unqualifizierter Rechtsberatung müsse nur dort gewährleistet werden, wo eine rechtliche Beratung tatsächlich oder vorgeblich stattfinde. Für die Nutzer sei aber ohne weiteres erkennbar, dass der Dokumentengenerator nach einem Frage-Antwort-Schema vorgegebene Wortbausteine miteinander kombiniere und dass das Ergebnis von der Qualität der Bausteine und der im Programm vorgegebenen logischen Verknüpfungen einerseits sowie andererseits von der Richtigkeit, Sinnhaftigkeit und Stimmigkeit der eigenen Auswahlentscheidungen abhängt.

Zu den Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 RDG hat der Senat u.a. ausgeführt: Nach der Vorschrift sei nur eine "Tätigkeit in konkreter fremder Angelegenheit, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalles erfordert" verboten. Die Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Das Programm selbst entfalte keine "Tätigkeit" im Sinne der Vorschrift. Eine "Tätigkeit" erfordere nämlich eine menschliche oder zumindest mitdenkende Aktivität. Ein rein schematisch ablaufender Subsumtionsvorgang, der vorgegebene Ja-/Nein-Entscheidungsstrukturen abarbeite, erfülle diese Voraussetzung dagegen nicht. Ob dies beim Einsatz echter künstlicher Intelligenz anders zu bewerten sei, sei nicht zu entscheiden gewesen. Das Programmieren der abstrakten rechtlichen Entscheidungsbäume sei zwar eine Tätigkeit, aber diese betreffe keine "konkreten" fremden Angelegenheiten. Außerdem beträfen die in das Programm eingeflossenen juristischen Wertungen keine "rechtliche Prüfung des Einzelfalles", sondern eine Vielzahl denkbarer Fälle. Das Programm laufe erkennbar nach einer festgelegten Routine in einem Frage-/Antwortschema ab, mit dem ein Sachverhalt in ein vorgegebenes Raster eingefügt werde. Streng logisch ablaufende und zu immer den gleichen eindeutigen Ergebnissen führende Verfahren seien daher auch nicht als objektive Rechtsprüfung im Rahmen einer juristischen Subsumtion zu bewerten. Die Kunden, die das Programm benutzten, handelten schließlich nicht in "fremder" Angelegenheit, sondern in eigener Sache. Jedem, der das Programm tatsächlich benutze, sei klar, dass er bei der Auswahl der Optionen keinen Rechtsrat erhalte, sondern in eigener Verantwortung einen Lebenssachverhalt in ein vorgegebenes Raster einfüge, während im Hintergrund ein rein schematischer Ja-Nein-Code ausgeführt werde.

In erster Instanz war dem Verlag zusätzlich verboten worden, für das Produkt mit Aussagen wie "Günstiger und schneller als der Anwalt" und "Rechtsdokumente in Anwaltsqualität" zu werben. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte der Verlag nach einem Hinweis des Senats zurückgenommen, so dass dieses Verbot bereits rechtskräftig geworden ist.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen."



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BGH: Legal-Tech-Anbieter darf als registrierter Inkassodienstleister Ansprüche von Mietern aus der Mietpreisbremse geltend machen - Kein Verstoß gegen RDG

BGH
Urteil vom 08.04.2020
VIII ZR 130/19


Der BGH hat nochmals entschieden, dass ein Legal-Tech-Anbieter als registrierter Inkassodienstleister Ansprüche von Mietern aus der Mietpreisbremse geltend machen darf. Es liegt insoweit kein Verstoß gegen das RDG vor.

Leitsätze des BGH

ZPO § 557 Abs. 2
§ 557 Abs. 2 ZPO schließt eine Inzidentprüfung einer unanfechtbaren Entscheidung über das Ablehnungsgesuch durch das Revisionsgericht im Rahmen des Rechtsmittels gegen eine von erfolglos abgelehnten Richtern getroffene Entscheidung in der Hauptsache aus (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 8. November 2004 - II ZB 24/03, NJW-RR 2005, 294 unter II 2 a; vom 18. Oktober 2006 - XII ZB 244/04, NJW-RR 2007, 411 Rn. 9; vom 30. November 2006 - III ZR 93/06, NJW-RR 2007, 775 Rn. 4; vgl. auch Beschluss vom 11. Juli 1985 - X ZB 18/84, BGHZ 95, 302, 306; BVerfG, NJW 2009, 833 Rn. 15 mwN).

BGB §§ 134, 398, §§ 556d Abs. 1, 556g [aF] Abs. 1 Satz 3, Abs. 2, 3 Satz 1; RDG § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 4, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; RDGEG § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 2
Zur Aktivlegitimation eines registrierten Inkassodienstleisters, der Ansprüche des Mieters aus der sogenannten Mietpreisbremse (§§ 556d, 556g BGB) im Wege der Abtretung verfolgt (im Anschluss an Senatsurteil vom 27. November 2019 - VIII ZR 285/18, NJW 2020, 208).

BGB § 399 Alt. 1
Eine zum Ausschluss einer Abtretung führende Inhaltsänderung ist nicht nur bei höchstpersönlichen oder unselbständigen akzessorischen Ansprüchen, sondern auch dann anzunehmen, wenn ein Gläubigerwechsel zwar rechtlich vorstellbar ist, das Interesse des Schuldners an der Beibehaltung einer bestimmten Gläubigerposition aber besonders schutzwürdig ist (im Anschluss an BGH, Urteile vom 24. Oktober 1985 - VII ZR 31/85, BGHZ 96, 146, 149 mwN; vom 30. Oktober 2009 - V ZR 42/09, NJW 2010, 1074 Rn. 14; vom 31. Juli 2013 - VIII ZR 162/09, NJW 2013, 3647 Rn. 23 mwN). Eine solche Schutzwürdigkeit besteht jedoch nicht bei einer bereicherungsrechtlichen Rückforderung zu viel gezahlter Miete nach § 556g Abs. 1 Satz 3 BGB
(Anschluss und Fortführung von Senatsurteil vom 31. Juli 2013 - VIII ZR 162/09, aaO).

BGB § 398
Zur hinreichenden Bestimmtheit einer Abtretungserklärung.

BGH, Urteil vom 8. April 2020 - VIII ZR 130/19 - LG Berlin - AG Berlin Mitte

Den Volltext der Entscheidung finden Siehier:

LG Braunschweig: Schadensersatzklage des Legal-Tech-Anbieters Financialright Gmbh - myRight gegen VW wegen Verstoßes gegen Rechtsdienstleistungsgesetz abgewiesen

LG Braunschweig
Urteil vom 30.04.2020
11 O 3092/19

Das LG Braunschweig hat entschieden, dass eine Schadensersatzklage des Legal-Tech-Anbieters Financialright Gmbh - myRight gegen VW im Zusammenhang mit der Dieselaffäre wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz abzuweisen ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Schadensersatzklage des Rechtsdienstleisters Financialright gegen VW

Die 11. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig hat mit Urteil vom 30.04.2020 (Az. 11 O 3092/19) die Schadensersatzklage der Financialright GmbH gegen die Volkswagen AG abgewiesen.

Gegenstand des Verfahrens war der fiduziarisch abgetretene Anspruch eines einzelnen Schweizer Autokäufers, der in der Schweiz ein Fahrzeug der Beklagten mit einem Dieselmotor vom Typ EA189 gekauft haben soll. Dieser Anspruch war zuvor aus Praktikabilitätsgrün-den aus der Ende Dezember 2017 eingegangenen „Sammelklage“, mit der die Klägerin Ansprüche von insgesamt 2004 Schweizern mit einem Streitwert von mehr als 800.000 Euro im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemacht hatte (Az. 11 O 3136/17), abgetrennt worden.

Nach den Ausführungen der Kammer sei die Klägerin – ihre Darlegungen zum Kauf des Fahrzeugs und zur Abtretung unterstellt - nicht aktivlegitimiert, weil die streitgegenständliche Abtretung wegen Verstoßes gegen § 3 RDG (Rechtsdienstleistungsgesetz) gemäß § 134 BGB nichtig sei. Mit dem streitgegenständlichen Geschäftsmodell überschreite die Klägerin die Befugnisse zur Erbringung von Inkassodienstleistungen. Als Folge führe dies zur Nichtigkeit der Abtretung.

Die Klägerin verfüge über eine deutsche Inkassoerlaubnis und sei entsprechend seit dem 23.10.2014 in Deutschland im Rechtsdienstleistungsregister eingetragen.

Die Erbringung von Rechtsdienstleistungen im ausländischen – Schweizer – Recht durch die Klägerin führe nach Ansicht der Kammer zu einem Wertungswiderspruch, der in der Annahme der Überschreitung der Dienstleistungsbefugnis münde. Im Rahmen des Registrierungsvorganges seien Kenntnisse im Schweizer Recht nicht abverlangt, geprüft und für genügend befunden worden. Dennoch erbringe die Klägerin im Rahmen ihres streitgegenständlichen Geschäftsmodells Rechtsdienstleistungen im Schweizer Recht. Jedenfalls auf die seitens der Klägerin primär (wenn nicht gar ernsthaft ausschließlich) verfolgten deliktischen Ansprüche sei schweizerisches Recht anzuwenden.

Die Kammer führt weiter aus, dass die vorgenannte Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis gem. § 134 BGB zur Nichtigkeit der Abtretung führe. Zwar habe nicht ohne weiteres bereits jede auch geringfügige Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis stets auch die Nichtigkeit der auf die Verletzung des Rechtsdienstleistungsgesetzes gerichteten Rechtsgeschäfte nach § 134 BGB zur Folge. So könne es Fälle geben, bei denen die Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis so geringfügig sei, dass noch nicht einmal ein Verstoß gegen § 3 RDG vorliege. Daneben könne es Fälle geben, bei denen ein solcher Verstoß zwar vorliege, aber aufgrund einer verfassungsgemäßen Auslegung und Anwendung des § 134 BGB jedenfalls eine Nichtigkeit der diesem Verstoß zugrundeliegenden Rechtsgeschäfte aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht angenommen werden könne. Selbst wenn eine eindeutige, nicht nur geringfügige Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis vorliege, sei eine Nichtigkeit gem. § 134 BGB – bei objektiver Betrachtung – schließlich nur in der Regel anzunehmen.

Die Kammer geht davon aus, dass der vorliegende Verstoß einen schwerwiegenden Verstoß im Sinne der Rechtsprechung darstelle, weil gegen das „Grundprinzip“ des RDG - „Befugnis besteht nur, soweit Kenntnisse verlangt, überprüft und für genügend befunden wurden“ – verstoßen worden sei.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin kann binnen eines Monats Berufung beim Oberlandesgericht Braunschweig einlegen.



LG Berlin: Auftrag an Legal-Tech-Plattform Mietpreisbremse durchzusetzen geht über vergütungspflichtige Inkassodienstleistung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes hinaus

LG Berlin
Urteil vom 29.04.2020
64 S 95/19


Das LG Berlin hat entschieden, dass der Auftrag eines Mieters an eine Legal-Tech-Plattform "die Mietpreisbremse durchzusetzen" über eine "vergütungspflichtige Inkassodienstleistung" im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes hinausgeht. Das Gericht hat die Revision zum BGH zugelassen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Landgericht Berlin: Auftrag eines Mieters an eine Legal-Tech-Plattform, die „Mietpreisbremse“ durchzusetzen, ist nach der gegenwärtigen Fassung des Rechtsdienstleistungsgesetzes keine vergütungspflichtige Inkassodienstleistung

Die für Berufungen in Mietsachen zuständige Zivilkammer 64 des Landgerichts Berlin hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2020 in dem heute in öffentlicher Sitzung verkündeten und dabei mündlich kurz begründeten Urteil entschieden, dass die Rückforderung einer von einem Mieter an seine Vermieterin unter Vorbehalt gezahlten überhöhten Miete nicht mehr als „eigenständige“ Inkassodienstleistung im Sinne der aktuellen Fassung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) bewertet werden könne, wenn der Auftrag des Mieters an die für ihn handelnde Legal-Tech-Plattform darüber hinausgehend gelautet habe, für ihn die „Mietpreisbremse“ bei der Vermieterin durchzusetzen und die im Wohnungsmietvertrag vereinbarte Miete auf das höchstzulässige Maß herabzusetzen.

Zwar könne die Klägerin – eine als Inkassodienstleisterin zugelassene Legal-Tech-Plattform – aus dem an sie abgetretenen Recht des Mieters eine gegen die Vorschriften der „Mietpreisbremse“ verstoßende und von dem Mieter an seine Vermieterin gezahlte überhöhte Miete zurückfordern. Da diese Tätigkeit hier jedoch als Mittel zum Zweck der Durchsetzung der „Mietpreisbremse“ und nicht als „eigenständige“ Inkassotätigkeit im Sinne des RDG zu bewerten sei, könne die Klägerin dafür keine Vergütung nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) beanspruchen und daher auch nicht von der Vermieterin einklagen.

In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit hatte das Amtsgericht Charlottenburg eine u. a. auf Auskunft über vergangene Mieterhöhungen und Modernisierungen, auf Rückzahlung einer überhöhten Monatsmiete sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage gegen eine Vermieterin mit Urteil vom 22. März 2019 in der ersten Instanz abgewiesen. Auf die dagegen eingelegte Berufung der klagenden Legal-Tech-Plattform, die gewerblich u.a. die Rechte von Wohnraummietern aus den Vorschriften der sog. „Mietpreisbremse“ (§§ 556d ff. BGB) geltend macht und die sich dafür Rechte des Mieters gegen seine Vermieterin hatte abtreten lassen, haben die Richter der Zivilkammer 64 mit ihrem heutigen Urteil die Entscheidung der ersten Instanz zu den geltend gemachten Auskunftsansprüchen bestätigt, aber der Klage auf Rückzahlung einer überhöhten Monatsmiete im Ergebnis stattgegeben. Die Zivilkammer 64 – so der Vorsitzende in der heutigen Urteilsbegründung – habe bereits in anderen Verfahren entschieden, dass die gesetzlichen Vorschriften über die „Mietpreisbremse“ einschließlich der Berliner Mietenbegrenzungsverordnung wirksam seien und daher der überhöhte Teil der Monatsmiete zurückzuzahlen sei.

Die eigentliche Bedeutung dieses Urteils liegt aber darin, dass nach Auffassung der Zivilkammer 64 des Landgerichts Berlin der vom Mieter an die Legal-Tech-Plattform erteilte Auftrag zur Durchsetzung der „Mietpreisbremse“, auch wenn er die Rückforderung einer vom Mieter gezahlten überhöhten Monatsmiete umfasst, nicht mehr als „eigenständige“ Inkassodienstleistung im Sinne der aktuellen Fassung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) bewertet werden könne. Daher könne die Klägerin für diese Tätigkeit auch keine Vergütung nach dem RVG – im konkreten Fall vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 534,31 Euro nebst Zinsen – beanspruchen.

Die Zivilkammer 64 – so der Vorsitzende in der heutigen Urteilsbegründung – folge zwar der Auffassung des Bundesgerichtshofs in dessen Urteil vom 29. November 2019 – VIII ZR 285/18 –, wonach der Begriff der Inkassotätigkeit ausweislich der Gesetzesbegründung des RDG weit auszulegen sei, um neuen Berufsbildern nicht von vorne herein den Weg zu verstellen und den Bereich der Rechtsberufe und der freien Berufe zu entbürokratisieren und zu liberalisieren.

Im hier zu entscheidenden Fall sei aber angesichts des zur Beauftragung der Klägerin dienenden und mit den Worten „Mietsenkung beauftragen“ beschrifteten Buttons auf ihrer Homepage das Interesse des Mieters nicht darauf gerichtet gewesen, die nach Ausspruch der Rüge wegen Verstoßes gegen die „Mietpreisbremse“ unter Vorbehalt gezahlte Miete teilweise zurück zu erlangen, also Zahlungsansprüche durchzusetzen. Vielmehr habe die Klägerin dem Mieter versprochen, seine Rechte aus den gesetzlichen Vorschriften über die „Mietpreisbremse“ nach Kräften durchzusetzen und die Vermieterin dazu zu bringen, die vertraglich vereinbarte Miete auf das gesetzlich zulässige Maß zu reduzieren. Auch die Vergütung der Klägerin habe nicht etwa vom Gesamtbetrag der insgesamt erfolgreich zurückgeforderten Mietzahlungen, sondern vom Jahresbetrag der durchzusetzenden Mietreduzierung abhängen sollen.

Nicht anders als im Falle der Abwehr einer ungerechtfertigten Mieterhöhung, die auch nach der Gesetzesauslegung des Bundesgerichtshofs nicht mehr als Inkassodienstleistung im Sinne des RDG begriffen werden könne, könne daher nach Auffassung der Richter der Zivilkammer 64 – angesichts des gegenwärtigen Wortlauts des RDG und angesichts des viel weiter gehenden an die Klägerin erteilten Auftrags – die Rückforderung einer überhöhten Miete nicht als „eigenständige“ Inkassodienstleistung angesehen werden, sondern diene der Anspruchsabwehr. In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Vorsitzende der Zivilkammer 64 ergänzend ausgeführt, dass es aus Sicht der Kammer erforderlich sei, dass der Gesetzgeber durch eine Konkretisierung des RDG klarstelle, ob auch solche weiter gehenden Tätigkeiten wie die der Klägerin im hiesigen Fall noch als zulässige Inkassodienstleistung bewertet werden sollen.

Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Zivilkammer 64 hat die Revision zum Bundesgerichtshof mit der Begründung zugelassen, dass sie mit ihrem Urteil von der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs abweiche. Eine Revision kann beim Bundesgerichtshof innerhalb von einem Monat ab förmlicher Zustellung des Urteils eingelegt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten muss auf die schriftlichen Urteilsgründe verwiesen werden. Nach den Presserichtlinien kann über diese aber erst berichtet werden, wenn das heute verkündete Urteil den Parteien in schriftlicher Form zugestellt wurde bzw. alle Verfahrensbeteiligten dieses Urteil sicher erhalten haben.

Landgericht Berlin, Urteil vom 29. April 2020, Aktenzeichen: 64 S 95/19
Amtsgericht Charlottenburg, Urteil vom 22. März 2019, Aktenzeichen: 220 C 111/18





AG Köln: Es fällt auch dann eine anwaltliche Geschäftsgebühr an wenn Legal-Tech-Anbieter ein Mahnschreiben durch einen Algorithmus generiert

AG Köln
Urteil vom 05.03.2020
120 C 137/19

Das AG Köln hat entschieden, dass auch dann eine anwaltliche Geschäftsgebühr anfällt, wenn ein Legal-Tech-Anbieter ein Mahnschreiben durch einen Algorithmus generiert. Vorliegend ging es um Geltendmachung von Ansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erstattung von weiteren 30 € gemäß Art. 7 VO (EG) 261/2004 (im Folgenden Fluggastrechteverordnung). Denn auf die unstreitig wegen Verspätung des von der Beklagten ausgeführten Fluges geschuldeten Ansprüche hat die U. GmbH bereits 30 € gezahlt. Diese Zahlung ist gemäß Art. 12 Fluggastrechteverordnung anzurechnen. Die Ansprüche des Fluggastes aus der Fluggastrechteverordnung stehen neben den Anspruchsgrundlagen aus anderen Gesetzen, wie etwa vertragliche Ansprüche aus nationalem Recht. Dem Fluggast verbleibt die Wahl, ob er die Ausgleichsleistungen gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen aus der Verordnung, die ihm zwar den Schadensnachweis ersparen, aber nur pauschalierten Ersatz gewähren, oder die regelmäßig schwieriger durchzusetzenden Ansprüche auf Ersatz der konkret entstandenen Schäden nach dem mitgliedstaatlichen Recht geltend macht. Er kann auch beides geltend machen. Doch darf dies nach Art. 12 Abs. 1 Fluggastrechteverordnung nicht zu einer Kumulierung von Ersatzleistungen ungeachtet des tatsächlich eingetretenen Schadens führen. Kompensiert der pauschale Ausgleich nach der Fluggastrechteverordnung auch den mit dem konkreten Schadensersatzanspruch kompensierten Nachteil, darf der Fluggast zwar den weitesten Anspruch geltend machen. Ersatz kann er aber nicht doppelt erlangen, sondern niemals mehr, als der betragsmäßig höchste der beiden Ansprüche gewährt. Art. 12 Abs. 1 S. 2 normiert damit ein Bereicherungsverbot oder ein Verbot der Überkompensation. Dieser Ausschluss der Kumulierung von Ersatzleistungen gilt allerdings nur, soweit die aus anderen Rechtsgrundlagen bestehenden Ansprüche die Ersatzleistungen an dieselben Haftungsgründe wie die Fluggastrechteverordnung (Nichtbeförderung, Annullierung, (Abflug-)Verspätung, Downgrading) knüpfen. Nur dann können sie weiter gehen. Wenn sie die Ersatzleistungen hingegen an andere Haftungsgründe (zB Personen- oder Gepäckschäden) knüpfen, sind sie anders und bleiben uneingeschränkt bestehen. Art. 12 regelt Letztere nicht. (Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-Verordnung, Fluggastrechte-VO Art. 12 Rn 13). Das war hier der Fall. Entgegen den Behauptungen der Kläger ergibt sich aus der vorgelegten Anlage K7 (Bl. 48 d.A.), dass die Entschädigung wegen der verspätet erbrachten Leistung „Flug“ geleistet wurde, nicht – wie die Kläger behaupten – wegen des ausgefallenen Abendessens. Dass die Entschädigung nicht von der Beklagten selbst, sondern von der Reisegesellschaft, der U. gewährt wurde, ist unschädlich. Ist das nach der Flugastrechteverordnung haftende ausführende Luftfahrtunternehmen nicht zugleich Vertragsschuldner des Fluggastes, wird Art. 12 Abs. 1 S. 2 durch Art. 3 Abs. 5 S. 2 ergänzt. Danach hat die Erfüllung von Ansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung durch das ausführende Luftfahrtunternehmen Wirkungen auch für und gegen den personenverschiedenen Vertragsschuldner (Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-Verordnung, Fluggastrechte-VO Art. 12 Rn 14).

Die Kläger können von der Beklagten auch nicht Erstattung der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren in Hohe von 147,56 € verlangen.

Dieser Anspruch ergibt sich insbesondere auch nicht aus §§ 280, 286 BGB. Denn den Klägern ist kein Verzugsschaden entstanden. Der Anspruch setzt voraus, dass dem Gläubiger nach Eintritt des Verzugs ein kausaler Schaden entstanden ist. Das war hier nicht der Fall. Denn die Geschäftsgebühr ist hier nicht erst mit Verfassen des Schriftsatzes vom 09.07.2019 entstanden, sondern bereits am 07.06.2019, also vor Eintritt des Verzugs am 22.06.2019. Die Geschäftsgebühr entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags (Vorbemerkung 2.3 (3) VV RVG 2300). Dazu gehören die anwaltliche Prüfung und Beratung über das Bestehen von Forderungen und das Verfassen eines Anspruchsschreibens unzweifelhaft dazu. Ob dies durch mündliche Besprechung mit dem Rechtsanwalt, der den Anspruch in seinem Kopf prüft, oder Nutzen eines vorher durch einen Rechtsanwalt programmierten und geprüften Algorithmus geschieht, ist aus Sicht des Gerichts nicht maßgeblich. Es handelt sich um das Betreiben eines Geschäfts im Sinne von VV RVG 2300. Am 07.06.2019 haben die Kläger eine anwaltliche Beratung in Anspruch genommen. Sie haben ihre Flugdaten und persönliche Daten einschließlich Kontoverbindung auf der homepage der Prozessbevollmächtigten eingegeben. Der dort installierte Algorithmus „berechnet“ das Bestehen eines Anspruchs und generiert ein Anspruchsschreiben an die Fluggesellschaft. Damit hat der Algorithmus genau dieselbe Dienstleistung erbracht, die ein Rechtsanwalt im mündlichen Gespräch und anschließend mit Verfassen eines Anspruchsschreibens erbringen würde. Der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung, das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und die Höhe der Entschädigungsansprüche werden durchgeprüft, genau wie ein Rechtsanwalt dies getan hätte, wenn er ein persönliches Gespräch mit den Klägern geführt hätte. Die anwaltliche Leistung mag hier zwar im Vorfeld beim Programmieren des Legal Tech-Algorithmus erbracht worden sein, sie wurde aber erbracht und von den Klägern genutzt. Der Fall entspricht dem, in dem der Rechtsanwalt etwa bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in Verkehrsunfallsachen Formulare vorbereitet und zur Verfügung stellt, die der Geschädigte ankreuzen und ausfüllen kann. Wenn der Rechtsanwalt in solchen Fällen die einzelnen Positionen addiert und daraus ein Anspruchsschreiben formuliert, hat er eine Geschäftsgebühr verdient. Dass es sich nur um einen „simplen Algorithmus“ handelt, bei der von einer anwaltlichen Beratung keine Rede sein könne, ist nicht dargelegt. Der Algorithmus prüft den Anwendungsbereich der Verordnung, das Vorliegen der Voraussetzungen der Entschädigungsansprüche (Annullierung oder Verspätung von mehr als 3 Stunden), das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände und die Höhe der Entschädigung. Das sind dieselben Tatbestandsvoraussetzungen, die das Gericht bei der Entscheidung der Fluggastrechtsfälle durchprüft. Es ist nicht ersichtlich, was ein Rechtsanwalt bei der anwaltlichen Beratung mehr prüft. Auch die Tatsache, dass die mail den Kläger als Absender benennt (allerdings von der emailadresse der Prozessbevollmächtigten abgeschickt wurde), steht der Entstehung der Geschäftsgebühr auch nicht entgegen. Denn inhaltlich ändert sich durch die Angabe des Absenders und seiner Kontoverbindung nichts. Wäre der Algorithmus anders programmiert worden und wäre der Rechtsanwalt als Absender aufgetreten, läge unzweifelhaft ein Betreiben des Geschäfts vor. Es bestünde kein Zweifel, dass die Prozessbevollmächtigten ihre Geschäftsgebühr verdient hätten, wie dies derzeit vielfach auch in anderen Rechtsgebieten, in denen Legal Tech zur Anwendung kommt, geschieht (vgl. Dieselskandal-Fälle, Mietpreisbremsenfälle, etc.). Schließlich ändert auch die Tatsache, dass die Leistung der Prozessbevollmächtigten für die Kläger kostenlos war, an dem Ergebnis nichts. Darin liegt nur ein Verzicht des Rechtsanwalts auf die Geltendmachung von Vergütungsansprüchen, der gemäß § 49b BRAO unwirksam ist. Es bleibt dabei, dass die Kläger am 07.06.2019 eine Leistung des Rechtsanwalts in Anspruch genommen haben, der für sie das Bestehen von Ansprüchen geprüft hat und für sie ein Anspruchsschreiben formuliert hat. Dass die Kläger am 28.06.2019 die Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung beauftragt haben, vermag aus Sicht des Gerichts keinen Unterschied zu machen. Denn bereits zuvor hatten sie – wie ausgeführt – die Prozessbevollmächtigten mit der Erbringung von Leistungen beauftragt. Dass sie in dem Moment glaubten, dies sei für sie kostenlos, ist nicht maßgeblich.

Der Anspruch der Kläger besteht auch nicht gemäß Art. 14 Abs. 2 Fluggastrechteverordnung. Danach hat das ausführende Luftverkehrsunternehmen jedem betroffenen Fluggast einen schriftlichen Hinweis auszuhändigen, in dem die Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß der Verordnung dargelegt werden. Die Kläger sind dem Vortrag der Beklagten, das Merkblatt sei ihnen beim Check-in ausgehändigt worden, nicht mehr entgegen getreten.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die Frage, ob die Geschäftsgebühr bei der Generierung eines Anspruchsschreibens auf der homepage von Rechtsanwälten ausgelöst wird, ist bisher – soweit ersichtlich und von den Parteien vorgetragen – nur im anders als hier entschiedenen Sinne entschieden worden. Eine Entscheidung des Berufungsgerichts liegt dazu noch nicht vor.


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Volltext LG München liegt vor: Legal-Tech-Angebot der Financialright Claims GmbH in "Lkw-Kartell-Fällen" verstößt gegen Rechtsdienstleistungsgesetz

LG München
Urteil vom 07.02.2020
37 O 18934/17


Wir hatten bereits in dem Beitrag LG München: Durchsetzung von Ansprüchen in Massenschadensfällen durch Legal-Tech-Angebot der Financialright Claims GmbH in "Lkw-Kartell-Fällen" verstößt gegen Rechtsdienstleistungsgesetz über die Entscheidung berichtet.

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